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Elftes Kapitel - Die Trübsal Zacks

Beschränktheit und Unduldsamkeit kennzeichneten in verschiedenem Grade die Meinungen Thorpes und sie traten besonders in seinen Ansichten über die Art der dauernden Beschäftigung, welche er seinen Sohne wählen lassen wollte, hervor. Vier Berufsarten, welche die allgemeine Stimme der zivilisierten Welt als ehrenvolle zu bezeichnen pflegt, verwarf er in einem Atem. Der Armee- und der Flottendienst sollte vorsichtig gemieden werden, weil es nicht selten Offiziere gab, die im Quartier oder im Hafen sich zur Verschwendung neigten. Medizin und Jurisprudenz waren gleichfalls aus höhern moralischen Gründen verpönt, jene, weil sie die Studierenden zum Materialismus und zur Trunksucht verleitete, diese, weil sie den Unglauben beförderte, indem sie die Grenzen zwischen Recht und Unrecht verwischte. Die Gottesgelehrtheit blieb zuletzt als die zu erwählende Berufsart übrig, und sie war die einzige, welche Thorpe billigte, immer vorausgesetzt, dass die Theologen seiner Partei angehörten und an der Erreichung seiner Lieblingszwecke arbeiteten. Den zweiten Platz in seiner Achtung nahm der Handelsstand ein, hauptsächlich deshalb, weil einige seiner frommen Freunde zufällig auch seine Geschäftsfreunde waren. An andere Berufsarten mochte er gar nicht denken. Er hoffte, Zack die Kanzel besteigen zu sehen, und wenn dies fehlschlug, ihn an das Pult zu stellen. Was konnte wohl ein so praktisch gesinnter Vater weiter verlangen?

Ohne die Einwendungen einiger geistlichen Freunde, die natürlich für den guten Ruf ihres Standes fürchteten, würde Herr Thorpe treu seiner Lieblingsmaxime, dass er am besten wisse, was seinem Sohne fromme, sehr wahrscheinlich seine Versuche, ihn zum Studium der Theologie zu zwingen, fortgesetzt haben. Vorstellungen, die er nicht unbeachtet lassen konnte, nötigten ihn jedoch, von seinem Vorhaben abzustehen, und so entschied er sich denn, wie begreiflich, für die kommerzielle Alternative, eine Entscheidung, gegen welche keine Berufung zulässig war.

Um nichts über den Charakter Zacks zu sagen, als er noch ein Kind war, um sein ganzes Betragen als Schulknabe mit Stillschweigen zu übergehen - schon seine Lebensweise zu Hause, während er sich auf den kaufmännischen Beruf vorbereitete, für den er bestimmt war, genügte vollkommen, um jeden andern Vater als Herrn Thorpe zu der Einsicht zu bringen, dass alle Geschäftsmänner im britischen Reich es als einen großen Fehler betrachten würden, den jungen Mann auch nur zu dem geringsten Comptoirgeschäft zu verwenden. Seine wilden ungestümen Triebe, die während der Schuljahre auf dem Spiel- und Turnplatz ein offenes Feld gefunden hatten, brachen in dem Augenblick, wo er in das Vaterhaus zurückkehrte, mit neuer Gewalt hervor. Sein Vater hatte ihm ein für allemal den Genuss der Londoner Vergnügungen, der unschuldigen wie der sündhaften, untersagt, aber er konnte ihn unmöglich in dem Gebrauch seiner Arme und Beine beschränken und ihm die so nötige und heilsame Leibesbewegung untersagen. Master Zack verstand es vortrefflich, den ausgedehntesten Gebrauch von dem einzigen Privilegium zu machen, dessen er sich unter Drucke des väterlichen Despotismus zu erfreuen hatte. Er stand jeden Morgen um fünf Uhr auf, der kalten und regnerischen Herbstwitterung, die damals herrschte, tapfer Trotz bietend. In drei Minuten hatte er sich angekleidet, in den nächsten drei Minuten so viel Brot, Käse, und kalten Braten, als seine Taschen fassen konnten, aus der Speisekammer geholt, und dann machte er sich auf den Weg, um zunächst in den Hampsteader Teichen die nötige Morgenwaschung vorzunehmen. Wie immer die Atmosphäre und das Wasser beschaffen sein mochten, er durchstreifte die erstere und tauchte in das letztere, um sich Appetit zu erschwimmen, wie andere Leute zu dem gleichen Zwecke zu gehen pflegen. Seine nächste Beschäftigung war nun, sich in glorreicher Unabhängigkeit von dem verweichlichenden Gebrauch eines Handtuchs durch Zupfen, Springen und Drehen am Uferrande des Teiches in der kalten Luft zu trocknen; hierauf erleichterte er rasch seine Taschen um ein oder zwei Pfund der mitgenommenen Vorräte, indem er sein Frühstück verschlang. Nachdem er sich satt gegessen, trat er einen Spaziergang an, auf dem er gewöhnlich im Durschnitt ungefähr fünf deutsche Meilen zurücklegte, ehe er wieder nach Hause kam. Auf diesen Fußwanderungen begegneten ihm alle möglichen Abenteuer, die er so klug war, vor den väterlichen Ohren geheim zu halten. Bisweilen besuchte er, um Abwechslung in sein Vagabundenleben zu bringen, den Jahrmarkt einer nahegelegenen Landstadt; zuweilen zog er mit Zigeunern herum; bisweilen holte er eine Meute Hunde ein und folgte unverdrossen dem Jäger zu Fuß. Wo er immer auch wandern mochte, er sprach mit jedem Manne, mit jeder Frau und jedem Kinde, das ihn anhören wollte. Anständige Leute verloren ihre Zurückhaltung, Landstreicher ihr misstrauisches Wesen, wenn er sie anredete. Er machte Bekanntschaft mit Reitern in Jagdrevieren und saß gemütlich bei Kesselflickern in trockenen Gräben; er fand an der Gesellschaft der einen und der andern gleichen Gefallen und war stets bereit, einem jeden, der es hören wollte, den Stand seiner Familienangelegenheiten, und wie schlecht er sich mit seinem Vater vertrüge, zu vertrauen. Hausierer, Landstreicher und Arbeiter - Landedelleute, Pächter und Steuereinnehmer - alle ohne Unterschied waren den kosmopolitischen Sympathien Zacks gleich willkommen.

