Namenlos



Drittes Capitel.

—— Miss Garth, Sir —— sagte Mrs. Lecount, indem sie die Thür des Empfangszimmers öffnete und im Tone und der Art und Weise einer gut gezogenen Dienerin das Erscheinen des Besuches anmeldete.

Magdalene befand sich in einem langen, schmalen Zimmer, bestehend aus einem vorderen und einem hinteren Gemach, welche beide zu einem einzigen gemacht worden waren, indem man die Flügelthüren aufgemacht hatte. Nicht weit vom Fenster der Vorderseite, mit dem Rücken gegen das Licht gewandt, sah sie einen schwächlichem flachsblonden, selbstgefälligen kleinen Mann in einem schönen weißen Schlafrock, der viel zu groß für ihn war, auf der Brust im Knopfloche ein Veilchensträußchen, sitzen. Er sah dreißig bis fünfunddreißig Jahre alt aus. Sein Gesicht hatte eine so zarte Farbe, wie das eines jungen Mädchens, seine Augen waren vom hellsten Blau, seine Oberlippe war geschmückt mit einem kleinen weißen Schnurrbärtchen, gewichst und an beiden Enden wie Miniaturkorkzieher gedreht. Wenn ein Gegenstand seine Aufmerksamkeit besonders erregte, so schloß er halb seine Augen und blinzelte darauf hin. Wenn er lächelte, runzelte sich die Haut seiner Schläfen in ein Gewirr kleiner Runzeln zusammen. Er hatte einen Teller mit Erdbeeren auf seinem Schooße mit einer Serviette darunter, um die Reinheit seines weißen Schlafrocks zu schonen. Zu seiner Rechten stand ein großer runder Tisch, bedeckt mit einer Sammlung fremdländischer Seltenheiten, welche aus den Vier Weltgegenden zusammengebracht schienen. Ausgestopfte Vögel aus Afrika, Porzellanungeheuer aus China, Silberzierrathen und Geschirr aus Indien und Peru, Mosaikarbeiten aus Italien und Bronzegüsse aus Frankreich waren Alles bunt durcheinander aufgeschichtet mit ihren plumpen Holzschachteln und schmutzigen Lederbüchsem in welche sie zur Reise Verpackt werden sollten. Der kleine Mann entschuldigte sich mit freundlichem, aber dummem Lächeln und in geziertem Tone wegen seines Raritätenkrimskrams, seines Schlafrocks und seiner schwachen Gesundheit, winkte mit der Hand nach einem Stuhle und erklärte sich mit gemessener Höflichkeit bereit, die Wünsche seines Gastes zu vernehmen. Magdalene sah auf ihn mit einem augenblicklichen Zweifel, ob Mrs. Lecount sie nicht getäuscht habe. War dies der Mann, welcher unbarmherzig den Weg verfolgte, auf dem sein unbarmherziger Vater vor ihm gewandert war? Sie konnte es kaum glauben.

—— Nehmen Sie doch einen Stuhl, Miss Garth, wiederholte er.

Als er bemerkte, daß sie zweifelhaft war, nannte er seinen Namen mit erhobener, dünner, ärgerlich werdender Stimme:

—— Ich bin Mr. Noël Vanstone Sie wünschten mich zu sprechen; hier bin ich.

—— Erlauben Sie mir, mich zu entfernen, Sir? fragte Mrs. Lecount.

—— Durchaus nicht! versetzte ihr Herr. Bleiben Sie hier, Lecount, und leisten Sie uns Gesellschaft —— Mrs. Lecount besitzt mein vollstes Vertrauen, fuhr er zu Magdalenen gewendet fort. Was Sie mir auch zu sagen haben, sagen Sie ihr mit. Sie ist ein Stück des Hauses. Es giebt kein zweites Haus in England, das einen solchen Schatz wie Mrs. Lecount aufzuweisen hat.

Die Haushälterin hörte das Lob ihrer häuslichen Tugenden mit an, die Augen unverwandt auf ihr elegantes Vorhemdchen geheftet. Aber Magdalenens rascher Scharfblick hatte vorher einen zwischen Mrs. Lecount und ihrem Herrn gewechselten Blick belauscht, welcher ihr bewies, daß Mr. Noël Vanstone vorher seine Weisung erhalten hatte, was er in Gegenwart seines Gastes zu sagen und zu thun habe. Dieser Argwohn und die Hindernisse, welche das Zimmer bot, daß sie ihren Platz nicht so vom Lichte abgewendet wählen konnte, mahnten Magdalene, auf ihrer Hut zu sein.

Sie hatte ihren Stuhl erst beinahe inmitten des Zimmers gesetzt. Ein augenblickliches Ueberlegen bestimmte sie jedoch, ihren Sessel nach links zu setzen, um sich gerade an die innere Seite und zwar dicht neben den linken Pfosten der Flügelthür zu setzen. In dieser Stellung versperrte sie geschickt den einzigen Weg, aus welchem Mrs. Lecount um den großen Tisch herum kommen und, indem sie einen Stuhl neben ihrem Herrn nahm, Magdalenen von vorn ansehen konnte. Auf der rechten Seite des Tisches war der leere Raum durch das Kamin und seinen Vorraum, durch einige Reisetaschen und eine große Kiste eingenommen. Es blieb für Mrs. Lecount keine Wahl, sie mußte sich selbst in eine Linie mit Magdalene an den andern Pfosten der Flügelthür setzen, oder sich hinter dem Gaste unhöflich vorbei drängen, mit der zu deutlichen Absicht, ihm ins Gesicht zu sehen. Mit einem bezeichnenden kleinen Husten, und mit einem festen Blick aus ihren Herrn gab die Haushälterin diesen Posten verloren und nahm ihren Platz an der rechten Thürpfoste.

—— Warte ein wenig, dachte Mrs. Lecount, die Reihe kommt schon noch an mich!

—— Geben Sie Acht, Madame, wo Sie sind, rief Mr. Noël Vanstone, als Magdalene zufällig an den Tisch kam, indem sie den Stuhl rückte. Geben Sie Acht auf die Aermel Ihres Mantels! Entschuldigen Sie, Sie hätten beinahe dort den silbernen Leuchter herunter gestoßen. Ich bitte, denken Sie nicht, daß es ein gewöhnlicher Leuchter ist. Es ist nichts von der Art, es ist ein Leuchter aus Peru. Es sind nur drei von dem Muster auf der Welt. Einer ist im Besitze des Präsidenten von Peru, einer ist im Vatikan eingeschlossen und einer steht auf meinem Tische. Kostet zehn Pfund, ist aber fünfzig werth. Einer von meines Vaters Einkäufen, Madame. Alle diese Sachen sind Einkäufe meines Vaters. Es giebt kein Haus in England, welches solche Seltenheiten besitzt, als dieses. Setzen Sie sich, Lecount; ich bitte, machen Sie es sich bequem. Mrs. Lecount ist wie die Seltenheiten, Miss Garth: sie ist einer von den Einkäufen meines Vaters. Sie sind einer von den Einkäufen meines Vaters, nicht wahr, Lecount? Mein Vater war ein merkwürdiger Mann, Madame; Sie werden hier an ihn aus jedem Schritte erinnert. Ich habe in diesem Augenblicke seinen Schlafrock an. Eine solche Leinwand wie diese wird jetzt nicht mehr gemacht, Sie können sie nicht bekommen um Geld und gute Worte. Wollen Sie vielleicht den Faden einmal anfühlen? Vielleicht verstehen Sie Nichts vom Faden? Vielleicht wollen Sie lieber mit mir von jenen beiden Fräulein, Ihren Schülerinnen, sprechen? Es sind zwei, nicht wahr? Sind es hübsche Mädchen? Voll, frisch, echt englische Schönheiten?

—— Entschuldigen Sie, Sir, unterbrach ihn Mrs. Lecount mit traurigem Tone. Ich muß wirklich bitten, mich entfernen zu dürfen, wenn Sie von den armen Dingern in solcher Weise sprechen Ich kann nicht dabei sitzen, Sir, und hören, wie sie lächerlich gemacht werden. Nehmen Sie Rücksicht aus ihre Lage, Rücksicht ans Miss Garth.

—— Sie gute Seele! sagte Mr. Noël Vanstone, indem er die Haushälterin mit blinzelnden Augen anschaute. Sie treffliche Lecount! Ich versichere Sie, Madame, Mrs. Lecount ist eine würdige Person. Sie werden bemerken, daß sie die beiden Mädchen bemitleidet. Ich gehe nicht so weit, allein ich kann ihnen Zugeständnisse machen. Ich bin ein Mann mit weitem Herzen. Ich kann für dieselben und für Sie nachgiebig sein.

Er lächelte mit der herzlichsten Artigkeit und nahm dabei eine Erdbeere von dem Teller auf seinem Schooße zu sich.

—— Sie betrüben Miss Garth in der That, Sir, ohne daß Sie es beabsichtigen. Sie betrüben Miss Garth, erwiderte Mrs. Lecount. Sie ist nicht so an Sie gewöhnt, als ich es bin. Nehmen Sie Rücksicht auf Miss Garths Lage, Sir. Thun Sie mir den Gefallen, nehmen Sie Rücksicht aus Miss Garth.

So lange hatte Magdalene festes Stillschweigen bewahrt. Der herznagende Unwillen, welcher sie augenblicklich verrathen haben würde, wenn sie ihn hätte an die Oberfläche treten lassen, machte ihr Herz rasch und stolz aufwallen und warnte sie, so lange Noël Vanstone sprach, ihre Lippen ja geschlossen zu halten. Sie würde ihn ununterbrochen noch einige Minuten länger haben reden lassen, wenn Mrs. Lecount sich nicht zum zweiten Male eingemischt hätte. Die ausgesuchte Unverschämtheit des Mitleids der Haushälterin war eine weibliche Unverschämtheit und mahnte sie, sich unausgesetzt selbst zu beherrschen. Sie hatte Miss Garths Stimme und Wesen nie besser nachgeahmt als hier, indem sie die nächsten Worte sprach:

—— Sie sind sehr gütig, sagte sie zu Mrs. Lecount; ich beanspruche nicht mit besonderer Rücksicht behandelt zu werden. Ich bin eine Erzieherin und erwarte Das nicht. Ich habe nur um eine Gefälligkeit zu bitten. Ich bitte Mr. Noël Vanstone um seiner selbst willen anzuhören, was ich ihm zu sagen habe.

