In der Dämmerstunde

Die Erzählung des Reisenden von dem entsetzlichen fremden Bett



Das entsetzliche fremde Bett

Bald nachdem meine Universitätsbildung vollendet war, traf ich zufällig mit einem Freunde aus England in Paris zusammen; Beide jung und lebenslustig, genossen wir in vollen Zügen die Vergnügungen der Weltstadt. Eines Abends streiften wir in der Nähe vom Palais Royal umher, unentschlossen, welches Vergnügen wir aufsuchen sollten ; mein Freund schlug einen Besuch bei Frascati vor, allein ich hatte nicht Lust, dahin zu gehen; denn ich war es überdrüssig, diese übertünchten Menschen und unreellen Vergnügungen an mir vorüber gehen zu lassen; ich kannte ja Frascati in und auswendig und war ermüdet von diesem vornehmen Spielhaus

»Um des Himmelswillen,« sagte ich zu meinem Freunde, »lass uns doch einmal zu natürlicheren Menschen gehen, zu solchen, welche um des Vergnügens wegen spielen, nicht aber um leicht Geld zu gewinnen; zu einfachen Menschen; weit, weit fort von dem fashionablen Frascati!«

»Gut,« erwiderte mein Freund, »wir werden uns in die Nähe von Palais Royal begeben, dort wirst Du die gewünschte Gesellschaft finden. Hier dicht vor uns ist ein solcher Ort, welcher genau dem entspricht, wo Du Dich hin-sehnst« In einer Minute war die Tür erreicht und wir traten in das Haus, dessen Rückseite in Ihrer Skizze zu sehen ist.

Nachdem wir die Treppen erstiegen und dem Garderobier unsere Hüte und Stöcke gegeben hatten, wurden wir in den Spielsaal eingelassen. Es waren nicht viele Personen anwesend; aber diese wenigen waren die bemitleidenswertesten Typen aus ihrer Klasse. Wir hatten nur einfache Menschen aus der unteren Klasse sehen wollen, aber diese Menschen hier waren etwas Schlimmeres. —

Wir wollten komische Skizzen sammeln, aber hier spielte sich nur eine stumme, höchst traurige Tragödie ab. Die vollständige Stille in dem Zimmer war schrecklich. Jener hagere, langhaarige junge Mann mit den tief eingefallenen Augen, bewachte stumm das Umschlagen der Karten. Dieser schlaffe, fettwangige Falschspieler, welcher genau aufschrieb, wie oft schwarz verlor und rot gewann, sprach ebenfalls kein Wort. Dort, der alte schmutzige, runzliche Mann mit den Geieraugen und dem geflickten grünen Rock, welcher seinen letzten Sou verloren hatte und nun verzweiflungsvoll zusah, da er nicht mehr spielen konnte, schwieg auch. Nur die Stimme des Croupiers tönte durch den stillen Raum.

Ich hatte einen solchen Ort ausgesucht, um darin einmal froh zu lachen, aber das Schauspiel, welches sich nun hier vor meinen Augen entrollte, war eher geeignet, darüber zu weinen. Ich musste mich von der seltsamen Stimmung befreien, die mich ergriffen hatte; ich ging zum Tisch und fing an zu spielen.

Doch ich sollte noch andere Dinge erleben, denn ich gewann, gewann unaufhörlich; schon bildeten die Spieler eine dichte Gruppe um mich und stierten auf meinen Gewinn mit hungrigen, misstrauischen Blicken, und Einer wisperte dem Andern zu, dass der Engländer die Bank sprengen werde.

Das Spiel hieß Rot und Schwarz. Ich hatte es in vielen Städten Europas gespielt, jedoch ohne es genau zu kennen und man sagt doch, dieser Umstand sei der Glücksstern aller Spieler. Ein Spieler in des Wortes eigentlicher Bedeutung war ich bis dahin überhaupt nicht; mein Spiel war stets nur ein Zeitvertreib gewesen, ich habe es niemals aus Gewinnsucht ausgeübt, denn ich kannte nie den Wunsch, Geld zu besitzen. Kurz, ich hatte stets die Spielsäle so besucht, wie die Ballsäle und die Oper, nur um mich zu amüsieren in meinen Mußestunden. Aber durch diese Fülle des Gewinns änderte sich augenblicklich Etwas in mir; erst war ich erstaunt, dann aber berauscht von dem vorliegenden Gelde. Je sorgloser ich einsetzte, je mehr gewann ich. Zuerst wagten es einige Anwesenden auf meine Farbe zu setzen, aber ich vertrieb sie bald alle mit meinen enorm hohen Einsätzen, und zuletzt sahen sie nur noch in aller Stille meinem Spiele zu.