Dies war das chaotische Rohmaterial, aus welchem Thorpe die verschiedenen Bestandteile, welche zur Bildung eines tüchtigen kaufmännischen Charakters nötig sind, kitten zu können glaubte.

Obgleich der alte Herr Goodworth gestorben war, ehe Zack die Schule verlassen hatte, so gab es doch andere Glieder der Familie Goodworth, die sich hinlänglich für den Sohn der Frau Thorpe interessierten, um ihrem Gemahl wegen seines Entschlusses, Zack zu einem kaufmännischen Beruf zu zwingen, häufig ernste Vorstellungen zu machen. Sie machten mit vollem Recht geltend, dass des Burschen tolles Wesen und seine eingewurzelte Neigung zum Herumstrolchen ihn zu jeder anständigen und regelmäßigen Beschäftigung gänzlich unfähig machten. Sie verlangten, man solle doch immer einen Versuch machen, seine eigenen Wünsche kennen zu lernen, selbst wenn es hinterher unzulässig erschiene, sich ihnen zu fügen. Sie schlugen vor, ihm eine gute Stelle bei der Handelsmarine zu verschaffen, oder ihn an einer Forschungsreise nach Australien, von welcher damals die Recht war, teilnehmen zu lassen, oder ihn als Freiwilligen auf das nächste, zu einer Entdeckungsfahrt nach dem Polarmeere bestimmte Schiff zu bringen, in dem sie behaupteten, dass solche und ähnliche abenteuerliche Beschäftigungen allein im Stande seien, sein unruhiges Temperament zu bändigen, seine starken Körperkräfte zu üben und ihn an eine heilsame und notwendige Zucht zu gewöhnen. Thorpe hörte stets diese verständigen Ratschläge, so oft sie wiederholt wurden, mit ruhiger Fassung und studierter Aufmerksamkeit an, gab auch mit einem kaum merklichen Anflug von Sarkasmus zu, dass die angedeuteten Projekte von dem weltlichen Gesichtspunkte aus vollkommen weise und ausführbar erschienen, aber er setzte hinzu, er halte es für seine Pflicht, sie entschieden und ohne die geringste Zögerung zu verwerfen und zwar aus Gewissensrücksichten, die, wie er zu seinem tiefen Bedauern gestand, mit der geistigen Verfassung Zacks zusammenhingen.

»Mein Sohn bedarf der unnachsichtigsten väterlichen Zucht und Aufsicht«, pflegte Thorpe zu sagen, indem er seine Rede schloss. »Wenn er nicht unter meine eigenen Auge Hause ist, so muss er unter den Augen frommer Freunde sein, auf welche ich ein übergroßes Vertrauen setzen kann. Einer von diesen frommen Freunden ist bereit, ihn in sein Haus zu nehmen, ihn an kaufmännische Sitte und nützliche Tätigkeit zu gewöhnen, seine widerspenstigen Neigungen zu bekämpfen, ihn von morgens neun Uhr bis abends sechs Uhr in seinem Comptoir zu beschäftigen, ihm mit einem guten Beispiel voranzugehen, kurz die feierliche Verantwortlichkeit für die Leitung ganzen sittlichen und religiösen Erziehung mit mir zu teilen. Personen, welche mir zumuten, ich solle meinen gewissenhaft und reiflich erwogenen Entschluss ändern aus Rücksicht auf Zacks Temperament, das seit seiner Kindheit eine Quelle der Trübsal für mich gewesen ist, aus Rücksicht auf seine hervorragenden körperlichen Fähigkeiten, die ihn bisher nur an der Ausbildung seiner geistigen Fähigkeiten gehindert haben, oder aus Rücksicht auf seine eigenen Wünsche, die wie ich aus eigener bitterer Erfahrung weiß, sämtlich sehr weltlicher Natur sind, - Personen, sage ich, die mir zumuten, ich solle so etwas tun, muten mir zu, ich solle nach einem gottlosen Schicklichkeitsprinzip handeln und das sittliche Gebot durch sündhaftes Paktieren mit dem Laster verletzen.«

Bei diesen Worten - wie gewöhnlich, wenn seine Pläne bezüglich Zacks einer tadelnden Kritik unterzogen wurden - räusperte sich Thorpe, seufzte tief und blickte unverwandt auf den Boden - seine Frau hielt das Taschentuch vor die Augen - und die Verwandten seiner Frau erhoben sich eilig, erkannten die Stärke der Gründe an, die sie gehört hatten, und sagten »Guten Morgen«.