—— Verstehen sie, Sir? bemerkte Mrs. Lecount. Es scheint, daß Miss Garth Ihnen einige ernste Warnungen zu ertheilen hat. Sie sagt, Sie sollten sie anhören um Ihrer selbst willen.

Mr. Noël Vanstones schöne Farbe wurde sofort weiß. Er setzte den Erdbeerteller unter die Ankäufe seines Vaters. Seine Hand zitterte, und seine kleine Gestalt bewegte sich unruhig auf dem Stuhle. Magdalene beobachtete ihn aufmerksam.

—— Schon eine Entdeckung, dachte sie, er ist ein Feigling! ——

—— Was meinen Sie damit, Madame? fragte Mr. Noël Vanstone mit deutlicher Furcht in Blick und Haltung. Was meinen Sie damit, daß Sie sagen, ich müßte es um meinetwillen anhören? Wenn Sie hierher kommen, mich einzuschüchtern, so kommen Sie an den unrechten Mann. Meine Charakterstärke war in unserm Kreise zu Zürich allgemein bekannt; nicht wahr, Lecount?

—— Ja wohl, Sir, sagte Mrs. Lecount. Aber wir wollen Miss Garth hören; vielleicht habe ich sie mißverstanden?

—— Im Gegentheil, versetzte Magdalene, Sie haben meine Meinung ganz richtig erfaßt. ein Zweck, daß ich hierher gekommen bin, ist, Mr. Noël Vanstone vor den Folgen des Verfahrens zu Warnen, welches er jetzt eingeschlagen hat.

—— Lassen Sie Das! bat Mrs. Lecount. O, wenn Sie diesen armen Mädchen beistehen wollen, dann sprechen Sie nicht so! Mildern Sie seinen Entschluß durch Bitten, Madame, befestigen Sie ihn nicht durch Drohungen!

Sie übertrieb ein wenig den Ton der Demuth, in welchem sie diese Worte sprach, machte den tadelnden Blick, der sie begleitete, zu deutlich. Wenn Madalene nicht bereits deutlich genug gesehen hätte, daß es Mrs. Lecounts gewöhnlicher Kunstgriff war, Alles und Jedes anstatt ihres Herrn im Wege der ersten Instanz zu entscheiden und dann ihn zu überreden, daß er nicht nach dem Entschlusse seiner Haushälterin, sondern nach seinem eigenen handle: jetzt würde sie es gesehen haben.

—— Hören Sie, was die Lecount eben gesagt hat? bemerkte Mr. Noël Vanstone. Sie hören das freiwillige Zeugniß einer Person, die mich von Kindesbeinen auf gekannt. Nehmen Sie sich in Acht, Miss Garth, nehmen Sie sich in Acht!

Er legte selbstgefällig die Zipfel seines Schlafrocks über seinen Knien zurecht und nahm seinen Teller mit Erdbeeren wieder auf den Schooß.

—— Ich wünsche nicht, Sie zu beleidigen, sagte Magdalene. Ich möchte Ihnen nur gern die Augen öffnen für die Wahrheit. Sie kennen nicht die Charaktere der beiden Schwestern, deren Vermögen in Ihren Besitz gefallen ist. Ich habe sie von Kindheit auf gekannt, und ich komme, um Ihnen mit meiner Erfahrung in Ihrem und meiner Schülerinnen Interesse zur Seite zu stehen. Sie haben Nichts zu fürchten von der älteren der Beiden; diese nimmt das harte Loos, das Sie und vor Ihnen Ihr Vater über sie verhängt haben, geduldig hin. Der Sinn der jüngeren Schwester ist entgegengesetzter Art. Sie hat sich bereits geweigert, sich dem Beschlüsse Ihres Vaters zu fügen, und sie verschmäht es jetzt, sich mit Mrs. Lecounts Brief zufrieden zu geben. Nehmen Sie mein Wort darauf, sie ist im Stande, Ihnen ernstliche Noth zu machen, wenn Sie darauf beharren, sie zu Ihrer Feindin zu machen.

Mr. Noël Vanstone wechselte noch ein Mal die Farbe und begann auf dem Stuhle hin und her zu rücken.

—— Ernstliche Noth zu machen, wiederholte er mit weit offenen Augen. Wenn Sie meinen, mit Briefschreiben, Madame, so hat sie schon Noth genug gemacht. Sie hat ein Mal an mich und zwei Mal an den Vater geschrieben. Einer von den Briefen an meinen Vater war ein Drohbrief, nicht wahr, Lecount?

—— Sie sprach ihre Gefühle aus, das arme Kind, sagte Mrs. Lecount. Ich hielt es für hart, ihr den Brief zurückzusenden, aber Ihr theurer Vater mußte es ja am Besten wissen. Was ich damals sagte, war: Warum soll man sie nicht ihre Gefühle aussprechen lassen? Was sind nach Allem ein paar Drohworte? In ihrer Lage, du lieber Gott, sind es Worte und weiter Nichts.

—— Ich rathe Ihnen, sich nicht zu sehr darauf zu verlassen, sagte Magdalene Ich kenne sie besser als Sie.

Sie hielt nach diesen Worten inne, hielt inne mit Schrecken. Der Stachel von Mrs. Lecounts Mitleid hatte sie beinahe gereizt, ihren angenommenen Charakter zu vergessen und —— mit ihrer eigenen Stimme zu sprechen.

—— Sie haben die von meiner Schülerin geschriebenen Briefe erwähnt, begann sie zu Noël Vanstone gewendet aufs Neue, als sie sich wieder ruhig fühlte. Wir wollen darüber nichts sagen, was sie an Ihren Vater geschrieben hat; wir wollen nur von Dem sprechen, was Dieselbe an Sie geschrieben hat. Ist etwas unziemendes in ihrem Briefe, Etwas darin gesagt, was nicht wahr ist? Ist es nicht wahr, daß diese beiden Schwestern grausam um den Theil gekommen sind, den ihres Vaters Testament für sie bestimmte? Sein Testament spricht noch heute für Dieselben und für ihn und spricht nur deshalb erfolglos, weil er sich nicht versah, daß seine Verheirathung ihn nöthige, es aufs Neue zu machen, und weil er starb, bevor er den Irrthum wieder gut machen konnte. Können Sie Das in Abrede stellen?

Mr. Noël lächelte und aß eine Erdbeere.

—— Ich versuche nicht, es zu leugnen, sagte er. Fahren Sie fort, Miss Garth.

—— Ist es nicht wahr, beharrte Magdalene, daß das Gesetz, welches diesen Schwestern das Geld genommen hat, deren Vater kein zweites Testament gemacht hat, dasselbe nun Ihnen gegeben hat, Ihnen, dessen Vater gar kein Testament gemacht hat? Dies ist doch hart für jene verwaisten Mädchen, nehmen Sie es, wie Sie wollen.

—— Sehr hart, versetzte Noël Vanstone. Es erscheint Ihnen gewiß auch in jenem Lichte, Lecount?

Mrs. Lecount schüttelte den Kopf und schloß ihre hübschen schwarzen Augen.

—— Merkwürdig, sagte sie, ich kann es nicht anders ausdrücken, merkwürdig. Wie nur die junge Person, nein, wie Miss Vanstone die jüngere herausbrachte, daß mein verstorbener ehrenwerther Herr kein Testament gemacht hat, Das bin ich nicht im Stande, mir zu erklären. Vielleicht hat es in den Zeitungen gestanden? Aber ich unterbreche Sie, Miss Garth. Sie haben Nichts mehr zu sagen über den Brief Ihres Zöglings?

Sie zog geräuschlos ihren Stuhl, als sie diese Worte sprach, einige Zoll über die Linie des Stuhles ihres Gastes nach vorn. Der Versuch war sehr hübsch ausgeführt, erwies sich aber unnütz Magdalene hielt nur ihren Kopf mehr nach links, und die Packkiste auf dem Boden verhinderte Mrs. Lecount, noch weiter vorzurücken.

—— Ich habe nur noch eine Frage zu thun, sagte Magdalene. Meine Schülerin machte in ihrem Briefe Mr. Noël Vanstone einen Vorschlag. Ich bitte mir zu sagen, warum er abgelehnt hat, ihn zu berücksichtigen.

—— Meine gute Dame! rief Mr. Noël Vanstone, indem er seine weißen Augenbrauen in spöttischem Erstaunen aufzog; sprechen Sie im Ernste? Wissen Sie, was das für ein Vorschlag war? Haben Sie den Brief gesehen?

—— Ich spreche ganz im Ernste, sagte Magdalene, und ich habe auch den Brief gesehen. Er ersucht Sie, zu bedenken, wie Mr. Andreas Vanstone’s Vermögen in Ihre Hände gelangt ist, er theilt Ihnen mit, daß die eine Hälfte des Vermögens, getheilt zwischen seine Töchter, der ihnen durch sein Testament bestimmte Theil war, und er fordert von Ihrem Gerechtigkeitsgefühle, daß Sie für seine Kinder thun, was er für sie gethan hätte, wenn er am Leben geblieben wäre. In deutlichen Worten verlangt er von Ihnen, daß Sie die eine Hälfte des Geldes den Töchtern geben, die andere Hälfte überläßt er Ihnen. Das ist der Vorschlag. Warum haben Sie sich geweigert, ihn in Erwägung zu ziehen?

—— Aus dem einfachsten Grunde, den es gibt, Miss Garth, sagte Mr. Noël Vanstone mit ausgezeichneter Laune. Gestatten Sie mir, Sie an das wohlbekannte Sprichwort zu erinneren: Was soll dem Narren Geld? [A fool and his money are soon parted.] Das will sagen: Ein Narr ist, wer sein Geld so leicht hergibt. Was ich auch sonst sein mag, ein Narr bin ich nicht.

—— Nehmen Sie es nicht auf diese Weise, Sir, tadelte Mrs. Lecount. Seien Sie ernsthaft, ich bitte, seien Sie ernsthaft!

