Mann und Weib



Zweiundsechzigstes Kapitel - Die Anzeichen des nahenden Endes

Als die Magd am nächsten Morgen das Frühstück auf Anne’s Zimmer brachte, schloß sie mit einer geheimnißvollen Miene die Thür hinter sich und meldete, es gingen sonderbare Dinge im Hause vor.

»Haben Sie gestern Abend nichts von unten her gehört, Madame?« fragte sie.

»Es kam mir vor«, erwiderte Anne, »als ob ich Stimmen draußen vor meiner Thür flüstert: hörte. Ist etwas vorgefallen?«

Der sehr confuse Bericht des Mädchens lief im Wesentlichen auf Folgendes hinaus.

Zu ihrem Schrecken war ihre Herrin plötzlich auf dem Vorplatz erschienen und hatte wild um sich geblickt, als ob sie den Verstand verloren hätte. Gleich darauf habe der Herr die Thür des Wohnzimmers aufgerissen, habe Mrs. Dethridge am Arm ergriffen, sie in’s Zimmer hineingezogen und die Thür wieder geschlossen.

Nachdem die Beiden länger als eine halbe Stunde zusammen eingeschlossen gewesen seien, sei Mrs. Dethridge todtenbleich wieder herausgekommen, und sei zitternd, wie Jemand, der sich entsetzlich ängstige, die Treppe hinauf gegangen. Etwas später, berichtete das Mädchen weiter, als sie schon im Bett gelegen, aber noch nicht geschlafen, habe sie einen Lichtschimmer, unter ihrer Thür, in dem kleinen hölzernen Gang gesehen, welcher sich zwischen Anne’s und Hester’s Schlafzimmer befand, und von dem aus sie in ihr neben Hester’s gelegenes kleines Schlafzimmer gelangte. Sie sei ausgestanden und habe durch’s Schlüsselloch gesehen, wie der Herr und Mrs. Dethridge zusammen die Wände des kleinen Ganges untersucht hätten. Der Herr habe die Hand auf die Wand an der Seite von Anne’s Schlafzimmer gelegt und habe Mrs. Dethridge dabei angesehen diese habe ihn wieder angesehen und mit dem Kopf geschüttelt. Dann habe er einen Augenblick nachgedacht, und dann wieder geflüstert: »Aber in dem anderen Zimmer wird’s gehen?« Da habe Mrs. Dethridge mit dem Kopf genickt, und darauf seien sie fortgegangen. So lautete der Bericht über die Vorgänge des gestrigen Abends und der Nacht. In der Frühe seien dann noch andere sonderbare Dinge geschehen. Der Herr sei mit einem großen, versiegelten mit vielen Postmarken versehenen Packet ausgegangen, habe dasselbe also wohl selbst zur Post getragen, anstatt es wie gewöhnlich durch sie, die Magd, besorgen zu lassen. Als er wieder nach Hause gekommen, sei Mrs. Dethridge ausgegangen.

Kurz nachher habe ein Arbeiter ein Bündel Latten und etwas Mörtel und Gyps gebracht, und seien diese Sachen vorsichtig in eine Ecke der Aufwaschküche gestellt worden.

Endlich und das sei das Merkwürdigste von Allem, habe sie Erlaubniß erhalten, an dem heutigen Tage nach Hause zu gehen und ihre Verwandten auf dem Lande zu besuchen; während Mrs. Dethridge ihr, als sie engagirt wurde erklärt habe, daß sie vor Weihnachten nicht darauf rechnen dürfe, einen freien Tag zu bekommen. Das waren die sonderbaren Vorfälle, die sich seit gestern Abend im Hause begeben hatten. Wie waren diese Dinge zu erklären?

Das war nicht leicht.

Einige der Vorfälle deuteten augenscheinlich darauf hin, daß Reparaturen oder Veränderungen im Hause vorgenommen werden sollten. Aber was Geoffrey, dem die Wohnung bereits gekündigt war, damit zu thun hatte, und was Hester Dethridge in so leidenschaftliche Aufregung versetzt haben könnte, —— das blieb völlig räthselhaft.

