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Zwölftes Kapitel - Eine Privatzeichenakademie

Obschon den gewöhnlichen Beschäftigungen und Interessen des Lebens gegenüber der sorgloseste und gutmütigste Mensch von der Welt war doch Blyth das Ungestüm selbst - ein wahrer Heißsporn unter den Malern - sobald seine Kunst im Spiele war. Was immer seine speziellen Fachpläne sein mochten, er ruhte nicht, bis sie auf der Stelle entweder vollständig ausgeführt oder vollständig gescheitert waren. Hätte es ihm freigestanden, nach seinem Kopfe und ohne Rücksicht auf andere zu handeln, so wäre sein Morgentraum von einer Privatzeichenakademie durch die Errichtung einer Familienschule mit einem vollständigen, nur auf die drei Schüler Frau Blyth, Madonna und Zack berechneten Lektionsplan noch denselben Abend verwirklicht worden.

Ein Hauptzweck, der durch Valentins Projekt erreicht werden sollte, war die Unterhaltung seiner kränklichen Frau während der langen Winterabende. Lavinias Befinden und Behagen war deshalb das erste und wichtigste Bedenken, welches berücksichtigt werden musste. Da sie sich fürchtete, bei der Gründung der neuen Akademie in ihrer Wohnung anwesend zu sein, traf es sich so, dass die wechselnden Einflüsse, welche die Krankheit auf ihren Zustand hatte, der unmittelbaren Eröffnung der Abendzeichenschule keineswegs günstig waren. Sie hatte ihre schwachen und ihre starken Tage, und man musste ruhig die letzteren abwarten, ehe sie sich im Geringsten anstrengen durfte. Erst nach Ablauf einer Woche konnte das Billet, welches Zack zu der ersten Reihe von Zeichenstunden einlud, die ihm Valentin bei seinem Besuch im Atelier zu geben versprochen hatte, richtig nach Baregrove-Square befördert werden.

Als Blyth zuletzt von den Mühen des Zusammenstellens und Ordnens ausruhte und in Lavinias Wohnung munter um sich schauend bemerkte, dass alle Vorkehrungen zu dem ersten Abend seiner häuslichen Akademie getroffen seien, war er ohne Widerrede der selbstzufriedenste und glücklichste Mensch auf der Welt. Und er hatte alle Ursache, stolz zu sein, wenn er seine heimische Umgebung betrachtete. Selbst ein Wildfremder hätte sehr griesgrämig und unglücklich sein müssen, wenn er beim Eintritt in Frau Blyths Wohnung durch den Anblick alles dessen nicht erfreut worden wäre, das er sah, wohin er auch seine Blicke wenden mochte. In dem ganzen großen Gemache befand sich in der Tat nur ein sichtbarer Gegenstand, dessen Anblick kein Vergnügen gewährte - und dies war der Gipskopf, den Valentin unbegreiflicher Weise ausgesucht hatte als das beste Modell, nach welchem seine drei Schüler zeichnen konnten. Es war dies ein Abguss von dem furchtbaren und schmerzentstellten Gesicht der Mittelfigur jener großen aus einem Vater und zwei Söhnen, die in der Umschlingungen einer riesigen Schlange kämpfen, bestehenden Gruppe, welche in unsern Tagen unter dem Namen der »Lakoonsgruppe« - allgemein bekannt ist.

Durch Einreißung eines Bretterverschlags war Frau Blyths Wohnzimmer so sehr vergrößert worden, dass es die ganze Breite einer Seite des Hauses einnahm und von den vordern bis zu den hintern Gartenfenstern reichte. Der ansehnliche Raum, den man auf diese Weise gewonnen hatte, war überall von dem Fußboden bis zu der Decke mit Gegenständen angefüllt, deren Schönheit vollkommen zu dem Kreise passte, in den sie gestellt waren; einige dauerhaft und brauchbar, wo das Nützliche gewünscht wurde, andere leicht und zart, wo das Zierliche notwendig war - und alle rühmlich erworben durch Valentins Pinsel, durch den anhaltenden, liebevollen, uneigennützigen Fleiß vieler Jahre. Von dem luftigen und blitzenden kleinen Kronleuchter, der nachts das Zimmer erhellte, bis zu der bunten Leopardenfelldecke, die von dem hellblitzenden Feuerplatz strahlte; von dem Garten unter Glas in der einen Fensternische bis zu dem zartgefärbten Schubladenschränkchen von Atlasholz in der andern; von dem Teppich mit seinen reichen grünen und braunen Farben, die sich in reinster und vollkommenster Harmonie miteinander vermischten, bis zu dem Fries mit seiner zarten Girlande von nach der Natur gezeichneten Weinblättern und Ranken - jeder Gegenstand in dem Gemache erzählte seiner Herrin dieselbe einfache Hausgeschichte von der wachsamen Sorge, die nie schlief, und von der hochherzigen Liebe, die nie sich verleugnete, oder weckte in ihrem Herzen dieselbe rührende Erinnerung an Opfer, welche freudig gebracht, an Kämpfe, die lustig bestanden, an Belohnungen, die hart erworben und dankbar gepriesen wurden in der einzigen edeln Absicht, um das Heiligtum des Krankenzimmers sowohl zu einem Schrein für die ausgesuchtesten Opfergaben als zu einem Altar für die heißesten Gebete zu machen.

Frau Blyths Bett, wie jedes Gerät, dessen sie sich in ihrem Zimmer bediente, war so eingerichtet, dass es ihr das größte Maß von Bequemlichkeit und Behaglichkeit, das bei ihrem leidenden Zustande erreichbar war, gewährte. Das Gestell war breit genug, um in seinem Rahmen ein Lager für den Tag und ein Bett für die Nacht einzuschließen. Ihr Lesepult und ihr Arbeitstisch konnten in ihren Bereich gerückt werden, in welcher Stellung sie auch lag. Unmittelbar über ihr hing eine außerordentlich komplizierte Vorrichtung von losen Schnüren, die durch geschmackvolle, an verschiedenen Punkten der Decke befestigte Kolben der zierlichsten Art liefen, und mit der Glocke, der Tür und einer leicht zu öffnenden Glasscheibe des Fensters in Verbindung standen. Das waren Valentins eigene Erfindungen, um seine Gattin in den Stand zu setzen, Hilfe herbeizurufen, Besuch einzulassen, und die Temperatur ihres Zimmers beliebig zu regulieren, durch bloßes Ziehen an einer von den Schnüren, die in dem Bereich ihrer Hand hingen und sauber mit Elfenbeingriffchen versehen waren, auf denen man las: »Glocke«, »Tür«, »Fenster«. Es waren zu dieser Vorrichtung wenigstens fünfmal mehr Schnüre verwendet worden, als der beabsichtigte Zweck erforderte, aber Frau Blyth wollte niemals erlauben, dass ihre Zahl durch geschickte Hände vermindert wurde. Mochte die ganze Vorrichtung andern ungeschickt erscheinen, in ihren Augen war sie fehlerfrei; jede überflüssige Schnur war gefeit gegen das bessernde Messer um Valentins willen.

Betrachtete man ihr Gesicht, wenn sie so dasaß auf ihrem Ruhebett, mit ihrem Gatten sprechend oder auf Madonnas Schiefertafel schreibend, während das taubstumme Mädchen neben ihr saß, so war es nicht leicht, den Gedanken an langes Leiden und Siechtum mit ihrer Stimme, ihrer Gebärde, ihrem Aussehen zu vereinigen. So erbarmungslos die Krankheit ihren entweihenden Stempel der ganzen Gestalt aufgedrückt hatte, der Gesichtsausdruck trotzte den ärgsten Verwüstungen der Zerstörerin, fortbestehend in der frohen Lebenskraft seiner eigenen Schönheit, als der einzige sichtbare Teil ihres gebrechlichen Lebens, der ungeschwächt und unverändert war. Mochte jetzt eine Höhlung in der Wange sein, wo einst ein Grübchen gewesen war; mochte ihre blühende Gestalt zusammengeschrumpft und der Glanz ihrer dunklen Augen völlig erloschen sein, als der verdorrende Hauch des Siechtums darüber strich - das Gesicht strahlte noch immer von der Seligkeit ungebeugten Mutes und unsterblicher Hoffnung, die alles, was in dem zarten Gesicht verschossen und zerstört war, gleichsam mit einem Schleier von Sonnenstrahlen bedeckte.