—— Ganz unmöglich, Lecount, erwiderte ihr Herr. Ich kann nicht ernsthaft sein. Mein armer Vater, Miss Garth, stellte sich in dieser Sache auf einen hohen sittlichen Standpunct. Die Lecount stellt sich ebenfalls auf einen hohen sittlichen Standpunct, nicht wahr, Lecount? Ich mache es nicht so. Ich habe zu lange in der Luft des Festlands gelebt, als daß ich mir über sittliche Standpunkte den Kopf zerbrechen sollte. Mein Verfahren in dieser Angelegenheit ist so klar wie: zweimal zwei vier ist. Ich habe das Geld bekommen, und ich wäre ein Schwachkopf, wenn ich es wieder hergäbe. Das ist mein Standpunct! Einfach genug, nicht wahr? Ich streite nicht über meine Würdigkeit, ich habe mit Ihnen Nichts vor den Gerichten zu thun, welche ganz auf meiner Seite sind; ich verdenke es Ihnen nicht, daß Sie hierher gekommen sind als ganz fremde Person, um meinen Entschluß zu erproben und umzuwandeln, ich verdenke es den beiden Mädchen nicht, daß sie gern ihre Finger in meinen Beutel stecken möchten. Alles was ich sage, ist: ich bin nicht ein solcher Thor, daß ich ihn öffnete. Pas si bête! wie wir im englischen Kränzchen zu Zürich zu sagen pflegten. Sie verstehen doch Französisch, Miss Garth? Pas si bête!

Er setzte noch einmal seinen Erdbeerteller bei Seite und wischte seine Finger sauber an der schönen weißen Serviette ab.

Magdalene behielt ihre Ruhe. Wenn sie ihn durch eine Regung ihrer Hand in dem Augenblicke hätte tödten können, so würde sie dieselbe wahrscheinlich erhoben haben. Aber sie behielt ihre Ruhe.

—— Soll ich Das so verstehen, fragte sie, daß die letzten Worte, die Sie in dieser Sache abzugeben haben, die Worte sind, welche Mrs. Lecount in Ihrem Namen gesagt hat?

—— Vollkommen richtig, erwiderte Mr. Noël Vanstone.

—— Sie haben Ihres eigenen Vaters Vermögen eben so gut, wie das von Mr. Andreas Vanstone geerbt, und doch fühlen Sie keine Verpflichtung, nach Billig- und Gerechtigkeitsrücksichten oder aus Großmuth gegen diese zwei Schwestern zu handeln? Alles was Sie ihnen sagen zu müssen glauben, ist: Sie haben das Geld bekommen, und Sie weigern sich, einen einzigen Heller davon fahren zu lassen.

—— Höchst genau dargestellt! Miss Garth, Sie sind eine geschäftskundige Dame. Lecount, Miss Garth ist eine geschäftskundige Dame.

—— Lassen Sie mich aus dem Spiele, Sir, rief Mrs. Lecount, indem sie anmuthig ihre fleischigen weißen Hände rieb. Ich kann es nicht ertragen! Ich muß hier vermitteln. Lassen Sie mich —— ach wie nennen Sie es doch im Englischen? —— einen Vorschlag einbringen. Lieber Mr. Noël Sie verschmähen es recht verkehrter Weise, sich selbst gerecht zu werden. Sie haben bessere Gründe, als den Grund, den Sie Miss Garth angegeben haben. Sie befolgen das Ihnen von Ihrem ehrwürdigen Vater gegebene Beispiel, Sie halten es für eine Pflicht gegen sein Andenken, in dieser Sache gerade so zu handeln, wie er vor Ihnen gehandelt hat. Das ist ein Grund, Miß Garth —— ich beschwöre Sie auf meinen Knien, fassen Sie Dies als seinen Grund auf. Er wird thun, was sein theurer Vater that, nicht mehr und nicht weniger. Sein theurer Vater machte ein Anerbieten, und er selbst will dieses Erbieten wieder machen. Ja, Mr. Noël, Sie werden sich erinneren, was das arme Mädchen in seinem Briefe Ihnen sagte. Ihre Schwester ist genöthigt gewesen, als Erzieherin in die Welt zu gehen, und sie selbst hat außer dem Verlust ihres Vermögens zugleich die Hoffnung, sich vermählt zu sehen, auf viele, viele Jahre schwinden lassen müssen. Sie werden sich daran erinneren —— und nicht wahr, Sie werden auch die hundert Pfund der Einen und die hundert Pfund der Andern geben, wie sie Ihr bewundernswerther Vater früher angeboten hat? Wenn er Dies thut, Miss Garth, wird er da genug thun? Wenn er jeder von diesen unglücklichen Schwestern hundert Pfund gibt ....?

—— Er wird diese Beleidigung bereuen bis an sein letztes Stündlein, sagte Magdalene.

In dem Augenblick, wo diese Antwort über ihre Lippen ging, hätte sie Alles darum gegeben, wenn sie dieselbe hätte zurücknehmen können. Mrs. Lecount hatte endlich ihren Stachel an der rechten Stelle eingesenkt. Jene jähen Worte Magdalenens waren ihr leidenschaftlich herausgefahren —— in ihrer eignen Stimme.

Nur die Gewohnheit des öffentlichen Auftretens bewahrte sie davor, den gefährlichen Fehler, den sie eben begangen, noch handgreiflicher zu machen, indem sie etwa versuchte, ihn zu verbessern. Hier kam ihr ihre frühere Uebung von der dramatischen Unterhaltung zu Hilfe und vermochte sie augenblicklich, in Miss Garths Stimme fortzufahren, als wenn Nichts vorgefallen wäre.

—— Sie meinen es gut, Mrs. Lecount, fuhr sie fort, aber Sie verletzen, anstatt wohlzuthun. Meine Schülerinen werden kein solches Erbieten, wie Sie es machen, annehmen. Ich bedaure, eben noch heftig gesprochen zu haben, ich bitte, entschuldigen Sie.

Sie blickte dabei scharf forschend der Haushälterin ins Angesicht, während sie jene versöhnlichen Worte sprach. Mrs. Lecount Vereitelte dies scharfe Ansehen indem sie das Taschentuch vor ihre Augen hielt. Hatte sie den augenblicklichen Uebergang in Magdalenens Stimme von dem Tone, den sie angenommen hatte, zu ihrer natürlichen Sprache wahrgenommen oder nicht? Es war unmöglich zu sagen.

—— Was kann ich mehr thun! murmelte Mrs. Lecount hinter ihrem Taschentuche. Geben Sie mir Zeit zu denken, geben Sie mir Zeit mich zu fassen. Darf ich einen Augenblick hinausgehen, Sir? Meine Nerven sind durch diese traurige Scene erschüttert. Ich muß ein Glas Wasser haben, oder ich falle in Ohnmacht, glaube ich. Gehen Sie noch nicht, Miss Garth. Ich bitte Sie, lassen Sie uns Zeit, diesen trübseligen Gegenstand gründlich zu erledigen; ich bitte Sie, bleiben Sie, bis ich zurückkomme. Es waren zwei Eingangsthüren in das Zimmer. Eine, die Thür in das vordere Empfangszimmer dicht an Magdalenens linker Seite. Die andere, die Thür in das hintere Zimmer, welche hinter ihr lag. Mrs. Lecount zog sich höflich zurück durch die offenen Flügelthüren, und zwar durch diesen letzteren Ausgang anscheinend deswegen, um nicht den Gast zu stören durch Vorbeigehen. Magdalene wartete, bis sie die Thür hinter sich öffnen und wieder schließen hörte, und entschloß sich dann, die Gelegenheit, sich mit Noël Vanstone allein zu finden, aufs Beste zu benutzen. Die gänzliche Hoffnungslosigkeit, in dieser gemeinen Seele eine großmüthige Regung hervorzubringen, war ihr nun aus eigener Erfahrung nur zu klar geworden. Die letzte übrige Aussicht war, ihn zu behandeln, wie es seine feige Natur verlangte, und durch seine Furcht Einfluß auf ihn zu gewinnen. Ehe sie aber sprechen konnte, brach Mr. Noël Vanstone selbst das Schweigen. So pfiffig er auch es verbergen wollte, er war halb ärgerlich, halb ängstlich darüber, daß seine Haushälterin ihn im Stiche gelassen hatte. Er konnte seinen Gast nicht mehr fest ansehen, er zeigte eine nervöse Aengstlichkeit, sie zur Ruhe zu sprechen, bis Mrs. Lecount zurückkäme.

—— Ich bitte Sie, bedenken Sie, Madame, ich habe niemals in Abrede gestellt, daß der Fall ein harter wäre, begann er. Sie sagten vorhin, daß Sie nicht die Absicht hätten, mich zu beleidigen —— und ich mag meinerseits Sie auch nicht beleidigen... Darf ich Ihnen ein paar Erdbeeren anbieten? Wollen Sie vielleicht meines Vaters Einkäufe besehen? ... Ich versichere Sie, Madame, ich bin von Natur ein galanter Mann und habe Gefühl für diese beiden Schwestern, namentlich die jüngere. Fassen Sie mich bei meiner Gutmüthigkeit, so haben Sie meine schwache Seite gefunden. Nichts würde mir mehr Vergnügen machen, als wenn ich hörte, daß Miss Vanstones Geliebter (ich nenne sie wahrlich immer Miss Vanstone, und Mrs. Lecount nennt sie auch so) —— ich sage also, Madame, Nichts würde mir mehr gefallen, als wenn ich hörte, daß Miss Vanstones Geliebter zurückgekommen wäre und sie geheirathet hätte. Wenn eine Summe Geldes, die man ihm darliehe, ihn vielleicht zurückführen könnte, wenn die gebotene Sicherheit gut wäre, und wenn mein Advocats sich damit zufrieden erklärte....

—— Halten Sie ein, Mr. Vanstone, sagte Magdalene. Sie haben eine ganz falsche Meinung von der Person, mit der Sie es zu thun haben. Sie sind vollkommen im Irrthume, wenn Sie annehmen, daß die Verheirathung der Jüngern Schwester —— wenn sie auch binnen hier und acht Tagen geschehen könnte —— irgend welchen Unterschied machen würde in der Ueberzengung, in der sie sich an Ihren Vater und an Sie zu schreiben gedrungen fühlte. Ich will nicht in Abrede stellen, daß sie sich an die Hoffnung klammert, ihre Verheirathung zu beschleunigen und an die Hoffnung, ihre Schwester aus einem Leben von Abhängigkeit und Demüthignng zu befreien. Allein wenn nun auch diese beiden Ziele auf andere Weise erreicht wären, Nichts würde sie dazu vermögen, Sie im ruhigen Besitze des Erbes zu belassen, das ihr Vater seinen Kindern zugedacht hatte. Ich kenne sie, Mr. Vanstone, Sie ist ein namenlos, heimathlos, freundlos Wesen. Das Gesetz, welches sich Ihrer angenommen, das Gesetz, welches sich aller ehelichen Kinder annimmt, wirft dies Wesen hilflos auf die Gasse: es ist Ihr Gesetz, nicht das seinige Sie erkennt es nur als das Werkzeug schmählicher Unterdrückung, eines unerträglichen Unrechts an. Das Gefühl jenes Unrechts treibt sie einher, wie von bösen Geistern erfaßt. Der Entschluß, dies Unrecht zu rächen, brennt in ihr, wie die Fackel der Nemesis. Wenn jenes arme und elende Mädchen morgen verheirathet und reich wäre um viele Tonnen Geldes, glauben Sie, es würde einen Finger breit von seinem Vorsatze weichen? Ich sage Ihnen, sie würde bis zum letzten Athemzuge Widerstand leisten dem schnöden Unrecht, welches die hilflosen Kinder durch das Unglück von ihres Vaters Hintritt betroffen hat! Ich sage Ihnen, sie würde vor keinem Mittel zurückschrecken welches nur ein verzweifeltes Weib ergreifen kann, Ihre geschlossenen Hände aufzubrechen, und sollte sie bei dem Versuche sterben!

