Die Brille des Teufels

V Die Wahrheit im Gehölz

Am nächsten Tag schien die Sonne freundlich und ein milder Wind lud alle ein, auszugehen. Ich hatte keinen weiteren Gebrauch der Brille an diesem Morgen gemacht: mein Vorhaben war, sie in meiner Tasche zu behalten, bis die Unterhaltung im Gehölz vorbei war. Soll ich den Grund gestehen? Es war einfach Angst – Angst davor, weitere Entdeckungen zu machen und die meisterliche Selbstbeherrschung zu verlieren, von welcher der ganze Erfolg meines Plans abhing.

Wir aßen um ein Uhr Mittag. Waren Cecilia und Zilla bereits zu einem geheimen Einverständnis bezüglich des Gesprächs im Gehölz gekommen? Um dies herauszufinden, fragte ich Cecilia, ob sie Lust hätte, nachmittags reiten zu gehen. Sie lehnte meinen Vorschlag ab – sie wollte eine Zeichnung fertigzeichnen. Ich hatte ausreichend Antwort erhalten.

»Cecilia beschwert sich, dass dein Benehmen seit kurzem kalt gegen sie geworden ist«, sagte Mutter, als wir allein zusammen waren.

Meine Gedanken verweilten bei dem Brief von Cecilia an Sir John. Würde irgendein Mann so schnell Zillas Vorschlag, Cecilia nicht beim Wort zu nehmen, angenommen haben, wenn nicht etwas vorgefallen war, was ihn dazu ermutigte? Ich traute mir nur zu, meiner Mutter sehr kurz zu antworten: »Cecilia verhält sich anders gegenüber mir« war meine ganze Antwort.

Meine Mutter war offensichtlich erfreut über dieses mögliche Missverständnis zwischen uns. »Ah«, sagte sie. »Wenn Cecilia doch nur Zillas süße Gemütsart hätte.«

Das war ein klein wenig mehr, als ich ertragen konnte – aber ich ertrug es. »Wirst du mit mir in den Außenanlagen spazieren gehen, Mama?« fragte ich.

Meine Mutter nahm die Einladung so fröhlich an, dass ich wirklich denke, dass ich mich hätte schämen sollen – wenn ich nicht die vergiftende Brille in meiner Tasche gehabt hätte. Wir hatten uns gerade bereit gemacht, kurz nach zwei Uhr wegzugehen, als wir ein schüchternes Klopfen an der Tür hörten. Die engelhafte Näherin erschien und bat um einen halben Tag Urlaub. Meine Mutter wurde tatsächlich rot! Alte Gewohnheiten hafteten an den Mitgliedern der letzten Generation. »Was ist los?« sagte sie in leisem, unsicherem Ton. »Darf ich ins Dorf gehen, Ma'am, um ein paar kleine Dinge zu kaufen?« »Sicher.« Die Tür schloss sich wieder. »Jetzt zum Gehölz«, dachte ich. »Beeil dich, Mama«, sagte ich, »das beste vom Tag ist bald vorbei. Und denk daran – zieh deine dicksten Stiefel an.«

Auf einer Seite des Gehölzes waren die Gärten. Die andere Seite wurde von einem hölzernen Zaun eingeschlossen. Ein Fußweg, der teils auf dem Weg neben dem Zaun verlief, durchkreuzte das Gras darunter und bot eine Abkürzung zwischen dem nächsten Parktor und den Zimmern der Diener. Dies war der sichere Ort, den ich ausgewählt hatte. Wir konnten alles bestens hören – obwohl der dicht gepflanzte Feuerdorn die Sicht versperrte. Ich hatte »dicke Stiefel« vorgeschlagen, weil es keine andere Möglichkeit gab, das Geräusch unserer Tritte auf dem weichen Gras zu dämpfen. An seinem entfernteren Ende schloss das Gehölz an die Straße zum Haus hinauf.

