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Gesetz und Frau



Fünfzehntes Kapitel.

Unser neuer Honigmond.

Auf der Rückreise nach London war ich sehr niedergedrückt. Das plötzliche Aufgeben meines großen Lebensplanes, den ich bis jetzt mit so großer Mühe und so großem Glück verfolgt, war eine harte Ueberwindung für eine Frau von Ehre und Pflichtgefühl.

Ich hatte geglaubt London so frühzeitig zu erreichen, daß ich noch mit dem Abendzuge weiter reisen könnte. Der Zug versäumte aber den Anschluß, und es blieb mir daher nichts übrig, als noch eine Nacht in Benjamins Villa zu schlafen.

Meine Ankunft überraschte ihn. Ich fand ihn allein in seiner Bibliothek bei einer wundervollen Erleuchtung von mehreren Lampen und Kerzen bei deren hellem Schein er sich damit beschäftigte, kleine Papierschnitzel zusammenzusetzen welche zerstreut vor ihm auf dem Tische lagen.

»Was in aller Welt machen Sie da?« fragte ich.

Benjamin erröthete, beinahe wie ein junges Mädchen früher erröthet wäre. In unserer Zeit ist das Erröthen aus der Mode gekommen.

»O, nichts, nichts,« entgegnete er verwirrt. Er streckte die Hand aus, um die Papierschnitzel vom Tisch zu fegen als ich ihn daran verhinderte.

»Sie haben von Mr. Playmore gehört,« sagte ich. »Sagen Sie mir die Wahrheit ja oder nein?«

Benjamin erröthete noch tiefer und antwortete: »Ja!«

»Wo ist der Brief?«

»Ich darf ihn Ihnen nicht zeigen Valeria.«

Dies machte mich nur noch neugieriger.

Das beste Mittel, Benjamin zu meinen Gunsten zu stimmen war, ihm von dem Opfer zu erzählen welches ich meinem Gatten gebracht.

»Ich habe nichts weiter mit der Sache zu thun schloß ich meinen Bericht. »Es kommt nun ganz ans Mr. Playmore an, ob er die Forschungen aufgeben. oder fortsetzen will. Die Lesung dieses Briefes ist gleichermaßen der Abschied von meinen Bestrebungen. Wollens Sie mir das Schreiben nicht zeigen?«

Benjamin war zu glücklich über meinen Bericht als daß er meiner Bitte hätte widerstehen können. Er gab mir den Brief.

Mr. Playmore wendete sich an Benjamin weil er von diesem voraussetzte, daß er als alter Aktenwurm Gelegenheit gehabt habe, zerrissene Dokumente zusammenzusetzen. Außerdem machte Mr. Playmore Benjamin auf die Notizen aufmerksam, die er bei Dexter niedergeschrieben und welche von der höchsten Wichtigkeit sein konnten. Der Brief schloß mit einer Warnung, daß die Correspondenz vor mir geheim gehalten werden solle, damit nicht neue, möglicherweise trügerische Hoffnungen in mir erweckt würden.

Nun verstand ich erst den Ton in welchem mein würdiger Rathgeber an mich geschrieben. Sein Interesse bei Auffindung des Briefes war so mächtig in ihm geworden daß er mich von der Theilnahme ausschließen wollte, in der Befürchtung, daß ich zum Mißlingen des Unternehmens beitragen könnte.

Am anderen Morgen früh begleitete mich Benjamin auf den Bahnhof.

»Ich werde noch heute nach Edinburgh schreiben,« sagte er, am Fenster meines Coupes stehend. »Haben Sie etwas an Mr. Playmore zu bestellen?«

»Nein meine Rolle ist ausgespielt.«

»Soll ich Ihnen schreiben wie das,Experiment in Gleninch ausgefallen ist?«

Ich bejahte.

Mein alter Freund lächelte.

