In der Dämmerstunde



Die Erzählung der Nonne: Gabriels Hochzeit

Einleitung

Meine nächste Beschäftigung nachdem ich den unruhigen Stier gemalt hatte, war einem bedeutend friedlicheren Gegenstande gewidmet.

Ich wurde in ein Kloster berufen, um für dasselbe ein Altarbild für eine Kapelle zu malen. Es war eine heilige Familie auf einem Originalbild von Correggio.

Das Gemälde war dem Kloster von einem reichen katholischen Edelmann geliehen worden. Er hatte dasselbe früher nie aus den Händen gegeben, aus Furcht, dass es copirt werden könnte; auch nannte er es den Edelstein seiner ganzen Sammlung.

Ich musste in dem Sprechzimmer des Klosters und unter fortwährender Aufsicht malen. Das Bild war dazu bestimmt, nachdem es vollendet, über dem Hochaltar der Kloster-Kapelle angebracht zu werden.

Der Eigentümer hatte das Bild nur unter der Bedingung geliehen, dass das Copiren stets überwacht werde. Die Nonnen waren artig genug, mir diese Bedingung mitzuteilen, bevor ich die Arbeit unternahm.

Ich überlegte lange; denn es ärgerte mich, dass man annehmen konnte, ein Maler würde sich erlauben, zwei Kopien, die eine für das Kloster, die andere für sich, anzufertigen; doch auf Zureden meiner Frau willigte ich endlich ein, im Kloster malen zu wollen.

Das Kloster befand sich in einem lieblichen Thale im Westen Englands.

Das Sprecherzimmer war ein großer, gut erleuchteter Raum. Ich wohnte in einem nahe gelegenen Wirtshaus.

Ich fand, dass das Bild nicht schwierig zu copiren sein würde. Dasselbe war technisch ausgezeichnet ausgeführt; da ich aber annehme, dass die alten Maler gerade so gut ihre Fehler besaßen, wie die jüngeren, so muss ich gestehen, dass diese heilige Familie Correggio’s kein höheres Kunstwerk war. Der Gesichtsausdruck der Figuren auf dem Gemälde war ein sehr gewöhnlicher! Der ehrenwerte Correggio nehme es mir in seinem Grabe nicht übel, aber sein Gemälde war ein recht uninteressantes.

Soviel über das Kloster und meine Arbeit in demselben.

Am ersten Tage kam die Mutter Priorin selbst, um die Arbeit zu überwachen. Sie war eine schweigsame, ernste, fanatisch aussehende Frau. Sie schien die Absicht zu hegen, mich recht zu langweilen und zu vernachlässigen. —

Am zweiten Tage kam der Beichtvater der Nonnen zur Aufsicht. Er schien gebildet und recht angenehm zu sein.

Am dritten Tage erschien die Pförtnerin als Wächterin; sie war eine schmutzige, alte, taube Frau, die schweigend strickte.

Am vierten Tage erhielt ich eine Nonne in mittleren Jahren, die Mutter Martha hieß, als Aufseherin. Diese vier Personen lösten sich nun mit militärischer Ordnung ab, bis ich den letzten Pinselstrich vollendet hatte, an Correggio’s heiliger Familie.

Ich fand sie schon stets bereit, wenn ich des Morgens kam und Abends verließ ich sie, wenn sie noch in dem großen Armsessel des Sprechzimmers saßen.

Mutter Martha war die einzige von den vier Personen, mit der ich bekannter wurde; obgleich sie in ihrem Äußern auch nichts Anziehendes hatte; sie war eine einfache, freundliche Person, die stets bereit war zum Plaudern. Sie hatte ihr ganzes Leben im Kloster zugebracht und wie es schien, war sie auch vollkommen zufrieden mit ihrer Lage.

Sie war so gesprächig dass sie nach meiner Frau, meinem Kind, Freunden, meiner Einnahme, meinen Arbeiten, meinen Lieblingsvergnügungen kurz, nach Allem umständlich fragte.

Sie war trotz ihres Alters so unbekannt mit den alltäglichsten Verhältnissen des Lebens, dass ich zu ihr, wie zu meiner kleinen Tochter, die ich zu Hause hatte, sprechen konnte.

