In der Dämmerstunde

Die Erzählung der Nonne: Gabriels Hochzeit



Drittes Kapitel.

»Jetzt kann ich Perrine mit gutem Gewissen heiraten!«

Nicht überall würde ein Sohn so großes Gewicht darauf gelegt haben, dass er einen braven Vater besitze, als wie hier in der Bretagne.

Das heilige Recht der Gastfreundschaft wurde in dem Distrikte, wo Gabriel und seine Familie lebten, noch mit so patriarchalischer Herzlichkeit ausgeübt, dass selbst die ärmste Familie ihr letztes Stück Brot mit einem Gast teilte, der Schutz und Obdach suchte. Das Eigentum und das Wohl des Gastes wurde bewacht und gefördert wie das eigene.

Wie glücklich musste Gabriel sich nun fühlen, da er die Überzeugung hatte, die Geschichte mit dem fremden Reisenden sei nur die Phantasie eines Sterbenden gewesen. Wie glücklich war er nun, seine Hand mit gutem Gewissen der Verlobten für immer reichen zu können.

Francois war noch nicht wieder zu Hause als Gabriel in die Hütte zurückkehrte.

Perrine und die Andern fanden Gabriel angenehm, verändert, und Pierre, der jüngere Bruder Gabriels, erzählte nun von den Gefahren der Nacht.

Alle lauschten noch auf die Erzählung des Knaben, als Francois zurückkam. Gabriel streckte dem Vater freudig die Hand entgegen. — Dieser schien sehr verändert geworden, seitdem er die Hütte verlassen hatte. — Er nahm die dargebotene Hand nicht und sagte:

»Ich reiche Niemand die Hand, der mich einmal verdächtigte, der Zweifel gegen mich hegte. — Ich würde ihn ebenfalls stets verdächtigen. Du bist ein schlechter Sohn! Du hast Deinen Vater eines Verbrechens beschuldigt, ohne jeden andern Beweis dafür zu haben, als die verworrenen Aussprüche eines sterbenden Greises. Ich werde nie wieder mit Dir sprechen, denn ein ehrlicher Mann und ein Spion taugen nicht für einander! Gehe hin und klage mich an, Du falscher Judas! Ich frage eben sowenig nach Dir, wie nach Deinem Geheimnis! Was tut das Mädchen noch hier? Was soll die Fremde hier? Sie soll nach Hause gehen! Du kannst gleich mit ihr gehen und brauchst nicht wieder zu kommen! Hier wünscht Dich Niemand mehr!«

Der Vater sprach so sonderbar, so eigentümlich und grausam, dass Gabriel fürchtete, er habe ihn doch vielleicht an dem Druidendenkmal bemerkt.

Der arme junge Mann hätte es auch so nicht mehr länger in der Hütte ertragen.

Die schrecklichem wechselvollen Ereignisse, die ihn seit gestern bestürmt hatten, erdrückten ihn fast. —

Als er sah, wie seine Braut, vor Schreck und Überraschung bleich geworden, sich zum Fortgehen rüstete folgte er ihr hastig nach.

In der frischen Luft fand der Arme erst seine Besinnung wieder.

Er suchte seine Braut zu überreden, dass der Tod des Großvaters und die schreckliche Nacht den Vater so sehr verstimmt haben müssten, dass er so rau und unfreundlich sei. Sein furchtbares Geheimnis konnte er ja dem jungen Mädchen nicht mitteilen.

Als er den kleinen Pachthof von Perrine’s Vater von fern erblickte, blieb er stehen und nahm Abschied von der Braut, denn er fühlte, dass er nicht auf die Scherze seines zukünftigen Schwiegervaters eingehen konnte, der ihn stets mit der nahen Hochzeit neckte. Er versprach seiner Braut, bald wiederzukommen und so trennten sich die Liebenden. —

Gabriel gab seinen Schritten keine bestimmte Richtung; er wusste eigentlich nicht, was er nun tun sollte. Er war nun überzeugt, dass der Vater ihn heute Morgen gesehen haben müsse, und fand dessen Unwillen über ihn gerecht. Er war überzeugt, der alte Greis hatte nur unter den Schrecken der Nacht und des Todes so gesprochen. Sein Vater war unschuldig! Und doch! —

Unter diesen Gedanken fand er sich bald wieder seiner Hütte gegenüber.

Er zögerte einzutreten. Da gewahrte er, dass die Tür vorsichtig geöffnet wurde. Sein Bruder Pierre sah heraus und kam auf ihn zugelaufen.

»Komm herein, Gabriel!« rief der Knabe. »Wir mögen nicht mit dem Vater allein sein, wir fürchten uns, denn er hat uns geschlagen, weil wir von Dir gesprochen haben.«

Gabriel trat ein. Sein Vater blickte von dem Kamine auf auf und murmelte: »Spion!« Er machte eine Bewegung mit den Händen, sprach aber kein Wort weiter zu seinem Sohne.

Die Stunden vergingen, es wurde Nachmittag, Abend, die Nacht kam und der Mann sprach keine Silbe zu einem seiner Kinder.

Als es ganz finster war, nahm er sein Netz und ging hinaus, indem er noch die Worte im Zimmer ausstieß:

»Besser allein auf der See, als mit einem Spion im Hause.«

Am Morgen kam er unverändert zurück. So vergingen Tage, Wochen, Monate. Gegen die andern Kinder war er wieder freundlich geworden, nur gegen den ältesten Sohn blieb er nach wie vor stumm. Er aß nicht in seiner Gesellschaft, fuhr nicht mit ihm auf den Fischfang, blieb nie allein mit ihm im Hause, duldete nicht, dass die Kinder zu ihm von ihrem Bruder sprachen und wollte auch nichts über die stürmische Nacht hören, in welcher der alte Mann gestorben war.

Gabriel litt und duldete ruhig weiter. Er trug den Zweifel aufs Neue in sich, ob sein Vater schuldig sei oder nicht. Dann litt er furchtbar unter der Behandlung, die ihm von Seiten des Vaters zu Teil ward.

Der junge Mann war so verändert, dass selbst das Glück der Liebe ihn nicht für seinen Kummer zu entschädigen vermochte.


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