Herr Lismore und die Witwe
V.
Was Doktor Johnson »die Unverschämtheit des Reichtums« nennt, erscheint weit häufiger in den Häusern der Reichen als in ihrer Lebensart. Die Ursache liegt auf der Hand. Persönliches Prunken ist genau genommen lächerlich. Aber der Aufwand mit prächtigen Gemälden, kostbarem Porzellan und herrlichen Möbeln kann guten Geschmack erzeugen, um ihn zu leiten, und er kann sich behaupten, ohne einem Wort der Geringschätzung oder einem Blick der Verachtung sich auszusetzen.
Wenn ich eine Million besitze, und wenn ich sie sterbend zeigen will, bitte ich nicht, nach mir selbst zu sehen, ich bitte, nach meinem Hause zu schauen.
Als Lismore seinem Versprechen gegen Frau Callender nachkam, entdeckte er, dass Reichtum in Fülle und doch mit Maß verwendet werden könne. Indem er den Korridor durchschritt und die Treppe hinaufstieg, wurde seine Aufmerksamkeit, wohin er nur blickte, unmerklich gefesselt von Proben eines Geschmackes, der nicht zu kaufen ist, und eines Reichtums, der zwar seine Börse gebraucht, aber niemals sie zeigt.
Von einem Diener in den ersten Stock geleitet, fand er eine Kammerfrau an der Tür des Empfangszimmers, um ihn anzumelden. Frau Callender ging ihrem Gast entgegen, um ihn zu begrüßen; sie war in einfachem Abendanzuge, der ihrem Alter vollständig entsprach. Alles, was am Tage in ihrem feinen Gesicht Spuren von Ermüdung und Blässe erkennen ließ, war jetzt beim gedämpften Licht der Lampen in ein mildes Halbdunkel zurückgetreten. Herrlicher Schmuck, der in mattem Glanze vom einfach gehaltenen Hintergrund sich abhob, umgab sie. Der äußere Glanz ist der stärkste aller Eindrücke von außen, so lange er andauert. Für den Augenblick verfehlte die Szene ihre Wirkung auf Lismore nicht, trotz der schrecklichen Angst, die ihn verzehrte. Frau Callender hatte sich auf seinem Geschäftszimmer als eine Frau gezeigt, die über ihren eigentlichen Wirkungskreis hinausgeschritten war. Frau Callender war in ihrem Hause eine Frau, die ihm nun von einer ganz neuen Seite erschien.
»Ich fürchte, Sie danken mir nicht, dass ich Sie genötigt habe, Ihr Versprechen zu halten«, sagte sie mit freundlicher Stimme und ihrem anziehenden Lächeln.
»Im Gegenteil, ich bin Ihnen verbunden«, erwiderte er; »Ihr schönes Haus und Ihr liebenswürdiger Empfang haben mich vermocht, meinen Kummer zu vergessen – für eine Weile.«
Das Lächeln verschwand von ihrem Gesicht. »Dann ist es wahr«, sagte sie ernst. »Nur zu wahr.«
Sie führte ihn zu einem Sitz neben sich und hielt inne, bsi der Tee aufgetragen war.
»Haben Sie meinen Brief in demselben freundschaftlichen Sinne gelesen, in dem ich ihn schrieb?« fragte sie, als sie wieder allein waren.
»Ich danke Ihnen für Ihren Brief, aber -«
»Aber Sie wissen noch nicht, was ich zu sagen habe. Lassen wir uns einander verstehen, bevor wir uns irgendwelche Einwendungen machen. Wollen Sie mir sagen, welches Ihre gegenwärtige Lage ist, im schlimmsten Falle? Ich kann und will meinerseits offen sprechen, sofern Sie mich mit Ihrem Vertrauen beehren wollen. Aber nur, wenn Sie dies nicht in Verlegenheit setzt«, fügte sie hinzu, indem sie ihn aufmerksam beobachtete.
Er war in seiner Unschlüssigkeit verlegen, bis er sie endlich zufriedenstellte.
