Die Heirat wider Willen



Zweiter Zeitabschnitt in Cosways Leben

Vier Jahre waren verflossen, ehe die »Albicore« nach dem Hafen zurückkehrte, aus dem sie ihre Fahrt angetreten hatte. In der Zwischenzeit waren Cosways Eltern gestorben. Der

Rechtsanwalt, der während seiner Abwesenheit von England seine Geschäfte besorgt hatte, benachrichtigte ihn, dass die Erbschaft aus seines verstorbenen Vaters »Besitztum« sich auf ein jährliches Einkommen von achthundert Pfund belaufe. Seine Mutter hatte nur die lebenslängliche Nutznießung ihres Vermögens besessen; sie hatte ihm ihre Juwelen, sonst nichts, hinterlassen.

Die Erfahrungen, welche Cosway als Seeoffizier im Auslande gemacht hatte, hatten ihn in seinen Erwartungen vollständig getäuscht, denn er besaß keinen politischen Einfluss, der seine Beförderung hätte beschleunigen können. Er entschloss sich daher, vom Dienste zurückzutreten, sobald das Schiff »außer Dienst gestellt« sei.

Zum Erstaunen seiner Kameraden hatte er indessen keine Eile, von dem ihm bewilligten Urlaub aufs Land Gebrauch zu machen. Der treue Stein war der einzige Mann an Bord, der da wusste, dass er seiner »Frau« zu begegnen fürchtete. Dieser gute Freund erbot sich, in den Gasthof zu gehen und die notwendigen Erkundigungen mit aller Vorsicht anzustellen.«

»Vier Jahre sind eine lange Zeit, in ihrem Alter« sagte er. »Vieles kann sich in vier Jahren zutragen.«

Eine Stunde später kehrte Stein zum Schiffe zurück und machte seinem Kameraden an Bord eine schriftliche Mitteilung in den Worten: »Packe deine Sachen sogleich ein und komme zu mir ans Land.«

»Was für Nachrichten?« fragte der Ehegemahl besorgt. Stein blickte bedeutsam nach den Müßiggängern am Landungsplatze »Warte« sagte er, »bis wir allein sind.«

»Wohin gehen wir?«

»Zur Eisenbahn-Station.«

Sie begaben sich in einen leeren Wagen, und Stein benahm seinem Freunde sogleich jede weitere Besorgnis.

»Niemand kennt das Geheimnis deiner Heirat, als wir beide« fing er ruhig an. »Ich meine, Cosway, du hättest nicht nötig, traurig zu sein.«

»Du willst doch nicht sagen, dass sie tot ist!«

»Ich habe einen Brief von ihrem eignen Anwalt gesehen, der ihren Tod meldet« erwiderte Stein. »Er war so kurz, dass ich glaube, ihn Wort für Wort wiederholen zu können: —

,Werter Herr! Ich habe Nachricht von dem Tode meiner Klientin erhalten. Bitte, zahlen Sie die nächste und letzte Rate des Kaufschillings für den Gasthof an die Testamentsvollstrecker der verstorbenen Frau Cosway.« Das war der Brief. Mit den Worten ‚Werter Herr‘ meinte er den gegenwärtigen Inhaber des Gasthofes. Dieser erzählte mir in einigen Worten die frühere Lebensgeschichte deiner Frau. Nachdem sie ihr Geschäft mit gewohnter Klugheit länger als drei Jahre fortgeführt hatte, wurde sie kränklich und ging nach London, um einen Arzt zu befragen. Dort blieb sie unter dessen Obhut. Das nächste war, dass ein Agent erschien, der mit Rücksicht auf die schwankende Gesundheit der Wirtin den Auftrag hatte, das Geschäft zu verkaufen. Nimm nun noch den späteren Tod hinzu — und du hast den Anfang und das Ende der Geschichte Fortuna schuldete dir eine glückliche Wendung, Cosway — und Fortuna hat ihre Schuld entrichtet. Empfange meine besten Glückwünsche.«

In London angekommen, begab sich Stein sogleich zu seinen im nördlichen Teile wohnenden Verwandten. Cosway ging auf das Bureau des Herrn Atherton, des Anwaltes der Familie, der während seiner Abwesenheit seine Interessen vertreten hatte. Sein Vater und Herr Atherton waren Schulkameraden und alte Freunde gewesen. Er wurde herzlich aufgenommen und eingeladen, am nächsten Tage dem Rechtsanwalte in seinem Landhause zu Richmond einen Besuch abzustatten.

