In der Dämmerstunde

Die Erzählung des Professors von der gelben Maske



Fünftes Kapitel.

Von allen den Personen, welche der Ball des Marquis beschäftigt hatte, war Nanina die erste, welche sich am Morgen danach erhob. Sie hatte nicht schlafen können, so sehr bewegten sie die verschiedenen Erlebnisse, die sie auf dem Balle gehabt hatte. Sie stand auf und schöpfte die frische Morgenluft an ihrem kleinen Fensterchen in langen Zügen ein.

Am meisten beschäftigte sie der Augenblick, in welchem sie Fabio mit der entsetzlichen Maske allein gelassen hatte. Dann nahm sie das mit Bleistift beschriebene Blättchen und überlas wiederholt, was Fabio ihr aufgeschrieben hatte.

Sie überlegte, ob sie wirklich den kleinen Schlüssel zu dem Garten des d’Ascoli-Palais benutzen sollte. — Aber ja! Fabio hatte ihr ja am Schluss gesagt:

»Fassen Sie Vertrauen zu meiner Aufrichtigkeit, wie ich stets Vertrauen zu Ihnen hegte!«

Ja, sie durfte Vertrauen schenken. — Außerdem musste sie ja auch den kleinen Schlüssel zurück geben. —

Als sie noch so in Gedanken auf die Straße hinabblickte, hörte sie, dass an die Tür geklopft wurde.

Der Mann, welcher klopfte, hatte Nanina erblickt und fragte:

»Wohnt die Krankenwärterin Marthe Angrisani hier?«

»Ja,« antwortete Nanina, »ich werde sie gleich rufen. Ist Jemand krank?«

»Ja, rufen Sie sie nur schnellt Sie soll nach dem Palais d’Ascoli kommen, mein Herr, der Graf Fabio, ist krank.«

Nanina flog förmlich zu der Krankenwärterin und rief:

»O, eilt Euch, eilt Euch, Frau Martha! Er ist krank!«

Nanina lief dann zu dem Diener und teilte ihm mit, dass Frau Martha sogleich kommen würde. Dann fragte sie ihn nach der plötzlichen Krankheit seines Herrn, da er ja doch gestern noch auf dem Balle gewesen sei.

»Ich weiß weiter nichts,« erwiderte der Diener, nachdem er etwas überrascht Nanina’s Aufregung bemerkt hatte, »als dass mein Herr Graf bewusstlos von zwei Herren nach Hause begleitet worden ist. Ich hörte, dass er das Gesicht einer Maske gesehen haben soll, welches ihm einen großen Schreck eingeflößt hat; mehr weiß ich nicht! Der Doktor sagt, mein Herr hätte eine Gehirnentzündung und hat uns Allen die größte Vorsicht empfohlen!«

Der Mensch sah noch, dass Nanina bitterlich weinte, als sie in das Haus trat.

Als Marthe zum Fortgehen bereit war, warf sich Nanina an ihre Brust und bat:

»Wenn Sie mich je lieb hatten, Mutter Marthen so lassen Sie mich mitgehen und ihn pflegen helfen.«

Die Wärterin zögerte Anfangs, aber Nanina weinte so heftig, dass die alte Frau sich entschloss, sie mitzunehmen; denn sie gedachte ihrer eigenen Jugend und der Zeit, wo sie einst auch so heiß zu lieben verstand. — Sie kannte Nanina’s heiße und treue Liebe zu Fabio seit langer Zeit. —

Endlich sagte sie:

»Nimm Deine Mantille und komme mit; aber erscheine so alt und hässlich als Du vermagst, sonst wird es Dir der Doktor nicht erlauben, mir hilfreiche Hand zu leisten; hörst Du, Nanina!«

Diese Vorsicht war unnötig, denn der Doktor wünschte gerade, dass Fabio Menschen an seinem Bett sehe, die er gern habe.

Nanina teilte dem Doktor mit, dass sie dem Grafen einst als Modell gedient habe, und so wurde sie gern an das Krankenbett gelassen.

Sechs Wochen vergingen unter der steten Furcht, dass Fabio ein Opfer des Todes sein würde; aber es kam auch endlich der Tag, wo der Graf wieder ruhig schlief und wo die Fieberphantasien aufhörten, aber die gelbe Maske beschäftigte ihn doch noch unaufhörlich.

Es waren keine Phantasieren, sondern der Kranke sprach ganz vernünftig über seine sonderbare Begegnung.

Er sah Nanina an seinem Bett, sie las ihm vor; aber Wochen vergingen so und der Graf behielt den furchtbaren Ernst, den er, seitdem er seiner Besinnung wieder mächtig war, stets zeigte.

Er schien zufrieden damit, dass das junge Mädchen an seinem Bette war, aber er lächelte ihr auch nicht ein einziges Mal dankbar zu. —

Einst saß sie auch neben seinem Bette, als sich die Tür öffnete und Andrea d’Arbino mit dem Doktor eintrat.

Fabio lag gleichgültig da und schien eben einschlafen zu wollen. Er bemerkte die Herren nicht.