Meine Einsätze wurden immer größer und noch immer gewann ich unaufhörlich. Das tiefe Schweigen wurde dann und wann durch Ausrufe des Erstaunens in verschiedenen Sprachen unterbrochen, wenn sich die Flut des Goldes vor mir immer höher auftürmte und selbst der sonst so unerschütterliche Croupier blieb nicht gleichgültig bei meinen Erfolgen.

Nur mein Freund bewahrte seine Selbstbeherrschung er trat zu mir heran und flüsterte mir zu, ich möge mich mit dem gemachten Gewinn schnell zurückziehen; diese Warnung ließ er einige Male an mich ergehen; allein da er sah, dass ich ihm kein Gehör schenkte, verließ er den Saal und ging fort.

Kurz nachdem er sich entfernt hatte, rief eine heisere Stimme hinter mir. »Erlauben Sie mir, mein Herr, dass ich die beiden Goldstücke, welche Sie fallen ließen, zurück gebe. — Auf mein Ehrenwort, Herr! ich sah noch nie in meinem langen Leben, Jemand mit so viel Glück spielen. Tausend Sapperment! Machen Sie es noch bessert Sprengen Sie die Bank!« — Ich drehte mich um, und erblickte einen großen Mann mit einem Uniformrock bekleidet, der mir freundlich zunickte. Wäre ich meiner Sinne ganz mächtig gewesen, so hätte ich mich mehr mit seiner Persönlichkeit beschäftigt. Er hatte das Aussehen eines alten Soldaten; seine Augen waren gerötet, seine Nase zerquetscht, der Schnurrbart groß und militärisch geordnet, seine Stimme war ganz für den Kommandoton geschaffen, doch seine Hände waren vielleicht die unsaubersten in ganz Frankreich; diese sonderbare Persönlichkeit störte mich aber in diesen Augenblicken durchaus nicht, denn ich war in der Trunkenheit meines Glückes geneigt, die ganze Welt zu umarmen. Ich nahm die Dose an, welche der Soldat mir reichte und schnupfte daraus, klopfte ihm auf den Rücken und versicherte ihm, dass ich ihn für den ausgezeichnetsten Menschen der Welt halte, ja, für den ruhmreichsten Soldaten der großen Armee. Der Alte schnippte mit den Fingern und munterte mich noch einmal auf, die Bank zu sprengen.

Und ich befolgte seinen Rat und gewann so unerhört, dass der Croupier nach einer Viertelstunde ausrief: »Meine Herren, die Bank ist für heute aufgehoben!«

Alles Papiergeld und Gold der Bank lag in einem großen Haufen unter meinen Händen, das ganze Kapital des Spielhauses war also dazu bestimmt in meine Taschen zu wandern.

»Binden Sie doch das Geld in Ihr Taschentuch,« sagte mein militärischer Freund, als er sah, dass ich mit den Händen in dem Golde wühlte. »Machen Sie es nur mit dem Golde, wie wir es in der Armee mit den Resten des Mittagsmahles machten; Ihr Gewinn ist zu gewichtig für schwache Taschen.« — Ich breitete mein Taschentuch aus und brachte meinen Gewinn darin unter. »Ha, schon wieder ein Goldstück auf der Erde!« rief mein Ratgeber aus, und hob mit verschiedenen Scherzworten begleitet, den Napoleonsd’or von dem Fußboden auf. »So Herr, nun noch fest zugebunden und das Geld ist in Sicherheit,« fügte er hinzu. »Fühlen Sie nur, der ganze Ballen Geld ist fest und hart wie eine Kanonenkugel; ja, wenn man uns bei Austerlitz noch mit solchen Kugeln traktiert hätte.«

»Was werde ich aber jetzt unternehmen?«

»Nichts Einfacheres als meinen werten englischen Freund zu bitten, nun noch, nach seinem immensen Glück, eine Flasche Champagner mit mir zu trinken, um Fortuna hochleben zu lassen.«

Wir setzten uns zu Tische und ließen alle Welt hochleben, selbst Frau und Töchter des Croupiers, dann alle Frauen der Erde, Fortuna mit inbegriffen. Ich fühlte, dass der Wein wie Feuer durch meine Adern rann, mein Kopf brannte heftig, nie hatte der Wein solchen Einfluss auf mich ausgeübt, war ich unwohl oder war der Champagner wirklich so außerordentlich stark?

