In der Dämmerstunde
Vorwort
Ich habe mich bemüht, die Verschiedenen Erzählungen, welche in diesem Buche enthalten sind, so aneinander zu reihen, dass sie das Interesse des Lesers fesseln müssen, denn sie sind neu, wahr Und überraschend! Die Blätter, welche von »Leah’s Tagebuch« handeln, bilden gleichsam den Rahmen der ganzen Sammlung dieser Erzählungen.
In diesem Teile des Buches, wie auch in den Einleitungen der einzelnen Geschichten, hatte ich die Absicht, den Leser einen Einblick in das Lebens der Künstler nehmen zu lassen; ich habe sorgfältige und gern gepflegte Studien zu diesem Zwecke gemacht und denselben auch schon im »Verstecken und Finden« einen Ausdruck gegeben.
Diesmal beabsichtigte ich nun, die Sympathie des Lesers für die Leiden und Freuden eines armen »reisenden Porträt-Malers« zu erregen; dargestellt von seiner Frau, unter dem Titel »Leah’s Tagebuch«, und auch teilweise in den Einleitungen zu den Erzählungen, von ihm selbst. Diese beiden Teile des Buches habe ich etwas scharf begrenzt. An »Leah’s Tagebuch« soll man erkennen, dass dasselbe nur in den Mußestunden, welche die Sorge für den Haushalt übrig ließ, geschrieben wurde; und in den Einleitungen, aus der Feder des Malers, ist auch nur soviel enthalten, wie ein bescheidener und zartfühlender Mann über sich selbst und über die Charaktere, die ihm auf seinen künstlerischen Reisen begegneten, sagen mag: Wenn es mir nun gelingt, durch diese einfache Art verständlich zu werden und daneben durch die verschiedenen Erzählungen ein vollständiges Ganze zu bilden, so werde ich ein mir seit langer Zeit vorgestecktes Ziel erreichen.
Über die einzelnen Erzählungen erlaube ich mir noch zu bemerken, dass die Lady von Glenwith Grange hier zum ersten Male gedruckt erscheint, dass jedoch die andern bereits in den Household Words gedruckt sind. Ich spreche hier gleich Mr. Charles Dickens meinen tiefgefühltesten Dank aus, dass er mir erlaubte, sie in den Rahmen dieses Buches mit einzufassen. Gleichzeitig spreche ich dem Künstler, Herrn W. S.Herrick, meinen Dank aus, für die Erzählungen: »das entsetzliche fremde Bett« und »die gelbe Maske«, zu denen ich durch seine Mitteilungen gelangt bin.
Obgleich diese Erklärungen Manchem, an dieser Stelle, überflüssig erscheinen mögen, der mich kennt, so möchte ich doch nicht den Schein auf mich laden, dass ich mich mit fremden Federn schmücken will.
Der Umstand, dass die Ereignisse in den hier vorliegenden Erzählungen schon in andern Blättern und die handelnden Personen ebenfalls schon bekannt sind, mag vielleicht den Verdacht erregen, dass die Erzählungen selbst nicht Originale sind. Aber der Leser, welcher mich mit seiner Aufmerksamkeit beehrt, kann sich darauf verlassen, dass er nur meine literarischen Nachkommen unter Händen hat. Die Kinder meiner Phantasie sind gewiss nicht immer frei von Schwächen und bedürfen zuweilen einer führenden Hand, die sie in die große Welt geleitet, aber sie sind meine eigenen Kinder im weitesten Umfange dieses Begriffs.
Die Mitglieder meiner literarischen Familie sind in der Tat so weit verbreitet, dass meine eigenen Vorstellungen wohl von erborgten zu unterscheiden sein werden; — denn ich habe nie irgend Etwas durch den Buchhandel veröffentlicht, das nicht auch mein bestimmtes Eigentum gewesen wäre.
Blätter aus Leah’s Tagebuch
Am 16. Februar 1827. — Der Doktor ist nun zum dritten Male gerufen worden, um die Augen meines Mannes zu untersuchen. Gott sei Dank, es ist nicht zu befürchten, dass mein armer William sein Augenlicht verlieren wird, vorausgesetzt dass er dasselbe, nach ärztlichem Ausspruch, nicht anstrengt. Der Arzt verlangt, dass mein Mann in den nächsten sechs Monaten nicht arbeite, das ist in unsern Verhältnissen sehr schwer zu befolgen. Es ist das unabänderliche Urteil zu Armut und Not! Doch wir müssen uns geduldig darin ergeben, denn nur diese Schonung seiner Augen wird meinen Mann vor dem trostlosen Zustande der Blindheit zu retten vermögen.
Ich werde mutig ausharren, das fühle ich, seitdem wir nun das Schlimmste wissen. Werde ich aber auch für meine Kinder sorgen können? Ja, ja ich hoffe es; denn es sind ja nur zwei. Zum ersten Male seit meiner Verheiratung, mache ich die traurige Bemerkung: ich bin froh, dass es nur zwei sind!
Am 17. Gestern Abend, nach dem ich William so gut als möglich über die Zukunft getröstet hatte, und nachdem er dann ruhig eingeschlafen war, ergriff mich der furchtbare Verdacht, dass der Arzt uns vielleicht das Schlimmste verschwiegen habe; denn es ist bekannt, dass die Ärzte ihre Patienten sehr oft über den wahren Zustand ihrer Leiden im Unklaren lassen. Ich finde, es ist dies eine falsche Herzensgüte.
