Die Heirat im Omnibus



Zweites Kapitel.

Mannion! Nicht einen einzigen Augenblick lang hatte ich vermuthet, daß der Brief, den man mir in der Nordvilla gezeigt, von ihm kommen könne. Und dennoch —— die Vorsicht, mit welcher er abgegeben worden, die Person, an welche er adressiert war, das verdächtige Geheimniß, welches sich sogar in den Augen der Dienerin daran knüpfte —— alles Dies führte deutlich auf die Entdeckung, die ich unbegreiflicher Weise nicht sofort gemacht. Umstände, die in meinem Gemüthe eine sofortige Ueberzeugung hätten herbeiführen sollen, hatten mir nicht einmal einen vorübergehenden Argwohn eingeflößt Ich hatte nicht vermuthet, daß ein Brief, welcher den schriftlichen Beweis ihres Verbrechens enthielt, vor meinen Augen abgegeben und dann an Margarethe Sherwin weiter befördert ward.

In welcher seltsamen Verblendung war ich doch befangen! Die Unruhe meines Gemüthes, die Lähmung aller meiner Geisteskräfte beantworteten diese Frage bald genug von selbst.

Robert Mannion! Ich konnte die Augen nicht abwenden von dieser Unterschrift, und dennoch hatte ich diese eng beschriebenen Blätter immer noch in der Hand und beeilte mich nicht, sie zu lesen.

Ein gewisser Grad von Entsetzen, welches mir die persönliche Nähe dieses Menschen eingeflößt haben würde, ward in mir schon durch den Anblick seines Briefes, seines an mich adressierten Briefes erzeugt. Es war mir, als würdigte. ich mich durch das Lesen desselben nicht weniger herab, als wenn ich den Schurken selbst gesehen und wieder ein Gespräch mit ihm angeknüpft hätte.

Sollte ich mich mit Dem beschäftigen, was er sagte, während die Worte der sterbenden Mistreß Sherwin noch so traurig und, feierlich in meinem Herzen widerhallten?

Was enthielt der Brief? Ich hatte mich allerdings durch mich selbst an diesem Menschen gerächt —— er wollte sich nun auch rächen.

Vielleicht war in diesen Zeilen schon die düstere Zukunft angedeutet in welcher wir —— dieser Mann und ich —— uns einen Weg bahnen sollen.«

Und Margarethe, sollte er so viel Zeilen geschrieben haben, ohne von ihr zu sprechen, ohne einen Zipfel des Schleiers zu heben, hinter welchem sich die Beweggründe ihres Verbrechens verbargen? Von welcher Art also auch der Inhalt dieses Briefes sein mochte, so verlangte meine Pflicht eben so wie mein Interesse, ihn zu lesen.

Ich nahm den Brief mechanisch wieder auf und las ihn anfangs mit einem gewissen Grade von Abspannung, wie ein Mensch, der zu viel leidet, um noch mehr leiden zu können.

Plötzlich aber fühlte. Ich eine Bewegung. Es war, als wenn ein Blitz mich durchzuckte. Endlich hatte ich das Geheimniß Mannion’s und das meines Schicksals begriffen.

»Sie haben mir meine Geliebte geraubt,« sagte dieser Elende, »und Ihr Vater hat mir meine Ehre und das Leben meines Vaters geraubt. Durch Sie entstellt und beinahe getödtet, lebe ich nur noch, um Sie zu zwingen, den Rest Ihres Lebens in Schande und Schmach hinzubringen.«

Ihr Vater hat mir meine Ehre, die Ehre und das Leben meines Vaters geraubt.»

Ich erinnerte mich einer düsteren Geschichte, welche meine Kindheit erschreckt hatte, einer Geschichte von einem Edelmann den mein Vater protegirt und bei sich aufgenommen, der ruiniert und in Schulden gestürzt, und zuletzt, weil er mit allen seinen Hilfsquellen fertig war, die Unterschrift meines Vaters nachgemacht hatte, um sich Geld zu verschaffen. Das Falsum war entdeckt worden, mein Vater war unerbittlich gewesen, und die Strafe der Fälscher war damals der Strang. Der Edelmann ward gehängt, und Robert Mannion rächte sich an meinem Vater durch das Unglück seines Sohnes und durch die Beschimpfung seines Namens. Dieser Verstümmelte, dieser Sohn des Gehängten, dieser Geliebte des Weibes, welches ich geheirathet, ward durch alle Wuth und Verzweiflung der Seele gegen mich getrieben.

