Namenlos



Elftes Buch.

In St. Johnes Wood.

Erstes Capitel.

Es fehlten nur noch vierzehn Tage bis Weihnachten. Aber das Wetter ließ noch Nichts von Frost und Schnee spüren, welche doch von der herannahenden Jahreszeit unzertrennlich zu sein pflegen. Die Luft war unnatürlich warm, und das alte Jahr ging matt in Alles erweichendem Regen und Alles lähmendem Nebel zu Rüste.

Eines Nachmittags gegen Ende Decembers saß Magdalene in der Wohnung, welche sie seit ihrer Ankunft in London eingenommen, einsam da. Langsam brannte das Feuer in dem engen kleinen Kamin. Die Aussicht auf die nassen Häuser und die durchweichten Gärten gegenüber wurde rasch dunkel, und das Glöckchen des Semmeljungen aus der Vorstadt klingelte schläfrig in der Ferne. Dicht am Feuer sitzend mit etwas Geld auf dem Schooße schob Magdalene die Münzen auf der glatten Oberfläche ihres Kleides hin und her, indem sie unablässig deren Lage änderte, als ob es Stücke von Kinderspielzeug wären, die sie zusammensetzen wollte. Der düstere Feuerschein, der von Zeit zu Zeit schwach über sie aufflammte, zeigte Veränderungen an ihr, welche Freunden aus alter Zeit deutlich genug ihre traurige Geschichte erzählt hätten. Ihr Kleid war lose geworden, weil ihre Gestalt abgefallen war; aber sie hatte nicht Sorge getragen, es zu ändern, es einzuziehen. Ihr Gesicht behielt seinen leidenden, aber herben Ausdruck der Ruhe, seine unveränderliche unnatürliche Leidenschaftslosigkeit. Mr. Pendril würde sein hartes Urtheil über sie gemildert haben, hätte er sie jetzt gesehen, und Mrs. Lecount in der Fülle ihres Triumphes würde endlich ihre niedergeworfene Feindin bemitleidet haben.

Kaum vier Monate waren vergangen seit der Hochzeit zu Aldborough; aber schon war die Buße für diesen Tag erlegt, erlegt in unausweichbarer Reue, in hoffnungsloser Vereinsamung, in unverbesserlicher Niederlage. Dies möge für sie angeführt werden; die Wahrheit, welche von ihren Fehlen gesagt worden, möge auch von ihrer Entsühnung ausgesprochen werden. Es möge von ihr bemerkt werden, daß sie keine stille Siegesfreude am Tage ihres glücklichen Erfolges empfand. Das Entsetzen vor sich selber, mit dem sie von ihrer eigenen Handlungsweise erfüllt war, war aufs Höchste gestiegen, als der Plan mit ihrer Verheirathung endlich ausgeführt war. Sie hatte niemals innerlich so gelitten, wie damals, wo das Vermögen von Combe-Raven in ihres Gatten Testament ihr vermacht worden war. Sie hatte niemals die zur Erreichung ihres Zieles angewandten Mittel so demüthigend empfunden, als an dem Tage, wo nun jenes Ziel erreicht war. Aus diesem Gefühl-war die Reue hervorgegangen, welche sie gedrängt hatte, Trost und Vergebung in der Liebe ihrer Schwester zu suchen. Niemals, seitdem das Vorhaben, dem sie sich gewidmet hatte, zum ersten Male in ihr Herz kam, niemals, seitdem sie am Grabe ihres Vaters dasselbe geweckt fühlte, hatte dasselbe so nahezu alle seine Macht auf sie verloren, als eben jetzt. Nimmer hätte Noras Einfluß so viel Gutes bewirkt, als der eine Tag, wo jener Einfluß verschwunden war, der Tag, wo der verhängnißvolle Brief aus Schottland ihr von Mrs. Lecounts Rache berichtete.

Das Unglück war geschehen, die Handlung war vorbei.

Ebenso Zeit und Hoffnung waren beide ihr entschwunden.

Weich und immer weicher sprachen die inneren Stimmen ihr jetzt zu, innezuhalten auf dem Wege, der abwärts führte. Die Entdeckung, die ihr Herz zum ersten Male mit Mißtrauen gegen ihre Schwester erfüllt hatte, die Nachricht über ihres Gatten Tod, welche hinterdrein folgte, die Pein, Mrs. Lecounts triumphieren zu sehen, die ihr durch und durch ging, hatten das Ihrige gethan. Die Reue, die ihr eheliches Leben verbittert hatte, war in dumpfe Verzweiflung übergegangen. Es war zu spät, durch ein Bekenntniß die Vergangenheit zu entsühnen, zu spät, dem jämmerlichen Ehegatten die tief innersten Geheimnisse zu offenbaren, welche in dem Herzen des elenden Weibes einst geschlummert hatten. Unschuldig —— selbst im Gedanken —— an dem schändlichen Anschlag, den Mrs. Lecount ihr beigemessen hatte, —— war sie doch schuldig, weil sie wußte, wie gebrochen seine Gesundheit war, als sie ihn heirathete, schuldig, weil sie, als er ihr das Combe-Raven-Vermögen verschrieb, wußte, daß ein augenblicklicher widriger, obschon anderen Menschen ganz unschädlicher Zwischenfall sein Leben in Gefahr bringen und ihre Erlösung bewerkstelligen könne. Sein Tod hatte ihr Das gesagt, hatte ihr deutlich gesagt, was sie bei seinen Lebzeiten sich gescheut hatte, sich offen zu gestehen. Wo blieb ihr eine Zuflucht vor der dumpfen Marter dieses inneren Vorwurfs, vor dem traurigen Verzweifeln an der Menschheit, selbst an Nora, vor der öden Einsamkeit ihres freudelosen Lebens? Nur eine Zuflucht blieb ihr. Sie wandte sich zu dem unablässigen Vorhaben, das sie in ihr Verderben hinein trieb, und rief dasselbe an mit dem tollen Muthe der Verzweiflung:

—— Führe du mich weiter!

