Die Heirat wider Willen



I

Die Gäste würden sich über ihren Besuch im Landhause des Baron Peter gefreut haben — wäre nicht Herr Cosway gewesen.

Und was die Sache noch schlimmer machte, nicht Herr Cosway war es, sondern die Gäste, die zu tadeln waren. Sie wiederholten in größerem Maßstabe die alte Geschichte von Adam und Eva. Die Frauen sündigten zuerst, und sie waren es, die dann die Männer verführten.

Herr Cosways schlimmster Feind hätte nicht leugnen können, dass er ein schöner, wohlerzogener, anspruchsloser Mann war. Kein Geheimnis irgendwelcher Art heftete sich an seine Person. Er hatte den Dienst in der Marine als seinen Beruf erwählt — war dessen aber nach einer Dienstzeit von einigen Jahren überdrüssig geworden — und lebte nun von dem bescheidenen Einkommen, das ihm nach dem Tode seiner Eltern zuteil geworden war. Aus diesem wenig versprechenden Material baute nun die lebhafte Phantasie der Frauen einen Roman auf. Die Männer machten nur die Wahrnehmung, dass Herr Cosway ziemlich schweigsam und gedankenvoll sei, dass er es mit dem Lachen nicht eilig habe und dass er lange Spaziergänge allein zu machen pflege.

Harmlose Gewohnheiten sicherlich!

Und doch erregten sie die Neugier der Frauen als Zeichen eines Geheimnisses in Cosways vergangenem Leben, in dem irgendein unbekanntes, geliebtes Wesen eine Hauptrolle gespielt haben musste.

Natürlich näherte sich ihm weiblicher Einfluss vorsichtig auf Umwegen und versuchte, ihn dazu zu bringen, sein Herz zu öffnen und die Geschichte seines Kummers zu erzählen. Aber mit vollendeter Höflichkeit wies er die Neugier zurück und behielt das vermutete Geheimnis für sich. Das schönste Mädchen im Hause wäre bereit gewesen, mit seinem Vermögen sich ihm zum Troste anzubieten, wenn dieser unergründliche Junggeselle sie nur in sein Vertrauen hätte ziehen wollen. Er lächelte traurig und ging im Gespräche auf einen anderen Gegenstand über.

Nachdem die Frauen in ihren Hoffnungen bis jetzt getäuscht worden waren, nahmen sie zu einem anderen Hilfsmittel ihre Zuflucht.

Einer der im Hause sich aufhaltenden Gäste, ein ehemaliger Offizier in der Marine und ein Kamerad Cosways war sein intimer Freund. Dieser wurde nun ebenfalls in vorsichtiger Weise ausgeforscht, wie es bereits bei seinem Freunde erfolglos geschehen war. Mit unerschütterlicher Gemütsruhe aber verwies er die Damen, eine nach der anderen, an Herrn Cosway. Sein Name war Stein, und die Damen waren der Meinung, dass er dieses Namens würdig sei.

Das letzte Hilfsmittel, das unseren schönen Freundinnen übrig blieb, war, das schlummernde Interesse der Männer zu wecken und dem intimen Verkehr des Rauchzimmers die Aufklärung zu überlassen, die sie auf andere Weise nicht zu erlangen vermochten.

Bei der Ausführung dieses Vorhabens verdankten sie den außerordentlichen Erfolg, der ihre Anstrengungen belohnte, einer günstigen Lage der Dinge im Hause: die Jagd war unergiebig, der Billardtisch wurde einer Ausbesserung unterzogen, und unter den Gästen gab es nur zwei wirklich geschickte Whistspieler. In einer solchen Atmosphäre der Langeweile wurden die Männer nicht allein von der Neugier der Frauen ergriffen, nein, sie zeigten sogar das Verlangen, dem Geschwätz der Dienstbotenstube zu lauschen, das dann von den Kammerjungfern auch ihren Herrinnen hinterbracht wurde.

Es dauerte nicht lange, und die Folgen einer solchen wirklich niedrigen Gesinnung zeigten sich deutlich.

Wäre nicht ein günstiges Ereignis eingetreten, so würde Herr Cosway, als er an einem Morgen die Gesellschaft beim Frühstück traf, wahrgenommen haben, bis zu welchem Grade von unanständiger Neugier Müßiggang und Torheit auch solche Leute führen kann, die zu den Gebildeten gezählt sein wollen. Die Zeitungen liefen ein, ehe noch die Gäste sich vom Tische erhoben hatten. Baron Peter überreichte eine davon der Dame, die ihm zur Rechten saß.