Die Überraschung meiner Mutter ob des Ortes, welchen ich für unseren Spaziergang ausgewählt hatte, wäre in Worten ebenso wie in Blicken ausgedrückt worden, wenn ich sie nicht mit einer flüsternden Warnung davon abgehalten hätte: »Sei vollkommen leise«, sagte ich, »und horch. Ich habe einen Grund dafür, dich hierher zu bringen.«

Die Worte waren kaum über meine Lippen gekommen, als wir die Stimmen von Cecilia und der Näherin im Gehölz hörten.

»Warte eine Minute«, sagte Cecilia, »du musst etwas genauer sein, bevor ich zustimme, noch weiter zu gehen. Wie kamst du dazu, den Brief zu Sir John zu bringen anstatt meiner Zofe?«

»Nur um ihr einen Gefallen zu tun, Miss. Ihr ging es nicht gut und sie konnte sich nicht vorstellen, den ganzen Weg nach Timbercombe laufen zu können. Ich kann keine guten Nadeln im Dorf kaufen und ich war froh, dass ich die Möglichkeit hatte, in die Stadt zu gehen.«

Es gab eine Pause. Cecilia dachte vermutlich nach. Meine Mutter begann blass zu werden.

Cecilia fuhr fort. »Es gibt nichts in Sir Johns Antwort auf meinen Brief«, sagte sie, »das mich dazu bringt, anzunehmen, dass er einer Unhöflichkeit schuldig sei. Ich habe immer geglaubt, er wäre ein Gentleman. Kein Gentleman würde sich mit Gewalt in meine Gegenwart bringen, wenn ich ihm ausdrücklich geschrieben habe, mich zu meiden. Bitte, wie weißt du, dass er dazu entschlossen ist, die Abweisung nur von meinen Lippen zu hören?«

»Die Gefühle eines Gentlemans nehmen manchmal überhand, Miss. Sir John war äußerst erschüttert –«

Cecilia unterbrach sie. »In meinem Brief war nichts, was ihn erschüttern konnte«, erwiderte sie.

»Er war erschüttert. Und er hat gesagt: »Ich kann die Antwort nicht auf diesem Weg hinnehmen – Ich muss und werde sie sehen.« Und dann bat er mich, Euch heute spazierenzuführen und nichts darüber zu sagen, so dass er Euch überraschen konnte. Er ist so wahnsinnig in Euch verliebt, Miss, dass er ganz außer sich ist. Ich habe wirklich Angst davor, was passieren könnte, wenn Ihr nicht seine Enttäuschung irgendwie erleichtern könnt. Wie irgendeine Lady einen solch hübschen Gentleman so grausam behandeln kann, übersteigt mein armes Urteilsvermögen!«

Cecilia nahm die Vertraulichkeit, die in diesen letzten Worten angedeutet wurde, sofort übel. »Du bist nicht dazu aufgefordert worden, dein Urteil abzugeben«, wies sie sie zurecht. »Du kannst zurück zum Haus gehen.«

»Sollte ich nicht lieber zuerst Sir John sehen, Miss?«

»Sicher nicht. Du und Sir John haben bereits genug voneinander gesehen.«

Es gab eine weitere Pause. Meine Mutter stand neben mir und hielt meinen Arm, blass und zitternd. Keiner von uns konnte sprechen. Meine eigenen Gedanken waren besonders aufgewühlt. Entweder war Cecilia ein Monster der Täuschung oder sie hatte so weit gehandelt und gesprochen, wie es eine treue und hochgeborene Frau getan hätte. Das entfernte Geräusch von Pferdehufen auf dem Parkweg unterrichtete uns, dass der kritische Augenblick nahe war. In der nächsten Minute hörte das Geräusch auf. Sir John war wahrscheinlich abgestiegen und band sein Pferd am Eingang des Gehölzes fest. Nach einer Weile hörten wir Cecilias Stimme wieder, weiter weg von uns. Wir folgten der Stimme. Das Gespräch, welches mein zukünftiges Schicksal entscheiden sollte, hatte begonnen.