Der Brief schloß mit den Worten:

»Bald werden wir uns wieder begegnen.«

Dieses ganze Chaos von Schrecknissen, unter weichen ich von dem Morgen dieses Tages an lebte, machte mich so betäubt, daß ich keines klaren Blickes mehr fähig war. Ein zermalmendes Gewicht, ein namenloser Schmerz lasteten auf mir, aber ohne mir Kraft genug zu lassen, um mir Rechenschaft von mir selbst zu geben. Die Lethargie aller Geisteskräfte, in welche ich versenkt war, glich der Letharagie des Todes selbst.

Ich versuchte meine Gedanken aufzuklären und zu concentriren, indem ich an andere Dinge dachte, aber ohne Erfolg. Alles, was ich seitdem Morgen gehört und gesehen, schwebte mir nur auf immer verworrener Weise vor den Augen. Die letzten Worte meines Vaters, als ich ihn auf immer verlassen, mischten sich auf die widersinnigste Weise mit den gemeinen Worten Mr. Sherwin’s, mit denen, welche seine sterbende Gattin gesprochen, ja sogar mit gewissen Ausdrücken des Briefes Mannion’s, deren Erinnerung mein Gedächtniß unwillkürlich bewahrte.

Ich konnte keinen Plan fassen, weder für die Zukunft noch für die Gegenwart.

Ich wußte nicht mehr, wie ich der, letzten Drohung, die Mr. Sherwin gegen mich ausgesprochen, die Spitze bieten sollte, der Drohung, daß er mich zwingen werde, seine verbrecherische Tochter als mein Weib anzuerkennen und zu behalten. Eben so wenig wußte ich, wie es mir gelingen würde, mich gegen die Feindseligkeiten zu vertheidigen, mit welchen Mannion mir drohte.

Endlich ward ich mir der Verwirrung bewußt, die in meinen Gedanken herrschte —— meiner gänzlichen Verlassenheit und der furchtbaren Nothwendigkeit, die mich zu sofortiger Thätigkeit zwang, eben so wie der Unfähigkeit in der ich mich befand, ihnen, was die Gegenwart betraf, mich entgegen zu stellen.

Alles Dies begann auf seltsame Weise meine Einbildungskraft zu afficiren. Ein Gefühl von Furcht und Bangigkeit, dessen Ursache ich nicht vollkommen erkannte, beschlich mich in geheimnißvoller, unwiderstehlicher Weise. Der Glanz des Tages erschien mir zu lebhaft, der Ort, an welchem ich mich befand, zu einsam; diese Vereinsamung berührte mich schmerzlich.

Ich empfand den sehnlichen Wunsch, mich wieder unter dem wimmelnden Treiben Londons zu sehen. Ich kehrte mit raschen Schritten nach der Vorstadt zurück, indem ich, ich weiß selbst nicht warum, alle abgelegenen Orte mied und instinctartig die geräuschvollsten Straßen aufsuchte, ohne irgend einen festen Entschluß zu haben.

Der Abend brach schon ein, als ich eine der Hauptstraßen der Stadt erreichte. Als ich einige Bewohner an ihren geöffneten Fenstern sitzen sah, um frische Luft zu schöpfen, fragte ich mich zum ersten Male an diesem Tage, wo ich diese Nacht mein Haupt zur Ruhe niederlegen würde Ich hatte keine Heimath mehr.

Allerdings fehlte es mir nicht an Freunden, welche mich gern bei sich aufgenommen hätten, aber hätte ich diese aufsuchen wollen, so hätte ich mich auch in die Nothwendigkeit versetzt gesehen, ihnen wenigstens zum Theil das Geheimniß meines Unglücks mitzutheilen, und dieses Geheimniß war ich entschlossen, streng zu bewahren, wie ich meinem Vater versprochen.

Mein einziger und letzter Trost war, daß ich den Willen, es lieber auf alle möglichen Gefahren ankommen zu lassen als diesem heiligen Versprechen untreu zu werden, stark und unerschütterlich in mir fühlte.

Ich dachte daher nicht weiter daran, einen meiner Freunde um Hilfe oder Sympathie anzugehen. Ich war wie ein Fremdling aus dem Hause meines Vaters verbannt worden und entschlossen, fern von meiner Familie zu leben, bis ich gelernt hätte, durch Energie und Ausdauer mein Unglück zu, besiegen.