Anne entließ das Mädchen mit einigen freundlichen Worten und einem kleinen Geschenke. Unter anderen Umständen würden die unbegreiflichen Vorgänge im Hause sie vielleicht ernstlich beunruhigt haben; aber jetzt war ihr Gemüth von dringenderen Sorgen in Anspruch genommen.

Blanche’s zweiter Brief, den sie am gestrigen Abend durch Hester erhalten hatte, theilte ihr mit, daß Sir Patrick auf seinem Entschluß beharre, und, möge daraus entstehen was da wolle, noch heute in Begleitung seiner Nichte hinauskommen werde. Anne nahm den Brief wieder zur Hand und durchlas ihn zum zweiten Male. Die Stellen, die sich auf Sir Patrick bezogen, lauteten so:

»Du kannst Dir keinen Begriff davon machen, mein lieber Engel wie lebhaft sich mein Onkel für Dich interessirt. Obgleich er sich nicht, wie ich mir, vorzuwerfen hat, die unglückliche Ursache des von Dir gebrachten Opfers zu sein, macht ihn doch Deine Lage ganz so elend wie mich. Wir sprechen von nichts Anderem als von Dir. Gestern Abend noch sagte er, er glaube nicht, daß es auf der Welt Deines Gleichen gäbe. Und das sagt ein Mann, der so furchtbar scharfe Augen für die Fehler der Frauen im Allgemeinen und eine so furchtbar scharfe Zunge bei der Beurtheilung derselben hat. Ich habe zwar Verschwiegenheit gelobt, ich muß Dir aber im Vertrauen noch etwas erzählen. Lord Holchester’s Mittheilung, daß sein Bruder sich weigert, in eine Trennung von Dir zu willigem brachte meinen Onkel ganz außer sich. Wenn sich nicht in wenigen Tagen Deine Lage wesentlich bessert, so ist Sir Patrick entschlossen, einen, gleichviel ob gesetzlichen oder ungesetzlichen Weg ausfindig zu machen, Dich aus Deiner schrecklichen Lage zu befreien, und Arnold wird ihm mit meiner vollen Zustimmung dabei behilflich sein. Aus Allem, was wir erfahren, müssen wir schließen, daß Du Dich in einer förmlichen Gefangenschaft befindest. Sir Patrick hat sich schon einen Observationsposten in Deiner Nähe gesichert; gestern Abend ist er mit Arnold und einem Schlosser um die ganze Euer Grundstück umgebende Mauer herumgegangen und hat die hintere Gartenthür untersucht. Du wirst das Nähere darüber bald von Sir Patrick selbst hören. Bitte, laß ihn nicht merken, daß Du schon etwas davon weißt, wenn Du ihn siehst. Er hat mich nicht zu seinem Vertrauten gemacht, aber Arnold Alles mitgetheilt, und das kommt natürlich ganz auf dasselbe hinaus. Der Bestie zum Trotz, die Dich hinter Schloß und Riegel hält, wirst Du uns, ich meine meinen Onkel und mich, morgen sehen. Arnold kommt nicht mit, weil er selbst fürchtet, daß er seine Entrüstung nicht würde zurückhalten können. Muth, liebste Freundin! Es giebt zwei Personen auf der Welt, denen Du unaussprechlich werth bist und die entschlossen sind, Dich nicht zu Grunde gehen zu lassen. Die eine dieser Personen bin ich, und, um’s Himmel willen, behalte auch das für Dich, die andere ist Sir Patrick.«

In die Lectüre des Briefes und in den Conflict der Empfindungen, die derselbe rege machte, vertieft, erröthend, wenn ihre Gedanken auf sich selbst gelenkt wurden und wieder erbleichend, wenn sie des bevorstehenden Besuches gedenken mußte, wurde Anne zum Bewußtsein der Gegenwart erst durch das Wiedererscheinen der Magd zurückgerufen die ihr eine Botschaft zu bringen hatte. Mr. Speedwell war längere Zeit im Hause gewesen und wünschte nun, Anne unten zu sprechen.

