In der Dämmerstunde

Die Erzählung des Professors von der gelben Maske



Erster Teil

Erstes Kapitel

Vor ungefähr hundert Jahren lebte in der alten Stadt Pisa eine berühmte italienische Modewaren-Händlerin, und da sie stets nach den neuesten französischen Mustern arbeitete, so nahm sie auch selbst einen französisch klingenden Namen an und nannte sich »Demoeiselle Grifoni.«

Sie war eine winzig kleine Frau mit einem schadenfrohen Gesicht, einer sehr schnellen Zunge aber sie besaß viel Geschäftstalent.

Sie hatte den Ruf reich zu sein, aber die böse Welt behauptete auch gleichzeitig, dass die Grifoni »Alles« für Geld besorge. —

Die einzige unbestreitbar gute Eigenschaft der Grifoni bestand in den »festen Preisen.« ihrer Verkaufsartikel. Sie ließ sich nicht das Geringste abhandeln, von dem einmal genannten Preise; und damit dokumentierte sie schon gewissermaßen die Festigkeit ihres Charakters. Auf der Höhe ihres Wohlstandes hatte sie jedoch die Unannehmlichkeit, dass ihre geübteste Direktrice und Zuschneiderin sich nicht nur verheiratete sondern, dass sie auch als Rivalin ihrer ehemaligen Herrin auftrat und selbst ein Modewaren-Geschäft etablierte.

Einer andern Modistin würde dieser Umstand viel Sorgen bereitet haben, aber die unbesiegbare Demoeiselle Grifoni griff einfach nur nach Hilfsquellen.

Während die jüngere Modistin prophezeite dass die Grifoni nun ihr Geschäft wohl schließen müsste, da sie sie verlassen, wechselte die ältere Dame häufig Briefe mit einem Pariser Agenten, Niemand ahnte deren Inhalt; aber nach einigen Wochen erhielten die reichen Damen Pisas die gedruckte Anzeige dass die geschickteste Pariser Modistin in das Modewaren-Geschäft der Grifoni eingetreten sei. Dieser Meisterstreich errang den Sieg, und die Damen der Stadt beeilten sich, ihre Bestellungen bei der Modistin zu machen, welche soeben aus der Metropole der Mode aus Paris, angekommen war.

Die Französin hatte eine kleine Gestalt und ein freundliches Gesicht. Ihr Name war Virginia und sie teilte mit, dass ihre Familie sie verlassen habe und dass sie nun ganz allein stehe. —

Als sie kaum angekommen war, hatte die Grifoni sie mit Bändern, Seidenstoffen, Spitzen und Blumen versorgt und ihr die Weisung erteilt, sie möge nicht sparen und Alles so schön als nur immer möglich für das Schaufenster des Geschäftes herstellen.

Virginia versprach, ihr Möglichstes zu leisten und fragte nur, ob unter den Arbeiterinnen vielleicht eine sei, die soviel französisch verstehe um ihr beider Anfertigung der neuen Artikel Hilfe leisten zu können.

»Ja, ja,« rief die Grifoni freudig aus, »ich habe hier eine solche Arbeiterin, sie heißt Brigitte. Sie ist wohl das faulste Geschöpf in ganz Pisa, aber sie ist sehr geschickt; auch war sie in Frankreich, und sie spricht französisch, wie eine Pariserin. Ich schicke sie Ihnen gleich hierher.«

Mademoiselle blieb nicht lange allein mit ihren Stoffen und Mustern, denn es kam eine schlanke schwarzäugige kühn um sich blickende Person in das Zimmer und schritt mit dem Anstand einer Bühnenkönigin weiter vor.

In dem Augenblick, als sie die neue Direktrice erblickte schrie sie laut: »Du hier, Finette!«

»Therese!« rief ihr die Französin entgegen und ließ die Schere auf den Tisch fallen.

»Still! Nenne mich Brigitte,« sagte die Eingetretene.

»Nenne mich hier Virginia,« bat die Andere. Nachdem diese Übereinkunft nur einen Augenblick gedauert hatte betrachteten sich die zwei Frauen einander schweigend. Die dunklen Wangen der Italienerin wurden fast gelb und die Stimme der Französin zitterte als sie wieder begann:

»Wie kamst Du denn hierher? in des Himmels-Namen! Ich glaubte Dich durch Jemand versorgt?«

»Still, Du siehst, ich bin es nicht,« erwiderte Brigitte. »Ich habe Unglück gehabt. Und Du solltest doch die Letzte sein, die sich über so etwas wundern kann!«—

»Du denkst, ich habe keine Unfälle erlebt, seitdem wir uns nicht sahen? Da irrst Du Dich! — Du bist vollständig gerächt!«

Mit diesen Worten wandte sich Virginia kalt ab und nahm die Schere wieder in die Hand.

