Memoiren eines Adoptivsohns
III Seine Karriere in Paris
Nachdem er sich einmal in der französischen Metropole niedergelassen hatte, plante und baute Poulailler dieses weite System von fortwährendem Raub und gelegentlichen Morden aus, welches ihn zum Schrecken und Erstaunen von ganz Paris machte. Drinnen wie draußen war ihm sein Glück behilflich. Keine häuslichen Sorgen beunruhigten seinen Geist und lenkten ihn von der Verfolgung seiner hervorragenden öffentlichen Laufbahn ab. Die Zuneigung des reizenden Wesens, mit dem er aus Deutschland geflohen war, überlebte die Entdeckung, dass der Marquis Petrucci in Wahrheit Poulailler der Räuber war. Dem Mann ihrer Wahl treu ergeben, teilte die hingebungsvolle Wilhelmina sein Schicksal und führte seinen Haushalt. Und warum auch nicht, wenn sie ihn liebte – im alles erobernden Namen von Amor, warum nicht?
Umgeben von ausgewählten Männern aus seinen deutschen Anhängern und von neuen Rekruten, die er in Paris um sich geschart hatte, trotzte Poulailler verächtlich der Gesellschaft und ihren Sicherheitsvorkehrungen. Cartouche selbst war ihm in Kühnheit und Gerissenheit unterlegen. Im Laufe der Zeit war die ganze Stadt von Panik erfasst ob des neuen Räubers und seiner Bande – die letzten Bollwerke waren nach dem Einbruch der Dunkelheit verlassen. Monsieur Herault, zu jener Zeit Polizeileutnant, bot, da er daran verzweifelte, durch andere Mittel Hand an Poulailler zu legen, eine Belohnung, welche aus hundert Pistolen und einer Stelle in seinem Amt, welche zweitausend Livres im Jahr ausmachte, bestand, demjenigen, welcher den Räuber lebendig zu fassen wüsste. Die Plakate wurden in ganz Paris ausgehängt und am nächsten Morgen bewirkten sie das allerletzte Ergebnis in der Welt, welches der Polizeileutnant möglicherweise erwarten konnte.
Während Monsieur Herault in seinem Arbeitszimmer frühstückte, wurde der Graf de Villeneuve angemeldet, der ihn zu sprechen wünsche. Da er den Grafen nur dem Namen nach kannte und nur wusste, dass er zu einer alten Familie aus der Provence oder dem Languedoc gehörte, befahl er, ihn hereinzuführen. Ein vollkommener Gentleman erschien, mit einer bewundernswerten Mischung von Pracht und gutem Geschmack gekleidet. »Ich habe etwas, das nur für ihre Ohren bestimmt ist, Sir«, sagte der Graf. »Werden Sie anweisen, dass niemand uns stören darf?«
Monsieur Herault gab den Befehl.
»Darf ich fragen, Graf, in welcher Angelegenheit Sie kommen?« fragte er, als die Tür verschlossen war.
»Ich komme, die Belohnung zu verdienen, die Sie anbieten, um Poulailler zu fassen«, antwortete der Graf. »Ich bin Poulailler.«
Bevor Monsieur Herault seine Lippen öffnen konnte, holte der Räuber einen schönen kleinen Dolch und ein Stück roten Seidenstrick. »Die Dolchspitze ist vergiftet«, bemerkte er, »und ein Kratzer damit, mein lieber Sir, würde Ihr Tod sein.« Mit diesen Worten fesselte Poulailler den Polizeileutnant, band ihn mit dem roten Seil an seinen Stuhl und erleuchtete das Schreibpult im Wert von tausend Pistolen. »Ich nehme das Geld anstatt der Stelle im Amt, welche Sie mir freundlicherweise anbieten«, sagte Poulailler. »Machen Sie sich keine Umstände, mich zur Tür zu begleiten. Guten Morgen.«
Ein paar Wochen später, als Monsieur Herault immer noch der beliebte Gegenstand des Gespötts von ganz Paris war, brachten Geschäfte Poulailler auf die Straße nach Lille und Cambrai. Der einzige Passagier in der Kutsche neben ihm selbst war der ehrwürdige Dekan Potter aus Brüssel. Sie gerieten ins Gespräch über das einzig interessante Thema dieser Zeit – nicht das Wetter, sondern Poulailler.
