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Der Mondstein



Achte Erzählung.

von Gabriel Betteredge.

Ich bin, wie sich der Leser ohne Zweifel erinnern wird, derjenige, der den Anfang unserer Geschichte berichtet hat. Ich soll nun auch derjenige sein, der, als der letzte im Zuge, die Geschichte, so zu sagen, abschließt, aber glaube Niemand, daß ich etwa noch ein Schlußwort in Betreff des Diamanten zu sagen hätte. Ich verabscheue diesen unglücklichen Edelstein und ich verweise den Leser für weitere Nachrichten über den Mondstein, sofern solche im gegenwärtigen Augenblick erwartet werden können, auf andere Gewährsmänner. Mein Zweck bei diesen Zeilen ist, eine Thatsache in der Geschichte der Familie,zu berichten, welche alle Uebrigen mit Stillschweigen übergangen haben und welche ich nicht in dieser Weise geringschätzig bei Seite gesetzt lassen möchte. Die Thatsache welche ich meine, ist die Heirath Fräulein Rachel’s und Herrn Franklin Blake’s. Dieses bedeutsame Ereigniß fand am Dienstag, den 9. October 1849, in unserm Hause in Yorkshire statt. Ich erhielt einen neuen Anzug zu dieser festlichen Gelegenheit und das junge Paar reiste nach Schottland, um dort die Flitterwochen zu verleben.

Ich muß bekennen, daß ich nach dem Familienfeste dergleichen seit dem Tode unserer armen gnädigen Frau in unserem Hause so selten geworden waren, am Abend des Hochzeitstages auf die Gesundheit des jungen Paares einen Schluck zu viel trank.

Wenn Du, lieber Leser, Dir jemals etwas Aehnliches hast zu Schulden kommen lassen, so wirst Du meine Schwäche begreifen und nachsichtig beurtheilen Wenn nicht, so wirst Du wahrscheinlich sagen: »Der widerwärtige alte Mann! Warum erzählt er uns das?« Ich habe aber meine Gründe.

Als ich also meinen Schluck zu viel genommen hatte, —— sei nur ruhig! Du haft auch Deine Schwäche, wenn es auch eine andere ist —— nahm ich meine Zuflucht zu dem einzigen unfehlbaren Radikalmittel als das Ihr schon den Robinson Crusoe kennt. Wo ich das unvergleichliche Buch aufschlug, weiß ich nicht mehr, wohl aber weiß ich noch sehr gut, wo die gedruckten Zeilen zuletzt in einander zu laufen anfingen. Es war auf Seite 318, eine kleine Stelle über Robinson Crusoe’s Heirath, wie folgt:

»Ich überdachte daß ich ein Weib hatte« —— wohlgemerkt, das hatte Herr Franklin auch! —— »daß mir mein Weib ein Kind geschenkt hatte« —— abermals wohlgemerkt das konnte bei Herrn Franklin auch noch zutreffen! —— »und daß meine Frau dann« —— Was Robinson Crusoes Frau »dann« gethan oder nicht gethan hatte, verlangte ich nicht weiter zu wissen. Ich strich die Worte in Betreff des Kindes mit meinem Bleistift an und legte ein Stück Papier als Zeichen zwischen die Blätter: »Lieg Du da,« sagte ich, »bis die Heirath zwischen Herrn Franklin und Fräulein Rache! ein paar Monat älter ist, dann wollen wir uns wieder sprechen.«

Die Monate vergingen, und zwar deren mehr als ich mir gedacht hatte, ohne daß sich eine Veranlassung geboten hätte, das Zeichen im Buch aus seiner Ruhe zu stören. Erst in diesem Monat November 1850 trat Herr Franklin in bester Laune in mein Zimmer und sagte: »Betteredge! Ich habe eine Neuigkeit für Sie! Es wird nicht mehr sehr lange dauern, bis sich im Hause etwas ereignet.«

»Betrifft es die Familie, Herr?« fragte ich.

»Gewiß thut es das,« antwortete Herr Franklin

»Hat Ihre liebe Frau irgend etwas damit zu thun, wenn ich fragen darf?«

»Sehr viel,« sagte Herr Franklin, der anfing, etwas überrascht auszusehen.«

»Sie brauchen kein Wort weiter zu sagen, Herr,« antwortete ich. »Gott segne Sie beide! Ich freue mich herzlich über die Nachricht!«

Herr Blake starrte mich an, als ob er vom Blitz gerührt wäre »Darf ich fragen, woher Sie Ihre Nachrichten haben? fragte er. »Ich bin erst vor fünf Minuten unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit in das Geheimniß eingeweiht worden.«

Das war eine Gelegenheit, Robinson Crusoe herbeizuholen! Das war eine erwünschte Veranlassung, die kleine Stelle über das Kind, welche ich an Herrn Franklin’s Hochzeitstag angestrichen hatte, vorzulesen! Ich las die merkwürdigen Worte mit der« gebührenden Emphase vor und sah ihm dann scharf ins Gesicht» »Nun Herr, glauben Sie jetzt an Robinson Crusoe?« fragte ich mit der der Gelegenheit angemessenen Feierlichkeit.

»Betteredge!« antwortete Herr Franklin mit gleicher «Feierlichkeit, »jetzt glaube ich.« Wir reichten uns die Hände und ich fühlte, daß ich ihn bekehrt hatte.

Nachdem ich diese außerordentliche Begebenheit berichtet habe, trete ich zum zweiten Mal vom Schauplatz dieser Blätter ab. Lache Niemand über die merkwürdige hier erzählte Anekdote Ueber alles andere was ich geschrieben habe, könnt Ihr Euch so viel Ihr wollt lustig machen, aber wenn ich über Robinson Crusoe schreibe, so ist es mir, bei Gott! Ernst, und ich verlange, daß Ihr es auch mit Ernst aufnehmt. Nun bin ich fertig. Meine Damen und Herren, ich empfehle mich Ihnen und schließe die Geschichte ab.



Kapiteltrenner


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