In der Dämmerstunde

Die Erzählung des Professors von der gelben Maske



Drittes Kapitel.

Der Ballabend war gekommen, der Domino und die Halbmaske lagen noch immer auf dem Tische in Fabio’s Zimmer; aber der Witwer entschloss sich noch nicht zum Fortgehen, trotzdem die bestimmte Stunde zu dem Anfange des Maskenballes schon lange vorüber war. Er zögerte und zögerte, ohne einen Grund dazu zu haben. Es schien ihm, dass der große, einsame Palast wieder den Zauber auf ihn ausübe, ihn zu fesseln. Das war Fabio seit dem Tode seiner Frau bisher nicht geschehen.

Er verließ sein Zimmer, und begab sich in das Zimmer, wo sein Kindchen in der Wiege ruhig schlummerte. Er setzte sich an das Bettchen und gedachte an vergangene Tage.

Dann ging er wieder in sein Zimmer zurück. Er nahm aber noch immer nicht den Domino um, sondern er öffnete eine Schublade und nahm den Brief Nanina’s daraus hervor und las ihn langsam durch.

Dann sagte er zu sich selbst: »Ich besitze Jugend, Geld, Titel, Alles was die Welt kostbar nennt und doch fühle ich mich so verwaist und traurig, habe Niemand der mich liebt, darum erinnere ich mich auch gern an das arme traute Mädchen, welches diese Zeilen schrieb.«

Alte Erinnerungen stiegen mächtig in ihm auf. Er gedachte an Luca Lomi’s Atelier, an seinen ersten Besuch bei Nanina, dabei saß er und zeichnete gedankenlos mit dem Bleistift verschiedene Figuren vor sich aufs Papier. Die Lampe wurde dunkler, er blickte auf die Uhr und sah, dass es bereits Mitternacht war.

Schnell nahm er Domino und Maske, und in wenigen Minuten war er auf dem Wege zu dem Ball- Lokale.

Als er ankam wurden gerade groteske Tänze aufgeführt, die das laute Gelächter der Gäste hervorriefen; als diese beendet waren, begaben sich die Anwesenden in die arkadischen Lauben, um sich zu neuen Tänzen mit Speise und Trank zu stärken.

Der Marquis hatte in seiner sonderbaren Weise die zwei Räume in ein Departement der schweren, das andere in das Departement der leichten Speisen, eingeteilt.

Die Gesellschaft hatte den Raum, wo es Pasteten und den Magen reell füllende Dinge zu verspeisen gab, so bevorzugt, dass noch zehn Schäferinnen aus dem anderen Raume zur Bedienung der Gäste herbeigeholt werden mussten; unter den fünf Mädchen, welche Limonade, Gefrorenes und mehr dergleichen leichte Kleinigkeiten verabreichten, war auch Nanina geblieben.

Der Intendant hatte sie dort gelassen, weil er sah, wie unangenehm der Lärm auf das junge Mädchen einwirkte.

Als Fabio eintrat hatte der Lärm in dem Departement des Reellen seinen Höhepunkt erreicht.

Die Kavaliere waren so entzückt über die Tracht der Hirtinnen, dass sie die jungen Mädchen in dem klassischen Latein der Virgil’schen Zeit ansprachen.

Sobald er den Gratulationen seiner Freunde über seine glückliche Rückkehr entschlüpfen konnte, suchte Fabio ein ruhiges Plätzchen auf.

Er ging durch den Tanz-Saal und befand sich, an dem äußersten Ende des Gebäudes angelangt, ebenfalls in einer arkadischen Laube, die jedoch, ihrer heiteren Stille wegen, vielmehr ihren Namen verdiente, als ihre geräuschvolle Namensschwester an dem anderen Ende des Festraumes.

Es waren sehr wenig Gäste in dem Zimmer, als Fabio eintrat; nachdem er sich die Dekoration flüchtig betrachtet hatte, setzte er sich auf ein Sofa in der Nähe der Tür und da es sehr heiß war, nahm er seine Maske ab.

Ein Aufschrei ertönte aus der Mitte der fünf Aufwärterinnen. Der junge Mann blickte auf und traute kaum seinen Augen, als er sich Nanina gegenüber befand.

Ihre Wangen waren blass; sie blickte fast entsetzt auf den jungen Edelmann.

Eine der anderen Aufwärterinnen wollte ihr beistehen, denn sie glaubte, Nanina sei plötzlich krank geworden.

Als Fabio näher kam, ließ sie ihr Haupt auf die Brust sinken und sagte:

»Ich glaubte nicht, dass Sie hier in Pisa seien! Ich glaubte nicht, dass Sie hierher zurückkommen würden! Wie falsch muss Ihnen das jetzt erscheinen, was ich Ihnen schrieb.«

»Wenn ich Ihnen doch sagen könnte, wie oft ich Ihren Brief las, wie sorgfältig ich ihn aufbewahrt habe!« antwortete Fabio.

