Armadale



Siebentes Kapitel.

Von St. Ehrwürden Decimus Brock an Ozias
« Midwinter.

»Donnerstag.

Mein lieber Midwinter!

Ich kann Ihnen nicht mit Worten sagen, welche Erleichterung mir Ihr heute Morgen empfangener Brief gewährt und wie wahrhaft glücklich ich bin, daß es sich somit herausstellt, wie ich unrecht gehabt habe. Die Vorsichtsmaßregeln, die Sie für den Fall getroffen haben, daß das Frauenzimmer sich noch jetzt nach Thorpe-Ambrose wagen sollte, scheinen mir Allem zu entsprechen, was man nur verlangen kann. Ohne Zweifel werden Sie durch Einen oder den Andern vom Büreaupersonal des Rechtsanwalts, die Sie ersucht haben, Sie von jeder fremden Erscheinung im Orte in Kenntniß zu setzen, von ihr hören.

Ich bin über diesen Beweis, daß ich mich in unserer Sache auf Sie verlassen darf, um so mehr erfreut, als ich Allan’s Angelegenheiten wahrscheinlich länger, als vorauszusehen war, in Ihren Händen zu lassen genöthigt sein werde. Leider werde ich meinen Besuch in Thorpe-Ambrose noch auf zwei Monate verschieben müssen. Der einzige meiner Collegen, der mich in meinem Amte zu vertreten im Stande ist, kann es vor Ablauf der erwähnten Zeit nicht ermöglichen, seine Familie nach Sommersetshire zu bringen. Es bleibt mir deshalb nichts Anderes übrig, als meine Geschäfte hier zu beenden und noch vor nächsten Sonnabend auf meine Pfarre heimzukehren. Sollte sich irgendetwas ereignen, so werden Sie mich natürlich unverzüglich davon benachrichtigen, und ich muß dann, welche Inconvenienzen damit auch verbunden sein mögen, sofort nach Thorpe-Ambrose aufbrechen. Sollte dagegen Alles glatter verlaufen, als meine ewige Angst mich. glauben lassen will, so darf mich Allan, an den ich geschrieben habe, nicht früher als heute über acht Wochen erwarten.

Unsere Bemühungen, die auf dem Bahnhofe verlorene Spur wiederzufinden, sind bis jetzt ohne Erfolg geblieben. Ich will indessen meinen Brief bis zur Postzeit noch nicht schließen, für den Fall, daß die nächsten paar Stunden noch etwas Neues bringen.

Stets treulich der Ihre

Decimus Brock.

P.S. Ich habe soeben von den Advokaten gehört, Sie haben den Namen entdeckt, unter dem das Frauenzimmer in London lebte. Gibt diese Entdeckung, keine sehr wichtige, wie ich fürchte, Ihnen irgend neue Mittel und Wege an die Hand, so bitte ich Sie, augenblicklich danach zu handeln. Der Name ist —— Miß Gwilt.«

Von Miß Gwilt an Mrs. Oldershaw.

»Parkhäuschen Thorpe-Ambrose,
Sonnabend, den 28. Juni.

Wenn Du mir versprechen willst, Dich nicht zu ängstigen, Mama Oldershaw, so will ich diesen Brief in einer sehr seltsamen Weise beginnen, indem ich nämlich eine Seite aus einem Briefe copire, den eine andere Person geschrieben hat. Du hast ein vortreffliches Gedächtniß und vielleicht nicht vergessen, daß ich am vorigen Montag, nachdem man mich als Gouvernante engagiert hatte, einen Brief von Major Milroy’s Mutter erhielt. Derselbe war datiert und unterschrieben, und die erste Seite lautete folgendermaßen: ——
»Den 23. Juni 1851. Liebes Fräulein —— Bitte, entschuldigen Sie mich, wenn ich Sie vor Ihrer Abreise nach Thorpe-Ambrose noch mit einem Worte über die im Hause meines Sohnes herrschenden Gewohnheiten behellige. Als ich heute um zwei Uhr das Vergnügen hatte, Sie in Kingstown Crescent zu sehen, hatte ich in einem entfernten Theile der Stadt um drei Uhr ein anderes Geschäft, und in der Eile entfielen mir ein paar Dinge, die ich, wie mich dünkt, Ihrer Beachtung anempfehlen muß.« Der übrige Inhalt des Briefs ist von gar keiner Bedeutung, aber die Zeilen, die ich hier abgeschrieben, sind aller Aufmerksamkeit Werth, die Du ihnen nur schenken kannst Sie haben mich vor Entdeckung geschützt ehe ich noch eine Woche in Major Milroy’s Diensten gewesen bin, meine Theure!

