Ein tiefes Geheimnis
Viertes Kapitel
Die Enthüllung des Geheimnisses
Falte um Falte öffnete Rosamunde das Papier und sah, daß auf der innern Seite geschriebene Buchstaben standen, die eine hellgelbliche Farbe angenommen hatten. Sie strich es auf dem Tische glatt, hob es dann wieder auf und sah die erste Zeile der Schrift an.
Die erste Zeile enthielt drei Worte – Worte, welche ihr sagten, daß das Papier mit der Schrift darauf nicht die Beschreibung eines Bildes war, sondern ein Brief – Worte, bei welchen sie, als ihr Auge darauf fiel, zusammenschrak und die Farbe wechselte. Ohne es zu versuchen, weiter zu lesen, wendete sie schnell das Blatt um, um die Stelle zu finden, wo die Schrift endete.
Sie endete am Fuße der dritten Seite, aber nahe am Fuße der zweiten Seite war ein Absatz zwischen den Zeilen und in diesem Absatz standen zwei Namen geschrieben.
Sie sah den obersten der beiden Namen an – schrak wieder zusammen – und kehrte dann sofort zu der ersten Seite zurück.
Zeile um Zeile und Wort um Wort las sie die Schrift. Ihre natürliche Gesichtstfarbe schwand dabei allmählich hinweg und eine fahle, gleichförmige Blässe überzog an ihrer Stelle das ganze Gesicht. Als sie an das Ende der dritten Seite gekommen war, sank die Hand, in welcher sie den Brief hielt, schlaff herab und sie wendete den Kopf langsam nach Leonard herum.
So blieb sie stehen. Keine Träne befeuchtete ihr Auge, keine Veränderung machte sich in ihren Zügen bemerklich, kein Wort entschlüpfte ihren Lippen, keine Bewegung änderte die Stellung ihrer Glieder – so stand sie, den verhängnisvollen Brief in ihren kalten Fingern zusammenknitternd und unverwandt, sprachlos und atemlos ihren blinden Gatten betrachtend.
Er saß noch wie sie ihn vor wenigen Minuten hatte sitzen sehen – mit gekreuzten Beinen, die Hände gefaltet und das Gesicht erwartungsvoll nach der Richtung hingewendet, in welcher er den Ton der Stimme seines Weibes zuletzt vernommen.
Nach wenigen Augenblicken erweckte jedoch die ununterbrochene Stille im Zimmer seine Aufmerksamkeit. Er veränderte seine Stellung – horchte eine Weile, wendete den Kopf unruhig von einer Seite zur andern und rief dann:
„Rosamunde?“
Bei dem Klange seiner Stimme bewegten sich ihre Lippen und ihre Finger faßten das Papier, welches sie hielt, fester, aber sie tat keinen Schritt und sprach kein Wort.
„Rosamunde!“
Ihre Lippen bewegten sich wieder, leichte Spuren von Ausdruck begannen sich schattenhaft über die leichenblasse Fläche ihres Gesichts zu stehlen – sie tat einen Schritt, zögerte, sah den Brief an und blieb wieder stehen.
Da Leonard keine Antwort hörte, so erhob er sich überrascht und unruhig. Seine armen, hilflosen Hände vor sich in der Luft hin- und herbewegend, ging er einige Schritte vorwärts, geradeaus von der Wand, an welcher er gesessen. Ein Stuhl, welchen zu berühren seine Hände nicht tief genug herabreichten, stand ihm im Wege und da er immer noch vorwärts ging, so stieß er heftig mit dem Knie daran.
Ein Schrei entfuhr Rosamundes Lippen, als ob der Schmerz dieses Stoßes von ihrem Gatten auf sie selbst überginge. Im nächsten Augenblick war sie an seiner Seite.
„Du hast dir doch nicht Schaden getan, Lenny?“ fragte sie leise.
„Nein, nein.“
Er versuchte seine Hand an die Stelle zu drücken, wo er sich gestoßen, Rosamunde kniete rasch nieder und legte ihre eigene Hand darauf, indem sie zugleich, während sie darauf kniete, ihren Kopf in seltsam zögernder, schüchterner Weise an ihn schmiegte.
Er legte die Hand, deren Bewegung sie gehemmt, leicht auf ihre Schulter.
In dem Augenblick, wo diese Hand sie berührte, begannen ihre Augen einen andern Ausdruck zu gewinnen, Tränen stiegen in dieselben empor und rannen langsam an den Wangen herunter.
„Ich dachte, du hättest mich verlassen“, sagte er. „Es war so still im Zimmer, daß ich glaubte, du wärest hinausgegangen.“
„Willst du jetzt mit mir hinauskommen?“ fragte sie.
Ihre Kräfte schienen ihr untreu zu werden, während sie diese Frage tat, ihr Kopf sank auf seine Brust herab und sie ließ den Brief neben sich auf den Fußboden niederfallen.