Nanina wandte ihren Kopf fort, um ihre Tränen zu trocknen, dann sagte sie:

»Es wäre besser, wir hätten uns nie wieder gesehen.« Ehe noch Fabio Etwas erwidern konnte, sagte das andere Aufwarte-Mädchen:

»Ums Himmelswillen, sprechen Sie doch hier nicht zusammen, wenn es der Intendant sieht, werden wir Unannehmlichkeiten haben! Sie können sich ja morgen sehen.«

Fabio fühlte die Richtigkeit dieses Vorwurfs. Er riss ein Blatt aus seinem Taschenbuch und schrieb darauf:

»Ich muss Sie sprechen! Kommen Sie morgen früh zehn Uhr in den d’Ascoli-Garten. Glauben Sie an meine Ehrenhaftigkeit und Aufrichtigkeit so fest, wie ich stets an die Ihrige glaubte.«

Dann wickelte er einen kleinen Schlüssel, den er von den Petschaften an seiner Uhr losmachte, in das Papier und drückte es in Naninas Hand.

Er wollte noch einmal zu dem jungen Mädchen sprechen, aber die andere Aufwärterin bedeutete ihn, zu schweigen und zeigte nach einer Maske, die eben eingetreten war.

Fabio drehte sich um und erblickte eine ganz in gelb gekleidete weibliche Maske.

Die Kopfbedeckung war gelb, die Maske gelb und lange gelbe Fransen hingen von der Maske über den Mund fort; der Domino war ebenfalls gelb; die Ärmel und der untere Rand des Domino waren mit Spitzen aus demselben Stoff versehen. Die ganze Gestalt machte einen unheimlichen Eindruck.

Die pechschwarzen Augen der Frau glänzten durch die Löcher der Maske und die Fransen bewegten sich, durch den Atem bewegt, vor dem Munde hin und her.

Ohne ein Wort zu sprechen stand sie vor dem Tische und schien aufmerksam auf Fabio zu blicken.

Als er die Frau betrachtete, fiel ihm ein, dass die Farbe der Maske dasselbe Gelb zeige, wie das Lieblingsmeublement seiner verstorbenen Frau im Palast d’Ascoli. —

»Die gelbe Maske!« flüsterten die Schäferinnen und traten furchtsam hinter den Tisch dicht an einander, »schon wieder die gelbe Maske!«

»Bewegen Sie sie zum Sprechen!«

»Fragen Sie sie Etwas!«

»Dieser Edelmann wird sie zum Sprechen bringen,« sagten die Mädchen nach einander.

Fabio sah, dass Nanina sich abgewendet hatte und ihr Taschentuch vor die Augen hielt. Sie allein schenkte der Maske keine Aufmerksamkeit.

Die anderen Mädchen baten Fabio wiederholt ängstlich, er möchte doch die Maske ansprechen.

Fabio drehte sich um und behielt die Maske im Auge; sie schien ihn mit dem Feuer ihrer Augen versengen zu wollen und wohin er sich bewegte, folgten ihm diese merkwürdigen Augen.

Er ging aus das gespensterhafte Wesen zu, aber es bewegte sich nicht; er versuchte, es anzusprechen, aber die Stimme versagte ihm. —

Das leise, furchtsame Auftreten der Aufwärter-Mädchen, die Gestalt vor ihm, die Musik, das heitere Lachen der Menge in den anderen Sälen, alles dieses bestimmte ihn, schnell den Raum zu verlassen und sich unter frohe Menschen zu begeben, und er ging schnell in den Saal.

Er wollte hin, wo das Gewühl der Gesellschaft am dichtesten war, doch einer seiner Freunde, der sich eben von einem Kartentisch erhoben hatte und der Fabio noch nicht wiedergesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten:

»Willkommen, Graf Fabio, in der Gesellschaft! Aber warum sind Sie so entsetzlich bleich? Ihre Hände sind eiskalt! — Ich hoffe, Ihnen ist doch nicht unwohl?«

»Nein,« entgegnete Fabio, »ich hatte aber eben eine so sonderbare Begegnung mit einer seltsam kostümierten Gestalt, dass mir, ich weiß eigentlich nicht warum, ganz unheimlich zu Mute geworden ist.«

»Sie sahen sicher die gelbe Maske?« fragte der Andere.

»Ja, sahen Sie sie auch?«

»Jedem Gast ist sie bereits aufgefallen. Unser Gastgeber hat nicht die geringste Idee davon, wer sie sein könnte.

»Niemand vermag sie zum Sprechen zu bewegen.