Die Sache trug sich gestern Abend zu und begann und endete folgendermaßen.

Es befindet sich hier ein Herr, über den ich weiterhin noch Einiges zu sagen haben werde, der ein vertrauter Freund des jungen Armadale ist und den seltsamen Namen Midwinter trägt. Gestern gelang es ihm, mich im Park allein zu sprechen. Sowie er die Lippen auf that, ward ich gewahr, daß man in London meinen Namen ausspioniert hat, ohne Zweifel durch den Sommersetshirer Pfarrer, und daß Mr. Midwinter dazu ersehen war, und zwar offenbar von demselben Herrn, die aus Brompton verschwundene Miß Gwilt mit der in Thorpe-Ambrose erschienenen zu Identifizieren. Irre ich nicht, so hast Du diese Gefahr vorausgesehen, aber Du hast kaum annehmen können, daß die Bloßstellung mich schon so bald bedrohen werde.

Ich erspare Dir die Einzelheiten unserer Unterredung, um zum Schlusse zu kommen. Mr. Midwinter trug die Sache sehr zart vor, zu meinem großen Erstaunen sprach er seine Ueberzeugung aus, daß ich nicht die Miß Gwilt sei, die sein Freund suche, und er frage mich nur, mit Rücksicht auf die Befürchtungen eines Mannes, dessen Wünsche er in Ehren zu halten verpflichtet sei, ob ich ihm nicht behilflich sein wolle, diese Besorgnisse, soweit die Sache mich persönlich betreffe, gänzlich zu beschwichtigen, indem ich ihm eine einfache Frage beantworte, die er kein anders Recht an mich zu richten habe, als dasjenige, welches meine Nachsicht ihm einräumen werde? Die verschwundene Miß Gwilt habe man am vorigen Montag um zwei Uhr Nachmittags auf dem Perron der Nordwestbahn in Enston Square aus den Augen verloren. Wolle ich ihn zu sagen ermächtigen, daß die Miß Gwilt, welche jetzt bei Major Milroy Gouvernante sei, an jenem Tage und zu jener Stunde gar nicht nach dem erwähnten Bahnhof gekommen sei.

Ich brauche Dir nicht zu sagen, daß ich die schöne Gelegenheit, die er mir geboten, allen ferneren Verdacht zu entwaffnen, mit Freuden ergriff. Auf der Stelle nahm ich einen hohen Ton an und schlug ihn mit dem Briefe der alten Dame. Er weigerte sich höflich, ihn einzusehen, allein ich bestand darauf. »Ich mag nicht fälschlicher Weise für ein Frauenzimmer gehalten werden«, sagte ich, »das vielleicht einen schlechten Ruf hat, blos, weil sie denselben Namen trägt, oder angenommen hat, welcher auch der meinige ist. Ich bestehe darauf, daß Sie zu meiner Genugthuung, wenn nicht zu der Ihrigen, den ersten Theil dieses Briefes lesen.« Er mußte nachgeben —— und da hatte er das Zeugniß in der Handschrift der alten Dame selbst, daß sie und ich vergangenen Montag um zwei Uhr in Kingstown Crescent zusammen waren, der, wie ihm jedes Adreßbuch darthun kann, in Bayswater liegt.

Natürlich hätte ich ihn, wenn ich den Brief nicht aufbewahrt, mit demselben Erfolge an Dich oder die Mutter des Majors verweisen können. So aber ist der Zweck sonder Verzug und Mühe erreicht worden. Es ist bewiesen, daß ich nicht ich war; und eine der Gefahren, die mich in Thorpe-Ambrose bedrohten, ist von diesem Augenblicke an aus dem Wege geräumt. Das Gesicht Deines Stubenmädchens mag nicht sonderlich hübsch sein, aber es läßt sich nicht leugnen, daß es uns vortreffliche Dienste geleistet hat.

So viel über die Vergangenheit, jetzt zur Zukunft. Du sollst hören, wie ich mit den Leuten hier verkomme, und selber beurtheilen, welche Aussichten ich habe, Herrin von Thorpe-Ambrose zu werden.