Eingesperrt in ein Zimmer, wie sie es schon seit Jahren war, hatte sie dennoch ihr natürliches weibliches Interesse an den kleinen Beschäftigungen und Vorkommnissen des häuslichen Lebens keineswegs verloren. Von dem Atelier bis zu der Küche wusste sie es täglich so einzurichten, dass sie durch von ihr selbst erfundene Verbindungskanäle die letzten Neuigkeiten erfuhr; dass sie, wenn nicht in Person, doch wenigstens im Geiste den Familienberatungen beiwohnte, die nicht in ihrem Zimmer stattfinden konnten; dass sie genaue Kunde empfing, wie es ihrem Gatten unten mit seinen Gemälden ging; dass sie bei Zeiten die Fehler verbessern konnte, welche Blyth oder Madonna bei der Zurichtung des Mittagessens oder bei ihren Bestellungen an Krämer oder Handwerker möglicherweise sich zu Schulden kommen ließen; dass sie das Gesinde zur Arbeit antreiben und je nach den Umständen sich selbst überlassen oder beaufsichtigen konnte. Weder ihr Blick noch ihre Gebärde verriet jene mürrische, hastig aufflackernde Ungeduld, die bisweilen an langes, unheilbares Siechtum sich haftet. Ihre Stimme, so matt sie klang, war stets freundlich und nach den verschiedenen Gedanken anmutig moduliert. An ihren schwachen Tagen, wenn sie sehr unter der Krankheit litt, war sie gewohnt, ganz still und ruhig zu liegen und ihr Zimmer dunkel zu lassen - das waren die einzigen Zeichen, an denen ihre Umgebung eine Verschlimmerung ihres Leidens erkennen konnte. Sie klagte nie, wenn die schlechten Symptome sich zeigten, und gestand nur ungern, selbst wenn man sie fragte, dass das Rückgrat mehr als gewöhnlich schmerze.

Sie hatte sich sehr hübsch gekleidet für den Abend, an welchem die Zeichenakademie eröffnet wurde, sie trug ein feines Spitzenhäubchen und ein neues seidenes Kleid, welches Valentin ausgesucht hatte und das weit genug war, um ihre Magerkeit zu verbergen. Ihres Gatten Liebe, durch alle Kümmernisse und Wandlungen treu festhaltend das Bild ihrer ersten jungfräulichen Erscheinung, bestimmte sie auch jetzt noch, auf ihre Toilette mehr Sorgfalt zu verwenden, als sie selbst an den besten und fröhlichsten Tagen ihrer Jugend und Gesundheit ihr aus eigenem Antrieb gewidmet hatte. In keinem neuen Kleide hatte sie besser und zufriedener ausgesehen als in dem, welches ihr Herr Blyth zu der Eröffnungsfeier der Zeichenakademie aufgenötigt hatte.

Sieben Uhr war die festgesetzte Stunde, in welcher die Tätigkeit der neuen Akademie beginnen sollte. Stets pünktlich, was immer seine Berufspflichten sein mochten, beendete Valentin seine Vorbereitungen, als die Glocke schlug und, vergnügt auf eine Ecke des Lagers seiner Frau sich niederlassend, betrachtete er seine Zeichenbretter, seine Lampen und seinen Gipsabguss des Laokoon mit stillem künstlerischen Behagen.

»Nun, Lavinchen«, sagte er, »ehe Zack kommt und mich, was er gewiss tun wird, verwirrt macht, will ich die Zeichengerätschaften nacheinander aufzählen, um mich zu überzeugen, dass nichts von dem, was hier oben sein muss, unten im Atelier geblieben ist.«

Als ihr Gatte diese Worte sprach, berührte Frau Blyth sanft die Schulter Madonnas. Das Mädchen hatte eine Zeit lang sinnend, mit gesenktem Kopf, dagesessen, während ihre Wange auf ihrer Hand ruhte und ein heiteres Lächeln ihre Lippen umspielte. Das Unglück, taubstumm geboren zu sein - das sie von dem Verkehr mit ihren Nebenmenschen ausschloss, sie zu einem einsamen Leben verurteilte und eine Grabesstille um sie schuf, die niemand zu durchbrechen vermochte - gab dem tiefen Sinnen, in das sie oft plötzlich versank, selbst in der Gesellschaft ihrer Adoptiveltern und ihrer Freunde, die um sie herum plauderten, einen ungemein rührenden Anstrich. Bisweilen übten die Gedanken, in die sie versunken war und die den andern nur durch die geheimnisvollen Schatten sich verrieten, die über ihr Gesicht glitten, lange ihren Einfluss auf sie aus, bisweilen schienen sie eben so schnell zu verschwinden, wie sie in ihrer Seele aufgetaucht waren. Es war eine von den vielen tollen Phantasien Valentins, dass sie dann nicht für sich allein grüble, sondern dass sie, obschon taubstumm gegenüber den Kindern dieser Welt, doch mit den Engeln reden und vernehmen könne, was die himmlischen Stimmen ihr erwiderten.

In dem Augenblicke, wo ihre Schulter berührt wurde, blickte sie auf und schmiegte sich eng an ihre Adoptivmutter, die, den Arm um ihren Nacken schlingend, durch die Fingersprache ihr mitteilte, was Valentin soeben gesagt hatte. Nichts war bezeichnender für Frau Blyths warme Sympathie und liebevolle Rücksicht gegen Madonna als diese kleine Handlung. Die gütigsten Menschen, auch wenn sie es verstehen, durch die Finger den Tauben sich verständlich zu machen, halten es selten für nötig, sie von einem gewöhnlichen Gespräch, das in ihrer Gegenwart geführt wird, in Kenntnis zu setzen. Weise Aussprüche, witzige Reden, merkwürdige Geschichten werden ihnen in der Regel von mitfühlenden Freunden und Verwandten mitgeteilt, aber die kleinen nichtssagenden täglichen Plaudereien, die unsere Sprachwerkzeuge am angenehmsten und anhaltendsten beschäftigen und unser Gehör in Anspruch nehmen, werden für zu unbedeutend und ihrer Natur nach zu flüchtig gehalten, um der Übertragung durch die Finger- oder Schriftsprache würdig zu sein, und daher auch selten den Tauben mitgeteilt. Von allen Entbehrungen, die ihr Unglück ihnen auferlegt, empfinden sie es am schmerzlichsten, dass sie von jeder lebendigen Teilnahme an den geselligen und häuslichen Interessen des sie umgebenden Lebens ausgeschlossen sind. Frau Blyths gütiges Herz, ihr feiner Verstand, ihre fromme Liebe zu ihrer Adoptivtochter hatten es ihr längst zur angenehmsten Pflicht gemacht, Madonna vor dem Gefühl ihres Unglücks und ihrer Vereinsamung in der Gesellschaft dadurch zu bewahren, dass sie ihr stets die scherzhaften und ernsten Gespräche mitteilte, die in ihrer Gegenwart im Krankenzimmer gehalten wurden. Seit vielen Jahren gewohnt, mit ihren abgemagerten Fingern dem taubstummen Mädchen alles zu verdolmetschen, was neben ihrem Lager gesprochen wurde, blieb Frau Blyth auch jetzt ihrer Gewohnheit treu.

»Nun gib acht, Lavinchen, und unterbrich mich, sobald ich irgendeinen von den Gegenständen übergehe, die ein Jeder zum Zeichenunterricht nötig hat«, sagte Valentin mit einem bewundernden Blick auf den Abguss des Laokoon und sich anschickend, seine Materialien nach der Reihe aufzuzählen, indem er den Zeigefinger der rechten Hand an den Daumen der linken Hand legte. »Da ist zuerst der Kopf, den alle meine Schüler gezeichnet haben - der herrliche Larkoon!« (Das war die Art. wie er den klassischen Eigennamen aussprach). »Zweitens -« »Aber lieber Valentin«, unterbrach ihn Frau Blyth, während ihre Finger um Madonnas Nacken die Worte fast ebenso schnell nachbildeten, als sie sie sprach, »warum wähltest Du dieses grässliche Gesicht eines Sterbenden für uns zum Abzeichnen? Mein Vater ist der Ansicht, dass alle Kunst, welche diejenigen, an die sie sich wendet, nur verletzt und erschreckt, eine Verirrung ist; und ich kann mir nicht helfen und muss ihm beistimmen, wenn ich dieses Gesicht anblicke, so sehr ich es auch anerkenne, dass Du der beste Richter bist.«

