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Gesetz und Frau



Erster Theil.

Erstes Kapitel.

Der Irrtum der Braut.

»Denn in dieser Weise zieren sich die heiligen Frauen des Alterthums, welche auf Gott baueten, selbst, indem sie sich unterwürfig machten ihrem Eheherrn, so wie Sarah Abraham gehorchte und ihn Herr nannte, als deren Töchter Ihr Euch bekennen dürft, so lange, als Ihr wohl handelt und nicht bange seid in irgend einem Bedenken«

So die wohlbekannten Worte der Trauformel unserer englischen Kirche endend, schloß mein Onkel Starkweather sein Buch, und warf mir über das Altargitter hinweg einen Blick herzlichen Interesses zu, der sein ganzes breites Angesicht erleuchtete. In demselben Augenblick tippte mir meine Tante Mrs. Starkweather, welche neben mir stand, auf die Schulter und sagte:

»Valeria, nun bist Du verheirathet!«

Wo waren meine Gedanken? Was war aus meiner Aufmerksamkeit geworden? Ich war zu verwirrt, um es zu wissen. Ich stutzte und blickte meinen Gatten an. Er schien beinahe eben so Verwirrt, als ich es war. Es schien, als wenn wir Beide in diesem Augenblick denselben Gedanken gehabt. War es denn wirklich möglich daß wir, trotz des Einspruches seiner Mutter, dennoch Mann und Frau geworden? Meine Tante Starkweather erledigte die Frage, indem sie mir noch einmal auf die Schulter tippte.

»Nimm seinen Arm!« flüsterte sie, in einem Ton, als wenn sie alle Geduld mit mir verloren hätte.

Ich nahm seinen Arm.

»Folge Deinem Onkel.«

Mich fest an meinen Gatten schmiegend, folgte ich meinem Onkel und dem Hilfeprediger, welcher bei der Trauung assistirt hatte.

Die beiden Geistlichen führten uns in die Sakristei. Die Kirche lag in einer der traurigen Gegenden Londons, welche sich zwischen der City und dem West-End hinziehen. Der Tag war trübe; die Luft schwer und feucht.

Wir bildeten eine melancholische kleine Hochzeitsgesellschaft, welche vollständig mit der traurigen Umgebung und dem traurigen Tage sympathisirte. Keine Verwandte und Freunde meines Gatten waren anwesend; weil, wie ich bereits angedeutet, seine Familie unsere Verbindung mißbilligte. Von meiner Seite waren auch nur mein Onkel und meine Tante erschienen. Meine beiden Eltern hatte ich längst verloren und die wenigen Freunde wohnten zu entfernt. Der ehemalige alte Schreiber meines Vaters, Benjamin, war auf wenige Stunden nach London gekommen, um meiner Trauung beizuwohnen. Er hatte mich von Kindesbeinen an gekannt und war mir nachher in meiner verlassenen Stellung ein zweiter Vater gewesen.

Der Rest der Ceremonie bestand wie gewöhnlich darin, das die beiden jungen Gatten den Trauact unterzeichneten. In der Befangenheit, welche die Situation mit sich brachte, beging ich einen Irrthum, welcher, nach der Ansicht meiner Tante Starkweather, von übler Vorbedeutung war. Ich unterzeichnete meinen Frauennamen anstatt dessen, den ich als Mädchen geführt.

»Was!« rief mein Onkel laut und verwundert, »Du hast schon Deinen Namen vergessen? Wir wollen hoffen, daß Du es nie bereuen mögest, ihn so schnell beseitigt zu haben. Schreibe noch einmal Valeria.

Mit zitternden Fingern ergriff ich noch einmal die Feder und zeichnete meinen Mädchennamen:

Valeria Brinton.

Als meinem Gatten die Feder überreicht ward, bemerkte ich mit Erstaunen, daß seine Hand ebenfalls zitterte und daß er, wie ich, nur eine sehr schlechte Unterschrift aufs Papier brachte:

Eustace Woodville.

Meine Taute, die ebenfalls aufgefordert wurde, zu unterzeichnen, that es unter Protest.