„Bist du schon müde, Rosamunde? Deine Stimme klingt so matt.“
„Ich möchte das Zimmer verlassen“, sagte sie noch in demselben leisen gezwungenen Tone. „Schmerzt dich dein Knie noch, Lenny? Kannst du jetzt gehen?“
„Jawohl. Mein Knie ist durchaus nicht beschädigt. Wenn du müde bist, Rosamunde – ich weiß, daß du es bist, wenn du es auch nicht gestehen willst – so wird es gut sein, wenn wir dieses Zimmer so bald als möglich verlassen.“
Sie schien die letzten Worte, die er sagte, nicht zu hören. Ihre Finger bewegten sich fieberhaft an ihrem Halse und Busen herum; zwei helle, rote Punkte begannen auf ihren bleichen Wangen zu brennen; ihre Augen waren stier auf den neben ihr liegenden Brief geheftet; ihre Hände tasteten umher, ehe sie ihn aufhoben.
Einige Sekunden lang wartete sie so auf den Knien liegend und sah den Brief unverwandt an, den Kopf von ihrem Gatten abgewendet, dann erhob sie sich und ging nach dem Kamin.
Unter dem Staub, der Asche und anderm Schutt an der hintern Stelle des Rostes lagen einige alte, zerrissene Stücke Papier umhergestreut. Ihre Augen fielen darauf und sie betrachtete dieselben aufmerksam. Sie schauete und schauete und bog sich langsam immer tiefer auf den Rost herab. Einen Augenblick lang hielt sie den Brief mit beiden Händen über die Asche – den nächsten zog sie ihn heftig schaudernd zurück und drehte sich so, daß sie ihrem Gatten wieder gegenüber stand. Als sie ihn erblickte, entrang sich ihr ein schwacher, unartikulierter Ausruf, halb Seufzer, halb Schluchzen.
„O, nein, nein!“ flüsterte sie bei sich selbst, indem sie inbrünstig die Hände faltete und ihn mit liebenden, wehmütigen Augen betrachtete; „niemals, niemals, Lenny! Möge daraus werden, was da wolle.“
„Sprachst du mit mir, Rosamunde?“
„Ja, Geliebter. Ich sagte –“
Sie schwieg und faltete mit zitternden Fingern das Papier genau wieder zu der Form zusammen, in welcher sie es gefunden.
„Wo bist du?“ fragte er. „Deine Stimme klingt fern von mir, wieder am andern Ende des Zimmers. Wo bist du?“
Zitternd und weinend eilte sie auf ihn zu, faßte ihn beim Arm und ohne einen Augenblick zu zögern, ohne die mindeste Spur von Unentschlossenheit in ihrem Gesicht, legte sie das zusammengefaltete Papier kühn in seine Hand.
„Behalte dies, Lenny“, sagte sie totenbleich, aber ohne ihre Festigkeit zu verlieren. „Behalte dies und fordre mich auf, es dir vorzulesen, sobald wir das Myrtenzimmer verlassen haben.“
„Was ist es?“ fragte er.
„Das Letzte, was ich gefunden, Geliebter“, entgegnete sie, indem sie ihn innig mit einem tiefen Seufzer wie aus erleichtertem Herzen ansah.
„Ist es von Wichtigkeit?“
Anstatt zu antworten, drückte sie ihn plötzlich an ihre Brust, klammerte sich mit aller Inbrunst an ihn und bedeckte atemlos und leidenschaftlich sein Gesicht mit Küssen.
„Na, sachte, sachte!“ rief Leonard lachend. „Du erdrückst mich ja!“
Sie ließ von ihm ab, trat einen Schritt zurück, legte eine Hand auf jede seiner Schultern und betrachtete ihn schweigend.
„O mein Engel!“ murmelte sie zärtlich. „Alles, was ich in der Welt habe, wollte ich darum geben, wenn ich wüßte, wie sehr du mich liebst.“
„Nun“, entgegnete er immer noch lachend, „das solltest du doch nun wissen, Rosamunde.“
„Ich werde es bald wissen.“
Sie sprach diese Worte in so ruhigem und leisem Tone, daß sie nur eben hörbar waren. Die Veränderung in ihrer Stimme als ein neues Symptom von Ermüdung deutend, forderte Leonard sie auf, ihn wegzuführen, indem er ihr die Hand entgegenstreckte.
Auf dem Rückwege nach dem bewohnten Teile des Hauses sagte Rosamunde weiter nichts über das zusammengefaltete Papier, welches sie ihm in die Hand gedrückt. Ihre ganze Aufmerksamkeit, während sie nach der westlichen Front zurückkehrten, schien darauf gerichtet zu sein, daß sie jeden Zoll des Bodens, auf welchem er wandelte, eifersüchtig betrachtete, um sich zu überzeugen, daß er glatt und sicher sei, ehe sie Leonard gestattete, seinen Fuß darauf zu setzen. So sorgfältig und umsichtig sie auch vom ersten Tage ihres Ehestandes gewesen, wenn sie ihren Gatten von einem Ort nach dem andern führte, so war sie doch jetzt übertrieben, ja fast lächerlich besorgt, ihn vor der entferntesten Möglichkeit eines Unfalls zu bewahren.