Es war eine von den Eigenheiten der Frau Blyth, dass sie sich jedesmal auf die Meinungen ihres Vaters und auf die Kupferstiche berief, die er verfertigt hatte, so oft von der Kunst die Rede war, und bisweilen sogar noch dann, wenn das Gespräch andern Gegenständen sich zugewendet hatte. Sie war des armen Kupferstechers Lieblingskind, und so lange er sie bei sich zu Hause hatte, das einzige Familienglied, dem er alle seine Lieblingspläne, alle Hoffnungen und Triumphe, die an seine Unternehmungen sich knüpften, anzuvertrauen wagte. Scheu, nervös, edelherzig, hegte er wie so mancher, der in der Dunkelheit geboren ist, heimlich ein ehrgeiziges Gelüst nach den glänzendsten Triumphen der Berühmtheit. Seine einfachen Bemühungen, um sich in seinem Handwerk einen Ruf zu erwerben, seine unschuldige Selbstverherrlichung nach einer guten Arbeit, sein Stolz, dann und wann seinen Namen in einer Zeitung erwähnt zu sehen, wenn ein Werk von seiner Hand einer kritischen Notiz gewürdigt wurde, seine eigenen Privatmeinungen über große Maler, lebende und tote, wurden sämtlich insgeheim an seine hübsche Lavinia gerichtet. Sie war das einzige Wesen in der kleinen Welt seiner täglichen Existenz, welches stets bereit und aufgelegt war, alle seine Ideen über Kunst anzuhören, die er nicht auskramen durfte vor mürrischen Verlegern, welche so gütig waren ihn zu beschäftigen, - noch vor berühmten Malern, denen er eine kostbare Zeit nicht zu rauben wagte, - noch vor seiner Frau, die von ihm als einem Kupferstecher eine sehr hohe Meinung nur in den seltenen Fällen hatte, wenn er mit der Bezahlung ihrer Wochenrechnungen im Reinen war. So wuchs Frau Blyth von ihrem frühesten Alter an in der liebreichen Überzeugung auf, dass ihr Vater ein verkanntes Genie war, und dass mit ihm ein reicher Schatz origineller Kunstideen der Nachwelt verloren ging. Sie verlor nie den Glauben an ihn und gab nie ihre Gewohnheit auf, diesen Glauben geltend zu machen, indem sie jedem, der das Haus betrat, seine Meinungen zitierte.

»Ich ehre die Grundsätze Deines Vaters, meine Liebe«, erwiderte Valentin auf die Bemerkung seiner Frau, »ich ehre seine Grundsätze und bewundere seine Geschicklichkeit.« (Frau Blyth blickte dankbar auf die Wand, an welcher die Kupferstiche ihres Vaters hingen, sämtlich eingerahmt nach den Weisungen Valentins und von ihm eigenhändig geordnet). »Ich gehe sogar noch weiter und gestehe Dir meine Freude darüber, dass Dir das Gesicht des Larkoon furchtbar erscheint, denn ich wähle es als Modell für diesen Abend in der ausdrücklichen Absicht, um Zack zu erschrecken.«

Madonnas blaue Augen öffneten sich weit in staunender Verwunderung, als diese Worte ihr verdolmetscht wurden. Frau Blyth lächelte bei dem Gedanken, eine Person wie Zacharias Thorpe Junior durch einen Gipsabguss zu erschrecken.

»Zack ist flüchtig, unaufmerksam und so unwissend in der Kunst, dass er jedenfalls nicht weiß, was ich unter der klassischen Skulptur verstehe, sobald ich zu ihm von der Antike rede«, fuhr Valentin fort. »Wenn nun ein solcher Schüler wie er zeichnen zu lernen anfängt, so wage ich zu behaupten, dass die Antike, wenn ihr erster Anblick ihn nicht zwingt, in scheuer Ehrfurcht vor der Kunst sich zu beugen, ihn nie dahin bringen wird, dass er sie fünf Minuten hintereinander mit einiger Aufmerksamkeit studiert. Er bedarf eines Zeichenmodells, das ihn völlig in Anspruch nimmt, und ihn zugleich vom Scheitel bis zur Sohle in dem Moment, wo er es erblickt, schaudern macht. Den mit dem Tode ringenden Larkoon halte ich für den geeignetsten Abguss, um einem Anfänger Grauen einzuflößen; der Larkoon ist daher das rechte Ding, das wir für Zack brauchen.«

»Meinst Du nicht, dass es ihm zu schwer sein wird, wenn er ihn gleich in der ersten Stunde abzeichnen soll?« fragte Frau Blyth. »Mein Vater pflegte zu sagen, junge Kupferstecher - aber freilich, Zeichnen nach antiken Mustern ist etwas ganz anderes.«

»Zack wird nichts schwer finden, sobald er nur meine Vorschriften befolgt«, sagte Herr Blyth in zuversichtlichem Tone. »Aber er wird wahrhaftig hier sein, ehe ich fertig bin mit der Aufzählung der Sachen, die ich aus der Malerstube herausgeschafft habe. Lass sehen, womit hab ich denn angefangen? Ach ja, mit dem Larkoon. Gut.- Also erstens, der Gipsabguß«, sagte Valentin, indem er von vorn anfing und wieder den Zeigefinger der rechten Hand an den linken Daumen legte. »Zweitens, zwei Stühle, auf die rechten Gesichtspunkte gestellt. Der Stuhl mit der Stirnansicht für Madonna; der Stuhl mit der Profilansicht für Zack, weil es die leichteste ist. Die dreiviertel-Ansicht reservierte ich für Dich, meine Liebe, ganz so wie Du sie jetzt siehst, weil es die beste ist, und weil ich möchte, dass Du am besten zeichnest. Viertens -«

»Drittens, lieber Valentin«, verbesserte Frau Blyth.

»So? Also drittens. Drittens - ja aber was? Weißt Du, ich bin schon etwas konfus geworden und weiß wahrhaftig nicht, was zunächst an der Reihe ist - Ist das nicht sonderbar?«

»Hast Du die Zeichenstifte geholt?« fragte Frau Blyth.

»Ei das versteht sich! Drittens, die Zeichenstifte. Du mein Himmel, wo kann ich nur die Zeichenstifte hingelegt haben?« Und Herr Blyth fing an, die verlegten Sachen wie gewöhnlich an den unrechten Stellen zu suchen. Madonna, welche auf ein Zeichen der Frau Blyth ihm beim Suchen half, fand sie alle bunt durcheinander geworfen hinter dem Gipsabguss. »Drittens, die Zeichenstifte«, wiederholte Valentin, Madonna im Triumphe küssend, als sie ihm die Stifte überreichte. »Die Zeichenstifte und die schwarze und weiße Kreide, alles bereits zugespitzt mit doppelter Berücksichtigung Zacks, weil er gewiss alle seine Spitzen im Laufe des Abends zerbrechen wird. Viertens - so weit bin ich nun gekommen, Lavinchen, ich sehe, es ist alles in Ordnung. Halt, lasst sehen! Das können nicht die Lampen sein, das muss etwas Unbedeutendes und leicht Vergessbares sein. Viertens, drei Zeichenbretter - nein, das sind die ansehnlichsten Gegenstände von allen. Papier? - Nein, das klebt an den Zeichenbrettern; der dickste Bissen für Zack, weil er gewiss jeden Strich wieder auswischen muss, den er in der ersten halben Stunde macht. Viertens - Lavinchen! Ich habe etwas Wichtiges vergessen, und ich weiß wahrhaftig nicht, was es ist«, rief Herr Blyth in klagendem Tone aus, während er in der größten Angst und Verlegenheit um sich blickte.

»Doch nicht die Semmeln, welche Du Zack zum Tee versprochen hast«, sagte lachend Frau Blyth.

»Viertens, die Semmeln!« rief Valentin lebhaft - »nicht als ob sie vergessen wären, beileibe nicht, denn ich habe soviel bestellt, dass jeder im Hause daran sich tot essen kann; aber es ist ein wahres Glück, dass wir etwas für Nummer 4 haben und zu Nummer 5 übergehen können. Fünftens - ja aber was? Das ist die Frage? Was kann ich vergessen haben? Denk' einmal nach, meine Liebe. Es ist etwas, das Jeder zum Zeichnen braucht?«

»Brotkrume zum Auswischen«, bemerkte Frau Blyth, nachdem sie einen Augenblick überlegt hatte.

»Das ist's!« rief Valentin außer sich vor Freude. »Ich habe alle Brotkrume unten in der Malerstube gelassen. Nein, nein! schicke nicht Madonna. Sie weiß nicht, wo sie liegt. Sag' ihr, sie soll statt meiner das Feuer schüren, ich werde gleich wieder hier sein.« Und Herr Blyth schoss zum Zimmer hinaus so flink, als wenn er fünfzehn und nicht fünfzig Jahre alt gewesen wäre.

Kaum hatte Valentin den Rücken gewendet, als die Hand der Frau Blyth unter die hübsche Daunendecke fuhr, welche auf ihrem Ruhebett lag, als wenn sie etwas suchen wollte, was dort versteckt war. Im andern Augenblick erschien sie wieder mit einer sehr leicht und sehr, sauber eingerahmten Kreidezeichnung. Es war Madonnas Kopie von dem Kopfe der Mediceischen Venus - dieselbe Kopie, welche Zack bei seinem letzten Besuch in den überschwenglichsten Ausdrücken gepriesen hatte. Seitdem war es ihr fester Vorsatz, ihm die Zeichnung zu schenken, die er so sehr bewundert hatte. Sie zu vollenden, wandte sie den größten Fleiß und die höchste Sorgfalt auf, deren sie überhaupt fähig war, und als die Zeichnung fertig war, kaufte sie für die kleinen Ersparnisse ihres Taschengeldes einen sehr hübschen Rahmen; endlich wurde das Ganze unter Frau Blyths Bettdecke versteckt, um als eine Überraschung für Zack und zugleich für Valentin an diesem Abend hervorgezogen zu werden.