Die Kommisstelle in dem Comptoir eines Teemaklers, welche Zack fortan bekleidet hatte, wurde erst in sechs Wochen vakant. Dennoch verlor er die Freiheit, vom Morgen bis zum Abend müßig herumzuschweifen, schon an dem Tage, wo die Stelle ihm zugesagt ward. Thorpe hielt es für nötig, ihn während der letzten Zeit seiner häuslichen Muße in den Comptoirwissenschaften unterrichten zu lassen, und fasste deshalb den Entschluss, ihm einen Lehrer zu halten, der ihn in die Geheimnisse der doppelten italienischen Buchhaltung einweihen und ihm die nötigen arithmetischen Kenntnisse eintrichtern sollte. Zacks schwächste Seite war das Rechnen - er konnte nie dahingebracht werden, die Multiplikationstabelle zu lernen, und sein unüberwindlicher Abscheu gegen alles, was sich auf Zahlen bezog, reizte ihn zu unmittelbarer Auflehnung gegen die beabsichtigte Ausübung der väterlichen Gewalt. Thorpe entgegnete mit seiner gewöhnlichen, kurz entscheidenden und stahlharten Logik, ein Kaufmann müsse rechnen können - sein Sohn solle ein Kaufmann werden und folglich müsse er rechnen lernen. Nachdem er diese kurze Formel von sich gegeben, glaubte er genug getan zu haben, um den Sohn mit seinem Strom von Klagen abzufertigen, er setzte ruhig seinen Brief an den Rechenlehrer auf, und bezeichnete diesem Herrn den Tag, an welchem er sich zum ersten Mal nach Baregrove-Square bemühen möchte.

Aber Zack widerstand und klagte von neuem bei jedem frischen Gekritzel der Feder seines Vaters. Er habe keinen Sinn für das Rechnen, sagte er, und fühle einen gründlichen Ekel bei dem bloßen Gedanken, in das Comptoir eines Teehändlers einzutreten. Den ganzen Tag wie ein Gefangener an ein Pult gebannt zu sein, würde ihn wahnsinnig machen. Was er denn verbrochen habe, um auf eine so nichtswürdige Weise misshandelt zu werden? (Hier trocknete Thorpe sorgfältig die erste Seite des Briefes und ging zu der zweiten über.) Weshalb man ihm nicht Maler werden lasse, wie Herr Blyth? Wolle man ihn zur Verzweiflung und zum Davonlaufen bringen, indem man ihn zu einer Beschäftigung zwinge, die er vor allen am meisten hasse? (Hier sagte Frau Thorpe: »O, lieber Zack, sei still - ich bitte Dich, sei still!«) Es sei ganz schön von der Mutter »sei still" zu sagen, wenn der Vater ihm das Herz bräche! Ja, ihm das Herz bräche! Denn es sei so gut, als tue er das, wenn er ihn zwinge, auf das Leben in der freien Natur, auf die Fußwanderungen im Sonnenschein und Regen, in der Hitze und Kälte, auf diese und andere Dinge, an die er gewöhnt sei, gänzlich zu verzichten. Man lasse ihn alles andere, es sei ihm einerlei was - nur nicht Teemakler werden. Wenn er zu seinem Unglück nicht lernen solle, draußen mit dem lieben alten Valentin Skizzen zu zeichnen, so lasse man ihn auf irgendeine andere Weise glücklich sein. Man schicke ihn zu einem Landwirt, damit er für seine ganze übrige Lebenszeit ein Bauerntölpel werde; man bringe ihn auf ein Schiff, es sei ihm recht als Matrose, er könne es mit dem besten von ihnen aufnehmen. Man mache aus ihm einen Eisenbahnfeuermann, und man solle sehen, wie er die Maschine heizen würde! Man verbanne ihn in einen Metzgerladen, daraus mache er sich nichts, so lange er den Fleischkarren herumfahre. (Hier schloss Thorpe seinen Brief und legte ihn in ein Couvert.) Ja, ehe er sich in einen Teeladen einsperren und zur Buchführung verurteilen lasse, wolle er tausendmal lieber mit einem Metzgerkarren herumfahren - tausendmal lieber die Straße fegen - tausendmal lieber auf Botschaft gehen, tausendmal lieber ein Omnibuskutscher sein. (Thorpe schrieb die Adresse auf den Brief und verschloss ihn mit einem Stempel.) Sie möchten den Brief nur absenden, aber Fleisch und Blut könnten einen Rechenlehrer nicht ertragen, er warne sie davor. (Thorpe sah auf seine Uhr, schellte und sagte dann zu Zack sich wendend: »Das Abendgebet. Nehmen Sie Ihren Platz ein, Sir, und seien Sie still, wenn Sie noch Sinn für gewöhnlichen Anstand haben.«) Ach ja, das Abendgebet! (Hier murmelte Zack leise vor sich hin.) »Ich bin elend genug, um das Gebet mehr als irgendeine lebendige Seele auf der ganzen Welt zu bedürfen.« Thorpe legte seinen Brief auf das Seitenbrett, damit er am Morgen zu allererst auf die Post gegeben würde. Frau Thorpe trocknete verstohlen ihre Tränen, Zack schlich in einen dunkeln Winkel, das Gesinde trat ein. Zuletzt herrschte Totenstille. In jener Nacht fiel es Thorpe nicht im Traume ein, dass sein Sohn ernstlich daran denken könne, sich am nächsten Morgen der Buchführung und dem Teehandel durch die Flucht zu entziehen. Und doch hatte Zack nicht übertrieben, als er erklärte, dass seine Abneigung gegen jede Beschäftigung in einem Handlungshause zur Höhe eines grenzenlosen Abscheues sich steigere. Seine physischen Eigentümlichkeiten und die Gewohnheiten, die sich seit seiner Kindheit in ihm entwickelt hatten, machten ihm den Aufenthalt in der freien Luft, starke Bewegung und fortgesetzte körperliche Übung zu einer Lebensnotwendigkeit. Er fühlte - und es war kein Selbstbetrug in diesem Gefühle - dass er stumpf werden und verkommen würde, wie ein wildes Tier in einem Käfig, wenn man ihn den ganzen Tag in ein Comptoir einsperre, wo er zur Abwechslung höchstens einmal einen Geschäftsgang von einer lumpigen halben Stunde in engen und menschengefüllten Straßen machen dürfe. Diese Befürchtung - um nichts zu sagen von seinem natürlichen Hang zu Abenteuern, buntem Szenenwechsel und aufheiternden Leibesübungen - hätte an sich schon genügt, ihn zu dem Entschlusse zu bringen, das väterliche Haus zu verlassen und sich durch die Welt zu schlagen, unbesorgt wo und wie, so lange er freie Hand hatte; aber eine herzbeklemmende Scheu raubte ihm, der sonst so keck war, die Entschlusskraft und hielt seinen Fuß am Rande einer geheiligten Schwelle zurück, die er nicht zu überschreiten wagte aus Furcht, sie für immer hinter sich zu lassen - an der Schwelle von seiner Mutter Tür.

