Herr Lismore und die Witwe
III.
Der Herr, welcher so dringlich um eine Unterredung ersucht hatte, war ein vertrauter Freund, welcher ein Mittel gefunden hatte, um Ernst Lismore aus seiner ernsten Geschäftskrisis zu retten. Es war der Wahrheit gemäß ausgesprengt worden, dass er in Geldverlegenheiten sei, die er dem Bankrott eines Handlungshauses zuzuschreiben hatte, mit welchem er in enger Beziehung gestanden hatte. Unsichere Gerüchte, welche seine eigene Zahlungsfähigkeit anzweifelten, waren dem Bankrott der Firma gefolgt. Er hatte sich schon bemüht, Geldvorschüsse unter den gewöhnlichen Bedingungen zu erlangen und man war ihm mit Ausflüchten begegnet. Sein Freund war nun mit einem Empfehlungsbrief an einen Kapitalisten angekommen, welcher in Handelskreisen wegen seiner kühnen Spekulationen und wegen seines großen Reichtums wohlbekannt war.
Als Lismore auf den Brief blickte, bemerkte er, dass das Kouvert versiegelt war. Trotz dieser bedenklichen Neuerung eines feststehenden Herkommens bei persönlichen Empfehlungen überreichte er doch den Brief. Aber diesmal wurde er nicht mit Entschuldigungen abgewiesen. Der Kapitalist lehnte es rundweg ab, die Wechsel von Herrn Lismore zu diskontieren, wenn sie nicht durch zahlungsfähige Namen gedeckt seien.
Lismore machte eine letzte Anstrengung. Er wandte sich um Hilfe an zwei Geschäftsleute, welchen er in ihren Schwierigkeiten geholfen hatte und deren Namen dem Geldverleiher genügt haben würden. Sie bedauerten aufrichtig – aber auch sie lehnten ab. Die einzige Sicherheit, welche er anbieten konnte, war, das konnte er nicht leugnen, von zweifelhaftem Werte.
Er brauchte 20.000 Pfund und konnte als Bürgschaft ein heimwärts bestimmtes Schiff mit Ladung stellen. Aber das Fahrzeug war nicht versichert, und es war bei der stürmischen Jahreszeit schon mehr als einen Monat fällig. Konnten dankbare Geschäftsfreunde getadelt werden, wenn sie die Pflicht der Erkenntlichkeit vergaßen, als sie einem Kaufmann in dieser Lage eine Geldhilfe gewähren sollten? Lismore kehrte ohne Geld und Kredit auf sein Bureau zurück. Ein vom Untergange bedrohter Mann ist in keinem Gemütszustande, um einer Einladung zum tee bei einer Dame zu folgen. Lismore sandte an Frau Callender eine Entschuldigung, dass er durch äußersten Drang der Geschäfte verhindert sei, der Einladung Folge zu leisten.
»Soll ich auf eine Antwort warten, Herr Lismore?« fragte der Bote.
»Nein, Sie sollen nur den Brief übergeben.«
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