»Sie werden London nahe genug sein, um Ihre Geschäfte im Marineministerium zu besorgen« sagte Herr Atherton, »und in meinem Hause eine Besucherin antreffen, die eins

der reizendsten Mädchen in England ist — die einzige Tochter des hochangesehenen Herrn Restall. Guter Himmel! Haben Sie nie von ihm gehört? Mein werter Herr, er ist einer der Teilhaber der berühmten Firma Benshaw, Restall und Benshaw.«

Cosway war verständig genug, diesen letzten Teil der Auskunft als ganz selbstverständlich hinzunehmen. Am nächsten Tage stellte ihn Frau Atherton dem reizenden Fräulein Restall vor, und Frau Athertons unvermählte Tochter, die in ihrer Kindheit seine Spielgenossin gewesen war, flüsterte ihm, halb im Scherz, halb im Ernste zu: »Benutze deine Zeit aufs beste; Fräulein Restall ist noch frei.«

Cosway schauderte bei dem bloßen Gedanken an eine zweite Heirat innerlich zusammen. War Fräulein Restall die Frau, die seine Zuversicht wieder aufrichten konnte? Sie war klein und zierlich und hatte dunkles Haar — ein anmutiges, wohlerzogenes, recht verständiges Mädchen, und sie hatte eine Stimme, die außerordentlich lieblich und einnehmend war. Ohr, Hand und Fuß waren bewunderungswürdig, und sie hatte den jetzt bei Frauen höchst seltenen Reiz eines ganz natürlichen Lächelns.

Ehe noch Cosway eine Stunde im Hause war, fand sie, dass seine lange Dienstzeit im Auslande ihm eine Unterhaltungsgabe verliehen hatte, die vorteilhaft gegen das gewöhnliche Geschwätz abstach, das sie von anderen Männern gehört hatte.

Cosway wurde bald ihr Liebling, wie Othello seinerzeit ein solcher geworden war.

Die Damen des Hauses freuten sich alle des Erfolges des jungen Offiziers mit Ausnahme von Fräulein Restalls Gesellschafterin, einer Frau Margery, die vermutlich gegen hohen Lohn Mutterstelle bei ihr versah.

Zu vorsichtig, um sich durch Worte bloßzustellen, drückte diese Frau Zweifel und Missbilligung in ihrem Blicke aus. Sie hatte weißes Haar, eisengraue Augenbrauen und geschwollene Augen; ihr Blick war ungewöhnlich scharf. Eines Abends erwischte sie den guten Herrn Atherton allein und befragte ihn vertraulich über Cosways Einkommen. Dies war die erste Warnung, die dem braven Rechtsanwalt über die Art der zwischen seinen beiden Gästen bereits bestehenden ‚Freundschaft‘ die Augen öffnete. Er kannte Fräulein Restalls hochangesehenen Vater sehr wohl und fürchtete, dass es bald seine unangenehme Pflicht werden könnte, dem Besuche Cosways ein Ende zu machen.

Als an einem Sonnabendnachmittag Herr Atherton noch darüber nachdachte, wie er es Cosway am freundlichsten und rücksichtsvollsten beibringen könne, dass es Zeit sei, sich zu verabschieden, kam ein leerer Wagen im Landhause an.

Herr Restall sandte Frau Atherton ein Billet, in dem er mit vollendeter Höflichkeit für die seiner Tochter erwiesene Güte dankte. »Umstände« fügte er hinzu, »machen es notwendig, dass meine Tochter heute nachmittag noch nach Hause zurückkehrt.«

Die ‚Umstände‘ bezogen sich vermutlich auf eine Gartengesellschaft, welche von Herrn Restall in der folgenden Woche veranstaltet werden sollte. Aber warum war seine Tochter zu Hause nötig, ehe noch der Tag für die Veranstaltung gekommen war?

Die Damen des Hauses, immer noch für Cosway eingenommen, waren der Meinung, dass Frau Margery ohne Zweifel insgeheim mit Herrn Restall in Verbindung getreten und dass die Ankunft des Wagens die natürliche Folge davon sei. Frau Athertons verheiratete Tochter tat alles, was getan werden konnte. Sie schaffte sich Frau Margery für einen Augenblick vom Halse und wusste es so einzurichten, dass Cosway und Fräulein Restall in ihrem eigenen Wohnzimmer voneinander Abschied nehmen konnten. Als die junge Dame im Hausgange erschien, hatte sie ihren Schleier vors Gesicht gezogen. Cosway eilte auf die Straße und sah gerade noch den Wagen, als er davonfuhr.