Doch ich rief trotzdem noch nach einer dritten Flasche, als zwei bereits leer vor uns standen. Der alte Soldat schüttelte jedoch den Kopf, legte seine schmutzigen Finger an seine zerquetschte Nase und empfahl feierlich: »Kaffee, mein Freund, Kaffee!« und stand auf, welchen zu verlangen.

Diese Worte des alten »Helden von Austerlitz« schienen eine zauberhafte Wirkung auf alle Anwesenden auszuüben, denn sie entfernten sich sogleich Einer nach dem Andern. Wahrscheinlich hatten sie gehofft, ich würde mich in meiner Freude so betrinken, dass sie schließlich willkürlichen Anteil an meinem Gewinn nehmen konnten, da sie nun aber sahen, dass sich der Alte zu meinem Schutzgeist gemacht hatte, gaben sie ihre Hoffnung auf. Als der alte Soldat zurückkehrte, waren wir nur noch allein in dem Zimmer anwesend; doch ich bemerkte, dass der Croupier, in einem Vorzimmer saß und schweigend seine Abendmahlzeit hielt, sonst war Alles wieder still und ruhig geworden.

Mit einem Male begann mein Schutzgeist flüsternd: »Hören Sie, mein Freund, ich habe eben mit der Wirtin, die ein wahres Wunder der Kochkunst ist, gesprochen und sie beauftragt, uns einen vorzüglichen Kaffee zu bereiten. Sie müssen diesen Kaffee trinken, damit sich Ihr aufgeregter Kopf wieder ein Wenig sammele, denn es ist sehr gewagt, — mit so vielem Gelde in der Nacht nach Hause zu gehen. Es haben viele der hier anwesend Gewesenen Ihrem Glück im Spiel beigewohnt; — es waren zwar, wie ich glaube, alle gutmütige Menschen, aber — Jeder hat seine schwachen Seiten. Sie verstehen mich doch? Wenn Sie sich dann erfrischt haben, so, rate ich, schicken Sie um einen Wagen, setzen sich mit Ihrem Gelde hinein und befehlen dem Kutscher, dass er nur durch die hellerleuchteten Straßen fahre. Folgen Sie mir; denn nur in dieser Weise werden Sie mit Ihrem Gelde sicher in Ihre Wohnung anlangen und — morgen werden Sie dem alten Soldaten dankbar sein, dass er Ihnen diesen Rat gegeben hat.«

Als der Alte geendigt hatte, kam der Kaffee, schon sorgfältig in zwei Tassen eingegossen. — Ich hatte Durst und trank die Tasse mit einem Zuge leer. Doch kaum hatte ich sie niedergesetzt, als mir ganz sonderbar zu Mute ward. Ein heftiger Schwindel ergriff mich, ich stand aus und ergriff die Lehne meines Stuhles, doch das ganze Zimmer drehte sich kreisförmig, so schien es mir, und ich fühlte mich außerordentlich unwohl, so unwohl dass ich nicht wusste, wie ich nach Hause kommen würde.

»Mein teurer Freund,« hob mein Nachbar wieder an, »Sie können unmöglich in diesem Zustande nach Hause gehen; ich schlage vor, bleiben Sie hier. Ich bleibe auch hier. Man wird Ihnen hier ein prächtiges Bett überlassen und dann schlafen Sie ungestört aus und morgen, bei hellem Tageslicht, tragen Sie denn Ihren Schatz sicher heim.«