Tag für Tag hatte sie ihren Geist auf das eine sie beschäftigende Ziel gerichtet, nachdem sie den Brief des Advocaten erhalten hatte. Tag für Tag hatte sie sich abgemüht, um das erste Erforderniß ihrer Stellung zu überwinden, ein Mittel zu finden, um den geheimen Zusatzartikel zu entdecken. Dies Mal hatte sie von Hauptmann Wragge Nichts zu erwarten. Langjährige Uebung hatte den alten Milizsoldaten zum Meister in der Kunst des Verschwindens gemacht. Der Pflug des »moralischen Landwirths« hinterließ keine Furchen, [So nannte sich bekanntlich der in Frage stehende Schwindler selbst. Der Hauptmann gibt uns durch diesen an sich unverständlichen Ausdruck eine Probe von der Geheimsprache, welche sich alle Gauner bei einem gewissen Grade der Ausbildung ihres sauberen Handwerks allmählich zu schaffen pflegen. Ave - Lallemant hat in seinem Band I, S. 40 angeführten »Deutschen Gaunerthum«, und zwar in den 1862 erschienenen Schlußbänden (llI u. IV) auch die Gaunersprache erschöpfend behandelt.] —— keine Spur war von ihm zu finden! Mr. Loscombe war zu vorsichtig, um sich zu einem thätigen Einschreiten irgend welcher Art herzugeben; er blieb ruhig bei seiner Meinung stehen und überließ das Uebrige seiner Clientin, —— er wünschte Nichts zu wissen ehe nicht der Geheimartikel in seinen Händen war. Magdalenens Interessen waren jetzt einzig und allein ihrer eigenen Kraft anvertraut. Wagen oder nicht wagen, für was sie sich auch entschied: sie mußte es jetzt selbst auf sich nehmen.

Diese Aussicht hatte sie keines wegs niedergeschlagen gemacht In ihrer Vereinsamung hatte sie die verschiedenen Wege berechnet, welche sie versuchsweise einschlagen könnte. In ihrer Vereinsamung hatte sie sich entschlossen, —— den Versuch zu machen. ——

—— Die Zeit ist da, sprach sie zu sich selber, als sie beim Feuer saß. Ich muß zuerst Louisen ausforschen.

Sie las die auf ihrem Schooße umherliegenden Münzen zusammen und legte sie in ein kleines Häufchen auf den Tisch, stand auf und zog die Klingel. Die Wirthin erschien.

—— Ist mein Mädchen unten? frug Magdalene.

—— Ja, gnädige Frau. Es ist bei seinem Thee.

—— Wenn sie fertig ist, so sagen Sie ihr, sie solle zu mir heraufkommen. —— Warten Sie einen Augenblick. Sie werden Ihr Geld auf dem Tische finden, —— das Geld, das ich Ihnen für die letzte Woche schuldig bin. Können Sie es finden? Oder wollen Sie lieber ein Licht haben?

—— Es ist ziemlich dunkel, gnädige Frau.

Magdalene steckte ein Licht an.

—— Wie lange voraus muß ich kündigen, frug sie, als sie das Licht auf den Tisch setzte, ehe ich wegziehe?

—— Eine Woche ist die gewöhnliche Kündigung. Ich hoffe doch, Sie haben sich über die Wohnung nicht zu beschweren, gnädige Frau?

—— Durchaus nicht. Ich thue die Frage nur, weil ich vielleicht eher ausziehen muß, als ich vermuthet hatte. Ist das Geld richtig?

—— Ganz richtig, gnädige Frau. Hier ist die Quittung.

—— Ich danke. —— Vergessen Sie nicht, mir Louisen heraufzuschicken, sobald sie mit ihrem Thee fertig ist.

Die Wirthin ging hinaus. Sobald Magdalene wieder allein war, löschte sie das Licht wieder aus und zog einen leeren Stuhl neben den ihrigen ans Kaminfeuer. Als dies geschehen war, nahm sie ihren früheren Platz wieder ein und wartete, bis Louise erschien. Es war keine Unsicherheit an ihr zu bemerken, als sie da saß und gleichgültig ins Feuer sah.

—— Eine schwache Aussicht, dachte sie bei sich selbst, aber so schwach sie ist, ich muß es damit versuchen.

Zehn Minuten später wurde von außen Louisens schwaches Klopfen leise hörbar. Sie war erstaunt, beim Eintritt in das Zimmer kein anderes Licht zu finden, als den Lichtschein vom Kamin her.

—— Wollen Sie Lichter haben, gnädige Frau? frug sie ehrerbietig.

—— Wir werden die Lichter haben, wenn Du sie für Dich selber haben willst, Versetzte Magdalene, sonst nicht. Ich habe Dir Etwas zu sagen. Wenn ich es Dir gesagt habe, soll es bei Dir stehen, ob wir im Dunkeln oder bei Licht zusammensitzen.

Louise wartete an der Thür und hörte in stummem Erstaunen auf diese seltsamen Worte.

—— Komm her, sprach Magdalene und deutete auf den leeren Stuhl, komm her und setze Dich zu mir.

Louise kam näher und entfernte furchtsam den Stuhl aus seiner Stelle neben ihrer Herrin Magdalene zog ihn augenblicklich wieder zurück.

—— Nein! sprach sie. Komm nur näher, komm nur ganz nahe zu mir.

Nach einem augenblicklichen Zögern gehorchte ihr Louise.

—— Ich bat Dich, Dich nahe zu mir zu setzen, fuhr Magdalene fort, weil ich mit Dir ganz auf dem Fuße der Gleichheit sprechen will. Was auch für Unterschiede einst zwischen uns gewesen sein mögen, jetzt sind sie zu Ende. Ich bin eine verlassene Frau, lediglich auf mich selbst angewiesen, ohne Rang oder Stellung in der Welt. Du mögest Dich als meine Freundin ansehen, oder auch nicht. Als Herrin und Dienerin muß die Verbindung zwischen uns jetzt zu Ende kommen.

—— Ach, gnädige Frau, sagen Sie das nicht! bat Louise mit schwacher Stimme.

