Zwei Schicksalswege

Sie tritt zwischen unsSHE COMES BETWEEN US
Welche Bewegung hatte ich unbewusst in Miss Dunroß hervorgerufen, hatte ich sie betrübt oder beleidigt? Hatte ich, ohne es zu wollen, in ihrer Seele ein tief verborgenes Gefühl wach gerufen, das sie bis jetzt standhaft unterdrückt hatte?WHAT emotion had I thoughtlessly aroused in Miss Dunross? Had I offended or distressed her? Or had I, without meaning it, forced on her inner knowledge some deeply seated feeling which she had thus far resolutely ignored?
Ich gedachte der Tage, die ich hier im Hause verlebt hatte und prüfte meine eigenen Gefühle und Eindrücke, um dadurch vielleicht zur Lösung des Rätsels zu gelangen, weshalb sie aus dem Zimmer geflohen war.I looked back through the days of my sojourn in the house; I questioned my own feelings and impressions, on the chance that they might serve me as a means of solving the mystery of her sudden flight from the room.
Welchen Eindruck hatte sie auf mich gemacht?What effect had she produced on me?
Um die Wahrheit zu gestehen, hatte sie einfach allen Raum in meinem Innern eingenommen und alles Andere daraus verdrängt. Sie hatte in zehn Tagen meine Teilnahme in einem so hohen Grade erregt, wie es einer anderen Frau kaum in zehn Jahren gelungen wäre. Mit Schamgefühl gestand ich mir ein, dass ich meiner Mutter sehr selten gedacht hatte, selbst das Bild von Frau van Brandt war, außer, wenn wir von ihr sprachen, in meinem Gedächtnis sehr verblichen.In plain truth, she had simply taken her place in my mind, to the exclusion of every other person and every other subject. In ten days she had taken a hold on my sympathies of which other women would have failed to possess themselves in so many years. I remembered, to my shame, that my mother had but seldom occupied my thoughts. Even the image of Mrs. Van Brandt--except when the conversation had turned on her--had become a faint image in my mind!
Meine Freunde in Lerwick hatten mich alle der Reihe nach, Sir James an der Spitze, besucht und undankbarerweise hatte ich stets eine heimliche Freude empfunden, wenn sie sich wieder empfahlen und meiner Pflegerin das Feld räumten.As to my friends at Lerwick, from Sir James downward, they had all kindly come to see me--and I had secretly and ungratefully rejoiced when their departure left the scene free for the return of my nurse.
In zwei Tagen sollte das Regierungsschiff sich auf die Rückreise begeben. Obgleich meine Hand mich beim Gebrauch noch empfindlich schmerzte, war ich doch hinreichend hergestellt, um die Reise nach Lerwick zu ertragen, da die viel bedenklichere Verletzung an der wiedergeöffneten Wunde durchaus weder für mich noch irgend jemand Anderes mehr ein Gegenstand der Sorge war und ich zudem auf dem Wege zwischen Lerwick und Dunroß's Hause noch in einem Gehöft übernachten konnte.In two days more the Government vessel was to sail on the return voyage. My wrist was still painful when I tried to use it; but the far more serious injury presented by the re-opened wound was no longer a subject of anxiety to myself or to any one about me. I was sufficiently restored to be capable of making the journey to Lerwick, if I rested for one night at a farm half-way between the town and Mr. Dunross's house.
Trotzdem ich das Alles wusste, hatte ich die Frage, ob ich zu dem Schiffe zurückkehren würde, bis zum letzten Augenblick offen gelassen und meinen Freunden als Grund dafür den Zweifel an der Zulänglichkeit meiner Kräfte angegeben. Der Grund, den ich mir jetzt selbst gestand, war, dass ich zögerte Miss Dunroß zu verlassen.Knowing this, I had nevertheless left the question of rejoining the vessel undecided to the very latest moment. The motive which I pleaded to my friends was--uncertainty as to the sufficient recovery of my strength. The motive which I now confessed to myself was reluctance to leave Miss Dunross.
Welche geheime Macht hatte sie über mich ausgeübt, welches Gefühl, welche Leidenschaft hatte sie in mir erweckt? War es Liebe?What was the secret of her power over me? What emotion, what passion, had she awakened in me? Was it love?
