Die Heirat wider Willen



I

Die Gäste würden sich über ihren Besuch im Landhause des Baron Peter gefreut haben — wäre nicht Herr Cosway gewesen.

Und was die Sache noch schlimmer machte, nicht Herr Cosway war es, sondern die Gäste, die zu tadeln waren. Sie wiederholten in größerem Maßstabe die alte Geschichte von Adam und Eva. Die Frauen sündigten zuerst, und sie waren es, die dann die Männer verführten.

Herr Cosways schlimmster Feind hätte nicht leugnen können, dass er ein schöner, wohlerzogener, anspruchsloser Mann war. Kein Geheimnis irgendwelcher Art heftete sich an seine Person. Er hatte den Dienst in der Marine als seinen Beruf erwählt — war dessen aber nach einer Dienstzeit von einigen Jahren überdrüssig geworden — und lebte nun von dem bescheidenen Einkommen, das ihm nach dem Tode seiner Eltern zuteil geworden war. Aus diesem wenig versprechenden Material baute nun die lebhafte Phantasie der Frauen einen Roman auf. Die Männer machten nur die Wahrnehmung, dass Herr Cosway ziemlich schweigsam und gedankenvoll sei, dass er es mit dem Lachen nicht eilig habe und dass er lange Spaziergänge allein zu machen pflege.

Harmlose Gewohnheiten sicherlich!

Und doch erregten sie die Neugier der Frauen als Zeichen eines Geheimnisses in Cosways vergangenem Leben, in dem irgendein unbekanntes, geliebtes Wesen eine Hauptrolle gespielt haben musste.

Natürlich näherte sich ihm weiblicher Einfluss vorsichtig auf Umwegen und versuchte, ihn dazu zu bringen, sein Herz zu öffnen und die Geschichte seines Kummers zu erzählen. Aber mit vollendeter Höflichkeit wies er die Neugier zurück und behielt das vermutete Geheimnis für sich. Das schönste Mädchen im Hause wäre bereit gewesen, mit seinem Vermögen sich ihm zum Troste anzubieten, wenn dieser unergründliche Junggeselle sie nur in sein Vertrauen hätte ziehen wollen. Er lächelte traurig und ging im Gespräche auf einen anderen Gegenstand über.

Nachdem die Frauen in ihren Hoffnungen bis jetzt getäuscht worden waren, nahmen sie zu einem anderen Hilfsmittel ihre Zuflucht.

Einer der im Hause sich aufhaltenden Gäste, ein ehemaliger Offizier in der Marine und ein Kamerad Cosways war sein intimer Freund. Dieser wurde nun ebenfalls in vorsichtiger Weise ausgeforscht, wie es bereits bei seinem Freunde erfolglos geschehen war. Mit unerschütterlicher Gemütsruhe aber verwies er die Damen, eine nach der anderen, an Herrn Cosway. Sein Name war Stein, und die Damen waren der Meinung, dass er dieses Namens würdig sei.

Das letzte Hilfsmittel, das unseren schönen Freundinnen übrig blieb, war, das schlummernde Interesse der Männer zu wecken und dem intimen Verkehr des Rauchzimmers die Aufklärung zu überlassen, die sie auf andere Weise nicht zu erlangen vermochten.

Bei der Ausführung dieses Vorhabens verdankten sie den außerordentlichen Erfolg, der ihre Anstrengungen belohnte, einer günstigen Lage der Dinge im Hause: die Jagd war unergiebig, der Billardtisch wurde einer Ausbesserung unterzogen, und unter den Gästen gab es nur zwei wirklich geschickte Whistspieler. In einer solchen Atmosphäre der Langeweile wurden die Männer nicht allein von der Neugier der Frauen ergriffen, nein, sie zeigten sogar das Verlangen, dem Geschwätz der Dienstbotenstube zu lauschen, das dann von den Kammerjungfern auch ihren Herrinnen hinterbracht wurde.

Es dauerte nicht lange, und die Folgen einer solchen wirklich niedrigen Gesinnung zeigten sich deutlich.

Wäre nicht ein günstiges Ereignis eingetreten, so würde Herr Cosway, als er an einem Morgen die Gesellschaft beim Frühstück traf, wahrgenommen haben, bis zu welchem Grade von unanständiger Neugier Müßiggang und Torheit auch solche Leute führen kann, die zu den Gebildeten gezählt sein wollen. Die Zeitungen liefen ein, ehe noch die Gäste sich vom Tische erhoben hatten. Baron Peter überreichte eine davon der Dame, die ihm zur Rechten saß.

Es bedarf nicht der Erwähnung, dass sie zuerst nach der Liste der Geburten, Sterbefälle und Heiraten sah; dann aber wandte sie sich zu den allgemeinen Neuigkeiten — Feuersbrünsten, Unglücksfällen, Reisen von Personen aus höheren Ständen u.s.w. Nach einigen Minuten ließ sie die Zeitung unwillig in den Schoß fallen.

»Hier ist noch ein unglücklicher Mann« sagte sie, »der der Dummheit der Frauen geopfert worden ist! Wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre, ich würde die Kunst des Schwimmens dazu benutzt haben, mich zu retten, und hätte es den Frauen überlassen, auf den Grund des Stromes zu fahren, wie sie es verdienten!«

»Vermutlich ein Unfall auf einem Boote?« sagte Baron Peter.

»Ach ja — die alte Geschichte. Ein Herr nimmt zwei Damen in ein Boot. Diese werden nach einer Weile unruhig und fühlen das unsinnige Verlangen, die Plätze zu wechseln. Das Boot stürzt natürlich um, und der arme Mann, der sie zu retten versucht, ertrinkt mit ihnen trotz

aller seiner Anstrengungen. Abscheulich! Abscheulich!«

»Sind Namen genannt?«

»Ja. Sie sind mir alle fremd; ich spreche nur von der Sache.«

Indem die Dame derart ihre Meinung äußerte, händigte sie unwillig die Zeitung an Cosway aus, der ihr zufällig am nächsten saß. »Als Sie in der Marine dienten« fuhr sie fort, »war sicherlich Ihr Leben auch der Gefahr ausgesetzt, wenn Sie Frauen ins Boot nahmen. Lesen Sie es selbst und lassen Sie sich’s für die Zukunft zur Warnung dienen.«

Herr Cosway überblickte den Bericht des Vorfalls — und tat das romantische Geheimnis seines Lebens in dem ergebungsvollen Ausruf kund: »Gott sei Dank, meine Frau ist ertrunken!«

II

Wenn ich sage, dass Baron Peter und seine Gäste vor Erstaunen sprachlos waren, als sie auf diese Weise erfuhren, dass Herr Cosway ein verheirateter Mann sei, so habe ich damit noch sehr wenig gesagt.

Der allgemeine Eindruck schien der zu sein, dass er verrückt sei. Seine Tischnachbarn zogen sich, mit Ausnahme seines Freundes, alle von ihm zurück. Herr Stein blickte auf die Zeitung, drückte Herrn Cosway in stiller Teilnahme die Hand — und wandte sich an den Gastgeber.

»Erlauben Sie mir, dass ich für meinen Freund spreche« sagte er, »bis er die nötige Ruhe gefunden hat, für sich selbst einzutreten. Die Umstände sind so außergewöhnlicher Art, dass ich annehmen darf, ihn durch sie entschuldigt zu sehen. Wollen Sie uns erlauben, mit Ihnen privatim zu sprechen?«

Baron Peter öffnete, indem er sich mit einer Entschuldigung an seine Gäste wandte, die Tür, die zu seiner Studierstube führte. Herr Stein nahm Herrn Cosways Arm und ging mit ihm aus dem Zimmer. Cosway achtete auf niemand, sprach mit niemand — und bewegte sich nur mechanisch fort wie ein Nachtwandler.

Nach Verlauf einer Stunde, für die Zurückbleibenden eine unerträgliche Zeit, kehrte Baron Peter allein in das Frühstückszimmer zurück. Herr Cosway und Herr Stein waren mit ihres Gastgebers vollständigem Einverständnis bereits nach London abgereist.

»Es ist in mein Belieben gestellt« fuhr Baron Peter fort, »Ihnen wieder zu erzählen, was ich in meiner Studierstube gehört habe. Ich will dies tun unter der einen Bedingung — dass Sie alle sich auf Ehrenwort verpflichtet betrachten, die wahren Namen und die wirklichen Orte nicht zu nennen, wenn Sie die Geschichte anderen erzählen.«

Unter diesem klugen Vorbehalte wird die Geschichte hier von einem aus der Gesellschaft wieder erzählt. Dieser findet, wenn er darüber nachdenkt, wie er seine Aufgabe aufs vorteilhafteste lösen könne, dass die Ereignisse, welche Herrn Cosways unglücklicher Heirat vorausgingen und ihr folgten, sich in gewisse wohlmarkierte Teile bringen lassen. Indem er diese Einteilung zu Grunde legt, erzählt er die Geschichte wie folgt:



Kapiteltrenner

Erster Zeitabschnitt in Cosways Leben

Die Abfahrt Ihrer Majestät Schiff Albicorn wurde durch die ernste Krankheit des Kapitäns verzögert. Ein Mann, der keinen politischen Einfluss besaß, würde auf den bedenklichen Bericht des Arztes hin durch einen anderen Kommandanten ersetzt worden sein. Im vorliegenden Falle aber zeigten sich die Herren im Marineministerium als ein Muster von Geduld und Teilnahme Sie hielten das Schiff im Hafen zurück und warteten des Kapitäns Wiederherstellung ab.