Als sie fand, daß er, als sie das Myrtenzimmer verließen, an dem äußern Rande des offenen Vorplatzes hinging, bestand sie darauf, daß er mit ihr die Seite wechselte und sich nun längs der Wand hin bewege.
Als sie die Treppe hinuntergingen, blieb sie mitten auf derselben stehen, um ihn zu fragen, ob er Schmerz in dem Knie empfände, womit er sich an den Stuhl gestoßen.
Auf der letzten Stufe bewog sie ihn abermals, stehen zu bleiben, während sie die zerrissenen, durcheinander gewirrten Überreste einer alten Fußdecke auf die Seite schob, damit er sich nicht mit den Füßen darein verwickelte.
Als sie durch die nördliche Halle schritten, bat sie ihn, ihren Arm zu nehmen und sich recht fest darauf zu stützen, denn sie sei überzeugt, daß sein Knie noch nicht ganz frei von Steifheit sei.
Selbst an der kurzen Treppe, welche den Eingang der Halle mit den nach der Westseite des Hauses führenden Gängen in Verbindung setzte, ließ sie ihn abwärts zwei Mal Halt machen, um seinen Fuß auf die noch gesunden Teile der Stufen zu setzen, welche nach ihrer Behauptung an mehr als einer Stelle gefährlich abgenutzt waren.
Er lachte gutmütig über ihre übertriebene Besorgtheit, ihn vor aller Gefahr des Stolperns zu bewahren, und fragte, ob sie, da sie so oft Halt machte, wohl für den Imbiß noch Zeit genug nach der westlichen Seite des Hauses kommen würden.
Sie war nicht wie gewöhnlich mit einer schnellen, witzigen Antwort bereit; sein Gelächter fand kein angenehmes Echo in dem ihrigen; sie antwortete bloß, es sei unmöglich, allzubesorgt um ihn zu sein, und dann gingen sie schweigend weiter, bis sie die Tür des Zimmers der Haushälterin erreichten.
Rosamunde ließ Leonard einen Augenblick vor dieser Tür warten, während sie hineinging, um die Schlüssel an Mistreß Pentreath zurückzugeben.
„Mein Himmel, Madame“, rief die Haushälterin, „Sie scheinen von der Hitze der Witterung und der dumpfen Luft in diesen alten Zimmern sehr angegriffen zu sein. Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen, oder befehlen Sie mein Riechfläschchen?“
Rosamunde lehnte beide Anerbietungen ab.
„Darf ich fragen, Madame, ob sich diesmal in den nördlichen Zimmern etwas gefunden hat?“ fragte Mistreß Pentreath, indem sie die Schlüssel anhing.
„Bloß einige alte Papiere“, entgegnete Rosamunde sich abwendend.
„Sie erlauben mir wohl noch eine Frage, Madame“, fuhr die Haushälterin fort. „Wenn nun heute vielleicht Herrschaften aus der Umgegend kommen, um ihren Besuch zu machen –“
„Wir sind beschäftigt. Mag es sein, wer es wolle – wir sind beide beschäftigt.“
Mit dieser kurzen Antwort verließ Rosamunde die Haushälterin und begab sich wieder zu ihrem Gatten.
Mit demselben Übermaß von Aufmerksamkeit und Sorgfalt, welches sie auf dem Wege nach dem Zimmer der Haushälterin an den Tag gelegt, führte sie ihn jetzt auch die westliche Treppe hinauf. Da zufällig die Tür des Bibliothekszimmers offen stand, so gingen sie auf ihrem Wege nach dem Besuchzimmer, welches das größere und kühlere von beiden war, durch ersteres hindurch.
Nachdem Rosamunde ihren Gatten an einen Stuhl geführt, kehrte sie in das Bibliothekzimmer zurück und nahm von dem Tische einen Präsentierteller, den sie vorhin bemerkt und auf welchem eine Flasche Wasser und ein Glas standen.
„Es ist leicht möglich, daß Ohnmacht oder Schrecken mich überwältigen“, sagte sie rasch bei sich selbst, indem sie sich mit dem Präsentierbrett in der Hand herumdrehte, um wieder in das große Zimmer zurückzukehren.
Nachdem sie das Wasser auf einen Tisch in einer Ecke gesetzt, verschloß sie geräuschlos erst die in die Bibliothek und dann die hinaus auf den Korridor führende Tür.
Leonard, welcher hörte, daß sie sich umherbewegte, riet ihr, doch lieber ruhig auf dem Sofa sitzenzubleiben. Sie streichelte ihm die Wange und stand im Begriff, eine geeignete Antwort zu geben, als sie zufällig ihr Gesicht in dem Spiegel erblickte, unter welchem er saß.
