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Gesetz und Frau



Drittes Kapitel.

Ein Probestück meiner Weisheit.

Zwei Tage waren seit Major Fitz-Davids Diner vergangen. Ich hatte mich nach der Zerstörung aller meiner Pläne für die Zukunft, nach der Vernichtung aller meiner Hoffnungen wieder ein wenig erholt.

Ich erkannte nun ganz deutlich, daß ich in übereilter Weise ein unschuldiges Weib in Verdacht gehabt, und daß ich gleichzeitig die flüchtigen und oberflächlichen Schlüsse Dexters für absolute Wahrheiten genommen.

Ich schämte mich meiner selbst, wenn ich an die Vergangenheit dachte, ich fühlte mich total entmuthigt und des Selbstbewußtseins bar, wenn die Zukunft vor meinen geistigen Blick trat. Ich war so tief gedemüthigt und niedergedrückt, daß ich zum ersten Male freundlich gebotenen Rath annahm.

»Mein liebes Kind,« sagte der gute alte Benjamin, nachdem ich ihm mein ganzes Herz ausgeschüttet. »Auch alledem, was Sie mir erzählt haben, kann ich aber dem Mr. Dexter nicht trauen. Versprechen Sie mir, daß Sie nicht eher wieder zu ihm gehen wollen, bis Sie vorher Jemand um Rath gefragt, der würdiger ist, ihn zu ertheilen, als meine geringe Wenigkeit.«

Ich gab ihm dies Versprechen, aber unter einer Bedingung.

»Wenn es mir nicht gelingt, jene Person zu finden,« sagte ich, »wollen Sie mir dann helfen?«

Benjamin gelobte mir, dies zu thun.

Am andern Morgen, als ich mir das Haar machte und meine Angelegenheiten die Revue passiren ließ, rief ich mir einen Entschluß ins Gedächtniß zurück, den ich vergessen, seit ich meines Gatten Prozeß gelesen; ich meine nämlich den Entschluß, wenn mir Miserrimus Dexter nicht von Nutzen sein könnte, ich mich an einen der beiden Fiscale wenden wollte, der Eustace’s Vertheidigung vorbereitet hatte, nämlich Mr. Playmore. Wie sich der Leser erinnern wird, hatte sich dieser Gentleman meinem Vertrauen empfohlen, als die Beamten des Sheriffs die Papiere meines Gatten durchsuchten. Auf die Zeugenaussage des Isaiah Schoolcraft zurückgehend, fand ich, daß Mr. Playmore von Miserrimus Dexter hereingerufen worden war, um Eustace mit Rath und That beizustehen. Er war daher nicht allein als Freund meines Mannes, sondern auch als persönlicher Bekannter von Mr. Dexter zu betrachten. Konnte ich einen besseren finden, um einiges Licht in die völlige Dunkelheit meines armen Lebens zu bringen? Benjamin billigte diesmal meinen Plan vollkommen und versprach mir, in der Ausführung desselben behilflich zu sein. Nach kurzer Zeit hatte ich bereits meinen Empfehlungsbrief an Mr. Playmore in Händen, vor dem ich mich dreist als Mr. Macallan’s zweite Frau präsentiren konnte.

Noch an demselben Abende begaben sich Benjamin und meine Wenigkeit mit der Eisenbahn nach Edinburgh. Vorsichtigerweise hatte ich einige Tage vorher an Miserrimus Dexter geschrieben, daß Geschäfte mich auf kurze Zeit von London abriefen, daß ich ihm aber sofort nach meiner Rückkehr das Resultat meiner Unterredung mit Lady Clarinda mittheilen würde.

Ariel brachte eine characteristische Antwort zurück:

»Mrs. Valeria! Ich bin ein Mann von schneller Auffassungsgabe, und ich vermag daher die ungeschriebenen Zeilen Ihres Briefes ebenso gut zu entziffern als die geschriebenen. Sehr gut! Ich verpflichte mich, Ihr Vertrauen zu Lady Clarinda zu erschüttern. Unterdessen fühle ich mich nicht beleidigt. In ernster Fassung erwarte ich die Ehre Ihres nächsten Besuches. Telegraphiren Sie mir, ob Sie wieder Trüffeln oder irgend eine leichte Speise genießen wollen. Für immer Ihr Verbündeter und Bewunderer, Ihr Poet und Koch — Dexter.«

In Edinburgh angelangt hatte ich mit Benjamin ein kleines Zwiegespräch.

Es handelte sich nämlich darum, ob ich allein oder in seiner Begleitung zu Mr. Playmore gehen sollte. Wir entschieden uns bald für das Erstere.

»Meine Welterfahrung ist allerdings keine große,« sagte ich, »aber ich habe die Bemerkung gemacht, daß in 9 Fällen unter 10 ein Mann einem Weibe stets Concessionen machte, wenn es ihm allein nahte. War es jedoch in Begleitung eines andern Mannes, habe ich fast immer gesehen, daß er zurückhaltend war und sich besann. Fällt mein erster Besuch bei Mr. Playmore nicht nach Wunsch aus, dann kann der zweite ja noch immer in Ihrer Begleitung gemacht werden.« — Diesen Argumenten hatte mein alter Freund beigepflichtet.

Ich sandte meinen Empfehlungsbrief an das Bureau des Mr. Playmore, dessen Privatwohnung in der Nähe von Gleninch lag..

Mein Bote brachte die höfliche Antwort zurück, daß mein Besuch ihm sehr angenehm sein werde. Pünktlich zu der bestimmten Stunde zog ich an der Klingel seines Bureau’s.


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