Ich hatte nur noch zwei Gedanken, erstlich, dass ich mein Taschentuch mit dem Gelde nicht aus den Händen lassen dürfe und zweitens, dass ich mich sofort niederlegen müsse. So nahm ich nun den Rat des Alten an, stützte mich auf seinen Arm und nahm mein Geld in die Hand; so brachen wir auf. Der Croupier ging, zufällig wahrscheinlich mit uns. Wir durchschritten Gänge und stiegen einige Treppen hinauf, bis wir endlich zu dem Zimmer gelangten, welches für mich bereitet war; der alte Soldat schüttelte mir noch warm die Hand, sagte, dass wir zusammen frühstücken würden und dann, nachdem er mir herzlich gute Nacht gewünscht hatte, verließ er mich. Der Croupier hatte uns ebenfalls begleitet und ging nun mit meinem neuen Freunde fort. Als ich allein war, begab ich mich zu dem Waschtisch und wusch mir das Gesicht, trank dann eine starke Portion frisches Wasser und setzte mich nieder; bald fühlte ich mich nun auch etwas wohler. Die dumpfe Luft in dem Spielzimmer, das grelle Gaslicht, die Aufregung, alles dies hatte mich in den Zustand versetzt. Jetzt aber hatte das erquickende Wasser, die bessere Luft und das milde Licht meiner Kerze so günstig aus mich eingewirkt, dass ich zu überlegen anfing und mir sagte, es sei wohl gewagt, die Nacht in einem Spielhaus zuzubringen, doch noch gewagter sei es, mit der Summe, die ich nun mein nannte, durch die Straßen von Paris zu gehen. Auf meinen Reisen hatte ich ja an noch schlechteren Orten geschlafen. Ich verrammelte dann meine Tür sorgfältig; danach blickte ich noch unter mein Bett und den Schrank, untersuchte die Festigkeit der Fenster und nachdem ich nun alle die Vorsichtsmaßregeln angewendet hatte, entledigte ich mich der Oberkleider, stellte das Licht in die Asche des Kamins und legte mich, mit meinem Gelde unter dem Kopfkissen nieder.

Bald fühlte ich, dass ich nicht einschlafen konnte, ja dass ich nicht einmal meine Augen schließen konnte, ich fühlte, dass ich eine Art Fieberanfall hatte. Meine Glieder zitterten und jeder meiner Sinne schien geschärft zu sein.

Ich warf mich hin und her, legte mich mit dem Kopfe an das Fußende des Bettes und versuchte alle nur möglichen Lagen, doch es blieb vergeblich und ich wusste, dass die Nacht eine schlaflose sein würde.

Wenn ich nur wenigstens ein Buch gehabt hätte, um die Zeit mit Lesen zu verbringen; aber es blieb mir nichts Anderes übrig, als mich mit dem üblen Zustande meiner Nerven zu beschäftigen.

Ich stützte mich auf den Ellenbogen und blickte im Zimmer herum, welches von dem Mondlichte sanft erleuchtet war und gestattete, dass ich die Bilder und die Gegenstände darin unterscheiden konnte. Als meine Blicke so von Wand zu Wand liefen, erinnerte ich mich an Le Maisrtes köstliches kleines Buch, betitelt: »Die Reise durch mein Zimmer.« Ich beschloss, dem französischen Schriftsteller nachzuahmen und die Gegenstände in meinem Zimmer einer Prüfung zu unterwerfen, um mich in dieser Weise während meiner Schlaflosigkeit zu beschäftigen. Aber bis zum Reflektieren vermochte ich mich bei dem Zustande meiner Nerven nicht zu erheben, ich betrachtete nur die Gegenstände und sonst nichts.