Nein, Liebe war es nicht. An der Stelle, die Mary einst eingenommen, die später Frau van Brandt ausgefüllt, stand Miss Dunroß nicht. Wie konnte ich im gewöhnlichen Sinn des Wortes eine Frau lieben, deren Antlitz ich nie gesehen hatte, deren Schönheit verwelkt war, um nie wieder zu erblühen? Deren verödetes Leben an einem Faden hing, der jeden Augenblick zerreißen konnte. An jeder Neigung zwischen den verschiedenen Geschlechtern, wenn man sie anders Liebe nennen soll, haben die Sinne ihren Anteil, an meinem Gefühl für Miss Dunroß hatten sie keinen. Welch ein Gefühl war es denn? Diese Frage konnte ich nur auf eine Weise beantworten, da das Gefühl zu tief in mir verborgen war, um es ergründen zu können.No: not love. The place which Mary had once held in my heart, the place which Mrs. Van Brandt had taken in the after-time, was not the place occupied by Miss Dunross. How could I (in the ordinary sense of the word) be in love with a woman whose face I had never seen? whose beauty had faded, never to bloom again? whose wasted life hung by a thread which the accident of a moment might snap? The senses have their share in all love between the sexes which is worthy of the name. They had no share in the feeling with which I regarded Miss Dunross. What was the feeling, then? I can only answer the question in one way. The feeling lay too deep in me for my sounding.
Welchen Eindruck hatte ich ihr gemacht? Welche Saite ihres Gefühls hatte ich, ohne es zu wissen, berührt, als meine Lippen ihre Hand berührten?What impression had I produced on her? What sensitive chord had I ignorantly touched, when my lips touched her hand?
Ich zagte diese Frage weiter zu verfolgen, die ich mir selbst vorgelegt. Ich gedachte ihrer zerrütteten Gesundheit, ihres Daseins in Schatten und Einsamkeit, ich gedachte der reichen Schätze dieses Herzens und dieses Gemütes, die mit ihrem welkenden Leben auch hinwelken mussten und ich sagte mir: Ihr Geheimnis sei Dir heilig! Nie soll eines meiner Worte oder eine meiner Handlungen sie wieder in Unruhe und Schmerzen versetzen, mag ihr Herz vor mir verschleiert bleiben, wie ihr Antlitz.I confess I recoiled from pursuing the inquiry which I had deliberately set myself to make. I thought of her shattered health; of her melancholy existence in shadow and solitude; of the rich treasures of such a heart and such a mind as hers, wasted with her wasting life; and I said to myself, Let her secret be sacred! let me never again, by word or deed, bring the trouble which tells of it to the surface! let her heart be veiled from me in the darkness which veils her face!
In dieser Stimmung erwartete ich ihre Rückkehr.In this frame of mind toward her, I waited her return.
Dass ich sie im Laufe des Tages noch wiedersehen würde, bezweifelte ich nicht, da die Post nach dem Süden am nächsten Tage abging und es daher im Hause allgemeine Sitte war, die Briefe am Abend vorher zu schreiben, weil sie der Bote am Morgen ganz früh abholte. Miss Dunroß hatte sich daran gewöhnt nach meinem Diktat die Briefe in meine Heimat zu schreiben, da ich meine Hand noch immer nicht gebrauchen konnte. Sie wusste, dass ich meiner Mutter einen Brief schuldete und auf ihre Hilfe angewiesen war. So war ihre Umkehr zu mir nur eine Zeitfrage, da jede Verpflichtung, wie gering sie auch immer sein mochte, in ihren Augen zur dringenden Pflicht wurde.I had no doubt of seeing her again, sooner or later, on that day. The post to the south went out on the next day; and the early hour of the morning at which the messenger called for our letters made it a matter of ordinary convenience to write overnight. In the disabled state of my hand, Miss Dunross had been accustomed to write home for me, under my dictation: she knew that I owed a letter to my mother, and that I relied as usual on her help. Her return to me, under these circumstances, was simply a question of time: any duty which she had once undertaken was an imperative duty in her estimation, no matter how trifling it might be.
Stunde auf Stunde verging, der Tag neigte sich zu Ende und sie erschien noch immer nicht.The hours wore on; the day drew to its end--and still she never appeared.
Ich verließ mein Zimmer, um noch die letzten Strahlen der Sonne in dem Garten hinter dem Hause aufzufangen, ließ aber Peter zurück, wo ich aufzufinden war, im Fall Miss Dunroß mich suchte. Nach meinen südländischen Begriffen war der Garten sehr wild, aber er zog sich weit an der Küste der Insel hin und bot manche hübsche Aussicht über den See und das Moorland hinaus. Während ich langsam dahin schlenderte, beschloss ich meine Gedanken nützlich zu beschäftigen, indem ich mir den Brief an meine Mutter, den Miß Dunroß für mich schreiben sollte, immer durchdachte.I left my room to enjoy the last sunny gleam of the daylight in the garden attached to the house; first telling Peter where I might be found, if Miss Dunross wanted me. The garden was a wild place, to my southern notions; but it extended for some distance along the shore of the island, and it offered some pleasant views of the lake and the moorland country beyond. Slowly pursuing my walk, I proposed to myself to occupy my mind to some useful purpose by arranging beforehand the composition of the letter which Miss Dunross was to write.
