Antonina oder der Untergang Roms



Ein Roman aus dem fünften Jahrhundert
von

W. Wilkie Collins

Band 1

»Die Stadt geht unter,
Sklav’ ist der Römer und der Gothe Herr.«
Scuderi. Alarich.

Aus dem Englischen.

Erstes Buch.

»O Dei, vengano!«
Metastasio.

Kapitel I.
Goiswintha.

Die Alpenkette, welche an die nordöstliche Grenze von Italien stößt, war im Herbste des Jahres 408 bereits vielfach von den Spuren der einfallenden Heere der gewöhnlich unter dem Namen der Gothen begriffenen nordischen Völker durchfurcht. An einigen Stellen bezeichneten zu beiden Seiten des Weges liegend, niedergestürzte Baumstämme diese Spuren, welche zuweilen, durch die Verheerungen der Stürme halb verwischt, das Aussehen von öden unregelmäßigen Morästen angenommen hatten. An andern Orten waren sie weniger erkennbar, und der nur vorübergehend gewählte Pfad verschwand gänzlich unter« den ausgetretenen Gewässern angeschwollener Bergströme, oder ließ sie undeutlich an mitunter vorkommenden weichen Stellen im Boden unterscheiden, oder mittelst, der darauf verstreuten Bruchstücke zurückgelassener Waffen, Skeletten von Menschen und Pferden und den Ueberbleibseln der rohen Brücken, die einst zum Ueberschreiten eines Flusses oder Abgrundes gedient hatten, verfolgen.

Zwischen den Felsen der höchsten Bergreihe, unmittelbar vor den Ebenen Italien’s, welche die letzte Schranke für die Anstrengungen des Reisenden oder den Marsch des Eroberers bildet, lag zu Anfang des fünften Jahrhunderts ein kleiner See. Auf drei Seiten von steilen Bergwänden umgrenzt, von schmalen, vegetationslosen, unbewohnten Ufern umgeben und mit nur selten vom belebenden Strahle der Sonne erleuchtetem, schwärzlichem, von keinem Windhauche bewegtem Wasser angefüllt, bot an dem Herbsttage, mit welchem unsere Erzählung beginnt, dieser stets düstere See einen das Auge trübenden, das Herz bedrückenden Anblick dar.

Es war fast Mittag, am Himmel aber kein Sonnenblick zu sehen. Die trüben, an Form und Farbe gleich eintönigen Wolken verhüllten alle Schönheit des Himmels und verbreiteten ein dumpfes Dunkel auf der Erde. Dichte, unbewegliche Nebeldünste hingen an den Berggipfeln; von den gesenkten Aesten der Bäume fielen dann und wann abgestorbene Blätter und Zweige auf den durchweichten Boden nieder oder wirbelten über den dunkeln Abgrund hinab und ein dünner Regen sank langsam, aber unablässig auf die Einöden rings umher nieder. Wenn man auf dem Pfade stand, welchen einst Heere betreten hatten und den andere Heere wieder zu betreten bestimmt waren, und nach dem einsamen See blickte, so hörte man Anfangs keinen Laut, als das regelmäßige Abtröpfeln des Regens von einem Felsen zum andern, sah man nichts als das unbewegliche Wasser zu seinen Füßen und die dasselbe beschattenden grauen Klippen. Wenn jedoch unter dem Eindrucke der räthselhaften Einsamkeit der Gegend das Auge durchdringender und das Ohr aufmerksamer wurde, so zeigte sich in den Felswänden um den See eine Höhle und in den Zwischenräumen, welche das Plätschern der Regentropfen ließ, vernahm man eine schwache Menschenstimme.

Die Mündung der Höhle war theilweise durch einen großen Stein versteckt, auf welchem Massen von mürbem Reisig lagen, wie um den etwaigen Bewohner derselben gegen die Kälte der äußern Luft zu schützen. An der östlichen Grenze des See’s befindlich, gewährt dieser seltsame Zufluchtsort die Aussicht nicht nur auf den unebenen Pfad unmittelbar darunter, sondern auch auf eine große ebene Stelle in geringer Entfernung nach Westen, unter welcher sich eine zweite niedrigere Felsenreihe befand. Von dieser Stelle aus konnte man an hellen Tagen tief unten die Olivenhaine, welche den Fuß des Gebirges bekleideten, und jenseits derselben weit bis zum Horizonte hin die Ebenen Italien’s erblicken, dessen Schicksal der Niederlage und Schmach jetzt seiner düsteren furchtbaren Erfüllung zueilte.

Im Innern war die Höhle niedrig und von unregelmäßiger Form. Von ihren rauhen Wänden sickerte die Feuchtigkeit auf den mit vermodertem Moos bedeckten Boden herab. Eidechsen und andere widerliche Thiere hatten ungestört ihre freudlosen Tiefen bewohnt bis zu der eben beschriebenen Periode, wo ihre Rechte zum ersten Male durch menschliche Eindringlinge beeinträchtigt wurden.