Nachdem Frau Blyth ein paarmal die Kopistin und die Kopie bettachtet hatte, wobei ihr blasses gütiges Gesicht von ruhiger Heiterkeit strahlte, legte sie die Zeichnung hin und begann mit den Fingern zu Madonna zu reden.

»Ich soll also Valentin nicht sagen, für wen dies Geschenk bestimmt ist?« lauteten die ersten Worte, die sie durch Zeichen ausdrückte.

Das Mädchen saß, den Rücken halb der Zeichnung zugekehrt, und betrachtete sie von Zeit zu Zeit verstohlen mit einem scheuen und unsichern Blick, als wenn das Werk ihrer Hände eine Umgestaltung erlitten hatte, die es ihr zweifelhaft machte, ob sie noch länger berechtigt sei, es zu betrachten. Sie schüttelte den Kopf als Antwort auf die an sie gerichtete Frage, dann drehte sie sich plötzlich auf dem Stuhle herum, während ihre Finger krampfhaft mit den Fransen der Bettdecke an ihrer Seite spielten.

»Wir alle haben Zack lieb«, fuhr Frau Blyth fort, an Madonnas Verwirrung sich weidend, »aber Du musst ihn sehr lieb haben, da Du auf diese Zeichnung mehr Sorgfalt verwendet hast, als auf irgend eine frühere.«

Diesmal wagte es Madonna nicht, die Augen aufzuschlagen oder auch nur einen Zoll breit auf ihrem Stuhle zu rücken; ihre Finger arbeiteten immer krampfhafter in den Fransen, die verräterische Röte ihrer Wangen, ihres Nackens und ihres Busens antwortete statt ihrer.

Frau Blyth berührte freundlich ihre Schulter, und nachdem sie die Zeichnung wieder unter die Decke gelegt hatte, nötigte sie sie, die Augen aufzuschlagen, indem sie ihr Folgendes durch Zeichen mitteilte:

»Ich werde Zack gleich nach seiner Ankunft die Zeichnung geben. Es leidet keinen Zweifel, dass sie ihn für den Rest des Abends glücklich und in Dich verliebter als je machen wird.«

Madonnas Augen folgten aufmerksam den Fingern der Frau Blyth bis zu dem letzten Buchstaben, den sie bildeten; dann sah sie sanft zu ihr auf mit jenem stillen fragenden Blick, den sie vor Jahren angenommen hatte, als Valentin zuerst zu ihrem Schutze in der Kunstreiterbude erschien. Es lag eine so unwiderstehliche Zärtlichkeit in dem sanften Lächeln, das ihre Lippen umspielte, ein solcher Zauber in dem schwermütigen Ausdruck ihres unschuldigen Gesichts, das um einen Gedanken bleicher wurde als es gewöhnlich war, so dass Frau Blyth eine ernste Stimmung beschlich, als ihre Augen sich begegneten. Sie zog das Mädchen an sich und küsste sie.-Der Kuss ward zu wiederholten Malen erwidert mit einer leidenschaftlichen Wärme und einem Eifer, der auffallend abstach von der gewöhnlichen Sanftmut, welche alle Handlungen Madonnas atmeten. Was hatte sie so umgewandelt? Ehe es möglich war, zu forschen und zu denken, war sie den gütigen Armen, die sie umschlangen, entschlüpft und kniete an dem Kopfende des Bettes, ihr Gesicht in den Kissen verbergend.

»Ich muss sie durchaus beruhigen. Es ist meine Pflicht, sie fühlen zu lassen, dass dies unrecht ist«, sagte Frau Blyth zu sich selbst mit einem bestürzten und bekümmerten Blick, als sie ihre Hand mit Tränen benetzt hervorzog, und nachdem sie das Gesicht des Mädchens von den Kissen zu erheben vergebens versucht hatte. »Sie hat in der letzten Zeit zu viel an diese Zeichnung und leider auch zu viel an Zack gedacht.«

Gerade in diesem Augenblick öffnete Herr Blyth die Tür. Madonna, welche die leise Erschütterung fühlte, als er sie wieder zufallen ließ, sprang auf und rannte nach dem Kamin. Valentin bemerkte sie nicht, als er eintrat. Stets schwatzend, war er in der Nähe des Gipsabgusses beschäftigt, seine Stücke Brotkrume neben den Zeichenbrettern zu ordnen und die Lampe zu putzen, welche das Modell beleuchtete. Frau Blyth warf manchen ängstlichen Blick nach dem Kamin. Nach Verlauf einiger Minuten drehte Madonna sich um und kehrte zu dem Lager zurück. Die Tränenspuren waren gänzlich aus ihrem Gesicht verschwunden. Sie machte eine kleine bittende Handbewegung, welche Frau Blyth aufforderte, Stillschweigen zu beobachten über Alles, was während ihres Alleinseins vorgefallen war, küsste, um den Wunsch auszudrücken, dass ihr verziehen werden möge, die Hand, welche ihr entgegengestreckt wurde und setzte sich dann ruhig wieder auf ihren gewöhnlichen Platz.

»Fünftens, die Brotkrume«, sagte Herr Blyth, indem er unbekümmert um die frühern Fehler in der Aufzählung der Materialien, welche er oben gesammelt hatte, fortfuhr.

»Sechstens, die - o Gott! nun muss ich aufhören. Da kommt Zack.«

Bei diesen Worten hörte man eine laute Stimme, die von der Vorhalle in die Küche hinabrief - den Koch beschwörend, die Wahrheit zu gestehen und zu sagen, ob wirklich Semmeln zum Tee bestellt seien. Dann folgte ein langes Geflüster, an welches ein Gekicher des Hausmädchens sich anschloss, das gerade allein die Treppe hinaufging und in das Zimmer der Frau Blyth trat, nachdem es schnell ein lautes Gelächter hinter der Tür unterdrückt hatte, und in dem ausgestreckten Arme ein Paar jener aufgeblasenen waschledernen Fausthandschuhe hielt, die in der Boxerwelt unter dem Namen Boxerhandschuhe bekannt sind.

»Wenn es Ihnen beliebt, Herr«, sagte das Mädchen, bei jedem dritten Wort hysterisch kichernd, »unten an der Treppe ist Herr Zack und lässt Ihnen sagen, Sie möchten so gut sein und diese Dinger anziehen (er selbst hat ein anderes Paar angezogen) und ihm auf ein paar Minuten im Malersaal Gesellschaft leisten.«

»Kommen Sie herunter, Blyth«, rief die Stimme von der Treppe. »Sie wissen, das letzte Mal, als ich hier war, sagte ich Ihnen, dass ich Ihnen Handschuhe mitbringen und Sie boxen lehren würde. Kommen Sie herunter! Ich möchte Ihnen bloß den Brustkasten aufweiten, indem ich Sie ein wenig in der Malerstube ausklopfe, ehe wir zu zeichnen beginnen.«

Die Magd hielt noch immer die Handschuhe mit der vollen Länge des Armes weit von sich weg, als wenn sie fürchtete, sie möchten noch von den Fechterkräften erfüllt sein, die ihnen ihr letzter Träger eingeflößt hatte. Frau Blyth brach in ein helles Gelächter aus. Valentin folgte ihrem Beispiel. Das Hausmädchen fing an verstörte Blicke um sich zu werfen und wünschte zu wissen, ob ihr Herr so gut sein und »die Dinger« ihr abnehmen wollte.

»Sagten Sie, dass ich hinaufkommen soll?« fuhr die Stimme draußen fort. »Schon recht. Ich habe nichts einzuwenden, wenn Frau Blyth nichts dagegen hat. Hier trat Zack mit den Handschuhen ein, im Gehen ein Viereck bildend nach den bewährtesten Preisfechter-Grundsätzen. Ziehen Sie sie an. Blyth! Das sind die Pillen gegen Ihr altes träges Leben, über das Sie sich stets beklagen. Was lachen Sie darüber? Linkes Bein vor - das rechte sanft gekrümmt - fest - und richten Sie Ihr Ange auf mich! Sprechen Sie nicht, aber ziehen Sie sie an. Ich will Sie in der ersten Stunde die Wissenschaft des Gegenstoßes lehren. Ein prächtiges System! Owen Swift erfand es und tötete -«

»Halten Sie Ihren Mund!« rief Herr Blyth, der endlich Atem genug fand, um seine Würde als Meister der neuen Zeichenschule zu behaupten. »Nehmen Sie gleich diese Dinger weg! Was fällt Ihnen ein, Herr, dass Sie in meine Akademie, die den friedlichen Künsten geweiht ist, in der Haltung eines Preisfechters kommen?«

»Ruhig Blut, alter Knabe«, entgegnete Zack, »Sie werden sonst nie lernen, Ihre Fäuste hübsch zu gebrauchen. Hier, Patty, die Boxerstunde ist bis morgen aufgeschoben. Trage die Handschuhe hinauf in das Ankleidezimmer Deines Herrn und lege sie in den Schubkasten, wo seine feinsten Hemden sind, denn sie müssen stets rein und sauber gehalten werden. Geben Sie mir die Hand, Frau Blyth, obwohl ich ein so schlechter Bursche bin; es tut einem gut, Sie so hell lachen zu sehen. Sie sehen dann um so viel besser aus. Und wie geht es Madonna? Ich bedauere, dass sie vor dem Feuer sitzt und ihre hübsche Gesichtsfarbe zu verderben sucht. Wie, was fehlt ihr denn? Armes kleines Goldtöchterchen, ihre Hände sind ganz kalt!«

»Scheren Sie sich den Augenblick nach Ihrem Platze, Herr!« sagte Valentin, seine despotischste Stimme annehmend und den unordentlichen Schüler am Rockkragen nach dem ihm bestimmten Stuhle führend.