»Es ist recht traurig,« fing der Doktor an, »dass sein Körper gesunden während sein Geist kranker zu sein scheint. Er glaubt noch immer an das Gesicht der Toten hinter der Maske.«

»Ach, Doktor, er ist gewiss noch im Fieber, wenn er so spricht!« sagte d’Arbino.

»Im Gegenteil,« entgegnete der Doktor, er ist körperlich völlig hergestellt; aber da er seit seiner Kindheit abergläubisch ist, ist es viel schwerer, ihn von seiner festgefaßten Idee zurück zu bringen.«

»Hört er nur zu, wenn Sie mit ihm über den Gegenstand sprechen, oder antwortet er auch?« fragte d’Arbino.

»Er hat auf Alles, was ich ihm sage, nur dieselbe Antwort, dass er trotz allen Widersprechens, dennoch das Gesicht seiner toten Frau gesehen habe.

»Als Arzt weiß ich doch genau, dass der Mann jetzt fieberfrei ist, und deshalb muss ich ihm das auszureden suchen.«

»Ich wünsche Nichts sehnlicher, als dass das Geheimnis aufgeklärt werde,« sagte d’Arbino, »und ich habe bereits 200 Scudi Belohnung darauf gesetzt für den, der mir in die Geschichte Licht bringt. Ich habe die Diener des Palais Melani examiniert, war bei dem Nachtwächter des Campo Santo, habe Hotelbücher und Polizeilisten durchforscht, nur Etwas über das Frauenzimmer in der gelben Maske zu erfahren, aber ich habe Nichts gefunden, was Aufklärung geben könnte.

»Und somit bin ich nun an dem Ende meiner Bemühungen.«

Der Doktor begriff das und sagte:

»Und doch werden wir den Kranken nicht früher geheilt sehen, bis wir ihm die Überzeugung verschaffen können, dass er sich geirrt habe.« —

Mit diesen Worten fielen des Doktors Augen auf Nanina, die still stand und zuhörte.

»Frau Martha,« fragte der Arzt, »geht Ihre junge Gehilfin auch täglich aus? Wenn sie nicht lange Wege macht zu ihrer Erholung, so werde ich bald an ihr eine zweite Patientin haben.«

»Nanina geht nur von hier aus zu ihrer Schwester,« erwiderte die Krankenwärterin.

»So gehen Sie täglich, bevor Sie hierher kommen, recht weit,« sagte der Doktor zu Nanina, »sonst muss ich Sie von Ihrer Hilfe hier entbinden.«

»Jetzt bin ich für Sie bereit,« fuhr er zu d’Arbino fort, und die Männer gingen.

Nanina hatte kein Wort von der Unterhaltung verloren und sagte zu sich, als das Zimmer leer war:

»O, wenn ich doch Fabio beweisen könnte, dass er sich getäuscht habe.« —

Als das junge Mädchen nach Hause kam, fand sie einen Brief an sich von Meister Lomi.

Er war nach Pisa zurückgekehrt und fragte an, ob sie ihm vielleicht zu einer Büste sitzen wollte, die er für einen reichen Neapolitaner ausführen sollte.

Da ihr das Schreiben zu unbequem und schwierig erschien, so beschloss sie, dem Meister persönlich die verneinende Antwort zu überbringen.

Als sie eben das Atelier betreten wollte, kam ihr die Idee, dass sie vielleicht Pater Rocco dort finden werde, aber es war zu spät zum Umkehren, denn ein Gehilfe öffnete eben die Tür

Ihre erste Frage war nach Pater Rocco, doch sie erfuhr, dass er nicht bei seinem Bruder sei, und so betrat sie ruhig die Werkstätte des Künstlers.

Sie ging zu Meister Lomi und sagte ihm, dass sie Krankenwärterin sei, und dass es ihr dadurch unmöglich werde, zu den Sitzungen zu erscheinen.

Meister Lomi bat so dringend, aber Nanina konnte eben nichts versprechen, weil es ihr in der Tat an Zeit fehlte, bei dem Meister zu erscheinen.

Luca Lomi staubte eben zum ersten Male seine geliebten Statuen und Büsten eigenhändig mit einer Federbürste ab und blieb auch bei der Beschäftigung während er mit Nanina unterhandelte.

Luca Lomi kam jetzt zu seiner Lieblingsstatue, der Minerva, zu welcher ihm seine nun verstorbene Tochter einst gesessen hatte.

Er hatte sie schon einmal abgestaubt, aber es war ihm, als läge noch etwas Staub auf der Stirn der Göttin. — Er nahm seine Federbürste, stieg auf einen Stuhl und wollte den Staub fortblasen. —

Nanina wollte sich eben entfernen. — Mit einem Male hörte sie aber den Meister ausrufen: »Hier ist Gips auf der Stirn der Minerva!«

Er nahm sein Taschenmesser und entfernte den Gips aus den feinen Falten des Haares.

»Es ist Gips über dem Gesicht dieser Figur gewesen.

Jemand hat hiernach eine Maske angefertigt!« rief Lomi.

Der Meister blickte sich scheu um und rief weiter:

»Hier muss ich Aufklärung haben! Ich ließ die Statuen unter Roccos Aufsicht, ich muss ihn gleich fragen, wer diesen Diebstahl hier ausführte!«


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