Magdalene aber fuhr traurig und fest fort.

—— Als Du zuerst zu mir kamst, begann sie wieder, dachte ich, ich könnte Dich nicht gern haben. Ich habe gelernt, Dich gern zu haben, habe gelernt, Dir dankbar zu sein. Von Anfang bis zuletzt bist Du immerdar treu und gut gegen mich gewesen. Das Geringste, was ich zum Entgelt thun kann, ist, daß ich Deinen künftigen Aussichten nicht im Wege stehe.

—— Schicken Sie mich nicht fort, gnädige Frau, sprach Louise flehentlich. Wenn Sie mir dann und wann ein wenig Geld geben können, so will ich auf meinen Lohn warten, —— wahrhaftig, das will ich.

Magdalene ergriff ihre Hand und fuhr fort so traurig und fest, wie zuvor.

—— Mein künftiges Leben ist lauter Dunkelheit, lauter Ungewißheit, sagte sie. Der nächste Schritt, den ich thue, kann zu meinem Glück, kann zu meinem Unheil führen. Kann ich von Dir verlangen, daß Du eine solche Aussicht mit mir theilest? Du bist eine ausgezeichnete Dienerin, Du kannst eine andere Stelle bekommen, eine weit bessere Stelle als bei mir. Du kannst Dich auf mich berufen und, wenn das Zeugniß, das ich geben kann, nicht für ausreichend befunden wird, so magst Du dich auf die Herrschaft beziehen, der Du vor mir gedient hast....

In dem Augenblicke, als die Erwähnung von der letzten Dienstherrschaft des Mädchens Magdalenen über die Lippen kam, riß Louise ihre Hand weg und fuhr von ihrem Stuhle auf gerade in die Höhe. Es trat eine Pause von der Dauer eines Augenblickes ein. Beide, Herrin und Dienerin waren in demselben Grade verwundert.

Magdalene war die Erste, die sich faßte.

—— Wird es zu dunkel? fragte sie bedeutsam. Willst Du gehen, nachgerade die Lichter anzuzünden?

Louise zog sich in den dunkeln Winkel des Zimmers zurück.

—— Sie beargwöhnen mich, gnädige Frau, antwortete sie aus ihrer Dunkelheit hervor mit athemlosem Flüstern. Wer hat es Ihnen gesagt? Wer hat es Ihnen gesagt? Wie bekamen Sie es heraus....?

Sie stockte und brach in Thränen aus.

—— Ich verdiene Ihren Argwohn, sprach sie, indem sie sich zu beruhigen strebte. Ihnen gegenüber kann ich es nicht leugnen. Sie haben mich so Freundlich und lieb behandelt, Sie haben mich Sie so lieben gelehrt! Verzeihen Sie, Mrs. Vanstone —— ich bin eine Elende: ich habe Sie getäuscht! ——

—— Komm her und setze Dich wieder zu mir, sagte Magdalene Komm — sonst stehe ich selber auf und hole Dich zu mir zurück.

Louise kehrte langsam auf ihren Platz zurück. So düster das Kaminfeuer leuchtete, sie schien es dennoch zu fürchten. Sie hielt ihr Taschentuch vors Gesicht und bog sich von ihrer Herrin weg, als sie sich wieder auf den Stuhl setzte.

—— Du bist im Irrthume, wenn Du glaubst, es habe Dich Jemand mir verrathen, sagte Magdalena. Alles, was ich von Dir weiß, ist, was Dein Aussehen und Dein Wesen mir erzählt haben. Du hast irgend einen geheimen Kummer auf Deiner Seele lasten, seitdem Du überhaupt in meinen Diensten bist. Ich bekenne, daß ich in der Absicht gesprochen habe, mehr von Dir und Deinem vergangenen Leben zu erfahren, als es bis jetzt der Fall war, nicht weil ich neugierig bin, sondern weil ich ebenfalls meinen geheimen Kummer habe. Bist Du ein unglückliches Weib, wie ich selbst? Wenn Du es bist, so will ich Dich in mein Vertrauen ziehen. Wenn Du mir Nichts zu erzählen hast, —— wenn Du lieber Dein Geheimniß bewahren willst, dann will ich Dir nicht böse sein. Ich sage nur, wir wollen uns gegenseitig austauschen. Ich will Dich nicht fragen, wie Du mich hintergangen hast. Ich will nur daran denken, daß Du, so lange ich Dich bei mir habe, eine brave, treue und brauchbare Dienerin gewesen bist, und will auch jeder neuen Herrschaft, welche Du zu mir schicken willst, dasselbe sagen.

Sie wartete auf eine Antwort. Einen Augenblick, aber nur einen Augenblick zögerte Louise. Der Charakter des Mädchens war schwach, aber nicht schlecht. Sie war ihrer Herrin auch richtig zugethan und sprach nun mit einem Muthe, den Magdalene nicht von ihr erwartet hätte.

—— Wenn Sie mich fortschicken gnädige Frau, sagte sie, so werde ich mein Zeugniß nicht eher von Ihnen fordern, als bis ich Ihnen die Wahrheit gesagt habe: ich werde Ihre Liebe und Güte nicht dadurch vergelten, daß ich Sie zum zweiten Male täusche. —— Sagte Ihnen Ihr Herr Gemahl jemals, unter welchen Umständen er mich in Dienst nahm?

—— Nein, ich fragte ihn niemals darnach, und er sagte es mir auch nicht.

—— Er nahm mich auf Grund eines Zeugnisses in Dienst, gnädige Frau. ——

—— So?

—— Das Zeugniß war ein falsches.

Magdalene fuhr überrascht zurück. Das Bekenntniß, das sie hörte, hatte sie nicht erwartet.

—— Weigerte sich Deine Herrin, Dir ein Zeugniß zu geben? frug sie. Wie?

Louise sank auf ihre Kniee und verbarg ihr Gesicht im Schooße ihrer Herrin.

—— Fragen Sie mich nicht weiter! sagte sie. Ich bin ein elendes, entwürdigtes Geschöpf. Ich bin nicht werth, in demselben Zimmer mit Ihnen zu sein!