Brigitte folgte ihr und legte ihren Arm um den Hals der Andern und küsste sie. Dann sagte sie: »Lass uns jetzt Freundinnen sein!«

Die Französin lachte. »Erzähle mir jetzt, wie Du behaupten kannst, ich sei gerächt,« fragte Brigitte.

Virginia untersuchte vorsichtig die Tür, ob auch nicht gehorcht würde; dann strich sie Brigitten das Haar aus dem Gesicht, küsste sie, und sagte: »So, jetzt sind wir Freundinnen!« Dann setzten sich beide zum Arbeiten nieder.

»Freundinnen,« wiederholte Virginia noch einmal mit sonderbarem Lachen. »Und nun an die Arbeit!« setzte sie hinzu und nahm eine ganze Reihe Stecknadeln zwischen die Zähne und fuhr trotzdem fort: »Ich glaube ich bin hierher berufen, um die vorige Zuschneiderin, die sich jetzt selbst etabliert hat, zu ruinieren? Gut, ich werde sie ruinieren!«

»Breite doch einmal den gelben Seidenstoff dort aus, meine Liebe und stecke das Muster an Deiner Seite dort fest, während ich hier das meinige befestige.«

»Welche Absicht hast Du, Brigitte, wirst Du vergessen, das Finette tot ist, und Virginia dafür lebt? — Lass doch das Papier noch einen Zoll übertreten! — So! — Sage mir, Du kannst doch unmöglich hier so leben wollen, welche Pläne hast Du gefasst?«

»So sieh mich einmal an,« antwortete Brigitte stellte sich in die Mitte des Zimmers und nahm eine plastische Haltung an.

»Ach, ich weiß schon,« entgegnete die Andere, »Du wirst zu einem französischen Schnürleibmacher gehen und mehr verdienen?«

»Ging die Göttin Minerva zu einem Schnürleibfabrikanten? Ich dachte immer, sie fuhr auf Wolken und lebte zu einer Zeit, in der die Mieder noch nicht erfunden waren,« entgegnete Brigitte.

»Ich verstehe Dich nicht,« lispelte Virginia durch ihre Stecknadeln.

»Nun, das ist doch nicht schwer zu erraten! Ich gehe zu dem berühmtesten Bildhauer von Pisa und bin sein Modell zu einer Minerva,« antwortet Brigitte.

»Wer ist er?«

»Er heißt Meister Luca Lomi, gehört einer alten Familie an, wurde aber von den Verhältnissen hin und her geworfen und so muss er jetzt für sich und seine Tochter ums liebe Brot arbeiten.«

»Futtere das Kleid aber,« sagte die Direktrice und fragte »Wo finden denn diese Sitzungen statt?«

»Warte eine Minute. Es gibt dort noch andere Bildhauer, die ihn in der Kunst unterstützen. Zunächst sein Bruder, Pater Rocco, ein Priester; dieser bringt seine freien Stunden stets bei ihm zu. Aber er fertigt nur Statuen für Kirchen an, denn er ist ein sehr frommer Mann, Alles, was er für seine Arbeiten einnimmt, widmet er heiligen Zwecken.«

»Ah, bah, den würden wir in Frankreich einen drolligen Priester nennen.« sagte Virginia. »Gib Nadeln her! Verdienst Du von ihm auch etwas? Warte noch! Ich will sie Dir erst alle nennen. Es gibt hier noch einen Edelmann, namens Fabio d’Ascoli, der auch Bildhauer ist, er ist jung, hübsch und reich, das einzige Kind seiner Eltern und besitzt nicht viel mehr Verstand, als ein Narr. Er betreibt indes seine Kunst so eifrig, als wenn er von dem, was er erwirbt, leben müsste. Denke Dir also einen jungen Mann aus einer der ersten Familien Pisas, der darnach strebt, sich als Künstler einen Namen zu erwerben.

»Warte nur, das Beste kommt noch!