Es bedarf nicht der Erwähnung, dass sie zuerst nach der Liste der Geburten, Sterbefälle und Heiraten sah; dann aber wandte sie sich zu den allgemeinen Neuigkeiten — Feuersbrünsten, Unglücksfällen, Reisen von Personen aus höheren Ständen u.s.w. Nach einigen Minuten ließ sie die Zeitung unwillig in den Schoß fallen.

»Hier ist noch ein unglücklicher Mann« sagte sie, »der der Dummheit der Frauen geopfert worden ist! Wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre, ich würde die Kunst des Schwimmens dazu benutzt haben, mich zu retten, und hätte es den Frauen überlassen, auf den Grund des Stromes zu fahren, wie sie es verdienten!«

»Vermutlich ein Unfall auf einem Boote?« sagte Baron Peter.

»Ach ja — die alte Geschichte. Ein Herr nimmt zwei Damen in ein Boot. Diese werden nach einer Weile unruhig und fühlen das unsinnige Verlangen, die Plätze zu wechseln. Das Boot stürzt natürlich um, und der arme Mann, der sie zu retten versucht, ertrinkt mit ihnen trotz

aller seiner Anstrengungen. Abscheulich! Abscheulich!«

»Sind Namen genannt?«

»Ja. Sie sind mir alle fremd; ich spreche nur von der Sache.«

Indem die Dame derart ihre Meinung äußerte, händigte sie unwillig die Zeitung an Cosway aus, der ihr zufällig am nächsten saß. »Als Sie in der Marine dienten« fuhr sie fort, »war sicherlich Ihr Leben auch der Gefahr ausgesetzt, wenn Sie Frauen ins Boot nahmen. Lesen Sie es selbst und lassen Sie sich’s für die Zukunft zur Warnung dienen.«

Herr Cosway überblickte den Bericht des Vorfalls — und tat das romantische Geheimnis seines Lebens in dem ergebungsvollen Ausruf kund: »Gott sei Dank, meine Frau ist ertrunken!«

II

Wenn ich sage, dass Baron Peter und seine Gäste vor Erstaunen sprachlos waren, als sie auf diese Weise erfuhren, dass Herr Cosway ein verheirateter Mann sei, so habe ich damit noch sehr wenig gesagt.

Der allgemeine Eindruck schien der zu sein, dass er verrückt sei. Seine Tischnachbarn zogen sich, mit Ausnahme seines Freundes, alle von ihm zurück. Herr Stein blickte auf die Zeitung, drückte Herrn Cosway in stiller Teilnahme die Hand — und wandte sich an den Gastgeber.

»Erlauben Sie mir, dass ich für meinen Freund spreche« sagte er, »bis er die nötige Ruhe gefunden hat, für sich selbst einzutreten. Die Umstände sind so außergewöhnlicher Art, dass ich annehmen darf, ihn durch sie entschuldigt zu sehen. Wollen Sie uns erlauben, mit Ihnen privatim zu sprechen?«

Baron Peter öffnete, indem er sich mit einer Entschuldigung an seine Gäste wandte, die Tür, die zu seiner Studierstube führte. Herr Stein nahm Herrn Cosways Arm und ging mit ihm aus dem Zimmer. Cosway achtete auf niemand, sprach mit niemand — und bewegte sich nur mechanisch fort wie ein Nachtwandler.

Nach Verlauf einer Stunde, für die Zurückbleibenden eine unerträgliche Zeit, kehrte Baron Peter allein in das Frühstückszimmer zurück. Herr Cosway und Herr Stein waren mit ihres Gastgebers vollständigem Einverständnis bereits nach London abgereist.

»Es ist in mein Belieben gestellt« fuhr Baron Peter fort, »Ihnen wieder zu erzählen, was ich in meiner Studierstube gehört habe. Ich will dies tun unter der einen Bedingung — dass Sie alle sich auf Ehrenwort verpflichtet betrachten, die wahren Namen und die wirklichen Orte nicht zu nennen, wenn Sie die Geschichte anderen erzählen.«

Unter diesem klugen Vorbehalte wird die Geschichte hier von einem aus der Gesellschaft wieder erzählt. Dieser findet, wenn er darüber nachdenkt, wie er seine Aufgabe aufs vorteilhafteste lösen könne, dass die Ereignisse, welche Herrn Cosways unglücklicher Heirat vorausgingen und ihr folgten, sich in gewisse wohlmarkierte Teile bringen lassen. Indem er diese Einteilung zu Grunde legt, erzählt er die Geschichte wie folgt:


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