»Wäre ich der Marquis Melani, so würde ich ihr sagen: »Madame, wir sind hier versammelt um froh und heiter zu sein, öffnen Sie Ihren Mund und entzücken Sie uns durch eine andere Toilette!« —

Während dieser Unterhaltung hatten die beiden Herren sich, mit dem Rücken der Tür zugewendet, gesetzt. Andrea d’Arbino sprach noch zu Fabio, als dieser plötzlich zusammen-schauerte, denn er hörte tiefes Atemholen hinter sich, er drehte sich schnell um.

In diesem Augenblick stand die gelbe Maske zwischen den beiden Männern und beugte sich zu ihnen nieder.

Fabio und sein Freund standen auf. Die Augen der gelben Maske schienen bis auf das Herz Fabio’s dringen zu wollen. —

»Gelbe Dame, kennen Sie meinen Freund?« fragte d’Arbino artig.

Es erfolgte keine Antwort. Die brennenden Augen blieben fest auf Fabio gerichtet.

»Gelbe Dame, hören Sie nur die köstliche Musik! Wollen Sie mit mir tanzen?« fragte d’Arbino weiter.

Die Augen ließen von Fabio ab und die unheimliche Gestalt glitt geisterhaft aus dem Zimmer.

»Mein teurer Graf, diese Frau scheint es wirklich auf Sie abgesehen zu haben! Sie sind noch bleicher geworden. —

»Kommen Sie in das Speisezimmer, wir werden Wein trinken, denn Sie bedürfen der Stärkung,« sagte d’Arbino und führte Fabio nach der arkadischen Laube mit den fünfundzwanzig Aufwärterinnen, die nun aber auch ganz leer geworden war, da alle Paare tanzten.

Dieser Raum war nicht in vollständig arkadischer Einfachheit, denn es befand sich über einem der Schenktische ein großer Spiegel. Vor demselben stand einer der Gäste und fächelte sich sorglos mit der Maske Kühlung zu.

»Mein Teurer,« rief d’Arbino dem Herrn zu, »Sie sind der geeignetste Mann dazu, uns den feurigsten Wein empfehlen zu können, den es hier gibt! Graf Fabio, ich stelle Ihnen hier meinen Freund, den Kavalier Finello vor, und ich wünschte, dass Sie mit ihm und seiner Familie bekannter würden. Ich sehe hier in Ihrer Nähe eine ganze Reihe Flaschen! —

»Meine schöne, schwarzäugige Schäferin, geben Sie uns gefälligst die drei größten Gläser, die Sie haben!« bat d’Arbino.

Die Gläser wurden gebracht und Finello füllte sie mit dem edelsten Wein, der zu haben war, und die drei Edelleute setzten sich dem Spiegel gegenüber nieder.

»Nun lasst uns trinkend,« sagte d’Arbino, »Finello, Graf Fabio, den Schönen von Pisa, ein Hoch! —«

Alle drei hoben die Gläser. Als Fabio sein Glas an die Lippen setzen wollte, erblickte er in dem Spiegel die gelbe Maske und er setzte das Glas ab, ohne den Wein gekostet zu haben.

»Was gibt es?« fragte d’Arbino.

»Lieben Sie diesen Wein nicht, Graf?« fragte Finello.

»Die gelbe Maske! Die gelbe Maske ist schon wieder sichtbar!« sagte Fabio halblaut.

Alle drei blickten zur Tür, aber es war nichts von der Gestalt zu entdecken.

»Weiß Jemand, wer die gelbe Maske ist?« fragte Finello. »Man sieht übrigens nur an Gang und Bewegung, dass es eine Frau ist. Sie hat irgend einen geheimen Beweggrund, hier so seltsam gekleidet von Zimmer zu Zimmer zu schleichen,« setzte der Kavalier hinzu.

»Ja,« entgegnete d’Arbino, »die gelbe Maske hat den Grafen d’Ascoli nicht nur um seine heitere Balllaune gebracht, jetzt stört sie ihn sogar sein Glas zu leeren.«

»Es ist das dritte Zimmer, in welches sie mir folgt,» sagte Fabio, »und zum dritten Male richtet sie ihre brennenden Augen so seltsam auf mich. Ich muss gestehen, meine Nerven sind noch nicht wieder gestärkt genug für Abenteuer und Bälle. Ihr Blick macht mich schaudern. Wer kann sie nur sein?»

»Wenn sie ihre Verfolgungen zum vierten Male wiederholt, so bitten Sie sie doch, dass sie sich demaskiere,« sagte Finello.

»Und wenn sie es verweigert?«

»Dann würde ich ihr selbst die Maske abnehmen,» setzte Finello hinzu.