Da war nun zunächst das Bett, in welchem ich lag, mit seinen vier Pfosten, seinen Vorhängen und seinem hohen Giebel, ein echt englisches Bett. Dann der Waschtisch mit der Marmorplatte, von welchem das Wasser, welches ich vergessen hatte, noch immer langsam und langsamer hinunter tropfte; dann die beiden Stühle, auf welchen meine Kleider lagen; ferner ein mit schmutzigen weißen Bezügen versehener Armstuhl, über dessen Lehne mein Kragen und mein Halstuch lagen. Ferner erblickten meine umherschweifenden Blicke eine Art Kommode mit zwei oder drei Leuchtern darauf und einem zerbrochenen Schreibzeug von chinesischem Porzellan; dann sah ich den Toilettentisch mit einem kleinen Spiegel und einem großen Nadelkissen. Das Fenster des Zimmers war außergewöhnlich breit, und das Mondlicht, welches durch dasselbe herein kam, zeigte mir ein altes dunkel gewordenes Gemälde an der Wand; es stellte einen jungen Mann dar, welcher einen hohen spanischen Hut auf hatte, der mit Federn geschmückt war. Der Mann hielt seine Hand über den Augen und blickte, als ob ihn etwas blendete, in die Höhe. Dieses Gemälde zwang mich, an ihm haften zu bleiben, es schien, als blicke das Gesicht nach der Spitze meines Bettes. — Ich zählte die Federn an dem Hut, drei weiße, zwei grüne; dann bewunderte ich wieder die Spitze an dem Hut, danach sein fortwährendes Hinaufblicken; er schien mir so gespannt hinauf zu blicken, als sehe er den Galgen und erwarte, in jedem Augenblick gehenkt zu werden. Erst hatte ich ihn für Jemand gehalten, der zum Firmament aufschaut, aber so verzweiflungsvoll konnte nur der aussehen, der gerichtet zu werden fürchtet. Gewiss wird der Henker den schönen Federhut bekommen, phantasierte ich weiter und zählte dann aufs Neue: zwei grüne, drei weiße Federn. — Meine Gedanken wurden durch das sanfte Mondlicht an eine längst vergangene Mondlichtnacht in England erinnert, an die ich fast nie wieder gedacht hatte, seitdem sie vorüber war; und nun hier in dem Spielhaus auf französischer Erde, vergegenwärtigte sich mir die vergangene Nacht so lebhaft, dass ich Ort, Personen und Unterhaltung so vor mir sah, als wie damals, wo dies an mir vorübergegangen war, und dies Alles brachte mir das schwache Mondlicht hervor, welches durch mein Fenster strömte.

Ich dachte daran, wie ich in lustiger Gesellschaft in jener Nacht von einem Picknick heimkehrte, und erinnerte mich auch noch der jungen sentimentalen Dame, welche durchaus Childe Harold anführen wollte, weil der Mond dazu einlud.

Was erblickte ich aber auf ein Mal!

Gott! Gott! der Mann auf dem Bilde hat seinen Federhut bis zu den Augenbrauen herab gezogen! Der Hut war hinunter gerutscht, wo waren die Spitzen, die Federn? An der Stelle des Hutes befand sich ein dunkler Gegenstand, waren es die Augen, die Stirn, oder die Hand, welche die Augen früher zu beschatten schien? Aber, bewegte sich denn mein Bett?

Ich drehte mich herum. Was hatte ich denn gemacht? Träumte ich? war ich betrunken? oder bewegte sich das Bett in der Tat? Die Bettdecke des Bettes sank, sanft, regelmäßig, lautlos, schrecklich auf mich herab. — Mein Blut schien erstarrt, eine furchtbare Kälte lähmte meine Glieder, ich ließ mein Haupt auf das Kissen zurückfallen und blickte nach dem Bilde.

Und, o Wunders Jetzt sehe ich nur noch die Weste von der Figur, aber auch diese verschwand, bis — bis ich endlich nichts mehr von ihr sehen konnte.

Ich bin nicht furchtsam, habe oft mein Leben Gefahren ausgesetzt, aber nie empfand ich etwas Ähnliches, als in den Augenblicken, wo ich sah, wie sich die Decke von dem schweren Bette auf mich senkte; ein panischer Schrecken hatte mich ergriffen, ich lag noch immer atemlos, sprachlos, bewegungslos da. Das Licht erlöschtes nun auch so eben, aber das Mondlicht glänzte noch hell. Die Decke, welche dazu bestimmt schien, mich unter ihrer Wucht zu begraben, kam langsam noch näher und immer fester schien ich auf der Stelle fest-gebannt, wo ich lag; schon spürte ich den Staub, der oben gelegen hatte, in meine Nasenlöcher dringen. Aber noch im letzten Moment kam die Selbstbeherrschung mir zurück und ich hatte die Macht, mich aus dem Bette gleiten zu lassen; als ich geräuschlos auf den Boden fiel, berührte schon die Kante der mörderischen Decke meine Schulter.

Kalter Schweiß drang aus allen meinen Poren, ich erhob mich ein wenig, aber wenn mir auch in diesem Augenblicke Mittel zu meiner Rettung geboten worden wären, ich hätte sie nicht annehmen können, denn ich war wie festgenagelt an der Stelle, mein ganzes Leben schien nur noch in meinen Augen zu liegen.