Magdalene beugte sich über sie und flüsterte eine Frage in ihr Ohr. Louise gab ihr aus dieselbe Art ein trauriges Wort der Erwiderung zurück.

—— Hat er Dich verlassen? frug Magdalene, nachdem sie einen Augenblick gewartet und nachgedacht hatte.

—— Nein.

—— heiß!

— Liebst Du ihn? —— Heiß!

—— Um Gottes Barmherzigkeit willen, kniee nur nicht vor mir! rief sie leidenschaftlich aus. Wenn es ein entwürdigtes Weib in dieser Stube gibt, so bin ich dies Weib, aber nicht Du!

Sie hob das Mädchen mit Gewalt von seinen Knieen auf und setzte es wieder auf den Stuhl. Beide warteten eine Weile in Schweigen versunken. Magdalene setzte sich dann wieder, indem sie ihre Hand auf Louisens Schulter legte und blickte mit einer unbeschreiblichen Bitterkeit inneren Kummers in das erlöschende Feuer.

—— Ach, dachte sie, was gibt es doch für glückliche Frauen in der Welt! Frauen, die ihre Männer lieben! Männer, welche sich nicht schämen, ihre Kinder zu besitzen!

—— Bist Du nun ruhiger? frug sie, indem sie sich noch einmal an Louisen wandte. Kannst Du mir antworten, wenn ich Dich noch Etwas frage? —— Wo ist das Kind?

—— Das Kind ist in die Ziehe gegeben.

—— Trägt der Vater zum Unterhalte desselben bei?

—— Er thut Alles, was er vermag, gnädige Frau.

—— Was ist er? Ist er Bedienten? Ist er Kaufmann?

—— Sein Vater ist ein Zimmermeister selbst arbeitet auf dem Bauhofe seines Vaters.

—— Wenn er Arbeit hat, warum hat er Dich nicht geheirathet?

—— Sein Vater ist daran schuld, nicht er. Sein Vater hat kein Mitleid mit uns. Er würde von Haus und Herd gejagt werden, wenn er mich heirathete.

—— Kann er nicht anderswo Arbeit bekommen?

—— Es ist schwer, in London Arbeit zu bekommen, gnädige Frau. Es sind so Viele in London, sie nehmen einander das Brod vom Munde weg. Wenn wir nur das Geld dazu gehabt hätten, auszuwandern, so würde er mich schon längst geheirathet haben.

—— Würde er Dich heirathen, wenn Du jetzt das Geld hättest?

—— Das weiß ich gewiß, gnädige Frau. Er könnte in Australien vollauf zu thun bekommen und doppelt und dreifach den Verdienst haben, den er hier hat. Er läßt es sich sauer werden, ich lasse es mir sauer werden, um ein wenig Geld dazu zu sparen —— ich lege bei Seite, was ich mir für mein Kind am Munde absparen kann. Aber es ist so wenig! Wenn wir auch noch Jahre lang leben, wir haben doch Nichts zu hoffen. Ich weiß, ich habe auf alle Fälle Unrecht gethan, ich weiß, daß ich nicht verdiene, glücklich zu werden. Aber wie hätte ich mein Kind darben lassen sollen? —— Ich war gezwungen, unter fremde Leute zu gehen. Meine Herrin war hart gegen mich, und meine Gesundheit litt, als ich versuchte, von meiner Nadel zu leben. Ich würde sonst nimmermehr einen Menschen durch ein gefälschtes Zeugniß getäuscht haben, wenn mir eine andere Wahl übrig geblieben wäre. Ich stand allein und hilflos da, gnädige Frau, und ich kann Sie nur anflehen, mir zu vergeben!

—— Bitte bessere Frauen darum, als ich bin; sprach Magdalene düster. Ich bin nur Werth, Mitgefühl für Dich haben zu dürfen, und das habe ich aus Herzensgrunde. Ich an Deiner Stelle würde ebenso wie Du mit einem falschen Zeugniß in Dienst gegangen sein. —— Sprich nicht mehr von der Vergangenheit: Du weißt nicht, wie sehr Du mir wehe thust, indem Du davon redest. Sprich von der Zukunft. Ich denke, ich kann Dir helfen, ohne Dir Schaden zu thun. Ich denke, Du kannst mir auch helfen und mir zum Entgelt den allergrößten Dienst leisten. Warte ein wenig und Du sollst hören, was ich meine. Denke Dir ein Mal, Du seiest verheirathet wie viel würde es Dir und Deinem Manne kosten, auszuwandern?

Louise nannte die Kosten einer Segelschiffsüberfahrt nach Australien für Mann und Frau. Sie sagte es in leisem hoffnungslosen Tone. So mäßig die Summe war, so erschien sie doch als ein unerreichbares Vermögen in ihren Augen.

Magdalene fuhr aus ihrem Stuhle in die Höhe und ergriff das Mädchen noch ein Mal bei der Hand.

—— Louise! sagte sie mit ernstem Tone. Wenn ich Dir das Geld gebe, was willst Du mir dafür thun?

Das Anerbieten schien Louisen in sprachloses Erstaunen zu versetzen. Sie zitterte heftig und sagte Nichts. Magdalene wiederholte ihre Worte.

—— Ach, gnädige Frau, meinen Sie es im Ernste? sagte das Mädchen. Meinen Sie es wirklich im Ernste?

—— Ja wohl, versetzte Magdalene, ich meine es im Ernste. Was willst Du für mich thun?

—— Thun? wiederholte Louise. Ach, was gibt es wohl in der Welt, was ich nicht dafür thäte!

Sie versuchte, Magdalenen die Hand zu küssen, aber diese ließ es nicht zu. Sie zog entschlossen, fast rauh, ihre Hand weg.

—— Ich lege Ihnen keine Verpflichtung zum Dank auf, sprach sie. Wir dienen uns einfach gegenseitig. —— Das ist Alles. Bleibe ruhig sitzen und laß mich nachdenken.

