In der Dämmerstunde

Die Erzählung des Professors von der gelben Maske



Siebentes Kapitel.

Unter den ersten Besuchern des Ascoli-Palastes am Morgen nach diesem Tage, befand sich Meister Lomi. Die Diener fanden ihn sehr aufgeregt und er wollte durchaus den Grafen sprechen. Als ihm dies als eine Unmöglichkeit bezeichnet wurde, verlangte er mit dem Arzt zu sprechen.

»Ich kann Ihnen nicht recht mitteilen, was ich eigentlich will,« sagte der Meister zu dem Doktor »Bitte, sagen Sie mir doch, war gestern eine Arbeiterin Namens Nanina hier?«

»Ja!« entgegnete der Doktor

»Hat sie vielleicht mit Jemand eine Unterredung gehabt?«

»Ja! mit mir.«

»Dann haben Sie etwas Besonderes erfahren? —«

»Ja, Alles!«

»Nun, so kann ich ja zu Ihnen offen reden.« sagte der Meister, und zog mehrere zusammengerollte Stücke Papier aus der Tasche.

»Mein Bruder, ich bedauere es sagen zu müssen —«

»Was hat Ihr Bruder mit der Angelegenheit der gelben Maske zu tun?« fragte der Doktor sehr ernst.

»Wenn sein Anteil an der Geschichte bekannt wird,« fuhr Lomi fort, »so werde ich als Künstler ruiniert sein, vielleicht bin ich es jetzt schon!« setzte er traurig hinzu.

»Hat Ihr Bruder Sie vielleicht beauftragt?« fragte der Doktor; »denn ich verstehe eigentlich nicht, was Sie wollen,« setzte er hinzu.

»Nein, ich komme aus eigenem Antriebe. Meinem Bruder scheint es ganz gleichgültig zu sein, was da kommt. Er hat seinem Vorgesetzten einen vollständigen Bericht über seine Handlungsweise überschickt und er wartet jetzt geduldig auf die Strafe, welche der Erzbischof über ihn verhängen wird.«

»Ich habe eine Kopie dieses Berichtes. Das weltliche Gericht kann ihm nichts anhaben, denn er ist bereits in Sicherheit, aber die Kirche kann es, und dieser allein hat er auch gebeichtet.

»Ich möchte also nicht dem öffentlichen Schimpfe ausgesetzt werden, darum kam ich hier her; es würde nicht nur meiner Familie, sondern auch dem Grafen schaden,« sagte Lomi.

»Ich lasse Ihnen die Kopie von dem Berichte meines Bruders hier; sehen Sie dieselbe durch und legen Sie sie dann dem Grafen vor.«

Der Meister ging zum Fenster und rollte das Papier auf. Der Doktor beugte sich neugierig darüber.

Der Bericht oder die schriftliche Beichte des Priesters fing damit an, das Eigentum des Grafen Fabio d’Ascoli als ein, eigentlich der Kirche zugehöriges Besitztum zu schildern, das dessen Vorfahren sich unrechtmäßiger Weise in den Bürgerkriegen angeeignet hätten. Es wurde dies durch alte Manuskripte, die beigefügt waren, bewiesen.

Die zweite Abteilung sprach von der Pflicht, die jeder treue Sohn der Kirche auszuüben habe, nämlich der Kirche zu den Verlusten, welche diese in ihren schlechten Zeiten erlitten habe, wieder zu verhelfen.

Die dritte Abteilung sprach davon, dass die Heirat zwischen Fabio d’Ascoli und Magdalene Lomi zu Gunsten der Kirche veranstaltet worden war, und zwar sollte zuerst auf Magdalene eingewirkt werden, dass die Kirche die Güter der Ascolis zurück erhielte, und stürbe die Gräfin, so sollten ihre Kinder zum Nutzen der Kirche weiter beeinflusst werden.

Die vierte Abteilung sprach von der Notwendigkeit, eine zweite Ehe des Grafen zu verhindern und von den Ideen, die ihn, den Priester, auf die Erfindung der gelben Maske geführt hätten.

Die Idee, den jungen abergläubischen Grafen mit einer Totenmaske zu erschrecken, sei ihm als das beste Mittel erschienen, diesen von einer zweiten Ehe zurück zu halten.

Erst sei er, — der Priester, zwar selbst davor zurückgebebt, aber er habe das Mittel doch benutzt.

Die fünfte Abteilung sprach von der Anfertigung der Maske nach der Minerva-Statue seines Bruders und von zwei Zusammenkünften mit Brigitte, welche sich bereit erklärte, die Maske zu tragen, da sie eine Privatrache an dem Grafen ausüben wollte.

Diese Person hatte auch den anonymen Brief an Fabio geschrieben.

Der Priester blieb noch immer unentschlossen, ob er den Grafen auf dem Balle mit der Totenmaske erschrecken sollte, bis er erfuhr, dass Nanina, die Fabio einst geliebt hatte, auf dem Balle beschäftigt sein würde.

Die sechste Abteilung sprach von der Unterredung welche Fabio und der Priester am Abend vor dem Balle hatten und ferner davon, dass Brigitte die Wachsmaske aus den Händen des Priesters auf dem Friedhof von Campo Santo empfangen hatte.

Die siebente Abteilung wiederholte noch einmal die Notwendigkeit, die Wiederverheiratung des Grafen zu verhindern, wenn die beraubte Kirche wieder zu ihrem Recht gelangen sollte.

Die achte und letzte Abteilung sprach von dem unglücklichen Erfolge des Priesters und von der Schande, die er möglicher Weise auf seine Priesterehre gebracht habe, und in demüthigster Weise verlangte er nun, dass seine Vorgesetzten in der Kirche über ihn Gericht halten möchten.

Nachdem der Doktor diesen sonderbaren Bericht zu Ende gelesen, sagte er zu Lomi:

»Ich hoffe mit Ihnen, dass die Geschichte nicht in die Öffentlichkeit dringe; aber ich erwarte auch, dass die Kirche ihre Pflicht nicht versäumen und den Schuldigen bestrafen wird. Der Graf soll diese Papiere lesen, sobald er genügend darauf vorbereitet ist.«

Lomi hatte nichts weiter zu sagen, er verbeugte sich und ging.

Der Doktor fügte diese Papiere der Wachsmaske bei, betrachtete noch einmal neugierig die Innenseite des Wachsgebildes und schickte dann nach Nanina.

»Nun, mein gutes Kind, sagte er, als diese eintrat, »jetzt wollen wir mit dem Grafen das erste Experiment machen und ich wünschte, dass Sie dabei zugegen wären.«

Er nahm die Schachtel mit der Maske und begab sich mit Nanina in Fabio’s Zimmer.


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