Anne fand den Arzt allein im Wohnzimmer. Er entschuldigte sich, daß er sie zu so früher Stunde störe. »Es war mir unmöglich«, sagte er, »gestern herzukommen, und ich konnte Lord Holchester’s Wunsch nur mit Sicherheit entsprechen, wenn ich mich entschloß, vor der Stunde, wo ich Patienten in meinem Hause empfange, herzukommen Ich habe Mr. Delamayn gesehen und bitte um die Erlaubniß, Ihnen ein Wort in Betreff seiner Gesundheit zu sagen.«

Anne blickte zum Fenster hinaus und sah Geoffrey, der seine Pfeife nicht wie gewöhnlich im Hintergarten, sondern im Vordergarten rauchte, wo er die Pforte im Auge behalten konnte.

»Ist er krank?« fragte sie.

»Bedenklich krank«, antwortete Mr. Speedwell, »sonst würde ich Sie nicht mit dieser Unterhaltung incommodirt haben. Es ist meine Berufspflicht, Sie, als seine Frau darauf aufmerksam zu machen, daß er sich in Gefahr befindet. Er kann jeden Augenblick vom Schlage gerührt werden. Die einzige und wie ich mich zu erklären verpflichtet fühle, sehr schwache Möglichkeit einer Rettung für ihn liegt darin, daß man ihn ohne Zeitverlust dahin bringt, seine jetzige Lebensweise zu ändern.«

»In einer Beziehung«, bemerkte Anne, »wird er sofort genöthigt sein, seine Lebensweise zu ändern. Die Wirthin hat ihm angezeigt, daß er das Haus verlassen müsse.«

Mr. Speedwell schien überrascht. »Die Wirthin«, erwiderte er, »scheint ihre Ansicht wieder geändert zu haben. Ich kann Sie nur versichern, daß Mr. Delamayn, als ich ihm eine Luftveränderung anrieth, mir bestimmt erklärte, er sei aus besonderen Gründen entschlossen, hierzubleiben.«

Das war also wieder ein neuer Beitrag zu der Reihe unerklärlicher, häuslicher Ereignisse. Hester Dethridge, sonst die hartnäckigste Person auf der Welt, hatte ihre Meinung geändert.

»Davon abgesehen«, fuhr der Arzt fort, »halte ich mich für verpflichtet, zwei Vorsichtsmaßregeln zu empfehlen. Mr. Delamayn leidet ersichtlich, obgleich er es nicht zugeben will, an Verängstigungen. Die Hoffnung auf Erhaltung seines Lebens kann sich nur verwirklichen, wenn diese Beängstigungen beseitigt werden. Steht es in Ihrer Macht, ihn davon zu befreien?«

»Es steht nicht einmal in meiner Macht, Ihnen über diese Beängstigungen nähere Auskunft zu geben, Mr. Speedwell.«

Der Arzt verneigte sich und fuhr fort: »Die zweite Vorsichtsmaßregel, die ich Ihnen anzuempfehlen habe, ist, geistige Getränke von ihm fern zu halten. Er giebt zu, vorgestern Abend einen Exceß im Trinken begangen zu haben. Bei seinem Gesundheitszustand bedeutet Trinken soviel wie unvermeidlicher Tod. Wenn er wieder nach der Branntweinflasche greift, —— verzeihen Sie, daß ich die Sache beim rechten Namen nenne, der Fall ist zu ernst, um ihn leicht zu nehmen —— wenn er wieder nach der Branntweinflasche greift, so stehe ich nicht fünf Minuten für sein Leben ein. Sind Sie im, Stande, geistige Getränke von ihm fern zu halten?«

Anne antwortete traurig und bestimmt: »Ich habe keinen Einfluß auf ihn. Der Fuß, auf dem wir hier leben ——«

Mr. Speedwell unterbrach sie. absichtlich mit den Worten: »Ich verstehe. Ich werde auf dem Heimwege bei seinem Bruder vorsprechen.« Er sah Anne einen Augenblick an und nahm dann wieder auf: »Sie selbst sind auch nichts weniger als wohl, kann ich etwas für Sie thun?«

»So lange ich mein jetziges Leben führen muß, Mr. Speedwell, kann selbst Ihre Kunst mir nicht helfen.«

Der Arzt verabschiedete sich. Anne eilte die Treppe hinauf, ehe Geoffrey wieder in’s Haus treten konnte. Ihre feine Natur sträubte sich dagegen, dem Manne, der ihr Leben verwüstet hatte, mit seinen tückisch, rachsüchtigen Blicken in einem Augenblick zu begegnen, wo das Todesurtheil über ihn gesprochen worden war.