Laß mich mit dem jungen Armadale anfangen, —— denn das heißt, mit guten Nachrichten beginnen. Ich habe bereits den rechten Eindruck auf ihn gemacht, und der Himmel weiß, daß ich darauf stolz zu sein keine besondere Ursache habe! Jedes leidlich hübsche Frauenzimmer, das sich die Mühe nähme, könnte ihn verliebt in sie machen. Er ist ein schwindelköpfiger junger Narr —— einer jener munteren, frischen, blonden, gutmüthigen Männer, gegen die ich einen besonderen Abscheu hege. Am Tage meiner Ankunft war ich eine ganze Stunde mit ihm im Boote allein, und ich kann Dir sagen, daß ich von jenem Tage an bis heute meine Zeit gut benützt habe. Die einzige Schwierigkeit ihm gegenüber liegt darin, daß es mir schwer fällt, meine eigenen Gefühle zu verbergen, namentlich, wenn er meine Abneigung gegen ihn zu förmlichem Hasse steigerte, indem er mich zuweilen an seine Mutter erinnert. Ich habe wirklich nie einen Menschen gesehen, den ich so schlecht behandeln könnte, wenn sich mir die Gelegenheit dazu böte. Kommt nichts dazwischen, so wird er mir diese Gelegenheit früher geben, als wir denken. Soeben bin ich von einer Gesellschaft im Herrenhause zurückgekehrt, dem Festmahle, das am Zinstage stattfindet, und die Aufmerksamkeiten des Squire gegen mich und mein bescheidenes Widerstreben, sie anzunehmen, haben bereits allgemeine Aufmerksamkeit erregt.

Sodann kommt meine Schülerin Mr. Milroy. Auch sie ist rosig und albern und, mehr noch, ungeschickt und plump und sommersprossig und Verdrießlich und schlecht gekleidet. Sie brauche ich nicht zu fürchten, obschon sie mich haßt wie die Pest, was mir ein großer Trost ist, denn dadurch bin ich während der Zeit, wo ich sie nicht unterrichte oder nicht mit ihr spazieren gehe, von ihrer Gesellschaft befreit. Es ist sehr leicht, zu bemerken, daß sie ihr Zusammensein mit dem jungen Armadale, beiläufig ein Umstand, den wir nicht in Rechnung brachten, wohl benützt hat und so dumm gewesen ist, ihn sich durch die Finger schlüpfen zu lassen. Wenn ich Dir sage, daß sie, um des Anscheines willen, ihren Vater und mich bei den kleinen Besuchen in Thorpe-Ambrose begleiten und die Bewunderung des jungen Armadale für mich mit ansehen muß, so wirst Du ungefähr ermessen können, wie hoch ich in ihrer Gunst stehe. Sie würde mich ganz unerträglich ärgern, sähe ich nicht, daß ich sie reize, wenn ich meine Ruhe bewahre —— und darum bewahre ich diese natürlich. Wenn ich wirklich einmal in Wuth gerathe, so wird dies in den Lectionen geschehen, und zwar in den Musikstunden. Nicht mit Worten kann ich schildern, wie tief ich für ihr armes Clavier fühle. Der Hälfte der Clavier spielenden Mädchen in England sollten, im Interesse der Gesellschaft, die Finger abgehackt werden, und ginge es nach meinem Willen, Miß Milroy’s Finger kämen zuerst daran. «

Was den Major betrifft, so kann ich in seiner Achtung kaum höher steigen, als ich bereits darin stehe. Ich bin stets bei der Hand, sein Frühstück zu bereiten —— und seine Tochter ist dies nicht. Ich kann immer seine Sachen finden, die er verliert —— und seine Tochter kann es nicht. Ich gähne nie, wenn er uns seine langweiligen Erzählungen auftischt —— und seine Tochter thut es. Ich habe den armen, harmlosen, lieben alten Herrn gern; deshalb will ich kein Wort weiter über ihn sagen.

Nun, da haben wir doch sicherlich eine schöne Aussicht für die Zukunft? Meine gute Oldershaw, es gab noch nie eine schöne Aussicht, worin nicht ein häßlicher Fleck gewesen wäre. Meine Aussicht hat zwei häßliche Flecke. Der eine heißt Mrs. Milroy, der andere Mr. Midwinter.