»Verstehen Sie mich vollständig?« fragte er, als er ihr die ganze Wahrheit ohne Rückhalt dargelegt hatte.
Sie wiederholte kurz seinen Bericht.
»Wenn Ihr längst fälliges Schiff innerhalb eines Monats wohlbehalten zurückkehrt, können Sie das Geld, das Sie nötig haben, ohne Schwierigkeit annehmen. Wenn das Schiff verloren ist, haben Sie am Ende des Monats keine andere Wahl, als ein Darlehen von mir anzunehmen oder Ihre Zahlungen einzustellen. Ist das der genaue Sachverhalt?«
»So ist es.«
»Und die Summe, die Sie brauchen, ist – zwanzigtausend Pfund?«
»Ja.«
»Ich habe zwanzigmal so viel Geld, Herr Lismore, zu meiner alleinigen Verfügung – unter einer Bedingung.«
»Die Bedingung, auf die Sie in Ihrem Briefe anspielten?«
»Ja.«
»Hängt die Erfüllung derselben in irgendeiner Weise von meiner eigenen Entscheidung ab?«
»Sie hängt ganz von Ihnen ab.«
Die Antwort verschloss ihm die Lippen.
Ruhig und mit fester Hand goss sie selbst ihm eine Tasse Tee ein.
»Ich verschweige sie noch«, sagte sie, »aber ich bitte Sie, Vertrauen zu haben. Diese hier (sie zeigte auf die Tasse) ist die Freundin der Frauen, seien sie reich oder arm, wenn sie in Sorge sind. Was ich jetzt zu sagen habe, nötigt mich, mein eigenes Lob zu sprechen. Das ist mir peinlich; lassen Sie mich so schnell als möglich darüber hinweggehen. Mein Gemahl liebte mich sehr; er hatte das unbedingteste Vertrauen in meine Besonnenheit und mein Pflichtgefühl gegen ihn und gegen mich selbst. Seine letzten Worte, ehe er starb, waren Worte, die mir dafür dankten, dass ich das Glück seines Lebens gewesen sei. Sobald ich mich von dem Schmerz, der mich betroffen, wieder etwas erholt hatte, legte sein Anwalt und Testamentsvollstrecker eine Abschrift seines Testamentes vor und sagte, dass zwei Klauseln in demselben seien, bezüglich deren mein Gemahl den Wunsch ausgedrückt habe, dass ich sie lesen möchte. Natürlich gehorchte ich ihm.«
Sie beherrschte noch ihre Aufregung – aber sie war unfähig, sie zu verbergen. Lismore machte einen Versuch, sie zu schonen.«
»Bin ich dabei interessiert?« fragte er.
»Ja. Bevor ich Ihnen sage, warum, möchte ich wissen, was Sie tun würden – in einem gewissen Falle, an den nur zu denken mir peinlich ist. Ich habe von Männern gehört, die die an sie gestellten Forderungen nicht bezahlen konnten, aber wieder ein Geschäft anfingen und Erfolge hatten und so im Laufe der Zeit ihre Gläubiger bezahlten.«
»Und Sie wollen wissen, ob irgendeine Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass ich deren Beispiel folge?« fragte er. »Haben Sie auch von Männern gehört, die jene wiederholte Anstrengung machten, sich aber wieder täuschten und ihre Schulden verdoppelten? Ich kannte einen von jenen Männern selbst. Er beging Selbstmord.«
Sie legte ihre Hand einen Augenblick in die seine. »Ich verstehe Sie«, sagte sie. »Wenn der Untergang kommt –«
»Wenn der Untergang komnmt«, fiel er ihr in die Rede, »kann ein Mann ohne Geld und ohne Kredit nur eine Sühne geben. Sprechen Sie jetzt nicht davon!«
Sie blickte ihn mit Entsetzen an.
»Ich meinte das nicht!« sagte sie.
»Wollen wir zu dem zurückkehren, was Sie in dem Testamente lasen?« sagte er leise.
»Ja – wenn Sie mir eine Minute Zeit geben wollen, um mich zu fassen.«
Vorheriges Kapitel
Nächstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis für diese Geschichte