Ich konnte meine Unruhe nicht überwinden und beschloss, heute heimlich den Doktor zu besuchen. Ich fand ihn auch glücklicher Weise zu Hause und in wenigen Worten hatte ich ihm die Ursache meines Besuchs mitgeteilt
Er lächelte, nachdem er mich angehört hatte, beruhigte mich und versicherte, dass er uns die volle Wahrheit gesagt habe.
Um aber noch mehr Gewissheit zu erlangen, fragte ich noch einmal, das Ärgste ist also überwunden, wenn mein Mann seine Augen sechs Monat schonen und ihnen vollkommene Ruhe gönnen wird?
»Ja,« so ist es,« erwiderte der Doktor. »Lassen Sie Ihren Mann nie zwei Stunden nach einander ohne den grünen Augenschirm, sonst nimmt die Entzündung zu, und ich wiederhole noch einmal, dass er seine Augen durchaus nicht gebrauchen darf! Er darf weder Bleistift noch Pinsel berühren, darf auch keine Bestellung auf Bilder für die nächsten sechs Monat annehmen. Erinnern Sie sich wohl daran, Mistreß Kerby, dass ich Ihren Mann warnte, die beiden angefangenen Portraits zu vollenden als seine Augen anfingen, schwach zu werden? Er folgte aber nicht, und dies ist die Ursache des Übels, welches wir jetzt bekämpfen wollen.«
»Ich erinnere mich wohl daran,« antwortete ich. »Doch was bleibt einem armen herumziehenden Porträtmaler, wie mein Mann einer ist, zu tun übrig?«
»Haben Sie keine anderen Hilfsquellen, kein anderes Geld, als was Herr Kerby mit der Malerei verdient?« fragte der Doktor teilnehmend
»Nein,« sagte ich niedergeschlagen und dachte dabei an die Rechnung für seinen ärztlichen Beistand.
»Verzeihen Sie, oder vielmehr schreiben Sie es meiner Teilnahme für Ihr Unglück zu, wenn ich mir nun die Frage erlaube, ob Mister Kerby ein reichliches Einkommen von der Ausübung seiner Kunst hat,« sagte der Doktor, indem er etwas beunruhigt auf mich blickte; und bevor ich noch antworten konnte, setzte er hinzu: »Sie nehmen doch gewiss nicht an, dass ich aus bloßer Neugierde frage?« Ich fühlte bestimmt, dass er nur edle Beweggründe zu der Frage habe und antwortete auch mit vollständiger Offenheit: »Mein Mann verdient nur wenig. Die berühmten Porträtmaler in London erzielen wohl enorme Preise, aber ein armer unbekannter Maler, der von einem Ort zum andern wandert und meist nur auf dem Lande Arbeit findet, muss schwer arbeiten und doch mit Wenigem zufrieden sein. Wenn wir hier unsere Schulden bezahlt haben werden, wird uns wenig übrig bleiben für einen noch billigeren Wohnort.«
»Ja diesem Falle,« sagte der gute Doktor, den ich, nebenbei gesagt, von dem ersten Augenblicke an wo ich ihn sah, lieb gewann, »machen Sie sich nur keine Sorgen um meine Rechnung, wenn Sie hier Ihre Schulden bezahlen. Ich warte gern bis Mister Kerbys Augen hergestellt sein werden und dann werde ich ihn bitten, mir meine kleine Tochter zu malen; so werden wir beide bezahlt und und zufrieden sein, hoffe ich.«
Dann gab er mir die Hand und verabschiedete sich schnell, bevor ich ihm noch meinen Dank aussprechen konnte. Nie, nie werde ich es vergessen, wie mich der gute Mann von zwei schweren Sorgen befreite und zwar in der bedrängtesten Zeit meines Lebens. Ich hätte niederknien und seine Fußstapfen küssen mögen, als ich nach Hause ging.
