Gesetz und Frau



Siebzehntes Kapitel.

Die verzögerte Krisis.

»Sehen Sie Sich vor, Valeria!« sagte Mrs Macallan. »Ich befrage Sie nicht, ich empfehle Ihnen nur Vorsicht, um Ihrer selbst willen. Eustace hat dasselbe bemerkt, was mir ausgefallen ist. Es ist eine Veränderung mit Ihnen vorgegangen. Also nehmen Sie Sich in Acht.«

So sagte mir meine Schwiegermutter, als wir später am Tage miteinander allein waren. Ich hatte mein Bestes gethan, um die Spuren zu verwischen welche die schreckliche Nachricht von Gleninch in mir zurückgelassen. Wer aber konnte lesen, was ich gelesen, wer konnte fühlen was ich gefühlt, ohne in Blick und Mienen die geringste Veränderung zu verrathen? Selbst wenn ich der elendeste Heuchler unter der Sonne gewesen, bezweifle ich, dass ich mein Geheimniß vor aller Welt hätte verbergen können.

Nachdem Mrs. Macallan das Wort der Vorsicht gesprochen, ging sie nicht ferner auf den Gegenstand ein. Sie that Recht daran; obgleich es hart für mich war, ohne den geringsten Rath den Weg der Pflicht zu finden, den ich meinem Gatten gegenüber einzuschlagen hatte. Bei seiner angegriffenen Gesundheit ihm Benjamins Brief zu zeigen und ihm die mir zugegangene Warnung mitzutheilen war einfach unmöglich. Da ich mich aber einmal verrathen hatte, ging es wiederum nicht an, ihn gänzlich im Dunklen zu lassen. Ich dachte die ganze Nacht darüber nach. Als der Morgen kam, entschloß ich mich, meinen Mann in’s Vertrauen zu ziehen. Ich ging direct auf das Ziel los: »Eustace,« begann ich, »Deine Mutter hat mir gestern gesagt, daß Du eine Veränderung an mir bemerkt. Ist das richtig?«

»Ganz richtig, Valeria,« sagte er in leiseren Tönen als gewöhnlich und indem er mich nicht anblickte.

»Wir haben jetzt einander nichts zu verbergen,« antwortete ich. »Ich muß Dir daher sagen daß ich bei unserem Banquier einen Brief aus England fand, der mich sehr beunruhigte. Willst Du mir Zeit lassen, ehe ich darüber deutlicher spreche, und willst Du mir glauben, daß ich als treues Weib gegen Dich handele, indem ich dieses Gesuch an Dich richte?«

Eustace antwortete nicht. Ich bemerkte, daß er einen inneren Kampf kämpfte. War ich zu weit gegangen? hatte ich die Stärke meines Einflusses überschätzt? Mein Herz klopfte, meine Stimme zitterte, aber ich sammelte Muth genug, um seine Hand zu nehmen und noch eine Bitte an ihn zu richten.

»Eustace,« sagte ich, »hast Du noch nicht gelernt, mir zu vertrauen?«

Zum ersten Mal blickte er mich an. Ich sah, wie die letzte Spur des Zweifels aus seiner Miene erstarb.

»Du versprichst mir, früher oder später die ganze Wahrheit zu enthüllen?« sagte er.

»Ich verspreche es Dir von ganzem Herzen.«

»Ich vertraute Dir, Valeria!«

Sein ehrliches Auge verrieth mir, daß er es meinte, wie er es sprach. Wir besiegelten unseren Contrakt mit einem Kuß.

Noch an demselben Tage beantwortete ich Benjamins Brief, erzählte ihm, was ich gethan und bat ihn und Mr. Playmore, mich von den ferneren Vorgängen in Gleninch in Kenntniß zu setzen.

Mr. Playmores nächste Nachricht enthielt unter Anderem Folgendes:

»Spätestens in 14 Tagen hoffe ich Ihnen eine vollständige Copie senden zu können. Unterdessen kann ich Ihnen auch mittheilen daß die sonst beklagenswerthe Sache auch ihre glänzende Seite hat, indem das Dokument, sowohl gesetzlich wie moralisch, Ihres Gatten Unschuld beweist. Es könnte jedenfalls als Entlastungs-Instrument benutzt werden, wenn Ihr Gatte darin willigte, die Rücksicht gegen die Todte vergessend, es zur öffentlichen Kenntniß zu bringen. Verstehen Sie mich wohl, er kann nicht noch einmal verhört werden, und zwar technischer Gründe wegen mit denen ich Ihnen nicht beschwerlich fallen will. Aber wenn die Facta welche bei dem Verhör genannt wurden, sich wiederum bewahrheiten, könnte es allerdings zu einem neuen Verhör kommen, und das Verdict eines zweiten Gerichtshofes würde unzweifelhaft Ihren Gatten von jeder Schuld freisprechen. Halten Sie diese Mittheilung vorläufig geheim, und lassen Sie in Ihrer Stellung, Eustace gegenüber, keine Veränderung eintreten bis Sie die vollständige Copie des zu erwartenden Briefes gelesen haben.«

Ich wartete also.

Die 14 Tage waren noch nicht vorüber, als die vollständige Zusammensetzung des Briefes gelang. Einige kleinere unbedeutende Streifen abgerechnet, deren fehlende Buchstaben ergänzt werden mußten, war das Werk beendet, und die Copie desselben gelangte an meine pariser Adresse.

Bevor ich meine Leser mit dem Inhalte dieses schrecklichen Briefes bekannt mache, ersuche ich sie um die Gefälligkeit, sich noch einmal die Umstände recapituliren zu lassen, unter denen Eustace Macallan seine erste Frau heirathete.

Erinnern Sie Sich also, daß das arme Geschöpf sich in ihn verliebte, ohne seine Gegenneigung zu erwecken. Erinnern Sie Sich, daß er Alles that, um ihre Gesellschaft zu vermeiden, und daß er, als er die Entdeckung, ihrer Liebe machte, sich heimlich von ihr entfernte und nach London zurückging. Erinnern Sie Sich ferner, daß sie, ohne sich vorher angemeldet zu haben, in seiner Wohnung in London eintraf, daß er sich bemühte ihren Ruf zu retten, daß ihm dies ohne seine Schuld fehlschlug, und daß er endlich, in einer Anwandlung halber Verzweiflung, die Sache durch eine schnelle Heirath beendete, um den Skandal zu unterdrücken, der ihr sonst bis an das Ende ihrer Tage angehaftet haben würde. Ziehen Sie dies Alles in Betracht und vergessen Sie nicht, daß er dennoch sein Möglichstes that, um den Widerwillen zu unterdrücken, den die Unglückliche ihm einflößte, und daß er wenigstens ein aufmerksamer Gatte war, wenn er auch kein liebevoller sein konnte.

Und nun lesen Sie den Brief und beurtheilen Sie ihn so milde wie möglich.


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