»Seine,Eltern sind tot, und da er noch unverheiratet ist, so steht sein ganzes Vermögen zu seiner Verfügung, also ist er ganz dazu geeignet, der Freund einer jungen unabhängigen Dame zu werden.«

»Ich verstehe Dich schon,« sagte Virginia. »Die Göttin Minerva hält ihre Hände bereit, um dem Künstler seine freie unnütze Habe zu entführen.« —

»Bei erster Gelegenheit werde ich mich ihm anbieten,« antwortete Brigitte. »Ich sitze ihm nämlich noch nicht, sondern seinem Meister, Luca Lomi, welcher jetzt gerade an einer Statue der Göttin Minerva arbeitet, will ich sitzen. Das Gesicht der Göttin ist nach der Tochter des Meisters gebildet, aber jetzt verlangt diese Gestalt auch Büste und Arm.

»Magdalena Lomi und ich sind fast von derselben Größe und man sagt mir, dass ihre Figur nicht als Model zu einer Göttin tauge. — Ich habe mich dem Meister durch eine Freundin anbieten lassen, nimmt mich der Alte an, so hoffe ich auch bald auf die Kundschaft des jungen Edelmannes. Meine Zunge und andere Fertigkeiten werden dann das Übrige schon besorgen.«

»Wer ist denn die Freundin, die Dich empfehlen soll? Vielleicht auch eine Künstlerin?«

»Nein, nein, es ist ein sonderbares kleines Geschöpf.«

»Warte ich muss erst sehen, ob Niemand horcht. Es klopft!«

Die Tür öffnet sich und ein ärmlich, aber reinlich gekleidetes junges Mädchen, trat in das Zimmer. Sie war klein und schwächlich, aber ihr Gesicht war sehr regelmäßig und in vollkommener Übereinstimmung mit dem Körper.

Das Haar war dunkelbraun und die Augen hatten jenes Dunkelblau, welches man an den Gemälden Giergiones und Tizians bewundert und welches ein Kennzeichen der italienischen Schönheiten ist. Das Gesichtchen war indes sehr blass. Es fehlte ihm der Ausdruck kräftiger jugendlicher Frische, die eigentliche Krone der Schönheit.

Ihr Blick war trübe als sie eintrat, als sie jedoch die französische Direktrice erblickte wurde es sogar ängstlich und das junge Mädchen wollte sich scheu nach der Tür zurückziehen.

»Bleiben Sie, Nanina,« sagte Brigitte italienisch, »und erschrocken Sie nicht bei dem Anblick der Dame; sie ist unsere neue Direktrice und sie kann Ihnen sehr nützlich werden. Sagen Sie uns jetzt, was Sie wollen! Sie sind schon sechzehn Jahre alt und sind so schüchtern wie ein Kind von zwei Jahren.«

»Ich wollte nur fragen, ob Sie heute etwas Arbeit für mich haben,« fragte das junge Mädchen mit sehr angenehmer Stimme und mit schüchternem Blick auf die neue Geschäftsvorsteherin.

»Nein, heute ist nichts für Sie zu tun,« sagte Brigitte, »gehen Sie heute Modell stehen?« fragte sie weiter.

Die Wangen Nanina’s färbten sich und sie antwortete: Ja! »Vergessen Sie meine Botschaft nicht, meine Liebe und wenn Meister Lomi fragt, wo ich wohne so sagen Sie ihm nur, dass Sie mir meinen Brief von ihm mit Bestellungen überbringen könnten; aber sagen sie ihm gar nicht, wer ich bin und wo ich wohne.«

»Warum verbieten Sie das?« fragte Nanina unschuldig.

»Fragen Sie nicht so dumm und bringen Sie mir morgen eine Nachricht, dann werde ich die Dame hier bitten, dass sie Sie beschäftige. Ich begreife Sie übrigens nicht, Sie können doch hier und in Florenz mit dem Modellstehen viel mehr Geld verdienen.«

»Mir gefällt die Handarbeit besser,« entgegnete das junge Mädchen, verbeugte sich höflich und verließ das Zimmer.

»Das ungeschickte Kind kann einmal hübsch werden,« bemerkte Mademoiselle Virginia, die mit der Anfertigung des Kleides unter ihrer Hand bald fertig zu sein schien. »Wer ist sie denn?«

»Sie ist die Freundin, welche mich bei Lomi empfehlen soll,« erwiderte Brigitte lachend.

»Wer hat Dich denn mit ihr bekannt gemacht?«

»Sie holte sich hier stets Arbeit und fertigte dieselbe in ihrer Wohnung, dem kleinsten und hässlichsten Ort, in einer Straße bei Campo Santa, an. Ich war eines Tages neugierig genug, ihr zu folgen. Als der Vogel im Bauer war, klopfte ich an die Tür. Sie rief ängstlich; Herein! War das ein Loch! Ich kann es noch nicht vergessen! Ich erblickte nur einen Stuhl und eine alte Bratpfanne auf dem Feuer, das war Alles was ich sah. Vor dem Herd lag ein großer, ungeschorener, abscheulicher Pudel und auf einem niedrigen Stuhle saß ein kleines Mädchen und flocht Matten.