»Schon recht,« entgegnete er. »Ich sehe, daß Sie Sich doch noch etwas für die Sache interessiren. Ich kenne die Adresse des Banquiers in Paris, auf welchen Ihre Wechsel lauten. Ehe Sie es Sich versehen, werden Sie dort einen Brief von mir finden. Schreiben Sie mir, wie es Ihrem Gatten geht und nun Gott befohlen!«

Noch an demselben Abend war ich mit Eustace vereinigt. Er war noch zu schwach, um den Kopf von seinen Kissen erheben zu können. Ich kniete neben dem Bett nieder und küßte ihn. In seinen müden Augen schimmerte neuer Muth.

»Ich muß nun weiterleben, um Deinetwillen,« flüsterte er.

Meine Schwiegermutter hatte uns allein gelassen.

Als Eustace jene Worte gesprochen, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, ihm die neue Hoffnung mitzutheilen, welche unseren ferneren Lebenspfad erleuchten sollte.

»Du mußt nun auch um eines Anderen willen weiter leben,« sagte ich.

Er blickte mich verwundert an.

»Meinst Du meine Mutter?«

»Ich meine unser Kind,« flüsterte ich, mein Haupt an seine Brust legend.

Nun hatte ich meine Belohnung für Alles, « was ich aufgegeben. Ich vergaß Mr. Playmore, ich vergaß Gleninch. Unser neuer Honigmond begann mit jenem Tage.

Die Zeit verstrich in unserer stillen Querstraße. Die Wogen des pariser Lebens rauschten ungehört an uns vorüber. Langsam, aber beharrlich gewann Eustace seine Kraft zurück. Die Aerzte verwiesen ihn fast ganz auf meine Pflege.

»Sie sind sein Arzt,« sagten sie.

»Je glücklicher Sie ihn machen, je schneller wird er genesen.«

Nur einmal wurde die ruhige Oberfläche unseres Lebens durch eine Erwähnung der Vergangenheit gekräuselt. Eine zufällige Aeußerung von mir rief Eustace unser letztes Zusammensein bei Major Fitz-David zurück. Er erkundigte sich sehr zart nach den ferneren Vorgängen und sprach die Hoffnung aus, daß die Sache nun Vollständig zur Ruhe gekommen sei. Meine Antwort mußte ihn vollständig zufriedenstellen, aber ich konnte nicht umhin, zu meiner eigenen Beruhigung ebenfalls eine Concession von ihm zu verlangen.

»Eustace,« sagte ich zu ihm, »bist Du nun vollständig von jenen grausamen Zweifeln geheilt, die Dich einst veranlaßten, von mir zu gehen?«

Seine Antwort machte mich erröthen vor Vergnügen.

»O Valeria, ich würde nimmer von Dir gegangen sein, wenn ich Dich damals erkannt hätte, wie ich Dich jetzt kenne.«

So war also der letzte Zweifel geschwunden.

Selbst die Erinnerung an meine unruhigen und gefahrvollen Tage in London schien meinem Gedächtniß zu entschwinden. Wir gingen völlig Einer in den Andern auf. Wir glaubten, daß unsere Hochzeit erst vor ein oder zwei Tagen stattgefunden. Ein letzter Sieg über mich selbst sollte aber erst mein Glück vollständig machen. Ich fühlte noch immer ein geheimes Verlangen, zu wissen, wie es mit dem zerrissenen Briefe geworden. Wie mächtig die Neugierde ist? Im Besitz alles Dessen, was ein Weib glücklich machen kann, setzte ich noch einmal meinen ganzen Schatz aufs Spiel, um die letzten Vorgänge in Gleninch kennen zu lernen.

Ich ersehnte den Tag, an dem ich genöthigt sein würde, meine geleerte Börse beim Banquier wieder stillen zu lassen. Der Tag kam. Ich ging zum Banquier und verlangte mein Geld, ohne des Briefes Erwähnung zu thun. Sollte Benjamin nicht geschrieben haben? Endlich erschien aus den inneren Räumen ein kleiner Mann mit einem Schreiben in der Hand.

»Ist-das für Sie, Madame?« fragte er.

Ein Blick auf die Adresse ließ mich Benjamins Hand erkennen. Erst als ich wieder in meinem Wagen saß, wagte ich es, den Brief zu öffnen.

Die ersten Worte sagten mir, daß das Experiment mit dem Müllhaufen geglückt und daß die Fragmente des zerrissenen Briefes gefunden seien.


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