Sonderbar in ihrem Ausdruck und von unregelmäßigem Einfluss auf sein Betragen, war doch Zacks Liebe zu seiner Mutter in ihrer Art ein schöner und bewundernswürdiger Zug seines Charakters, der viel für die Zukunft versprach, wenn sein Vater fähig gewesen wäre, ihn zu entdecken, und weise genug, durch die Entdeckung sich leiten zu lassen. Was den äußern Ausdruck betrifft, so war des Burschen Zärtlichkeit für Frau Thorpe eine wilde, ungestüme, gefühllose Zärtlichkeit, die in schönstem Einklang stand mit seinem sorglosen, rappelköpfischen Wesen. Sie wirkte ruck- und stoßweise auf ihn, sie bestimmte ihn das eine Mal zu geduldigem und ruhigem Ertragen und ließ ihn ein anderes Mal dem Anschein nach im Stiche. Aber es war dennoch echte festgewurzelte Zärtlichkeit, wenngleich Unbesonnenheit und Versuchung häufig die leise dünne Stimme, mit welcher seine reinen Triebe zu seinem Gewissen sprachen, übertäuben mochten und mit seinem Herzen stritten.

Nichts von allem, was Zack tat, kennzeichnete ihn besser als die Art, wie er die Liebe zu seiner Mutter an den Tag legte, besonders in allen Fällen, wo diese ihn insgeheim zu bestimmen suchte, um ihretwillen auf die Wünsche seines Vaters Rücksicht zu nehmen. Schauer von lauten herzlichen Küssen, die der armen Frau den Atem benahmen, kräftige quetschende Umarmungen, die sie halb erschreckten, halb verletzten, obwohl sie dies nie gestehen wollte, laut ausgesprochene kindliche, ebenso unwissende als aufrichtige Bewunderung der Lieblingsputzsachen ihrer Kleidung, ein Schwall von kindisch zärtlichen Ausdrücken, so abgeschmackt und doch so einfach rührend, wenn sie aus dem Munde eines handfesten langaufgeschossenen Sohnes von sechs Fuß Höhe kamen, dass die Mutter während des Hinhörens oft in einem Atem lachte und aufschrie: das waren einige von den derbehrlichen Ausdrucksformen, in welchen Zacks Liebe zu seiner Mutter von Zeit zu Zeit sich zu offenbaren pflegte; das waren die gewöhnlichen Bürgschaften, stets auf der Stelle in der redlichsten Absicht gewährt, durch die er sich verpflichtete, seinem Versprechen der Besserung eine tatsächliche und dauernde Erfüllung zu geben.

