Wilkie Collins - Logo - Klicken, um Navigationsmenü einzublenden
 

Die Traumfrau



Kapitel III

Seine Mutter kam freudig heraus, um ihn zu empfangen.

Sein Gesicht sagte ihr in einem Augenblick, dass etwas nicht stimmte.

»Ich habe mich verlaufen; aber das ist mein Schicksal. Ich hatte letzte Nacht einen Alptraum, Mutter – oder vielleicht sah ich einen Geist. Nimm es wie es ist, es hat mich zu Tode erschreckt und ich bin noch nicht wieder ich selbst.«

»Isaac, dein Gesicht macht mir Angst. Komm rein ans Feuer – komm rein und erzähle deiner Mutter alles davon.«

Er war so bestrebt darum, ihr die Geschichte zu erzählen, wie sie es war, diese von ihm zu hören; denn es war seine Hoffnung den ganzen Weg nach Hause gewesen, dass seine Mutter mit ihrer schnelleren Auffassungsgabe und größerem Wissen fähig sein könnte, Licht auf das Rätsel zu werfen, das er selbst sich nicht erklären konnte. Seine Erinnerung an den Traum war noch unwillkürlich lebendig, obwohl seine Gedanken völlig von ihm verwirrt waren.

Das Gesicht seiner Mutter wurde blasser und blasser, als er fortfuhr. Sie unterbrach ihn nie mit mehr als einem einzigen Wort; aber als er fertig war, bewegte sie ihren Stuhl nahe zu ihm, legte ihren Arm um seinen Nacken und sagte zu ihm:

»Isaac, du hast deinen Alptraum am Mittwochmorgen geträumt. Wieviel Uhr war es, als du die hübsche Frau mit dem Messer in ihrer Hand sahst?« Isaac überlegte, was der Gastwirt gesagt hatte, als sie an der Uhr vorübergingen, während er das Gasthaus verließ; räumte so gut er konnte, die Zeit ein, die vergangen sein musste, zwischen dem Öffnen des Schlafzimmers und dem Bezahlen seiner Rechnung, kurz bevor er wegging und antwortete:

»Ungefähr gegen zwei Uhr morgens.«

Seine Mutter ließ plötzlich von seinem Nacken ab und schlug ihre Hände zusammen mit einer Geste der Verzweiflung.

»Dieser Mittwoch ist dein Geburtstag und zwei Uhr morgens ist die Uhrzeit, als du geboren wurdest.«

Isaacs Auffassungsgabe war nicht schnell genug, um sich an der abergläubischen Furcht seiner Mutter anzustecken. Er war überrascht und auch ein wenig erschrocken, als sie plötzlich von ihrem Stuhl aufstand, ihren Schreibtisch öffnete, Feder, Tinte und Papier nahm und dann zu ihm sagte:

»Dein Gedächtnis ist schlecht, Isaac, und jetzt, da ich eine alte Frau bin, ist meines nicht viel besser. Ich will, dass alles über diesen Traum von dir uns beiden wohlbekannt ist, von jetzt an Jahre, so wie er es jetzt ist. Erzähl mir alles noch mal, was du mir vor einer Minute erzählt hast, als du davon sprachst, wie die Frau mit dem Messer aussah.«

Isaac gehorchte und wunderte sich sehr, als er sah, wie seine Mutter sorgfältig genau die Worte auf Papier niederschrieb, die er sagte.

»Hellgraue Augen«, schrieb sie, als sie zu der Beschreibung kamen, »mit einem herabhängenden Augenlid; flachsfarbenes Haar, mit einer goldgelben Strähne darin; weiße Arme, bedeckt mit einem Flaum; die kleine Hand einer Dame, mit einem rötlichen Aussehen um die Fingernägel herum; ein Klappmesser mit einem Hirschhorngriff, das aussah wie neu.« Zu diesen Einzelheiten fügte Mrs. Scatchard Jahr, Monat und Wochentag hinzu, und die Uhrzeit am Morgen, als die Frau aus dem Traum ihrem Sohn erschien. Dann verschloss sie das Papier sorgfältig in ihrem Schreibtisch.

Weder an diesem Tag noch an einem anderen folgenden Tag konnte ihr Sohn sie dazu bewegen, auf die Traumangelegenheit zurückzukommen. Sie behielt ihre Gedanken darüber hartnäckig für sich, und weigerte sich sogar, wieder von dem Papier in ihrem Schreibtisch zu sprechen. Bald wurde Isaac der Versuche, ihr entschlossenes Schweigen zu durchbrechen, müde; und die Zeit, die früher oder später alle Dinge abnutzt, nutzte allmählich auch den Eindruck ab, den der Traum auf ihn gehabt hatte. Er begann, sorglos darüber nachzudenken und dachte schließlich gar nicht mehr darüber nach.