»Es ist eine Schande für die Polizei, Sir«, sagte der Dekan, »dass ein solcher Schurke noch frei herumläuft. Ich werde auf dieser Straße in zehn Tagen nach Paris zurückkehren und ich werde Monsieur Herault einen von mir erdachten Plan vorschlagen, um den Schuft zu fassen.«
»Darf ich fragen, was dieser Plan ist?« fragte Poulailler.
»Entschuldigen Sie mich«, antwortete der Dekan »Sie sind ein Fremder, Sir, und darüber hinaus wünsche ich die Belohnung für meinen Vorschlag für mich zu behalten.«
»Denken Sie, der Polizeileutnant wird Sie empfangen?« fragte Poulailler. »Er ist nicht zugänglich für Fremde, seit der Schurke, von dem Sie sprechen, ihm diesen Streich an seinem eigenen Frühstückstisch gespielt hat.«
»Er wird Dekan Potter aus Brüssel empfangen«, war die Antwort, die er mit dem geringsten möglichen Farbton von verletzter Würde ablieferte.
»Oh, zweifellos!« meinte Poulailler. »Bitte verzeihen Sie.«
»Gerne, Sir«, sagte der Dekan; und die Konversation floss in andere Bahnen.
Neun Tage später wurde der verletzte Stolz von Monsieur Herault durch einen sehr bemerkenswerten Brief gemildert. Er war von einem aus Poulaillers Bande unterzeichnet, der sich als Kronzeuge anbot, in der Hoffnung, eine Begnadigung zu erhalten. Der Brief berichtete, dass dem ehrwürdigen Dekan Potter aufgelauert worden war und dieser von Poulailler ermordet worden war und dass der Räuber mit seiner gewöhnlichen Kühnheit dabei war, Paris wieder mit der Kutsche aus Lille zu betreten, verkleidet mit den Kleidern des Dekans und mit den Papieren des Dekans ausgestattet. Monsieur Herault traf ohne einen Moment zu verlieren seine Vorkehrungen. Ausgesuchte Männer wurden mit ihren Befehlen an der Grenze postiert, durch welche die Kutsche passieren musste, um Paris zu betreten, während der Polizeileutnant in seinem Büro wartete, in Gegenwart zweier französischer Herren, die die Identität des Dekans bestätigen konnten, im Falle, dass Poulailler unverschämt auf der Annahme des Namens seines Opfers bestand.
Zur vereinbarten Stunde erschien die Kutsche und aus ihr stieg ein Mann in den Kleidern des Dekans. Er wurde trotz seiner Proteste verhaftet; die Papiere des ermordeten Potter wurden bei ihm gefunden und er wurde voller Triumph ins Polizeibüro weggeschleppt. Die Tür öffnete sich und der posse comitatus trat mit seinem Gefangenen ein. Augenblicklich brachen die zwei Zeugen in einen Schrei von Wiedererkennung aus und wandten sich entrüstet an den Polizeileutnant. »Gütiger Himmel, Sir, was haben Sie getan!« riefen sie voll Schrecken aus; »das ist nicht Poulailler – es ist unser ehrwürdiger Freund; es ist der Dekan selbst!« Im selben Moment trat ein Diener mit einem Brief ein. »An Dekan Potter. Per Adresse Monsieur Herault, Polizeileutnant.« Der Brief äußerte sich in folgenden Worten: »Ehrwürdiger Sir – Lernen Sie aus der Lektion, die ich Ihnen gegeben habe. Seien Sie in Zukunft ein Christ und versuchen Sie nie wieder, einen Mann zu verletzen, wenn er nicht versuchte, Sie zu verletzen. Ganz der Ihre – Poulailler.«
Diese Kunststücke von kühlem Wagemut kamen anderen gleich, in welchen sich seine Großzügigkeit gegenüber dem schwachen Geschlecht großmütig wie je durchsetzte.