Aber es war das Unglück des Burschen, dass er mehr als den gewöhnlichen Teil menschlicher Schwäche besaß, die wir alle in verschiedenem Grade von unserer gemeinschaftlichen Stammmutter erben. Selten, sehr selten entsprach die Ausführung dem Vorsatze, wie es der Fall hätte sein sollen. Oft hingegen, wenn die Freuden der Gegenwart ihn zum Vergessen der übernommenen Verpflichtungen und zur Gleichgültigkeit gegen die künftigen Folgen verleiteten, gab es Perioden in seinem Leben, wo die Erinnerung an seine Mutter und an alles, was er ihretwegen versprochen hatte, vor seine Seele trat und ihn im entscheidenden Augenblick vor manchem Fehltritt bewahrte, dessen Folgen verhängnisvoll für seine ganze Lebenszeit gewesen wären.

Zweimal hatte er angesetzt, um der Schule zu entlaufen, aber zweimal hatte das Bewusstsein seiner Pflicht gegen die Mutter ihn in vollem Lauf aufgehalten, und er war als reuiger Ausreißer zurückgekehrt, um heldenmütig die Streiche der rächenden Rute zu ertragen. Auf seinen Wanderungen hatte es ihm dann und wann gewaltig gelüstet, die ganze Nacht mit Wilddieben und Zigeunern im Freien zuzubringen, oder auf einem Jahrmarkt in den Tanzbuden sich herumzutreiben, aber die Furcht, seine Mutter zu betrüben, der Gedanke an die Angst und Schlaflosigkeit, die ihr sein Ausbleiben sicher bereiten würde, war stets mächtig genug, um seine widerstrebenden Schritte heimwärts zu lenken, ihn zu der bestimmten Abendstunde zurückzubringen und um ihretwillen der Hausordnung sich zu fügen.

Und selbst jetzt, wo er ernstere Kämpfe zu bestehen hatte, selbst jetzt, wo zuerst der Schatten des verhassten Rechenlehrers die Räume von Baregrove-Square verdüsterte, ließ sich Zack in der elften Stunde von seiner Mutter zum Gehorsam bringen. Und dann, als die Stelle in dem Comptoir des Teemaklers vakant wurde, wäre keine Macht der Erde im Stande gewesen, Zack auch nur einen Zoll breite in der verhassten Richtung nach dem Comptoirpult fortzubewegen, wenn seine Mutter nicht so lange geweint und gejammert hätte, bis er ihr zu Liebe sich fügte, aber dahin konnte sie den Burschen doch nicht bringen, dass er Gefallen an einer Beschäftigung fand, zu der er völlig untauglich war und die er im Stillen von ganzem Herzen verabscheute. Tag für Tag, ja Stunde für Stunde vermehrte sich das angesammelte Kapital des Hasses gegen seine Citybeschäftigungen mit Zinseszinsen. Nacht für Nacht, wenn er schlaflos auf seinem Lager sich wälzte oder zum Fenster hinaussah, die verbotene Zigarre rauchend, erhob die böse Versuchung in seiner Brust, ohne Weiteres der Heimat und den heimatlichen Beschwerden den Rücken zu kehren, ihre lockende Stimme, und indem sie arglistig das Gefühl des ihm zugefügten Unrechts benutzte, wurde sie stärker und stärker in dem Konflikt mit dem einzigen guten Einfluss, er doch immer schwach aber entschlossen bis zu allerletzt dagegen ankämpfte.

Eine von den traurigen Folgen der gewissenhaften Einsperrung Zacks in ein Handlungscomptoir war die, dass sein natürliches Gelüst nach den Vergnügungen und Zerstreuungen der Stadt durch seine kommerzielle Buße erheblich gesteigert wurde. Wenn er am Abend nach neunstündiger täglicher Arbeit, wie er sie sich widerwärtiger kaum denken konnte, nach Hause zurückkehrte, übte der Anblick des Theaterzettels und anderer Ankündigungen öffentlicher Lustbarkeiten einen unwiderstehlichen Zauber auf ihn aus. Fast in jeder Straße, die er mit gaffenden Augen langsam durchschritt, erhoben buntbeklebte Ladentüren und ellenlange farbige Maueranschläge ihre süßverlockenden Sirenenstimmen. »Komm, schwermütiger und unzufriedener Jüngling, komm und vergiss die Mühseligkeiten des Tages, die traurige Wirklichkeit des kaufmännischen Daseins in unserem von Flitter und Gas strahlenden Feenreich! Komm und tanze mit unsern Nymphen nach der Musik weltberühmter Banden; lache mit unsern Schäfern in dem Lustspiel und der Posse, die man fälschlich Burleske nennt, wenn sie in Knittelverse gebracht ist. Komm, trink aus der balsamischen Gin- und Wasserquelle; sättige Dich mit schmackhaften Beefsteaks und Kotelettes; gib hier und da ein paar armselige Schillinge aus, und siehe da! Der Hades Deiner täglichen Geschäftskunden wird sich nachts sofort in ein Paradies verwandeln!«

Das war das beständige Abendlied, welches Zack mit seinem Gesumme regelmäßig auf dem Heimwege begleitete. Aber in diese melodischen Töne mischte sich stets, ihre liebliche Harmonie grausam zu stören bemüht, grollend und drohend ein abscheulich greller Missklang - die Stimme des unbarmherzigen Verbots, das von den väterlichen Lippen ausging.

