Gesetz und Frau



Fünftes Kapitel.

Die Entdeckung der Wirthin.

Ich setzte mich und versuchte, mein Gemüth zu beruhigen. Nun oder nimmer war es an der Zeit, mich zu entscheiden welche Pflichten ich gegen meinen Gatten und welche ich gegen mich selbst zu erfüllen hatte.

Die Anstrengung war vergebens. Ich vermochte nicht einen klaren Gedanken zu fassen. Mich drückte nur das Gefühl zu Boden daß es mir unmöglich sein würde, die Schatten zu zerstreuen die sich auf unser so heiter begonnenes Eheleben gebreitet hatten. Um dem Schein zu genügen konnten wir ja weiter mit einander leben aber das Geschehene zu vergessen mich in meiner Lage glücklich zu fühlen, ging über die Grenzen meiner Willenskraft hinaus. Meine Ruhe hing einzig und allein davon ab, den Schlüssel zu dem Betragen meiner Schwiegermutter und zu der Erklärung jener wilden Worte der Reue und des Selbstvorwurfes zu finden die ich aus dem Munde meines Gatten gehört.

In vollständiger Rathlosigkeit, wie ich zunächst handeln sollte, warf ich mich auf mein Bett und fiel in einen unruhigen Schlaf.

Ein Klopfen an der Thür erweckte mich. War es mein Gatte? Bei dem Gedanken sprang ich sofort auf. Sollten meine Geduld und meine Kraft aufs Neue einer Prüfung unterworfen werden? Mit zitternder Stimme fragte ich, wer dort sei.

»Kann ich Sie einen Augenblick sprechen?« antwortete mir die Stimme der Wirthin.

Ich öffnete die Thüre Obgleich ich meinen Gatten innigst liebte, muß ich dennoch gestehen daß in dieser schrecklichen Stunde die Enttäuschung eine angenehme war. Ein tröstliches Gefühl beschlich mich, daß Eustace nicht nach Hause gekommen.

Die Wirthin trat ein, nahm ohne daß er ihr angeboten wurde, einen Stuhl und setzte sich dicht neben mich. Sie begann mich als Ihresgleichen zu betrachten. Noch einen Schritt auf der socialen Leiter herabsteigend, stellte sie sich auf den Standpunkt der Beschützerin und blickte auf mich, wie auf einen Gegenstand des Mitleids. »Ich bin eben von Broadstairs zurückgekehrt,« begann sie. »Ich hoffe, Sie werden nicht daran zweifeln daß ich aufrichtig das Geschehene bedaure.«

Ich machte eine Verbeugung und erwiderte nichts.

»Als anständige Frau,« fuhr die Wirthin fort, »und nur durch Familienunglück genöthigt Zimmer zu vermiethen, trotzdem aber immer eine anständige Frau, habe ich aufrichtiges Mitgefühl für Sie. Ich will noch weiter gehen und sagen daß ich Sie selbst nicht tadle. Nein nein! Ich bemerkte recht gut, wie Sie bei dem Betragen Ihrer Schwiegermutter stutzten und erschracken. Sie erschracken beinahe ebenso sehr als ich, und das will viel sagen. Dennoch habe ich eine Pflicht gegen Sie zu erfüllen. Eine unangenehme, aber dennoch unerläßliche Pflicht. Ich bin unverheirathet; nicht etwa, daß es mir an Gelegenheiten gefehlt hatte, meine Lage zu verändern sondern aus freier Wahl. In dieser meiner Stellung wird es Ihnen begreiflich sein, daß ich nur achtbare Personen in meinem Hause empfangen kann. Geheimnißvolle Personen sind nichts für mich. Ein Geheimniß auf einer Person läßt immer, ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll — ich möchte Sie auch nicht gern beleidigen — einen gewissen Flecken zurück. Das ist der Ausdruck. Nun bedenken Sie doch selbst: darf eine Person in meiner Lebensstellung sich selbst beflecken, indem sie eine Befleckte aufnimmt? Ich mache diese Bemerkungen aus der reinsten Menschen- und Christenliebe. Da Sie doch eine Lady vorstellen wollen oder da Sie. . . . «

Hier konnte ich es nicht länger ertragen und unterbrach sie deshalb.

»Ich verstehe,« sagte ich, »daß Sie uns die Wohnung kündigen wollen, wann wünschen Sie, daß wir dieselbe verlassen.«

»Oh!« sagte die Wirthin wieder mit ihrer Protectormiene. »Nicht diesen Ton nicht diese Blicke! Ich verstehe ja vollkommen daß Sie Sich gekränkt fühlen müssen. Versuchen Sie doch Sich wieder zu beruhigen. Sie meinen, wann Sie die Wohnung räumen sollen? Wir wollen sagen in einer Woche. Ich will ja als Freundin an Ihnen handeln obgleich Sie nicht wissen, welch’ ein grausames Opfer ich Ihnen bringe.«

»Sie!« rief ich aus. »Und welches Opfer bringen Sie mir denn?«

»Welches Opfer?« wiederholte die Wirthin. Ich habe mich als anständige Frau herabgesetzt. Ich habe meine Selbstachtung verwirkt.« Sie schwieg einen Augenblick, dann ergriff sie mit einem förmlichen Freundschaftsenthusiasmus meine Hand. »O, Sie armes unglückliches Geschöpf! rief die unleidliche Person, »ich habe Alles entdeckt! Ein Schurke hat Sie betrogen. Sie sind nicht mehr verheirathet als ich es bin!«

Ich zog meine Hand aus der ihren und stand auf.