In wenig mehr als vierzehn Tagen war seine Abneigung gegen eine zweite Heirat ein überwundenes Gefühl geworden. Er verweilte aus Dankbarkeit gegen seine guten Freunde noch bis zum Montagmorgen im Landhause, und dann begleitete er Herrn Atherton nach London. Geschäfte bei dem Marineministerium dienten ihm als Entschuldigung. Aber er täuschte damit niemand. Er war augenscheinlich auf dem Wege zu Fräulein Restall.

»Legen Sie Ihre Geschäfte in meine Hand« sagte der Rechtsanwalt auf dem Wege zur Stadt, »und gehen Sie zu Ihrem Vergnügen auf das Festland. Ich kann Sie nicht tadeln, dass Sie sich in Fräulein Restall verliebt haben; ich hätte die Gefahr vorhersehen und warten müssen, bis sie uns verlassen hatte, ehe ich Sie in mein Haus einlud. Aber ich möchte Sie wenigstens warnen, die Sache nicht weiter zu treiben. Wenn Sie auch ein Einkommen von achttausend Pfund anstatt von achthundert jährlich hätten, würde es Herr Restall doch für eine Anmaßung von Ihrer Seite halten, nach der Hand seiner Tochter zu trachten, wenn Sie nicht auch einen Titel mit in den Kauf zu geben hätten. Betrachten Sie es im wahren Lichte, mein lieber Junge, und Sie werden es mir eines Tages danken, deutlich mit Ihnen gesprochen zu haben.«

Cosway versprach, »es im wahren Lichte zu betrachten.«

Diese Betrachtung führte ihn, von seinem Standpunkte aus, zu einer Verlegung seines Wohnsitzes. Er verließ seinen Gasthof und nahm eine Wohnung in einer Nebenstraße, die dem Palaste des Herrn Restall in Kensington am nächsten gelegen war.

An demselben Abend wandte er sich, gestützt auf eine vorausgegangene Verabredung, wegen eines Briefes an das benachbarte Postamt und erhielt einen solchen, der an E. C. — die Anfangsbuchstaben von Edwin Cosway — adressiert war. »Bitte, sei vorsichtig« schrieb ihm Fräulein Restall, »ich habe versucht, dir eine Eintrittskarte für unsere Gartengesellschaft zu verschaffen, aber das gehässige Geschöpf, die Margery, hat offenbar mit meinem Vater gesprochen; es ist mir nicht eine einzige Karte anvertraut worden. Ertrage es wie ich, geduldig, mein Teurer, und lass mich hören, ob es dir gelungen ist, eine Wohnung in unserer Nähe zu bekommen.«

Cosway fügte sich nicht sehr geduldig diesem ersten Missgeschick, sondern sandte seine Antwort, die an A.R. — die Anfangsbuchstaben von Adele Restall — adressiert war, zum Postamt. Am nächsten Tage schon fragte der ungeduldige Liebhaber bei der Post nach einem weiteren Briefe. Dieser war auch eingetroffen, aber seine Adresse war nicht von Adeles Hand geschrieben. War ihre Korrespondenz entdeckt worden? Er öffnete den Brief in der Straße und las mit Staunen folgende Zeilen:

»Werter Herr Cosway!

Mein Herz hat Mitgefühl mit zwei treuen Liebenden, trotz meines Alters und trotz meiner Pflicht. Ich füge eine Einladung zu der morgen stattfindenden Gartengesellschaft bei. Bitte verraten Sie mich nicht und erweisen Sie Adele keine zu auffällige Aufmerksamkeit. Vorsicht ist leicht zu beobachten, denn es werden zwölfhundert Gäste da sein.

Dem äußeren Scheine zum Trotz

Ihre Freundin

Louise Margery.«

Wie abscheulich ungerecht hatten sie doch alle diese ausgezeichnete Frau beurteilt! Cosway begab sich als dankbarer und glücklicher Mann zur Gesellschaft. Die ersten ihm bekannten Personen, die er unter der Menge der Fremden erkannte, waren die Athertons. Sie waren so erstaunt wie möglich, ihn zu sehen. Aber die Rücksicht auf Frau Margery verbot ihm, sich in irgendwelche Erklärungen einzulassen.