»Ein schlechter Anfang!« sagte sie, mit dem anderen Ende der Feder auf meine erste Unterschrift deutend. »Ich sage wie mein Mann, ich hoffe, daß Du es nie bereuen mögest.« Selbst in jenen Tagen meiner Unwissenheit und Unschuld verursachte mir die seltsam abergläubische Aeußerung meiner Tante ein gewisses unbehagliches Gefühl. Ich fühlte einen Trost in dem leisen Händedruck meines Gatten; es war eine unbeschreibliche Erleichterung für mich, als meines Onkels herzliche Stimme mir eine glückliche Zukunft wünschte. Der gute Mann hatte seine, im Norden gelegene Pfarre, meine zweite Heimath seit der Eltern Tode, verlassen, um den Trauact an uns zu vollziehen, und er wollte nun mit meiner Tante den Mittagszug zur Rückkehr benutzen. Er schloß mich in seine großen starken Arme und gab mir einen Kuß, der von den Müßiggängern gehört werden mußte, welche draußen vor der Kirchthür auf die Neuvermählten warteten.

»Ich wünsche Dir alles Glück und Wohl- ergehen, mein liebes Kind! Du warst alt genug, um selbst zu wählen, und ich bitte Gott, Valeria, daß Du gut gewählt haben mögest. Unser Haus wird uns recht leer ohne Dich vorkommen; aber ich muß mich bescheiden Wenn Du nur glücklich wirst, dann will ich es auch sein. O, O, nun weine nur nicht, sonst steckst Du Deine Taute auch noch an. Außerdem verderben Thränen die Schönheit. Trockne Deine Augen und blicke dort in den Spiegel, dann wirst Du sehen, daß ich Recht habe. Und nun lebe wohl, Kind, und Gott sei mit Dir!«

Er nahm den Arm meiner Tante und verließ die Sacristei. So sehr ich meinen Gatten liebte, that mir doch das Herz weh, als ich den treuen Freund und Beschützer meiner Mädchentage scheiden sah.

Dann kam der Abschied vom alten Benjamin. »Ich wünsche Ihnen alles Gute, und vergessen Sie mich nicht!« war Alles, was er sagte. Aber so wenig Worte es auch waren, riefen sie mir doch alte Erinnerungen aus der Heimath zurück. Benjamin speiste jeden Sonntag bei uns, als mein Vater noch lebte, und jedes mal brachte er mir ein kleines Geschenk mit. Ich hätte beinahe wieder meine Schönheit verdorben, wie mein Onkel sich ausdrückte, als ich dem alten Manne die Wange zum Kuß bot, und als er aufseufzte, als wenn er keine rechte Hoffnung auf mein künftig Glück hätte.

Die Stimme meines Gatten machte meinen Sinn heiterer.

»Wollen wir gehen, Valeria?« fragte er.

Ehe wir die Kirche verließen, wollte ich noch meines Onkels Rath befolgen und in den Spiegel blicken, der über dem Kamin in der Sacristei angebracht war.

Welche Bilder zeigte mir der Spiegel?

Er zeigte mir ein großes, schlankes, junges Weib von dreiundzwanzig Jahren. Sie gehört durchaus nicht zu den Personen, welche auf der Straße die Blicke der Vorübergehenden auf sich ziehen, obgleich sie des goldblonden Haares und der rothen Wangen entbehrt, welche den meisten Engländerinnen eigenthümlich sind. Ihr Haar ist schwarz und fällt in breiten, sanft gekräuselten Locken von der Stirn auf Schulter und Nacken herab. Ihre Farbe ist bleich: mit Ausnahme von Momenten heftiger Erregung, in denen sich ihre Wangen röthen. Die Augen sind von so dunklem Blau, daß sie gewöhnlich für schwarz gehalten werden. Die Augenbrauen, obwohl schön geformt, sind zu dunkel und zu stark. Die scharf gebogene Nase wird von Leuten, die sich auf Nasen verstehen, für zu groß gehalten. Der Mund, der schönste Theil ihres Antlitzes, ist sehr edel geschnitten und außerordentlich ausdrucksfähig. Was das Antlitz im Allgemeinen betrifft, so ist es zu schmal und im unteren Theile zu lang, während es im oberen Theile, namentlich in der Stirn, zu breit erscheint.