»Hoho!« rief Zack, den Gipsabguss betrachtend, der ihm auf den ersten Blick Ehrfurcht vor der Majestät der alten Skulptur einflößen sollte. »Hoho! Der Herr in Gips macht ein Gesicht, ich fürchte, er befindet sich nicht ganz wohl. Ich sage Ihnen, Blyth, ich mag seinen Kopf nicht zeichnen. Er sieht aus, als wenn er ein Nest Schlangen statt der Haare darauf trüge.«

»Wollen Sie wohl Ihren Mund halten und Ihr Zeichenbrett nehmen!« rief Herr Blyth. »Ein Nest Schlangen, wahrhaftig! Wissen Sie, dass Sie eigentlich aus unserer Akademie ausgestoßen zu werden verdienten, weil Sie in solcher Weise von dem hochberühmten Larkoon sprechen? Nun denn, wo ist Madonna? O, hier. Nein, bleiben Sie, wo Sie sind, Zack. Ich werde ihr ihren Platz zeigen und ihr die Zeichenbretter geben. Warte einen Augenblick, Lavinchen! Ich werde Dich mit den Kissen bequem aufrichten. So! Ich sah nie einen schönern Effekt von Licht und Schatten, meine Liebe, als den das Modell von Deinem Gesichtspunkt aus gewährt. Hat jeder einen Zeichenstift und ein Stückchen Brotkrume bekommen? Ja, jeder hat eins. Alles in Ordnung?«- »Alles in Ordnung!« frohlockte Valentin, plötzlich seine angenommene Würde in der augenblicklichen Erregung vergessend. »Herrn Blyths Zeichenakademie zur Beförderung des häuslichen Kunstsinnes ist eröffnet und völlig bereit, für die allgemeine Besichtigung. Hurra!«

»Hurra!« wiederholte Zack, »mein Hurra für den häuslichen Kunstsinn! Sagen Sie, Blyth, welche Kreide soll ich zuerst nehmen? - die weiße oder die schwarze? die schwarze - ei? Und nun sagen Sie mir wohl, welchen Teil des - wie heißt es doch gleich? - Gesichts soll ich damit zeichnen? Die Augen, die Nase, die Spitze des Kopfes, den Zipfel des Kinns - oder was?«

Zuerst skizzieren Sie ganz im Allgemeinen mit einem leichten fließenden Strich und ohne Rücksicht auf die Einzelheiten«, sagte Herr Blyth und erläuterte diese Weisungen, indem er die Hand anmutig vor seinem eigenen Gesicht hin und her bewegte. »Dann messen Sie mit den Augen unter gelegentlicher Beihilfe des Zeichenstiftes das Verhältnis - kurz das Verhältnis der Teile. Dann setzen Sie Punkte auf das Papier; einen Punkt, wo seine Augenbrauen hinkommen; einen andern Punkt wo seine Nasenspitze hinkommt, und so weiter. Dann - dann, ich will Ihnen sagen was, dann zeichnen Sie alles keck hinein - ich kann Ihnen unmöglich einen bessern Rat geben - zeichnen Sie alles hinein, zeichnen Sie alles keck hinein!«

»Hier kann man bei dem Hinterkopf anfangen«, sagte Zack, einen vertrauten und verständnisvollen Blick auf den Laokoon werfend und auf dem Papier mit einer vorläufigen Schwenkung seiner Hand einen ungeheuren Halbkreis zeichnend. »O abscheulich, ich habe die Kreide-zerbrochen!«

»Freilich haben Sie sie zerbrochen«, versetzte Valentin. »Nehmen Sie ein anderes Stück. Die Akademie garantiert ungeschickten Schülern, welche ihre Striche in das Papier eingraben, statt sie darauf zu zeichnen, Supplementarkreide. Nun brechen Sie ein bisschen Brotkrume ab und reiben sie, was Sie gemacht haben, wieder aus. ‚Kauf ein Pfennigbrot und reib das Ganze wieder aus‘, wie einst Herr Fusely in der Schule der königlichen Akademie zu mir sagte, als ich ihm meine erste Zeichnung zeigte und er außerordentlich darüber erzürnt war.«

»Ich erinnere mich«, sagte Frau Blyth, dass mein Vater, als er an seinem großen Stich - der einer der schwierigsten war - von Scambles berühmtem Gemälde »die überraschte schöne Ährenleserin« arbeitete, zu sagen pflegte, der Kupferstecher habe es doch viel schlimmer als der Zeichner, denn dieser könne auf dem Papier jeden falschen Strich auswischen, was jenem auf dem Kupfer nicht möglich sei. Wir alle glaubten, er würde den Stich nie zu Stande bringen, so sehr pflegte er darüber zu seufzen, wenn er im Vorderzimmer daran arbeitete. Und die Verleger bezahlten ihn nichtswürdig mit lauter Scheinen, die er Mühe hatte los zu werden. Und die Leute, welche ihm das Geld dafür gaben, betrogen ihn. Meine Mutter sagte, es geschehe ihm schon recht, warum sei er stets so unvorsichtig; mir aber erschien diese Äußerung sehr hart, und ich nahm deshalb seine Partei, um so mehr, als er in derselben Zeit auch noch von den Händlern gepeinigt wurde.«

»Ich kann mich in seine Lage hineindenken, meine Liebe«, sagte Valentin, ein drittes Stück Kreide für Zack zuspitzend. »Die Händler haben auch mich gepeinigt, nicht deshalb, weil ich sie nicht bezahlen konnte, nein durchaus nicht, sondern weil ich ihre Rechnungen nicht addieren konnte. Trauen Sie nie einem Manne genug, Zack, um ihm die Möglichkeit zu geben, Sie dafür, dass Sie sein Schuldner sind, durch einfaches Hinzurechnen einer Summe zu strafen. Zu der Zeit, wenn ich die Rechnungen bekam - fahren Sie fort mit zeichnen, Sie können hören und zugleich zeichnen, - pflegte ich natürlich zu denken, es sei notwendig, die Händler anzuweisen und zu sehen, ob ihre Rechnungen richtig seien. Sie werden mir es schwerlich glauben, aber ich kann mich erinnern, dass die Summen, außer etwa in drei Fällen, je soviel betrugen, als die Händler herausgerechnet hatten. Und was das Schlimmste war, wenn ich die Rechnungen zum zweiten Mal durchsah, so gelangte ich nie zu dem gleichen Fazit wie das erste Mal. Ich entsinne mich, des Grünwarenhändlers Pfennigkolumne brachte mich halb zur Verzweiflung. Ich ging stets zu den Händlern und bestand darauf, dass sie Unrecht hätten; aber ich kehrte stets mit der Überzeugung nach Hause zurück, dass ich selbst Unrecht hätte. Einige Mal, darf ich wohl sagen, ward ich betrogen, denn ich pflegte die Summe größer zu machen als die Händler sie machten. Dem Himmel sei Dank, mit derartigen Schwierigkeiten brauche ich mich jetzt nicht mehr herumzuschlagen! Alles wird auf der Stelle bar bezahlt, sowie es ins Haus kommt. Wenn der Metzger dem Koch eine Hammelkeule über die Gittertür reicht, so zahlt dieser ihm vier Schillinge neun Pence - oder was es immer macht - und empfängt dafür eine quittierte Rechnung. Ich speise jetzt mit dem gesegneten Bewusstsein, dass meine Mahlzeiten in arithmetischer Hinsicht keinerlei Missbehagen am Schlusse des Jahres zurücklassen werden. - Was haben Sie, Zack? Warum kratzen Sie sich in einem fort hinter den Ohren?«

»Es geht nicht«, antwortete dieser, »wohl ein Dutzend Mal habe ich es versucht, eine Nase zu zeichnen, aber, ich bringe es nicht fertig.«

»Nicht fertig!« rief Herr Blyth. »Was fällt Ihnen ein, diesen Ausdruck auf einen Kunstprozess in meiner Gegenwart anzuwenden? Da, das ist die Linie der Larkoonsnase. Gehen Sie mit einem frischen Stück Kreide daran. Nein, warten Sie einen Augenblick. Kommen Sie erst einmal her und sehen Sie, wie Madonna die Nase hineinzeichnet; bedenken Sie, die Vorderansicht ist die schwierigste, und deshalb hat sie auch nicht so schnell wie gewöhnlich gearbeitet. Findest Du, meine Liebe, dass Deine Ansicht des Modells für Dich etwas zu schwer ist?« fuhr Valentin fort, die letzten Worte in die Fingersprache übersetzend, um sie Madonna mitzuteilen.