Nahe am Eingange der Höhle kauerte ein Weib. Etwas tiefer im Hintergrunde auf dem trockensten Theile des Bodens lag ein schlafendes Kind. Zwischen ihnen waren abgefallene Zweige und todtes Laub wie zu einem Feuer zusammengehäuft. An einigen Stellen war dieses spärliche Aggregat von Brennmaterial etwas geschwärzt, aber da es gänzlich vom Regen durchweicht waren offenbar alle Versuche, es auf die Dauer in Brand zu bringen, fruchtlos gewesen.

Der Kopf der Frau war vorgebeugt und das in den Händen verborgene Gesicht ruhte auf ihren Knieen. Von Zeit zu Zeit murmelte sie mit heiserer, ächzender Stimme etwas vor sich hin. Sie hatte sich eines Theiles ihrer spärlichen Kleidung entäußert. um ihr Kind damit zu bedecken. Was noch ihren Körper umhüllte, bestand theilweise aus Thierfellen, theilweise aus grobem Baumwollzeug. An vielen Stellen trug diese erbärmliche Kleidung Blutspuren und ihr langes Flachshaar zeigte in seinen verworrenen Locken dieselbe Unheilverkündende, zurückstoßende Färbung.

Das Kind schien kaum vier Jahre alt zu sein und trug auf seinem bleichen, magern Gesicht alle Eigenthümlichkeiten seiner gothischen Abkunft. Seine Züge schienen einst schön gewesen zu sein, aber eine tiefe, über seine« ganze Wange hinweg gehende Wunde hatte es jetzt für immer entstellt. Es zitterte fröstelnd im Schlafe und streckte von Zeit zu Zeit mechanisch seine kleinen Arme nach den vor ihm liegenden todten, kalten Zweigen aus. Plötzlich löste sich in einem fernen Theile der Höhle ein großer Stein vom Felsen und stürzte geräuschvoll auf den Boden nieder. Bei diesem Lärm erwachte es schreiend —— erhob sich —— versuchte auf das Weib zuzugehen und schwankte wieder an die Wand der Höhle zurück. Eine zweite Wunde im Beine hatte eben so seine Kraft vernichtet, wie die in der Wange seine Schönheit. Es war ein Krüppel.

Im Augenblicke seines Erwachens war die Frau aufgesprungen. Sie erhob das Kind setzt vom Boden, nahm einige Kräuter von ihrem Busen und legte dieselben auf seine verwundete Wange. Hierdurch gerieth ihr Kleid in Unordnung; es starrte oben von geronnesten, augenscheinlich aus einer Hiebwunde in ihrem Halse, geflossenem Blute. Alle ihre Versuche, das Kind zu beruhigen, waren umsonst; es stöhnte und wimmerte kläglich und murmelte von Zeit zu Zeit abgebrochene Worte des Unmuthes über die Kälte des Ortes und den Schmerz seiner frischen Wunden. Die unglückliche blickte sprach- und thränenlos wie geistesschwach auf sein Gesicht nieder. Es war nicht schwer aus jenem unverwandten, verzweifelten Blicke die Natur des Bandes, welches die Trauernde an den leidenden Knaben knüpfte, zu errathen, Der Ausdruck starrer, furchtbarer Verzweiflung, der in ihren unbeweglichen, düsteren Augen brütete, die Leichenblässe ihrer zusammengereßten Lippen, die ihre kräftige, gebieterische Gestalt durchzuckenden Krämpfe, verkündeten stumm, aber mit der göttlichen Beredtsamkeit der menschlichen Gefühle, daß zwischen dem einsamen Paare dort die innigste irdische Verbindung —— das Verhältnis von Mutter und Kind —— bestand.

Eine Zeitlang trat keine Veränderung im Benehmen des Weibes ein. Endlich stand sie wie von einem plötzlichen Verdacht ergriffen auf, schloß das Kind in den einen Arm, schob mit dem andern das Reisig am Eingange ihrer Zufluchtsstätte bei Seite und blickte vorsichtig auf die westliche Landschaft hinaus, so weit sie der Nebel erkennen ließ. Nach kurzer Betrachtung zog sie sich, wie der ununterbrochenen Einsamkeit der Gegend versichert, zurück, wendete sich dem See zu und schaute auf das schwarze Wasser zu ihren Füßen nieder.

»Eine Nacht ist der andern gefolgt,« murmelte sie düster, »und keine hat meinem Leibe Hilfe, meinem Herzen Hoffnung gebracht. Eine Meile nach der andern habe ich durchmessen und immer noch ist die Gefahr hinter, die Einsamkeit vor mir. Der Schatten des Todes wird über dem Knaben dichter, die Last der Pein wird schwerer, als ich sie ertragen kann. Meine Freunde sind ermordet, meine Vertheidiger fern, meine Besitzungen verloren. Der Gott der Christenpriester hat uns in der Gefahr verlassen und ist im Schmerze von uns abgefallen. Es ist an mir, den Kampf für uns Beide zu beenden. Diese Stelle ist unsere letzte Zuflucht gewesen; sie soll auch unser Grab sein!«

Mit einem letzten Blicke auf den kalten, trostlosen Himmel schritt sie bis dicht an den steilen Rand des See’s. Schon war das Kind in ihren Armen erhoben und ihr Körper gebeugt, um den tödlichen Sprung mit Erfolg zu thun, als von Osten her ein schwachen ferner, flüchtiger Ton in ihr Ohr drang. Plötzlich erhellte sich ihr Auge, ihre Brust wogte, ihre Wange röthete sich. Sie bot die letzten Ueberbleibsel ihrer Kräfte auf, um einen hervorragenden Standpunkt aus einer hinter ihr befindlichen Felsplatte zu erlangen und lauschte in peinlicher Erwartung, daß sich der magische Ton wiederholen möchte.