Der Anblick ihrer bleichen Wangen und verstörten Augen hemmte die Worte auf ihren Lippen. Sie eilte fort nach dem Fenster, um einen Hauch der Luft zu erhaschen, welche von dem Meere her ihr zuwehte.
Der Sonnennebel barg immer noch den Horizont. Näher war die ölige, farblose Fläche des Wassers gerade sichtbar und hob sich von Zeit zu Zeit in einer eintönigen Woge, welche sich glatt und endlos hinausrollte, bis sie sich in dem weißen Dunkel des Nebels verlor.
Dicht am Strande war die sonst so tosende Brandung kaum zu hören. Kein Geräusch kam von der Bucht, ausgenommen in langen, ermüdenden Zwischenräumen, wenn ein kurzer Schlag und ein dumpfes, eben nur hörbares Plätschern den Fall einer kleinen, winzigen Welle auf den glühendheißen Sand verkündete.
Auf der Terrasse vor dem Hause war das eintönige Summen der Sommerinsekten alles, was von Leben und Bewegung sprach. Keine menschliche Gestalt war irgendwo an der Küste zu sehen; keine Spur von einem Segel dämmerte durch die Hitze auf dem Meere, kein Lufthauch bewegte die zarten Ranken der Schlingpflanzen, die an der Mauer des Schlosses sich hinzogen, oder erfrischte die an den Fenstern stehenden, schmachtenden Blumen.
Rosamunde wendete sich, nachdem sie die äußere Aussicht einen Augenblick lang betrachtet, ermüdet davon ab. Als sie wieder in das Zimmer hereinsah, redete ihr Gatte sie an.
„Was für ein kostbares Ding liegt denn in diesem Papier verborgen?“ fragte er, indem er den Brief zur Hand nahm und ihn lächelnd auseinanderfaltete. „Ganz gewiß muß es noch etwas Anderes sein, als bloße Schrift – vielleicht ist ein unschätzbares Pulver oder eine Banknote von fabelhaftem Werte in alle diese Falten eingewickelt.“
Rosamunde entsank der Mut, als er den Brief öffnete und mit den Fingern über die Schrift inwendig fuhr, indem zugleich in ironischer Weise seine Besorgnis aussprach und scherzend erklärte, alle in Porthgenna entdeckten Schätze mit Rosamunde teilen zu wollen.
„Ich will dir den Brief sogleich vorlesen, Lenny“, sagte sie, indem sie auf den nächsten Stuhl niedersank und mit matter Hand ihr Haar von den Schläfen zurückstrich. „Leg’ ihn aber jetzt auf einige Minuten weg und laß uns von irgendetwas anderm sprechen, es möge sein was es wolle, dafern es uns nur nicht an das Myrtenzimmer erinnert. Ich bin sehr launenhaft, nicht wahr, daß ich so plötzlich des Gegenstandes überdrüssig werde, über welchen ich seit so
vielen Wochen am liebsten und unermüdlichsten gesprochen. Sage mir, Geliebter“, setzte sie hinzu, indem sie plötzlich aufstand und an die Lehne seines Stuhles trat, „verschlimmern sich meine Grillen und Fehler, oder habe ich mich seit der Zeit unserer Vermählung gebessert?“
Er warf den Brief gleichgültig beiseite auf einen Tisch, welcher stets dicht neben seinem Stuhl stand und drohte ihr komisch vorwurfsvoll mit dem Finger.
„O pfui, Rosamunde!“ sagte er; „willst du mich verlocken, dir Komplimente zu machen?“
Der leichtfertige Ton, in welchem er immer noch sprach, schien sie geradezu zu ängstigen. Sie ging langsam von seinem Stuhl hinweg und setzte sich wieder in kurzer Entfernung von ihm nieder.
„Ich weiß, daß ich dich zuweilen beleidigte“, fuhr sie rasch und verlegen fort – „doch nein, ich beleidigte dich nicht – ich ärgerte dich bloß ein wenig – weil ich allzu vertraulich mit den Dienstleuten sprach. Du hättest anfangs, wenn du mich nicht so gut gekannt hättest, fast glauben können, es sei dies so meine Gewohnheit, weil ich früher selbst einmal eine dienende Person gewesen wäre. Gesetzt nun, ich wäre wirklich eine dienende Person gewesen – die Dienerin, welche dich in deinen Krankheiten gepflegt, die Dienerin, welche dich in deiner Blindheit sorgfältiger geführt als sonst jemand getan – würdest du dann viel an den Unterschied zwischen usn gedacht haben – würdest du –“
Sie schwieg. Das Lächeln war aus Leonards Gesicht verschwunden und er hatte sich ein wenig von ihr abgewendet.
„Was kann es nützen, Rosamunde, Fälle anzunehmen, die sich niemals hätten ereignen können?“ fragte er etwas ungeduldig.