Sie antwortete durch ein Kopfschütteln. Es war nicht die Schwierigkeit, nach dem vor ihr befindlichen Abguss zu zeichnen, sondern die Schwierigkeit überhaupt zu zeichnen, die ihre Fortschritte hemmte. Ihre Gedanken wanderten zu der Kopie der Mediceischen Venus, die unter Frau Blyths Bettdecke versteckt war, und schwankten zwischen der zitternden Ungeduld, sie ohne längern Aufsschub überreichen zu sehen, und der grundlosen Befürchtung, dass Zack, wenn er sie bekäme, sich ihrer gar nicht mehr erinnern oder sich am Ende gar nichts daraus machen würde. Und ihre Augen folgten ihren Gedanken. Bald warf sie verstohlen einen ängstlich forschenden Blick auf Frau Blyth, um zu sehen, ob sie ihre Hand nach der versteckten Zeichnung ausstrecke, bald blinzelte sie scheu nach Zack hinüber - nur auf Augenblicke, und nur wenn er recht eifrig mit seinem Zeichenstift arbeitete, - um sich zu überzeugen, dass er noch seine gute Laune hatte und aufgelegt war, ihr kleines Geschenk freundlich anzunehmen, und dass es ihn freuen würde, wenn er die Sorgfalt bemerkte, welche sie darauf verwendet hatte. Auf diese Weise ward ihre Aufmerksamkeit unaufhörlich von ihrer Beschäftigung abgelenkt, und das war die Ursache, weshalb sie langsamere Fortschritte als gewöhnlich machte, und wodurch Herr Blyth auf die Vermutung kam, dass die ihr gestellte Aufgabe einigermaßen ihre Kräfte überstiege.

»Das ist ein herrlicher Anfang, nicht so?« fragte Zack, auf ihre Zeichnung blickend. »Ich fordere die königliche Akademie heraus, etwas Ähnliches zu machen«, fuhr der junge Mann fort, diese ungefährliche Äußerung auf den weißen Rand der Zeichnung kritzelnd und seinen Namen mit einem prächtigen Schnörkel darunter setzend.

Sein Arm streifte ihre Schulter, während er schrieb. Sie errötete ein wenig, blickte mutwillig affektierend zu ihm auf, als wenn sie auf seine Lobsprüche sehr stolz sei - dann nahm sie hastig ihre Zeichnung wieder auf, als ihre Blicke sich begegneten. Zack ward von Valentin nach seinem Platz zurückgeschickt, ehe er noch weiter etwas schreiben konnte. Madonna nahm ein wenig von der neben ihr liegenden Brotkrume, um die niedergeschriebenen Worte auszuwischen, zögerte aber, als ihre Hand den Zeilen sich näherte, errötete tiefer als vorher, wandte sich wieder zu ihrer Zeichnung und ließ ruhig stehen, was Thorpe daneben geschrieben hatte.

»Ich werde nie im Stande sein, so gut zu zeichnen wie sie«, sagte Zack, mit einem verzweiflungsvollen Seufzer das Wenige betrachtend, das er gemacht hatte. »Wahrhaftig, ich glaube nicht, dass Zeichnen meiner Force ist. Die Farbe ist es, verlassen Sie sich darauf. Warten Sie nur, bis ich dahin komme, und Sie sollen sehen, wie ich mich auf die Malerei legen werde! Fanden Sie nicht das Zeichnen verteufelt schwer, Blyth, als Sie zuerst anfingen?«

»Ich finde es noch immer schwer, Herr Zack. Ich finde jegliches schwer: Zeichnen, Farbe, Licht, Schatten, Ton, Stimmung, Perspektive und Proportion«, erwiderte Blyth mit atemloser Geschwindigkeit. »Die Kunst wäre nicht die herrliche Sache, die sie ist, wenn sie nicht von Anfang bis zu Ende aus lauter Schwierigkeiten bestünde, wenn sie nicht alle tüchtigen Seiten in dem Charakter eines Mannes, sobald er sich mit ihr beschäftigt, hervorzutreten zwänge. Sie hat vom ersten Augenblick an die beiden einzigen guten Eigenschaften meines Charakters zur Entfaltung gebracht. Fleiß und Geduld, die eine Palette und Pinselgerank umgeben, sind das Motto und der Wahlspruch des Geschichtsmalers V. Blyth seit seinem siebzehnten Jahre gewesen. Ach, Lavinchen, ich hatte harte Kämpfe zu bestehen, ehe ich um Dich warb! Ich erschrecke, wenn ich daran denke, wie viel Jahre ich brauchte, ehe ich es dahin brachte, dass eins von meinen Bildern zu der Kunstausstellung in der Akademie zugelassen wurde. Etwas zu verkaufen, war natürlich eine zu wahnsinnige Idee, um auch nur einen einzigen Augenblick festgehalten zu werden. Ich erinnere mich, dass ich, als mich einmal bei dem Anblick der vielen unbezahlten Gemälde (die sämtlich die gleiche Größe hatten, da sie aus Sparsamkeitsrücksichten jahrein, jahraus so gemalt worden waren, dass sie stets in denselben Rahmen passten) tiefe Schwermut und Verzweiflung überkam, das Fenster des Ateliers bei meinem Weggange in der Hoffnung weit offen stehen ließ, es möchte jemand von außen einsteigen und mich durch einen Diebstahl von einem Teile meiner Werke befreien. Aber selbst dieser letzte Trost ward mir versagt. Die Akademie fand meine Gemälde der Aufnahme in die Ausstellung nicht würdig, und auch die Diebe traten der allgemeinen gegen mich gerichteten Verschwörung bei und fanden sie nicht einmal des Diebstahls würdig.«

Während Valentin diese Worte äußerte, errötete er nicht, jene Unparteilichkeit zu verletzen, die er als Meister der neuen Zeichenschule fortwährend hätte üben sollen, indem er heimlich einem von seinen Schülern zum Nachteil der beiden andern half. Frau Blyth hatte eine schwache Hand und war mit der Führung des Bleistifts sehr wenig vertraut. Ohne fremde Beihilfe hätte ihr Zeichnen nur die Mitte zwischen den Zeichnungen Madonnas und Zacks gehalten, aber Valentin hatte beschlossen, dass sie die Ehre des Abends gewinnen sollte, und so oft seine Frau einen Fehler machte, war er gewissenlos genug, die erste Gelegenheit zu benutzen, um ihn unbemerkt zu verbessern. Wenn seine spottsüchtigen Freunde, die über seine Einfalt zu scherzen pflegten, ein einziges Mal hätten sehen können, wie er es machte, wenn seine Frau mit einer Schwierigkeit zu kämpfen hatte; wenn sie hätten sehen können, wie schlau er wartete, bis Madonna und Zack von ihrer Arbeit ganz in Anspruch genommen waren, ehe er ihr half; wie rasch er in demselben Augenblick über Kunst zu sprechen anfing, um ein verdächtiges Schweigen zu vermeiden, das seine jüngern Schüler zum Aufblicken veranlassen konnte; wie schnell und ruhig er die notwendigen Änderungen ausführte und wie dramatisch er seiner Frau komische Gesichter schnitt, um ihr seinen Wunsch anzudeuten, dass sie auf keinen Fall die Hilfe, die ihr zuteil geworden sei, öffentlich anerkennen möchte - wenn Valentins Freunde dies alles nur einmal hätten sehen können, er müsste den kritischen Augen, die ihn am Bett seiner Frau beobachteten, als ein wahrer Machiavelli in der ehelichen Politik erschienen sein.