Unter den jüngeren Offizieren in minder wichtigen Stellungen, die unter diesen Umständen an Bord nicht nötig waren und demgemäß leichten Urlaub erhielten, um auf dem Lande weitere Ordre abzuwarten, befanden sich auch zwei junge Männer im Alter von 22 und 23 Jahren, die unter den Namen Cosway und Stein bekannt waren.

Das Ereignis, durch das sie uns jetzt bekannt werden, nimmt seinen Anfang in einem bedeutenden Seehafen an der Südküste Englands und zeigt uns die beiden jungen Herren am Mittagstische in einem Privat-Zimmer ihres Gasthofes.

»Ich glaube, dass wir die letzte Flasche Champagner entkorkt haben« sagte Cosway. »Lass uns noch eine versuchen. Du bist der Schelle am nächsten, Stein. Schelle!«

Stein zog die Schelle, aber er machte seine Bedenken geltend. Er war der ältere von beiden und ein Muster von Besonnenheit.

»Ich fürchte, dass unsere Rechnung schrecklich aufläuft« sagte er. »Wir sind länger als drei Wochen hier gewesen —«

»Und wir haben uns nichts versagt« fügte Cosway hinzu. »Wir haben wie Fürsten gelebt. Kellner, noch eine Flasche Champagner! Wir haben unsere Reitpferde, unsere Wagen, die beste Loge im Theater und Zigarren, wie sie London selbst nicht liefern kann. Das heiße ich den höchsten Vorteil aus dem Leben ziehen. Probiere einmal die neue Flasche! Herrliches Getränk, nicht wahr? Warum hat denn nur mein Vater keinen Champagner auf seinem Familientische?«

»Ist dein Vater ein reicher Mann, Cosway?«

»Ich könnte es nicht sagen. Er gab mir nichts als das gehoffte Geld, als ich ihm Lebewohl sagte — und ich glaube sogar, er ermahnte mich beim Abschiede ernstlich, mit ihm recht sparsam umzugehen. ‚Du bekommst keinen Heller mehr‘, sagte er, ‚bis euer Schiff von seiner Fahrt nach Südamerika wieder zurückkehrt.‘«

»Dein Vater ist ein Geistlicher, Stein.«

»Ja, und was willst du damit sagen?«

»Nun, einige Geistliche sind reich.«

»Mein Vater ist keiner von diesen, Cosway.«

»Dann lass uns nicht mehr von ihm sprechen. Schenke dir selbst ein und reiche mir dann die Flasche.«

Anstatt dieser Aufforderung zu folgen, erhob sich Stein mit sehr ernster Miene und zog noch einmal die Schelle.

»Bitten Sie die Wirtin heraufzukommen« sagte er, als der Kellner erschien.

»Was willst du mit der Wirtin?« fragte Cosway.

»Ich wünsche die Rechnung.«

Die Wirtin — eine Frau Pounce — betrat das Zimmer. Sie war Witwe, von kleiner Statur, alt, wohlbeleibt und geschminkt.

Leute, die Charaktere studieren, wie solche im Gesicht ausgeprägt sind, würden Bosheit und List in ihren glänzenden kleinen schwarzen Augen und ein heftiges, rachsüchtiges Gemüt in den Linien ihrer dünnen roten Lippen wahrgenommen haben. Die beiden jungen Offiziere waren solch feiner Unterscheidungen nicht fähig und gingen daher in ihren Ansichten über Frau Pounce weit auseinander. Cosways sorgloser, heiterer Sinn gefiel sich in der Behauptung, dass er verliebt in sie sei. Stein hatte dagegen von Anfang an eine Abneigung gegen sie gefasst. Als sein Freund nach deren Grunde fragte, gab er eine merkwürdig dunkle Antwort.

»Erinnerst du dich jenes Morgens, als du im Walde die Schlange tötetest?« sagte er. »Ich fasste eine Abneigung gegen die Schlange.«

Cosway stellte keine weiteren Fragen an ihn.

»Nun, meine jungen Helden« rief Frau Pounce, die immer laut, immer heiter und immer zutraulich gegen ihre Gäste war, »was wünschen Sie denn von mir ?«

»Nehmen Sie ein Glas Champagner, mein Liebchen« sagte Cosway, »und lassen Sie mich versuchen, ob ich meinen Arm um Ihre Taille legen kann. Das ist alles, was ich von Ihnen wünsche.«

Die Wirtin ließ diese Bemerkung unerwidert vorübergehen. Obgleich sie zu beiden gesprochen hatte, blieben doch ihre kleinen, listigen Augen von dem Augenblicke ihres Eintritts an auf Stein haften. Instinktmäßig erkannte sie den Mann, der sie nicht leiden mochte — und sie wartete bedächtig auf Steins Antwort.

»Wir sind eine Zeitlang hier gewesen« sagte dieser, »und Sie würden uns verpflichten, Madame, wenn Sie uns die Rechnung geben wollten.«

Frau Pounce öffnete mit einem Ausdruck unschuldiger Überraschung weit die Augen. »Ist der Kapitän wieder gesund und müssen Sie heute abend an Bord gehen?« fragte sie.

»Nichts von alledem!« warf Cosway dazwischen. »Wir haben keine Nachricht von dem Kapitän und gehen heute abend ins Theater.«

»Aber« wiederholte Stein, »wir wünschen die Rechnung zu haben, wenn es beliebt.«

»Gewiss, verehrter Herr« sagte Frau Pounce, indem sie plötzlich eine ehrerbietige Miene annahm. »Aber wir sind drunten sehr beschäftigt und hoffen, dass Sie uns heute abend nicht drängen werden.«

»Natürlich nicht!« rief Cosway.

Frau Pounce verließ augenblicklich das Zimmer, ohne auf eine weitere Bemerkung von Cosways Freund zu warten.

»Ich wünschte, wir wären in ein anderes Haus gegangen« sagte Stein. »Merke dir, was ich sage, diese Frau will uns betrügen.«

Cosway äußerte seine abweichende Meinung in der freundlichsten Weise. Er füllte das Glas seines Freundes und bat ihn, doch von Frau Pounce nicht solche böse Dinge zu reden.

Aber das gewöhnlich so sanfte Gemüt Steins schien nun einmal erregt zu sein; er beharrte auf seiner Ansicht. »Sie ist unverschämt und neugierig, wenn sie nicht geradezu unredlich ist« sagte er. »Was für ein Recht hat sie, dich zu fragen, wo wir zu Hause wohnten; und welches unsere Vornamen seien; und wer von uns der ältere sei, du oder ich? O ja — das ist alles ganz schön gesagt, dass sie nur ein schmeichelhaftes Interesse für uns zeige! Ich vermute, sie zeigte ein schmeichelhaftes Interesse für meine Geschäfte, als ich ein wenig früher wie gewöhnlich aufwachte und sie in meinem Schlafzimmer mit meiner Brieftasche in der Hand erwischte.«

»Glaubst du, dass sie im Begriffe war, die Brieftasche der Sicherheit wegen einzuschließen? Sie weiß ebensogut, wie viel Geld wir bekommen haben, als wir selbst. Jeder Pfennig, den wir besitzen, wird morgen in ihrer Tasche sein. Aber es hat auch sein Gutes — wir werden genötigt sein, das Haus zu verlassen.«

Selbst dieser zwingende Grund vermochte nicht, Cosway zu einer Erwiderung zu bringen. Er nahm Steins Hut und überreichte ihn seinem prophetischen Freunde mit der äußersten Höflichkeit.

»Es gibt nur ein Mittel für eine solche Gemütsverfassung wie die deinige« sagte er. »Komm mit mir ins Theater.«

Am nächsten Morgen um zehn Uhr befand sich Cosway allein am Frühstückstische. Es wurde ihm gesagt, dass Herr Stein ausgegangen sei, um einen kleinen Spaziergang zu machen, und bald wieder zurück sein werde. Als er sich zu Tische setzte, bemerkte er auf seinem Teller ein Kuvert, das augenscheinlich die Rechnung enthielt. Er ergriff es, überlegte einen Augenblick und warf es dann uneröffnet wieder hin. In demselben Augenblick stürzte Stein in großer Aufregung ins Zimmer.