Die nächsten zehn Minuten war es still im Zimmer. Als diese Frist verstrichen war, nahm Magdalene ihre Uhr heraus und hielt sie nahe an das Kamingitter. Es war gerade Licht genug, um ihr die Stunde zu zeigen. Es war nahezu sechs Uhr.

—— Bist Du ruhig genug, um hinuntergehen und Etwas bestellen zu können. frug sie, indem sie von ihrem Stuhle aufstand und wieder mit Louisen sprach. Es ist eine einfache Bestellung —— es ist nur, dem Burschen zu sagen, daß ich eine Droschke brauche, so schnell er nur eine beschaffen kann. Ich muß sofort ausfahren. Du sollst erfahren, warum so spät am Abend. Ich habe Dir noch viel mehr zu sagen, aber es ist jetzt keine Zeit dazu, es jetzt zu thun. Wenn ich fort bin, bringe Deine Arbeit herauf und warte, bis ich wiederkomme. Ich werde vor Schlafenszeit wieder zurückkommen.

Ohne ein anderes Wort der Erklärung zündete sie rasch ein Licht an und zog sich in das Schlafzimmer zurück, um Hut und Shawl zu holen.



Kapiteltrenner

Zweites Capitel.

Zwischen neun und zehn Uhr an demselben Abende hörte Louise, welche ängstlich wartete, das langersehnte Klopfen an der Hausthür. [Es hätte längst erwähnt werden sollen, daß die Londoner Häuser nicht Klingeln, sondern Klopfer an den äußeren Straßenthüren haben, wie es im Mittelalter auch in deutschen Städten üblich war. W.] Sie lief sofort hinunter und ließ ihre Herrin herein.

Magdalenens Angesicht war mit Röthe übergossen. Sie zeigte nach ihrer Rückkehr noch mehr Aufregung, als da, wo sie das Haus verließ.

—— Behalte Platz am Tische, sprach sie zu Louisen im Tone der Ungeduld, leg aber Deine Arbeit weg. Du sollst aufmerksam auf Das achten, was ich Dir eben sagen will.

Louise gehorchte Magdalene setzte sich ihr am Tische gegenüber und rückte die Lichter so, daß sie das Gesicht ihres Mädchens unmittelbar und deutlich vor Augen hatte.

—— Hast Du eine ehrbare ältere Frau bemerkt, begann sie plötzlich, welche in den letzten vierzehn Tagen ein oder zwei Mal hier war, um mich zu besuchen?

—— Ja, gnädige Frau; ich glaube, ich habe sie das zweite Mal, als sie kam, selber hereingelassen. Eine ältliche Person, Namens Attwood?

—— Richtig, das ist die Person, die ich meine. Mrs. Attwood ist Mr. Loscombe’s Haushälterin, nicht die Haushälterin in seiner Privatwohnung, sondern die auf seiner Expedition in Lincoln’s Inn. Ich versprach ihr, einen Abend in dieser Woche sie auf eine Tasse Thee zu besuchen, und das habe ich heute Abend gethan. Es ist sonderbar von mir, nicht wahr, daß ich zu einer Frau in der Stellung Von Mrs. Attwood ans diesem vertrauten Fuße stehe?

Louise gab wenigstens in Worten keine Antwort. Ihr Gesicht that es statt ihrer, —— sie konnte sich kaum enthalten, es sonderbar zu finden.

—— Ich hatte einen guten Grund, um mit Mrs. Attwood Freund zu sein, fuhr Magdalene fort. Sie ist eine Wittwe mit einer zahlreichen Familie von Töchtern. Ihre Töchter stehen alle in Diensten. Eine davon ist Unterhausmagd in Diensten des Admiral Bartram zu St. Crux in der Marsch. Ich bekam das von Mrs. Attwoods Herrn heraus, und sobald ich zu der Entdeckung gelangt war, beschloß ich insgeheim Mrs. Attwoods Bekanntschaft zu machen. Noch sonderbarer, nicht wahr?

Louise begann sich ein wenig unheimlich zu fühlen. Die Art und Weise ihrer Herrschaft war im Widerspruch mit ihren Worten, sie deutete offenbar auf eine Ueberraschung hin, welche noch kommen sollte.

—— Was für einen Reiz Mrs. Attwood in meiner Gesellschaft findet, fuhr Magdalene fort, kann ich nicht sagen. Ich kann Ihnen nur soviel mittheilen, sie hat bessere Zeiten gesehen, sie ist eine gebildete Person und mag vielleicht aus diesem Grunde meine Gesellschaft gern haben. Auf jeden Fall hat sie meinen Annäherungen bereitwillig entgegenkommen wollen. Was für Reiz ich an der Gesellschaft dieser guten Frau finde, ist bald gesagt. Ich bin äußerst neugierig —— räthselhaft neugierig, wirst Du denken —— auf den gegenwärtigen Gang der häuslichen Verhältnisse zu St. Crux in der Marsch. Mrs. Attwoods Tochter ist ein gutes Mädchen und schreibt stets an ihre Mutter. Ihre Mutter ist stolz auf diese Briefe und stolz auf das Mädchen und gar zu gern bereit, über ihre Tochter und die Stelle ihrer Tochter zu plaudern. Das ist der Reiz, den Mrs. Attwoods Gesellschaft für mich hat. Hast Du mich bis jetzt verstanden?

Ja, Louise hatte es verstanden. Magdalene fuhr fort.

—— Dank Mrs. Attwood und deren Tochter, sprach sie, kenne ich bereits einige merkwürdige Einzelheiten über den Haushalt zu St. Crux. Die Zungen der Dienstleute und die Briefe der Dienstleute sind —— wie ich Dir nicht erst zu sagen brauche —— öfterer mit ihren Herren und Herrinnen beschäftigt, als ihre Herrschaften glauben. Die einzige Herrin zu St. Crux ist die Haushälterin. Aber es ist auch ein Herr da, — Admiral Bartram. Er scheint ein wunderlicher alter Herr zu sein, dessen Schrullen und Launen seine Dienstboten ebenso ergötzen, als seine Freunde. Eine von seinen seltsamen Launen —— und die einzige, welche wir nothwendiger Weise uns merken müssen —— ist, daß er, so lange er zur See war, Männer genug um sich hatte, um jetzt, wo er am Ende ist, sich nun nur noch von Frauen bedienen zu lassen.