»Gerade acht Uhr«, sagte Valentin, indem er auf den Fußspitzen von der Zeichnung seiner Frau nach dem Kamin schlich und sich den Anschein gab, als sei er von der Betrachtung seiner Uhr gänzlich in Anspruch genommen. »Legt Eure Bleistifte und Zeichenbretter hin; ich erkläre die Sitzung dieser Akademie für suspendiert bis nach dem Tee.«

»Lieber Valentin«, sagte Frau Blyth, geheimnisvoll lächelnd, während ihre Hand unter die Decke schlüpfte, ich kann Madonna nicht dahin bringen, dass sie mich anblickt, und ich bedarf ihrer hier. Willst Du so gut sein und sie mir an das Bett bringen?«

»Gewiss, meine Liebe«, erwiderte Valentin, indem er der Aufforderung Folge leistete, »Du hast diesen Abend einen doppelten Anspruch auf meine Dienste, denn Du hast Dich als meine beste Schülerin gezeigt. Ich war von Anfang an überzeugt, Lavinchen, dass Du die beste Kopie des Larkoon machen würdest, und Du hast sogar meine Erwartungen weit übertroffen«, fuhr Valentin fort, die Zeichnung, welche er soeben berührt hatte, mit einer solchen Unverschämtheit bewundernd, die den Ernst seiner Frau völlig über den Haufen warf. »Kommen Sie her, Zack, und sehen Sie, was Lavinchen gemacht hat. Die beste Zeichnung des Abends - ganz wie ich es vorausgesehen hatte - die beste Zeichnung des Abends!«

Zack, der trostlos über seine eigene Kopie gegähnt hatte, die Fäuste an die Backen gestemmt und mit dem Ellenbogen auf den Knien, eilte sofort nach dem Bett. Als er sich näherte, versuchte Madonna in ihre frühere Stellung am Kamin zurückzukehren, wurde aber durch Frau Blyth, die ihre Hand festhielt, daran verhindert. In demselben Augenblick richtete Zack seine Blicke auf sie, was ihre Verwirrung noch mehr steigerte.

»Sie sieht heute Abend hübscher aus als je, finden Sie es nicht, Frau Blyth?« sagte er, sich setzend und abermals gähnend. »Mir gefällt sie immer am besten, wenn der Glanz und der Ausdruck ihrer Augen in einer Minute zwanzigmal wechselt, wie es jetzt der Fall ist. Sie mag dann dem Gemälde Raphaels nicht gleichen, das glaub ich wohl (hier gähnte er von neuem), aber ich für mein Teil - Warum will sie denn weggehen? Und weshalb lachen Sie darüber, Frau Blyth? Ich sage Ihnen, Valentin, die Damen hier wollen sich einen Spaß machen!«

»Erinnern Sie sich dieser Zeichnung?« fragte Frau Blyth, mit der einen Hand Madonna festhaltend und mit der andern die eingerahmte Kopie der Mediceischen Venus hervorholend.

»Madonnas Kopie von meiner Venusbüste!« rief Valentin, mit seinem gewöhnlichen Ungestüm dazwischen fahrend.

»Madonnas Kopie von Blyths Venusbüste!« wiederholte Zack in gleichgültigem Tone, da bereits jede Spur einer Erinnerung an die Zeichnung aus seinem leichtsinnigen Gedächtnisse verschwunden war.

»Ei der Tausend, was für ein hübscher Rahmen, und wie schön nimmt es sich aus, nun es fertig ist«, rief Valentin, Madonna sanft auf die Schulter klopfend zum Zeichen seiner hohen Anerkennung und Bewunderung.

»Ein sehr schöner Rahmen, und es nimmt sich in der Tat sehr schön aus, ganz wie Sie sagen, Blyth«, versetzte Zack in glattem Tone, von seinem Stuhle aufstehend, und sah ganz verwundert aus, als er die Miene bemerkte, mit welcher Frau Blyth ihn betrachtete.

»Aber wie kam es zu dem Rahmen?« fragte Valentin. »Sie wollte doch früher nie eine von ihren Zeichnungen einrahmen lassen. Ich begreife nicht, was dies alles bedeuten soll.«

»Und ich eben so wenig«, sagte Zack, sich in träger Verwunderung auf seinen Stuhl niederlassend. »Ist es ein Rätsel, Frau Blyth? Etwa darüber, weshalb Madonna der Mediceischen Venus gleicht? Wenn dem so ist, erkläre ich mich gegen das Rätsel, denn sie ist ein ganz Teil hübscher als irgend ein Gipsgesicht, das je gemacht worden ist. Ihr Gesicht schlägt das der Venus zu Boden«, fuhr Zack fort, dieses plumpehrliche Kompliment Madonna durch die Zeichen des Taubstummenalphabets mitteilend.

Sie lächelte, als sie den Bewegungen seiner Finger folgte - vielleicht über seine Fehler, denn er macht deren zwei, als er ihr die sieben Worte verdolmetschte; vielleicht über das Kompliment, weil es so derb und ungekünstelt war.

»O wie erschrecklich dumm ihr Männer bisweilen seid!« rief Frau Blyth aus. »Lieber Valentin, es ist doch sehr leicht zu erraten, weshalb Sie die Zeichnung hat einrahmen lassen. Vielleicht um sie jemandem zu schenken! Und wem, glaubst Du, wird sie dieselbe geben?«

»Ja wem, das möchte ich wissen!« unterbrach sie Zack, auf seinem Stuhl bequem sich zurücklehnend und die Beine in ihrer vollen Länge von sich ausstreckend.

»Ich habe große Lust, Ihnen die Zeichnung an den Kopf zu werfen, statt sie Ihnen zu geben!« rief Frau Blyth, alle Geduld verlierend.

»Sie wollen doch damit nicht sagen, dass die Zeichnung ein Geschenk für mich ist?« rief Zack aus, vor Erstaunen mit einem gewaltigen Satze von seinem Stuhle aufspringend.

»Sie verdienten tüchtig geohrfeigt zu werden, weil Sie nicht erraten, dass sie Ihnen schon längst zugedacht war!« erwiderte Frau Blyth. »Haben Sie denn vergessen, wie sehr Sie diese Zeichnung priesen, als Sie dieselbe im Atelier anfangen sahen? Sagten Sie nicht, Madonna -«

»O, die liebe, gute, ehrliche Seele!« rief Zack, die Zeichnung von dem Lager reißend, als ihm endlich ein Licht aufging. Sagen Sie ihr mit Ihren Fingern, Frau Blyth, wie stolz ich auf mein Geschenk bin; ich kann es nicht mit den meinigen, weil ich die Zeichnung nicht weglegen kann. Hier, schauen Sie her! Lassen Sie sie hierherblicken und sehen, wie ich mich darüber freue! Und Zack hing die Kopie der Mediceischen Venus, um zu zeigen, wie hoch er sie ehrte, an seine Weste. - Bei dem Ausbruch dieser sentimentalen Pantomime erhob Madonna ihren Kopf und sah den jungen Thorpe an. Ihr Gesicht, während der letzten fünf Minuten niedergeschlagen, ängstlich und abgewendet von den Augen der Frau Blyth - als hätte sie aus allem, was in ihrer Gegenwart gesprochen wurde, das ihr Unangenehme herausgehört - strahlte jetzt wieder vor Vergnügen, als sie aufschaute, vor unschuldigem, kindlichen Vergnügen, das keine Zurückhaltung affektiert, keine Missdeutung fürchtet, keine Enttäuschung ahnt. Ihre Augen, die sie rasch von Zack abwandte und fragend auf Valentin richtete, verklärten sich förmlich, als dieser auf die Zeichnung deutete und in lächelndem Erstaunen seine Hände erhob, zum Zeichen, dass er durch die Schenkung an seinen neuen Schüler angenehm überrascht worden sei. Frau Blyth fühlte, wie die Hand, die sie in der ihrigen hielt, und die bisher von Zeit zu Zeit ein wenig gezittert hatte, ruhig und warm wurde und ließ sie frei. Jetzt war nicht mehr zu besorgen, dass Madonna von dem Bett sich wegstehlen und nach dem Kamin schleichen würde.

»Fahren Sie fort, Frau Blyth - Sie machen nie Fehler, wenn Sie mit Ihren Fingern sprechen, wie ich stets deren mache - bitte, fahren Sie fort und sagen Sie ihr, wie sehr ich ihr danke«, sagte Zack, auf Armlänge die Zeichnung von sich haltend und sie von der Seite betrachtend, wie es Valentin zu machen pflegte, wenn er seine Gemälde prüfte. »Sagen Sie ihr, dass ich sie in Acht nehmen will, wie ich nie in meinem Leben etwas in Acht genommen habe. Sagen Sie ihr, dass ich sie in meinem Schlafzimmer aufhängen werde, wo ich sie jeden Morgen sehen kann, wenn ich erwache. Haben Sie ihr das gesagt? - oder halt! Soll ich es auf ihre Schiefertafel schreiben? Aber sagen Sie ihr erst, das ist viel besser, denn sie versteht ja doch, was ich meine, das liebe, nette, kleine Herzenskind! - wenn ich sie nur ansehe; aber sagen Sie ihr erst - Holla! da kommt der Tee. O, beim heiligen Horaz, welch herrlichen Vorrat von Semmeln! Patty, gib uns die Röstgabel, ich werde den Anfang machen. Ich sah nie in meinem Leben ein glänzenderes Feuer, um Semmelschnitte zu rösten. Rum-dum-diedel-dudel-dum-die, dum-diedel-dudel-dum! Und Zack fiel am Kamin auf seine Knie, »Rule Britannia« summend, und im Triumph seine erste Semmel röstend, in der neuen Aufregung völlig vergessend, dass er Madonnas Zeichnung mit dem Gesicht unten am Ende von Frau Blyths Lager hatte liegen lassen.