Die Morgenstunden vergingen, ohne daß er einen Versuch gemacht hätte, mit ihr zu verkehren, und was noch auffallender war, auch Hester ließ sich nicht blicken. Die Magd kam hinauf, um Anne Adieu zu sagen, ehe sie aufs Land ging. Kurz darauf drangen eigenthümliche Töne von der entgegengesetzten Seite des Vorplatzes an Anne’s Ohr. Sie hörte Hammerschläge und dann ein Geräusch, wie wenn ein schweres Möbel von der Stelle gerückt würde. Offenbar hatte man mit den geheimnißvollen Reparaturen in dem Fremdenzimmer den Anfang gemacht. Anne trat an’s Fenster. Die Stunde nahte sich, wo sie erwarten konnte, daß Sir Patrick und Blanche den Versuch machen würden, sie zu sehen.

Zum drittenmal nahm sie Blanches Brief zur Hand.

Dieses mal gab ihr derselbe eine neue Erwägung an die Hand. Bedeuteten die Maßregeln, welche Sir Patrick im Geheimen ergriffen hatte vielleicht eben sowohl Besorgniß als Theilnahme für Anne? War er vielleicht der Meinung, daß sie sich in einer Lage befinde, in welcher das Gesetz ohnmächtig sei, sie zu schützen?

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Das schien ihr jetzt durchaus möglich. Angenommen, es wäre ihr möglich gewesen, einen Richter zu consultiren und ihm, wenn sie es in Worten vermöchte, die unbestimmte Furcht vor Gefahren auszusprechen, die sie beherrschte, —— welche Beweise hätte sie beibringen können, um einen Fremden zu überzeugen?

Alles, was sie zum Beweise hätte vorbringen können, sprach zu Gunsten ihres Mannes. Zeugen konnten die versöhnlichen Worte bestätigen, die er in ihrer Gegenwart zu ihr gesagt hatte. Die Aussagen seiner Mutter und seines Bruders würden ergeben, daß er es vorgezogen habe, seine pecuniären Interessen zum Opfer zu bringen, statt sich von ihr zu trennen. Sie war nicht im Stande, das Geringste beizubringen, was der Dazwischenkunft eines Dritten zwischen Mann und Weib zur Entschuldigung hätte dienen können. War Sir Patrick vielleicht davon durchdrungen und deutete das, was Blanche über seine und Arnold’s Schritte berichtete, vielleicht darauf hin, daß sie, an jeder Rechtshilfe verzweifelnd, sich selbst zu helfen im Begriff ständen?

Je mehr sie über die Sache nachdachte, desto wahrscheinlicher erschien ihr das.

Sie war noch mit diesen Gedanken beschäftigt, als die Pfortenglocke ertönte. Plötzlich verstummte das Geräusch im Fremdenzimmer. Anne sah zum Fenster hinaus. Ueber die Mauer hinweg sah sie auf ein Wagendach.

Sir Patrick und Blanche waren gekommen. Nach einer Weile erschien Hester Dethridge im Garten und trat an das Gitter in der Pforte. Anne vernahm Sir Patricks klare und entschlossene Stimme und konnte durch das geöffnete Fenster jedes Wort, was er sprach, verstehen.

»Seien Sie so gut, Mr. Delamayn meine Karte zu geben. Sagen Sie ihm, daß ich ihm eine Botschaft von Holchester House zu überbringen habe, und daß ich mich derselben nur gegen ihn selbst entledigen könne.«

Hester Dethridge ging wieder in’s Haus. Wieder dauerte es eine Weile, dieses mal etwas länger. Endlich erschien Geoffrey selbst im Vordergarten, mit dem Schlüssel zur Pforte in der Hand. Anne’s Herz klopfte stärker, als sie ihn die Pforte aufschließen sah und sie fragte sich, was nun noch folgen werde. Zu ihrem unaussprechlichen Erstaunen ließ Geoffrey Sir Patrick, ohne einen Augenblick zu zaudern, ein, und was noch auffälliger war, forderte auch Blanche auf, den Wagen zu verlassen und einzutreten.