Ueber ein Kleines hörte sie ihn wieder —— denn das Kind blieb jetzt vom Schrecken über die Bewegung, welche ihren Entschluß sich mit ihm in den See zu stürzen, begleitet hatte, still, und sie konnte ungestört horchen. Für ungeübte Ohren würde der Ton, der sie jetzt mit solcher Zaubermacht umfing, kaum hörbar gewesen sein. Selbst der erfahrene Reisende würde ihn für nichts als das Echo eines fallenden Steines unter den Bergen in der östlichen Ferne gehalten haben. Für sie aber war es kein unwichtiger Klang, denn er gab ihr das willkommene Zeichen der Erlösung und des Entzückens.

Allmälig kam er, vom neckenden Echo umher geschleudert, näher und näher, und verrieth jetzt deutlich, daß sein Ursprung, wie sie vom Anfang an vermuthet, der Ruf der gothischen Trompete war. Bald hörte die ferne Musik auf und es folgte ihr ein anderer leiser, dröhnender Ton, wie von einem fernen Erdbeben oder einem aufsteigenden Gewitter, der sich, ehe viele Zeit verging, in einen rauhen, verwirrten Lärm, wie das Brausen eines heftigen Windes durch Buschholzwälder, auslöste. In diesem Augenblicke verlor das Weib alle Selbstbeherrschung; sie wurde von ihrer frühem Geduld und Vorsicht verlassen. Ohne aus die Gefahr zu achten, legte sie das Kind auf die Felsplatte wo sie gestanden hatte, und es gelang ihr, wiewohl sie an allen Gliedern zitterte, um so viel höher hinaufzusteigen, daß sie eine Spalte in der Nähe der Spitze des Felsens erreichte, von wo aus sie einen ununterbrochenen Anblick des ungeheuren, unebenen Landstriches hatte, welchem in östlicher Richtung die nächste Reihe von Abgründen und Schluchten folgte.

Eine lange Minute nach der andern verrann, und wiewohl die Töne noch immer fortdauerten, ließ sich doch nichts erblicken. Endlich erklang der schmetternde Ruf der Trompete wieder durch die dumpfe, schwere Nebelluft und im nächsten Augenblicke drang die Vorhut einer gothischen Armee aus den fernen Wäldern.

Dann, nach einiger Zeit, strömten die Massen der Hauptmacht aus jedem Zwischenraume unter den Bäumen hervor und breiteten sich in dunkeln Schichten auf dem öden Boden aus, welcher zwischen den Wäldern und den Felsen in der Nähe des See’s lag. Die vordersten Reihen hielten an, wie um sich mit den Schaaren des Nachtrabs und den sich unter den Gepäckwagen Umhertreibenden, die sich immer noch, wie es schien, in zahlloser Menge aus dem Dunkel der fernen Bäume ergossen, zu verständigen. Die vorausgerückten Truppen marschierten, offenbar in der Absicht, die Straße zu untersuchen, immer noch schnell voran, bis sie an den Fuß der Höhe gelangten, welche zu der Klippe führte, an der das Weib immer noch hing und von wo aus es mit eifriger Aufmerksamkeit immer noch ihre Bewegungen beobachtete.

In einer Lage äußerster Gefahr befindlich, war ihre Körperkraft das einzige Schutzmittel gegen das Herabgleiten von ihrem hohen, schmalen Standpunkte. Bisher hatte die geistige Aufregung des Erwartens ihr die physische Kraft gegeben, welche nöthig war, um sich oben zu behaupten, gerade aber als die Anführer der Vorhut vor der Höhle anlangten, wurde sie von ihren überreizten Fähigkeiten verlassen, ihre Hände verloren ihre Spannkraft, sie schwankte und würde rückwärts zu augenblicklicher Vernichtung hinabgestürzt sein, wenn, nicht die um Brust und Leib geschlungenen Felle sich in eine von den zackigen Felsenspitzen um sie her verwickelt hätten. Zum Glück für sie —— denn sie konnte keinen Laut ausstoßen —— hielten die Soldaten in diesem Augenblicke an, um ihre Pferde verschnaufen zu lassen. Zwei von ihnen nahmen sofort ihre Lage wahr und entdeckten, welcher Nation sie angehörte. Sie stiegen auf die Felsen, und während sich der Eine des Kindes bemächtigte, gelang es dem Andern die Mutter zu retten und wohlbehalten herabzubringen.

Pferdeschnauben, Waffengeklirr und die Verwirrung lauter, rauher Stimmen unterbrachen jetzt das anfängliche Schweigen des einsamen See’s und würden die meisten Menschen in dem erschöpften Zustande des Weibes in Verwirrung und Angst gestürzt haben, schienen aber im Gegentheil ihre Gefühle zu beruhigen und ihre Kräfte wieder zu beleben. Sie machte sich von der stützenden Hand ihres Retters los, nahm ihr Kind auf die Arme und schritt auf einen Mann von riesenhaftem Wuchse zu, dessen kostbare Rüstung hinreichend verkündete, daß er eine Befehlshaberstelle im Heere bekleide.