Wo war denn nun diese beste und treueste Freundin? Mit einiger Mühe gelang es ihm, sie aufzufinden. War es unschicklich, ihre Hand zu ergreifen und sie herzlich zu drücken? Die Folge dieser Dankesbezeugung war, gelinde gesagt, geradezu verblüffend. Frau Margery benahm sich wie die Athertons. Sie war erstaunt, ihn zu sehen, und stellte genau dieselbe Frage:

»Wie gelangten Sie hierher?«

Cosway konnte nur annehmen, dass sie scherze.

»Wer sollte dies, teure Frau, besser als Sie selbst wissen?« erwiderte er.

»Ich verstehe Sie nicht« antwortete Frau Margery gereizt.

Nachdem er einen Augenblick nachgedacht, geriet er auf eine Lösung des Geheimnisses. Besucher waren in der Nähe, und Frau Margery hatte ihren besonderen Gebrauch von Herrn Restalls Eintrittskarte gemacht. Sie mochte wichtige Gründe haben, äußerst vorsichtig zu sein. Cosway blickte sie bedeutungsvoll an.

»Das geringste, was ich tun kann, ist verschwiegen zu sein« flüsterte er ihr zu — und verließ sie.

Er wandte sich einem Seitengange zu, und dort traf er endlich Adele! Es schien wirklich ein Verhängnis zu sein. Sie war erstaunt, und auch sie fragte: »Wie gelangtest du hierher?« Diesmal waren keine zudringlichen Besucher in der Nähe. »Meine Teuere!« wandte Cosway ein, »Frau Margery muss es dir doch gesagt haben, als sie mir eine Einladung schickte.« Adele erblasste. »Frau Margery?« wiederholte sie. »Frau Margery hat mir nichts gesagt; sie verabscheut dich. Wir müssen dies aufklären. Nein! Jetzt nicht — ich muss für unsere Gäste sorgen. Erwarte einen Brief von mir, und, um des Himmels willen, Edwin, bleibe meinem Vater aus dem Wege. Einer der Eingeladenen, den er ganz besonders zu sehen wünschte, hat sich entschuldigt — und er ist darüber schrecklich ärgerlich."

Sie verließ ihn, ehe noch Cosway erklären konnte, dass er und Herr Restall sich bis jetzt noch nicht gesehen hätten. Er schritt bis zum äußersten Ende des Gartens, von einem unbestimmten Argwohn beunruhigt und verletzt von der Kälte, mit der ihn Adele empfangen hatte. Als er das Gebüsch betrat, das an dieser Stelle den Garten anscheinend vor der außen vorüberführenden Straße verbergen sollte, bemerkte er plötzlich unter den Bäumen einen hübschen kleinen Pavillon. Ein kräftiger Herr in reiferen Jahren saß hier allein in dieser Einsamkeit. Stirnrunzelnd blickte er in die Höhe. Cosway entschuldigte sich, ihn gestört zu haben, und fing aus Höflichkeit eine Unterhaltung mit ihm an.

»Eine prächtige Gesellschaft heute, mein Herr.«

Der korpulente Herr antwortete in einem unartikulierten Tone, der so etwas zwischen Grunzen und Husten war.

»Und ein prächtiges Haus und Gelände« fuhr Cosway fort.

Der kräftige Herr wiederholte den unartikulierten Ton.

Cosway begann dies unterhaltend zu finden. War dieser seltsame alte Mann taubstumm?

»Entschuldigen Sie, dass ich Sie angeredet habe« fuhr Cosway fort. »Ich fühle mich wie ein Fremder hier. Hier sind so viele Leute, die ich nicht kenne.«

Der dicke Herr geriet plötzlich ins Sprechen. Cosway hatte endlich eine gleichgestimmte Faser berührt.

»Es sind sehr viele Leute hier, die ich nicht kenne« sagte er mürrisch. »Sie sind einer von diesen. Wie heißen Sie ?«

»Ich heiße Cosway, mein Herr. Und wie heißen Sie ?«

Der kräftige Herr erhob sich mit wütendem Blicke. Er stieß einen Fluch aus und fügte die unerträgliche Frage hinzu, die schon dreimal von anderen gestellt worden war: »Wie kamen Sie hierher?« Und der Ton dieser Worte war noch beleidigender als der Fluch. »Ihr Alter beschützt Sie, mein Herr« sagte Cosway mit der stolzesten Gemütsruhe. »Es tut mir leid, dass ich einem so groben Menschen meinen Namen nannte.«

»Grob?« schrie der alte Herr-. »Vermutlich wollen Sie meinen Namen ebenfalls wissen? Sie junger Geck, Sie sollen ihn erfahren! Ich heiße Restall.« Er kehrte ihm den Rücken und ging weg. Cosway schlug den einzigen Weg ein, der ihm offen blieb. Er kehrte in seine Wohnung

zurück.