Mit Mrs. Milroy angefangen. Was that sie wohl am Tage meiner Ankunft, ehe ich noch kaum fünf Minuten im Hause gewesen? Sie ließ mir sagen, daß sie mich zu sehen wünsche. Diese Botschaft überraschte mich ein wenig. —— nachdem ich von der alten Dame in London gehört, daß ihre Schwiegertochter zu leidend sei, um irgend Jemanden zu empfangen —— doch blieb mir natürlich nichts anderes übrig, als der Aufforderung Folge zu leisten und mich in das Krankenzimmer hinauf zu begeben. Ich fand sie durch ein unheilbares Rückenleiden ans Bett gefesselt und von einem wahrhaft schauerlichen Anblick, doch im Besitz all ihrer Geistesfähigkeiten, und sie ist, wenn ich mich nicht sehr täusche, ein so falsches Weib, von so abscheulichem Charakter, wie Dir in all’ Deinen langen Erfahrungen nur je eines vorgekommen ist. Ihre ausgesuchte Höflichkeit und die Schlauheit, mit der sie ihr eigenes Gesicht im Schatten der Bettvorhänge hielt, während es ihr gelang, auf das meinige ein helles Licht fallen zu lassen, bewogen mich, sowie ich ins Zimmer trat, auf meiner Hut zu sein. Wir,´waren eine halbe Stunde zusammen, ohne daß ich in eine einzige der kleinen Fallen ging, welche sie so geschickt für mich zu legen wußte. Das einzige Räthselhafte in ihrem Benehmen, das ich zur Zeit nicht zu durchschauen vermag, war der Umstand, daß sie mich fortwährend bat, ihr bald Dies bald Jenes, Dinge, die sie offenbar gar nicht brauchte, aus verschiedenen Theilen des Zimmers zu holen.

Seitdem haben mich die Ereignisse hierüber aufgeklärt. Mein Argwohn ward zuerst durch ein Geschwätz der Mädchen erweckt, das ich zufällig mit anhörte, und das Benehmen von Mrs. Milroy’s Wärterin hat mich in meiner Meinung bestärkt. In den seltenen Fällen, wo ich zufällig mit dem Major allein geblieben, hat sich die Wärterin ebenfalls zufällig etwas bei ihrem Herrn zu thun gemacht, und jedes mal vergessen, ihr Erscheinen durch Anklopfen an die Thür zu melden. Begreifst Du jetzt, warum Mrs. Milroy mich zu sich beschied, sowie ich im Hause angelangt war, und was sie damit bezweckte, indem sie mich im Zimmer hin und her schickte? Kaum dürfte sich noch ein anziehendes Licht für mein Gesicht und meine Gestalt finden, in dem jenes Weibes eifersüchtiges Auge sie nicht bereits studiert hätte. Ich weiß nun recht wohl, warum Vater und Tochter überrascht waren und einander ansahen, als ich ihnen vorgestellt ward, oder warum die Mädchen mich mit boshafter Hoffnung im Blicke anstieren, wenn ich schelle und sie um Dies oder Jenes ersuche. Zwischen uns beiden, Mutter Oldershaw, ist’s unnütz, die Wahrheit zu verbergen. Als ich in jenes Krankenzimmer hinausging, marschierte ich mit verbundenen Augen geradezu in den Rachen eines eifersüchtigen Weibes. Kann mich Mrs. Milroy aus dem Hause schaffen, so wird sie es thun, und sie hat in ihrem Bettgefängnisse vom Morgen bis in den Abend sich mit nichts Anderem zu beschäftigen, als die Mittel und Wege dazu auszudenken.

In dieser üblen Lage wird mein eigenes vorsichtiges Benehmen von der vollkommenen Unempfindlichkeit des lieben alten Majors vortrefflich unterstützt. Die Eifersucht seiner Frau ist ein so unerhörter Wahnsinn, wie es außerhalb eines Tollhauses je einen gegeben —— es ist die Frucht ihres abscheulichen Temperaments, welches ein unheilbares Leiden noch verschlimmert. Der arme Mann denkt an nichts, als an seine mechanischen Bestrebungen, und ich glaube nicht, daß er bis zu diesem Augenblicke weiß, ob ich schön bin oder nicht. Bei solcher Sachlage darf ich hoffen, auf eine Zeitlang wenigstens, den plötzlichen Störungen von Seiten der Wärterin und den Anschlägen ihrer Herrin die Spitze bieten zu können. Aber Du weißt, was ein eifersüchtiges Weib ist, ich denke, ich weiß, was Mrs. Milroy ist, und ich bekenne, daß sich an dem Tage freier athmen werde, wo der junge Armadale seine albernen Lippen zu passenden Worten aufthut und den Major nöthigt, durch die Zeitungen eine neue Erzieherin zu suchen.