»Nachrichten, welche dich wundern werden« rief er. »Der Kapitän ist gestern abend angekommen. Die Ärzte sagen, dass die Seereise seine vollständige Wiederherstellung bewirken werde. Das Schiff segelt heute noch ab — und wir haben den Befehl, uns innerhalb einer Stunde an Bord zu melden. Wo ist die Rechnung?«

Cosway zeigte auf sie. Stein nahm sie aus dem Kuvert. Sie bedeckte zwei Seiten eines ungeheuer langen Streifens Papier. Die Gesamtsumme war mit Linien in roter Tinte schön verziert. Sten sah nach ihr und gab dann Cosway schweigend die Rechnung. Diesmal war selbst Cosway in Bestürzung. In unheimlicher Stille zogen die beiden jungen Männer ihre Brieftaschen hervor, rechneten ihr bares Geld zusammen und verglichen das Ergebnis mit der Rechnung. Ihre gesamten Mittel betrugen etwas mehr als ein Drittel der Forderung der Wirtin.

Der einzige Weg, der sich darbot, war nach Frau Pounce zu schicken, um ihr die Verhältnisse auseinanderzusetzen und ihr auf der noblen Geschäftsbasis des Kredits einen Vergleich vorzuschlagen.

Frau Pounce erschien und war prächtig in ein Promenadenkostüm gekleidet. War sie im Begriffe auszugehen oder war sie gerade nach dem Gasthofe zurückgekehrt? Nicht ein Wort entschlüpfte ihr, sie wartete mit ernster Miene, um zu hören, was die Herren wünschten.

Cosway, darauf vertrauend, dass Frau Pounce ihm bisher ihre Gunst zugewendet hatte, bot ihr den Inhalt ihrer beiden Brieftaschen an und teilte ihr die traurige Wahrheit mit. »Das ist alles Geld, was wir haben« sagte er zuletzt. »Wir hoffen, dass Sie damit einverstanden sind, den Rest Ihres Guthabens in einem Wechsel auf drei Monate in Empfang zu nehmen.«

Frau Pounce antwortete mit einem Ernst in Wort und Miene, der für Cosway und Stein ganz neu war.

»Meine Herren, ich habe für Ihre Pferde und Wagen bares Geld an Miete bezahlt« sagte sie; »hier sind die Quittungen der Mietspferdehalter, die dies nachweisen. Ich nehme niemals Wechsel an, wenn ich nicht im voraus ganz sicher bin, dass sie auch bezahlt werden. Ich bestreite, dass Sie eine Überforderung in der gestellten Rechnung nachweisen können und erwarte, dass Sie Zahlung leisten, ehe Sie mein Haus verlassen.«

Stein sah nach seiner Uhr. »In dreiviertel Stunden« sagte er, »müssen wir an Bord sein.«

Frau Pounce war ganz seiner Ansicht. »Und wenn Sie nicht an Bord sind« bemerkte sie, »so werden Sie vor ein Kriegsgericht gestellt und vom Dienste entfernt werden, und Ihr guter Ruf wird fürs ganze Leben zu Grunde gerichtet sein.«

»Verehrteste Frau, wir haben keine Zeit nach Hause zu schicken, und kennen in der Stadt niemand« erklärte Cosway. »Nehmen Sie um Gottes willen unsere Uhren und Juwelen und unser Gepäck und lassen Sie uns gehen.«

»Ich bin kein Pfandleiher« sagte die unbeugsame Dame. »Sie müssen entweder Ihre unbestreitbare Schuld mir in richtigem Gelde bezahlen oder —«

Sie machte eine Pause und blickte nach Cosway. Ihr wohlgenährtes Gesicht heiterte sich auf — zum erstenmal zeigte sich ein anmutiges Lächeln auf demselben.

Cosway starrte sie in unverhohlener Verwirrung an. Verwirrt wiederholte er ihre letzten Worte. »Wir müssen entweder die Rechnung bezahlen« sagte er, »oder was?«

»Oder« antwortete Frau Pounce, »einer von Ihnen muss mich heiraten.« Scherzte sie? War sie berauscht? Oder war sie von Sinnen? Nichts von all dem. Sie war vollständig Herrin ihrer selbst, und ihre Erklärung war ein Muster von klarer und überzeugender Darstellung der tatsächlichen Verhältnisse:

»Meine Stellung hier hat ihre Unannehmlichkeiten« fing sie wieder an. »Ich bin eine alleinstehende Witwe; es ist bekannt, dass ich ein ausgezeichnetes Geschäft und erspartes Geld habe. Die Folge davon ist, dass ich von einer Schar geldgieriger Lumpen zu Tode gequält werde, die mich heiraten wollen. In dieser Lage bin ich Beleidigungen und Verleumdungen ausgesetzt. Selbst wenn ich nicht wüsste, dass die Männer es nur auf mein Geld abgesehen haben, wäre doch nicht einer unter ihnen, den ich zu heiraten wagen würde. Er möchte sich als Tyrann erweisen und mich schlagen, oder als Trunkenbold, und mich beschimpfen, oder als ein Spieler, der mich zu Grunde richtet. Wie Sie sehen, ist es zu meiner eigenen Sicherheit und Ruhe nötig, dass ich mich für verheiratet erklären und den Beweis dafür durch einen Heiratsschein erbringen kann. Ein Herr aus gebildeter Familie, der eine angesehene Stellung zu gewähren hat und an Jahren so viel jünger ist als ich selbst, dass er nicht daran denkt, mit mir zusammenzuleben — das wäre so ein Ehegatte, der mir passte! Meine Herren, ich bin eine vernünftige Frau. Ich würde darauf eingehen, mich von meinem Gemahl an der Kirchtür wieder zu trennen, und nachher niemals wieder versuchen, ihn zu sehen, oder ihm auch nur zu schreiben. Ich würde, wenn nötig, nur meinen Heiratsschein vorzeigen, ohne irgendwelche Erklärungen abzugeben. Ihr Geheimnis würde ganz sicher bei mir aufgehoben sein. Ich kümmere mich nicht im geringsten um Sie, so lange Sie meinem Zweck entsprechen.

Was sagen Sie dazu, dass einer von Ihnen in dieser Weise meine Rechnung bezahlt? Ich bin bereits für den Altar gekleidet und der amtierende Geistliche hat Nachricht erhalten.

Ich ziehe Herrn Cosway vor« fuhr das schreckliche Weib in grausamster Ironie fort, »weil er mich bisher mit Aufmerksamkeit behandelt hat. Die Heiratserlaubnis, die ich vor vierzehn Tagen in dieser Voraussetzung erwirkt habe, ist auf seinen Namen ausgestellt. So weit geht meine Vorliebe für Herrn Cosway. Aber das hat nichts zu sagen, falls Herr Stein seinen Platz einnehmen will. Er kann unter seines Freundes Namen aufgerufen werden. O ja, er kann es! Ich habe meinen Rechtsanwalt befragt. So lange als Braut und Bräutigam darin übereinstimmen, können sie unter einem beliebigen Namen getraut werden, und die Ehe ist rechtsgültig. Sehen Sie nochmals auf Ihre Uhr, Herr Stein. Die Kirche ist in der nächsten Straße. Nach meiner Berechnung haben Sie gerade noch fünf Minuten Zeit, sich zu entschließen. Ich bin eine pünktliche Frau, meine lieben Jungen, und werde auf die Minute wieder zurück sein.« Sie öffnete die Tür, zögerte einen Augenblick und kehrte in das Zimmer zurück.

»Ich hätte sagen sollen« fing sie wieder an, »dass ich Ihnen am Schlusse der Feierlichkeit mit der quittierten Rechnung ein Geschenk machen werde. Ich werde Sie mit allem Gelde, das Sie in der Tasche haben, in meinem eigenen Boote auf das Schiff bringen lassen und Ihnen einen Korb mit guten Esswaren mitgeben. Danach habe ich mit Ihnen nichts mehr zu schaffen. Sie können Ihren eigenen Weg zum Teufel gehen.«

Mit diesem Abschiedssegen verließ sie die beiden.

Nachdem sie so in die Falle der Wirtin geraten waren, blickten sich die beiden Opfer in bedeutsamem Schweigen einander an. Ohne hinreichende Zeit, um den Rat eines Rechtskundigen einzuholen, ohne Freunde auf dem Lande und ohne die Möglichkeit, Offiziere ihres Ranges auf dem Schiffe anzusprechen, hatten sie allerdings nur die Wahl zwischen einer Heirat und dem Verderben.«

Stein machte einen Vorschlag, der eines Helden würdig war.

»Einer von uns muss heiraten« sagte er. »Ich bin bereit, mich dafür herzugeben.«

Cosway kam ihm an Großmut gleich.

»Nein« antwortete er. »Ich war es, der dich hierher brachte und dich zu diesen höllischen Ausgaben verleitete. Ich muss dafür büßen und ich will es auch.«

Ehe noch Stein Einwendungen machen konnte, waren die fünf Minuten vorüber. Pünktlich erschien Frau Pounce wieder in der Tür.

»Nun?« fragte sie, »wer soll es sein, Cosway oder Stein?«

Cosway trat so sorglos wie immer vor und bot ihr seinen Arm.