Am 18. Wäre ich nicht entschlossen nach dem was gestern vorgegangen ist, vertrauensvoller in die Zukunft zu blicken, so wäre der heutige Tag ganz dazu geeignet gewesen, mir meinen Mut vollständig zu nehmen. Zuerst kam das Einkassieren unserer Rechnungen und die Entdeckung, dass uns, nachdem wir dieselben bezahlt, nur noch höchstens zwei oder drei Pfund übrig bleiben würden; danach kam die traurige Beschäftigung den reichen Personen Briefe zu schreiben, welche meinem Manne Aufträge erteilt hatten; ich musste ihnen von dem Unglück Mitteilung machen, welches uns betroffen hat und von der Unmöglichkeit, dass ihre Bestellungen in der nächsten Zeit ausgeführt werden könnten. Dann kam das noch traurigere Geschäft der Kündigung, um so unangenehmer da wir uns bequem und gut in unserer Wohnung befanden. Hätte mein Gatte bei seiner Arbeit bleiben können, so würden wir wenigstens noch drei oder vier Monate in dieser Stadt und in dieser trockenen und freundlichen Wohnung geblieben sein. Wir haben früher nie ein so geräumiges Dachstübchen bewohnt, wo die Kinder einen so weiten Tummelplatz für ihre Spiele hatten; nie war eine Wirtin so freundlich daraus eingegangen, ihre Küche mit mir zu teilen und nun sind wir so plötzlich gezwungen, so viel Angenehmes zu verlassen und dem Zufalle anheim zu stellen, wohin er uns führen wird. William sagt in seinem Unmut, wir müssen ins Arbeitshaus; aber das soll nimmer mehr geschehen, so lange ich noch meine Kräfte verwerten kann! Jetzt wird es dunkel! Ich kann nicht mehr sehen zum Schreiben und Licht werde ich auch nicht anzünden, denn wir müssen die Kerzen sparen. Ach, ach, welch ein Tag war dies! Aber eine frohe Minute hatte ich doch seitdem er begann, das war in dem Augenblicke, als ich meiner kleinen Emilie die Perlenbörse für des Doktors Töchterchen zu arbeiten gab. Mein Kind ist so allerliebst, wenn es mit seinen kleinen geschickten Hündchen die Perlen aufreiht. Eine kleine, hübsche, leere Börse ist wohl das geeignetste Zeichen unserer Dankbarkeit.
Am 19. Ein Besuch von unserm einzigen und besten Freunde dem Doktor Nachdem er Williams Augen untersucht hatte und sie nicht verschlimmert gefunden, fragte er, wohin wir nun zu gehen gedachten Ich antwortete, zu der billigsten Stätte, die wir finden könnten, und setzte hinzu, dass ich mich in den Nebenstraßen der Stadt nach einer billigen Wohnung umsehen wollte.
»Lassen Sie das Wohnung suchen, bis Sie wieder von mir hören,« sagte der Doktor »Ich habe jetzt einen Kranken, fünf Meilen von hier, in einem Pächter hause, zu besuchen; es ist nichts Ansteckendes an der Krankheit. Ein unvorsichtiger Bursche bedarf meiner Hilfe, der bei einem Sturz von dem Pferde das Schlüsselbein gebrochen hat. Sie dürfen also Ihrer Kinder wegen außer Sorge sein, Mistreß Kerby. Jene Pächterleute dort, nehmen zuweilen Mieter in ihr Haus auf, und ich wüsste nicht, weshalb Sie dort nicht auch Wohnung finden könnten? Ich werde anfragen. Wenn Sie gut, billig und im Vereine mit rechtschaffenen und liebenswürdigen Menschen leben wollen, so ist Appletreewick der richtige Platz dazu. Danken Sie mir jedoch nicht früher, bis ich weiß, ob Sie die neue Wohnung haben können. In der Zeit, welche zwischen meiner Antwort liegt, können Sie vielleicht Ihre Geschäfte hier beendigen.«
Mit den letzten Worten empfahl sich der gute Mann. Der Himmel gebe ihm Erfolg im Pächter hause! Auch die Gesundheit der Kinder wird gesicherter sein, wenn wir auf dem Lande leben können. Da ich gerade von den Kindern rede, muss ich auch erwähnen, dass Emilie die Perlenbörse beinahe fertig hat.
20. Eine wichtige Nachricht von dem Doktor! Man will uns in Appletreewick aufnehmen. Wir erhalten zwei Zimmer und die Kost bei der Familie für siebzehn Schilling in der Woche. Nach meiner Berechnung werden wir drei Pfund und sechzehn Schilling übrig behalten, nachdem alle Schulden abgetragen sind, diese Summe wird also für vier Wochen zu dem Notwendigsten ausreichen und es bleichen noch acht Schilling übrig. Wenn ich fleißig sticke, so kann ich noch neun Schilling dazu verdienen und damit wäre dann noch die fünfte Woche bezahlt. In der Zeit von fünf Wochen kommt mir vielleicht ein guter Plan zum Erwerben. Das werde ich nun meinem Manne mitteilen und es ihm so oft wiederholen, bis ich selbst daran glauben werde. William ist nicht so leichtgläubig wie ich, er nimmt die Dinge ernster; ja, er ist oft über alle Begriffe mutlos und traurig. Ich suche ihn dadurch aufzumuntern, dass ich ihn an die Jahre erinnere, in denen er für mich und die Kinder arbeitete und mache ihn darauf aufmerksam, dass diese Zeit wiederkehren wird, wie der Doktor versichert. Aber er seufzt und murmelt, dass er einer von den Unglücklichen sei, welche zur Last ihrer Frau zu leben bestimmt seien. Ich konnte nur antworten, was ich aufrichtig fühlte; nämlich, dass ich ihm am Altar schwor, ihm anzugehören in guten und bösen Tagen, dass ich die guten bis jetzt an seiner Seite genossen habe und dass es scheine, die bösen Tage wollten nur einmal erscheinen, um dann nie wiederzukehren. — Die Perlenbörse ist fast vollendet; sie ist hübsch, rot und blau in gestreiften Mustern.