Armadales Name erinnert mich an Armadale’s Freund. Aus diesem Revier droht mir größere Gefahr, und was noch schlimmer, ich fühle mich vor der Hand gegen Mr. Midwinter nicht halb so gut gewaffnet, wie gegen Mrs. Milroy.

An diesem Menschen ist Alles mehr oder minder geheimnißvoll, was mir zuvörderst schon nicht gefällt Wie kommt er dazu, der Vertraute des Sommersetshirer Pfarrers zu sein? Wie viel hat dieser Pastor ihm mitgetheilt? Wie kam es, daß er bei unserer Begegnung im Park so fest davon überzeugt war, ich sei nicht die Miß Gwilt, die sein Freund suche? Ich habe keinen Schatten von Antwort auf diese drei Fragen. Nicht einmal entdecken kann ich, wer er ist und wie er und der junge Armadale zuerst mit einander bekannt wurden. Ich hasse ihn. Nein, das thue ich nicht; ich möchte nur ins Klare über ihn kommen. Er ist sehr jung, klein und schlank, dunkel und gewandt, und hat glänzende schwarze Augen, die deutlich zu mir sagen: »Wir gehören einem Manne an, der Verstand und seinen eigenen Willen besitzt; einem Manne, der nicht immer zum Gefolge eines Narren auf einem großen Landsitze gehört hat.« Ja, ich bin fest überzeugt, daß Mr. Midwinter, so jung er noch ist, bereits etwas gethan oder etwas gelitten hat, und ich möchte, ich weiß nicht was, darum geben, zu erfahren, was dies war. Nimm mir’s nicht übel, daß ich ihm so viel Platz in meinem Briefe widme. Sein Einfluß auf den jungen Armadale ist groß genug, um sich mir als ein sehr unbequemes Hinderniß in den Weg zu stellen, wenn ich mir nicht von vornherein seine gute Meinung sichern kann. Nun, und was hindert Dich daran, Dir seine gute Meinung zu sichern? wirst Du fragen. Ich fürchte sehr, Mutter Oldershow, daß ich derselben bereits in einer Weise theilhaftig geworden bin, auf die ich gar nicht gerechnet habe.

Ich fürchte sehr, der Mann ist schon in mich verliebt. Du brauchst nicht den Kopf zu schütteln und zu sagen: »Das sieht ihrer Eitelkeit ähnlich!« Nach den Aengsten, die ich durchgemacht habe, bleibt mir keine Eitelkeit mehr, und ein Mann, der mich bewundert, ist ein Mann, der mich schaudern macht. Es gab eine Zeit, das gebe ich zu —— Bah! was schreibe ich da? Empfindsamkeit, so wahr ich lebe! Empfindsamkeit an Dich! Lache nur zu, meine Liebe. Ich meinerseits lache weder, noch weine ich; ich schneide meine Feder, und fahre in meinem —— wie nennen die Männer es gleich? —— in meinem Berichte fort.