»Nun denn, Fettklümpchen« sagte er, »komm und lass dich heiraten!«

In weiteren fünfundzwanzig Minuten war Frau Pounce eine Frau Cosway geworden, und die beiden Offiziere befanden sich auf dem Weg zum Schiffe



Kapiteltrenner

Zweiter Zeitabschnitt in Cosways Leben

Vier Jahre waren verflossen, ehe die »Albicore« nach dem Hafen zurückkehrte, aus dem sie ihre Fahrt angetreten hatte. In der Zwischenzeit waren Cosways Eltern gestorben. Der

Rechtsanwalt, der während seiner Abwesenheit von England seine Geschäfte besorgt hatte, benachrichtigte ihn, dass die Erbschaft aus seines verstorbenen Vaters »Besitztum« sich auf ein jährliches Einkommen von achthundert Pfund belaufe. Seine Mutter hatte nur die lebenslängliche Nutznießung ihres Vermögens besessen; sie hatte ihm ihre Juwelen, sonst nichts, hinterlassen.

Die Erfahrungen, welche Cosway als Seeoffizier im Auslande gemacht hatte, hatten ihn in seinen Erwartungen vollständig getäuscht, denn er besaß keinen politischen Einfluss, der seine Beförderung hätte beschleunigen können. Er entschloss sich daher, vom Dienste zurückzutreten, sobald das Schiff »außer Dienst gestellt« sei.

Zum Erstaunen seiner Kameraden hatte er indessen keine Eile, von dem ihm bewilligten Urlaub aufs Land Gebrauch zu machen. Der treue Stein war der einzige Mann an Bord, der da wusste, dass er seiner »Frau« zu begegnen fürchtete. Dieser gute Freund erbot sich, in den Gasthof zu gehen und die notwendigen Erkundigungen mit aller Vorsicht anzustellen.«

»Vier Jahre sind eine lange Zeit, in ihrem Alter« sagte er. »Vieles kann sich in vier Jahren zutragen.«

Eine Stunde später kehrte Stein zum Schiffe zurück und machte seinem Kameraden an Bord eine schriftliche Mitteilung in den Worten: »Packe deine Sachen sogleich ein und komme zu mir ans Land.«

»Was für Nachrichten?« fragte der Ehegemahl besorgt. Stein blickte bedeutsam nach den Müßiggängern am Landungsplatze »Warte« sagte er, »bis wir allein sind.«

»Wohin gehen wir?«

»Zur Eisenbahn-Station.«

Sie begaben sich in einen leeren Wagen, und Stein benahm seinem Freunde sogleich jede weitere Besorgnis.

»Niemand kennt das Geheimnis deiner Heirat, als wir beide« fing er ruhig an. »Ich meine, Cosway, du hättest nicht nötig, traurig zu sein.«

»Du willst doch nicht sagen, dass sie tot ist!«

»Ich habe einen Brief von ihrem eignen Anwalt gesehen, der ihren Tod meldet« erwiderte Stein. »Er war so kurz, dass ich glaube, ihn Wort für Wort wiederholen zu können: —

,Werter Herr! Ich habe Nachricht von dem Tode meiner Klientin erhalten. Bitte, zahlen Sie die nächste und letzte Rate des Kaufschillings für den Gasthof an die Testamentsvollstrecker der verstorbenen Frau Cosway.« Das war der Brief. Mit den Worten ‚Werter Herr‘ meinte er den gegenwärtigen Inhaber des Gasthofes. Dieser erzählte mir in einigen Worten die frühere Lebensgeschichte deiner Frau. Nachdem sie ihr Geschäft mit gewohnter Klugheit länger als drei Jahre fortgeführt hatte, wurde sie kränklich und ging nach London, um einen Arzt zu befragen. Dort blieb sie unter dessen Obhut. Das nächste war, dass ein Agent erschien, der mit Rücksicht auf die schwankende Gesundheit der Wirtin den Auftrag hatte, das Geschäft zu verkaufen. Nimm nun noch den späteren Tod hinzu — und du hast den Anfang und das Ende der Geschichte Fortuna schuldete dir eine glückliche Wendung, Cosway — und Fortuna hat ihre Schuld entrichtet. Empfange meine besten Glückwünsche.«

In London angekommen, begab sich Stein sogleich zu seinen im nördlichen Teile wohnenden Verwandten. Cosway ging auf das Bureau des Herrn Atherton, des Anwaltes der Familie, der während seiner Abwesenheit seine Interessen vertreten hatte. Sein Vater und Herr Atherton waren Schulkameraden und alte Freunde gewesen. Er wurde herzlich aufgenommen und eingeladen, am nächsten Tage dem Rechtsanwalte in seinem Landhause zu Richmond einen Besuch abzustatten.

»Sie werden London nahe genug sein, um Ihre Geschäfte im Marineministerium zu besorgen« sagte Herr Atherton, »und in meinem Hause eine Besucherin antreffen, die eins

der reizendsten Mädchen in England ist — die einzige Tochter des hochangesehenen Herrn Restall. Guter Himmel! Haben Sie nie von ihm gehört? Mein werter Herr, er ist einer der Teilhaber der berühmten Firma Benshaw, Restall und Benshaw.«

Cosway war verständig genug, diesen letzten Teil der Auskunft als ganz selbstverständlich hinzunehmen. Am nächsten Tage stellte ihn Frau Atherton dem reizenden Fräulein Restall vor, und Frau Athertons unvermählte Tochter, die in ihrer Kindheit seine Spielgenossin gewesen war, flüsterte ihm, halb im Scherz, halb im Ernste zu: »Benutze deine Zeit aufs beste; Fräulein Restall ist noch frei.«

Cosway schauderte bei dem bloßen Gedanken an eine zweite Heirat innerlich zusammen. War Fräulein Restall die Frau, die seine Zuversicht wieder aufrichten konnte? Sie war klein und zierlich und hatte dunkles Haar — ein anmutiges, wohlerzogenes, recht verständiges Mädchen, und sie hatte eine Stimme, die außerordentlich lieblich und einnehmend war. Ohr, Hand und Fuß waren bewunderungswürdig, und sie hatte den jetzt bei Frauen höchst seltenen Reiz eines ganz natürlichen Lächelns.

Ehe noch Cosway eine Stunde im Hause war, fand sie, dass seine lange Dienstzeit im Auslande ihm eine Unterhaltungsgabe verliehen hatte, die vorteilhaft gegen das gewöhnliche Geschwätz abstach, das sie von anderen Männern gehört hatte.

Cosway wurde bald ihr Liebling, wie Othello seinerzeit ein solcher geworden war.

Die Damen des Hauses freuten sich alle des Erfolges des jungen Offiziers mit Ausnahme von Fräulein Restalls Gesellschafterin, einer Frau Margery, die vermutlich gegen hohen Lohn Mutterstelle bei ihr versah.

Zu vorsichtig, um sich durch Worte bloßzustellen, drückte diese Frau Zweifel und Missbilligung in ihrem Blicke aus. Sie hatte weißes Haar, eisengraue Augenbrauen und geschwollene Augen; ihr Blick war ungewöhnlich scharf. Eines Abends erwischte sie den guten Herrn Atherton allein und befragte ihn vertraulich über Cosways Einkommen. Dies war die erste Warnung, die dem braven Rechtsanwalt über die Art der zwischen seinen beiden Gästen bereits bestehenden ‚Freundschaft‘ die Augen öffnete. Er kannte Fräulein Restalls hochangesehenen Vater sehr wohl und fürchtete, dass es bald seine unangenehme Pflicht werden könnte, dem Besuche Cosways ein Ende zu machen.

Als an einem Sonnabendnachmittag Herr Atherton noch darüber nachdachte, wie er es Cosway am freundlichsten und rücksichtsvollsten beibringen könne, dass es Zeit sei, sich zu verabschieden, kam ein leerer Wagen im Landhause an.

Herr Restall sandte Frau Atherton ein Billet, in dem er mit vollendeter Höflichkeit für die seiner Tochter erwiesene Güte dankte. »Umstände« fügte er hinzu, »machen es notwendig, dass meine Tochter heute nachmittag noch nach Hause zurückkehrt.«

Die ‚Umstände‘ bezogen sich vermutlich auf eine Gartengesellschaft, welche von Herrn Restall in der folgenden Woche veranstaltet werden sollte. Aber warum war seine Tochter zu Hause nötig, ehe noch der Tag für die Veranstaltung gekommen war?

Die Damen des Hauses, immer noch für Cosway eingenommen, waren der Meinung, dass Frau Margery ohne Zweifel insgeheim mit Herrn Restall in Verbindung getreten und dass die Ankunft des Wagens die natürliche Folge davon sei. Frau Athertons verheiratete Tochter tat alles, was getan werden konnte. Sie schaffte sich Frau Margery für einen Augenblick vom Halse und wusste es so einzurichten, dass Cosway und Fräulein Restall in ihrem eigenen Wohnzimmer voneinander Abschied nehmen konnten. Als die junge Dame im Hausgange erschien, hatte sie ihren Schleier vors Gesicht gezogen. Cosway eilte auf die Straße und sah gerade noch den Wagen, als er davonfuhr.