Am 21. Ein geschäftiger Tag. Wir gehen morgen nach Appletreewick. Es gibt noch Rechnungen zu bezahlen und dann einzupacken. Des armen Williams Malergeräthschaften, Leinwand und noch andere Gegenstände kommen zusammen in eine Kiste. Er sieht so traurig aus und sitzt schweigend da, während sein Arbeitsgerät um ihn herum verschwindet Tränen kommen mir bei dem Gedanken in die Augen, dass er und diese, ihm so teuer gewordenen Dinge, sich vielleicht einander nicht mehr nahe kommen werden. — Dies geschieht mir, und ich gehöre doch nicht zu den Weichlichsten. Glücklicherweise hinderte ihn der Augenschirm, mich zu beobachten, denn ich wollte um keinen Preis, dass er mich weinen sehe.
Die Börse ist fertig. Aber wie werden wir nun noch zu den stählernen Ringen und Fransen kommen, die daran gehören? Aber ist es nicht der schönste Zweck, dem ich noch sechs Pence opfern will? —
Am 22. —
Am 23. In dem Pächter hause zu Appletreewick. — Zu müde nach unserer gestrigen Anstrengung, um noch ein Wort in mein Tagebuch zu schreiben über die Reise — nach diesem entzückenden Orte, tue ich dies heute, nachdem wir uns hier als Kolonisten niedergelassen haben.
Meine erste Beschäftigung an dem wichtigen Tage der Abreise war nicht der Reise gewidmet, sondern meiner Emilie. Ich kleidete das Kindchen sorgfältig an, damit es die Börse zu dem Doktor trage. — Ich bekleidete sie mit ihrem besten seidenen Röckchen, welches wohl an einigen Stellen geflickt war, doch sie gefiel mir darin! Ihr Strohhütchen erhielt schnell die Bänder von meiner Haube. Zum Schluss bekam sie noch ihres Vaters Halstuch, welches ein kleines Mäntelchen bildete, und so geschmückt trippelte mein kleiner Liebling, mit der Börse in der Hand, fort. Ach, diese lieben kleinen Händchen, sie sind so hübsch, dass ich es fast nicht bedauere, keine Handschuhe für sie zu besitzen. Sie werden sich über die Börse freuen, denn sie ist recht hübsch geworden; statt der stählernen Ringe und Fransen hat sie beides von weißen Perlen erhalten, die ich bei dem Zusammenpacken noch in einer Schachtel fand; sie harmonieren ausgezeichnet mit dem Roth und Blau der Börse. — Wie ich gedacht, der Doktor und sein Töchterchen waren über das Geschenk entzückt; sie beschenkten Emilie mit einem Arbeitskästchen und gaben ihr für ihre kleine Schwester noch eine Schachtel voll Bonbon mit. Das Kind kam mit vor Freude geröteten Wangen von dem Besuche zurück und erfreute ihren Vater mit der Erzählung ihrer kleinen Erlebnisse und besonders freute sie das Lob, welches die Börse erhalten hatte.
Am Nachmittage kam der Wagen, welcher uns und unsere kleine Habe nach Appletreewick bringen sollte. Es war ein schöner warmer Frühlingstag und doch schmerzte es mich tief, als ich sah, wie kränklich und traurig der arme William mit seinem Augenschirme in das wonnige Sonnenlicht blickte, nachdem man ihm in den Wagen geholfen hatte. »Gott mag wissen, Leah,« hub er dann an, »welche Folgen dies Alles für uns haben wird;« dann seufzte er tief und schwer und fiel wieder in seine frühere Schweigsamkeit zurück. Außerhalb der Stadt begegnete uns der Doktor »Glück mit Ihnen,« rief er uns zu, und dabei schwang er seinen Stock und schritt weiter. »Sobald Sie im Pächter hause heimisch geworden sind, werde ich Sie besuchen,« setzte er noch hinzu, und Emilie rief ihm ein Lebewohl nach, indem sie sich mit großer Anstrengung von dem Boden des Wagens aufzurichten suchte, wo sie einen Platz zwischen Bündeln bekommen hatte. Was mein Kind Alles vermag! Der Doktor stand still. Emilie ist sonst nicht sehr gesprächig, aber sie dankte ihm noch einmal für das Arbeitskästchen und für die Bonbon; er küsste dafür ihre Hündchen, reichte ihr mit dem Stock eine Blüte und ging dann erst weiter, und auch wir fuhren fort.
Wie würde mich diese Fahrt erfreut haben, wenn William sie hätte so sehen können wie ich. Freudig atmete Wärme über Feld und Flur, große Schatten flogen über die saftig grünen Wiesen und oben, an dem blauen Sommerhimmel, zogen zuweilen weiße Wolken, wie in feierlicher Prozession still vorüber.
Der Weg war hügelig, daher bat ich den Kutscher, die Pferde nicht so anzutreiben; wir fuhren sehr langsam und kamen auch erst nach einer Stunde bei dem Eingangsthor von Appletreewick an.