»Ich bin Goiswintha, Hermanrichs Schwester,« sagte sie mit fester, ruhiger Stimme. »Ich bin der Niedermetzelung der Geißeln in Aquileja mit meinem Kinde entgangen. Befindet sich mein Bruder beim Heere des Königs?«

Diese Erklärung brachte eine auffallende Veränderung im Benehmen der Umstehenden hervor. Die gleichgültigen oder neugierigen Blicke, welche sie anfänglich aus die Flüchtige geworfen hatten, machten dem lebhaftesten Ausdrucke von Verwunderung und Ehrerbietung Platz. Der von ihr angeredete Häuptling erhob das Visir seines Helmes, so daß sein Gesicht erkennbar wurde, beantwortete ihre Frage bejahend und gebot zwei Soldaten, sie nach dem Lager der Hauptarmee weiter rückwärts zu führen. Als sie sich zum Fortgehen wendete, schritt ein Greis, auf sein langes, schweres Schwert gestützt, zu ihr hin und redete sie an.

»Ich bin Withimer, dessen Tochter bei den Römern in Aquileja als Geißel gelassen wurde; gehört sie zu den Erschlagenen oder den Entronnenen?«

»Ihre Gebeine modern vor den Stadtmauern,« war die Antwort. »Die Römer haben sie ihren Hunden zum Fraße vorgeworfen.«

Dem alten Krieger entschlüpfte weder ein Wort, noch eine Thräne. Er wendete sich nach der Richtung von Italien. Als er aber zu den Ebenen hinabblickte, runzelte sich seine Stirn und seine Hände preßten mechanisch den Griff seiner ungeheuren Waffe.

Die beiden Männer, welche Goiswintha zum Heere führten, legten ihr dieselbe düstere Frage vor, wie ihr alter Kamerad. Sie empfingen die gleiche entsetzliche Antwort, die mit derselben starren Fassung ertragen wurde und der derselbe ominöse Blick nach Italien hin folgte, wie bei dem greisen Withimer.

Die Soldaten führten das die erschöpfte Frau tragende Pferd mit der äußersten Sorgfalt und doch mit wunderbarer Schnelligkeit die vor so Kurzem erstiegenen Pfade hinab, gelangten bald an die Stelle, wo die Armee Halt gemacht hatte, und Goiswintha erblickte die unermeßliche kriegerische Ansammlung der Streiter des Nordens in aller Majestät der Zahl und Ruhe.

Ihre Rüstungen besaßen keine Politur, über ihren Häuptern flatterten keine sahnen, aus ihren Reihen erschallte keine Musik. An die düsteren Wälder gelehnt, welche immer noch unablässige Zuflüsse zu der bereits gelagerten kriegerischen Menge ausströmen ließen, von den öden Klippen umgeben, die nebelhaft phantastisch und majestätisch durch die Dunkelheit der trüben Dünste herüberlugten, von den schwarzgrauen Wolken bedeckt, die bewegungslos über den kahlen Bergspitzen schwebten und ihre stürmischen Gewässer auf die unbebauten Ebenen herabgossen, stand Alles, was das Aussehen der Gothen an sich schon Ernst feierliches hatte, in erhabenem Einklange mit dem kalten traurigen Ausdruck, welchen das Antlitz der Natur angenommen hatte. Stumm —— drohend —— finster —— sah das Heer aus, als sei es die geeignetste Verkörperung des ungeheuren Zweckes seines Führers —— das der Unterjochung Rom’s.

Goiswintha wurde schnell durch die ersten Kriegerreihen geleitet, bis sie an einer im rechten Winkel mit der Hauptstraße von dem Walde her ansteigenden Stelle anlangte, wo sie ihre Führer zum Absteigen aufforderten und, auf die daselbst befindliche Gruppe deutend, sagten:

»Dort ist Allarich, der König, und bei ihm Hermanrich, Dein Bruder.«

Aus welchem Gesichtspunkte man auch die Goiswinthen gezeigte Menschengruppe betrachten mochte, überall mußte sie die Beachtung selbst des Unaufmerksamsten erregen. In der Nähe einer verwirrten Masse von auf dem Boden verstreuten Waffen lehnten einige Krieger, dem Anscheine nach auf die leisen murmelnden Worte dreier Greise lauschend, die sich auf Felsenstücken sitzend über sie erhoben, und deren langes weißes Haar, rauhe Fellkleidung und magere schwankende Gestalt den stärksten Kontrast mit den eisenumhüllten, riesenhaften Figuren ihrer Zuhörer bildeten. Oberhalb des Greises auf der Straße stand einer von Alarichs Wagen und der künftige Eroberer Rom’s hatte auf gegen dessen rohe Räder gestützten Gepäckhaufen seinen Rastplatz gewählt. Der Wagen schien buchstäblich von einer lebenden Last überzuströmen. In jedem Winkel und Eckchen staken Weiber und Kinder von jedem Alter und Waffen und Hausthiere jeder Art. Hier lugte ein munteres, neckisches Kind forschend über den Kopf eines Sturmbockes heraus, dort hielt ein mageres, hungriges Schaf spürend und trübselig seine Nase in das Freie und ließ bei der Bewegung den Kopf einer auf seinem wolligen Leibe liegenden verwelkten Alten erblicken. Hier strebte sich ein junges unter Schilden halb vergrabenes Mädchen zu befreien, dort stöhnte ein abgezehrter Troßknecht fast unter Hausen von Pelzen erstickend. Das ganze Schauspiel mit seinem Hintergrunde von großen, in nebeligen Regendunst gehüllten Wäldern, mit seinen auffallenden Kontrasten auf dem einen Punkte und seinen feierlichen Harmonien auf dem andern, zeigte eine ungeheure Vereinigung von Gegenständen, die entweder Erstaunen oder Ehrerbietung erregten —— eine düstere Verbindung des Drohenden mit dem Erhabenen.