»Lassen wir Vergangenes vergangen sein«, hörte Anne ihn zu Sir Patrick sagen, »ich möchte jetzt nur das Rechte thun. Wenn es recht ist, daß Besuchende so bald nach dem Tode meines Vaters hierher kommen, so kommen Sie, und seien Sie willkommen. Mir schien es, als Sie uns früher zu besuchen wünschten, nicht recht, aber ich verstehe nicht viel von solchen Dingen und überlasse Ihnen die Entscheidung.«

»Jemandem, der Ihnen Botschaften von Ihrer Mutter und Ihrem Bruder bringt«, entgegnete Sir Patrick mit feierlichem Ernst, »sind Sie unter allen Umständen zu empfangen verpflichtet.«

»Und«, fügte Blanche hinzu, »ein solcher Bote sollte Ihnen nur um so willkommener sein, wenn er in Begleitung der ältesten und liebsten Freundin Ihrer Frau erscheint.«

Geoffrey sah Sir Patrick und Blanche mit dem Ausdruck stumpfer Ergebung an. »Ich verstehe nicht viel von solchen Dingen«, wiederholte er. »Wie gesagt, ich überlasse es Ihnen.«

In diesem Augenblick standen sie unter Anne’s Fenster. Sie zeigte sich. Sir Patrick zog den Hut vor ihr ab. Blanche warf ihr mit einem Freudenschrei eine Kußhand zu und wollte in’s Haus gehen, aber Geoffrey hielt sie zurück und rief seiner Frau zu, hinunter zu kommen.

»Nein, nein!« sagte Blanche. »Lassen Sie mich zu ihr auf ihr Zimmer gehen.«

Sie machte einen zweiten Versuch, in’s Haus zu gelangen, aber zum zweiten Mal hielt Geoffrey sie zurück. »Bemühen Sie sich nicht«, sagte er, »sie kommt herunter.«

Anne erschien im Vordergarten und trat zu ihnen. Blanche flog in ihre Arme und küßte sie mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit. Sir Patrick ergriff schweigend ihre Hand. Zum ersten Mal, so lange Aune ihn kannte, wußte der entschlossene, klare, selbstgewisse alte Herr einen Augenblick lang nicht, was er sagen und thun sollte. Seine Augen, die mit dem Ausdruck stummer Theilnahme auf ihr ruhten, sprachen deutlich: »In Gegenwart Ihres Mannes getraue ich mir nicht, mit Ihnen zu reden!«

Geoffrey brach das Schweigen mit den Worten: »Wollen Sie nicht in’s Wohnzimmer gehen?« Dabei sah er seine Frau und Blanche scharf an. Geoffrey’s Stimme schien Sir Patrick seine gewöhnliche Energie wieder zu geben. Er erhob sein Haupt und war wieder der Alte.

»Warum«, sagte er, »sollen wir bei diesem schönen Wetter in’s Haus gehen? Was meinen Sie zu einem Gang durch den Garten?«

Blanche drückte Anne’s Hand bedeutungsvoll. Sir Patrick hatte den Vorschlag offenbar mit einem besonderen Zweck im Auge gemacht. Sie gingen um das Haus herum in den großen Hintergarten; die beiden Damen Arm in Arm voran, Sir Patrick und Geoffrey hinter ihnen. Allmälig fing Blanche an ihre Schritte zu beschleunigen, indem sie Anne zuflüsterte: »Ich habe meine Instructionen, laß uns so rasch gehen, daß er uns nicht hören kann.«

Aber das war leichter gesagt als gethan. Geoffrey hielt sich dicht hinter ihnen.