Thorpe zog die Scheidelinie zwischen erlaubten und verbotenen Abendunterhaltungen bei den Lehrsälen der Königlichen Polytechnischen Anstalt und den Oratorienaufführungen in Exeter Hall. Alle Pforten, die jenseits der vorgezeichneten Grenze sich öffneten, waren Pforten des Lasters - Pforten, die sein Sohn nie sollte durchschreiten dürfen. Die Hausordnung, welche Zack verpflichtete, jede Nacht um elf Uhr zu Hause zu sein und ihm den Besitz eines Hausschlüssels untersagte, hatte vornehmlich den Zweck, ihn von dem verbotenen Besuch der Theater, der öffentlichen Gärten und anderer Vergnügungsorte abzuhalten, die Thorpe im Stile frommer Allegorie als »Teufelshäuser« und »Labyrinthe nationaler Schande« schilderte. .Es war völlig nutzlos, dem Vater vorzustellen, wie es einige von Zacks mütterlichen Verwandten taten, dass Zack von Eva abstamme und folglich einen angeerbten Hang, verbotene Früchte zu pflücken, besitze; dass man bei seinem Temperament und Alter beinahe mit Sicherheit annehmen könne, er werde, wenn man ihn von dem offenen Genusse der Vergnügungen zurückhalte, die natürlich für ihn den größten Reiz hatten, sie zuletzt heimlich genießen; und dass die dadurch erzeugte Gewohnheit zu täuschen, indem sie sein sittliches Gefühl abstumpfe, mehr als alles andere geeignet sei, ihn zu einem Missbrauch der Genüsse, gegen den nur Belehrung oder Erfahrung schützen könne, zu verleiten. Es war völlig vergeblich, derartige Argumente gegen Thorpe geltend zu machen. Er antwortete auf alle Vorstellungen durch einfache Wiederholung seines gewöhnlichen Protestes gegen »Zweckmäßigkeitsrücksichten« und das ,,mit dem Laster sich abfinden«, und dann zog er die Zügel der Disziplin noch straffer als vorher, als wollte er alle unberufenen Hände warnen vor dem Versuch, sie in Zukunft zu lockern.

Es dauerte nicht lange, so traten wirklich die bösen Folgen ein, welche die Gegner des verkehrten Planes, durch den Thorpe seinen Sohn vor jeder Teilnahme an öffentlichen Vergnügungen bewahren wollte, vorhergesagt hatten. Zuerst befriedigte Zack seine Leidenschaft für das Drama, indem er so oft in das Theater ging, als es ihm beliebte. Er verließ die Vorstellungen früh genug, um Schlag elf Uhr zu Hause zu sein, und bekannte offen, wie er den Abend verbracht hatte, wenn am andern Morgen beim Frühstück danach gefragt wurde. Diese freimütigen Geständnisse wurden stets mit Verweisen, Drohungen und erneuerten Verboten belohnt, die Thorpe mit einer ruhigen und unbarmherzigen Strenge, mit der ganzen Würde väterlicher Machtvollkommenheit, mit einer niederschmetternden Rücksichtslosigkeit und Unzugänglichkeit für alle Milderungsgründe, alle Bitten und Entschuldigungen erließ, welche Jack häufig zu trotzigen Antworten und neuen Übertretungen reizte. Als er sah, dass alle Drohungen und Verweise keinen andern Erfolg hatten als den Burschen auf ganze Tage übelgelaunt und widerspenstig zu machen, misstraute er seiner korrektionellen Gewalt so sehr, dass er den Beistand seines vornehmsten geistlichen Ratgebers, des Reverend Aron Yollop anrief, in dessen Sprengel er wohnte und dessen lithographiertes Portrait im besten Lichte an der Wand des Speisezimmers zu Baregrove-Square hing.

Mr. Yollops Einmischung war wenigstens gewichtig genug, um ein positives und unmittelbares Resultat herbeizuführen; sie brachte Zack zu der äußersten Grenze menschlichen Ertragens. Die unerschütterliche Selbstbeherrschung des hochwürdigen Herrn reizte den Widerspruchsgeist des jungen Rebellen auf das Äußerste und veranlasste ihn zu kräftiger Gegenwehr. Betraut mit dem väterlichen Auftrag, als geistlicher Hirt und Seelsorger Thorpes ungehorsamen Sohn zu ermahnen, zu schelten, zu tadeln, glänzte Mr. Yollop in seinem neuen Beruf je nach Verhältnis des Widerstandes, welcher der Ausübung seiner Autorität entgegengesetzt wurde. Er empfand eine abscheuliche Befriedigung, eine Art melancholischer Freude bei den wildesten Wutausbrüchen Zacks, den es empörte, sich von einem Manne gehofmeistert zu sehen, der kein Verwandtschaftsrecht gegen ihn geltend machen konnte, und der, während er an ihm experimentierte, den seltenen verwickelten Fall geistiger Krankheit berufsmäßig rühmte. Dreimal vollzog Mr. Yollop in seiner Eigenschaft als Seelenarzt die Operation an dem Patienten und feierte einen Triumph in den Schmerzenslauten, die seine Heilbemühungen diesem entlockten. Bei dem vierten Krankenbesuch verschwand jedoch jedes böse Krankheitssymptom mit wunderbarer Schnelligkeit bei dem ersten leisen Blitzen von Mr. Yollops geistlichem Messer. Mr. Yollop hatte gesiegt, wo Thorpe unterlegen war. Das Übel, welches eine gründliche Behandlung erfordert hatte, war dem geistlichen Heilverfahren gewichen, und der rebellische Zack war zuletzt so weit gezähmt, dass er seine Abende in geziemender Untätigkeit zu Hause verbrachte.