Sie hielt plötzlich inne. Noch einmal hatte ihr eigenes Wesen, daß sich nicht verleugnen ließ, sie verrathen. Noch einmal hatte der angeborene Adel dieses irregeleiteten Charakters die Oberhand gewonnen über die Täuschung, welche sie eben im Begriff war zu vollbringen. Das Scheingewebe des Augenblicks schwand aus ihren Gedanken, und der Entschluß ihres Lebens that sich unaufhaltsam kund nach Außen in ihren eigenen Worten, ihren eigenen Tönen, heiß und immer heißer aus ihrem Herzen strömend. Sie sah den kläglichen Kobold vor sich, der schweigend auf seinem Stuhle kauerte. Hatte seine Furcht ihm Besinnung genug gelassen, den Wechsel in ihrer Stimme zu bemerken? Nein, sein Gesicht sprach die Wahrheit, die Furcht hatte ihn ergriffen. Diesmal war der Augenblick ihr günstig gewesen. Die Thür hinter ihrem Stuhle hatte sich noch nicht geöffnet.

—— Keine Ohren außer den seinigen haben mich gehört, dachte sie mit dem Gefühle unsäglicher Befriedigung. Ich bin Mrs. Lecount entgangen.

Dies war aber mit nichten der Fall. Mrs. Lecount hatte gar nicht das Zimmer verlassen. ——

Nachdem die Haushälterin die Thür geöffnet und sie, ohne hinauszugehen, wieder geschlossen hatte, kniete sie geräuschlos hinter Magdalenens Stuhle nieder. Indem sie sich an den Pfosten der Flügelthür lehnte, nahm sie eine Scheere aus ihrer Tasche, wartete, bis Noël Vanstone (dessen Blicken sie ebenfalls ganz verborgen war) Magdalenen anredete und deren Aufmerksamkeit auf sich zog. Dann beugte sie sich vor mit der offenen Scheere in der Hand. Der Saum von dem Kleide der falschen Miss Garth, der braune, weißtüpflige Alpacarock, berührte den Boden im Bereich der Haushälterin, Mrs. Lecount hob den äußeren von den beiden rund um den Rand des Gewandes laufenden Besätzen einen über den andern in die Höhe und schnitt leise ein kleines unregelmäßiges Stück des Stoffes aus der inneren Frisur, legte dann die äußere wieder glatt über dieselbe um die Lücke zu verbergen. Während sie die Scheere wieder eingesteckt hatte, aufgestanden: war und sich hinter der Pfoste der Flügelthür verborgen hatte, war eben Magdalene mit ihren letzten Worten fertig. Mrs. Lecount wiederholte ruhig die Ceremonie des Oeffnens und Schließens der Thür des Hinterzimmers und begab sich auf ihren Platz zurück.

—— Was ist in meiner Abwesenheit vorgefallen, Sir? fragte sie mit Erstaunen im Angesichte, an ihren Herrn sich wendend. Sie sind bleich, Sie sind aufgeregt! Ach, Miss Garth, haben Sie die Warnung vergessen, welche ich Ihnen in der andern Stube gegeben habe?

—— Miss Garth hat Alles vergessen, rief Mr. Noël Vanstone, indem er durch das Wiedererscheinen von Mrs. Lecount seine verlorene Fassung wiederfand. Miss Garth hat mir in der unerhörtesten Weise gedroht. Ich verbiete Ihnen, eines von den beiden Mädchen noch zu bedauern, Lecount, namentlich nicht das jüngere. Dies ist das verzweifeltste Geschöpf, von dem ich je gehört habe! Wenn sie mein Geld nicht im Guten bekommen kann, droht sie, schon im Bösen dazu kommen zu wollen. Miss Garth hat mir Das ins Gesicht gesagt. Mir ins Gesicht! wiederholte er, indem er seine Arme übereinander schlug und tödtlich beleidigt aussah.

—— Beruhigen Sie sich, Sir, sagte Mrs. Lecount, ich bitte, beruhigen Sie sich und lassen Sie mich mit Miss Garth sprechen —— Ich bedaure hören zu müssen, Madame, daß Sie vergessen haben, was ich Ihnen im nächsten Zimmer gesagt habe. Sie haben Mr. Noël aufgeregt, Sie haben den Interessen, für die Sie hier wirken wollten, ins Gesicht geschlagen und haben doch nur wiederholt, was wir schon wußten. Die Sprache, die Sie sich erlaubt haben in meiner Abwesenheit, ist dieselbe Sprache, welche Ihre Schülerin thöricht genug war zu führen, als sie den zweiten Brief an meinen verstorbenen Herrn schrieb. Wie kann eine Dame von Ihren Jahren und Erfahrungen im Ernste solchen Unsinn wiederholen? Dies Mädchen macht sich groß und droht. Sie will Dies thun, will Jenes thun. Sie besitzen ihr Vertrauen, Madame. Sagen Sie mir, wenn Sie so gut sein wollen, was kann sie denn thun?

So scharf auch der Pfeil gespitzt war, er prallte ohne zu treffen ab. Mrs. Lecount hatte ihren Stachel schon zu oft angewendet. Magdalene, vollkommen wieder mächtig ihrer angenommenen Rolle, erhob sich und beendigte mit Fassung die Unterredung. Unbekannt wie sie war mit Dem, was hinter ihrem Stuhle vorgegangen war, sah sie doch eine Veränderung in Mrs. Lecounts Blick und Benehmen, die ihr nichts Gutes weissagte und ihr längeres Verweilen im Hause nicht räthlich erscheinen ließ.

—— Ich bin nicht im Vertrauen meiner Schülerin, sagte sie. Ihre eigenen Handlungen werden Ihre Frage beantworten, wenn die Zeit gekommen ist. Ich kann Ihnen nur aus meiner eigenen Erfahrung von ihr sagen, daß sie keine leere Prahlerin ist. Was sie an Mr. Michael Vanstone schrieb, Das war sie bereit auszuführen; sie war wirklich im Begriff es zu thun, als ihre Pläne dur seinen Tod zerstört wurden. Mr. Michael Vanstones Sohn braucht nur in seines Vaters Fußtapfen zu treten, um über kurz oder lang zu erfahren, daß ich mich in meiner Schülerin nicht geirrt habe und daß ich nicht hierher gekommen bin, um ihn durch leere Drohungen einzuschüchtern. Mein Geschäft ist zu Ende. Ich lasse Mr. Noël Vanstone die Wahl zwischen zwei Wegen. Ich lasse ihm die Wahl, mit Mr. Andreas Vanstones Töchtern zu theilen, oder bei seiner gegenwärtigen Weigerung zu verharren und der Folgen zu gewärtigen.

Sie verbeugte sich und ging nach der Thür.

Mr. Noël Vanstone sprang auf, Unwillen und Schrecken auf seinem weißen Gesichte, Beides um die Oberhand kämpfend. Bevor er die Lippen öffnen konnte, senkten sich Mrs. Lecounts fleischige Hände auf seine Schultern, drückten ihn sanft auf seinen Stuhl zurück und stellten den Teller mit Erdbeeren in die vorige Lage auf seinen Schooß.

—— Erquicken Sie sich, Mr. Noël, mit noch ein paar Erdbeeren, sagte sie, und überlassen Sie Miss Garth mir.

Sie folgte Magdalenen in den Gang und schloß die Thür des Zimmers hinter ihr.

—— Wohnen Sie in London, Madame? fragte Mrs. Lecount.

—— Nein, erwiderte Magdalene. Ich wohne in der Provinz.

—— Wenn ich an Sie zu schreiben hätte, wohin kann ich meinen Brief adressieren?

—— Auf die Post in Birmingham, sagte Magdalene, indem sie den Ort nannte, den sie zuletzt verlassen hatte und nach welchem alle Briefe an sie gerichtet wurden.

Mrs. Lecount wiederholte die Angabe, um sie sich einzuprägen, ging zwei Schritte im Gange vor und legte ruhig ihre rechte Hand auf Magdalenens Arm.

—— Ein Wort als guten Rath, Madame, sagte sie, ein Wort zum Abschied. Sie sind eine kühne Frau und eine schlaue Frau. Seien Sie nicht zu kühn, seien Sie nicht schlau. Sie wagen mehr, als Sie denken.

Sie erhob sich plötzlich auf die Zehen und flüsterte die nächsten Worte in Magdalenens Ohr:

—— Ich habe sie ganz in meiner Hand! sagte Mrs. Lecount mit schneidender, starker Betonung auf jeder Sylbe.

Ihre linke Hand schloß sich fest zusammen, als sie sprach. Es war die Hand, in der sie das Stückchen Zeug aus Magdalenens Kleide verborgen trug, die Hand, welche es in diesem Augenblicke fest zusammendrückte.

—— Was wollen Sie damit sagen? fragte Magdalene, sie von sich stoßend.

Mrs. Lecount ging höflich voraus, um die Hausthür zu öffnen.

—— Ich will Nichts damit sagen, sagte sie, warten Sie ein wenig, und die Zeit wird es lehren. Eine letzte Frage, Madame, ehe ich Ihnen Lebewohl sage. Als Ihre Schülerin ein kleines unschuldiges Kind war, spielte sie da manchmal mit Kartenhäusern.

Magdalene antwortete ungeduldig durch eine bejahende Gebärde.

