Herz und Wissen



Capitel XXIII.

Es entstand eine Pause; Mrs. Gallilee erwartete, daß Miß Minerva sprechen sollte, und diese, daß die Andere ihr vertraulich entgegenkäme. Vom Garten her erscholl das gezwitscher der Sperlinge, und gedämpft herein dringende Klaviertöne verkündeten, daß im Schulzimmer die Musikstunde begonnen hatte.

»Die Vögel machen einen unangenehmen Lärm«, bemerkte Mrs. Gallilee nach einer Weile.

»Und das Piano scheint verstimmt zu sein«, meinte Miß Minerva.

Mrs. Gallilee sah ein, daß sie selbst auf den Gegenstand, den sie im Auge hatte, zurückkommen müßte, wenn sie ihn nicht fallen lassen wollte, und sie fing daher wieder an:

»Ich fürchte, daß Sie mich nicht recht verstanden haben.«

»Ich fürchte, recht einfältig gewesen zu sein«, bekannte die Gouvernante.

»Wir sprachen von Mr. Le Frank und meiner Nichte, als Lehrer und Schülerin. Sind Sie in der Lage gewesen, sich ein Urtheil über Carmina’s musikalische Fertigkeit zu bilden?«

»Nein, ich habe noch keine Gelegenheit dazu gehabt«, antwortete die kluge Gouvernante.

»Ich habe von Mr. Le Frank ein Anerbieten bekommen«, fuhr Mrs. Gallilee fort, damit ihren Trumpf ausspielend, indem sie Miß Minerva einen Brief überreichte. »Wollen Sie mir sagen, was Sie davon halten?«

In dem Briefe schrieb Mr. Le Frank in servilen Ausdrücken, daß, falls Mrs. Gallilee’s reizende Nichte eines Lehrers in der Musik bedürfen sollte, er zu hoffen wage, daß ihm die Ehre und das Glück zu Theil werden möchten, die Studien derselben beaufsichtigen zu dürfen. Noch einmal nach dem Anfange des Briefes sehend, entdeckte die Gouvernante, daß diese bescheidene Offerte das Datum von vor acht Tagen trug, und sie fragte:

»Haben Sie Mr. Le Frank geantwortet?«

»Ich habe ihm nur geschrieben, daß ich sein Anerbieten in Erwägung ziehen wollte.«

Hatte sie auf die Abreise ihres Sohnes gewartet, ehe sie eine Entscheidung treffen wollte? Miß Minerva erinnerte sich, daß, als Mrs. Gallilee zuerst einen Musiklehrer für ihre Kinder hatte engagieren wollen, ihr Sohne sich gegen Mr. Le Frank ausgesprochen hatte.

»Wüßten Sie irgend etwas, was gegen die Annahme des Vorschlages wäre?« fragte Mrs. Gallilee.

»Ich halte es für eine delikate Sache, hier ein Urtheil abzugeben«, sagte Miß Minerva bescheiden. die allerdings einen Einwand wußte und Dank jener Erinnerung eine besonders boshafte Weise entdeckte, denselben vorzubringen.

»Bezieht sich das auf Mr. Le Frank?« fragte Mrs. Gallilee überrascht.

»Nein; ich zweifle nicht daran, daß sein Unterricht jeder jungen Dame dienlich sein würde.«

»Oder denken Sie dabei an meine Nichte?«

»Nein, Mrs. Gallilee, aber an Ihren Herrn Sohn«

»Wieso, wenn ich fragen darf?«

»Ich glaube, Ihr Herr Sohn würde dagegen sein, Mr. Le Frank zu Miß Carmina’s Lehrer anzunehmen.«

»Aus sachlichen Gründen?«

»Nein, aus persönlichen.«

»Wie meinen Sie das?«

»Sie haben wohl vergessen, daß damals, als Sie Mr. Le Frank für Ihre Töchter engagieren wollten, seine Persönlichkeit einen unangenehmen Eindruck auf Ihren Herrn Sohn machte, der dann Erkundigungen einzog, die Sie für unnöthig gehalten hatten. Verzeihen Sie, wenn ich diesen Umstand erwähne, aber ich bin es mir selbst schuldig, mein Urtheil zu rechtfertigen —— ein Urtheil, das, wie Sie sich gütigst erinnern wollen, nicht freiwillig abgegeben wurde. Mr. Ovid’s Nachfragen brachten ein sehr unangenehmes Gerücht über Mr. Le Frank und eine frühere Schülerin desselben an’s Licht.«

»Das war eine abscheuliche Verleumdung, Miß Minerva! Es überrascht mich, daß Sie darauf zurückkommen.«