Vom 24. Februar bis zum 2. März. — Wir sind nun lange genug hier, um etwas über Ort und Menschen zu wissen. Zunächst von dem Orte: Wo jetzt das Pächterhaus steht, war früher eine berühmte Abtei. Der Turm steht noch, und das große Zimmer, wo die Mönche aßen und tranken, dient jetzt zu einem Kornspeicher. Das Haus scheint einige Zeit als Ruine dagestanden zu haben, denn nur zwei Zimmer sind von der früheren Einrichtung desselben geblieben. Die Kinder belustigen sich in den dunklen Gängen des Hauses und springen die Treppenstufen auf und ab, die zu den Schlafzimmern der Mönche geführt zu haben scheinen. Oft verirre ich mich in dem großen Hause, und der Pächter machte die lustige Bemerkung, er würde mir Wegweiser durch das Haus setzen lassen und zwar von dem Keller bis zu dem Boden. Im Erdgeschosse haben wir ein großes, zugfreies, still und ruhig liegendes Zimmer; es scheint der Einsamkeit gewidmet zu sein, ferner befindet sich darin eine große Halle mit einem Kantine, diese ist so groß, wie unsere beiden Zimmer in der Stadtwohnung. Hier halten wir uns gewöhnlich auf, speisen auch hier, und die Kinder tummeln sich lustig darin herum; auch die Hunde schnüffeln herein, wenn sie von der Kette befreit sind; hier wird der Arbeitslohn ausgezahlt, Besuch empfangen, Speck eingesalzen, hier rauchen die Männer ihre Pfeifchen und nicken auch zuweilen des Abends ein; kurz, diese weite Halle ist in der Tat den verschiedensten Zwecken dienstbar, denn sie ist der bestbesuchte Teil des ganzen Gebäudes und ich bin schon so vertraut mit ihr, als hätte ich meine halbe Lebenszeit in ihr zugebracht.
Von den Türmen aus blickt man auf den Blumengarten, auf Grasplätze, Hinterhof, Taubenhäuser und den Küchengarten. Das Haus ist umgeben von Grasplätzen, die wieder einzeln von Hecken eingefasst sind; hinter den grünen Feldern erheben sich Hügel, die den Horizont begrenzen; aber von dem Fenster unseres Schlafzimmers erblicken wir eine Öffnung in der Hügelreihe und es zeigt sich an der Stelle ein See, je nach dem Wetter gefärbt, zuweilen blau, dann wieder grau, bei Sonnenuntergang mit Feuer gemalt und bei regenreichen Tagen liegt er da, wie mit Silber gedeckt. —
Die Bewohner des Pächterhauses haben das große und seltene Verdienst, dass man geneigt ist, sie um ihre Freundschaft zu bitten, sobald man sie kennen gelernt hat. Sie empfingen uns bei unserer Ankunft, als wenn wir alte Freunde wären, die von einer langen Reise zurückgekehrt seien. Bevor wir zehn Minuten in der Halle verbracht hatten, saß William in dem bequemsten Stuhl und in der gemütlichsten Ecke. Die Kinder hatten Brot und Kuchen erhalten, welches sie, an dem Fenster sitzend, lustig verzehrten. Ich plauderte gemütlich mit der Pächterfrau und hielt dabei die alte Hauskatze auf meinen Knien, während sich Emilie mit den jungen Kätzchen beschäftigte.
Die Familie besteht aus sieben Mitgliedern. Zunächst also von dem Pächter und seiner Frau. Er ist ein großer starker Mann, spricht sehr laut und ist ein sehr tätiger Landwirt Sie ist die lustigste, dickste und beweglichste Sechzigerin, welche ich je kennen lernte. Außer Vater und Mutter sind noch drei Söhne und zwei Töchter im Hause; die beiden älteren Söhne beschäftigen sich mit der Landwirtschaft und der jüngere ist Seemann. Die beiden Töchter strahlen von Jugendfrische und Gesundheit; — doch ich habe mich über sie zu beklagen, denn sie werden mir die Kinder verziehen durch ihre Zärtlichkeit.
Hier an diesem ruhigen Orte, umgeben von guten und gebildeten Menschen, würde ich mich recht glücklich fühlen können, wäre ich nicht durch Williams Augenleiden so gedrückt und traurig, und dann auch durch die Sorge für unsere Zukunft. Nachdem wir den Tag angenehm verbracht haben, nachdem wir Umgang mit heiteren Menschen gepflegt, sagen wir uns oft des Abends, wenn William und ich allein sind: Werden wir die Mittel besitzen, um noch länger als einen Monat in dieser unserer neuen Heimat leben zu können?
Am 3. Es ist heute ein regenreicher Tag, die Kinder sind schwer zu zügeln. William ist in schlechter Gemütsstimmung; vielleicht beeinflusst er mich auch, oder fühle ich nur heute mehr die Mühe, die mir die Kinder verursachen. Wie kommt es? Ich bin heute gerade so traurig gestimmt als an dem Tage, wo mein Mann zum ersten Male den grünen Augenschirm trug. Ich habe heute das Gefühl gänzlicher Hoffnungslosigkeit; — aber warum schreibe ich dies nieder? Man soll ja immer auf den folgenden Tag blicken, wenn der gegenwärtige trübe ist. »Seid tragen und vergessen,« dieses Ausspruchs sollte ich eingedenk bleiben.
Am 4. Der heutige Tag hat die Hoffnung gerechtfertigt, welche ich auf ihn setzte; überall Sonnenschein, selbst in meinem Herzen ist es klarer als gestern. Oh, ich habe nur die Frist eines Monats in meiner Macht, was werden wir nach dem Ablaufe desselben anfangen?