Ich fand es aber zu meinem Erstaunen ganz unmöglich, meine Gedanken auf diesen Gegenstand zu richten. Wie oft ich es auch versuchte, immer schweiften meine Gedanken wieder von dem Briefe an die Mutter zu Miss Dunroß hinüber. Doch nein! Verweilten sie bei der Frage, ob ich mit dem Regierungsschiff nach Pertshire zurückkehren sollte oder nicht, oder wohin wendeten sie sich eigentlich? Wunderbarerweise waren alle meine Gedanken durch eine unerklärliche Abschweifung meines Gefühls plötzlich auf einen Gegenstand gerichtet, dem ich jetzt lange nicht mehr nachgedacht hatte, auf - Frau van Brandt. Unwillkürlich dachte ich, so sehr sich mein Wille auch dagegen sträubte, an unsere letzte Unterredung zurück. Ich sah sie, hörte sie wieder, empfand die augenblickliche Wonne unseres letzten Kusses und vergegenwärtigte mir die Qualen und Schmerzen, die ich empfand, als ich von ihr gegangen war und mich allein auf der Straße befand. Tränen, deren ich mich schämte, obgleich sie niemand sah, füllten meine Augen, als ich der Monate gedachte, die seit unserem letzten Beisammensein verflossen waren und wie viel Herzeleid konnten, mussten sie über sie gebracht haben!To my great surprise, I found it simply impossible to fix my mind on the subject. Try as I might, my thoughts persisted in wandering from the letter to my mother, and concentrated themselves instead--on Miss Dunross? No. On the question of my returning, or not returning, to Perthshire by the Government vessel? No. By some capricious revulsion of feeling which it seemed impossible to account for, my whole mind was now absorbed on the one subject which had been hitherto so strangely absent from it--the subject of Mrs. Van Brandt! My memory went back, in defiance of all exercise of my own will, to my last interview with her. I saw her again; I heard her again. I tasted once more the momentary rapture of our last kiss; I felt once more the pang of sorrow that wrung me when I had parted with her and found myself alone in the street. Tears--of which I was ashamed, though nobody was near to see them--filled my eyes when I thought of the months that had passed since we had last looked on one another, and of all that she might have suffered, must have suffered, in that time.
Obgleich Hunderte von Meilen zwischen uns lagen, war sie mir diesen Augenblick so nah, als ginge sie im Garten neben mir.Hundreds on hundreds of miles were between us--and yet she was now as near me as if she were walking in the garden by my side!
Wie mein Geist, befand auch mein Körper sich in wunderbarem Zustande, ein geheimnisvolles Beben durchschauerte mich von Kopf bis zu den Füßen. Ohne den Boden unter mir zu fühlen, schritt ich vorwärts, meine Augen ruhten auf den Gegenständen umher, ohne dass ich mir ihrer bewusst war, meine Hände waren kalt, ohne dass ich es eigentlich fühlte, mein Kopf glühte, doch empfand ich keinen Schmerz, fühlte mich wie umgeben und eingehüllt in eine elektrische Atmosphäre, die alle meine Gefühle wunderbar verwandelte. In dem Glauben, dass ein Gewitter im Anzuge war, blickte ich zum Himmel auf, der war ruhig und klar. Ich stand still, um meinen Rock zuzuknöpfen und fragte mich, ob ich mich erkältet haben könnte oder ob ein Fieber im Anzuge war. Die Sonne versank hinter dem Horizonte des Moorlandes, das graue Zwielicht zitterte über den dunklen Wassern des Sees, ich kehrte zum Hause zurück und auch dahin begleitete mich die lebhafte Erinnerung an Frau van Brandt, als treue Gefährtin. Das Feuer in meinem Zimmer war während dessen niedergebrannt. Einer der geschlossenen Vorhänge war ein paar Zoll weit zurückgezogen, so dass ein Strahl des ersterbenden Lichts hindurchdringen konnte und an der Stelle, wo Licht und Finsternis sich schieden, sah ich Miss Dunroß im dunklen Teil des Zimmers sitzen. Sie hatte den Schleier herabgelassen und ihr Schreibzeug auf dem Schoß, so erwartete sie meine Rückkehr.This strange condition of my mind was matched by an equally strange condition of my body. A mysterious trembling shuddered over me faintly from head to foot. I walked without feeling the ground as I trod on it; I looked about me with no distinct consciousness of what the objects were on which my eyes rested. My hands were cold--and yet I hardly felt it. My head throbbed hotly--and yet I was not sensible of any pain. It seemed as if I were surrounded and enwrapped in some electric atmosphere which altered all the ordinary conditions of sensation. I looked up at the clear, calm sky, and wondered if a thunderstorm was coming. I stopped, and buttoned my coat round me, and questioned myself if I had caught a cold, or if I was going to have a fever. The sun sank below the moorland horizon; the gray twilight trembled over the dark waters of the lake. I went back to the house; and the vivid memory of Mrs. Van Brandt, still in close companionship, went back with me. The fire in my room had burned low in my absence. One of the closed curtains had been drawn back a few inches, so as to admit through the window a ray of the dying light. On the boundary limit where the light was crossed by the obscurity which filled the rest of the room, I saw Miss Dunross seated, with her veil drawn and her writing-case on her knee, waiting my return.
