In der Dämmerstunde

Die Erzählung der französischen Gouvernante von Schwester Rose



Drittes Kapitel.

Seit den letzten Ereignissen waren mehrere Tage verflossen. Es ist Abend. Rosa, Trudaine und Lomaque sitzen zusammen auf der bekannten Bank in der Nähe ihres Häuschens an dem Ufer der Seine. Die Umgebung war dieselbe geblieben, trotz allen Wechsels in der Politik und in den Familienverhältnissen, die Natur war unveränderlich!

Da saßen sie nun zusammen und plauderten so vertraulich! Bald führte der Eine, bald der Andere die Unterhaltung; der allgemeine Inhalt war aber die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft! Es wurde dunkler und Rosa erhob sich zuerst von der Bank. Sie wechselte mit ihrem Bruder einen Blick des Einverständnisses, dann sagte sie zu Lomaque:

»Wollen Sie mir erst ein wenig später in das Haus folgen? Dann werde ich Ihnen auch Etwas zeigen!« —

Nachdem Rosa fort war, fragte Louis Trudaine schnell: »Was ist in Paris vorgefallen?«

»Ihre Schwester ist jetzt frei!« antwortete Lomaque.

»Das Duell fand also richtig statt?«

»An demselben Tage! Beide feuerten zu gleicher Zeit. Die Sekundanten seines Gegners sagten aus, dass er wie gelähmt gewesen sei. Sein eigener Sekundant erklärte, dass er nicht zu sterben gewünscht habe, bis er den Mann getötet haben würde, der ihn so öffentlich beschimpft hatte. Ob das nun wahr ist, weiß ich natürlich nicht. Er fiel, ohne die Fähigkeit zu besitzen, ein Wort hervorbringen zu können.«

»Und seine Mutter?«

»Von ihr weiß man wenig. Ihre Tür ist verschlossen und der alte Diener pflegt sie wohl mit Liebe und Sorgfalt. Der Arzt hat den Ausspruch getan, dass ihr Geist leidender ist, als ihr Körper.«

Danach erhoben sich die beiden Männer auch von der Bank und schritten schweigend dem Hause zu.

»Haben Sie Ihre Schwester auf alles Dasjenige vorbereitet, was vorgefallen ist?« fragte Lomaque, als er das Lampenlicht in dem Wohnzimmer angezündet sah.

»Ich werde damit warten, bis wir wieder hier zusammen sein werden.«sagte Trudaine. —

Sie traten jetzt in das Häuschen.

Rosa bat Lomaque, dass er sich zu ihr setzen möge, und legte dann Feder und Papier auf den Tisch. Das Tintenfass stand schon geöffnet da.

»Ich habe Sie um Etwas zu bitten,« sagte sie freundlich zu Lomaque.

»Ich hoffe, es wird noch heute zu bewilligen sein, denn morgen früh, bevor Sie aufstehen, muss ich schon auf dem Wege sein.«

»Sie sollen nur diesen Brief unterzeichnen,« fuhr die junge Dame lächelnd fort. »Er ist von mir geschrieben, und Louis hat ihn diktiert«

»Ich darf ihn doch zuvor lesen?« fragte er.

Sie nickte und Lomaque las: —

»Bürger! Ich begrüße Sie respektvoll in diesem Briefe und bitte um die Erlaubnis, mich von meiner Stellung in Ihrem Hause zu entbinden. Die Freundlichkeit, welche Sie, wie auch Ihr Bruder mir stets erzeigten, lässt mich glauben, dass Sie es mir gönnen, dass ich fortan meine Tage in ruhiger Zurückgezogenheit bei meinen Freunden verbringen werde, die mir so zugetan sind, als gehörte ich mit zu ihrer Familie. Ich bedarf der Ruhe mehr, als mancher andere Mann meines Alters, nach dem bewegten Leben, welches ich geführt habe. Meine Freunde wünschen es durchaus, dass ich bei ihnen bleibe, und ich kann ihnen ihr Anerbieten nicht gut ablehnen. Genehmigen Sie, dass ich mich stets als Ihren ergebenen Diener betrachte. An den Seidenhändler Clairfait, Chalons sur Marne.«

Nach dem Lesen dieser Zeilen kehrte sich Lomaque nach Trudaine um und versuchte zu sprechen, aber die Lippen versagten ihm den Dienst. Er blickte Rosa an und lächelte, aber seine Lippen zitterten. Er tauchte die Feder ein und neigte sich über das Papier. Man konnte sein Gesicht nicht sehen, aber man sah, dass er noch nicht schrieb. — Rosa legte ihre Hand auf seine Schulter und sagte: »Schreiben Sie doch!« Er zögerte noch einen Augenblick, dann schrieb er.

Rosa nahm das Papier; es lagen zwei feuchte Tropfen darauf. Sie trocknete sie mit ihrem Taschentuche fort und sagte leise zu ihrem Bruder:

»Es sollen die letzten Tränen sein, Louis, die aus diesen Augen fließen, Du und ich werden dafür sorgen!«


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