Am 5. Gestern Abend vor der Teestunde überlegte ich, ob es nicht noch andere Mittel gebe, Geld zu verdienen, als durch Williams Augen allein, — und ich glaube, ich habe einen Weg entdeckt, der uns mit dem Nötigen versehen wird, vielleicht gelingt es mir, so viel zu erwerben, dass wir hier bleiben können, bis Williams Augen geheilt sein werden.
Der neue Plan, den ich für unsere Erhaltung entworfen habe, hat mich vor mir selbst um einige Zoll größer gemacht. Ich werde ihn dem Doktor morgen mitteilen, William ist schnell überredet, ich kenne ihn ja, und schließlich mag er sagen was ihm beliebt, ich werde meine Handlungen schon verantworten.
Doch ich teile mit, wie ich zu den neuen Ideen gelangt bin: — Wir hatten eben den Tee getrunken und mein Mann, in besserer Stimmung als gewöhnlich plauderte mit dem jungen Seemann, der hier den Spitznamen »schlechter Wetter Dick« führt. Der Pächter und seine beiden ältesten Söhne hielten ihr gewöhnliches Schläfchen unter der alten Eiche. Die alte Frau strickte und die beiden jungen Mädchen räumten den Teetisch ab; ich selbst war damit beschäftigt, die Strümpfe der Kinder zu stopfen. Allem Anscheine nach war die Situation eine zu alltägliche, um zu neuen Ideen zu beleben, und doch kamen sie mir ungesucht. Die Männer unterhielten sich von der Einrichtung der Seeschiffe und endlich gab der junge Seemann eine Beschreibung von seiner Hängematte, die er sehr zu lieben schien; obgleich er in ihr, in stürmischen Nächten, oft an die harten Schiffswände geschleudert werde.
Als ich dies Alles mit angehört hatte, fragte ich ihn, ob er es nicht doch verziehen würde, auf dem Lande in einem soliden Himmelbett, mit vier festen Füßen ausgestattet, zu schlafen, als in der schwankenden Hängematte. Doch zu meiner Überraschung erwiderte er. dass er niemals besser schlafe, als in seiner Hängematte und dass er in dem besten Bette auf dem Lande alle die Unannehmlichkeiten vermisse, welche Uneingeweihte seiner lieben Hängematte zuschreiben. Die sonderbare Vorliebe der Seeleute für die Hängematte erinnerte meinen Mann an eine Geschichte, welche ihm einst ein Herr mitgeteilt, dessen Portrait er gemalt hatte. Es war eine entsetzliche Geschichte, die sich in einem französischen Spielhaus zugetragen hatte.
»Sie lachen mich gewiss aus, über meine Neigung zu der Hängematte,« fragte der junge Matrose lächelnd zu William gewendet.
»O nein,« entgegnete mein Mann, »Ihre Abneigung für gewöhnliche Himmelbetten erinnert mich sogar daran, dass ich einen Herren kannte, der ganz Ihrer Ansicht über diese Art zu schlafen war.« »
Entschuldigen Sie mich,« sagte Dick, der junge Seemann, »können Sie mir dies nicht in gutem Englisch anschaulich machen, so dass ich es verstehe?«
»Gewiss,« erwiderte mein Mann lachend! »Ich meinte ganz einfach, dass jener Herr, wenn er in einem Himmelbett schlief, sich sehr unheimlich fühlte. Verstehen Sie mich nun?« — »Vollständig,« entgegnete Dick, »und ich bin sehr begierig zu hören, was jenem Herren geschehen ist.« Die alte Frau unterstützte die Bitte ihres Sohnes, die Töchter setzten sich auch zum Zuhören bereit nieder und der alte Pächter erschien auch mit den beiden andern Söhnen, um sich zu uns zu gesellen. Mein Mann sah nun wohl ein, dass er seine Geschichte mitteilen müsse und er begann denn auch bald.
William ist zwar ein vortrefflicher Erzählen ich hörte ihn oft und in vielen Teilen Englands erzählen, aber einen so aufmerksamen und dankbaren Zuhörerkreis, wie den hier zu Appletreewick, hatte er wohl früher nie gehabt; selbst die Leute des Hauses stahlen sich von ihrer Beschäftigung fort und hörten in der Nähe der Tür, unbehelligt von ihrer Herrschaft, aufmerksam zu. Indem ich auch schweigend zuhörte, kam mir plötzlich der Gedanke: Könnte William nicht noch einen größeren Zuhörerkreis für seine Erzählungen gewinnen? Man schreibt ja auch Erzählungen für Bücher, die dann gekauft werden. Wie wäre es denn, wenn wir Williams Erzählungen drucken ließen und sie dann ebenfalls verkauften? Von welch einer großen Angst würde uns eine solche Einnahme befreien! Wir werden so glücklich sein, hier leben zu können, bis Williams Augen geheilt sind. Ich war so freudig bewegt von dem Gedanken, dass ich von meinem Stuhle aufsprang, und ich dachte unwillkürlich daran, dass Newton wie Baron ihre großen Entdeckungen nur etwas Zufälligem zu verdanken gehabt hätten. Ich musste mich zu überwinden suchen, dass ich nicht sogleich William und unsern Freunden hier meine Zukunftspläne mitteilte, aber ich fand, dass es doch besser sei, damit zu warten, bis ich mit William allein sein würde und ich wartete auch.