Sie ging an den Nebentisch, schenkte sich von dem Wasser, welches sie aus dem Bibliothekzimmer geholt, in das Glas und trank es begierig; dann ging sie an das Fenster und pflückte einige von den hierstehenden Blumen. Einige davon warf sie im nächsten Augenblick wieder weg, behielt aber die übrigen in der Hand und ordnete sie so, daß ihre Farben mit der Wirkung kontrastierten. Als dies geschehen war, steckte sie sie an die Brust, sah zerstreut darauf herab, nahm sie wieder von dem Kleide ab, kehrte zu ihrem Gatten zurück und steckte ihm den kleinen Strauß in das Knopfloch seines Rockes.
„Da hast du etwas, was dir ein heiteres Aussehen gibt, Geliebter – so wie ich stets zu sehen wünsche“, sagte sie, indem sie sich in ihrer beliebten Stellung zu seinen Füßen niedersetzte und, mit ihren Armen auf seinen Knien ruhend, wehmütig zu ihm aufblickte.
„Woran denkst du, Rosamunde?“ fragte er nach einer Pause.
„Ich dachte bloß nach, Lenny, ob noch irgendein Weib auf der Welt dich so lieben könnte wie ich. Ich fürchte fast, daß es noch mehrere gebe, die ebenso wie ich nichts mehr verlangen würden, als für dich zu leben und zu sterben. Es liegt etwas in deinem Gesicht, in deiner Stimme, in deinem ganzen Wesen – außer dem Interesse, welches dein beklagenswertes Gebrechen einflößt – was, glaube ich, das Herz jedes Weibes zu dir ziehen muß. Wenn ich sterben sollte –“
„Wenn du sterben solltest!“
Er fuhr empor, indem er diese Worte wiederholte und sich vorwärts neigend seine Hand unruhig auf ihre Stirn legte. „Du denkst und sprichst diesen Morgen sehr seltsam, Rosamunde. Bist du nicht wohl?“
Sie erhob sich auf ihre Knie, sah ihn näher an, ihr Gesicht heiterte sich ein wenig auf und ein mattes Lächeln umspielte ihre Lippen. „Ich möchte wissen, ob du mich stets so lieben wirst, wie du mich jetzt liebst“, flüsterte sie, indem sie seine Hand küßte, während sie dieselbe von ihrer Stirn hinwegnahm.
Er lehnte sich wieder in seinen Stuhl zurück und sagte scherzend, sie solle nicht zu weit in die Zukunft schauen.
Diese Worte, so leichthin sie auch gesprochen wurden, drangen tief in ihr Herz.
„Es gibt Zeiten, Lenny“, sagte sie, „wo alles Glück der Gegenwart von der Gewißheit der Zukunft abhängt.“
Sie sah den Brief an, den ihr Gatte offen auf dem Tische neben sich hatte liegen lassen und nach einem augenblicklichen Kampfe mit sich selbst nahm sie ihn in die Hand, um ihn zu lesen.
Bei dem ersten Worte aber versagte ihr die Stimme – die tödliche Blässe breitete sich wieder über ihr Gesicht; sie warf den Brief wieder auf den Tisch und ging fort bis ans andere Ende des Zimmers.
„Der Zukunft?“ fragte Leonard. „Welcher Zukunft, Rosamunde? Was meinst du?“
„Gesetzt, ich meinte unsere Zukunft in Porthgenna“, sagte sie, indem sie ihre trockenen Lippen mit einigen Tropfen Wasser befeuchtete. „Werden wir hier so lange bleiben, wie wir dies bis jetzt gedacht und werden wir hier so glücklich sein, wie wir anderwärts gewesen sind? Auf der Reise sagtest du mir, ich würde es sehr langweilig finden, und mich zu allerhand außerordentlichen Beschäftigungen genötigt sehen, um mir die Zeit zu vertreiben. Du sagtest, ich würde mit der Gärtnerei anfangen und damit enden, daß ich einen Roman schriebe.“
„Einen Roman!“
Sie näherte sich wieder ihrem Gatten und sah ihm aufmerksam ins Gesicht, während sie fortfuhr:
„Warum nicht? Es werden jetzt von Frauen mehr Romane geschrieben, als von Männern. Was soll mich abhalten, es zu versuchen? Das erste große Erfordernis ist, glaube ich, eine Idee zu einer Geschichte zu haben, und diese habe ich.“
Sie ging noch einige Schritte weiter, erreichte den Tisch, auf dem der Brief lag und legte ihre Hand darauf, während sie ihre Augen immer noch aufmerksam auf Leonards Gesicht geheftet hielt.
„Und was hast du für eine Idee, Rosamunde?“ fragte er.
„Diese“, entgegnete sie. „Die Hauptpersonen meiner Geschichte sind ein junges Ehepaar. Sie sollen einander innig lieben – so innig wie wir, Lenny – und sie sollen demselben Range angehören wie du. Nachdem sie eine Zeit glücklich vermählt gewesen und nachdem sie mit einem Kinde beglückt worden, welches ihre Liebe zueinander noch höher steigert, bricht auf einmal wie ein Donnerschlag aus heiterm Himmel eine furchtbare Entdeckung über sie herein. Der Mann hat zu seiner Gattin eine junge Dame gewählt, welche einen so alten Familiennamen trägt, wie –“
„Wie der deine?“ meinte Leonard.