»Ich beziehe mich, gnädige Frau, nur auf die Ansicht, die Mr. Ovid von der Sache hatte. Wäre es Mr. Le Frank nicht gelungen, sich erfolgreich zu rechtfertigen, so wäre er natürlich nicht in dies Haus aufgenommen. Aber Ihr Herr Sohn hatte seine eigene Ansicht von der Rechtfertigung desselben. Ich war damals zugegen und hörte ihn sagen, daß er, wenn Maria und Zo älter gewesen wären, zu einem Lehrer gerathen haben würde, der keine falschen Gerüchte über sich zu widerlegen brauchte; da sie indeß noch Kinder wären, wollte er weiter nichts sagen. Daran dachte ich vorhin. Mr. Ovid wird jedenfalls unzufrieden sein, wenn er hört, daß Mr. Le Frank der Musiklehrer seiner Cousine ist; und sollte ihm in seiner Abwesenheit irgend ein albernes Geschwätz zu Ohren kommen, so könnte das unangenehme Resultate —— ich meine Mißverständnisse nach sich ziehen, die auf schriftlichem Wege nicht leicht zu berichtigen sein und daher höchst wahrscheinlich Mißtrauen und Eifersucht erwecken könnten.«

Miß Minerva wußte, daß der Musiklehrer nur als Mittel dienen sollte, um zwischen Ovid und Carmina Unheil zu stiften, und sie würde der Mutter ihre Hilfe wahrscheinlich nicht versagt haben, wenn dieselbe sie in’s Vertrauen gezogen hätte. So aber war sie auf ihrer Hut, um zu verhindern, daß ihr vielleicht einmal die Schuld für das Complott in die Schuhe geschoben werden könnte.

Mrs. Gallilee hatte darauf gerechnet, daß die Gouvernante bei ihrer heimlichen Neigung zu Ovid jedem Anschläge, der eine Entfremdung desselben mit Carmina befördern könnte, ohne Zögern und Mißtrauen zustimmen würde, sah sich aber wiederum von derselben geschlagen. Es blieb ihr nun nichts übrig, als der Heirath auf eigene Verantwortlichkeit hin das erste Hindernis; in den Weg zu legen.

»Ich zweifle nicht daran, daß Sie aufrichtig gesprochen haben«, sagte sie, da die Gouvernante mit den Händen im Schooße ruhig dasaß »aber Sie haben doch dem verständigen Sinne meines Sohnes nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen, und Sie sind —— was bei Ihrer Stellung ja ganz natürlich ist —— nicht im Stande, seine Ergebenheit und Zuneigung zu Carmina richtig zu würdigen.«

Da dieser Stich auch nicht von der geringsten sichtbaren Wirkung belohnt wurde, so fuhr sie nach einer Pause, während welcher sie Miß Minerva beobachtet hatte, fort: »Ziemlich die letzten Worte, die er mit mir sprach, drückten sein Vertrauen —— sein hingebendes Vertrauen zu meiner Nichte aus. Der bloße Gedanke daran, daß er auf Jemanden eifersüchtig sein könnte, besonders auf eine Persönlichkeit wie Mr. Le Frank, ist einfach lächerlich. Es wundert mich, daß Sie die Sache nicht in diesem Lichte sehen.«

»Ich würde dieselbe so gut wie Sie in diesem Lichte sehen«, entgegnete Miß Minerva, »wenn Ovid zu Hause wäre.«

»Was für einen Unterschied macht das?«

»Entschuldigen Sie —— einen großen Unterschied, dächte ich. Er hat eine lange Reise unternommen, und zwar bei schlechter Gesundheit, und es werden Stunden, kommen, wo er niedergeschlagen sein wird. Zu solchen Zeiten werden Kleinigkeiten ernst genommen und häufig sogar wohlgemeinte Worte —— in Briefen, meine ich —— falsch verstanden. Ich wüßte das, was ich gesagt habe, nicht besser zu vertheidigen, und kann nur bedauern, daß ich Ihr schmeichelhaftes Vertrauen in mich so unbefriedigend vergolten habe.«

Nachdem sie so ihrerseits ihren Stich angebracht hatte, erhob sie sich, um sich zurückzuziehen. »Haben Sie sonst noch Befehle für mich?«

»Ich möchte gern ganz sicher sein, daß ich Sie nicht mißverstanden habe«, erwiderte Mrs. Gallilee. »Sie halten Mr. Le Frank für befähigt, die musikalischen Studien einer jungen Dame zu leiten? Danke Ihnen. Dann bin ich über den Punkt, in Betreff dessen ich Ihren Rath einzuholen wünschte, beruhigt. Wissen Sie, wo Carmina ist?«

»Auf ihrem Zimmer, denke ich.«

»Wollen Sie die Güte haben, dieselbe zu mir zu schicken?«

»Mit dem größten Vergnügen. Guten Abend.«

Das war der erste Versuch Mrs. Gallilee’s, Miß Minerva zu benutzen, ohne derselben Vertrauen zu schenken.


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