Das ganze Bild, welches der Spiegel zurückwirft, zeigt eine elegante Figur, aber zu bleich, zu ruhig und ernst in Momenten des Schweigens, kurz eine Person, welche den gewöhnlichen Beobachter im ersten Augenblicke besticht, welche aber mit dem nächsten und jedem folgenden Blicke gewinnt. Was ihre Kleidung anbetrifft, so sucht diese eher zu verschweigen als zu erzählen, daß sie sich soeben verheirathet hat. Sie trägt einen Tunika von grauem Caschmir, und darunter einen Rock von gleichem, Stoff und gleicher Farbe. Von dem Haupt herab fließt ein weißer Schleier, der mit einer dunkelrothen Rose im Haar befestigt ist.

Ist mir die Beschreibung gelungen oder mißrathen, welche ich von meiner eigenen Person lieferte? Ich kann nicht sagen. Ich habe mein Bestes gethan, mich von zwei Eitelkeiten fern zu halten, von der Eitelkeit der Selbstherabsetzung und von der Eitelkeit des Selbstlobes.

Jedenfalls danke ich Gott, daß ich damit zu Ende bin. Und wen sehe ich im Spiegel an meiner Seite? Ich sehe einen Mann, nicht ganz so groß wie ich, der das Unglück hat, älter auszusehen als er ist. Seine Stirn ist vor der Zeit kahl geworden. Sein dichter kastanienbrauner Backenbart und lang herabfallender Schnurrbart sind, ebenfalls vor der Zeit, schon vielfach mit weißem Haar durchzogen. Sein Antlitz besitzt die Rothe, welche dem meinigen fehlt. Er blickt mich mit den zärtlichsten hellbraunen Augen an, die ich jemals bei einem Mann bemerkt. Sein Lächeln ist mild und liebreich; sein Benehmen obgleich ruhig und zurückhaltend, besitzt dennoch eine stumme Ueberredungsgabe, welche Frauen gegenüber von unwiderstehlicher Wirkung ist. Sein Gang ist ein klein wenig hinkend, in Folge einer Wunde, die er in früheren Jahren als Soldat in Indien empfing, und er trägt deshalb ein Bambusrohr mit seltsam geschnittener Krücke. Dies ist aber der einzige Fehler in seiner äußern Erscheinung, ein Fehler, der ihm in meinen Augen sogar eine gewisse Grazie verleiht. Das Beste aber, was ich an ihn finde, ist, daß ich ihn liebe. Mit diesem tiefgefühlten Geständniß beschließe ich das Portrait meines Gatten, wie es an unserem Hochzeitstage von dem Spiegel in der Sacristei zurückgeworfen wurde.

Da der Spiegel mir Alles erzählt, was ich wissen wollte, verließen wir die Kirche. Der Himmel, schon vom Morgen an bewölkt, hat sich unterdeß noch dunkler bezogen, und ein schwerer Regen fällt hernieder. Die Vorübergehenden blicken beinahe grimmig unter ihrem Regenschirm hervor, als wir ihnen über den Weg gehen, um unseren Wagen zu erreichen. Kein Frohsinn kein Sonnenschein keine Blumen auf den Weg gestreut, kein Bankett, keine Festreden, keine Brautjungfern keinen Segen von Vater, Mutter. Ein trüber Hochzeitstag und, wie Tante Starkweather sagt, ein schlechter Anfang.

Auf dem Bahnhof ist ein Coupe für uns reservirt worden. Der aufmerksame Portier, in Erwartung eines guten Trinkgeldes, hat die seidenen Rouleaux vor den Fenstern heruntergelassen, um uns den Blicken der Neugierigen zu entziehen. Nach einem scheinbar unendlich langen Aufenthalt, wird der Zug abgelassen. Mein Gatte schlingt den Arm um meine Taille »Endlich!« flüstert er mit so viel Liebe im Blick, wie Worte sie nicht auszudrücken vermögen und zieht mich sanft an sich. Mein Arm stiehlt sich langsam um seinen Hals; unsere Blicke begegnen sich. Dann vereinen sich die Lippen zu einem langen heißen Kuß. O, welche Erinnerungen steigen in mir auf, während ich dies niederschreibe! Ich muß meine Augen trocknen und das Papier für heute bei Seite legen.


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