„Wie der Name der Familie Treverton“, fuhr sie nach einer Pause fort, während welcher ihre Hand rastlos den Brief auf dem Tische hin und her bewegt hatte. „Der Mann ist von guter Geburt – von ebenso guter Geburt wie du, Lenny – und die furchtbare Entdeckung besteht darin, daß sein Weib kein Recht auf den alten Namen hat, den sie trug, als sie heiratete.“
„Liebe Rosamunde, ich kann nicht sagen, daß mir deine Idee gefiele. Deine Geschichte wird den Leser verlocken, sich für ein Weib zu interessieren, welches zuletzt als Betrügerin dasteht.“
„Nein“, rief Rosamunde mit Wärme. „Ein echtes Weib ist sie – ein Weib, welches sich nie zu einem Betrug erniedrigte – ein Weib voll Mängel und Gebrechen, aber eine Freundin der Wahrheit auf alle Gefahren und Opfer hin. Laß mich ausreden, Lenny, ehe du urteilst.“
Heiße Tränen traten ihr in die Augen, aber sie trocknete sie schnell wieder und fuhr fort:
„Diese junge Dame wächst heran und heiratet, völlig unbekannt – merke das wohl – völlig unbekannt mit ihrer eigentlichen Geschichte. Die plötzliche Enthüllung der Wahrheit schmettert sie zu Boden – sie sieht sich von einem Unheil ereilt, an welchem sie keine Schuld hat. Sie wird durch die Entdeckung zermalmt, zerschmettert und fast dem Wahnsinne nahe gebracht. Die Entdeckung bricht über sie herein, während sie keine Stütze hat, als sich selbst. Es steht in ihrer Macht, sie vollkommen ungestraft vor ihrem Gatten geheim zu halten; sie fühlt sich in einem Augenblick furchtbarer Versuchung gleich andern schwachen Sterblichen erschüttert und nahe daran, diese Verheimlichung zu begehen; aber sie überwindet diese Versuchung und sagt, nur auf Antrieb ihres eigenen freien Willens, ihrem Gatten Alles, was sie selbst weiß. Nun, Lenny, wie nennst du dieses Weib. Immer noch eine Betrügerin?“
„Nein, ein Opfer.“
„Welches freiwillig zum Opfertode geht? Und welches auch geopfert werden muß?“
„Das habe ich nicht gesagt.“
„Was würdest du mit ihr machen, Lenny, wenn du ihre Geschichte schriebest? Ich meine, wie würdest du ihren Gatten sich gegen sie benehmen lassen? Es ist dies eine Frage, bei welcher die Natur des Mannes ins Spiel kommt und eine Frau ist daher nicht befähigt, darüber zu entscheiden. Ich weiß deshalb auch nicht, wie ich die Geschichte schließen soll. Wie würdest du sie schließen, Geliebter?“
Bei diesen letzten Worten sank ihre Stimme wehmütig zu ihrem sanftesten, bittendsten Tone herab. Sie trat dicht an ihn heran und wickelte sein Haar liebkosend um ihre Finger.
„Wie würdest du sie schließen, Geliebter?“ wiederholte sie, indem sie sich bückte, bis ihre zitternden Lippen gerade seine Stirn berührten.
Er rückte unruhig in seinem Stuhle hin und her und antwortete:
„Ich bin kein Romanschreiber, Rosamunde.“
„Aber wie würdest du handeln, Lenny, wenn du dieser Mann wärest?“
„Das ist für mich schwer zu sagen“, antwortete er. „Ich besitze nicht deine lebhafte Einbildungskraft, liebe Rosamunde – ich besitze nicht die Fähigkeit, mich sofort in eine Stellung zu versetzen, die nicht die meinige ist, um zu wissen, wie ich in derselben handeln würde.“
„Aber gesetzt, dein Weib wäre dicht bei dir – so dicht wie ich jetzt. Gesetzt, sie hätte dir das furchtbare Geheimnis offenbart und stünde vor dir – so wie ich jetzt stehe – und das Glück ihres ganzen künftigen Lebens hinge von einem einzigen Worte deiner Lippen ab? O, Lenny, du würdest sie nicht mit gebrochenem Herzen zu deinen Füßen niedersinken lassen, nicht wahr nicht? Du würdest wissen, möchte ihre Geburt sein welche sie wollte, daß sie noch dieselbe wäre, welche dich seit dem Tage ihrer Vermählung geliebt und verehrt, und welche dagegen nichts verlangt hätte, als ihr Haupt an deine Brust zu legen und zu hören, daß du sie liebst. Du würdest wissen, daß sei den Mut gehabt, das verhängnisvolle Geheimnis zu offenbaren, weil sie in ihrer Liebe und Treue gegen ihren Gatten lieber verlassen und verachtet sterben, als ihn betrügend leben wollte. Alles dies würdest du wissen, und du würdest der Mutter deines Kindes, dem Weibe deiner ersten Liebe die Arme öffnen, obschon sie vor den Augen der Welt die niedrigste aller Niedriggeborenen wäre. Ja, das würdest du tun, Lenny – ich weiß, du würdest es tun.“
„Rosamunde, wie deine Hände zittern! Wie deine Stimme sich verändert! Du regst dich wegen dieser von dir erdichteten Geschichte auf, als ob du von wirklichen Ereignissen sprächst.“
„Du würdest sie an dein Herz schließen, nicht wahr, Lenny? Du würdest ihr ohne einen Augenblick unwürdigen Zweifels die Arme öffnen?“
„Still! Still! Ja, ich hoffe, ich würde es tun.“
„Du hoffst es! Du hoffst es bloß? O, denke noch ein Mal darüber nach; überlege es dir noch ein Mal und sage, daß du weißt, du würdest es tun.“
„Muß ich, Rosamunde? Nun gut, dann sage ich es hiermit.“
Sie trat, sobald er diese Worte gesprochen, von ihm zurück und nahm den Brief vom Tische.