Der einzige Mann im Hause ist ein alter Matrose, der sein Leben lang immer bei seinem Herrn gewesen ist —— er ist eine Art von Versorgter zu St. Crux und hat wenig oder gar Nichts mit der Arbeit im Hause zu schaffen. Die anderen Dienstboten im Hause sind alle Frauenzimmer, und statt sich bei Tische von einem Lakaien bedienen zu lassen, hat der Admiral ein Stubenmädchen. Das jetzige Stubenmädchen auf St. Crux wird bald heirathen, und sobald sein Herr sich allein behelfen kann, geht es ab. Diese Entdeckungen machte ich bereits vor einigen Tagen. Als ich aber heute Abend Mrs. Attwood besuchte, hatte sie unterdessen bereits einen neuen Brief von ihrer Tochter erhalten, und jener Brief hat mir dazu verholfen, noch mehr herauszubekommen. Die Haushälterin weiß sich nicht zu rathen und zu helfen, um ein neues Mädchen zu finden. Ihr Herr besteht auf Jugend und hübschem Aussehen —— alles Andere überläßt er seiner Haushälterin, dies aber will er haben. Alle Anfragen in der Nachbarschaft sind erfolglos gewesen, um diejenige Art von Stubenmädchen aufzutreiben, welche der Admiral braucht. Wenn in den nächsten vierzehn Tagen oder drei Wochen Nichts ausgerichtet werden kann, will die Haushälterin eine Anzeige in der TIMES machen und selbst nach London kommen um die Bewerberinnen in Augenschein zu nehmen und ihre Zeugnisse aufs Strengste zu prüfen.

Louise sah ihre Herrin aufmerksamer denn zuvor an. Der Ausdruck von Verlegenheit wich aus ihrem Gesichte, und ein Schatten von Mißvergnügen zeigte sich anstatt dessen auf demselben.

—— Behalte im Sinne, was ich gesagt habe, fuhr Magdalene fort, und warte noch einen Augenblick, während ich Dich Einiges frage. Denke ja nicht, daß Du mich schon jetzt verständest, ich versichere Dich, Du verstehst noch noch nicht. —— Hast Du immer in Dienst gestanden als Kammerjungfer?

—— Nein, gnädige Frau.

—— Hast Du auch einmal als Stubenmädchen gedient?

—— Ja, gnädige Frau.

—— Was waren Deine Obliegenheiten außer der Bedienung bei Tische.

—— Ich hatte Besuche hereinzuführen.

—— Gut, was sonst noch?

—— Ich hatte nach dem Eß- und Trinkgeschirr zusehen und hatte das ganze Tischzeug unter mir. Ich hatte auf jede Klinge! zu hören, außer in den Schlafzimmern. Es waren manchmal noch andere kleine Dienste und Aemtchen zu besorgen...

—— Aber Deine regelmäßigen Besorgungen waren nur die, welche Du eben hergezählt hast?

—— Ja, gnädige Frau.

—— Wie lange ist’s her, daß Du als Stubenmädchen dientest?

—— Ein, zwei Jahr oder drüber, gnädige Frau.

—— Ich vermuthe, daß Du in der Zeit nicht verlernt hast, bei Tische zu bedienen, das Eßgeschirr zu reinigen und was das Uebrige ist?

Bei dieser Frage schweifte Louisens Aufmerksamkeit, welche während der Fragen Magdalenens immer mehr und mehr abgenommen hatte, ganz ab. Ihre aufs Neue sich regenden Besorgnisse gewannen die Oberhand über ihre bescheidene Zurückhaltung und sogar ihre Demuth. Anstatt ihrer Herrin zu antworten, that sie plötzlich und verwirrt selber eine Frage.

—— Ich bitte Sie um Verzeihung, gnädige Frau, sagte sie. Aber denken Sie etwa mich für die Stelle eines Stubenmädchens zu St. Crux vorzuschlagen?

—— Dich? versetzte Magdalene Gewiß und wahrhaftig nicht! Hast Du vergessen, was ich Dir in diesem Zimmer ehe ich ausging, gesagt habe? Ich meine, Du heirathest und ziehst mit Mann und Kind nach Australien. Du hast nicht gewartet, wie ich Dir gesagt habe, bis ich mich erst ausgesprochen hatte. Du hast vorschnell Deine Schlüsse daraus gezogen, und zwar falsche gezogen. —— Ich fragte Dich eben Etwas, Du hast aber noch nicht darauf geantwortet: ich fragte Dich, ob Du Deinen Stubenmädchen dienst noch im Kopfe und in der Uebung hättest?

—— Ach nein, gnädige Frau!

Bis dahin hatte Louise ein wenig unsicher geantwortet. Jetzt gab sie zuversichtlich und rasch ihren Bescheid.

—— Könntest Du einem andern Dienstmädchen diesen Dienst beibringen? frug Magdalene.

—— Ja wohl, gnädige Frau, —— sehr leicht, wenn dies Mädchen nur aufgeweckt ist und Merks hat.

—— Könntest Du mir den Dienst beibringen?

Louise fuhr zusammen und wechselte die Farbe.

—— Ihnen, gnädige Frau? rief sie aus, halb ungläubig, halb beunruhigt.

—— Ja, sprach Magdalene. Könntest Du mich für die Stelle eines Stubenmädchens auf St. Crux geschickt machen?

So deutlich diese Worte waren, schien doch die Verwirrung, welche sie in Louisens Geist hervorbrachten, sie schlechterdings unfähig zu machen, den Vorschlag ihrer Herrin zu verstehen.

—— Ihnen, gnädige Frau! wiederholte sie, wie geistesabwesend.