Das Einzige, was sich der Untersuchung verlohnt, ist die Frage, ob ich in meiner Annahme hinsichtlich des Eindruck, den ich auf ihn gemacht, Recht habe. Laß sehen —— ich bin viermal in seiner Gesellschaft gewesen. Das erste Mal im Garten des Majors, wo wir einander unerwartet gerade gegenüber standen. Er stand da und sah mich an, als wäre er versteinert, und ohne ein Wort zu sprechen. Die Wirkung meines häßlichen rothen Haares vielleicht? Ganz wahrscheinlich —— schreiben wir es meinem Haar zu. Das zweite Mal, als wir in den Gartenanlagen von Thorpe-Ambrose spazierten, wo der junge Armadale auf der einen und meine Schülerin in mürrischer Laune auf der andern Seite von mir ging. Mr. Midwinter gesellte sich zu uns, wiewohl er aus dem Administrationsbüreau beschäftigt war und diese Arbeit sonst niemals vernachlässigt. Trägheit, vielleicht? oder eine Zuneigung für Miß Milroy? Kanns nicht sagen; schreiben wir es Miß Milroy zu, wenn Du willst —— ich weiß blos, daß er Niemanden ansah, als mich. Das dritte Mal war bei unserer Privatunterredung im Park, von der ich Dir bereits erzählt habe. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie einen Mann bei einer delicaten Frage an ein Weib so bewegt gesehen. Doch dies mochte blose Verlegenheit sein, und daß er, nachdem wir uns getrennt hatten, fortwährend noch zurückblickte, mochte nur geschehen, um die Aussicht zu genießen. Messen wir es der Aussicht bei, auf jeden Fall der Aussicht! Das vierte Mal war heute Abend bei der kleinen Gesellschaft. Ich mußte spielen, und da das Piano gut war, spielte ich so gut wie ich überhaupt konnte. Die ganze Gesellschaft drängte sich um mich herum und sagte mir Schmeicheleien —— meine reizende Schülerin brachte ihr Compliment mit dem Gesichte einer Katze vor, wenn sie im Begriff ist zu kratzen —— außer Mr. Midwinter. Er wartete, bis der Augenblick des Fortgehens kam, und dann wußte er mich einen Augenblick allein im Hausflur zu treffen. Er hatte gerade Zeit, meine Hände zu fassen und zwei Worte zu sagen. Soll ich Dir beschreiben, wie er meine Hände faßte und wie seine Stimme klang, als er sprach? Ganz unnöthig! Du hast mir stets gesagt, daß der verstorbene Mr. Oldershaw Dich vergötterte. Rufe Dir eben die Art und Weise ins Gedächtniß zurück, in der er zum ersten Male Deine Hand nahm und Dir ein paar heimliche Worte ins Ohr flüsterte Welchem Umstande schriebst Du damals sein Benehmen zu?« Wenn Du im Laufe des Abends Clavier gespielt hattest, dann ohne Zweifel der Musik.

Ja! Du magst Dich darauf verlassen, das Unglück ist geschehen. Dieser Mensch ist kein schwindelköpfiger Narr, der seine Herzensneigungen so schnell wechselt, wie seine Kleider —— das Feuer, das in jenen großen schwarzen Augen brennt, ist kein Flackerfeuer, welches ein Weib, das es entzündet, so leicht wieder auszulöschen vermag. Ich möchte Dich nicht entmuthigen; ich sage auch nicht, daß die Chancen gegen uns sind. Aber auf der einen Seite von Mrs. Milroy und auf der andern Seite von Mr. Midwinter bedroht, laufe ich die schlimmste aller Gefahren ——: die Zeit zu verlieren.

Bereits hat der junge Armadale so gut wie ein solcher Tölpel es eben versteht, auf ein heimliches Rendezvous angespielt! Miß Milroy’s Augen sind scharf und die der Wärterin noch schärfer, und ich werde meine Stelle verlieren, wenn die Eine oder die Andere dahinterkommt. Einerlei! Ich muß die Chance ergreifen, und ihm die heimliche Zusammenkunft gestatten. Laß mich ihn nur bei Seite haben, laß mich nur den spionierenden Blicken der Weiber entwischen, und —— wenn sein Freund nicht dazwischen tritt —— will ich einstehen für den Erfolg.

Inzwischen —— habe ich Dir noch sonst etwas mitzutheilen? Sind uns noch andere Leute in Thorpe-Ambrose im Wege? Keine Seele! Von den Gutsnachbarn macht hier Niemand Besuch, denn der junge Armadale steht glücklicher Weise in schlechtem Geruch bei der Nachbarschaft. Weder schöne vornehme Damen, noch Leute von Bedeutung kommen zu ihm, die wider seine Aufmerksamkeiten gegen eine Gouvernante protestieren winden. Die einzigen Gäste, die er heute Abend für seine Gesellschaft hatte austreiben können, waren der Advocat mit seiner Familie (aus dessen Gattin, einem Sohne und zwei Töchtern bestehend) und eine taube alte Frau mit ihrem Sohne —— lauter völlig unbedeutende Leute und alle demüthig gehorsame Diener des dummen jungen Squires.

Da ich von demüthig gehorsamen Dienern rede, fällt mir noch eine Persönlichkeit ein, die hier im Administrationsbureau angestellt ist —— ein jämmerlicher, schäbiger, zerrütte alter Mann, namens Bashwood. Er ist mir völlig fremd, und ich bin offenbar für ihn ebenfalls eine Fremde; denn er hat das Stubenmädchen im Parkhäuschen gefragt, wer ich sei. Ich mache mir selbst kein großes Compliment, wenn ich es bekenne; aber es ist darum nicht minder wahr, daß ich auf dieses schwache alte Geschöpf, als es mich zum ersten Male sah, den erstaunlichsten Eindruck gemacht habe. Er wechselte zehnmal die Farbe und stand zitternd da und starrte mich an, als läge etwas ganz Entsetzliches in meinem Gesichte. Für den Moment war ich ganz erschrocken, denn von all den Männern, die mich in meinem Leben angesehen haben, hat mich noch keiner dergestalt angestiert. Hast Du je die Riesenschlange im Thiergarten füttern sehen? Man bringt ein lebendiges Kaninchen in den Käfig und die beiden Thiere sehen einander einen Augenblick an. Ich versichere Dir, daß mich Mr. Bashwood an das Kaninchen erinnerte!