Am nächsten Tage kam kein Brief von Adele. Er ging zur Post. Kein Brief war da. Es war schon Abend geworden, als eine Frau erschien, die ihm fremd war. Sie schien eine Dienerin zu sein, und war die Überbringerin einer geheimnisvollen Botschaft.

»Bitte kommen Sie um zehn Uhr morgen früh an die Gartentür, die auf die Straße hinausgeht. Klopfen Sie dreimal an die Tür — und dann rufen Sie ,Adele‘. Es wird jemand, der Ihnen wohl will, allein in den Anlagen sein und Sie einlassen. Nein, mein Herr! Ich soll nichts nehmen und kein Wort weiter sagen.« Sie sagte dies — und verschwand.

Cosway war pünktlich beim Stelldichein. Er klopfte dreimal und nannte Fräulein Restalls Vornamen. Aber nichts regte sich. Er wartete eine Weile und machte einen zweiten Versuch. Diesmal drang Adeles Stimme befremdlich aus der Anlage zu ihm und sie rief im Tone der Überraschung:

»Edwin, bist du es wirklich?«

»Erwartetest du sonst jemand?« fragte Cosway.

»Mein Liebchen, deine Botschaft sprach von zehn Uhr — und hier bin ich.«

Die Tür wurde rasch aufgeschlossen.

»Ich sandte keine Botschaft« sagte Adele, als sie sich auf der Türschwelle gegenüberstanden.

Schweigend und in der größten Verlegenheit gingen sie miteinander in den Pavillon. Auf Adeles Ersuchen wiederholte Cosway die Botschaft, die er erhalten, und beschrieb die Frau, die sie überbracht hatte. Die Beschreibung passte auf keine Frau, die Fräulein Restall bekannt gewesen wäre.

»Frau Margery sandte dir nie eine Einladung, und ich, ich wiederhole es, nie eine Botschaft. Diese Begegnung ist von jemand ins Werk gesetzt worden, der da weiß, dass ich nach dem Frühstück gewöhnlich in den Gartenanlagen spazieren gehe. Da ist irgendein heimliches Werk im Gange —«

Noch in Gedanken den Feind suchend, der sie verraten hatte, hielt sie inne und überlegte einen Augenblick. »Ist es möglich —?« begann sie und hielt wieder ein. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Mein Sinn ist so vollständig verwirrt« sagte sie, »dass ich über nichts mehr klar nachdenken kann. O Edwin, wir hatten einen glücklichen Traum, und er hat sein Ende erreicht. Mein Vater weiß mehr, als wir denken. Einige unserer Freundinnen gehen morgen ins Ausland — und ich soll mit ihnen gehen. Nichts, was ich auch sagen mag, übt auch nur die geringste Wirkung auf meinen Vater aus. Er gedenkt uns für immer zu trennen — und in dieser grausamen Weise will er es tun.«

Sie schlang ihren Arm um Cosways Hals und lehnte ihren Kopf liebevoll an seine Schulter. Mit zärtlichen Küssen erneuerten sie das Gelübde ewiger Treue, bis ihnen die Stimme versagte.

Cosway benutzte die Pause zu dem einzig vorteilhaften Vorschlage, den er jetzt machen konnte, mit ihm zu entfliehen.