Es ergab sich ein weiteres Arrangement durch das Auftreten einiger wichtiger Veränderungen zum Besseren in seinen Aussichten, die nicht lang nach seiner schrecklichen Nachterfahrung in dem Gasthaus begannen. Er erntete endlich den Lohn für sein langes und geduldiges Leiden unter der Not, indem er eine ausgezeichnete Stellung erhielt und sie sieben Jahre lang behielt, sie nach dem Tod seines Herrn verließ, nicht nur mit einem ausgezeichneten Charakter, sondern auch mit einer angenehmen Pension, die ihm als Belohnung dafür vermacht worden war, dass er das Leben seiner Herrin bei einem Kutschenunfall gerettet hatte. So geschah es, dass Isaac Scatchard zu seiner alten Mutter zurückkehrte, sieben Jahre nach dem Traum im Gasthaus, mit einer jährlichen Rente zu seiner Verfügung, die ausreichend war, um beide in Behaglichkeit und Unabhängigkeit für den Rest ihres Lebens zu halten.

Die Mutter, deren Gesundheit in den letzten Jahren sehr schlecht gewesen war, profitierte so sehr von der Sorge, die ihr gewidmet wurde und von der Freiheit von Geldsorgen, dass sie, als Isaacs Geburtstag wiederkam, fähig war, bequem am Tisch zu sitzen und mit ihm zu essen.

An diesem Tag, als der Abend nahte, endeckte Mrs. Scatchard, dass eine Flasche Tonikum, das sie gewöhnlich einnahm und in der sie eine oder mehr Dosen übrig geglaubt hatte, leer war. Isaac erklärte sich sofort bereit, zum Apotheker zu gehen und sie wieder füllen zu lassen. Es war eine regnerische und düstere Herbstnacht wie bei dem denkwürdigen vergangenen Ereignis, als er sich verlaufen hatte und in dem Gasthaus am Straßenrand schlief.

Als er in die Apotheke kam, ging eine ärmlich gekleidete Frau, die nach draußen schritt, hastig an ihm vorüber. Der flüchtige Eindruck, den er von ihrem Gesicht hatte, fiel ihm ins Auge, und er schaute ihr hinterher, als sie die Türstufen herunterging.

»Bemerkten Sie gerade die Frau?« sagte der Apothekerlehrling hinter dem Tresen. »Meiner Meinung nach stimmt irgendetwas nicht mit ihr. Sie hat nach Laudanum gefragt, um einen schlechten Zahn damit zu behandeln. Der Meister ist für eine halbe Stunde außer Haus und ich sagte ihr, dass ich kein Gift an Fremde während seiner Abwesenheit verkaufen darf. Sie lachte auf eine eigenartige Weise und sagte, sie würde in einer halben Stunde zurückkommen. Wenn sie erwartet, der Herr werde sie bedienen, denke ich, wird sie enttäuscht sein. Wenn es je einen Fall von Freitod gegeben hat, dann diesen, Sir.«

Diese Worte leisteten ihren Beitrag zu dem plötzlichen Interesse an der Frau, welches Isaac fühlte, als er zum ersten Mal ihr Gesicht sah. Nachdem er die Medizinflasche hatte füllen lasse, sah er sich unruhig nach ihr um, sobald er draußen auf der Straße war. Sie ging langsam auf der anderen Straßenseite auf und ab. Sehr zu seiner eigenen Überraschung klopfte sein Herz schnell und Isaac ging hinüber und sprach mit ihr.

Er fragte, ob sie in einer Notlage sei. Sie zeigte auf ihren zerschlissenen Schal, ihre notdürftige Kleidung, ihre zerbrochene, schmutzige Haube; dann begab sie sich unter eine Lampe, um so das Licht auf ihr ernstes, bleiches, aber immer noch sehr schönes Gesicht fallen zu lassen.

»Ich sehe aus wie eine zufriedene, glückliche Frau, nicht wahr?« sagte sie, bitter lachend.