Warum erwähne ich dieses Umstandes? Ich weiß nicht, warum. Vielleicht habe ich zu lange geschrieben und mein Kopf beginnt schwach zu werden. Vielleicht frappiert mich Mr. Bashwoods Art und Weise der Bewunderung durch ihre Neuheit. Lächerlich! Ich rege mich auf und beunruhige Dich um nichts. O, welch einen langen langweiligen Brief ich geschrieben habe! und wie klar die Sterne durchs Fenster auf mich herabschauen, und wie schauerlich stille die Nacht ist! Schicke mir noch etwas von den bewußten Schlaftropfen und schreibe mir einen Deiner schönen, boshaften, amüsanten Brief. Du sollst wieder von mir hören, sobald ich ein wenig besser weiß, wie Alles ablaufen wird. Gute Nacht, und bewahre in Deinem steinernen alten Herzen einen Winkel für

L. G. «

Von Mrs. Oldershaw an Miß Gwilt.

»Diana-Street Pimlico, Montag.
Meine liebe Lydia!

Ich bin durchaus nicht in der Gemüthsverfassung um Dir einen amüsanten Brief zu schreiben. Deine Mittheilungen sind sehr entmuthigender Natur und Dein leichtsinniger Ton ängstigt mich förmlich. Bedenke doch das Geld, das ich Dir bereits vorgeschossen, und die Interessen, die für uns beide auf dem Spiele stehen. Was Du immer sein magst, ums Himmels willen sei wenigstens nicht leichtsinnig!

Was kann ich thun? —— Ich frage mich als Geschäftsfrau, was kann ich thun, Dich zu fördern? Ich kann Dir keinen Rath geben, denn ich bin nicht an Ort und Stelle, und weiß nicht, wie die Verhältnisse sich vielleicht von einem Tage zum andern verändern. In der Lage, in der wir uns jetzt befinden, kann ich nur in einer Weise nützlich sein: ich kann ein neues Hinderniß entdecken, das Dich bedroht, und glaube, daß ich es aus dem Wege zu räumen im Stande sein werde.

Du sagst sehr wahr, es habe noch nie eine Aussicht ohne eine häßliche Stelle darin gegeben, und in der Deinigen befinden sich zwei solcher häßlicher Flecken. Meine Liebste, es dürften wohl drei darin sein, wenn ich mich nicht ins Mittel lege, und der dritte Fleck wird Brock heißen! Ist es möglich, daß Du des Pfarrers erwähnen kannst, wie Du es thust, ohne einzusehen, daß die Fortschritte, die Du bei dem jungen Armadale machst, früher oder später durch den Freund des jungen Armadale an den Geistlichen berichtet werden müssen? Ja, jetzt, da ich daran denke, sehe ich, daß Du doppelt in der Gewalt des Pfarrers bist! Irgendein neuer Verdacht kann ihn binnen vierundzwanzig Stunden selbst nach Eurer Gegend bringen, und Du bist der Gefahr ausgesetzt, daß er, sowie er hört, der Squire stehe im Begriff, sich mit der Gouvernante eines Nachbars zu compromittiren, sich sofort hindernd dazwischen stellt. Wenn ich sonst nichts thun kann, so kann ich wenigstens diese Gefahr von Dir fern halten. Und, o Lydia, mit welcher Freude werde ich dabei Alles aufbieten, nachdem mich der alte Bursche so schmachvoll gekränkt hat, als ich ihm auf der Straße jene Jammergeschichte erzählte! Wahrhaftig, ich zittere vor Vergnügen, wenn ich daran denke, wie ich Mr. Brock zum Narren halten werde!