Adele nahm diese kühne Lösung der Schwierigkeit, in die sie versetzt waren, gerade so auf, wie tausend andere junge Mädchen ähnliche Vorschläge vorher und nachher aufgenommen haben. Zuerst sagte sie entschieden Nein. Cosway beharrte auf seiner Meinung. Sie fing an zu weinen und fragte, ob er denn gar keine Rücksicht auf sie nehme. Cosway erklärte, dass seine Rücksicht jedes Opfer bringen könne, das ausgenommen, sich von ihr für immer zu trennen. Er könne und wolle, wenn sie dies vorziehe, für sie sterben, aber so lange er lebe, müsse er sich weigern, ihr zu entsagen. Daraufhin brachte sie einen anderen Grund für ihre Weigerung vor. Konnte er denn erwarten, dass sie allein mit ihm wegging? Sicherlich nicht. Ihre Kammerjungfer könnte mit ihr gehen, oder, wenn man sich nicht auf sie verlassen könnte, würde er sich an seine Wirtin wenden und eine anständige ältere Person annehmen, die sie bis zum Tage ihrer Verheiratung begleiten solle. Würde sie wohl ein wenig Mitleid mit ihm haben und dies sorgfältig überlegen? Nein: sie fürchtete sich, darüber nachzudenken. Wollte sie lieber Elend fürs ganze Leben? Nichts lag ihm an seinem Glücke: Nur ihr Glück hatte er im Sinne. Mit unsympathischen Leuten zu reisen, von England wer weiß wie lange abwesend zu sein, nach der Rückkehr an einen reichen Mann verheiratet zu werden, den sie nicht leiden mochte — wollte, konnte sie an diese Aussichten nur denken? Unter Tränen dachte sie daran, sie dachte daran unter Seufzern, Küssen und Beteuerungen — sie zitterte, zögerte und gab nach. Zu einer bestimmten Stunde der kommenden Nacht, wenn ihr Vater im Rauchzimmer und Frau Margery zu Bett gegangen sein würde, sollte Cosway noch einmal an der Straßentür klopfen, nachdem er ihr inzwischen Zeit gelassen hatte, alle notwendigen Anordnungen zu treffen.

Unter diesen Umständen war es das einzige dringende Erfordernis, sich gegen Verrat und Überraschungen zu schützen. Cosway spielte vorsichtig auf das noch ungelöste Geheimnis der Einladung und der Aufforderung zum Stelldichein an.

»Hast du irgendjemand in dein Vertrauen gezogen?« fragte er. Adele antwortete mit einer gewissen Verlegenheit. »Nur eine Person« sagte sie, — »das liebe Fräulein Benshaw.«

»Wer ist Fräulein Benshaw?«

»Weißt du es wirklich nicht, Edwin? Sie ist reicher selbst als Papa — sie hat von ihrem verstorbenen Bruder die Hälfte des großen Geschäftes in der City geerbt. Fräulein Benshaw ist die Dame, die Papa in seinen Erwartungen täuschte, als sie nicht zur Gartengesellschaft kam. Du erinnerst dich. mein Lieber, wie glücklich wir gewesen sind, als wir bei Athertons zusammen waren? Ich war sehr unglücklich, als sie mich wegbrachten. Fräulein Benshaw besuchte uns zufällig am nächsten Tage und bemerkte es.

,Meine Teuere« sagte sie (Fräulein Benshaw ist jetzt eine ganz alte Dame), ,ich bin eine alte Jungfer, die ihr Lebensglück verfehlt hat, da sie in ihrer Jugend keinen Freund hatte, der sie geführt und ihr geraten hätte. Leiden Sie, wie ich einst litt?« Sie sprach so liebenswürdig — und ich fühlte mich so unglücklich — dass ich wirklich nicht mithin konnte, ihr mein Herz zu öffnen.«

Cosway blickte ernst· »Bist du sicher, dass man sich auf sie verlassen kann?« fragte er.

»Vollkommen sicher.«

»Vielleicht hat sie aber, mein Liebchen, ohne etwas Arges dabei zu denken, mit einer ihrer Freundinnen über uns gesprochen? Alte Damen sind ja so sehr dem Klatsch ergeben. Es ist leicht möglich — meinst du nicht auch?«

Adele ließ den Kopf sinken.

»Ich habe es auch für möglich gehalten« gab sie zu. »Es ist reichlich Zeit, sie heute noch zu besuchen. Ich will unseren Zweifel beseitigen, ehe noch Fräulein Benshaw heute nachmittag ihre Spazierfahrt macht.«

Nachdem sie sich in dieser Weise verständigt hatten, trennten sie sich. Gegen Abend waren Cosways Vorbereitungen für die Flucht getroffen. Er nahm sein einsames Mittagsmahl, als ihm ein Billet überbracht wurde. Es war von einem Boten an der Tür abgegeben worden, der sich wieder entfernt hatte, ohne auf Antwort zu warten. Das Billet lautete also:

»Fräulein Benshaw übersendet Herrn Cosway ihre freundlichen Grüße und würde dankbar sein, wenn er sie heute abend um neun Uhr in einer Angelegenheit besuchen könnte, die ihn selbst betrifft.«

Diese Einladung war augenscheinlich die Folge des Besuches, den Adele ihr an diesem Tage bereits abgestattet hatte.