Ich entschuldigte mich und sagte ihr, dass ich aus Vorsorge dem Diener hinterlassen hätte, wo ich zu finden wäre; sie unterbrach mich aber sanft, so dass ich meinen Satz nicht vollenden konnte.I hastened to make my excuses. I assured her that I had been careful to tell the servant where to find me. She gently checked me before I could say more.
»Peter ist unschuldig«, sagte sie, »ich wünschte, dass er Sie nicht zu früh ins Hans zurückrufen möchte. Hat Ihr Spaziergang Ihnen gut getan?« Sie sprach sehr ruhig, die schwache, trübe Stimme war schwächer und trüber denn je. Während dieser Worte hielt sie ihren Kopf über das Schreibzeug gebeugt, statt wie sonst ihn mir während unseres Gesprächs zuzuwenden. Ich fühlte immer noch jenes geheimnisvolle Beben wie im Garten und zog meinen Stuhl nah an das Feuer, dessen Kohlen ich anzuschüren versuchte, um mich daran zu erwärmen. Dadurch war ein kleiner Zwischenraum zwischen unseren Plätzen im Zimmer. Ich konnte sie nur von der Seite sehen, wie sie in der schützenden Dunkelheit des vorgezogenen Vorhanges am Fenster saß."It's not Peter's fault," she said. "I told him not to hurry your return to the house. Have you enjoyed your walk?" She spoke very quietly. The faint, sad voice was fainter and sadder than ever. She kept her head bent over her writing-case, instead of turning it toward me as usual while we were talking. I still felt the mysterious trembling which had oppressed me in the garden. Drawing a chair near the fire, I stirred the embers together, and tried to warm myself. Our positions in the room left some little distance between us. I could only see her sidewise, as she sat by the window in the sheltering darkness of the curtain which still remained drawn.
»Ich fürchte, dass ich mich zu lange im Garten aufgehalten habe,« sagte ich, »mich durchrieselt die eisige Abendluft.«"I think I have been too long in the garden," I said. "I feel chilled by the cold evening air."
»Soll mehr Holz auf das Feuer gelegt werden?« fragte sie. »Soll ich irgend etwas für Sie besorgen?«"Will you have some more wood put on the fire?" she asked. "Can I get you anything?"
» Nein, ich danke, ich bedarf nichts. Ich sehe, dass Sie die Güte haben wollen für mich zu schreiben.«"No, thank you. I shall do very well here. I see you are kindly ready to write for me."
»Ja,« sagte sie, ,wenn Sie es wünschen; so wie Sie bereit sind, ist meine Feder es auch.«"Yes," she said, "at your own convenience. When you are ready, my pen is ready."
Sie schien die ausgesprochene Rückhaltung, die zwischen uns entstanden war, seit wir uns zuletzt gesprochen hatten, ebenso schmerzlich zu empfinden als ich und hätten wir nur gewusst, wie es anzufangen war, so hätten wir sie gern durchbrochen. Jedenfalls musste das Briefschreiben uns beschäftigen. Wiederum versuchte ich meine Gedanken darauf zu richten und wiederum war der Versuch vergebens. Obgleich ich sehr gut wusste, was ich meiner Mutter zu sagen hatte, war es mir, so wie ich es aussprechen wollte, als fehlte mir die Fähigkeit dazu. Ich kauerte am Feuer und sie wartete mit ihrem Schreibzeuge auf dem Schoß.The unacknowledged reserve that had come between us since we had last spoken together, was, I believe, as painfully felt by her as by me. We were no doubt longing to break through it on either side--if we had only known how. The writing of the letter would occupy us, at any rate. I made another effort to give my mind to the subject--and once more it was an effort made in vain. Knowing what I wanted to say to my mother, my faculties seemed to be paralyzed when I tried to say it. I sat cowering by the fire--and she sat waiting, with her writing-case on her lap.


Vorheriges Kapitel
Nächstes Kapitel
 Inhaltsverzeichnis für diese Geschichte