Einer von Goiswinthen’s Führern bat sie, in der Nähe des Wagens zu warten, während er selbst sich einem beim Könige stehenden jungen Manne näherte und denselben abseits winkte. Als sich der Krieger erhob, um der Aufforderung Folge zu leisten, entwickelte er neben allen Körpervorzügen seines Stammes eine bei den Leuten seiner Nation ungewöhnliche Gewandheit und Elasticität der Bewegung. In dem Augenblicke, wo er zu dem Soldaten, welcher sich ihm genähert hatte, trat, war sein Gesicht zum Theil unter einem ungeheuren Helm verhüllt, auf dem sich ein Eberkopf befand, dessen Rachen im Tode aufgerissen, weit aufklaffte, als ob er noch nach Beute dürfte. Der Mann hatte ihm aber kaum sein Begehr mitgetheilt, als er heftig zusammenzuckte, die finstere Schutzwehr abnahm und mit entblößtem Haupte auf den Wagen zuschritt, neben welchem Goiswintha sein Kommen erwartete.

Sobald sie ihn bemerkte, eilte sie ihm entgegen, legte das verwundete Kind in seine Arme und begrüßte ihn mit den Worten:

»Dein Schwager hat in den Heeren Rom’s gedient, als unser Volk mit dem Reiche in Frieden war, dies ist Alles, was die Römer von seiner Familie und seinen Besitzthümern übrig gelassen haben.«

Sie verstummte und auf einen Augenblick betrachteten Bruder und Schwester einander in rührendem, ausdrucksvollem Schweigen. Wiewohl außer den allgemeinen Stammeszeichen die Gesichter der Beiden natürlicher Weise noch die besonderen Zeichen der Blutsgemeinschaft trugen, war doch in diesem Augenblicke alle Aehnlichkeit zwischen ihnen gänzlich verschwunden, so wunderbar ist die Macht des Gemüths über die Züge. Das Gesicht und die Haltung des jungen Mannes —— er zählte erst zwanzig Jahre —— drückte tiefen, in seiner strengen Ruhe männlichen, in seinem vollständigen Mangel an Prunk aufrichtigen Schmerz aus. Als er auf das Kind blickte, wurden seine« blauen, schimmernden, durchdringenden, lebhaften Augen weich wie die eines Weibes, seine kaum von seinem kurzen Barte verborgenen Lippen schlossen sich und zuckten und seine edel geformte Brust hob sich unter der sie bedeckenden Rüstung. In dieser einfachen, sprachlosem thränenlosen Trauer, dieser schönen Rücksicht triumphierender Kraft für duldende Schwäche lag etwas fast Erhabenes, wenn man sie im Gegensatze zu dem Ausdrucke grimmiger Verzweiflung auf Goiswinthen’s Zügen betrachtete. Die in ihren weit aufgerissenen, glühenden Augen lodernde Wuth, die düsteren Falten um ihre bleichen offenen Lippen, das Anschwellen der bis zum Bersten ausgedehnten starken Adern auf ihrer hohen Stirn entstellten ihr Gesicht so, daß Bruder und Schwester, als sie so neben einander standen, für den Augenblick ihre Geschlechter ausgetauscht zu haben schienen. Der Krieger zeigte Mitleid für die Dulderin, die Mutter Entrüstung über die Unthat.

Hermanrich wendete sich von seiner wehmüthigen Betrachtung des Kindes ab, stieg, ohne noch an Goiswinthen ein Wort zu richten, auf den Wagen, legte den letzten Sprößling seiner Schwester in die Arme einer abgelebten Greisin, die über einigen auf ihrem Schoße ausgebreiteten Kräuterbündeln brütend dasaß und sprach zu ihr:

»Diese Wunden sind von den Römern, flöße dem Kinde wieder Leben ein und Du wirst aus der Beute Rom’s Deine Belohnung erhalten.«

»Hahaha!« kicherte die Alte; »Hermanrich ist ein berühmter Krieger und soll Gehorsam finden. Hermanrich ist groß, denn sein Arm kann erschlagen, aber Brunhild ist größer als er, denn ihre Wissenschaft kann heilen.«

Wie um diese Prahlerei vor den Augen des Kriegers zu bewarheiten, begann die Alte sofort die zu einem Verbande nöthigen Kräuter unter ihrem Vorrathe auszusuchen. Hermanrich wartete aber die Entwickelung ihrer Geschicklichkeit nicht ab. Mit einem letzten Blicke auf das bleiche erschöpfte Kind stieg er langsam vom Wagen, näherte sich Goiswinthen, zog sie an die vor dem Wetter geschützteste Stelle in der Nähe des mächtigen Fuhrwerks und bereitete sich mit der tiefsten Aufmerksamkeit auf das Anhören des Berichts von den Schreckens- und Leidensscenen vor, welche sie vor so Kurzem durchlebt hatte.