Als er eines Tages hörte, dass eine große Summe Geld im Hause einer großen Dame gehalten wurde, einer Madame De Brienne, deren Tür bewacht war in Erwartung eines Besuchs des berühmten Diebes, von einem Pförtner von bewährter Vertrauenswürdigkeit und Mut, nahm sich Poulailler vor, sie trotz ihrer Vorkehrungen zu berauben und hatte Erfolg. Mit einem starken Paar Lederriemen und Schnallen in seiner Tasche und mit zwei seiner Bande verkleidet als Kutscher und Diener, folgte er Madame De Brienne eines Nachts zum Theater. Kurz vor dem Ende der Vorstellung wurde der Kutscher der Dame und der Diener für fünf Minuten von Poulaillers verkleideten Untergebenen fortgelockt, um ein Glas Wein zu trinken. Es wurde kein Versuch gemacht, sie gefangenzuhalten oder ihre Getränke zu vergiften. Aber während ihrer Abwesenheit war Poulailler unter die Kutsche gerutscht, hatte seine Lederriemen um die Achse gewickelt – einen, um sich daran festzuhalten, den anderen, um seine Füße darauf zu stützen – und war jetzt nach diesen einfachen Vorkehrungen bereit, um auf Ereignisse zu warten. Madame De Brienne stieg in die Kutsche – der Lakai stellte sich dahinter – Poulailler hängte sich waagerecht unter die Stange und wurde mit ihnen unter diesen einzigartigen Umständen heimgefahren. Er war stark genug, um seine Stellung zu halten, nachdem die Kutsche in das Kutschenhaus gebracht worden war, und er verließ sie erst, als die Türen für die Nacht geschlossen wurden. Da er sich vorher mit Essen versorgt hatte, hielt er geduldig im Kutschenhaus versteckt zwei Tage und Nächte aus, wobei er auf eine Gelegenheit wartete, um in Madame De Briennes Boudoir zu gelangen.
In der dritten Nacht ging die Dame zu einem großen Ball; die Diener wurden in ihrer Wachsamkeit schlaff, sobald ihnen der Rücken zugedreht wurde und Poulailler schlüpfte in das Zimmer. Er fand zweitausend Louisdor, die der erwarteten Summe nicht im mindesten entsprachen und einen Geldbeutel, welchen er mitnahm, um ihn zu Hause zu öffnen. Er enthielt einige Aktienoptionen über einen vergleichsweise unbedeutenden Betrag. Poulailler war viel zu wohlhabend, um daran zu denken, sie zu behalten, und viel zu höflich, wo eine Dame betroffen war, sie unter diesen Umständen nicht zurückzusenden. Folglich erhielt Madame De Brienne ihre Optionen mit einer Notiz der Entschuldigung des höflichen Diebs.
»Bitte verzeihen Sie meinen Besuch in Ihrem reizenden Boudoir«, schrieb Poulailler, »wobei mich allein die fehlerhaften Berichte über Ihr Vermögens dazu veranlassten, es zu betreten. Wenn ich gewusst hätte, was Ihre pekuniären Umständen wirklich waren, bei der Ehre eines Gentleman, Madame, wäre ich unfähig gewesen, Sie zu berauben. Ich kann Ihnen Ihre zweitausend Louisdor nicht per Post schicken, wie ich Ihnen Ihre Optionen schickte. Aber wenn Sie tatsächlich in Zukunft in Geldnöten sein sollten, werde ich stolz sein, einer so würdevollen Dame beizustehen, indem ich ihr von meinen eigenen üppigen Mitteln die doppelte Summe leihe, von welcher ich bedauere, sie Ihnen bei der gegenwärtigen Gelegenheit entzogen zu haben.« Dieser Brief wurde dem Adel in Versailles gezeigt. Er erregte die höchste Bewunderung des Hofes – besonders die der Damen. Wann immer der Name des Räubers erwähnt wurde, bezeichneten sie ihn nachsichtig als den Chevalier De Poulailler. Ah! Was für eine Zeit der Höflichkeit, als gute Manieren noch bemerkt wurden, selbst bei einem Dieb. Wer würde diese unter ähnlichen Umständen heute bemerken? O tempora! O mores!