In wenig mehr als vierzehn Tagen war seine Abneigung gegen eine zweite Heirat ein überwundenes Gefühl geworden. Er verweilte aus Dankbarkeit gegen seine guten Freunde noch bis zum Montagmorgen im Landhause, und dann begleitete er Herrn Atherton nach London. Geschäfte bei dem Marineministerium dienten ihm als Entschuldigung. Aber er täuschte damit niemand. Er war augenscheinlich auf dem Wege zu Fräulein Restall.

»Legen Sie Ihre Geschäfte in meine Hand« sagte der Rechtsanwalt auf dem Wege zur Stadt, »und gehen Sie zu Ihrem Vergnügen auf das Festland. Ich kann Sie nicht tadeln, dass Sie sich in Fräulein Restall verliebt haben; ich hätte die Gefahr vorhersehen und warten müssen, bis sie uns verlassen hatte, ehe ich Sie in mein Haus einlud. Aber ich möchte Sie wenigstens warnen, die Sache nicht weiter zu treiben. Wenn Sie auch ein Einkommen von achttausend Pfund anstatt von achthundert jährlich hätten, würde es Herr Restall doch für eine Anmaßung von Ihrer Seite halten, nach der Hand seiner Tochter zu trachten, wenn Sie nicht auch einen Titel mit in den Kauf zu geben hätten. Betrachten Sie es im wahren Lichte, mein lieber Junge, und Sie werden es mir eines Tages danken, deutlich mit Ihnen gesprochen zu haben.«

Cosway versprach, »es im wahren Lichte zu betrachten.«

Diese Betrachtung führte ihn, von seinem Standpunkte aus, zu einer Verlegung seines Wohnsitzes. Er verließ seinen Gasthof und nahm eine Wohnung in einer Nebenstraße, die dem Palaste des Herrn Restall in Kensington am nächsten gelegen war.

An demselben Abend wandte er sich, gestützt auf eine vorausgegangene Verabredung, wegen eines Briefes an das benachbarte Postamt und erhielt einen solchen, der an E. C. — die Anfangsbuchstaben von Edwin Cosway — adressiert war. »Bitte, sei vorsichtig« schrieb ihm Fräulein Restall, »ich habe versucht, dir eine Eintrittskarte für unsere Gartengesellschaft zu verschaffen, aber das gehässige Geschöpf, die Margery, hat offenbar mit meinem Vater gesprochen; es ist mir nicht eine einzige Karte anvertraut worden. Ertrage es wie ich, geduldig, mein Teurer, und lass mich hören, ob es dir gelungen ist, eine Wohnung in unserer Nähe zu bekommen.«

Cosway fügte sich nicht sehr geduldig diesem ersten Missgeschick, sondern sandte seine Antwort, die an A.R. — die Anfangsbuchstaben von Adele Restall — adressiert war, zum Postamt. Am nächsten Tage schon fragte der ungeduldige Liebhaber bei der Post nach einem weiteren Briefe. Dieser war auch eingetroffen, aber seine Adresse war nicht von Adeles Hand geschrieben. War ihre Korrespondenz entdeckt worden? Er öffnete den Brief in der Straße und las mit Staunen folgende Zeilen:

»Werter Herr Cosway!

Mein Herz hat Mitgefühl mit zwei treuen Liebenden, trotz meines Alters und trotz meiner Pflicht. Ich füge eine Einladung zu der morgen stattfindenden Gartengesellschaft bei. Bitte verraten Sie mich nicht und erweisen Sie Adele keine zu auffällige Aufmerksamkeit. Vorsicht ist leicht zu beobachten, denn es werden zwölfhundert Gäste da sein.

Dem äußeren Scheine zum Trotz

Ihre Freundin

Louise Margery.«

Wie abscheulich ungerecht hatten sie doch alle diese ausgezeichnete Frau beurteilt! Cosway begab sich als dankbarer und glücklicher Mann zur Gesellschaft. Die ersten ihm bekannten Personen, die er unter der Menge der Fremden erkannte, waren die Athertons. Sie waren so erstaunt wie möglich, ihn zu sehen. Aber die Rücksicht auf Frau Margery verbot ihm, sich in irgendwelche Erklärungen einzulassen.

Wo war denn nun diese beste und treueste Freundin? Mit einiger Mühe gelang es ihm, sie aufzufinden. War es unschicklich, ihre Hand zu ergreifen und sie herzlich zu drücken? Die Folge dieser Dankesbezeugung war, gelinde gesagt, geradezu verblüffend. Frau Margery benahm sich wie die Athertons. Sie war erstaunt, ihn zu sehen, und stellte genau dieselbe Frage:

»Wie gelangten Sie hierher?«

Cosway konnte nur annehmen, dass sie scherze.

»Wer sollte dies, teure Frau, besser als Sie selbst wissen?« erwiderte er.

»Ich verstehe Sie nicht« antwortete Frau Margery gereizt.

Nachdem er einen Augenblick nachgedacht, geriet er auf eine Lösung des Geheimnisses. Besucher waren in der Nähe, und Frau Margery hatte ihren besonderen Gebrauch von Herrn Restalls Eintrittskarte gemacht. Sie mochte wichtige Gründe haben, äußerst vorsichtig zu sein. Cosway blickte sie bedeutungsvoll an.

»Das geringste, was ich tun kann, ist verschwiegen zu sein« flüsterte er ihr zu — und verließ sie.

Er wandte sich einem Seitengange zu, und dort traf er endlich Adele! Es schien wirklich ein Verhängnis zu sein. Sie war erstaunt, und auch sie fragte: »Wie gelangtest du hierher?« Diesmal waren keine zudringlichen Besucher in der Nähe. »Meine Teuere!« wandte Cosway ein, »Frau Margery muss es dir doch gesagt haben, als sie mir eine Einladung schickte.« Adele erblasste. »Frau Margery?« wiederholte sie. »Frau Margery hat mir nichts gesagt; sie verabscheut dich. Wir müssen dies aufklären. Nein! Jetzt nicht — ich muss für unsere Gäste sorgen. Erwarte einen Brief von mir, und, um des Himmels willen, Edwin, bleibe meinem Vater aus dem Wege. Einer der Eingeladenen, den er ganz besonders zu sehen wünschte, hat sich entschuldigt — und er ist darüber schrecklich ärgerlich."

Sie verließ ihn, ehe noch Cosway erklären konnte, dass er und Herr Restall sich bis jetzt noch nicht gesehen hätten. Er schritt bis zum äußersten Ende des Gartens, von einem unbestimmten Argwohn beunruhigt und verletzt von der Kälte, mit der ihn Adele empfangen hatte. Als er das Gebüsch betrat, das an dieser Stelle den Garten anscheinend vor der außen vorüberführenden Straße verbergen sollte, bemerkte er plötzlich unter den Bäumen einen hübschen kleinen Pavillon. Ein kräftiger Herr in reiferen Jahren saß hier allein in dieser Einsamkeit. Stirnrunzelnd blickte er in die Höhe. Cosway entschuldigte sich, ihn gestört zu haben, und fing aus Höflichkeit eine Unterhaltung mit ihm an.

»Eine prächtige Gesellschaft heute, mein Herr.«

Der korpulente Herr antwortete in einem unartikulierten Tone, der so etwas zwischen Grunzen und Husten war.

»Und ein prächtiges Haus und Gelände« fuhr Cosway fort.

Der kräftige Herr wiederholte den unartikulierten Ton.

Cosway begann dies unterhaltend zu finden. War dieser seltsame alte Mann taubstumm?

»Entschuldigen Sie, dass ich Sie angeredet habe« fuhr Cosway fort. »Ich fühle mich wie ein Fremder hier. Hier sind so viele Leute, die ich nicht kenne.«

Der dicke Herr geriet plötzlich ins Sprechen. Cosway hatte endlich eine gleichgestimmte Faser berührt.

»Es sind sehr viele Leute hier, die ich nicht kenne« sagte er mürrisch. »Sie sind einer von diesen. Wie heißen Sie ?«

»Ich heiße Cosway, mein Herr. Und wie heißen Sie ?«

Der kräftige Herr erhob sich mit wütendem Blicke. Er stieß einen Fluch aus und fügte die unerträgliche Frage hinzu, die schon dreimal von anderen gestellt worden war: »Wie kamen Sie hierher?« Und der Ton dieser Worte war noch beleidigender als der Fluch. »Ihr Alter beschützt Sie, mein Herr« sagte Cosway mit der stolzesten Gemütsruhe. »Es tut mir leid, dass ich einem so groben Menschen meinen Namen nannte.«

»Grob?« schrie der alte Herr-. »Vermutlich wollen Sie meinen Namen ebenfalls wissen? Sie junger Geck, Sie sollen ihn erfahren! Ich heiße Restall.« Er kehrte ihm den Rücken und ging weg. Cosway schlug den einzigen Weg ein, der ihm offen blieb. Er kehrte in seine Wohnung

zurück.

Am nächsten Tage kam kein Brief von Adele. Er ging zur Post. Kein Brief war da. Es war schon Abend geworden, als eine Frau erschien, die ihm fremd war. Sie schien eine Dienerin zu sein, und war die Überbringerin einer geheimnisvollen Botschaft.