Sie sprach mit einer Reinheit der Sprachmelodie, die Isaac nie zuvor von den Lippen einer Dame gehört hatte. Ihre geringsten Bewegungen schienen die leichte, fahrlässige Anmut einer hochwohlgeborenen Frau zu haben. Ihre Haut war trotz aller der durch Armut verursachten Blässe so zart, als wenn sie ihr Leben in dem Vergnügen jeder gesellschaftlichen Bequemlichkeit verbracht hätte, welche Reichtum kaufen kann. Sogar ihre kleinen, feingeformten Hände, handschuhlos, wie sie waren, hatten ihre Helle nicht verloren.

Allmählich kam durch Antworten auf seine Fragen die traurige Geschichte der Frau ans Licht. Es gibt keine Notwendigkeit, sie hier zu erzählen; sie ist immer und immer wieder erzählt worden in den Polizeiberichten und Akten über versuchte Selbstmorde.

»Mein Name ist Rebecca Murdoch«, sagte die Frau, als sie geendet hatte. »Ich habe neun Pence übrig, und ich dachte daran, sie beim Apotheker gegenüber auszugeben, um mir eine Überfahrt in die andere Welt zu sichern. Was auch immer dort ist, es kann für mich nicht schlimmer sein als hier, also warum sollte ich jetzt nicht aufhören?«

Ganz abgesehen von dem natürlichen Mitleid und der Traurigkeit, die sein Herz bewegte, als er dies hörte, fühlte Isaac die ganze Zeit über in sich einen gewissen, geheimnisvollen Einfluss, als die Frau sprach, der seine Gedanken aufs äußerste verwirrte und ihn fast der Fähigkeit zu sprechen beraubte. Alles, was er auf ihre unbesonnenen Worte antworten konnte, war, dass er sie davon abhalten würde, ihr Leben zu verwirken, und wenn er ihr die ganze Nacht dafür folgen müsse. Seine rauhe, zitternde Ernsthaftigkeit schien sie zu beeindrucken.

»Ich werde Ihnen die Mühe ersparen«, antwortete sie, als er seine Drohung wiederholte. »Sie haben mir wieder Lust zu leben gegeben, indem sie freundlich zu mir gesprochen haben. Keine Notwendigkeit, Beteuerungen und Versprechen zu machen. Sie können mir ohne diese glauben. Kommen Sie morgen um zwölf Uhr nach Fuller's Meadow und Sie werden mich lebend finden, um für mich selbst zu antworten – Nein! - kein Geld. Meine neun Pence werden mir eine gute Nachtunterkunft verschaffen, wie ich sie will.«

Sie nickte und verließ ihn. Er machte keinen Versuch, ihr zu folgen – er hatte nicht den Verdacht, dass sie ihn täuschte.

»Es ist seltsam, aber ich kann nicht anders als ihr glauben«, sagte er zu sich und ging verwirrt nach Hause.

Als er das Haus betrat, waren seine Gedanken so vollständig durch den neuen Gegenstand des Interesses vereinnahmt, dass er keine Notiz davon nahm, was seine Mutter tat, als er mit der Medizinflasche hereinkam. Sie hatte ihren alten Schreibtisch in seiner Abwesenheit geöffnet und las nun aufmerksam ein Papier, das darin lag. An jedem Geburtstag von Isaac hatte sie, seit sie die Einzelheiten von seinem Traum von seinen eigenen Lippen niedergeschrieben hatte, gewohnheitsmäßig eben dieses Papier gelesen und insgeheim darüber nachgedacht.

Am nächsten Tag ging er zu Fuller's Meadow.

Er hatte recht daran getan, so bedingungslos an sie zu glauben. Sie war da, pünktlich auf die Minute, um für sich einzustehen. Die übriggebliebenen Verteidigungen in Isaacs Herz gegen die Faszination, welche ein Wort oder ein Blick von ihr unerforschlich auf ihn auszuüben begannen, sanken herab und verschwanden vor ihr an diesem denkwürdigen Morgen für immer.