—— Sahen Sie sie da manchmal ihr Haus höher und höher aufbauen, fuhr Mrs. Lecount fort, bis es eine Pagode von Karten war? Sahen Sie, wie ihre kleinen Kinderaugen da sich weit öffneten und darauf blickten und so stolz waren auf Das, was sie schon vollbracht hatte, daß sie gern noch mehr thun,mochte? Sahen Sie da, wie sie ihre kleine hübsche Hand still und ihren unschuldigen Athem an sich hielt und noch eine Karte auf die Spitze legte, und dadurch das ganze Haus einen Augenblick später in einen Trümmerhaufen auf den Tisch zusammenbrach? Ach, Sie haben Das gesehen! Bestellen Sie doch, wenn Sie so gut sein wollen, folgende freundliche Mittheilung an sie. Ich möchte behaupten, sie hat nun das Haus hoch genug gebaut, und ich empfehle ihr, sich in Acht zu nehmen, ehe sie noch eine Karte auflegt.

—— Ich werde es an sie bestellen, sagte Magdalene mit Miss Garths Herbigkeit und Miss Garths nachdrucksvollem Kopfnicken. Aber ich zweifle sehr, daß sie sich daran kehren wird. Ihre Hand ist doch noch fester, als Sie denken, und ich meine wohl, sie wird die andere Karte auflegen.

—— Und das Haus zusammenwerfen, sagte Mrs. Lecount.

—— Und es wieder aufbauen, antwortete Magdalene. Ich wünsche Ihn einen guten Morgen.

—— Guten Morgen, sagte Mrs. Lecount und öffnete die Thür. Ein letztes Wort, Miss Garth. Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen im Hinterzimmer gesagt habe! Versuchen Sie doch die Goldene Salbe gegen das traurige Leiden Ihrer Augen!

Als Magdalene über die Schwelle der Thür schritt, begegnete sie dem Briefträger, der die Haupttreppe herauf kam, einen Brief aus seinem Bunde in der Hand.

—— Noël Vanstone, Esq.? hörte sie den Mann sagen, als sie durch das Gärtchen am Hause nach der Straße ging.

Sie ging durch das Gartenthor, unbewußt, vor welch neuer Schwierigkeit und Gefahr ihr rechtzeitiges Gehen sie bewahrt hatte. Der Brief, den der Briefträger eben in die Hände der Haushälterin gelegt hatte, war kein anderer, als der anonyme Brief an Noël Vanstone von —— Hanptmann Wragge.



Viertes Capitel.

Mrs. Lecount kehrte in das Empfangszimmer zurück, in der einen Hand das Stück von Magdalenens Kleide, in der andern Hauptmann Wragges Brief.

—— Sind Sie das Frauenzimmer los geworden? fragte Mr. Noël Vanstone. Haben Sie endlich die Thür geschlossen hinter Miss Garth.

—— Nennen Sie das Weib nicht Miss Garth, Sir, sagte Mrs. Lecount mit verächtlichem Lächeln. Sie ist eben sowenig Miss Garth, als Sie es sind. Wir haben das Vergnügen gehabt, uns ein Stück Mummenschanz recht gut vormachen zu lassen, und wenn wir unserm Gaste die Verkleidung genommen hätten, so würden wir, denke ich, niemand Anderes als Miss Vanstone selbst darunter gefunden haben. —— Hier ist ein Brief für Sie, Sir, den der Briefträger eben dagelassen hat.

Sie legte den Brief auf den Tisch, ihrem Herrn zu Händen. Mr. Noël Vanstone in seinem Erstaunen über die ihm eben kundgethane Entdeckung blickte mit seiner ganzen Aufmerksamkeit unverwandt auf das Gesicht seiner Haushälterin. Er sah nicht einmal den Brief an, als sie ihm denselben vorlegte.

—— Nehmen Sie mein Wort darauf, Sir, fuhr Mrs. Lecount fort und setzte sich ruhig nieder, —— wenn sie, unser Gast, nach Hause kommt, wird sie ihr graues Haar in einen Koffer legen und wird jene schlimme Entzündung in ihren Augen mit warmem Wasser und einem Schwamme beseitigen. Wenn sie die Runzeln in ihrem Gesichte so gut gemalt hätte, als die Entzündung in ihren Augen, so würde das Licht mir Nichts gezeigt haben, und ich wäre gewiß betrogen worden. Aber ich durchschaute diese Malerei, ich sah unter ihrer dunkeln Gesichtsfarbe die Haut eines jungen Frauenzimmers, ich hörte in diesem Zimmer ebenso eine wahre Stimme, von Leidenschaft bewegt, als eine falsche Stimme, verstellt durch einen fremden Accent — und so traue ich denn nicht einem Stücke der äußern Erscheinung der Dame von Kopf bis zu Füßen. Das Mädchen selbst wars nach meiner Ansicht, Mr. Noël, ein verwegenes Mädchen.

—— Warum schlossen Sie nicht die Thür und schickten nach der Polizei? frug Mr. Noël. Mein Vater würde nach der Polizei geschickt haben. Sie wissen so gut als ich selbst, Lecount, mein Vater hätte nach der Polizei geschickt.

— Erlauben Sie, Sir, sagte Mrs. Lecount, ich denke, Ihr Vater hätte erst noch abgewartet, bis er mehr Handhaben für die Polizei gehabt hätte, als wir deren jetzt haben. Wir werden die Dame wiedersehe, Sir, Vielleicht wird sie das nächste Mal mit ihrem eigenen Gesichte und ihrer eigenen Stimme hierherkommen. Ich bin neugierig zu sehen, wie ihr Gesicht aussieht; ich bin neugierig zu wissen, ob ich von ihrer Stimme in der leidenschaftlichen Erregung genug gehört habe, um die Stimme auch im ruhigen Tone wiederzuerkennen. Ich besitze ein kleines Andenken an ihren Besuch, von dem sie nichts weiß; und sie wird mir nicht so leicht entgehen, als sie wohl denkt. Wenn es sich als ein nützliches Andenken erweist, dann sollen Sie erfahren, was es ist. Wenn nicht, so will ich es unterlassen, Sie mit einem solchen kleinen Gegenstande zu behelligen —— Erlauben Sie mir, Sir, Sie an den Brief, den Sie zur Hand haben, zu erinneren. Sie haben ihn noch nicht angesehen.

Mr. Noël Vanstone erbrach den Brief. Er fuhr zusammen, als sein Auge auf die ersten Zeilen fiel, zauderte und las ihn dann in Eile vollends durch. Das Papier entfiel seiner Hand, und er sank in seinen Stuhl zurück. Mrs. Lecount erhob sich mit der Lebhaftigkeit einer jungen Frau und hob den Brief auf.

—— Was ist Vorgefallen, Sir? fragte sie.

Ihr Gesicht verwandelte sich, als sie die Frage stellte, und ihre großen schwarzen Augen blickten starr in aufrichtigem Staunen und Schrecken.

—— Schicken Sie nach der Polizei! schrie ihr Herr. Lecount, ich bestehe darauf, daß ich Schutz erhalte. Schicken Sie nach der Polizei!

—— Darf ich den Brief lesen, Sir?

Er winkte schwach mit der Hand. Mrs. Lecount las den Brief aufmerksam durch und legte ihn, als sie fertig war, ohne ein Wort auf den Tisch.

—— Und Sie haben mir Nichts zu sagen? fragte Mr. Noël Vanstone, indem er seine Haushälterin in heller Verzweiflung ansah. Lecount, ich soll beraubt werden! Der Schurke, der den Brief schrieb, weiß Alles und will mir Nichts sag, bis ich ihn dafür bezahle. Ich soll beraubt werden! Hier auf dem Tische liegt Eigenthum im Werthe von Tausenden von Pfunden, Eigenthum, das gar nicht ersetzt werden kann, Eigenthum, das alle gekrönten Häupter in Europa nicht aufzuweisen hätten, wenn sie’s auch versuchten. Schließen Sie mich ein, Lecount, und schicken Sie nach der Polizei!

Anstatt nach der Polizei zu schicken, nahm Mrs. Lecount einen großen grünen Papierfächer vom Kaminsims und setzte sich vor ihren Herrn.

—— Sie sind aufgeregt, Mr. Noël, sagte sie, Sie sind erhitzt. Lassen Sie mich Ihnen Kühlung geben.

Mit einem Gesicht, das so hart wie je war, mit weniger Zärtlichkeit in Blick und Wesen, als die meisten Frauen gezeigt haben würden, wenn sie eine halbertrunkene Fliege aus einem Milchkruge gerettet hätten, fächelte sie ihn schweigend und geduldig fünf Minuten oder noch länger. Keinem sachverständigen Auge, das die eigenthümliche bläuliche Blässe seiner Farbe und die auffallende Anstrengung, mit der er athmete, gesehen hätte, würde es entgangen sein, daß das große Organ des Lebens in diesem Manne für die Verrichtung, zu der es bestimmt war, zu schwach war. Das Herz arbeitete bei ihm so schwer, als wenn es das Herz eines lebensmatten alten Mannes gewesen wäre.

—— Haben Sie sich erholt, Sir? fragte Mrs. Lecount. Können Sie ein wenig denken? Können Sie Ihre bessere Einsicht wieder walten lassen?

Sie stand auf und legte ihre Hand auf sein Herz, mit gerade so viel kalter Aufmerksamkeit und so wenig ursprünglicher Theilnahme, als wenn sie die Schüsseln beim Mittagsessen angefühlt hätte, um sich zu versichern, ob sie gehörig gewärmt wären.

—— Ja, fuhr sie fort, indem sie sich wieder setzte und die Bewegung des Fächers fortsetzte, Sie bessern sich schon, Mr. Noël. —— Fragen Sie mich nicht über diesen anonymen Brief, bis Sie selbst darüber nachgedacht und selbst zuerst Ihre Meinung zu erkennen gegeben haben.

Sie fuhr mit dem Fächeln fort und sah ihn dabei fest an.

—— Denken Sie, sagte sie, denken Sie über die Sache nach, Sir, ohne jedoch sich anzustrengen, Ihre Gedanken auszusprechen. Vertrauen Sie meiner innigen Theilnahme für Sie, da ich sie schon aus Ihren Augen lese. Ja, Mr. Noël, dieser Brief ist ein elender Versuch, sie einzuschüchtern. Was will er besagen? Er besagt, daß Sie der Gegenstand einer von Miss Vanstone geleiteten Verschwörung sind. Wir wissen Das bereits —— die Dame mit den entzündeten Augen hat es uns erzählt. Wir haben bereits die ganze Verschwörung beinahe in der Hand. Was sagt der Brief weiter? Er sagt, der Schreiber habe Ihnen werthvolle Mittheilungen zu machen, wenn Sie ihn dafür bezahlen wollten. Wie nannten Sie doch diese Person eben selbst, Sir?