»Bitte kommen Sie um zehn Uhr morgen früh an die Gartentür, die auf die Straße hinausgeht. Klopfen Sie dreimal an die Tür — und dann rufen Sie ,Adele‘. Es wird jemand, der Ihnen wohl will, allein in den Anlagen sein und Sie einlassen. Nein, mein Herr! Ich soll nichts nehmen und kein Wort weiter sagen.« Sie sagte dies — und verschwand.

Cosway war pünktlich beim Stelldichein. Er klopfte dreimal und nannte Fräulein Restalls Vornamen. Aber nichts regte sich. Er wartete eine Weile und machte einen zweiten Versuch. Diesmal drang Adeles Stimme befremdlich aus der Anlage zu ihm und sie rief im Tone der Überraschung:

»Edwin, bist du es wirklich?«

»Erwartetest du sonst jemand?« fragte Cosway.

»Mein Liebchen, deine Botschaft sprach von zehn Uhr — und hier bin ich.«

Die Tür wurde rasch aufgeschlossen.

»Ich sandte keine Botschaft« sagte Adele, als sie sich auf der Türschwelle gegenüberstanden.

Schweigend und in der größten Verlegenheit gingen sie miteinander in den Pavillon. Auf Adeles Ersuchen wiederholte Cosway die Botschaft, die er erhalten, und beschrieb die Frau, die sie überbracht hatte. Die Beschreibung passte auf keine Frau, die Fräulein Restall bekannt gewesen wäre.

»Frau Margery sandte dir nie eine Einladung, und ich, ich wiederhole es, nie eine Botschaft. Diese Begegnung ist von jemand ins Werk gesetzt worden, der da weiß, dass ich nach dem Frühstück gewöhnlich in den Gartenanlagen spazieren gehe. Da ist irgendein heimliches Werk im Gange —«

Noch in Gedanken den Feind suchend, der sie verraten hatte, hielt sie inne und überlegte einen Augenblick. »Ist es möglich —?« begann sie und hielt wieder ein. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Mein Sinn ist so vollständig verwirrt« sagte sie, »dass ich über nichts mehr klar nachdenken kann. O Edwin, wir hatten einen glücklichen Traum, und er hat sein Ende erreicht. Mein Vater weiß mehr, als wir denken. Einige unserer Freundinnen gehen morgen ins Ausland — und ich soll mit ihnen gehen. Nichts, was ich auch sagen mag, übt auch nur die geringste Wirkung auf meinen Vater aus. Er gedenkt uns für immer zu trennen — und in dieser grausamen Weise will er es tun.«

Sie schlang ihren Arm um Cosways Hals und lehnte ihren Kopf liebevoll an seine Schulter. Mit zärtlichen Küssen erneuerten sie das Gelübde ewiger Treue, bis ihnen die Stimme versagte.

Cosway benutzte die Pause zu dem einzig vorteilhaften Vorschlage, den er jetzt machen konnte, mit ihm zu entfliehen.

Adele nahm diese kühne Lösung der Schwierigkeit, in die sie versetzt waren, gerade so auf, wie tausend andere junge Mädchen ähnliche Vorschläge vorher und nachher aufgenommen haben. Zuerst sagte sie entschieden Nein. Cosway beharrte auf seiner Meinung. Sie fing an zu weinen und fragte, ob er denn gar keine Rücksicht auf sie nehme. Cosway erklärte, dass seine Rücksicht jedes Opfer bringen könne, das ausgenommen, sich von ihr für immer zu trennen. Er könne und wolle, wenn sie dies vorziehe, für sie sterben, aber so lange er lebe, müsse er sich weigern, ihr zu entsagen. Daraufhin brachte sie einen anderen Grund für ihre Weigerung vor. Konnte er denn erwarten, dass sie allein mit ihm wegging? Sicherlich nicht. Ihre Kammerjungfer könnte mit ihr gehen, oder, wenn man sich nicht auf sie verlassen könnte, würde er sich an seine Wirtin wenden und eine anständige ältere Person annehmen, die sie bis zum Tage ihrer Verheiratung begleiten solle. Würde sie wohl ein wenig Mitleid mit ihm haben und dies sorgfältig überlegen? Nein: sie fürchtete sich, darüber nachzudenken. Wollte sie lieber Elend fürs ganze Leben? Nichts lag ihm an seinem Glücke: Nur ihr Glück hatte er im Sinne. Mit unsympathischen Leuten zu reisen, von England wer weiß wie lange abwesend zu sein, nach der Rückkehr an einen reichen Mann verheiratet zu werden, den sie nicht leiden mochte — wollte, konnte sie an diese Aussichten nur denken? Unter Tränen dachte sie daran, sie dachte daran unter Seufzern, Küssen und Beteuerungen — sie zitterte, zögerte und gab nach. Zu einer bestimmten Stunde der kommenden Nacht, wenn ihr Vater im Rauchzimmer und Frau Margery zu Bett gegangen sein würde, sollte Cosway noch einmal an der Straßentür klopfen, nachdem er ihr inzwischen Zeit gelassen hatte, alle notwendigen Anordnungen zu treffen.

Unter diesen Umständen war es das einzige dringende Erfordernis, sich gegen Verrat und Überraschungen zu schützen. Cosway spielte vorsichtig auf das noch ungelöste Geheimnis der Einladung und der Aufforderung zum Stelldichein an.

»Hast du irgendjemand in dein Vertrauen gezogen?« fragte er. Adele antwortete mit einer gewissen Verlegenheit. »Nur eine Person« sagte sie, — »das liebe Fräulein Benshaw.«

»Wer ist Fräulein Benshaw?«

»Weißt du es wirklich nicht, Edwin? Sie ist reicher selbst als Papa — sie hat von ihrem verstorbenen Bruder die Hälfte des großen Geschäftes in der City geerbt. Fräulein Benshaw ist die Dame, die Papa in seinen Erwartungen täuschte, als sie nicht zur Gartengesellschaft kam. Du erinnerst dich. mein Lieber, wie glücklich wir gewesen sind, als wir bei Athertons zusammen waren? Ich war sehr unglücklich, als sie mich wegbrachten. Fräulein Benshaw besuchte uns zufällig am nächsten Tage und bemerkte es.

,Meine Teuere« sagte sie (Fräulein Benshaw ist jetzt eine ganz alte Dame), ,ich bin eine alte Jungfer, die ihr Lebensglück verfehlt hat, da sie in ihrer Jugend keinen Freund hatte, der sie geführt und ihr geraten hätte. Leiden Sie, wie ich einst litt?« Sie sprach so liebenswürdig — und ich fühlte mich so unglücklich — dass ich wirklich nicht mithin konnte, ihr mein Herz zu öffnen.«

Cosway blickte ernst· »Bist du sicher, dass man sich auf sie verlassen kann?« fragte er.

»Vollkommen sicher.«

»Vielleicht hat sie aber, mein Liebchen, ohne etwas Arges dabei zu denken, mit einer ihrer Freundinnen über uns gesprochen? Alte Damen sind ja so sehr dem Klatsch ergeben. Es ist leicht möglich — meinst du nicht auch?«

Adele ließ den Kopf sinken.

»Ich habe es auch für möglich gehalten« gab sie zu. »Es ist reichlich Zeit, sie heute noch zu besuchen. Ich will unseren Zweifel beseitigen, ehe noch Fräulein Benshaw heute nachmittag ihre Spazierfahrt macht.«

Nachdem sie sich in dieser Weise verständigt hatten, trennten sie sich. Gegen Abend waren Cosways Vorbereitungen für die Flucht getroffen. Er nahm sein einsames Mittagsmahl, als ihm ein Billet überbracht wurde. Es war von einem Boten an der Tür abgegeben worden, der sich wieder entfernt hatte, ohne auf Antwort zu warten. Das Billet lautete also:

»Fräulein Benshaw übersendet Herrn Cosway ihre freundlichen Grüße und würde dankbar sein, wenn er sie heute abend um neun Uhr in einer Angelegenheit besuchen könnte, die ihn selbst betrifft.«

Diese Einladung war augenscheinlich die Folge des Besuches, den Adele ihr an diesem Tage bereits abgestattet hatte.

Cosway, von dem natürlichen Gefühle der Besorgnis und Spannung beunruhigt, fand sich bei ihr ein. Sein Empfang war nicht derart, ihn zu beruhigen. Er wurde in ein dunkles Zimmer geführt. Die einzige Lampe aus dem Tische war tief heruntergedreht und das so zugelassene spärliche Licht noch durch einen Schirm vermindert. Die Winkel des Zimmers waren beinahe in vollständige Dunkelheit gehüllt.

Aus einem der Winkel kam eine Stimme, die ihm zuflüsterte:

»Ich muss Sie bitten, das dunkle Zimmer zu entschuldigen. Ich leide an einer ernsten Erkältung. Meine Augen sind entzündet und mein Hals ist so schlimm, dass ich nur flüstern kann. Setzen Sie sich, Herr Cosway. Ich habe Nachrichten für Sie erhalten.«

»Hoffentlich keine schlimmen, gnädige Frau?« wagte Cosway zu fragen.