Wenn ein Mann, der bisher unempfänglich gegenüber dem Einfluss der Frauen war, in der Mitte seines Lebens eine Bindung bildet, sind die Beispiele tatsächlich selten, man lasse die warnenden Umstände sein, was sie wollen, in welchen er sich fähig findet, sich selbst aus der Tyrannei der neu beherrschenden Leidenschaft zu befreien. Der Reiz, mit einer Frau vertraut, nett und dankbar zu sprechen, deren Sprache und Manieren immer noch genug von ihrer früheren Kultiviertheit behalten hatten, um die hohe gesellschaftliche Stellung, die sie verloren hatte, anzudeuten, wäre ein gefährlicher Luxus für einen Mann in Isaacs Stellung im Alter von zwanzig gewesen. Aber es war weit mehr als das – es war der sichere Ruin für ihn – jetzt, da sein Herz sich unwürdig einem neuen Einfluss in der Mitte seines Lebens öffnete, wenn starke Gefühle aller Art, die einst eingepflanzt wurden, in der moralischen Natur eines Mannes hartnäckig Wurzeln schlagen. Ein paar verstohlene Gespräche mehr nach diesem ersten Morgen in Fuller's Meadow vervollständigten seine Verliebtheit. In weniger als einem Monat von dem Zeitpunkt an, als er sie zum ersten Mal getroffen hatte, hatte Isaac Scatchard darin eingewilligt, Rebecca Murdoch eine neue Bedeutung in ihrem Leben zu geben, und eine Chance, den Charakter, den sie verloren hatte, wiederzuerlangen, indem er ihr versprach, sie zu seiner Frau zu machen.

Sie hatte nicht nur von seinen Gefühlen, sondern auch von seinem Verstand Besitz ergriffen. Alle Gedanken, die er hatte, legte er darin, sie zu behalten. Sie lenkte ihn in jeder Beziehung – sie wies ihn sogar an, wie er die Neuigkeit seiner nahenden Heirat seiner Mutter am schonendsten beibringen sollte.

»Wenn du ihr zuerst erzählst, wie du mich kennengelernt hast und wer ich bin«, sagte die durchtriebene Frau, »wird sie Himmel und Erde in Bewegung setzen, um unsere Heirat zu verhindern. Sag, ich sei die Schwester von einem deiner Stallknechtkollegen – bitte sie, mich zu empfangen, bevor du auf weitere Einzelheiten eingehst – und überlass mir den Rest. Ich will sie dazu bringen, mich gleich nach dir zu lieben, Isaac, bevor sie irgendetwas darüber weiß, wer ich wirklich bin.« Der Beweggrund für die Täuschung war ausreichend, um sie vor Isaac zu rechtfertigen. Die vorgeschlagene List befreite ihn von seiner einen großen Sorge und beruhigte sein ruheloses Gewissen bezüglich seiner Mutter. Aber noch fehlte etwas, um sein Glück zu vervollständigen, etwas, das er nicht erfassen konnte, etwas geheimnisvoll unauffindbares, und doch etwas, das sich fortwährend spüren ließ; nicht, wenn er weg von Rebecca Murdoch war, sondern seltsamerweise wenn er tatsächlich bei ihr war! Sie war die Güte selbst zu ihm. Sie ließ ihn nie seinen niedrigeren Verstand und seine niedrigeren Manieren fühlen. Sie zeigte die süßeste Sorge, um ihm bei den kleinsten Lappalien gefällig zu sein; aber, trotz all dieser Vorzüge, konnte er sich nie wohl mit ihr fühlen. Bei ihrer ersten Begegnung hatte sich seiner Bewunderung ein schwaches, unwillkürliches Gefühl beigemischt, ob das Gesicht vollkommen fremd für ihn war, als er ihr ins Gesicht sah. Keine spätere Vertrautheit hatte die geringste Wirkung auf diese unerklärliche mühselige Unsicherheit.

Die Wahrheit verbergend, wie er angewiesen worden war, verkündete er seine Heiratspläne überstürzt und verwirrt seiner Mutter an dem Tag, als er sie einging. Die arme Mrs. Scatchard zeigte ihr vollkommenes Vertrauen in ihren Sohn, indem sie ihre Arme um seinen Hals schlang und ihn dazu beglückwünschte, dass er endlich in der Schwester eines seiner Stallknechtkollegen eine Frau gefunden hatte, die ihn trösten und für ihn sorgen konnte, nachdem seine Mutter nicht mehr da war. Sie war voller Ungeduld, die Frau der Wahl ihres Sohnes zu sehen und der nächste Tag wurde für eine Vorstellung festgesetzt.

Es war ein heller, sonniger Morgen, und die kleine Stube in der Hütte war voller Licht, als Mrs. Scatchard, glücklich und erwartungsvoll, für das Ereignis in ihrer Sonntagskleidung, dort saß und auf ihren Sohn und ihre zukünftige Schwiegertochter wartete.