Cosway, von dem natürlichen Gefühle der Besorgnis und Spannung beunruhigt, fand sich bei ihr ein. Sein Empfang war nicht derart, ihn zu beruhigen. Er wurde in ein dunkles Zimmer geführt. Die einzige Lampe aus dem Tische war tief heruntergedreht und das so zugelassene spärliche Licht noch durch einen Schirm vermindert. Die Winkel des Zimmers waren beinahe in vollständige Dunkelheit gehüllt.

Aus einem der Winkel kam eine Stimme, die ihm zuflüsterte:

»Ich muss Sie bitten, das dunkle Zimmer zu entschuldigen. Ich leide an einer ernsten Erkältung. Meine Augen sind entzündet und mein Hals ist so schlimm, dass ich nur flüstern kann. Setzen Sie sich, Herr Cosway. Ich habe Nachrichten für Sie erhalten.«

»Hoffentlich keine schlimmen, gnädige Frau?« wagte Cosway zu fragen.

»Die allerschlimmsten Nachrichten« sagte die flüsternde Stimme. »Sie haben einen Feind, der Ihnen im Dunkeln seine Streiche versetzt.«

Cosway fragte, wer dies sei und erhielt keine Antwort. Er änderte die Frage dahin, warum denn der Ungenannte im Dunkeln nach ihm schlage. Dies hatte Erfolg; er erhielt jetzt eine Antwort:

»Es ist mir mitgeteilt worden« sagte Fräulein Benshaw, »dass diese Person es für nötig halte, Ihnen einen Denkzettel zu geben, und das boshafte Verlangen habe, dies so empfindlich wie möglich zu tun. Diese Person sandte Ihnen, wie ich zufällig erfahren habe, die Einladung zur Gartengesellschaft und veranlasste auch die Zusammenkunft, die an der Gartentür stattfand. Warten Sie einen Augenblick, Herr Cosway, ich bin noch nicht fertig. Die Person hat es auch Herrn Restall in den Kopf gesetzt, seine Tochter morgen ins Ausland zu schicken.«

Cosway versuchte sie zu veranlassen, dass sie deutlicher spreche.

»Ist dieses elende Geschöpf Mann oder Frau?« fragte er.

Fräulein Benshaw fuhr fort, ohne auf die Unterbrechung zu achten:

»Sie brauchen keine Besorgnis zu haben, Herr Cosway. Fräulein Restall wird England nicht verlassen. Ihr Feind ist allmächtig. Seine Absicht konnte nur sein, Sie zu einem Fluchtplan zu veranlassen — und, nachdem Ihre Vorbereitungen getroffen waren, Herrn Restall zu benachrichtigen und Sie und Fräulein Adele so vollständig voneinander zu trennen, als wenn jedes von Ihnen am entgegengesetzten Ende der Welt wäre. O, Sie werden unzweifelhaft voneinander getrennt werden! Boshaft, nicht wahr? Und, was noch schlimmer ist, das Unheil ist so gut wie geschehen.«

Cosway erhob sich von seinem Sitze.

»Wünschen Sie noch eine weitere Erklärung?« fragte Fräulein Benshaw.

»Noch eins« erwiderte er. »Weiß Adele davon?«

»Nein« sagte Fräulein Benshaw; »Ihnen bleibt es überlassen, es ihr zu sagen.«

Nun trat ein Moment des Schweigens ein. Cosway sah nach der Lampe hin. Wenn er einmal erregt war, so war mit ihm, wie dies bei Männern seines Temperaments gewöhnlich ist, nicht zu scherzen.

»Fräulein Benshaw« sagte er, »ich darf wohl sagen, dass Sie mich für einfältig halten; aber ich kann mir trotz alledem ein Urteil bilden. Sie sind meine Feindin.«

Die einzige Erwiderung war ein kicherndes Lachen. Alle Stimmen können im Flüstern mehr oder weniger erfolgreich verstellt werden — aber das Lachen trägt sein Erkennungszeichen in sich selbst. Cosway riss plötzlich den Schirm von der Lampe weg und drehte den Docht in die Höhe. Das Licht überflutete das Zimmer und zeigte ihm — seine Frau.


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