Ich will nichts Böses über die armen Nonnen erzählen, im Gegenteil, ich habe Mutter Martha noch von allen den Personen, die ich im Kloster kennen lernte, am liebsten, weil sie die einzige war, die mir meinen Aufenthalt in demselben angenehm zu machen suchte. Sie erzählte mir auch die Geschichte, welche die folgenden Blätter enthalten werden.

Der Umstand, welcher mir zu dieser Geschichte verholfen hat, ist mit wenigen Worten erzählt.

Das Innere eines Kloster war für mich ein ganz neues Gebiet und ich betrachtete dort Alles mit großem Interesse.

Der Fußboden war mit gewöhnlichen Matten belegt, und die Decke weiß getüncht. Das Meublement war einfachster Art.

Ein niedriger Bettschemel mit einem Bücherkasten aus Eichenholz daran, über welchem sich ein Kreuz erhob, kennzeichneten das Zimmer als zu einem Kloster gehörend. Außerdem fanden sich an den Wänden schlechte Kupferstiche, Heilige darstellend, und zwei Weihwasser-Becken aus Alabaster, das eine an der Tür, das andere über dem Kamin. Der einzig merkwürdige Gegenstand in dem Zimmer, war für mich ein altes hölzernes, wurmstichiges Kreuz, welches ziemlich roh gearbeitet war. Es hing zwischen zwei Fenstern.

Das Kreuz war so außergewöhnlich schlecht gearbeitet, dass ich mir dachte, es müsse sich daran ganz etwas Besonderes knüpfen und ich beschloss auch Mutter Martha bei nächster Gelegenheit danach zu fragen.

Als sie einst eine Pause machte in ihren Fragen an mich, fragte ich:

»Mutter Martha, jenes alte hölzerne Kreuz dort interessiert mich; sagen Sie mir doch, wie das hierher kam?«

»Still! still!« wisperte die Nonne, »die Mutter Priorin nennt das eine Reliquie!«

»Ich bat um Verzeihung dafür, dass ich meine Bezeichnung nicht sorgfältig genug gewählt hatte.«

»Es ist Zwar nicht eine Reliquie im strengsten katholischen Sinne,« sagte die Nonne, »aber im Leben dessen, der dieses Kreuz anfertigte, waren so sonderbare Verhältnisse —!« Mutter Martha schwieg.

»Darf diese Umstände ein Fremder nicht wissen?« fragte ich höflich.

»Mir sind sie niemals als Geheimnisse anvertraut worden,« erwiderte die Nonne, und fuhr fort, »ich könnte Ihnen wohl die ganze Geschichte von dem hölzernen Kreuz erzählen, aber es handelt nur von Katholiken und Sie sind ein Protestant.«

»Deshalb wird mir die Erzählung nicht weniger interessant sein.« antwortete ich.

»Wirklich nicht?« fragte die Nonne naiv.

»Sie sind ein sonderbarer Mann,« setzte sie hinzu. »Ihre Religion muss ganz merkwürdig sein. Was sagen denn Ihre Priester über uns? Sind es sehr gelehrte Männer?«

Ich fühlte, dass ich um die Geschichte kommen würde, wollte ich alle die gestellten Fragen beantworten, darum antwortete ich nur sehr kurz, und sprach dann wieder von dem hölzernen Kreuz.

»Ich kann Ihnen früher nicht die Geschichte erzählen,« sagte die Nonne, »bis ich die Erlaubnis der Priorin habe.« Mit diesen Worten stand sie aus, rief die Mutter Pförtnerin, mich eine Weile bewachen zu wollen, damit ich nicht etwa den kostbaren Correggio kopiere, und kam dann nach wenig Minuten mit vor Freude glänzenden Augen zurück.

»Die Mutter Priorin erlaubt es mir, Ihnen die Geschichte des Wunderkreuzes zu erzählen,« sagte sie. »Sie glaubt, es wird Ihnen als Protestant nicht schädlich sein, Ihre Meinung über uns Katholiken zu verbessern. —«

Ich versprach der Nonne, aufmerksam zu lauschen, und sie begann die Erzählung sogleich.

Die Nonne erzählte in ihrer einfachen Weise und unterbrach sich oft, um mir einige moralische Lehren zukommen zu lassen.

Trotzdem interessierte mich die Geschichte doch ganz besonders und ich teile sie deshalb auch dem Leser mit.


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