»Nehmen Sie ein wenig Rücksicht auf meine Lahmheit, Mr. Delamayn«, sagte Sir Patrick »Nicht ganz so rasch wenn ich bitten darf.«

Die Sache war gut angelegt, aber Geoffrey’s Schlauheit witterte, daß hier etwas nicht ganz geheuer sei. Anstatt mit Sir Patrick zurück zu bleiben, rief er seiner Frau zu:

»Nimm ein wenig Rücksicht aus Sir Patricks Lahmheit; nicht ganz so rasch.«

Sir Patrick parirte diesen Hieb mit einer für ihn characteristischen Geschicklichkeit. Als Anne, der Aufforderung ihres Mannes entsprechend, jetzt wieder langsamer ging, blieb Sir Patrick absichtlich mitten auf dem Wege stehen und sagte zu Geoffrey:

»Erlauben Sie mir, daß ich jetzt meinen mir in Holchester House ertheilten Auftrag an Sie ausrichte.«

Die beiden Damen gingen inzwischen langsam weiter. Geoffrey mußte sich entscheiden, ob er ihnen folgen und Sir Patrick stehen lassen, oder bei Sir Patrick bleiben, und die Frauen allein lassen wolle. Wohlüberlegter Weise entschied er sich für das Erstere, aber Sir Patrick rief ihn zurück.

»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich mit Ihnen zu sprechen habe«, sagte er in scharfem Ton.

So zum Aeußersten getrieben, bekannte Geoffrey offen seinen Entschluß, Blanche eine Gelegenheit zu geben, vertraulich mit Anne zu reden. Er rief Anne zu, sie möge still stehen.

»Ich habe keine Geheimnisse vor meiner Frau«, sagte er, »und ich erwarte von meiner Frau, daß sie keine Geheimnisse vor mir habe. Richten Sie gefälligst Ihren Auftrag in ihrer Gegenwart aus.

Sir Patricks Augen funkelten vor Entrüstung. Er beherrschte sich jedoch, sah, indem er Geoffrey anredete, seine Nichte einen Augenblick bedeutungsvoll an, und sagte dann:

»Wie es Ihnen gefällig ist. Ihr Bruder ersucht mich, Ihnen mitzutheilen daß die Pflichten seiner neuen Stellung seine Zeit völlig in Anspruch nehmen und ihn in den nächsten Tagen verhindern werden, nach Fulham zu kommen, wie er es sich vorgenommen hatte. Als Lady Holchester hörte, daß ich Sie wahrscheinlich sehen würde, beauftragte sie mich ferner, Ihnen in ihrem Namen zu sagen, sie sei nicht wohl genug um das Haus zu verlassen, und bitte Sie, sich morgen, und zwar, wie Lady Holchester speciell wünscht, in Begleitung Ihrer Frau in Holchester House einzustellen.«

Indem er diese beiden Aufträge ausrichtete, erhob Sir Patrick seine Stimme allmälig lauter und lauter. Während er sprach, sagte Blanche, welcher der Blick ihres Onkels geheißen hatte, ihren Instructionen zu folgen, mit gedämpfter Stimme zu Anne:

»So lange er Dich hier hat, wird er nicht in die Trennung willigen. Er will bessere Bedingungen erzwingen. Wenn Du von hier fort kannst, so muß er sich fügen. Stelle von heute an in der ersten Nacht, in welcher es Dir möglich sein wird hinunter zu kommen, ein Licht vor Dein Fenster. Wenn Du dann unten bist, eile an die hintere Gartenpforte Sir Patrick und Arnold werden dann für das Uebrige sorgen.«

Sie flüsterte Anne diese Worte zu, während sie ihren Sonnenschirm hin und herschwang, und eine Miene machte, als ob sie die gewöhnlichsten Dinge der Welt bespräche, alles das mit einer Geschicklichkeit, die den Frauen selten fehlt, wenn es sich für sie darum handelt, bei einer Täuschung behilflich zu sein, bei welcher sie selbst interessirt sind. Wie geschickt sie es auch gemacht hatte, so war Geoffrey’s tiefgewurzeltes Mißtrauen doch dadurch wieder rege geworden. Blanche war schon bei ihren letzten Worten angelangt, bevor Geoffrey durch die Aufträge Sir Patricks in Anspruch genommen im Stande war, dem, was sie sagte, seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Ein Mann von rascherer Fassungskraft würde vielleicht mehr gehört haben, aber Geoffrey hatte nur die erste Hälfte des letzten Satztheils gehört.