—— Ich werde Dich vielleicht dies mein außerordentliches Vorhaben zu verstehen lehren, sprach Magdalene, wenn ich Dir offen mittheile, welches das Ziel desselben ist. —— Erinnerst Du Dich an das, was ich Dir von Mr. Vanstone’s Testament gesagt habe, als Du aus Schottland hierher kamst, um bei mir zu sein?

—— Ja, gnädige Frau. Sie sagten mir, daß Sie ganz und gar aus dem Testamente gestrichen worden seien. Ich bin gewiß, das andere Mädchen würde niemals eine von den Zeugen geworden sein, wenn es gewußt hätte...

—— Laß das jetzt sein. Ich habe Nichts gegen das andere Mädchen —— ich habe gegen Niemand Etwas, außer gegen Mrs. Lecount —— Laß mich fortfahren mit dem, was ich sagen wollte. Es ist durchaus noch nicht ausgemacht, —— daß Mrs. Lecount mir das Unglück zufügen kann, das sie in der That in der Absicht hatte mir zuzufügen. Es ist eine Aussicht, daß mein Rechtsanwalt, Mr. Loscombe, in den Stand gesetzt wird, mir das von Rechtswegen Zukommende trotz des Testamentes zu sichern. Die Aussicht beruht darauf, daß ich einen Brief entdecke, welcher, wie Mr. Loscombe glaubt und wie ich selber glaube, in Admiral Bartrams Händen ist und geheim gehalten wird. Ich habe nicht die geringste Hoffnung, zu dem Briefe zu gelangen wenn ich den Versuch unter meinem eigenen Namen und in eigener Person mache. Mrs. Lecount hat des Admirals Herz gegen mich verhärtet, und Mr. Vanstone hat ihm aufgegeben, das Geheimniß vor mir zu bewahren. Wenn ich an ihn schriebe, würde er meinen Brief nicht beantworten. Wenn ich in sein Haus käme, würde die Thür vor mir zugeschlagen werden. Ich muß mir als Fremde Eingang verschaffen auf St. Crux, —— muß in einer Stellung sein, wo ich, ohne Verdacht zu erwecken, mich im Hause umsehen kann, —— muß dort sein und viel Zeit vor mir haben. Alle Umstände sind zu meinem Gunsten, wenn ich als Dienerin in das Haus Einlaß finde, und als Dienerin gedenke ich in der That dahin zu gehen.

—— Aber Sie sind eine Dame, gnädige Frau, warf Louise ein in der größten Verwirrung. Die Dienstmädchen auf St. Crux würden Sie entdecken.

—— Ich fürchte mich vor ihrer Entdeckung durchaus nicht, sprach Magdalene. Ich weiß, wie man es machen muß, um anderer Leute Rollen zu spielen, weiß Das weit besser, als Du denkst. Ueberlaß mir nur, die Möglichkeit der Entdeckung ins Auge zu fassen: das ist mein Wagniß. Jetzt wollen wir von Nichts als von dem, was Dich angeht sprechen. Entscheide Dich noch nicht, ob Du mir den Beistand leisten willst, wie ich ihn brauche, oder nicht. Warte und höre erst, worin der Beistand besteht. Du bist schnell und geschickt mit der Nabel. Kannst Du mir die Art von Kleid machen, wie es sich für ein Dienstmädchen schickt, und kannst Du eines meiner besten seidenen Kleider ändern, daß es für Dich selber paßt, Alles in Zeit von einer Woche?

—— Ich glaube, ich könnte es in acht Tagen fertig bekommen, gnädige Frau. Aber warum soll ich es tragen...?

—— Warte noch ein Wenig, und Du wirst gleich sehen. Ich werde der Wirthin morgen kündigen. In der Zeit, wo Du die Kleider« machst, kann ich die Obliegenheiten eines Stubenmädchens lernen. Wenn das Hausmädchen das Essen herausgebracht hat und Du und ich allein im Zimmer sind, will ich Dich bedienen anstatt Du mich. —— Es ist mein voller Ernst, unterbrich mich nicht! —— Was ich außerdem lernen kann, ohne Dich abzuhalten, will ich bei jeder Gelegenheit sorgfältig üben. Wenn die acht Tage um und die Kleider fertig sind, wollen wir diesen Ort verlassen und eine andere Wohnung nehmen, Du als die Herrin, ich als die Dienerin.

— Man wird mich entdecken, gnädige Frau, fiel Louise ein und zitterte bei der geöffneten Aussicht. Ich bin ja keine Dame.

—— Aber ich bin eine, sprach Magdalene mit Bitterkeit. Soll ich Dir sagen, was eine Dame ist? —— Eine Dame ist ein Weib, das eine seidenes Kleid an und das Gefühl ihrer eigenen Wichtigkeit in sich hat. Ich will Dir das Kleid anziehen und das Gefühl in Deine Brust flößen. Du sprichst ein reines Englisch, Du bist von Natur ruhig und zurückhaltend: kurz, wenn Du nur Deine Furchtsamkeit bemeistern kannst, so habe ich nicht die geringste Angst für Dich. Es wird in der neuen Wohnung Zeit genug für Dich sein, um Deine Rolle zu üben, und für mich, die meinige zu üben. Es wird Zeit genug sein, um noch ein paar Anzüge zu machen, ein zweites Kleid für mich und ein Hochzeitskleid, das ich Dir zu schenken gedenke, für Dich selbst. Ich werde die Zeitung jeden Tag zugeschickt erhalten. Sobald die Anzeige erscheint, werde ich sie beantworten unter einem Namen, der mir gerade zur Hand ist: in Deinem Namen, wenn Du mir ihn gern überlassen willst —— und wenn die Haushälterin mich nach meinem Zeugniß fragt, so werde ich mich auf Dich beziehen. Sie wird Dich in der Rolle als Herrin sehen und mich in der der Dienerin, es kann ihr kein Verdacht beikommen, wenn Du nicht selbst ihn beibringst. Wenn Du nur den Muth hast, meinen Weisungen zu folgen und zu sagen, was ich Dir vorsagen werde, so wird die Unterredung in zehn Minuten zu Ende sein.

