Fräulein Minna und der Reitknecht



I.

Ich höre, dass die „anstößige Geschichte meiner Aufführung“ auf dem Balle allgemein verbreitet wurde und dass die öffentliche Meinung (unter den Damen) im ganzen Saale dafür hielt, dass ich mich entehrt hätte.

Aber in diesem Chore allgemeiner Verdammung gab es doch eine abweichende Stimme. Sie, gnädige Frau, sprachen mit dem ganzen Gewichte Ihres ausgezeichneten Rufes und Ihres hohen Ranges. Sie sagten: „Die junge Dame, die der Gegenstand tadelnder Bemerkungen ist, ist mir persönlich fremd. Wenn ich also mich einzumischen wage, so geschieht es nur, um Sie daran zu erinnern, dass jede Sache ihre zwei Seiten hat. Darf ich fragen, ob Sie gewartet haben, ein Urteil zu fällen, bis Sie gehört haben, was die Angeschuldigte zu ihrer eigenen Verteidigung zu sagen hat?“

Diese gerechten und edlen Worte brachten, wenn ich recht unterrichtet bin, eine Totenstille hervor. Nicht eine der Frauen, die mich verdammt hatten, hatte meine Verteidigung gehört. Nicht eine wagte, Ihnen zu antworten.

Wie ich in der Meinung von Leuten, wie diese, stehe, ist mir vollkommen gleichgültig. Mein einziges Bestreben ist, zu zeigen, dass ich Ihres rücksichtsvollen Eintretens für meine Person nicht ganz unwürdig bin. Wollen Sie mir die Ehre erweisen, zu lesen, was ich in diesen Blättern für mich selbst zu sagen habe.

Ich will so schnell wie möglich über die Verhältnisse meiner Familie hinweggehen und es aus Gründen der Dankbarkeit und Ehre unterlassen, in meiner Erzählung Zunamen zu nennen.

Mein Vater war der zweite Sohn eines englischen Edelmanns. Eine deutsche Dame war seine erste Frau und meine Mutter. Nachdem er Witwer geworden war, heiratete er zum zweitenmal; die zweite Frau war eine Amerikanerin von Geburt. Sie fasste die Abneigung einer Stiefmutter gegen mich – welche ich, wie ich gestehen muss, einigermaßen wenigstens verdiente.

Als das neuvermählte Paar nach den Vereinigten Staaten ging, ließ es mich nach meinem eigenen Wunsche in England zurück, um dort unter dem Schutze meines Oheims, eines Generals zu leben. Die Ehe dieses guten Mannes war kinderlos geblieben und seine Frau (Frau Claudia) war, vielleicht aus diesem Grunde, ebenso bereitwillig, wie ihr Gatte, mich in der Eigenschaft einer Adoptivtochter bei sich aufzunehmen. Ich darf hier noch hinzufügen, dass ich den Taufnamen meiner deutschen Mutter Wilhelmina führe. Alle meine Freunde pflegten zu der Zeit, da ich noch Freunde hatte, in Minna abzukürzen. Erweisen Sie mir die Freundschaft, mich auch Minna zu nennen.

Wollen Sie nach diesen wenigen einleitenden Worten sich gedulden, wenn ich versuche, Sie mit meinem Oheim und meiner Tante besser bekannt zu machen, und wenn ich auf Umstände anspiele, die mit meinem neuen Leben verbunden sind und die, wie ich fürchte, meinen Charakter zum Schlimmeren veränderten?


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