Valentin, der in der Unschuld seines Herzens nichts argwohnte, brach bei diesem neuen Beweise von Zacks eingewurzelter Flüchtigkeit in ein helles Gelächter aus. Seine Gutmütigkeit leitete indes seine Hand in demselben Augenblicke zu der Zeichnung. Er hob sie sorgfältig auf und legte sie in einen Bücherschrank an der entgegengesetzten Seite des Zimmers. Wenn die Neigung seiner Frau zu ihm einer Steigerung fähig gewesen wäre, so würde sie ihn in dem Augenblicke, wo er diese kleine Handlung vollbrachte, mehr als je geliebt haben.

Als ihr Mann die Zeichnung wegnahm, sah Frau Blyth nach Madonna. Das arme Mädchen stand zitternd neben dem Bett, die Hände fest an die Stirn gepresst und ohne eine Spur ihrer natürlichen lieblichen Farbe auf den Wangen zu haben. Ihre Augen folgten Valentin gleichgültig nach dem Bücherschranke, dann richtete sie dieselben auf Zack, nicht vorwurfsvoll oder ängstlich, ja nicht einmal von Tränen erfüllt, sondern mit demselben Blick geduldiger Traurigkeit und anmutiger Ergebung in den Schmerz, der ihren Gesichtszügen schon in den Tagen ihrer Knechtschaft unter den Prahlhansen der Kunstreitergesellschaft das eigentümlich zarte Gepräge verlieh. So stand sie da, nach dem Kamin und der vor ihr knieenden Gestalt blickend, die neue Enttäuschung ganz so ertragend wie die mancherlei Demütigungen, die sie bitter empfunden hatte, als sie noch ein kleines Kind war. Wie sorgfältig hatte sie an dieser vernachlässigten Zeichnung in der Stille ihres eigenen Zimmers gearbeitet! Wie glücklich war sie gewesen, wenn sie an den Augenblick dachte, wo sie dem jungen Thorpe gegeben würde; wenn sie sich ausmalte, was er wohl sagen würde bei ihrem Empfang, und wie er ihr seinen Dank mitteilen würde; wenn sie nachsann, was er damit machen würde, sobald er nach Hause käme; wo er sie aufhängen und ob er sein Geschenk oft betrachten würde, nachdem er sich daran gewöhnt hätte, es an der Wand zu erblicken. Gedanken wie diese hatten den Augenblick der Überreichung zu einem großen Ereignis in ihrem Leben gemacht - und nun war es beiseite gelegt von Händen, denen es nicht übergeben worden; sorglos hingelegt bei dem bloßen Eintritt einer Magd mit einem Teebrett; vernachlässigt um des kindischen Vergnügens willen, am Kamin zu knien und Semmeln am hellen Kohlenfeuer zu rösten!

Die unverzeihliche Gedankenlosigkeit Zacks ward auf der Stelle von Frau Blyth, die ihre Adoptivtochter mit der ganzen Innigkeit eines edeln erregbaren Gemüts liebte, sehr übel vermerkt. Ihr Gesicht glühte, ihre dunkeln Augen blitzten, als sie sich rasch auf ihrem Lager nach dem Kamin wandte. Aber ehe sie ein Wort sagen konnte, lag Madonnas Hand auf ihren Lippen, waren Madonnas Augen mit einem erschrockenen und flehenden Ausdruck auf ihr Gesicht gerichtet. Im nächsten Augenblick bildeten die zitternden Finger des Mädchens folgende Worte:

»Bitte - bitte, sagen Sie ihm nichts! Ich möchte nicht, um alles in der Welt, dass Sie gerade jetzt mit ihm redeten.«

Frau Blyth zögerte und sah nach ihrem Manne; aber er war nach dem andern Ende des Zimmers gegangen und amüsierte sich seinem Berufe gemäß damit, dass er hier und da die Draperie der Fenstergardinen in alle Arten malerischer Falten legte. Dann sah sie nach Zack. Gerade in diesem Augenblick wandte dieser seine Semmel um und sang lauter als vorher. Die Versuchung, durch einen derben Verweis ihn aus seiner herausfordernden Lustigkeit zu reißen, war beinahe zu stark, um ihr zu widerstehen. Aber Frau Blyth zwang sich dennoch um Madonnas Willen zum Widerstande. Sie machte indes dem Mädchen keinerlei Mitteilung, weder durch Zeichen noch schriftlich, bis sie sich in ihre frühere Lage zurückgerückt hatte; dann erwiderte sie mit ihren Fingern folgendes auf Madonnas Bitte:

»Wenn Du mir versprichst, Dich über seine Gedankenlosigkeit nicht zu grämen, so verspreche ich Dir, meine Liebe, ihn deshalb nicht zur Rede zu stellen. Gehst Du auf diesen Vorschlag ein? Wenn Du es tust, so gib mir einen Kuss.«

Madonna zauderte nur, um einen Seufzer zu unterdrücken, der sich aus ihrer Brust stahl, ehe sie das verlangte Unterpfand gab. Das frische Rot ihrer Wangen kehrte nicht wieder noch das Lächeln, das vorher ihre Lippen umspielt hatte, aber sie ordnete sorgfältiger als gewöhnlich Frau Blyths Kissen, ehe sie das Lager verließ, und dann ging sie davon, ihre kleine häusliche Pflicht des Teebereitens so sauber und nett wie immer zu erfüllen.

Zack, der nicht von ferne ahnte, dass er die eine Dame betrübt und der andern Ursache zur Unzufriedenheit gegeben hatte, war zu seiner zweiten Semmel übergegangen und stimmte zur Abwechslung »Schöne Minka« an; Frau Blyth überlegte, wie sie, ohne ihr gegebenes Wort zu brechen, ihn die Notwendigkeit, seine Taktlosigkeit wieder gutzumachen, könne fühlen lassen; Madonna war mit einer weniger sichern Hand als gewöhnlich beschäftigt, indem sie mit einer Art nervöser Aufmerksamkeit das vor ihr stehende Geschirr betrachtete, den Tee einzugießen; Valentin, der die Fenstergardinen verlassen und sich an den Tisch gesetzt hatte, wunderte sich, weshalb sie so bleich war, und wartete ängstlich, bis sie aufblicken würde, um sie fragen zu können, ob das Zimmer für sie zu heiß sei - als das dumpfe Getöse rasch dahinrollender Wagenräder von der kalten Straße draußen in das Zimmer drang, näher und näher kam, und dann plötzlich aufhörte, wie es schien, gerade vor Herrn Blyths Thür.

»Ei der Tausend, der Wagen hält ja vor unserm Hause!« rief Valentin aus. »Wer mag so spät und in einer so kalten Nacht zum Besuch kommen? Und, noch dazu in einem Wagen!«

»Es ist eine Droschke, nach dem Rädergerassel zu urteilen, und sie bringt uns die ‚Schöne Minka‘«, sang Zack, sinnreich den Originaltext seines Gesanges mit der Vorstellung eines möglichen Besuchers in den Schlussworten verbindend.

»Hören Sie auf, solchen Unsinn zu singen, und lassen Sie uns Acht geben, ob die Tür geöffnet wird«, sagte Frau Blyth, froh eine kleine Gelegenheit gefunden zu haben, um Zack einen ganz gelinden Verweis zu erteilen.

»Ich vermuthe, es ist Herr Gimble, der endlich auf dasjenige meiner Gemälde bieten wird, welches er schon längst hat kaufen wollen«, rief Valentin aus.

»Und ich vermute, dass es mein Hofmeister ist!« rief Zack, sich plötzlich mit einem kreideweißen Gesicht auf seinen Knien umdrehend. »O, dieser höllische Yollop, mit seinen Stachelbeeraugen und seinen Händen voll Traktätchen. Es sieht ihm ganz ähnlich, hierherzukommen und mein Vergnügen zu stören, wie er es überall gestört hat.«

»Pst!« sagte Frau Blyth. »Der Fremde ist eingetreten, wer immer er auch sein mag. Herr Gimble kann es nicht sein, Valentin, denn der läuft stets zwei Stufen auf einmal hinauf.«

»Und es ist eine Person, die schwer wiegt, nicht eine Unze weniger als sechzehn Stein, nach dem Tritt zu urteilen«, bemerkte Zack, indem er seine Semmel anbrennen ließ, während er horchte.

»Es ist doch nicht die langweilige alte Lady Brambledown, die Dich wieder mit der Ändernng ihres Bildes quälen will«, sagte Frau Blyth.

»Nein, sie ist es sicher nicht«, begann Valentin, aber ehe er fortfahren konnte, wurde die Tür geöffnet, und zum größten Erstaunen eines jeden, mit Ausnahme des armen Mädchens, dessen Ohr keine Stimme erreichen konnte, meldete die Magd an: »Frau Peckover.«


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