—— Sie erschrecken mich, gnädige Frau, sagte Louise noch immer zitternd. Sie rauben mir vor Ueberraschung den Athem. Muth! Wo soll ich Muth herbekommen?

—— Wo ich ihn für Dich in Bereitschaft halte, sagte Magdalene, in dem Ueberfahrtsgeld für Australien. Schau auf die neue Aussicht, die Dir einen Gatten gibt und Dich zu Deinem Kinde zurückführt —— und Du wirst daraus Deinen Muth schöpfen.

Louisens düsteres Gesicht klärte sich auf, Louisens schwaches Herz schlug lebendig. Ein Funken von ihrer Herrin Geist flackerte auf in ihrem Auge, wie sie der goldigen Zukunft gedachte.

—— Wenn Du meinen Vorschlag annimmst, fuhr Magdalene fort, so kannst Du sofort in der Kirche ein für alle Mal aufgeboten werden. Ich verspreche Dir das Geld an dem Tage, wo die Anzeige in der Zeitung erscheint. Das Wagniß, daß die Haushälterin mich verwirft, ist ganz meine Sache, nicht Deine. Mein gutes Aussehen ist traurig genug verschwunden, ich weiß es wohl. Aber ich denke, ich kann noch immer meinen Platz behaupten gegenüber den anderen Dienstmädchen; ich denke, ich kann noch immer aussehen, wie das Stubenmädchen, das Admiral Bartram braucht. Du hast bei der Sache gar Nichts zu fürchten; ich würde es gesagt haben, wenn dies der Fall gewesen wäre. Die einzige Gefahr ist, daß ich selbst auf St. Crux entdeckt werde, —— und das geht allein nur mich an. Während ich in des Admirals Hause sein werde, wirst Du heirathen, und das Schiff wird Dich Deinem neuen Leben zuführen.

Louisens Gesicht, das bald voll Hoffnung strahlte, bald sich vor Furcht verdüsterte, zeigte deutliche Spuren des Kampfes, den ihr die Entscheidung kostete. Sie suchte Zeit zu gewinnen, sie versuchte verlegen einige Worte des Dankes zu stammeln: aber ihre Herrin hieß sie schweigen.

—— Du bist mir keinen Dank schuldig, sagte Magdalene. Ich sage Dir nochmals, wir leisten einander nur gegenseitig Beistand. Ich habe sehr wenig Geld; aber es reicht für Deinen Zweck hin, und ich gebe es gern und von freien Stücken. Ich habe ein elendes Leben geführt, ich habe bewirkt, daß sich Andere meinetwegen unglücklich fühlten. Ich kann auch Dich nicht anders glücklich machen, als dadurch, daß ich Dich zu einem Betruge verleite. Ja, ja, es ist nicht Deine Schuld Schlechtere Frauen, als Du bist, werden mir, wenn Du ablehnst, Beistand leisten. Entscheide Dich, wie Du willst; —— aber scheue Dich nicht, das Geld zu nehmen. Wenn es mir glückt, werde ich es nicht brauchen. Wenn es mir mißglückt...

Sie hielt inne, stand plötzlich von ihrem Stuhle aus und verbarg ihr Angesicht vor Louisen, indem sie zum Kamine ging.

—— Wenn es mir mißglückt —— begann sie wieder, indem sie gleichgültig ihren Fuß an dem Gitter wärmte, so kann alles Geld in der Welt mir Nichts helfen. Laß den Grund bei Seite, laß mich aus dem Spiele, denke nur an Dich selbst. Ich werde das Geständniß, das Du mir abgelegt hast, mir nicht zu Nutze machen gegen Deinen Willen. Thue, was Du selbst fürs Beste hältst. Aber denke an das Eine: mein Geist ist entschlossen, Nichts, was Du sagen oder thun kannst, wird mich umstimmen.

Ihr plötzliches Weggehen vom Tische, der veränderte Ton ihrer Stimme, indem sie die letzten Worte sprach, schienen Louisen aufs Neue zaudern zu machen. Sie schlug ihre Hände auf dem Schooße zusammen und rang und wandt sie heftig.

—— Dies ist sehr plötzlich über mich gekommen, gnädige Frau, sprach das Mädchen Ich bin sehr versucht, Ja zu sagen. Und doch fürchte ich beinahe...

—— Beschlafe es, unterbrach sie Magdalene, indem sie ihr Gesicht unverwandt gegen das Feuer zu hielt, und sage mir, wenn Du morgen früh in mein Zimmer kommst, zu was Du Dich entschlossen hast. Ich brauche heute Abend keine Hilfe, ich kleide mich selbst aus. Du bist nicht so stark als ich; Du bist müde, möchte ich sagen. Bleibe nicht meinetwegen auf. Gute Nacht, Louise, träume süß!

Ihre Stimme sank tiefer und tiefer, als sie diese freundlichen Worte sprach. Sie seufzte tief und legte, indem sie ihren Arm auf das Kaminsims stützte, ihr Haupt auf denselben mit einer rücksichtslosen Mattigkeit, die kläglich mit anzusehen war. Louise hatte nicht das Zimmer verlassen, wie sie vermuthete, Louise kam leise an sie heran und küßte ihr die Hand. Magdalene zuckte zusammen; aber sie machte dies Mal keinen Versuch, ihre Hand wegzuziehen. Das Gefühl ihrer schrecklichen Vereinsamung überkam sie, als sie die Berührung von den Lippen ihrer Dienerin fühlte! Ihr stolzes Herz brach; ihre Augen füllten sich mit brennenden Thränen.

—— Mache mir das Herz nicht schwer! sprach sie mit schwacher Stimme. Die Zeit der Freundlichkeit ist nun vorbei. Es überwältigt mich jetzt nur. Gute Nacht!

Der Morgen kam, und die bejahende Antwort, welche Magdalene vorausgesetzt hatte, kam mit ihm. An dem selben Tage empfing die Wirthin die Kündigung der Wohnung für nächste Woche, und Louisens Nadel flog rasch durch das Zeug, das der Anzug des Stubenmädchens werden sollte.



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