—— Ich nannte sie einen Schurken, sagte Mr. Noël Vanstone, indem er nunmehr seine Selbstbeherrschung wiedererlangte und sich mehr und mehr in seinem Stuhle aufrichtete.

—— Ich bin darin mit Ihnen vollkommen einverstanden, Sir, wie ich in jeder andern Beziehung es mit Ihnen bin, fuhr Mrs. Lecount fort. Es ist entweder ein Schurke, der wirklich diese Mittheilung macht und aufrichtig meint, was er sagt —— oder aber ein Werkzeug der Miss Vanstone, und sie hat ihn zu diesem Briefe veranlaßt, zum Zwecke, uns noch unter einer andern Form der Verkleidung irre zu führen. Ob nun der Brief wahr ist oder ob der Brief falsch ist —— lese ich nicht jetzt Ihre eigenen weiseren Gedanken, Mr. Noël? ——: Sie wissen etwas Besseres zu thun, als Ihre Feinde durch vorzeitiges Anrufen der Polizei dahin zu bringen, daß sie auf ihrer Hut sind. Ich bin darin ganz mit Ihnen einverstanden, jetzt noch keine Polizei. Sie werden diesen anonymen Mann oder diese anonyme Frau gern in dem Glauben lassen, daß Sie leicht zu erschrecken sind. Sie werden ihm wegen der Mittheilung zum Danke eine Schlinge legen, wie er sie Ihnen wegen des Geldes gelegt hat; Sie werden auf den Brief antworten und sehen, was aus der Antwort wird; und Sie werden erst dann die kostspielige Hilfe der Polizei anrufen, wenn Sie wissen, daß die Ausgabe nöthig ist. Ich bin wieder mit Ihnen einverstanden, keine Ausgaben, wenn es sich umgehen läßt. In jedem Stücke, Mr. Noël, sind meine und Ihre Meinung in dieser Sache eins.

—— Sehen Sie die Sache in diesem Lichte, Lecount, wirklich? sagte Mir. Noël Vanstone. Ich denke so, ich denke wahrlich so. Ich würde keinen Pfennig für die Polizei ausgeben, wenn ichs umgehen könnte.

Er nahm den Brief wieder auf und wurde beim zweiten Male Lesen ärgerlich und verwirrt.

—— Aber der Mann will Geld haben! brach er ungeduldig heraus. Sie scheinen zu vergessen, Lecount, daß der Mann Geld braucht.

—— Geld, das Sie ihm anbieten, Sir, erwiderte Mrs. Lecount, aber, wie Ihre Gedanken bereits zum Voraus wissen, Geld, das Sie ihm nicht geben. Nein, nein! Sie sagen zu diesem Manne: Halten Sie Ihre Hand auf, mein Herr —— und wenn er sie aufhält, so geben Sie ihm einen Klapps für seine Mühe und stecken Ihre Hand wieder in die Tasche. —— Ich freue mich außerordentlich, Sie wieder lachen zu sehen, Mr. Noël, freue mich, zu sehen, wie Sie Ihre gute Laune wieder bekommen. Wir wollen den Brief durch eine Anzeige in der Zeitung beantworten, wie der Schreiber angibt; eine Anzeige ist so wohlfeil! Ihre arme Hand zittert ein wenig, soll ich statt Ihrer die Feder führen? Ich bin nicht geschickt dazu, mehr zu thun; aber ich kann immer Versprechens, die Feder zu halten.

Ohne seine Antwort abzuwarten, ging sie in das Hinterzimmer und kehrte mit Feder, Tinte und Papier zurück. Indem sie eine Löschpapierunterlage auf ihren Knien hielt und aussah wie ein Musterbild heiterer Unterwürfigkeit, setzte sie sich noch einmal gerade vor den Stuhl ihres Herrn.

—— Soll ich schreiben, Sir, wie Sie es. mir vorsagen? oder soll ich einen kleinen Entwurf machen, und Sie verändern ihn dann? Ich will einen kleinen Entwurf machen. Lassen Sie mich den Brief sehen. Wir sollen es in die Times einrücken lassen und folgende Aufschrift machen:

EIN UNBEKANNTER FREUND.

—— Was soll ich sagen, Mr. Noël? Warten Sie, ich will es schreiben, und dann können Sie es selbst sehen:

EIN UNBEKANNTER FREUND wird ersucht mittels Ankündigung eine Adresse anzugeben, unter der ein Brief ihn finden kann. Für die Mittheilung, die er anbietet, wird er bei Empfang belohnt werden durch eine Zahlung von...

—— Welche Summe wünschen Sie angegeben zu sehen, Sir?

—— Setzen Sie Nichts hin, sagte Mr. Noël Vanstone mit einem plötzlichen Ausbruch von Ungeduld. Geldsachen sind mein Geschäft, ich sage, Geldsachen sind mein Geschäft, Lecount. Ueberlassen Sie die mir.

—— Ganz gewiß, Sir, versetzte Mrs. Lecount und überreichte ihrem Herrn das Conceptbuch. Sie werden doch nicht vergessen, bei dem Gelderbieten um so mehr freigebig zu sein, als Sie von vornherein mit sich eins sind, daß Sie Nichts hergeben werden?

—— Sagen Sie mir Nichts vor, Lecount! Ich will Nichts von Dictiren wissen! sagte Mr. Noël Vanstone, indem er seine Selbständigkeit immer ungeduldiger geltend machte. Ich bin willens, dies Geschäft selbst zu erledigen. Ich bin hier Herr, Lecount!

—— Sie sind allerdings hier Herr, Sir.

—— Vor mir war mein Vater hier Herr. Und ich bin meines Vaters Sohn. Ich sage Ihnen, Lecount, ich bin meines Vaters Sohn!

Mrs. Lecount verneigte sich mit unterwürfiger Miene.

—— Ich bin willens, diejenige Geldsumme zu setzen, welche ich für gut finde, fuhr Mr. Noël Vanstone fort, indem er heftig seinen kleinen Flachskopf schüttelte. Ich bin willens, diese Anzeige selber abzuschicken. Die Dienstmagd soll sie zur Annahmestelle beim Papierhändler tragen, um sie in die »Times« rücken zu lassen. Wenn ich zwei Mal klingele, so schicken Sie mir das Mädchen. Verstehen Sie mich, Lecount? Schicken Sie mir das Mädchen.

Mrs. Lecount verneigte sich abermals und ging langsam nach der Thür. Sie wußte es, wann sie ihren Herrn lenken konnte und wann sie ihn allein gehen lassen mußte. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, ihn in allen Hauptsachen zu gängeln, um ihn dafür nachher in allen Siebensachen gewähren zu lassen. Es war ein Merkmal seines schwachen Charakters, —— wie eines jeden schwachen Charakters —— sich auf Kleinigkeiten zu steifen. Das Ausfüllen der Lücke in der Anzeige war die Kleinigkeit bei dieser Sache; und Mrs. Lecount beschwichtigte den Argwohn ihres Herrn, als gängele sie ihn, dadurch, daß sie augenblicklich nachgab.

—— Mein Maulthier hat hinten ausgeschlagen, dachte sie bei sich in ihrer Sprache, als sie die Thür öffnete. Ich kann heute Nichts mehr mit ihm anfangen.

—— Lecount! rief ihr Herr, als sie in den Gang hinaustrat. Kommen Sie zurück.

Mrs. Lecount kam .zurück.

—— Sie sind doch nicht böse auf mich, nicht wahr nicht? frug Mr. Noël Vanstone unruhig.

—— O gewiß nicht, Sir, erwiderte Mrs. Lecount. Wie Sie bereits gesagt haben: Sie sind hier Herr.

—— Gute Seele, geben Sie mir eine Hand!

Er küßte ihr die Hand und lächelte übers ganze Gesicht vor Freude über dies sein zärtliches Beginnen.

—— Lecount, Sie sind eine ganz ehrenwerthe Person!

—— Ich danke Ihnen, Sir, sagte Mrs. Lecount.

Sie machte einen Knix und ging hinaus.

—— Wenn er in seinem Affenschädel nur ein wenig Grütze hätte, sprach sie auf dem Gange vor sich hin, was für ein ausgemachter Schurke würde er sein!

Sich selbst überlassen versank Mr. Noël Vanstone in eifrige Betrachtungen über die offen gelassene Stelle in dem Entwurfe der Anzeige Mrs. Lecounts auf den ersten Anschein überflüssiger Wink, in seinem Gelderbieten ja recht freigebig zu sein, wenn er mit sich eins sei, daß er doch Nichts geben wolle, war auf eine tiefe Kenntniß seines Charakters gegründet gewesen. Er hatte die schmutzige Liebe zum Gelde von seinem Vater geerbt, ohne jedoch zugleich auch den starrköpfigen Sinn und die Sicherheit seines Vaters in der Erkenntniß des passenden Gebrauches des Geldes mitzuerben. Der einzige Gedanke in Bezug auf das Geld, den er hatte, war der, es ja recht festzuhalten. Er war ein so eingefleischter Knicker, daß schon die bloße Möglichkeit, wenigstens dem Anschein nach freigebig zu sein, ihn in Schrecken setzte. Er nahm die Feder zur Hand und legte sie wieder hin. Er las den anonymen Brief wohl zum dritten Male und schüttelte darüber argwöhnisch mit dem Kopfe.

—— Wenn ich nun diesem Menschen eine große Summe Geldes biete, dachte er plötzlich, wie kann ich wissen, ob er nicht doch ein Mittel findet, mich zu zwingen, sie ihm wirklich zu zahlen? Frauenzimmer sind immer vorlaut und schnell. Die Lecount ist auch immer schnell bei der Hand. Ich habe den Nachmittag vor mir —— ich will den Nachmittag dazu verwenden, darüber nachzudenken.