Die schwere Decke, samt ihrem ganzen Ausputz von Posamentierarbeiten, Fransen und mehr dergleichen war niedergelassen und zwar so dicht, dass nicht einmal soviel Raum zwischen ihr und dem Bett geblieben war, dass ein Finger hätte Raum finden können. Ich berührte das, was ich für eine gewöhnliche Decke eines Himmelbettes gehalten hatte und fand, dass es eine schwere Matratze war; die Bettpfosten standen nun grässlich kahl da. In der Mitte der Decke war eine außerordentlich große, hölzerne Schraube angebracht, die absichtlich los gedreht worden war. Der ganze schreckliche Mordapparat hatte sich geräuschlos niedergelassen. Ein solches Mordinstrument hätte viel eher in die Zeit der Inquisition, oder in die entlegenen Wirtshäuser der Gebirge gepasst, nicht aber für das neunzehnte Jahrhundert und in der lebhaftesten Stadt der Welt. Noch immer starrte ich das grässliche Mordwerkzeug an, aber die Macht des Denkens kam mir langsam zurück. Ich machte mir nun tausend Vorwürfe, dass ich mich so vertrauensvoll den beiden Fremden anvertraut hatte, die mich hier her geführt hatten, um mich zu töten und mir dann das gewonnene Geld und meine andere Habe abzunehmen. Ich dachte, wie mancher Unglückliche mag sich hier an dieser Stelle mit seinem Gewinn niedergelegt haben, um nicht wieder aufzustehen. Hier tötete man ihn und er war für die Welt auf immer verschwunden.

Nachdem die schwere Decke ungefähr zehn Minuten auf dem Bette gelegen hatte, begann sie sich wieder zu erheben. Die Grässlichen, welche sie herab gelassen hatten, glaubten ihr schlechtes Werk sei vollendet. Sie glaubten mich tot Geräuschlos hatte sich »der Himmel« des Bettes, wie er gekommen war, wieder gehoben und seine alte Stelle eingenommen; nachdem er auf den vier Pfosten war, war auch die Decke des Zimmers an der Stelle erreicht; — man sah weder Loch noch Schraube, das ganze hatte das Aussehen eines ganz soliden Gardinenbettes. Jetzt nun erhob ich mich, kleidete mich schnell an und spähte nach einem Rettungswege. Ich verrichtete Alles so leise als möglich, denn ich wusste wohl, hätte man gehört, dass ich nicht erstickt sei, so wäre ich gewiss dennoch ermordet worden. Ich lauschte, aber weder Fußtritte noch ein anderes Geräusch vernahm mein Ohr, überall herrschte Ruhe. Die Tür hatte ich mit einer hölzernen Kiste, die ich unter meinem Bette gefunden, am Abend verbarrikadiert, sollte ich sie fortnehmen? Nein, denn das würde Geräusch machen. Ich ging an das Fenster auf den Fußspitzen.

Mein Zimmer befand sich im ersten Stock und ging nach der Straße hinaus, welche Sie auf Ihrer Skizze so getreu wiedergaben. Ich öffnete das Fenster mit der Vorsicht eines Diebes, geräuschlos, langsam, höchst furchtsam. — Ich blickte auf die Straße hinab, an die Seiten des Hauses entlang; an der linken Seite entdeckte ich die dicke Wasserröhre, welche Sie ebenfalls zeichneten; sie lief dicht neben dem Fenster vorbei. — Ich atmete zum ersten Male, seitdem ich die Decke sich hatte herab senken sehen, frei auf, denn ich wusste, nun sei ich gerettet!

Mancher würde davor zurück gebebt sein, an der Rinne entlang zu rutschen, aber ich war allezeit ein guter Turner gewesen und wusste, dass Kopf, Hände und Füße mir auf dieser Wanderung gute Dienste leisten würden. Schon hatte ich den Fuß auf das Fensterbrett gesetzt, als ich mich meines Taschentuchs mit dem Golde unter meinem Kopfkissen erinnerte. Ich hätte es wohl zurücklassen können, aber ich wünschte rachevoll, dass die schlechten Bewohner des Spielhauses, sowohl ihr Opfer als auch ihren Raub verlieren sollten.