»Nein, Sir John; Sie müssen mir meine Frage zuerst beantworten. Gibt es irgendetwas in meinem Brief – gab es irgendetwas in meinem Verhalten, als wir uns in London trafen – was dies rechtfertigt?«

»Liebe rechtfertigt alles, Cecilia!«

»Sie sollen mich nicht Cecilia nennen, bitte. Haben Sie mir keine ehrlichere Antwort zu geben?«

»Haben Sie kein Mitleid mit einem Mann, der nicht ohne Sie leben kann? Gibt es wirklich nichts an mir und meinem Titel, welches ich gegen die vollkommen unbedeutende Person setzen kann, mit welcher sie sich so rasch verlobt haben? Es wäre eine Beleidigung, anzunehmen, dass sein Reichtum Sie versucht hat. Was kann in Ihren Augen sein Vorzug sein? Seine eigenen Freunde können nicht mehr zu seinen Gunsten sagen, als dass er ein gutmütiger Narr ist. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf; Frauen geraten oft in Verlobungen, die sie später bereuen. Bleiben Sie sich selbst gerecht! Bleiben Sie dem Adel ihres Charakters treu – und seien Sie der Engel, der unser beider Leben glücklich macht, bevor es zu spät ist!«

»Sind Sie fertig, Sir John?«

Es gab einen Moment der Stille. Es war unmöglich, ihren Tonfall falsch aufzufassen – Sir Johns Redefluss kam zu einem totalen Stillstand.

»Bevor ich Ihnen antworte«, fuhr Cecilia fort, »habe ich zuerst etwas zu sagen. Das Mädchen, welches meinen Brief zu Ihnen brachte, war nicht meine Zofe, wie Sie vielleicht angenommen hatten. Sie ist mir eine Fremde; und ich verdächtige sie, eine hinterhältige Kreatur zu sein, um damit ihre eigenen Zwecke zu erfüllen. Ich habe Schwierigkeiten damit, einer Person von Ihrer Stellung die gemeine Täuschung zu unterstellen, die meinen Brief in Worten beantwortet, welche mich dazu bringen, Ihnen zu vertrauen und mich dann auf diese Weise zu überraschen. Mein Bote ist (wie ich glaube) unverschämt genug, Ihnen diesen Verlauf vorzuschlagen. Habe ich Recht? Ich erwarte eine Antwort, Sir John, die in ihrer Aufrichtigkeit Ihnen und Ihrem Titel gleichkommt. Habe ich Recht?«

»Sie haben Recht, Miss Cecilia. Bitte verachten Sie mich nicht. Die Versuchung, Sie noch einmal zu ersuchen –«

»Ich werde so offen mit Ihnen sprechen, Sir John, wie Sie mit mir gesprochen haben. Sie liegen gänzlich falsch darin, anzunehmen, dass es möglich für mich ist, meine Verlobung zu bereuen. Der Mann, dessen falsche Freunde ihn in Ihrer Wertschätzung herabgesetzt haben, ist der einzige Mann, den ich liebe und der einzige Mann, den ich heiraten werde. Und ich bitte Sie zu verstehen, dass, wenn er sein ganzes Vermögen morgen verlieren würde, ich ihn übermorgen heiraten würde, wenn er mich fragen würde. Muss ich noch mehr sagen? Oder werden Sie mich mit dem Verständnis eines Gentleman behandeln und gehen?«

Ich erinnere mich nicht, ob er noch etwas sagte oder nicht, bevor er ging. Ich weiß nur, dass sie gingen. Bitten Sie mich nicht zu gestehen, was ich fühlte. Bitten Sie mich nicht zu beschreiben, was meine Mutter fühlte. Wechseln wir den Schauplatz und setzen wir die Erzählung zu einer späteren Stunde des Tages fort.


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