Aergerlich legte er das Conceptbuch und den Entwurf der Anzeige auf den Stuhl, den Mrs. Lecount eben verlassen hatte. Als er zu seinem eignen Sessel zurückkehrte, schüttelte er seinen kleinen Kopf feierlich und schlug seinen weißen Schlafrock über die Kniee zusammen mit der Miene eines in eifrige Gedanken versunkenen Mannes. Minute auf Minute verrann, die halben und die Viertelstunden folgten einander auf dem Zifferblatte von Mrs. Lecounts Uhr, und noch blieb Mr. Noël in Ungewißheit befangen, noch immer wurde die Klingel des Empfangszimmers nicht in Bewegung gesetzt, um das Mädchen zu rufen.

* * * * * * * * * * *

Mittlerweile hatte Magdalene sich klüglich gehütet, auf ihre Wohnung zu über die Straße zu schreiten, und war erst, nachdem sie in der Nähe einen Umweg gemacht, zurückgekehrt. Als sie sich wieder auf der Vauxhallpromenade befand, war der erste Gegenstand, der ihre Aufmerksamkeit erregte, ein vor der Thür ihrer Wohnung haltender Cab. Als sie ein paar Schritte näher kam, sah sie die Tochter der Wirthin am Kutschenschlage stehen und sich mit dem Kutscher wegen des Fahrgeldes herumstreiten. Sowie Magdalene bemerkte, daß das Mädchen ihr den Rücken zukehrte, machte sie sich sofort diesen Umstand zu Nutze und schlüpfte unbemerkt ins Haus.

Sie eilte in dem Gange hin, stieg die Treppe hinan und stand plötzlich auf dem ersten Absatze ihrer Reisegefährtin gegenüber! Da stand Mrs. Wragge mit einem Haufen kleiner Päckchen auf den Armen, ängstlich auf das Ende des Streites mit dem Cabkutscher auf der Straße wartend. Umzukehren war unmöglich, der Klang der zornigen Stimmen unten näherte sich dem Gange im Hause. Zu zögern war noch schlimmer, als bloß unnöthig Nur eine Wahl blieb, die Wahl vorwärts zu gehen, und diese traf denn auch Magdalene in ihrer Rathlosigkeit Sie schob Mrs. Wragge bei Seite, ohne ein Wort zu sagen, lief in ihr Zimmer, warf ihren Mantel, den Hut und die Perrücke ab und schleuderte sie in den leeren Raum zwischen dem Sophabette und der Wand, wo sie Niemand sehen konnte.

In den ersten Augenblicken raubte das Erstaunen der guten Mrs. Wragge die Sprache, und sie blieb auf dem Flecke, wo sie stand, angewurzelt stehen. Zwei von den Gepäckstücken auf ihren Armen fielen auf die Treppe herunter. Der Anblick dieses Mißgeschicks richtete sie wieder auf.

—— Diebe! schrie Mrs. Wragge, indem ihr plötzlich ein Gedanke durch den Kopf schoß, Die — be! Die — be!

Magdalene hörte sie durch die Thür, welche sie nicht Zeit genug gehabt hatte zuzumachen.

—— Sind Sie es, Mrs. Wragge? rief sie hinaus mit ihrer Stimme. Was gibt es denn?

Sie nahm ein Handtuch, während sie sprach, tauchte es ins Wasser und fuhr damit rasch über den unteren Theil ihres Gesichts. Bei dem Klange der befreundeten Stimme wandte sich Mrs. Wragge um, ließ dabei ein drittes Päckchen fallen und stieg, ohne in ihrem Staunen darauf Acht zu geben, das zweite Treppenstück hinauf. Magdalene trat auf den Treppenabsatz des ersten Stockes hinaus mit dem Handtuch vor der Stirn, als ob sie Kopfweh habe. Ihre falschen Augenbraunen erforderten einige Zeit, ehe sie abgelöst werden konnten und ein augenblicklich vorgeschütztes Kopfweh gab den besten Vorwand ab, den sie eben gleich fand, um sie so vollständig zu verbergen, wie sie jetzt verdeckt waren.

—— Warum bringen Sie das Haus in Aufregung? frug sie. Ich bitte Sie, seien Sie doch still. Ich kann vor Kopfschmerz kaum aus den Augen sehen.

—— Ist ein Unglück geschehen, Madame? fragte die Wirthin aus dem Gange herauf.

—— Gott behüte, versetzte Magdalene. Meine Freundin ist etwas furchtsamer Natur, und der Streit mit dem Kutscher hat sie erschreckt. Zahlen Sie dem Manne, was er verlangt, und lassen Sie ihn ziehen.

—— Wo ist sie? fragte Mrs. Wragge, vor Furcht leise flüsternd. Wo ist das Weib, das an mir vorüber in Ihr Zimmer lief?

—— Ach was! sagte Magdalene. Kein Weib ist an Ihnen vorüber gelaufen, wie Sie es nennen. Sehen Sie herein und suchen Sie es selbst.

Sie machte die Thür weit auf. Mrs. Wragge schritt in das Zimmer, sah sich überall um, erblickte Niemand und drückte nun ihr bodenloses Erstaunen über dieses Ergebniß dadurch aus, daß sie ein Viertes Päckchen fallen ließ und kläglich zitterte vom Wirbel bis zur Zehe.

—— Ich sah sie aber doch hineingehen, sagte Mrs. Wragge in schreckergriffenem Tone. —— Ein Weib in einem grauen Mantel und mit einem Schaufelhut —— Ein grobes Weib. —— Es lief an mir auf der Treppe vorbei, ja das that es. Hier ist das Zimmer und kein Weib darinnen. Geben Sie mir ein Gebetbuch! rief Mrs. Wragge, wurde todtenbleich und ließ ihre ganze übrige Packerei vollends fallen, als wollte sie ein Füllhorn leeren.

—— Ich muß etwas Gutes lesen. Ich muß an mein letztes Stündlein denken. Ich habe einen Geist gesehen.

—— Unsinn! sagte Magdalene Sie sind im Traume; das Einkaufen hat Sie zu sehr angegriffen. Gehen Sie in Ihr Zimmer und setzen Sie Ihren Hut ab.

—— Ich habe wohl von Geistern in Nachtgewändern erzählen hören, von Geistern in Betttüchern und von Geistern in Ketten, fuhr Mrs. Wragge fort und stand dabei [wie Max im »Freischütz«] inmitten des Zauberkreises der am Boden verzettelten Leinwandpackereien wie festgebannt still. Hier ist aber ein Geist, schlimmer als jene insgesamt: ein Geist in einem grauen Mantel und mit einem Schaufelhute. Ich weiß es ja wohl, was es ist, fuhr Mrs. Wragge in reu- und wehmüthige Thränen ausbrechend fort, es ist ein Strafgericht für mich, weil ich mich so glücklich fühlte, da ich vom Hauptmann so weit weg bin. Es ist ein Strafgericht für mich, weil ich mit übergetretenen Schuhen in den Läden von halb London gewesen bin, erst an dem einen Schuh, dann auch an dem andern, und zwar die ganze Zeit über, wo ich aus war. Ich bin ein gar sündhaftes Geschöpf. Lassen Sie mich nicht allein gehen, was Sie auch thun mögen, lassen Sie mich nicht allein gehen!

Sie faßte Magdalenen fest am Arme und fing beim bloßen Gedanken, daß sie allein bleiben sollte, aufs Neue zu zittern an.

Das Einzige, das hier zu thun übrig blieb, war, sich den Umständen zu fügen. Magdalene brachte Mrs. Wragge zu einem Stuhle, nachdem sie denselben erst so gestellt hatte, daß sie ihrer Reisegefährtin so lange den Rücken kehren konnte, als sie mit etwas Wasser die falschen Augenbraunen ablöste.

—— Warten Sie ein Weilchen, sagte sie, und sehen Sie zu, ob Sie sich beruhigen können, während ich meinen Kopf naß mache.

—— Mich beruhigen? wiederholte Mrs. Wragge. Wie soll ich mich beruhigen, wenn mein Kopf so brummt, als wollte er mir zerspringen. Das schlimmste Schwirren und Sausen, das ich je über, das Kochbuch bekommen habe, war ein Spaß gegen das Sausen, das ich jetzt über den Geist bekommen habe. Ach, das ist ein klägliches Ende eines Festtages für mich! Sie können mich wieder zurücknehmen, meine Liebe, wann es Ihnen beliebt —— ich habe bereits genug daran!

Als Magdalene endlich mit den Augenbraunen fertig war, so hatte sie nun Zeit, den unglücklichen Eindruck, den das Gemüth ihrer Gefährtin erfahren hatte, mit allen Mitteln der Ueberredungskunst zu bekämpfen, welche ihr Scharfsinn ihr eingab.

Der Versuch erwies sich als vergeblich. Mrs. Wragge beharrte bei dem Glauben, daß sie auf übernatürliche Weise einen Besuch aus der Geisterwelt erhalten habe, freilich auf Grund eines so thatsächlichen Beweises, welcher im Vorbeigehen gesagt gar mancher gescheidteren Geisterseherin genügt haben würde. Alles was Magdalene thun konnte, war, sich durch vorsichtige Fragen zu vergewissern, daß Mrs. Wragge nicht rasch genug gewesen war, zu erkennen, daß der angebliche Geist und die alte nordenglische Dame in der »Unterhaltung« ein und dieselbe Person waren. Als sie sich in diesem Betracht beruhigt hatte, konnte sie alles Uebrige nur der natürlichen Unfähigkeit, Eindrücke festzuhalten, wenn solche nicht beständig erneuert wurden, überlassen, welche eine von den bezeichnenden Schwächen im Charakter ihrer Reisegefährtin war. Nachdem sie Mrs. Wragge durch die wiederholte Versicherung aufgerichtet, daß eine einmalige Erscheinung nach Gesetz und Herkommen der Geisterwelt gar Nichts zu bedeuten habe, wenn nicht unmittelbar zwei andere daraus folgten, nachdem sie ruhig ihre Aufmerksamkeit auf die in der Hausflur und auf der Treppe verlorenen Packereien hingelenkt und ihr versprochen hatte, die Verbindungsthür zwischen den beiden Zimmern halboffen zu lassen, falls sie, Mrs. Wragge, ihrerseits sich anheischig mache, in ihre Kammer zu gehen und kein Wort mehr von dem entsetzlichen Gegenstande, der Geistererscheinung, zu sagen —: verschaffte sie sich endlich Gelegenheit, über die Ereignisse des merkwürdigen Tages ungestört nachzudenken.

Zwei ernste Folgen hatten sich an ihren ersten Schritt geknüpft. Mrs. Lecount hatte sie dabei ertappt, wie sie mit ihrer eigenen Stimme sprach, und der unglückliche Zufall hatte sie in ihrer Verkleidung mit Mrs. Wragge zusammengeführt.