»Du,« begann sie, »der Du geboren wurdest, als unser Volk in Frieden war, den man von dem Schlachtfelde nach jenen fernen Gegenden brachte, wo noch Ruhe herrschte, den man in seiner Kindheit vor den Wechselfällen des Kampfes bewahrte und erst im Jünglingsalter, wo seine Mühen vorüber und seine Triumphe nahe sind, in das Heer treten ließ —— Du allein bist den Leiden unseres Volkes entgangen, um an dem Ruhme seiner nahen Rache Theil zunehmen.

»Kaum ein Jahr war verflossen, seit Du von den Niederlassungen der Gothen entfernt worden warest, als ich mich mit Priulf vermählte. Das Geschlecht von Schwächlingen, mit welchem er damals verbündet war, fügte sich trotz seines römischen Hochmuths in den Rathsversammlungen seiner Ansicht und gestand unter seinen Legionen, daß er tapfer war. Ich sah mich mit Freuden als Gattin eines ruhmvollen Kriegers, ich glaubte in meinem Stolze zur Mutter eines Heldengeschlechts bestimmt zu sein, als uns plötzlich die Nachricht ereilte, daß der Kaiser Theodosius gestorben sei. Jetzt traten Anarchie unter dem Volke des Landes und Kränkungen der Freiheiten seiner Verbündeten, der Gothen, ein. Bald erschallte unter unserer Nation der Ruf zu den Waffen. Unsere Kriegswagen fuhren über die gefrorene Donau, unsere Soldaten verließen das römische Lager. Unsere Landleute nahmen ihre Waffen von den Wänden ihrer Hütte, wir Frauen bereiteten uns und unsere Kinder darauf vor, unseren Gatten in das Feld zu folgen, und Alarich, der König, trat als Führer unserer Heere auf.

»Wir rückten in das Gebiet der Griechen ein. —— Wie soll ich Dir aber die Ereignisse der unsern Einfall folgenden Kriegsjahre erzählen, den Glanz unserer Siege, die Mühseligkeiten unserer Vertheidigung die Leiden unserer Rückzüge, den Hunger, den wir überwanden, die Krankheiten, die wir überstanden, den schmählichen Frieden, der endlich gegen die Wünsche unsers Königs geschlossen wurde! Wie soll ich Dir alles dies erzählen, während meine Gedanken bei dem Blutbade weilen, dem ich erst entgangen bin, —— während jene ersten, wiewohl mir einst in Pein erinnerlichen Uebel jetzt über den größeren Schrecken, welche ihnen folgten, vergessen sind.

»Der Waffenstillstand wurde geschlossen, Alarich zog mit den Ueberbleibseln seines Heeres ab und lagerte sich bei Aemona, an den Grenzen des von ihm bereits überzogenen Landes, welches er jetzt zu erobern gerüstet ist. —— Zwischen unserm Könige und Stilico, dem General der Römer, wurden viele Botschaften gewechselt, denn die Anführer waren noch uneinig über die Bedingungen des Friedens, welcher abgeschlossen werden sollte. unterdessen wurden zum Pfande der gothischen Treue Schaaren von unsern Kriegern und unter ihnen Priulf nach Italien entsendet, um von Neuem als Verbündete der Legionen Rom’s zu dienen, und sie nahmen ihre Frauen, Kinder und Habe mit, die als ihre Geißeln in den Städten des Landes bewahrt werden sollten.

»Ich wurde mit meinen Kindern nach Aquileja gebracht. In einem Gebäude innerhalb der Stadt fanden wir mit unserer Habe Aufnahme. Es war Nacht, als ich von Priulf, meinem Gatten, am Thore Abschied nahm. Ich schaute ihm nach, als er mit dem Heere abzog, und als ihn die Dunkelheit meinen Augen verbarg, begab ich mich wieder in die Stadt, aus welcher ich allein von allen Frauen unsers Volkes entkommen bin.«

Bei diesen letzten Worten begann Goiswinthen’s Wesen, welches bisher ruhig und gesammelt war, sich zu verändern, sie hielt plötzlich in ihrer Erzählung inne, der Kopf sank ihr auf die Brust und ihre Gestalt bebte, wie von schwerer Pein durchzuckt. Als sie sich nach einer Pause zu Herrmanrich wendete, um in ihrer Erzählung fortzufahren, lag auf ihrem Gesicht derselbe bösartige Ausdruck, welcher sich auf demselben gezeigt hatte, als sie ihm ihr verwundetes Kind übergab. Ihre Stimme wurde gebrochen, rauh und unweiblich Sie drängte sich dicht an die Seite des jungen Mannes und legte ihre zitternden Finger auf seinen Arm, wie um seine ungetheilteste Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen.