Es fiel weder Yollop noch Thorpe jemals ein, daran zu zweifeln, dass der junge Mann wirklich zu Bett ging, wenn er sich zu der bestimmten Stunde in sein Schlafgemach zurückgezogen hatte. Sie sahen ihn aus dem Geschäft nach Hause kommen, ernst, fügsam und still unterwürfig, sein Mahl verzehren, am Abend sein Buch nehmen und nach oben gehen, nachdem die Haustür für die Nacht verschlossen war; sie sahen somit durch äußere Beweise bekundet, dass er zum Gehorsam zurückgekehrt war, und mit diesem äußern Anschein befriedigten sich ihre Herzen. Der Mensch ist nie kurzsichtiger, als wenn er verfolgt. Beide, Thorpe und sein Helfershelfer verfolgten grundsätzlich, wo immer sie auf Widerspruch stießen; und beide waren folglich unfähig, über die unmittelbaren Resultate hinauszublicken. Indes die traurige Wahrheit war, dass sie etwas mehr getan hatten als den Burschen erziehen. Sie hatten die Aufrichtigkeit und die Wahrhaftigkeit, diese angeborenen Tugenden Zacks, aus seinem Herzen gerissen. Sie hatten ihn Schritt für Schritt dahin gebracht, dass er seine Zuflucht zu der schmachvollen Heuchelei nahm. Und so betrog er sie denn beide.

Sein plötzliches Waffenstrecken bei dem geistlichen Angriff war nicht die Eingebung eines Augenblicks, sondern das Resultat reiflichen Nachdenkens über das beste Verfahren, um seinen Vater zum Schweigen zu bringen und von Yollop loszukommen. Dieses Ziel zu erreichen, blieb ihm nichts übrig - oder vielmehr, er glaubte, es sei ihm keine Wahl gelassen - als Flucht oder Verstellung. Er hätte keinen Augenblick geschwankt, sich für die erstere zu entscheiden, aber die Rücksicht auf die Mutter, die seit der Zunahme seiner häuslichen Leiden insgeheim viel gütiger, zärtlicher und liebreicher als gewöhnlich gegen ihn gewesen war, ließ in ihm den ernstlichen Gedanken an eine Flucht nicht aufkommen. Es blieb sonach nur noch die zweite Alternative übrig; denn in seinem Alter und bei seinem Temperament - gebunden überdies an eine Beschäftigung, die ihm das Leben verbitterte - erschien ihm die Idee, allen seinen Leiden dadurch ein Ende zu bereiten, dass er den Befehlen ohne Murren sich füge und auf die einzigen Lebensfreuden, die ihm einen gewissen Ersatz für so manche trübselige Stunde gewährten, vollständig und selbst für die Zukunft verzichte, als eine reine Unmöglichkeit. Die zweite Alternative war sonach die, welche er wählte; und einmal hierzu entschlossen, legte er sich auch gleich einen hübschen Plan zurecht, wie er heimlich die verbotenen Freuden des »Londoner Lebens« genießen und zugleich seinen guten Ruf unter der Oberaufsicht des getäuschten Reverend Aron Yollop bewahren wollte.

Elf Uhr war die gewöhnliche Stunde zum Schlafengehen in Baregrove-Square. Sobald Zack sein Schlafgemach erreicht hatte, war es sein Erstes, dass er leise ein Fenster öffnete, eine alte Reisemütze aufsetzte und eine Zigarre anzündete. Es war Dezemberwetter zu jener Zeit, aber seine Schwimmübungen in den Hampsteader Teichen machten ihn so unempfindlich gegen die Kälte wie einen jungen Eisbären. Nachdem er in einer halben Stunde seine Zigarre geraucht hatte, horchte er an der Tür, bis die Stille in Mr. Thorpes Ankleidezimmer ihm anzeigte, dass sein Vater zu Bett gegangen war und ihn einlud, auf den Zehen, die Schuhe unter dem Arm, in den Hausflur hinabzuschleichen. Hier stellte er sein Licht mit einer Schachtel Zündhölzer daneben auf einen Stuhl und machte sich daran, die Haustür mit der geräuschlosesten Geschicklichkeit eines geübten Nachtdiebes zu öffnen - wobei er stets die Vorsicht gebrauchte, das Gelingen seines gefährlichen Unternehmens durch sorgfältiges Einölen des Schlosses, des Riegels und der Türangel zu erleichtern. Nachdem er sich des Schlüssels versichert, das Licht ausgeblasen und die Tür geräuschlos hinter sich geschlossen hatte, verließ er das Haus und rannte nach Heymarket, Covent-Garden oder dem Strand ein wenig vor Mitternacht - oder mit andern Worten, er trat eine nächtliche Vergnügungstour genau zu der Zeit an, wo die Türen anständiger, öffentlicher Vergnügungslokale, deren Besuch ihm sein Vater untersagt hatte, sämtlich geschlossen und nur noch die Türen aller unanständigen Lokale geöffnet waren.