»Die allerschlimmsten Nachrichten« sagte die flüsternde Stimme. »Sie haben einen Feind, der Ihnen im Dunkeln seine Streiche versetzt.«

Cosway fragte, wer dies sei und erhielt keine Antwort. Er änderte die Frage dahin, warum denn der Ungenannte im Dunkeln nach ihm schlage. Dies hatte Erfolg; er erhielt jetzt eine Antwort:

»Es ist mir mitgeteilt worden« sagte Fräulein Benshaw, »dass diese Person es für nötig halte, Ihnen einen Denkzettel zu geben, und das boshafte Verlangen habe, dies so empfindlich wie möglich zu tun. Diese Person sandte Ihnen, wie ich zufällig erfahren habe, die Einladung zur Gartengesellschaft und veranlasste auch die Zusammenkunft, die an der Gartentür stattfand. Warten Sie einen Augenblick, Herr Cosway, ich bin noch nicht fertig. Die Person hat es auch Herrn Restall in den Kopf gesetzt, seine Tochter morgen ins Ausland zu schicken.«

Cosway versuchte sie zu veranlassen, dass sie deutlicher spreche.

»Ist dieses elende Geschöpf Mann oder Frau?« fragte er.

Fräulein Benshaw fuhr fort, ohne auf die Unterbrechung zu achten:

»Sie brauchen keine Besorgnis zu haben, Herr Cosway. Fräulein Restall wird England nicht verlassen. Ihr Feind ist allmächtig. Seine Absicht konnte nur sein, Sie zu einem Fluchtplan zu veranlassen — und, nachdem Ihre Vorbereitungen getroffen waren, Herrn Restall zu benachrichtigen und Sie und Fräulein Adele so vollständig voneinander zu trennen, als wenn jedes von Ihnen am entgegengesetzten Ende der Welt wäre. O, Sie werden unzweifelhaft voneinander getrennt werden! Boshaft, nicht wahr? Und, was noch schlimmer ist, das Unheil ist so gut wie geschehen.«

Cosway erhob sich von seinem Sitze.

»Wünschen Sie noch eine weitere Erklärung?« fragte Fräulein Benshaw.

»Noch eins« erwiderte er. »Weiß Adele davon?«

»Nein« sagte Fräulein Benshaw; »Ihnen bleibt es überlassen, es ihr zu sagen.«

Nun trat ein Moment des Schweigens ein. Cosway sah nach der Lampe hin. Wenn er einmal erregt war, so war mit ihm, wie dies bei Männern seines Temperaments gewöhnlich ist, nicht zu scherzen.

»Fräulein Benshaw« sagte er, »ich darf wohl sagen, dass Sie mich für einfältig halten; aber ich kann mir trotz alledem ein Urteil bilden. Sie sind meine Feindin.«

Die einzige Erwiderung war ein kicherndes Lachen. Alle Stimmen können im Flüstern mehr oder weniger erfolgreich verstellt werden — aber das Lachen trägt sein Erkennungszeichen in sich selbst. Cosway riss plötzlich den Schirm von der Lampe weg und drehte den Docht in die Höhe. Das Licht überflutete das Zimmer und zeigte ihm — seine Frau.



Kapiteltrenner

Dritter Zeitabschnitt in Cosways Leben

Drei Tage waren vorübergegangen. Cosway saß, bleich und erschöpft, allein in seiner Wohnung. Er war nur noch der Schatten seiner früheren Person.

Adele hatte er seit jener Entdeckung nicht gesehen. Es gab nur einen Weg, den er wagen konnte, um die unvermeidliche Eröffnung zu machen — er schrieb ihr und, Herrn Athertons Tochter trug dafür Sorge, dass der Brief in ihre Hände gelangte. Spätere, durch diese gute Freundin eingezogene Erkundigungen ergaben, dass Fräulein Restall erkrankt war.

Die Hausfrau kam herein.

»Frischen Mut, mein Herr« sagte die gute Frau.

»Heute haben wir bessere Nachrichten über Fräulein Restall.«

Er erhob den Kopf.

»Scherzen Sie nicht mit mir!« sagte er gereizt; »sagen Sie mir genau, was der Diener sagte.«

Die Frau wiederholte die Worte. Fräulein Restall hatte eine ruhigere Nacht und war imstande gewesen, für einige Stunden ihr Zimmer zu verlassen. Er fragte dann, ob eine Antwort auf seinen Brief angekommen sei. Es war keine Antwort eingegangen.

Wenn Adele es entschieden vermied, ihm zu schreiben, so war ihr Entschluss zu klar, um missverstanden zu werden. Sie hatte ihn aufgegeben — und wer konnte sie tadeln?

Man hörte ein Pochen an der Haustür; die Hausfrau blickte hinaus.

»Hier ist Herr Stein wieder zurück, Herr Cosway!« rief sie freudig aus — und eilte weg, um ihn hereinzulassen.

Cosway blickte nicht einmal auf, als sein Freund erschien.

»Ich wusste, dass es mir gelingen würde« sagte Stein. »Ich habe deine Frau gesehen.«

»Sprich mir nicht von ihr« rief Cosway. »Ich würde sie umgebracht haben, als ich ihr Gesicht sah, wenn ich nicht augenblicklich ihr Haus verlassen hätte. Die Elende wird noch von mir getötet werden, wenn du fortfährst, von ihr zu sprechen!«

Stein legte sanft seine Hand auf seines Freundes Schulter.

»Muss ich dich daran erinnern, dass du deinem alten Kameraden doch einigen Dank schuldig bist?« sagte er. »An dem Morgen, da ich deinen Brief erhielt, habe ich Vater und Mutter verlassen — und mein einziger Gedanke war, dir zu dienen. Zeige dich dafür erkenntlich. Sei ein Mann und höre, was zu erfahren dein Recht und deine Pflicht ist. Danach wollen wir, wenn du dies wünschest, nie wieder deine Frau erwähnen.«

Cosway ergriff schweigend seine Hand zum Zeichen des Zugeständnisses, dass er recht habe. Sie setzten sich zusammen nieder. Stein fing an:

»Sie ist so außerordentlich schamlos« sagte er, »dass ich keine Mühe hatte, sie zum Sprechen zu bringen. Und sie hasst dich so tiefinnerlich, dass sie ihrer eigenen Falschheit und Verräterei sich rühmt.«

»Sie lügt natürlich« sagte Cosway bitter, »wenn sie sich Fräulein Benshaw nennt?«

»Nein! sie ist wirklich die Tochter des Mannes, der das große Geschäftshaus in der City gründete.

Trotz aller Vorteile, die Reichtum und Stellung geben konnten, heiratete dieses eigensinnige Geschöpf einen der Angestellten ihres Vaters, der verdientermaßen aus seiner Stelle entlassen worden war. Von diesem Augenblicke an gab ihre Familie sie auf. Mit dem Gelde, das sie sich durch den Verkauf ihrer Juwelen verschafft hatte, erwarb ihr Gemahl den Gasthof, der uns so bittere Erinnerungen bringt — und sie führte das Geschäft auch nach seinem Tode weiter. So viel von der Vergangenheit. Gedenke nun der Zeit, da unser Schiff uns nach England zurückbrachte. Damals lag das letzte überlebende Glied der Familie deiner Frau — ihr älterer Bruder — in den letzten Zügen: Er hatte im Geschäfte seines Vaters Stelle eingenommen und außerdem dessen Vermögen geerbt. Nach einem glücklichen ehelichen Leben wurde er Witwer ohne Kinder, und er musste notwendigerweise seinen letzten Willen ändern. Er zögerte aber, dieser Verpflichtung nachzukommen, und erst zur Zeit seiner letzten Krankheit hatte er Weisungen für ein neues Testament gegeben, wonach er sein Vermögen mit Ausnahme gewisser Vermächtnisse an alte Freunde den Krankenhäusern in Großbritannien und Irland vermachte. Sein Rechtsanwalt verlor keine Zeit, die Weisungen auszuführen. Das neue Testament war bis auf die Unterschrift fertig — das alte war von seiner eigenen Hand vernichtet worden — als die Arzte erklärten, dass der Kranke nicht mehr bei Sinnen sei und wahrscheinlich in diesem Zustande sterben werde.«

»Ergab es sich, dass die Arzte recht hatten?«

»Vollkommen recht. Unsere erbärmliche Wirtin erbte als nächste Verwandte nicht allein sein Vermögen, sondern nahm auch nach dem Gesellschaftsvertrage die Stelle ihres verstorbenen Bruders im Geschäfte ein: unter der einzigen leichten Bedingung, dass sie ihren Familiennamen wieder annehme. Sie nennt sich selbst ,Fräulein Benshaw‘, aber gesetzliche Gründe machten es notwendig, sie im Vertrage als »Frau Cosway-Benshaw« zu bezeichnen. Nur ihre Geschäftsteilhaber wissen jetzt, dass ihr Gemahl noch lebt, und dass du der Cosway bist, den sie insgeheim geheiratet hat.