Ich ging noch einmal zu der grässlichen Lagerstätte und nahm mein Geld und hing es mir auf den Rücken, während meines Ritts an der Rinne entlang. Ich hörte, als ich eben das Taschentuch mit seinem schweren Inhalte befestigte, Geräusch im Zimmer, der Atem stockte mir wieder, aber es war nur die Nachtluft, welche durch das Zimmer blies. Mit einem Schwung war ich aus dem Fenster und ergriff die dicke Rinne mit Händen und Füßen. Ich gelangte, wie gehofft, unten an, und da ich ein Polizei-Bureau in der Nähe wusste, lief ich dahin und meldete den Vorfall, in meinem schlechten Französisch. Wahrscheinlich hielt mich der Polizist zuerst für einen betrunkenen Engländer, den man beraubt hatte, aber als er hörte, dass ich wirklich so Schreckliches erlebt hatte, schloss er seine Papiere in eine Schublade, nahm seinen Hut, lieh mir einen zweiten, denn ich war ohne Kopfbedeckung, beorderte etwas Militär und verschiedene Instrumente, Türen und Schlösser zu öffnen, reichte mir den Arm, und so gingen wir dem Spielhaus zu. Unterwegs fragte der Polizeibeamte noch nach den nähern Umständen, und als wir vor der Tür angelangt waren, wurde das Haus von allen Seiten mit Wachtposten umstellt und dann in wahrhaft erschrecklicher Weise angeklopft.

Ein Licht erschien am Fenster und es folgte nun der Ruf: »Öffnen, im Namen des Gesetzes!«

Nach diesem Befehl öffneten sich Schloss und Riegel und ein halb angekleideter, geisterbleicher Kellner erschien.

»Wir wünschen den Engländer zu sehen, der hier im Hause schläft,« sagte der Polizist; ich hielt mich versteckt hinter ihm.

»Er ging vor einigen Stunden fort.« lautete die Antwort.

»So ist es nicht! Nur sein Freund hat das Haus verlassen, er blieb hier; zeigen Sie uns sein Zimmer!«

»Ich schwöre es Ihnen aber, Herr Souspräfect, er ist nicht hier!«

»Und ich, mein Herr Garcon, schwöre Ihnen, dass er hier ist. Er schlief hier, fand Ihr Bett äußerst komfortable und kam zu uns, dies anzuzeigen. Er befindet sich hier unter denen, die mir gefolgt sind. Ich bin gekommen, um in seinem Bett nach Insekten zu suchen. Haben Sie mich nun verstanden?«

Der Ober-Polizeimann rief einen seiner Leute und befahl, den Kellner sofort zu arretieren Danach sagte er zu uns: »Nun, meine Herren, hinauf!«

Das ganze Haus war inzwischen wach geworden, Männer und Frauen kamen herbei gelaufen, darunter auch mein besorgter, verdächtiger Freund von gestern Abend. Ich bezeichnete Zimmer und Bett, wo ich geschlafen hatte und wir begaben uns unverzüglich nach dem Zimmer, welches über dem meinigen war.

In dem ganzen Raume war nichts Verdächtiges zu sehen. — Der Polizist stampfte einige Male auf den Fußboden, beleuchtete dann alle Stellen sorgfältig und befahl schließlich, dass an einer Stelle, die er näher bezeichnete, die Dielen aufgehoben würden; dies geschah ohne große Mühe in kurzer Zeit, und wir erblickten eine große Öffnung zwischen dem Fußboden und der Decke des unteren Zimmers die stark eingeölt war und die Schraube umfasste, welche mit der fürchterlichen Decke des Gardinenbettes in dem unteren Raume zusammen hing. Hier befanden sich auch noch andere frisch geölte Schrauben, Hebel mit Filz überzogen, um sie unhörbar zu machen; kurz, alle Werkzeuge einer sehr schweren Presse. Alles war mit einer höllischen Grausamkeit darauf berechnet, die Opfer, in jenem Marterbette, sicher zu töten Die ganze Maschinerie wurde mit einigen Schwierigkeiten zusammengesetzt, dann begaben wir uns, der Anführer und ich, in das untere Zimmer, und die entsetzliche Maschinerie wurde durch die Polizisten, welche oben waren, in Bewegung gesetzt, und der Betthimmel ließ sich auch sehr geräuschvoll herab. Der Präfekt bemerkte: »Meine Leute sind noch Neulinge bei dieser Maschine, die Leute, deren Geld Sie gewannen, besitzen mehr Praxis.« —

Zwei Polizei-Agenten blieben in dem Hause mit dem Befehl zurück, Jeden auf der Stelle zu arretieren, der sich hinaus begeben wollte.