Bei einer anderen Gelegenheit war Poulailler eines Nachts draußen, um Luft zu schnappen und seine Möglichkeiten auf den Dächern der Häuser auszuloten, wobei er ein Mitglied seiner Bande unten auf der Straße postierte, um ihm falls nötig beizustehen. Als er in dieser Position war, hörten seine Ohren Schluchzer und Ächzen von einer hinteren Dachstube kommend. Eine Fensterbrüstung erhob sich vor dem Fenster, welche es ihm ermöglichte, hinunterzuklettern und hineinzuschauen. Hungernde Kinder, die eine hilflose Mutter umringten und um Essen schrien, war das Bild, das seine Augen sahen. Die Mutter war jung und schön und Poulaillers Hand ergriff als eine notwendige Folge impulsiv seine Börse. Bevor der wohltätige Dieb durch das Fenster eintreten konnte, eilte ein Mann durch die Tür herein und warf eine Handvoll Gold in den Schoß der hübschen Mutter.
»Meine Ehre ist dahin«, rief er, »aber unsere Kinder sind gerettet! Höre die Umstände. Ich traf einen Mann unten auf der Straße; er war groß und dünn; er hatte eine grüne Augenklappe über einem Auge; er schaute misstrauisch auf dieses Haus, wobei er anscheinend auf jemanden wartete. Ich dachte an dich – ich dachte an die Kinder – ich packte den misstrauischen Fremden am Kragen. Angst überwältigte ihn auf der Stelle. »Nimm meine Uhr, mein Geld und meine zwei wertvollen goldenen Schnupftabakdosen«, sagte er, »aber verschone mein Leben.«
»Edelmütiger Mann!« rief Poulailler und erschien am Fenster.
Der Ehemann erschrak; die Frau schrie; die Kinder versteckten sich.
»Ich bitte Sie inständig, sich zu fassen«, fuhr Poulailler fort. »Sir! Ich betrete die Szene zum Zwecke, Ihr ruheloses Gewissen zu besänftigen. Durch ihre anschauliche Beschreibung erkenne ich den Mann, dessen Eigentum nun im Schoße ihrer Frau liegt. Gewinnen Sie Ihre seelische Ruhe wieder. Sie haben einen Räuber beraubt – in anderen Worten, Sie haben die Gesellschaft verteidigt. Nehmen Sie meinen Glückwunsch zu Ihrer wiederhergestellten Unschuld an. Der elende Feigling, dessen Kragen Sie packten, ist einer von Poulaillers Bande. Er hat sein gestohlenes Eigentum verloren als gerechte Strafe für sein schändliches Bedürfnis nach Leben.«
»Wer sind Sie?« rief der Ehemann aus.
»Ich bin Poulailler«, antwortete der berühmte Mann mit der Schlichtheit eines antiken Helden. »Nehmen Sie diese Börse und gründen Sie ein Geschäft mit dem Inhalt. Es gibt ein Vorurteil bezüglich der Ehre. Geben Sie diesem Vorurteil eine Chance. Es gab eine Zeit, als ich es noch in mir fühlte; ich bedaure, es nicht länger zu fühlen. Bei allen Arten von Unglück besitzt ein ehrlicher Mann immer noch seinen Trost. Wo ist dieser Trost? Hier!« Er schlug auf sein Herz und die Familie fiel vor ihm auf die Knie.
»Wohltäter deiner Art!« rief der Mann. »Wie kann ich meine Dankbarkeit zeigen?«
»Sie können mir erlauben, die Hand von Madame zu küssen«, antwortete Poulailler.
Madame sprang auf ihre Füße und umarmte den spendablen Fremden. »Was kann ich noch für Sie tun?« rief die hübsche Frau eifrig, »beim Himmel! Was?«
»Sie können Ihren Mann bitten, mir die Treppen hinabzuleuchten«, antwortete Poulailler. Er sprach, drückte ihre Hände, ließ eine großmütige Träne fallen und ging. Bei diesem berührenden Augenblick hätte ihn nicht einmal sein eigener Adoptivvater wiedererkannt.
Mit dieser letzten Anekdote schließen die Berichte von Poulaillers Laufbahn in Paris. Die helleren und angenehmeren Gesichtspunkte wurden bisher mit Absicht vorgestellt, in stillem Gedenken an den Gegensatz, welchen die tragische Seite der Geschichte nun darstellen muss. Komödie und Tragödie, Zwillingsschwestern der französischen Erziehung, lebt wohl! Horror betritt als nächstes die Bühne und verlangt Einlass, im Namen des Teufelsfischers Adoptivsohns.
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