Nachdem ich einmal diesen Entschluß gefaßt, ließ ich meine Augen umherschweifen, um das Obdach zu entdecken, für welches ich zum ersten Male fremde Menschen bezahlen; würde. Je bescheidener dieses Obdach war, desto mehr mußte es mir zusagen.

Zufällig,befand ich mich in diesem Augenblicke in der längsten Straße eines der ärmsten Stadttheile, wo die Häuser sehr wenig Etagen hatten und die Kaufläden einen erbärmlichen Anblick darboten. An solchen Orten ein zur Vermiethung stehendes Zimmer zu finden, war nicht schwer. Ich nahm das erste, was ich sah, umging die Fragen nach meinem Namen und Stande, indem ich meine Miethe auf eine Woche vorausbezahlte, und trat hierauf in den Besitz des einzigen kleinen Zimmers welches ich mich entschloß, für die Zukunft, vielleicht auf lange Zeit, als meine Heimath zu betrachten.

Als meine Heimath! Eine theure, schmerzliche Erinnerung erwachte bei den Gedanken, welche dieses einfache Wort in mir erregte. Durch meine unruhigen, verworrenen Gedanken hindurch, durch meine düstersten Ahnungen des Unglücks, welches die Zukunft mir noch bringen mußte, der verborgenen Gefahren, die meiner harrten, durch die schwarze Nacht hindurch, welche sich vor meinem Geiste immer dichter und dichter herabsenkte, fiel jetzt zum ersten Male ein reiner Lichtstrahl, die Vorbedeutung des Morgens, das heitere, sanfte Licht des Antlitzes, auf welchem mein letzter Blick geweilt, als es bewußtlos in den Armen meines Vaters ruhete.

Clara! Das Lebewohl, welches ich ihr zugeflüstert, als ich ihre weichen Arme, die mich für immer an den häuslichen Herd fesseln zu wollen schienen, von meinem Halse losmachte, dieses Lebewohl, sage ich, enthielt ein Versprechen, welches ich noch nicht erfüllt.

Eine furchtbare Qual bereitete mir der Gedanke an die Unruhe, deren Beute meine Schwester nothwendig sein mußte. Da sie nicht wußte, nach welcher Richtung hin ich, als ich das Haus verlassen, meine Schritte gelenkt, so dachte sie ohne Zweifel auch an die Extreme, zu welchen die Verzweiflung mich treiben konnte. War sie wohl überzeugt, mich jemals wieder zu sehen.

Vor allen Dinge mußte ich daher mein Versprechen halten, ihr zu schreiben.

Mein Brief war sehr kurz? Ich gab ihr die Adresse meiner gegenwärtigen Wohnung, denn ich war überzeugt, daß nur eine positive Mittheilung in dieser Beziehung ihre Unruhe beschwichtigen könne. Ich bat sie, mir zu antworten und mir, wo möglich, über sich die besten Nachrichten zu geben, die ich wünschen konnte. Ich bat sie ferner, uneingeschränktes und volles Vertrauen zu meiner Geduld und zu meinem Muthe unter allen Drangsalen und Prüfungen zu haben, und überzeugt zu sein, daß ich, was auch geschehen möchte, die Hoffnung, sie bald wiederzusehen, niemals aufgeben würde. Von den Gefahren, die sich im Dunkel vorbereiteten, von dem Unglücke, welches noch über mich hereinbrechen konnte, sprach ich kein Wort, denn ich hatte mir vorgenommen, ihr die entsetzliche Wirklichkeit meiner Situation so lange als möglich zu verbergen. Sie hatte für mich und um meinetwillen schon so Viel gelitten, daß ich nicht, ohne zu schaudern, daran denken konnte.

Ich sendete meinen Brief durch einen Commissionär ab, um überzeugt zu sein, daß er sofort abgegeben würde. Indem ich diese einfachen Zeilen schrieb, war ich weit entfernt, die wichtigen Resultate zu ahnen, welche sie bestimmt waren hervorzubringen. Indem ich an den folgenden Tag und an alle Ereignisse dachte, welche dieser herbeiführen sollte, dachte ich doch nicht an die Ueberraschung, welche mir für diesen selben Morgen vorbehalten«war, und während dieser Nacht, die nur eine lange Schlaflosigkeit war, ließ ich mir nicht träumen, welche Stimme mir guten Morgen wünschen und welche Hand mit dem Gefühle der ächten Theilnahme und Freundschaft die meine drücken, würde.


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