»Was«, fragte er, »sagen Sie da von Sir Patrick und Arnold?«

»Nichts, was Sie interessiren könnte«, antwortete Blanche rasch; »soll ich es wiederholen? Ich habe Anne erzählt, daß meine Stiefmutter Lady Lundie, nach jener Conferenz in Portland Platze, Sir Patrick und Arnold ersucht hat, sich von jetzt an, ihr gegenüber als völlig Fremde zu betrachten. Das ist das Ganze.

»So«, sagte Geoffrey, sie scharf in’s Auge fassend, »weiter nichts?«

»Fragen Sie meinen Onkel«, entgegnete Blanche »wenn Sie nicht glauben, daß ich genau berichtet habe. Sie hat uns in ihrer pomphaftesten Manier und genau mit den von mir wiederholten Worten entlassen. Nicht wahr Sir Patrick?«

»Die Sache war vollkommen wahr. Blanche’s Geistesgegenwart hatte ihr über die Verlegenheit des Moments dadurch hinweg geholfen, daß sie ihr an die Hand gegeben hatte, etwas auf Sir Patrick und Arnold Bezügliches mitzutheilen, was sich wirklich so verhielt. Von dieser Seite her also zum Schweigen gebracht, sah sich Geoffrey in demselben Augenblick von der anderen Seite gedrängt, eine Antwort auf die Botschaft seiner Mutter zu geben.

»Ich muß Lady Holchester eine Antwort von Ihnen bringen«, sagte Sir Patrick »was soll ich sagen?«

Geoffrey sah ihm, ohne ein Wort zu erwidern, scharf in’s Auge.

Sir Patrick wiederholte seinen Auftrag mit sehr hervorgehobener Betonung dessen, was sich darin auf Anne bezog. Diese Emphase machte Geoffrey ungeduldig.

»Sie und meine Mutter platzte er heraus, »haben diesen Auftrag mit einander abgekartet, um mich auf die Probe zu stellen. Hol’ der Teufel alles heimlich abgekartete Spiel«

»Ich warte auf Ihre Antwort«, wiederholte Sir Patrick, ohne die geringste Notiz von dem zu nehmen, was Geoffrey eben gesagt hatte.

Geoffrey warf Anne einen raschen Blick zu, nahm sich dann plötzlich wieder zusammen und sagte:

»Grüßen Sie meine Mutter bestens und sagen Sie ihr, ich würde morgen zu ihr kommen und mit dem größten Vergnügen, merken Sie wohl, mit dem größten Vergnügen meine Frau mitbringen« Er hielt inne, um die Wirkung dieser Antwort zu beobachten. Sir Patrick wartete ganz ruhig, ob Geoffrey noch etwas Weiteres zu sagen habe. »Es thut mir leid, daß ich mich vorhin zu einer heftigen Aeußerung habe hinreißen lassen. Aber man geht schlecht mit mir um; man mißtraut mir ohne jede Veranlassung. Ich fordere Sie auf, Zeugniß dafür abzulegen«, fügte er hinzu, indem er die Stimme wieder erhob und seine Augen unruhig zwischen Sir Patrick und Anne hin und her schweifen ließ, »daß ich meine Frau behandle, wie es einer Dame zukommt. Ihre Freundin besucht sie, und sie kann ihre Freundin ungehindert empfangen. Meine Mutter wünscht sie zu sehen und ich erkläre mich bereit, sie zu meiner Mutter zu bringen. Worin bin ich also zu tadeln? Warum antworten Sie mir nicht, worin bin ich zu tadeln?«

»Wenn das eigene Gewissen eines Menschen ihn freispricht«, erwiderte Sir Patrick, »so kommt sehr wenig darauf an, was andere von ihm denken. Der Zweck meines Besuchs ist erreicht!«

Als er sich bei diesen Worten unwandte, um sich von Anne zu verabschieden, vermochte er den Ausdruck der Besorgniß, die ihn für sie erfüllte, nicht zurückzuhalten; er wurde blaß und seine Hand zitterte, als er die ihrige ergriff und zärtlich drückte. »Ich werde Sie also morgen in Holchester House sehen«, sagte er, indem er Blanche seinen Arm zum Fortgehen reichte. Er empfahl sich Geoffrey ohne ihn wieder anzusehen und ohne seine dargebotene Hand sehen zu wollen, und ging mit Blanche fort.


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