Der Souspräfect hatte die ganze Angelegenheit zu Protokoll genommen und begab sich dann mit mir in mein Hotel um meinen Pass nachzusehen.

»Glauben Sie in der Tat,mein Herr, dass wirklich schon Menschen in dem Bett erstickt worden sind?« fragte ich den Oberpolizisten unterwegs.

»Ich habe Dutzende von toten Menschen gesehen, die in ihrer Tasche Briefe hatten, welche benachrichtigten, dass sie sich in die Seine gestürzt, weil sie ihr Geld in einem Spielhaus verloren hätten. Wer kann wissen, ob diese Menschen nicht ihr Geld an derselben Stelle gewannen, wo Sie gewannen? Ob sie nicht erstickt wurden, wo Sie den Tod finden sollten? Vielleicht steckte man ihnen, bevor man sie in die Seine warf, erst einen Brief, voll von Lebensüberdruss, in das Portefeuille? Niemand kann wissen, wie viel Menschen unter der schrecklichen Maschinerie erstickt worden sind, denn der Tod schloss ja den Gepeinigten den Mund. Doch jetzt, gute Nacht! mein Herr,« sagte mein Begleiter, »oder vielmehr, guten Morgen! Mein Dienst beginnt um neun Uhr, und um dieselbe Zeit bitte ich Sie, wieder zu mir kommen zu wollen.«

Der Rest meiner Geschichte ist nun bald erzählt. Ich wurde oft verhört, das Spielhaus von dem Boden bis zu dem Keller genau durchforscht, die Gefangenen wurden einzeln verhört, und zwei von ihnen legten auch ein offenes Geständnis ab. Zu meinem Erstaunen erfuhr ich, dass der alte Soldat, der sich meiner an jenem Abend so freundschaftlich angenommen hatte, der Eigentümer des Spielhauses sei, der vor einigen Jahren als Vagabund aus der Armee gestoßen worden war, dass er nun auch als Diebeshehler verdächtig sei, weil er im Besitze vieler gestohlener Waren befunden wurde.

Sein treuer Beistand in allem Schlechten war der Croupier und außerdem noch das Weib, welches mir den Kaffee bereitet hatte. Diese Drei allein kannten auch nur das Geheimnis des schrecklichen Bettes. Die beiden Männer kamen auf die Galeeren und das Weib für einige Jahre ins Zuchthaus. Die Stammgäste des Hauses wurden als verdächtig erklärt und unter die Aufsicht der Polizei gestellt. Ich selbst aber wurde für einige Zeit der »Löwe des Tages« in Paris. Mein Abenteuer wurde sogar dreimal dramatisiert, erblickte aber nie das Lampenlicht, weil die Polizei nicht erlaubte, dass das schreckliche Bett des Spielhauses auf der Bühne kopiert werde, und darin lag doch gerade der Haupteffekt. Ich aber war für immer von dem Spiele Roth und Schwarz geheilt; denn so oft ich einen grünen Tisch mit Karten und Bergen Geldes erblickte, stellte sich stets das mörderische Bett daneben und die Angst, welche ich damals erlitt.

Als Mister Faulkner das letzte Wort ausgesprochen hatte, fuhr er von seinem Sitze auf und rief aus: »Um des Himmelswillen, bei meiner Erzählung vergaß ich ganz, dass ich hier her gekommen bin, um mich zeichnen zu lassen; jetzt habe ich Sie um die Zeit gebracht und mich um das Portrait!«

»Im Gegenteil!«" erwiderte ich lachend, »Sie hätten nichts Besseres tun können, denn während Sie mir erzählen, ließen Sie mich Ihr Gesicht in natürlicher Ausdrucksweise sehen. Das Bild ist gelungen!«

Anmerkung von Mistreß Kerby.

Ich muss der Geschichte noch hinzufügen, dass unser junger Seemann gestern Abend während des Erzählens bemerkte, dass er nie in einem Himmelbett schlafen könnte, ohne zu fürchten, die Decke würde herabstürzen und ihn ersticken. William sagte mir zwar, es würde diese Bemerkung unsres jungen Freundes den Lesern gleichgültig sein, doch ich kann mich nicht entschließen, sie fortzulassen.

Mögen sie auch nur mit kleinen Buchstaben gedruckt in einer Ecke des Buches ihren Platz finden.


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