—— Welchen Vortheil hatte sie gewonnen, um ihn gegen dies Mißgeschick in die Waagschale legen zu können? Den Vortheil, daß sie nun Von Noël Vanstone und von Mrs. Lecount mehr wußte, als sie vielleicht in Monaten entdeckt hätte, wenn sie sich nur auf Nachforschungen Anderer hätte verlassen müssen. Eine Ungewißheit, die sie bisher beunruhigt und gestört hatte, war nun bereits beseitigt. Der Plan, welchen sie insgeheim gegen Michael Vanstone ausgedacht hatte und den Hauptmann Wragges scharfe Spüraugen bereits zum Theil durchschaut hatten, als sie ihm zuerst anzeigte, daß ihre Theilhaberschaft jetzt aufgelöst werden müsse, mußte ausgegeben werden, weil er bei Michael Vanstones Sohne nicht anschlagen würde, Das sah sie klar ein. Die Gewohnheit seines Vaters, zu speculiren, war der Angelpunct gewesen, um welchen das ganze Rüstwerk ihrer ausgedachten Verschwörung sich zu drehen berechnet war. In dem doppelt schmutzigen Charakter des Sohnes war kein solcher handhafter Punkt zu entdecken. Mr. Noël Vanstone war gerade auf dem Punkte unverwundbar, aus welchem sein Vater anzugreifen gewesen wäre.

Wenn sie nun zu diesem Schlusse gekommen war, wie sollte sie ihr künftiges Verhalten einrichten? Welche neuen Mittel konnte sie ausfindig machen, um trotz der arglistigen Wachsamkeit der Mrs. Lecount und Noël Vanstones knauserigem Mißtrauen dennoch ihren Zweck zu erreichen?

Sie saß vor dem Spiegel und kämmte in tiefen Gedanken ihr Haar, während diese höchst wichtigen Erwägungen ihren Geist beschäftigten. Die Aufregung des Augenblicks hatte ihr Fieberglut in die Wangen getrieben und ihre großen grauen Augen glänzend gemacht. Sie war sich bewußt, daß sie schöner als je aussah, wußte, daß ihre Schönheit nach der Entfernung der Verkleidung durch den Gegensatz gewann. Ihr liebliches lichtbraunes Haar sah dichter und weicher aus als je zuvor, jetzt da es befreit war von der häßlichen Umhüllung durch die graue Perrücke. Sie flocht es bald so, bald so mit raschen, geschickten Fingern, sie ließ es schwer über ihre Schultern fallen, sie warf es wieder hinter dieselben in einen Haufen und wandte sich seitwärts um zu sehen, wie es fiel, um ihren Rücken und ihre Schultern befreit von der künstlichen Entstellung durch den wattierten Mantel zu sehen. —— Einen Augenblick darauf schaute sie wieder gerade in den Spiegel hinein, begrub ihre beiden Hände in ihrem Haar und sah mit den Ellenbogen auf dem Tische näher und immer näher auf das Spiegelbild ihrer selbst hin, bis ihr Athem das Glas trübe machte.

—— Ich kann jeden Mann um den Finger wickeln, dachte sie und lächelte dabei Siegesstolz, so lange ich mein Aussehen behalte! Wenn der verächtliche Elende mich jetzt sähe....

Sie scheute sich, ihren Gedanken zu Ende zu führen, mit einem plötzlichen Schauder vor sich selbst und wandte sich bebend und die Hände vor das Gesicht drückend vom Spiegel weg.

—— Ach, Frank, murmelte sie, nur um Deinetwillen, welch ein Geschöpf könnte ich werden!

Mit begierigen Fingern zog sie die kleine weißseidene Tasche aus ihrem geheimen Versteck in ihrem Busen, ihre Lippen bedeckten ihn mit stillen heißen Küssen.

—— Mein Liebling, mein Engel! Ach, Frank wie lieb’ ich Dich!

Die Thränen traten ihr ins Auge. Sie trocknete sie hastig, steckte das Täschchen wieder an seinen Platz und wandte dem Spiegel den Rücken.

—— Nichts weiter von mir selbst, dachte sie, Nichts weiter heute von meinem tollen, elenden Ich!

Indem sie sich vor jeder weiteren Ueberlegung ihres nächsten Schrittes scheute, sich scheute Vor dem Gedanken an die immer dunkler werdende Zukunft, mit welcher nunmehr Noël Vanstone in ihren geheimsten Gedanken in Verbindung gesetzt ward, sah sie sich ungeduldig im Zimmer nach irgend einer häuslichen Beschäftigung um, mit welcher sie gleichsam vor sich selber flüchten könnte. Der Verkleidungsanzug, den sie zwischen die Wand und das Bett geworfen hatte, kam ihr wieder in den Sinn. Es war unmöglich, ihn dort zu lassen. Mrs. Wragge, die jetzt dabei war, ihre Packereien auszusuchen und zu ordnen, konnte endlich ihrer Beschäftigung müde werden und jeden Augenblick zurückkommen an das Bett treten und den grauen Mantel sehen. Was sollte damit werden?

Ihr erster Gedanke war, die Verkleidung in ihre Reisetasche zurückzuthun. Allein nach Dem, was geschehen war, war es mißlich, dieselbe so nahe bei sich zu behalten, wo sie und Mrs. Wragge unter demselben Dache beisammen waren. Sie beschloß, sich derselben noch denselben Abend zu entledigen, und wollte sie kühnlich nach Birmingham zurückschicken. Ihre Hutschachtel paßte in ihre Reisetasche Sie nahm dieselbe heraus, warf die Perrücke und den Mantel hinein und drückte ohne Erbarmen den Hut oben darauf platt zusammen. Der Rock, den sie noch nicht ausgezogen hatte, war ihr gewöhnlicher; Mrs. Wragge hatte sie schon oft darin gesehen, es war nicht nöthig, denselben mit zurückzuschicken. Ehe sie die Schachtel zumachte, schrieb sie hastig folgende Zeilen auf ein Blatt Papier:

—— Ich nahm aus Versehen die inliegenden Sachen mit fort. Heben Sie mir dieselben gefälligst mit meinem übrigen Gepäck in Ihrer Verwahrung auf, bis Sie wieder von mir hören.

Indem sie das Papier auf den Hut oben drauf legte, adressierte sie die Schachtel an Hauptmann Wragge zu Birmingham, trug sie sofort hinunter und schickte die Tochter der Wirthin damit zu der nächsten Annahmestelle (Receiving Please) fort.

—— Diese Schwierigkeit wäre erledigt, dachte sie, als sie wieder auf ihr Zimmer hinaufging.

Mrs. Wragge war noch damit beschäftigt, ihre Packereien aus ihrem engen, kleinen Bette zu ordnen. Sie drehte sich mit einem leisen Schrei um, als Magdalene zu ihr hineinschaute.

—— Ich dachte, es wäre wieder der Geist, sagte Mrs. Wragge. Ich werde mir zur Warnung dienen lassen, was mir begegnet ist. Ich habe alle meine Packereien hübsch gerade gestellt, wie es der Hauptmann gern sehen würde. Ich bin ordentlich in meinen beiden Schuhen; wenn ich heute Nacht meine Augen schließe, was mir wohl kaum möglich sein wird, will ich so gerade liegen, als meine Beine es nur gestatten. Ich will auch nie wieder einen freien Tag haben, so lange ich lebe. Ich hoffe, es wird mir Vergeben werden, sagte Abs. Wragge, indem sie betrübt das Haupt schüttelte. Ich hoffe in Demuth, es wird. mir vergeben werden.

— Vergeben! wiederholte Magdalene. Wenn anderen Frauen so wenig vergeben zu werden brauchte, als Ihnen, dann stände es gut, sehr gut! Wollen Sie nicht ein paar von diesen eingepackten Sachen aufmachen? Wohlan! Ich möchte sehen, was Sie heute eingekauft haben.

Mrs. Wragge zögerte, seufzte zerknirscht, besann sich ein Weilchen, streckte dann ihre Hand furchtsam nach einem von den Packeten aus, dachte aber sogleich wieder an die Mahnung ans der Geisterwelt und bebte vor ihren eigenen Einkäufen zurück mit einer verzweifelten Anstrengung, sich selbst zu beherrschen.

—— Machen Sie, Dies hier auf, sagte Magdalene, um sie zu ermuthigen, was ist da drin?

Mrs. Wragges blaue Augen fingen an ein klein wenig glänzend zu werden, trotz ihrer Zerknirschung, allein sie schüttelte mit Seibstverleugnung den Kopf. Die große Leidenschaft für das Einkaufen mochte wieder ihre Rechte fordern, aber noch war ihr der Geist nicht aus den Gedanken gewichen.

—— Haben Sie es wohlfeil eingekauft? frug Magdalene vertraulich.

—— Spottwohlfeil, rief die arme Mrs. Wragge und fiel mit dem ganzen Leibe in die ihr gelegte Schlinge, indem sie dabei das Packet mit den Blicken verschlang, als ob Nichts vorgefallen wäre.

Magdalene hielt sie im Geplauder über die Einkäufe eine Stunde und noch länger fest und entschloß sich dann sehr klüglich, ihre Aufmerksamkeit von allen Gespenstererinnerungen durch einen Spaziergang mit ihr abzulenken.

Als sie die Wohnung verließen, öffnete sich drüben die Thür von Noël Vanstones Hause, und das Dienstmädchen erschien, um abermals einen Gang zu verrichten. Sie war dies Mal ersichtlich mit einer Briefbesorgung betraut, da sie sorgfältig ein Schreiben in der Hand trug. Magdalene, die sich bewußt war, selber noch keinen Plan gefaßt zu haben, weder zu Trutz noch zu Schutz, war mit einer augenblicklichen Furcht verlänglich zu wissen, ob denn Mrs. Lecount sich schon entschlossen hätte, neue Beziehungen anzuknüpfen, und ob der Brief etwa an »Miss Garth« gerichtet sei.

Der Brief trug keine solche Adresse. Mr. Noël Vanstone hatte endlich seine verzwickte Geldfrage entschieden. Die offen gelassene Stelle in der Anzeige war ausgefüllt, und Mrs. Lecounts Annahme der anonymen Warnung des Hauptmann Wragge war nun unterwegs, um in die »Times« gerückt zu werden.


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