Willst du einen Augenblick Atem schöpfen? Oder soll ich fortfahren und die Sache zu Ende bringen?«

Cosway winkte ihm fortzufahren.

»Sie fragt nicht im geringsten« fuhr Stein fort, »nach einer Bloßstellung. ,Ich bin der Hauptteilhaber,‘ sagt sie, ,und der Reiche im Geschäft; sie dürfen nicht wagen, mir den Rücken zu kehren.« Du erinnerst dich doch der Auskunft, die ich ganz in gutem Glauben von dem jetzigen Inhaber des Gasthofes erhalten habe? Die Behauptung, dass sie einen Londoner Arzt besucht habe und krank sei, war nur ein Vorwand, um die Dame (jetzt die hochangesehene Dame!) auf gute Art von einem Berufe zu trennen, der wie der Wirtschaftsbetrieb ihrer so unwürdig war. Ihre Nachbarn im Seehafen wurden alle bis auf zwei durch diese List getäuscht Es waren dies zwei Männer — zwei Abenteurer, die beharrlich versuchten, sie, als sie noch Witwe war, zu einer Heirat zu verleiten. Sie glaubten nicht an die Krankheit und an den Besuch beim Arzte und bezweifelten die Gründe, die angeblich zu einem Verkaufe des Gasthofes unter so ungünstigen Umständen geführt hatten. Sie entschlossen sich, nach London zu gehen und waren hierbei von der niedrigen Hoffnung erfüllt, Entdeckungen zu machen, die sich als Mittel zu Gelderpressungen erweisen möchten.«

»Sie entwischte ihnen natürlich« sagte Cosway. »Wie ?«

»Mit Hilfe ihres Anwalts, der es nicht verschmähte, eine hübsche Extravergütung zu nehmen. Er schrieb dem neuen Wirte und zeigte ihm fälschlicherweise das Ableben seiner Klientin in einem Briefe an, den ich dir auf unserer Reise nach London im Eisenbahnwagen mitteilte. Noch andere Vorsichtsmaßregeln wurden getroffen, um die Täuschung aufrecht zu erhalten; doch erscheint es unnötig, sich bei ihnen aufzuhalten. Deine natürliche Folgerung, dass du frei seist, um Fräulein Restall den Hof zu machen, und des armen Mädchens unschuldiges Vertrauen in ,Fräulein Benshaws‘ Teilnahme gaben diesem gewissenlosen Weibe die Mittel, dir den herzlosen Streich zu spielen, der uns nun klar vor Augen liegt. Bosheit und Eifersucht — ich weiß es, wohlgemerkt, von ihr selbst! — waren nicht ihre einzigen Beweggründe. ,Wäre nicht dieser Cosway,‘ sagte sie — ich verschone dich mit dem Zusatz zu deinem Namen — ,mit meinem Gelde und in meiner Stellung hätte ich einen armen Lord heiraten und mich in meinen alten Tagen im vollen Glanze der Pairswürde sonnen können.’ Verstehst du nun, wie sehr sie dich hasst? Doch genug von der Sache! Die Moral davon, mein lieber Cosway, ist, diesen Ort zu verlassen und zu versuchen, was ein Ortswechsel für dich tun kann. Ich habe vollauf Zeit und will mit dir ins Ausland gehen. Wann soll es sein?«

»Lass mich noch einen oder zwei Tage warten« erklärte Cosway.

Stein schüttelte den Kopf. »Hoffst du noch, mein armer Freund, auf eine Zeile von Fräulein Restall? Du ängstigst mich.«

»Das tut mir leid, Stein. Wenn ich ein teilnehmendes Wort von ihr erhalten kann, so will ich mich dem elenden Leben unterwerfen, das vor mir liegt.«

»Erwartest du nicht zu viel?«

»Du würdest nicht so sagen, wenn du sie so liebtest, wie ich.«

Beide schwiegen. Allmählich wurde es dunkel, und die Hausfrau kam wie gewöhnlich mit der Lampe herein. Sie brachte einen Brief für Cosway mit.

Er riss ihn auf, las ihn in einem Augenblick und bedeckte ihn mit Küssen. Seine aufs höchste erregten Gefühle machten sich in einer kleinen entschuldbaren Übertreibung Luft.

»Sie hat mir das Leben gerettet!« sagte er, als er Stein den Brief überreichte.

Dieser enthielt nur folgende Zeilen:

»Meine Liebe gehört Dir, mein Versprechen Dir. Trotz aller Not, trotz aller Ruchlosigkeit, die uns bedroht, trotz der hoffnungslosen Trennung, die uns in dieser Welt bevorstehen mag, bete und sterbe ich als die Deinige. Mein Edwin, Gott segne und tröste Dich.«



Kapiteltrenner

Vierter Zeitabschnitt in Cosways Leben

Die Trennung hatte beinahe zwei Jahre gedauert, als Cosway und Stein im Landhause den Besuch abstatteten, der im Anfange der gegenwärtigen Erzählung erwähnt wurde. In der Zwischenzeit hatte man nur von Herrn Atherton etwas über Fräulein Restall gehört. Dieser teilte mit, dass Adele ein sehr stilles Leben führe. Das einzige bemerkenswerte Ereignis war eine Zusammenkunft zwischen »Fräulein Benshaw« und ihr gewesen. Niemand anders war anwesend, aber das wenige, was über die Zusammenkunft verlautbarte, war geeignet, Fräulein Restalls Charakter über alles Lob zu erheben. Sie hatte dem Weibe vergeben, das sie so grausam verletzt hatte.

Es mag hier erwähnt werden, dass die beiden Freunde, nachdem sie die vollständigste Erklärung über Cosways befremdliches Benehmen am Frühstückstische gegeben hatten, sogleich nach London reisten. Stein war durchaus nicht sanguinischer Natur. »Ich glaube nicht an unser Glück« sagte er. »Lass uns ganz sicher sein, dass wir nicht die Opfer eines neuen Betruges sind.«

Der gemeldete Unfall auf der Themse hatte sich wirklich zugetragen, und die Meldung in der Zeitung erwies sich in jeder Hinsicht als richtig. Stein stellte persönlich seine Nachforschungen an. Aus natürlichem Zartgefühl gegen Adele zögerte Cosway, über die Sache an sie zu schreiben. Der immer hilfsbereite Stein schrieb an seiner Stelle. Kurze Zeit darauf traf eine Antwort ein. Sie enthielt eine kurze, amtliche Darlegung der zuständigen Behörde vom letzten Akte der Bosheit, die von der verstorbenen Teilhaberin des Hauses Benshaw und Comp. verübt worden war. Sie war nicht, wie ihr Bruder, ohne Testament gestorben. Der erste Punkt ihres Testamentes enthielt der Erblasserin dankbare Anerkennung, dass Adele Restall ihr in echt christlicher Barmherzigkeit vergeben hatte. Nach der Feststellung, dass weder Verwandte noch Kinder vorhanden seien, die im Testamente hätten bedacht werden müssen — vermachte der zweite Paragraph Frau Cosway-Benshaws Vermögen der Adele Restall unter der einen unbarmherzigen Bedingung, dass sie Edwin Cosway nicht heirate. Der dritte Absatz überwies — wenn Adele Restall diese Bedingung verletzte — alles Geld dem Geschäftshause in der City »zur Ausdehnung des Geschäftes und zum Vorteile der überlebenden Teilhaber.«

»Einige Monate später wurde Adele großjährig. Zum Ärger ihres Vaters und zum Erstaunen der »Handelsgesellschaft« gelangte das Geld wirklich an das Londoner Geschäftshaus. Der vierte Abschnitt in Cosways Leben war Zeuge seiner Vermählung mit einer Frau, die mit Freuden eine halbe Million Pfund für das Glück hingab, das Leben bei achthundert Pfund jährlich mit einem geliebten Manne zu teilen.

Aber Cosway fühlte sich aus Dankbarkeit verpflichtet, sein Weib zu einer reichen Frau zu machen, wenn Arbeit und Entschlossenheit dies ausrichten konnten. Als Stein zuletzt von ihm hörte, machte er seine Studien für die Advokatur, und Herr Atherton war bereit, ihm den ersten Unterricht im Rechtsverfahren zu geben.

Anmerkung.

Jener »unwahrscheinlichste« Teil der gegenwärtigen Erzählung, der im »ersten Abschnitte« von Cosways Leben enthalten ist, gründet sich auf ein Abenteuer, das keinem Geringeren als einem Vetter von Walter Scott wirklich begegnete. In Lockharts köstlichem »Leben« ist die Anekdote zu finden, wie sie von Walter Scott dem Kapitän Basil Hall erzählt wird. Das übrige der gegenwärtigen Erzählung ist vollständig erdacht. Der Verfasser wollte gerne wissen, was solch eine Frau, wie die Wirtin, unter gewissen gegebenen Umständen tun würde, nachdem sie einen jungen Seeoffizier geheiratet hatte — und hier ist die Antwort.



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