Ich sagte, ich interessiere mich für sie und fragte nach ihrem Vater. »Er hat uns seit Jahren verlassen,« sagte das Mädchen. »Und Ihre Mutter?« »Todt!« war die Antwort. Dann stand sie auf, ging zu ihrer kleinen Schwester und spielte mit derem langen blonden Haar. »Das ist gewiss Ihre Schwester. Wie heißt denn die Kleine?« fragte ich. Das Kind blickte von der Flechtarbeit in die Höhe und antwortete: man nennt mich Biondella.

»Warum liegt das hässliche Tier da vor dem Herd?«

»Das ist ja unser lieber Scarammucia,« sagte die Kleine. »Er bewacht das Haus, wenn Nanina nicht zu Hause ist; er tanzt auf seinen Hinterfüßen, springt durch einen Reifen und weiß allerlei Kunststücke. Scarammucia folgte uns eines Tages auf der Straße, es sind nun schon mehrere Jahre her, und seitdem leben wir mit ihm zusammen. Er geht jeden Tag spazieren und sucht sich seine Nahrung, aber Niemand kann ihm nachsagen, dass er ein Dieb ist, er ist nur der geschickteste aller Hunde.« Mit diesen Worten ging das Kind zu dem hässlichen Tiere und liebkoste es. Ich erfuhr denn noch, dass die Nachbarn den Kindern beigestanden haben, als ihr Vater sie verlassen hatte, bis sie soweit waren, sich selbst eine Kleinigkeit zu erwerben. Die Biondella ließ den Hund seine Kunststücke vor mir aufführen, als ich mich ihm aber nähern wollte wies mir das hässliche Geschöpf erzürnt die Zähne und fing zu bellen an.

»Das Mädchen sah so krank aus, als sie hier herein trat. Sieht sie immer so blass aus?«

»Nein, sie ist seit einigen Monaten viel blasser geworden, und ich glaube dass der junge Edelmann einen Eindruck auf sie gemacht hat; denn je länger sie zu ihm geht, je trauriger und kränklicher wird ihr Aussehen.

»Sitzt sie ihm vielleicht?«

»Ja! Er arbeitet jetzt an der Statue einer Nymphe und benutzt den Kopf und das Gesicht Nanina’s als Modell dazu. Sie wollte anfangs durchaus nicht darauf eingehen und machte dem Künstler viele Schwierigkeiten, bevor sie sich dazu hergab.«

»Glaubst Du nicht, dass sie Deine Rivalin werden wird? Die Männer sind oft solche Narren und verlieben sich gerade in Wesen, die man nicht fürchten zu müssen glaubt.«

»Lächerlich! So ein fadenscheiniges Ding, ohne Manieren, ohne Intelligenz, ein Wesen, das kaum den Mund zu öffnen wagt, das weiter nichts besitzt, als einen hübschen Kinderkopf! Die Nanina wird mir nicht gefährlich werden; vielmehr fürchte ich von der Tochter des alten Lomi, ich fürchte mich förmlich, deren Bekanntschaft zu machen. Nanina wird meinen Auftrag ausrichten; ich werde ihr dafür ein altes Kleid schenken, ihr die Hand freundlich drücken und dann sind wir fertig! Da gibt es nichts zu fürchten!«

»Nun, Du verstehst das gewiss besser! Aber ich muss Dir sagen, dass mir stets derartige Wesen durch ihre Unwissenheit und Unschuld am gefährlichsten geworden sind. — Worte einen Augenblick; ich werde das Kleid bald so weit eingerichtet haben, dass die Näherin es übernehmen kann.«

»Klingele, dass die Arbeiterin erscheine ich werde ihr sagen, wie das Kleid weiter gearbeitet werden soll, das heißt, Du wirst es ihr übersetzen, da ich nicht italienisch kann.«

Während Brigitte klingelte, schnitt die französische Geschäftsführerin ein neues Kleid zu und sie lachte als sie sah, wie sich der Seidenstoff unter ihren Händen verringerte.

»Warum lachst Du?« fragte Brigitte »Ich kann mich nicht von dem Gedanken trennen, dass Deine kleine Freundin eine Heuchlerin ist,« entgegnete Virginia.

»Und ich bin überzeugt, dass sie ein Dummkopf ist,« antwortete Brigitte.


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