„Du hast mich noch nicht aufgefordert, Lenny, dir den Brief vorzulesen, den ich in dem Myrtenzimmer gefunden. Jetzt erbiete ich mich aus freiem Antriebe, dies zu tun.“
Sie zitterte ein wenig, als sie diese wenigen, entscheidenden Worte sprach, aber sie sagte sie klar und deutlich, als ob ihr Bewußtsein, daß sie nun unwiderruflich verbunden sei, die Enthüllung zu bewirken, ihr endlich die nötige Kraft gäbe, um allen Gefahren zu trotzen und aller Ungewißheit ein Ende zu machen.
Ihr Gatte wendete sich nach der Stelle, von welcher der Ton ihrer Stimme zu ihm drang, mit einem Ausdruck in seinem Gesicht, der ein Gemisch von Betroffenheit und Überraschung war.
Du gehst so plötzlich von einem Gegenstand auf den andern über“, sagte er, „daß ich kaum weiß, wie ich dir folgen soll. Was um aller Welt willen, Rosamunde, veranlaßt dich mit einem Male, von einem romantischen Streit über eine Situation in einem Roman auf die schlichte, praktische Verrichtung des Vorlesens eines alten Briefes überzuspringen?“
„Vielleicht besteht zwischen diesen beiden Dingen ein engerer Zusammenhang als du vermutest“, antwortete sie.
„Ein engerer Zusammenhang? Was für ein Zusammenhang? Ich verstehe nicht.“
„Der Brief wird das Nähere erklären.“
„Warum der Brief? Warum willst nicht du es erklären?“
Sie warf einen raschen, unruhigen Blick auf sein Gesicht und sah, daß eine Ahnung von etwas Ernstem jetzt zum ersten Male sein Gemüt überschattete.
„Rosamunde“, rief er, „hier waltet ein Geheimnis ob, welches –“
„Zwischen uns beiden gibt es keine Geheimnisse“, unterbrach sie ihn rasch. „Es hat deren nie zwischen uns gegeben, Geliebter, und es wird drene keine geben.“
Sie bewegte sich ein wenig näher zu ihm hin, um ihren alten Lieblingsplatz auf seinem Knie einzunehmen, tat sich aber plötzlich Einhalt und kehrte wieder an den Tisch zurück. Warnende Tränen in ihren Augen hießen sie ihrer eigenen Festigkeit mißtrauen und den Brief da lesen, wo sie nicht das Herz ihres Gatten klopfen fühlte.
„Sagte ich dir“, hob sie wieder an, nachdem sie einen Augenblick gewartet, um sich zu fassen, „wo ich das zusammengefaltete Papier fand, welches ich in dem Myrtenzimmer in deine Hand gab?“
„Nein“, entgegnete er, „ich glaube nicht.“
„Ich fand es auf der Rückseite des Rahmens jenes Bildes – des Bildes der gespenstischen Frau mit dem bösen Gesicht. Ich öffnete das Papier sofort und sah, daß es ein Brief war. Die Adresse inwendig, die erste Zeile unter derselben und eine der beiden Unterschriften, die es enthielt, waren von einer mir bekannten Hand.“
„Von wessen Hand?“
„Von der Hand der verstorbenen Mistreß Treverton.“
„Deiner Mutter?“
„Der verstorbenen Mistreß Treverton.“
„Mein Gott, Rosamunde, warum sprichst du auf diese Weise von ihr?“
„Laß mich lesen und du wirst es erfahren. Ich möchte es lieber lesen als sagen. Du hast mit meinen Augen gesehen wie das Myrtenzimmer aussieht; du hast mit meinen Augen jeden Gegenstand gesehen, den mein Nachsuchen darin ans Licht brachte, du mußt nun auch mit meinen Augen sehen, was dieser Brief enthält. Es ist das Geheimnis des Myrtenzimmers.“
Sie neigte sich dicht auf die verschlossene, verblichene Schrift herab und las folgende Worte:
„An meinen Gatten.