»Die Zeit verging,« fuhr sie fort, »und noch immer kam keine Nachricht von dem endlichen Abschluß des Friedens. Wir Geißeln lebten von den Bewohnern der Stadt getrennt, denn wir fühlten selbst damals schon Feindschaft gegen einander. Ich hatte in meiner Gefangenschaft keine Beschäftigung als die Geduld —— keine Thätigkeit, als die Hoffnung. Mit meinen Kindern allein pflegte ich über die See hinaus nach dem Lager unsers Königs zu schauen, aber ein Tag folgte dem andern-und seine Krieger erschienen nicht auf der Ebene, und eben so wenig kehrte Priulf mit den Legionen zurück, um sich vor den Thoren der Stadt zu lagern. Ich trauerte also in meiner Einsamkeit, denn mein Herz sehnte sich nach der Heimath meines Volkes, ich verlangte danach, noch einmal das Gesicht meines Gatten zu erschauen und wiederum die Reihen unserer Krieger und die Majestät ihrer Schlachtordnung zu erblicken.

»Während aber der schwere Tags der Verzweiflung schnell näher kam, bereitete sich mir allein eine bittere Kränkung. Die Leute, welche uns bisher bewacht hatten, wurden gewechselt, und unter den neuen Wächtern befand sich Einer, der auf mich, die Augen der Begierde warf. Eine Nacht nach der andern ergoß er seine Bitten in mein unwilliges Ohr, denn er glaubte in seiner Eitelkeit und Schamlosigkeit, daß ich, eine Gothin und die Gattin eines Gothen, von ihm, der nur römischen Geblüts war, gewonnen werden könne! Bald ging er von Bitten zu Drohungen über und eines Nachts erschien er mit Lächeln vor mir und rief, daß Stilico, dessen Wunsch es war, mit den Gothen Frieden zu schließen, für seine Hingebung an unser Volk die Todesstrafe erlitten, daß die Zeit des Verderbens für uns Alle nahe, und daß er, den ich verschmähe, allein im Staude sei, mich vor dem Zorne Rom’s zu bewahren.

»Nach diesen Worten näherte er sich mir, aber ich, die ich mich schon auf vielen Schlachtfeldern befunden hatte, fühlte keine Furcht vor der Aussicht auf Krieg und ich trieb ihn mit Hohnlachen von mir.

»Jetzt erschien mein Feind einige Nächte hindurch nicht wieder vor mir. Eines Abends aber, als ich mit dem Kinde, welches Du gesehen hast, auf der Terrasse vor dem Hause saß, fiel plötzlich ein Helmschmuck vor meinen Füßen nieder und eine Stimme rief aus dem Garten unter mir herauf:

»Priulf, Dein Gatte, ist von den Kriegern Rom’s im Streite erschlagen worden! Schon sind die Legionen, bei denen er gedient hat, nach der Stadt unterwegs, denn das Gebot ist ergangen, die Geißeln umzubringen. Sprich nur ein Wort und ich kann Dich noch jetzt retten!

»Ich blickte auf den Helmschmuck, er war blutig und es war der Seine! Auf einen Augenblick zuckte mir das Herz, als ich an den Krieger, den ich geliebt hatte, dachte. Dann, als ich hörte, wie sich der Todesbote unter Verwünschungen aus seinem Versteck im Garten entfernte, entsann ich mich, daß jetzt meine Kinder nur noch ihre Mutter hatten, um sie zu vertheidigen, und daß die Feinde ihres Geschlechts ihnen Gefahr bereiteten. Außer dem Kleinen auf meinem Arme besaß ich noch zwei, die im Hause schliefen. Als ich mich verwirrt und verzweifelt umschaute, um zu sehen, ob wir noch Aussicht auf Entrinnen besäßen, ertönte durch die Abendstille das Schmettern einer Trompete und auf der Straße unter mir erschallte der Schritt Gewaffneter. Jetzt erhob sich aus allen Theilen der Stadt zu gleicher Zeit im gleichen Augenblicke das Kreischen von Weibern und das Geschrei von Männern. Als ich nach den Betten meiner Kinder stürzte, hatten die Dämonen Rom’s bereits die Treppen erstiegen und schwangen im blutigen Triumph ihre dampfenden Schwerter. Ich gelangte an die Treppe, und als ich aufblickte, warfen sie mir die Leiche meines jüngsten Kindes herab. O Hermanrich! Hermanrich! es war das schönste und geliebteste von allen. Was, wie die Priester sagen, Gott für uns sein soll, das war der lieblichste von meinen Sprößlingen für mich!

»Als ich es verstümmelt und todt sah ich, die ich es kaum eine Stunde vorher an meiner Brust in den Schlaf gewiegt hatte! —— verließ mich mein Muth, und als die Mörder auf mich eindrangen, schwankte ich und fiel. Ich fühlte wie die Schwertspitze meinen Hals verwundete, ich sah den Dolch über dem Kinde in meinen Armen blitzen, ich hörte den Todesschrei des letzten Opfers oben, und dann verließen mich die Sinne und ich vermochte nichts mehr zu hören, mich nicht mehr zu regen!