Eine Vorsicht indes, und nur eine einzige, beobachtete Zack, während er die gefährlichen Vergnügungen genoss, in die ihn die väterlichen Verbote und seine eigene Verderbtheit führte. Er trug Sorge, stets nüchtern genug zu bleiben, um sicher wieder zu Hause zu sein, bevor die Dienerschaft wieder aufgestanden war, und sich auf die Geschicklichkeit seiner Hand und die Leichtigkeit seiner Füße verlassen zu können, wenn er die Tür verschloss und für ein paar Stunden nach seinem Schlafgemach hinaufhuschte. Die Kenntnis des gefährlichen Schwächezustandes, in welchen er leicht beim Trinken geriet, bestimmte ihn ganz von selbst zur Mäßigkeit und Selbstbeherrschung, soweit es sich um geistige Getränke handelte. Das erste Glas Grog stärkte ihn, das zweite regte ihn angenehm auf, das dritte machte ihn, wie er aus früherer Erfahrung wusste, mit einem Mal matt und raubte ihm heimtückisch den nüchternen Sinn.

Aber so tapfer er bisher allen Lockungen widerstanden hatte, in der beständigen Versuchung zu Ausschweifungen, welche dieses dritte Glas ihm bereitete, lag doch für Zack die große Gefahr, sich selbst zu betrügen und folglich sein eigner Verräter zu werden, lauernd im Hinterhalt, bis seine Schwäche unterliegen würde, wie sie bereits andern Versuchungen unterlegen war. Dreimal, viermal wöchentlich, beinahe einen ganzen Monat hindurch hatte er in völliger Straflosigkeit das Vergnügen der heimlichen Nachtschwärmerei genossen, es selbst vor seinem Freunde Mr. Blyth geheim haltend, der, wie er wohl wusste, es trotz seiner ausgedehnten Toleranz keineswegs billigen würde, dass er bis zwei Uhr morgens in Wirtshäusern sich herumtrieb, während sein Vater ihn ruhig im Bette glaubte. Seine schlechte Aufführung, obschon er leichtsinnig darin verharrte, hatte doch keineswegs das letzte und schlimmste Resultat, ihn bis zur Unmöglichkeit der Besserung zu verderben, herbeigeführt. Er hatte noch Schamgefühl genug, um über seine erfolgreiche Heuchelei zu erröten, wenn er sich in der Gesellschaft seiner Mutter befand.

Aber die Umstände entfernten ihn leider zu sehr von seiner Mutter und so vertrocknete der Keim des bessern Gefühls, der nur unter ihrem Einflusse sich entfaltete, und der, wenn er zur vollen Entwicklung gekommen wäre, sicher zu seiner Besserung geführt hätte. Täglich war er im Geschäft, und das verdrießliche Leben, das er hier führte, machte ihn nur geneigt, mit boshafter Freude an die Kurzweil der Nacht zu denken. Am Abend fand denn Thorpe es häufig geraten, ihm eine ernste Predigt zu halten und zu verhüten, dass der bekehrte Sünder aus Mangel an einer kleinen moralischen Zurechtweisung rückfällig würde. Auch Yollop blieb in der Anwendung ähnlicher Vorsichtsmaßregeln nicht zurück, denn ihm lag vor allem daran, den Neubekehrten sich nicht wieder entschlüpfen zu lassen, nachdem er ihn einmal gefangen hatte. Jedes Wort, das diese beiden Herren sprachen, diente nur dazu, das Herz des jungen Mannes noch mehr zu verstocken und den heilsamen Einfluss, welchen die liebevollen Blicke und die vertraulichen Worte seiner Mutter auf ihn ausübten, zu ertöten. »Ich würde dadurch nichts gewinnen, selbst wenn ich mein Leben ändern könnte«, dachte Zack boshaft und ärgerlich, wenn sein Vater oder seines Vaters Freund ihn mit einer kleinen Moralpredigt bedachten; »da zerren sie nun wieder an ihrem musterhaft guten Jungen herum, um ihn besser zu machen!«

Das war, der Punkt, bis zu welchem die Trübsal Zacks gestiegen war, das waren die Kämpfe, welche er zu bestehen hatte, das die Vergehungen, welche er sich zu Schulden kommen ließ, und das die zweifelhafte Natur seines häuslichen Verkehrs zu der Zeit, als jener sanguinische Künstler Valentin Blyth den Entschluss fasste, in dem Zimmer seiner Frau eine Privatzeichenakademie zu errichten in der doppelten Absicht, um seinen Familienkreis am Abend zu unterhalten und seinem wilden Freund Festigkeit zu lehren, indem er nach Gipsabgüssen zeichnen lehrte.


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