Wir scheiden auf immer, Arthur, und ich habe nicht den Mut gehabt, unsern Abschied durch das Geständnis zu verbittern, daß ich dich hintergangen habe – grausam und niedrig hintergangen. Noch vor wenigen Minuten weintest du an meinem Bett und sprachst von unserm Kinde. Mein betrogener, mein geliebter Gatte, die Tochter deines Herzens ist nicht dein, ist nicht mein. Sie ist ein Kind der Liebe, welches ich für das deine ausgegeben. Ihr Vater war ein Bergmann in Porthgenna, ihre Mutter ist meine Zofe, Sara Leeson.“
Rosamunde schwieg, aber hob ihre Augen nicht von dem Briefe empor. Sie hörte, wie ihr Gatte plötzlich seine Hand auf den Tisch legte; sie hörte wie er vom Stuhle in die Höhe fuhr, sie hörte wie er rasch und keuchend aufatmete; sie hörte wie er einen Augenblick darauf mit sich selbst sprechend flüsterte:
„Ein Kind der Liebe!“
Mit furchtbarer, qualvoller Deutlichkeit hörte sie diese Worte. Der Ton, in welchem er sie flüsterte, machte ihr das Blut erstarren. Aber sie bewegte sich nicht, denn es gab noch mehr zu lesen, und so lange es noch mehr zu lesen gab, wäre sie, selbst wenn ihr Leben davon abgehangen hätte, nicht im Stande gewesen, aufzublicken.
Im nächsten Augenblick fuhr sie fort und las die folgenden Zeilen:
„Ich habe viele schwere Sünden zu verantworten, Arthur, aber diese eine mußt du mir verzeihen, Arthur, denn ich beging sie aus Liebe zu dir. Diese Liebe verriet mir ein Geheimnis, welches du vor mir zu verbergen suchtest. Diese Liebe sagte mir, daß dein unfruchtbares Weib nie eher dein ganzes Herz besitzen würde, als bis sie dir ein Kind geboren, und deine Lippen bestätigten es. Deine ersten Worte, als du von deiner Seereise zurückkamst und als das Kind in deine Arme gelegt ward, waren: „Niemals, Rosamunde, habe ich dich so geliebt, wie ich dich jetzt liebe!“ Hättest du dies nicht gesagt, so hätte ich nie mein strafbares Geheimnis vor dir verbergen können.“
„Ich kann weiter nichts hinzufügen, denn der Tod rückt mir immer näher. Wie der Betrug begangen ward, und welche Beweggründe ich noch dazu hatte, muß ich der Mutter des Kindes überlassen, dir zu sagen; ich habe ihr zur Pflicht gemacht, dies zu tun. Ich weiß, du wirst barmherzig gegen das arme kleine Wesen sein, welches meinen Namen trägt. Sei auch barmherzig gegen die unglückliche Mutter, die kein anderes Verbrechen begangen, als daß sie mir zu blindlings gehorcht hat. Wenn es etwas gibt, was die Bitterkeit meiner Reue mildern kann, so ist es die Erinnerung, daß mein Betrug das treueste und liebevollste Weib vor einer Schande bewahrte, die es nicht verdient hatte. Gedenke meiner und verzeihe mir, Arthur. Worte können sagen, wie ich an dir gesündigt, aber niemals können Worte sagen, wie ich dich geliebt habe.“
So weit hatte sie sich hindurchgekämpft und war bis zur letzten Zeile auf der zweiten Seite des Briefes gekommen, als sie wieder Halt machte, um dann die erste der beiden Unterschriften – „Rosamunde Treverton“ – zu lesen. Sie sprach mit matter Stimme zwei Silben des vertrauten Taufnamens – des Namens, der zu jeder Stunde des Tages auf den Lippen ihres Gatten war – und bemühte sich auch die zwei letzten auszusprechen, aber die Stimme versagte ihr.
Alle jene geheiligten häuslichen Erinnerungen, welche dieser grausame Brief für immer entweiht, schienen sich in einem und demselben Augenblick von ihrem Herzen loszureißen.
Mit leisem Gestöhn ließ sie ihre Arme auf den Tisch niedersinken und legte ihr Haupt darauf und verbarg ihr Gesicht. Sie hörte nichts – sie schien nichts mehr zu denken, bis sie eine Berührung an ihrer Schulter fühlte – eine leichte Berührung von einer Hand, welche zitterte. Jeder Puls ihres Körpers schlug rascher und sie blickte auf.
Ihr Gatte hatte sich bis zu ihr an den Tisch getastet. Tränen schimmerten in seinen trüben, der Sehkraft beraubten Augen.
Als Rosamunde sich erhob und ihn berührte, öffneten sich seine Arme und schlossen sich dann fest um sie.
„Meine Rosamunde!“ rief er, „komm zu mir und sei getrost!“
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