Und wie soll das geschehen? Ei, genau so, wie wir es schon einmal vollbracht haben. Er hat Miß Gwilt, oder vielmehr mein Stubenmädchen verloren, nicht wahr? Sehr wohl. Er soll sie, wo er auch immer sein mag, in bequemer Nähe wiederfinden. Solange sie an dem Orte bleibt, wird auch er dort bleiben; und da wir wissen daß sie nicht zu Thorpe-Ambrose ist, so bist Du dort vor ihm sicher! Der Verdacht des alten Herrn hat uns bis jetzt erstaunlich viel Ungelegenheit bereitet. Laß uns denselben wenigstens nutzbringend ausbeuten; durch seinen Argwohn wollen wir ihn an die Schürzenbänder meines Mädchens binden. Sehr erquicklich. Eine ganz moralische Vergeltung, nicht wahr?

Der einzige Beistand, um den ich Dich behelligen muß, ist derart, daß Du mir ihn leicht wirst leisten können. Suche von Mr. Midwinter’s zu erfahren, wo sich der Pfarrer gegenwärtig aufhält, und benachrichtige mich davon mit umgehender Post. Ist er noch in London, so will ich meinem Mädchen bei der Mystification persönlich behilflich sein. Ist er irgendwo anders, so will ich sie ihm nachschicken, in Begleitung einer Person, auf die ich unbedingtes Vertrauen setzen kann.

Die Schlaftropfen sollst Du morgen erhalten. Inzwischen wiederhole ich schließlich das, was ich im Eingange sagte —— keinen Leichtsinn! Gib Dich nicht poetischen Empfindungen hin, gucke nicht nach den Sternen und schwatze nicht von der schauerlichen Stille der Nacht. Es gibt ja Leute auf der Sternwarte, welche dafür bezahlt werden, daß sie die Sterne für Dich betrachten —— überlasse es ihnen. Und was die Nacht betrifft, so mache damit, was die Vorsehung Dich mit der Nacht machen hieß, indem sie Dich mit Augenlidern versah —— schlafe

Von Herzen die Deine
Maria Oldershaw.«

Von St. Ehrwürden Decimus Brock an
Ozias Midwinter.

»Pfarrhaus Bascomb, Sommerset,
Donnerstag, den 3. Juli.

Mein lieber Midwinter.

Nur eine Zeile, ehe die Post abgeht, um Sie aller Verantwortlichkeit in Thorpe-Ambrose zu entheben Und der Dame, die in Major Milroy’s Familie als Gouvernante lebt, meine Entschuldigungen zu "machen.

Die Miß Gwilt —— oder ich sollte vielmehr sagen, das Frauenzimmer, welches sich diesen Namen gibt —— ist zu meinem unaussprechlichen Erstaunen hier in meinem Pfarrsprengel ganz offen erschienen! Sie logirt im Gasthof und ist von einem plausibel aussehenden Manne begleitet, der für ihren Bruder gilt. Was dieses unverschämte Benehmen zu bedeuten hat —— wenn es nicht etwa neue Schritte im Complote gegen Allan andeutet, die nach neuen Rathschlägen unterenommen werden —— geht natürlich über meine Entdeckungskunst.

Meine Idee ist die, daß man die Unmöglichkeit eingesehen hat, bis zu Allan zu dringen, ohne mich oder Sie als einen Stein des Anstoßes im Wege zu finden, und daß man aus der Noth eine Tugend machen will, indem man offen versucht, sich mit mir in Verbindung zu setzen. Der Mann sieht aus, als ob er jeder Unverschämtheit fähig wäre, und er sowohl als das Frauenzimmer hatten die Frechheit, mich zu grüßen, als ich ihnen vor einer halben Stunde im Dorfe begegnete. Sie haben bereits Erkundigungen über Allan’s Mutter eingezogen —— hier, wo deren exemplarisches Leben all ihren Nachforschungen Trotz bieten wird. Wenn es nur auf Gelderpressungen als Preis für ihr Schweigen über das Verhalten der armen Mrs. Armadale zur Zeit ihrer Heirath auf Madeira abgesehen ist, so werden sie mich gerüstet finden. Ich habe mit dieser selben Post an meine Advocaten geschrieben und sie ersucht, mir einen geschickten Menschen zur Hilfe zu schicken, und er wird sich in irgendeiner Rolle, wie sie ihm unter den gegenwärtigen Verhältnissen als die sicherste erscheint, aus der Pfarrei einquartieren.

In den nächsten Tagen sollen Sie erfahren, was sich weiter begeben hat.

Stets aufrichtig der Ihre.
Decimus Brock.«


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