Namenlos
II.
Hauptmann Wragge an Magdalene.
Birmingham, den 2. Juli 1841
Liebe Magdalene!
Der Koffer mit den Stücken des Anzuges, den Sie irrthümlicherweise mitgenommen haben, ist richtig in meine Hände gelangt. Ich werde denselben so lange bestens aufheben, bis ich wieder von Ihnen höre.
Ich ergreife diese Gelegenheit, um Ihnen noch ein Mal die Versicherung zu geben, daß ich Ihren Interessen allezeit unwandelbar und treu dienen werde. Ohne gerade zu versuchen, mich in Ihr Vertrauen einzudrängen, darf ich mir wohl erlauben zu fragen, ob Mr. Noël Vanstone sich hat bereit finden lassen, Ihnen gerecht zu werden? Ich fürchte nur zu sehr, daß er sich dessen geweigert hat, für welchen Fall ich —— die Hand aufs Herz —— feierlich erkläre, daß seine niedrige Denkungsart mich empört. Warum habe ich die Ahnung, daß Sie sich vergebens an ihn gewendet haben? Warum muß ich mich dabei ertappen, daß ich diesen Menschen eigentlich recht wie ein schädliches Geschmeiß betrachte? Wir sind einander durchaus fremd; ich weiß von ihm nicht mehr als Das, was ich bei Gelegenheit der für Sie eingezogenen Erkundigungen über ihn in Erfahrung brachte. Hat mein inniges Mitgefühl für Alles, was Sie betrifft, mir die Gabe der Weissagung verliehen? Oder um es phantastisch auszudrücken: gibt es wirklich Etwas wie eine Vorexistenz der Seele? Und hat Mr. Noël Vanstone mich vielleicht schon einmal tödtlich beleidigt, nämlich auf einem andern Himmelskörper?
Ich schreibe, liebe Magdalene, wie Sie sehen, mit meinem gewöhnlichen Humor. Aber es ist mein voller Ernst, meine Dienste ganz zu Ihrer Verfügung zu stellen. Was die Bedingungen anbetrifft, so machen Sie sich keinen Augenblick darüber Gedanken. Ich nehme von vornherein jede Bedingung an, welche Sie mir zu gewähren für gut finden. Wenn Ihre Pläne darauf abzielen, so bin ich bereit, Mr. Noël Vanstone in Ihrem Interesse so lange zu pressen, bis ihm das Gold aus allen Poren schwitzt. Verzeihen Sie das unartige Gleichniß! Mein Eifer, Ihnen nützlich zu werden, macht sich in Worten Luft, legt Ihnen dieselben im Rohzustande zu Füßen und überläßt es Ihrem Geschmacke, dieselben mit dem gewähltesten Wortschmuck der englischen Sprache zu verbrämen?
Wie geht es meiner unglücklichen Frau? Ich muß leider fürchten, daß es Ihnen unmöglich fallen wird, ihr das Uebertreten der Schuhe abzugewöhnen und ihre persönliche Erscheinung mit den ewigen Gesetzen des Ebenmaßes und der Ordnung in inklang zu bringen. Versucht sie, mit Ihnen vertraulich zu werden? Ich habe mich immer gewöhnt, sie in dieser Hinsicht in einer gewissen Entfernung zu halten. Sie hat mich niemals anders als Hauptmann anreden dürfen, und bei den seit unserer Verheirathung nur selten vorkommenden Gelegenheiten» wenn sie durch Umstände veranlaßt war, mir zu schreiben, wurde ihre Eingangsformel der Anrede streng auf ein »Lieber Herr« beschränkt. Nehmen Sie diese kleinen Familiengeheimnisse als nutzbare Winke auf, welche Ihnen in dem Umgange mit Abs. Wragge zu Statten kommen werden, und betrachten Sie mich, der ich mit ängstlicher Spannung auf neue Nachricht von Ihnen harre, als
Ihren aufrichtig ergebenen
Horatio Wragge.
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