Pünktlich zur vereinbarten Zeit führte Isaac hastig und nervös seine Verlobte in das Zimmer. Seine Mutter erhob sich, um sie zu empfangen – ging lächelnd ein paar Schritte – schaute Rebecca gerade in die Augen und stockte plötzlich. Ihr Gesicht, welches den Augenblick davor errötet gewesen war, wurde im nächsten Moment weiß, ihre Augen verloren den Ausdruck von Sanftheit und Liebenswürdigkeit und nahmen einen leeren Blick von Schrecken an; ihre ausgestreckten Hände fielen auf ihre Seiten, und sie taumelte einige Schritte zurück mit einem schwachen Aufschrei zu ihrem Sohn.

»Isaac«, wisperte sie, während sie ihn fest am Arm packte, als er erschreckt frage, ob es ihr nicht gut ginge, »Isaac, erinnert dich das Gesicht dieser Frau an nichts?«

Bevor er antworten konnte – bevor er nach dem Platz am anderen Ende des Raumes hinsehen konnte, an dem Rebecca stand, welche erstaunt und verärgert über den Empfang war, den man ihr bereitet hatte, zeigte seine Mutter ungeduldig auf den Schreibtisch und gab ihm den Schlüssel.

»Öffne ihn«, sagte sie, atemlos flüsternd.

»Was bedeutet das? Warum werde ich behandelt, als hätte ich hier nichts zu suchen? Will mich deine Mutter beleidigen?« fragte Rebecca verärgert.

»Öffne ihn, und gib mir das Papier aus der linken Schublade. Schnell! Schnell, um Himmels willen!« sagte Mrs. Scatchard, die in Angst zurückschreckte.

Isaac gab ihr das Papier. Eifrig betrachtete sie das Papier für einen Augenblick und folgte darauf Rebecca, die sich eben hastig umdrehte, um den Raum zu verlassen, und packte sie bei der Schulter. Hierbei hob sie unvermittelt den langen, losen Ärmel ihres Kleides und blickte auf ihre Hand und ihren Arm. Etwas wie Angst begann sich auf den verärgerten Ausdruck von Rebeccas Gesicht zu legen, als sie sich schüttelnd von dem Griff der alten Frau befreite. »Verrückt!« sagte sie zu sich, »und Isaac hat es mir nie erzählt.« Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer.

Isaac wollte ihr nacheilen, als seine Mutter sich jäh umwandte und seinen weiteren Fortgang aufhielt. Es schmerzte sein Herz, als er den Schrecken und das Elend in ihrem Gesicht sah, als sie ihn ansah.

»Hellgraue Augen«, sagte sie mit leiser, sorgenvoller, verschreckter Stimme, zur Tür gewandt, »ein herabhängendes Augenlid am linken Auge; flachsfarbenes Haar, mit einer goldgelben Strähne darin, schöne weiße Arme, mit Flaum auf ihnen – die Hand einer kleinen Dame, mit einem rötlichen Schimmer unter den Fingernägeln – die Traumfrau, Isaac, die Frau aus dem Traum!«

Dieser schwache Zwiespalt, den er in Rebecca Murdochs Anwesenheit nie ganz ablegen konnte, kam auf verhängnisvolle Weise zur Ruhe. Er hatte ihr Gesicht bereits früher gesehen – sieben Jahre zuvor, an seinem Geburtstag im Zimmer des einsamen Gasthauses.

»Sei gewarnt! Oh, mein Sohn, sei gewarnt! Isaac, Isaac, lass sie gehen und bleib hier bei mir!«

Etwas verdunkelte das Empfangszimmer, als diese Worte gesprochen wurden. Ihn durchlief ein plötzlicher Schauder und er blickte seitwärts nach dem Schatten. Rebecca Murdoch war zurückgekommen. Sie spähte neugierig nach ihnen durch den geschlossenen Fensterladen.

»Ich habe versprochen, sie zu heiraten, Mutter, und ich werde mein Versprechen halten.«

Tränen traten in seine Augen, als er sprach und trübten seine Sicht, aber er konnte gerade noch das verhängnisvolle Gesicht draußen wahrnehmen, wie es sich vom Fenster wieder fortbewegte.

Der Kopf seiner Mutter sank auf ihre Brust.

»Ist dir nicht gut?« flüsterte er.

»Mein Herz ist gebrochen, Isaac.«

Er beugte sich nieder und küsste sie. Der Schatten kehrte, als er dies tat, zum Fenster zurück und das verhängnisvolle Gesicht äugte ein weiteres Mal neugierig hinein.


Vorheriges Kapitel
Nächstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis für diese Geschichte