»Sind Sie wahnsinnig?« fragte ich.

Die Wirthin erhob ihre Augen zur Decke, mit dem Ausdruck, als wenn sie ein wohlverdientes Märtyrerthum erlitte.

»Ja,« sagte sie. »Ich beginne allerdings wahnsinnig zu werden, bei dem Gedanken, daß ich mein hartes Opfer, meine schwesterliche und christliche Liebe an eine Frau wegwarf, die es nicht verdient. Ich werde es aber auch nicht wieder thun. Der Himmel vergebe mir; ich werde es nicht wieder thun!«

»Was wollen Sie nicht wieder thun?« fragte ich.

»Ihrer Schwiegermutter nachgehen,« schrie die Wirthin. »Ich erröthe, wenn ich daran denke. Ich folgte dieser höchst achtbaren Frau auf Schritt und Tritt bis zu ihrer Thür.

Bis hierher hatte mich mein Stolz aufrecht erhalten, jetzt ertrug ich es nicht länger. Ich sank auf meinen Stuhl zurück, in erwartungsvoller Furcht, was nun noch kommen werde.

»Ich warf Ihnen einen Blick zu, als ich Sie am Strande verließ,« fuhr die Wirthin fort, indem sie lauter und lauter, röther und röther wurde. »Eine dankbare Frau würde jenen Blick verstanden haben. In fünf Minuten hatte ich Ihre Schwiegermutter eingeholt. Ich folgte ihr — O, wie ich mich jetzt dadurch gedemüthigt fühle — ich folgte ihr bis zum Bahnhof in Broadstairs. Sie kehrte mit der Bahn nach Ramsgate zurück. Ich ging auch mit der Bahn nach Ramsgate. Sie begab sich zu Fuß nach ihrer Wohnung. Ich begab mich auch nach ihrer Wohnung. Hinter ihr her — wie ein Hund! O, wie ich mich dadurch gedemüthigt fühle! Der Wirth des Gasthofes war zufällig mein Freund und zufällig zu Hause. Was Gäste anbetrifft, haben wir kein Geheimnis vor einander. Deshalb befinde ich mich in der Lage, Madame, Ihnen den wahren Namen Ihrer Schwiegermutter zu nennen. Sie heißt nicht Woodville. Ihr Name, und folglich auch ihres Sohnes Name ist Macallan. Mrs Macallan, Wittwe des verstorbenen Generals Macallan. Ihr Gatte ist also nicht Ihr Gatte! Sie sind weder Mädchen, Frau noch Wittwe. Sie sind schlechter als Nichts, Madame — und Sie müssen mein Haus meiden.«

Ich hielt sie zurück, als sie die Thür öffnete, um das Zimmer zu verlassen. Der Zweifel, den sie auf meine Verheirathung geworfen hatte, war mehr, als menschliche Resignation ertragen konnte.

»Geben Sie mir Mrs. Macallan’s Adresse,« sagte ich.

»Sie wollen doch nicht zu der alten Dame?« entgegnete die Wirthin, vom Zorn zum Staunen übergehend.

»Nur die alte Dame kann mir erzählen, was ich wissen muß,« antwortete ich. »Ihre Entdeckung mag genug sein für Sie; für mich ist sie es nicht. Woher können Sie wissen, daß Mrs. Macallan nicht zweimal verheirathen und daß der Name ihres ersten Gatten nicht Woodville war?«

Das Staunen der Wirthin ging jetzt in Neugier über. Der Grundcharacter der Frau war eigentlich Gutmüthigkeit, und ihre zornigen Aufwallungen besaßen jene Kurzlebigkeit, wie sie bei alten gutmüthigen Menschen vorkommt; schnell erregt und schnell verflogen.

»Daran dachte ich nicht,« sagte sie. »Wenn ich Ihnen die Adresse gebe, wollen Sie mir denn auch Alles erzählen, wenn Sie zurückkommen?«

Ich gab ihr das Versprechen und empfing die Adresse.

»Nichts für ungut,« sagte die Wirthin, plötzlich zu ihrer alten Gutmüthigkeit zurückkehrend.

»Nichts für ungut,« entgegnete ich, so gelassen, wie es mir in diesem Augenblicke möglich war.

Zehn Minuten weiter und ich befand mich vor dem Hause meiner Schwiegermutter.


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