»Man kann das einer Dame nicht antun,« sagte Fabio. »Ich werde mich in der Menge vor ihr zu verstecken suchen. Ich lasse Sie jetzt hier bei dem Wein, meine Herren, und hoffe Sie im Ballsaal wieder zu sehen.«

Fabio nahm seine Maske, begab sich in den Tanzsaal und suchte die dichteste Menschenmenge auf. Fürs Erste gelang ihm sein Plan, er sah die gelbe Maske nicht mehr.—

Endlich wurde ein Tanz arrangiert, wo die Paare sich in langen Reihen einander gegenüber standen. Die Zuschauer standen hinter den Tanzenden an den Wänden entlang.

Als Fabio auf das Präludium des Orchesters lauschte, blickte er die Reihen entlang und sah die gelbe Maske.

Er schritt weiter und suchte sich einen anderen Platz, aber kaum hatte er wieder die Tänzer von Neuem ins Auge gefasst, als er wieder die entsetzliche gelbe Maske erblickte.

Die Verfolgung wurde unerträglich und es bemächtigte sich seiner eine sonderbare Angst. Er kehrte in den Speisesaal zurück.

Die beiden Herren saßen nicht mehr bei dem Wein. Fabio stürzte schnell einige Gläser des feurigen Weines hinunter und beschloss, Finello’s Rat zu folgen, die gelbe Maske zu lüften. —

Er dachte, vielleicht wünscht sie, dass ich ihr zu einem stillen Zimmer folge, vielleicht will sie sich gerade vor mir demaskieren.

Mit diesem Gedanken beschäftigt, ging er durch alle Festräume, bis er wieder in die arkadische Laube kam, wo Nanina sich befand.

Die Aufwärterin, welche ihm früher schon den Rat gegeben hatte, mit Nanina hier nicht weiter zu sprechen, kam ihm bis zur Tür entgegen und sagte:

»Kommen Sie nur nicht wieder hier herein, das arme Mädchen wird sonst wieder weinen, denn der Intendant, der sie mit geröteten Augen und totenbleich hier gesehen hat, hat ihr bereits erklärt, dass sie nicht weiter bedienen dürfte und dass sie nach Hause gehen könnte, wenn sie wollte. Sie ist jetzt fort um ihre Kleider zu wechseln.«

Das junge Mädchen sprach nicht weiter, sondern zeigte nur über Fabio’s Schultern.

»Die gelbe Maske!» sagte sie darauf ängstlich und bat: »O Herr, führen Sie sie in den Ballsaal zurück, damit die arme Nanina in ihren alten Kleidern hier durch schlüpfen kann.«

Fabio drehte sich um und sah, dass die unheimliche Gestalt sich wieder zurückzog. Sie ging, von Fabio gefolgt, durch alle Räume, bis zu dem glänzend erleuchteten Korridor. Von demselben gelangte man rechts in die Festräume, links zu der großen Treppe des Palastes. Die gelbe Maske wendete sich langsam nach der linken Seite zu, dann stand sie still, und ließ ihre Augen einen Moment auf Fabio fallen, dennoch blickte sie auf Nanina, welche kam, um sich nach Hause zu begeben.

»Wo komme ich hier hinaus?« rief das junge Mädchen ängstlich, als sie die gelbe Maske erblickte.

»Hier durch!« sagte Fabio und zeigte nach dem Saale. »Man erwartet jetzt wieder einige Überraschungen und Niemand wird Sie beachten.«

Dann ergriff er den Arm Nanina’s und flüsterte ihr zu:

»Vergessen Sie nicht unsere Verabredung für morgen!«

In demselben Augenblick legte sich die Hand der gelben Maske auf ihn und nahm seine Hand aus der Nanina’s.

Er zitterte zwar, hatte aber doch so viel Besinnungskraft behalten, dass er Nanina ein Zeichen geben konnte, dass diese sich schnell entfernen möge.

Das junge Mädchen ging schleunigst fort.

»Wir sind jetzt allein,« begann Fabio zu der unheimlichen Maske, »sagen Sie mir nun, wer Sie sind und warum Sie mich verfolgen! Oder — ich nehme Ihnen die Maske ab und überzeugt mich selbst davon, wer Sie sind!«

Die Frauengestalt trat einige Schritte schweigend zurück. Er folgte ihr. Es war kein Augenblick zu verlieren, denn man hörte schon wieder Tritte nahen.

»Jetzt oder nie!« rief Fabio aus und wollte die Maske heben, aber die Frau stieß seine Hand zurück und nahm mit der anderen Hand ihre Maske selbst ab.

Die Lampen beleuchteten das Gesicht hell und deutlich.

Es war das Gesicht der verstorbenen Gräfin Magdalene d’Ascoli.


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