Als wir gute Nacht gesagt hatten und in unserm Zimmer waren, sagte ich zu William: »ich hörte früher niemals das Abenteuer aus dem französischen Spielhaus so hübsch erzählen. Die Geschichte machte großen Eindruck auf unsere Freunde und zwar in allen ihren Teilen«
Er nahm keine weitere Notiz von dem, was ich sagte, sondern entgegnet mir: »So? schön!« Dann bereitete er das Bad für seine armen kranken Augen, es ist dies stets seine letzte Tagesarbeit.
»Es scheint, alle die Erzählungen sind interessant, die Du in Deiner fünfzehnjährigen Tätigkeit als Maler einsammeltest. Weißt Du vielleicht genau, wie viel Du gehört hast?« fragte ich. — »Nein,« sagte er in einem ganz gleichgültigen Tone und wusch dabei seine Augen mit dem kleinen Schwämmchen ruhig weiter. Ich nahm ihm das Schwämmchen ab und fuhr damit leise über die beiden theuern Augen und fragte: »Denkst Du, dass ich es verstehen würde, Deine hübschen Geschichten niederzuschreiben, wenn Du sie mir noch einmal erzählen würdest?« — »O ja,« erwiderte William, »doch warum diese Frage?« »Weil ich wünsche, dass sie nicht so schnell vergessen werden mögen,« sagte ich. »Ich werde jetzt Dein linkes Auge baden, weil dies des Nachts die meiste Hitze hat,« fügte ich hinzu und nachdem ich verschiedene Versuche gemacht hatte, ihn noch wach zu erhalten, sagte ich plötzlich: »William, ich habe einen Plan, der uns mit so vielem Geld versehen wird, als wir hier nötig haben werden.«
Er warf seinen Kopf plötzlich in die Höhe und sah mich an. »Welchen Plan?« fragte er. »Diesen,« erwiderte ich; »der Zustand Deiner Augen erlaubt es wahrscheinlich nicht, dass Du ferner Deine Malkunst ausübst, ist es nicht so? Was wirst Du nun tun in Deinen unbeschäftigten Stunden? Werde Schriftsteller, teurer Mann, und wir werden so viel Geld verdienen wie wir brauchen, wenn wir ein Buch veröffentlichen.«
»Aber ich bitte Dich, Leah, bist Du von Sinnen?« rief er aus.
Ich legte meinen Arm sanft um seinen Hals und setzte mich auf seinen Schoß, so mache ich es nämlich stets, wenn ich Etwas von ihm erbitten will. »Nun, William,« bat ich »höre mir aufmerksam zu. Ein Künstler unterliegt Zufällen; seine Kunst hängt von dem Gebrauche seiner Augen und Finger ab; ein Schriftsteller dagegen kann sich der Augen und Finger Anderer bedienen. Du bist jetzt in der Lage, solche Dienste annehmen zu müssen, so werde also Schriftsteller. Doch warte und höre weiter! Dein Buch soll alle die Geschichten enthalten, die Du hörtest und die Du so angenehm vorzutragen verstehst. Du wirst sie mir dictiren und ich werde sie niederschreiben; dann wird unser Manuskript gedruckt werden und wir werden das fertige Buch dem Publikum verkaufen, so werden wir Andere unterhalten und uns helfen.«
Mein Mann hatte aufmerksam zugehört und fragte ganz erstaunt: »Wie kommst Du denn zu diesem Plan, Leah?«
»Ich kam darauf, während Du unserm jungen Seemann von dem Abenteuer in dem Spielhaus erzähltest,« erwiderte ich.
»Es ist eine scharfsinnige und kühne Idee,« warf er gedankenvoll ein; »aber es ist ganz etwas Anderes in Freundeskreisen zu erzählen als für das große Publikum; bedenke doch, meine Liebe, dass wir nicht daran gewöhnt sind für die Öffentlichkeit zu schreiben.«
»Das ist wohl wahr,« sagte ich, »aber daran ist Niemand gewöhnt, der erst anfängt, zu schreiben, und gerade die zufällige Literatur hat oft den meisten Erfolg. Wir haben das fertige Material schon unter unsern Händen und wir werden gewiss einen guten Erfolg zu erwarten haben, denn wir werden nur Wahrheiten bieten.«
»Wo finden sich aber bei uns die lebhafte Beschreibung und die überraschenden Reflexionen und noch mehr dergleichen Eigenschaften?« sagte William, seinen Kopf schüttelnd.
»Nirgends!« rief ich aus. »Die Eigenschaften, welche Du als uns fehlend nanntest, besitzen gewöhnlich die Unterhaltungsbücher, die Niemand liest. Überlege nicht so ängstlich, lieber Mann,« sagte ich, als ich sah, dass er wieder seinen Kopf hin und her zu wiegen begann; »ich bin meines Erfolges fast sicher, wenn Du jedoch noch Zweifel hegst, so lass uns diese Angelegenheit einem andern Schiedsrichter vorlegen. — Der Doktor will Dich morgen besuchen. Ich werde ihm sagen, was ich für uns ersonnen habe, Du kannst dabei sein; sein Ausspruch soll dann maßgebend für mich sein.«
William gab lächelnd seine Erlaubnis dazu; »So ging ich denn in bester Stimmung zur Ruhe. Ich hätte den Doktor gewiss nicht zum Schiedsrichter erwählt, wenn ich nicht im voraus gewusst hätte, er würde auf meiner Seite sein.
Am 6. Der Schiedsrichter hat bewiesen. dass ich mich nicht in ihm geirrt habe. Er war schon ganz meiner Ansicht als ich ihm meinen Plan kaum halb mitgeteilt hatte. Von den Schwierigkeiten, welche mein guter Mann machte, wollte er gar nichts hören. »Keine lange Überlegung, Mister Kerby!« rief er lustig aus. »Schnell ans Werk! und das Glück wird folgen! Ich sagte es ja immer, Ihre Frau wiegt so schwer wie Gold, jetzt beweist sie es, darum schnell an die Arbeit!«
»Von ganzem Herzen gern,« sagte William, und es schien, als ergriff ihn unser Enthusiasmus nun schließlich auch; »aber,« setzte er hinzu, »wenn meine Frau und ich geschrieben haben werden, was sollen wir dann mit dem Produkt unserer Tätigkeit anfangen?«
»Das übernehme ich,« antwortete der Doktor, »beendigen Sie nur Ihr Werk und senden Sie mir es dann, ich werde es dem Herausgeber unserer Zeitung vorlegen; er hat mehrere literarische Freunde in London und ist außerdem ganz der Mann, Ihnen tätig beizustehen. Haben Sie schon einen Titel für Ihr neues Buch, Mistreß Kerby?«
Bei dieser Frage erinnerte ich mich dass ich noch nicht daran gedacht habe, dem Buch auch einen Titel zu geben.
»Ein ansprechender Titel ist von großer Wichtigkeit,« sagte der Doktor nachdenklich. »Wir müssen jetzt Alle daran denken! Nun, Mistreß, Kerby, wie wird er heißen?«
»Wir werden gewiss die Arbeit niemals vollenden können,« warf mein Mann ein; »denn, Leah, wie willst Du Zeit finden, die Arbeit die Dir Deine Mutterliebe auferlegt, mit den schriftstellerischen Arbeiten zu vereinen. Du wirst nicht Zeit finden, das niederzuschreiben, was ich Dir diktieren werde.«
»Daran habe ich diesen Morgen auch gedacht,« antwortete ich, »und da habe ich gefunden, dass ich während der Tagesstunden wenig Zeit für Deine Diktate finden werde, wo ich mit dem Waschen, Ankleiden, Unterricht und Spazierengehen der Kinder viel beschäftigt bin, und wo ich auch Nachmittags so gern mit der Pächterin und ihren Töchtern ein Wenig plaudere; aber wenn die Kinder in ihren Bettchen sind, wenn der Pächter und seine Familie lesen, werde ich fast täglich drei Stunden erübrigen können, dann werden wir an unsere schriftstellerische Arbeit gehen — so »nach der Dämmerstunde«.«
»Da ist der Titel!« rief der Doktor laut aus und sprang von dein Stuhle auf, als wäre er von einem Schuss getroffen worden.
»Wo?« rief ich aus und blickte so erstaunt um mich, als wenn ich erwartete, der Titel solle sich mit magischen Schriftzügen über die Wände des Zimmers ausbreiten.
»Er ist in Ihren letzten Worten enthalten,« sagte der Doktor, »Sie sagten ja soeben, dass Sie nur in der Dämmerstunde zu schreiben beginnen wollten; was können wir Besseres tun, als das Buch nach der Zeit benennen, in welcher es geschrieben ist?
»Nennen Sie es getrost: Nach der Dämmerstunde: doch still! Bevor noch Jemand ein Wort darüber verliert, lassen Sie uns sehen, wie dieser Titel auf dem Papier aussieht.«
Ich öffnete meine Schreibmappe in großer Hast. Der Doktor nahm das größte Stück Papier, welches er finden konnte, heraus, ergriff die schönste Feder, die vorhanden war und schrieb mit großen Buchstaben die zauberhaften Worte:
»Nach der Dämmerstunde.«
Wir neigten uns alle drei über das Papier und in atemloser Stille studierten wir den Effekt dieser Worte. William riss den grünen Augenschirm herab und wurde so dem Doktor trotz dessen Anwesenheit, ungehorsam. Nach einem langen Schweigen blickten wir uns einander an, und fanden, dass der Doktor wirklich, schnell und gut, den treffendsten Titel gefunden hatte.
»Ich habe das Titelblatt geschrieben,« sagte unser Freund und nahm seinen Hut, um sich zum Fortgehen zu rüsten, »ich überlasse es jetzt Ihnen, das Buch zu schreiben.« Seitdem habe ich mir nun vier Federn vorbereitet und ein Buch Papier aus dem Laden des Dorfkrämers gekauft.« William denkt über seine Geschichten nach, damit er bis zur Dämmerstunde bereit sei, mir zu diktieren; denn wir wollen diesen Abend unsere neue Tätigkeit beginnen. Mein Herz schlägt und meine Augen glänzen, wenn ich daran denke. Unsere teuersten Interessen sind ja an die Beschäftigung geknüpft, welche wir heute unternehmen wollen.