»Ich muß lange bewegungslos am Fuße jener Treppe gelegen haben, denn als ich aus meiner Ohnmacht erwachte, war der Lärm in der Stadt verstummt und der Mond schien mild vom Firmament herab aus das öde Haus. Ich lauschte, um sicher zu sein, daß ich mich mit meinen gemordeten Kindern allein befinde. Ich vernahm in der Wohnung keinen Laut, die Mörder hatten sich entfernt, in dem Glauben, daß ihr Blutwerk zu Ende sei, als ich unter ihren Schwertern fiel; und ich konnte mich ungefährdet zu dem letzten meiner Kinder schleppen, welches von den Römern erschlagen worden war. Das Kleine an meiner Brust athmete noch. Ich stillte mit von meinen Kleidern abgerissenen Stücken die Blutung seiner Wunden, legte es sanft neben der Treppe im Mondschein nieder, damit ich sehen konnte, wenn es sich bewegte, und fühlte mich im Schatten der Mauer zu dem erstgemordeten Jüngst geborenen, zu dem Jüngsten und Schönsten meiner Kinder, das sie vor meinen Augen geschlachtet hatten, hin! Als ich den Körper berührte, war er vom Blute schlüpfrig, ich befühlte sein Gesicht und es war kalt, ich erhob es in meinen Armen und seine Glieder waren bereits im Tode erstarrt! Dann dachte ich an das älteste Kind, welches todt oben im Zimmer lag; aber meine Kräfte verließen mich schnell. Ich hatte ein Kind, welches noch gerettet werden konnte und wußte, daß, wenn der Morgen mich noch in dem Hause erblickte, alle Aussicht des Entrinnens mir für immer benommen war. Ich nahm also das todte und das verwundete in meine Arme, obgleich mir das Herz erstarrte, daß ich die Leiche meines ältesten Kindes in der Gewalt der Römer lassen mußte, und begab mich in den Garten und von dort nach dem an der See liegenden Theile der Stadt.

»Ich schritt durch die verlassenen Straßen. Zuweilen stieß ich an die Leiche eines Kindes, zuweilen erblickte ich im Mondscheine das dem Himmel zugewendete todtenbleiche Antlitz eines Weibes meiner Nation, das ich geliebt hatte; aber ich eilte weiter, bis ich an die Mauer der Stadt gelangte und hörte, wie sich außerhalb derselben die Meereswellen auf dem ebenen Strande brachen.

»Ich blickte um mich. Die Thore waren, wie ich wußte, geschlossen und bewacht. Die Mauer bot mir die einzige Aussicht auf Rettung. Aber ihr Gipfel war hoch und die Seiten glatt. Verzweifelnd und ermattet legte ich meine Last an einer dunkeln, versteckten Stelle nieder und that einige Schritte vorwärts, denn das Stehenbleiben war eine Qual, die ich nicht ertragen konnte. In geringer Entfernung sah ich einen Soldaten, an ein Haus gelehnt, schlafen. Neben ihm stand unter einem Fenster eine Leiter. Als ich aufschaute erblickte ich den Kopf einer Leiche, der auf der Spitze derselben lag. Das Opfer konnte erst vor Kurzem getödtet sein, denn sein Blut tröpfelte noch langsam in ein neben dem Soldaten stehendes Weingefäß.

»Als ich die Leiter sah, lebte die Hoffnung in mir wieder auf, ich trug sie an die Mauer, ich stieg»empor und legte mein todtes Kind auf die breiten Steine auf ihrer Spitze —— ich kehrte zurück und legte meinen verwundeten Knaben neben die Leiche. Langsam und mit großer Anstrengung zog ich die Leiter herauf, bis das eine Ende durch seine eigne Last auf der andern Seite niederfiel. Eben so wie ich herausgekommen war, stieg ich auch wieder hinab. Ich höhlte im Sande eine Grube aus und legte den Leichnam meines Kindes hinein, denn ich konnte die Last Beider nicht mehr tragen; dann schleppte ich mich mit meinem verwundeten Knaben in eine weiterhin an der Küste liegende Höhle. Dort lag ich den ganzen folgenden Tag verborgen —— allein mit meinem Körperleiden und meiner Herzenspein —— bis die Nacht herabsank und ich meine Reise nach dem Gebirge antrat, denn ich wußte, daß zu Aemona, im Lager der Krieger meines Volkes, meine einzige Zufluchtsstätte auf Erden war. Schwach und langsam, bei Tage versteckt und bei Nacht reisend, schleppte ich mich weiter, bis ich an den See im Gebirge gelangte, wo mich die Vorhut des Heeres fand und vom Tode errettete.«

Sie schwieg. Während des letzten Theiles ihrer Erzählung war ihre Haltung ruhig und trübe gewesen und sie verweilte mit dem peinlichen Nachdruck des Kummers bei jedem einzelnen Umstande, der sich auf die von ihr erlittenen Verluste bezog; ihre Stimme sänftigte sich zu den Tönen stiller Wehmuth, welche den einfachsten Worten Eindringlichkeit verleihen und die schwankendsten Laute wohlklingend machen. Es schien, als ob die zarteren, liebevolleren Empfindungen, welche die Reize ihrer Kinder einst in ihrem Herzen geweckt hatten, von der Erinnerung wieder in ihr belebt worden seien, während sie bei dem Berichte von ihrem Tode verweilte. Sie blickte eine Zeitlang fest und forschend in das halb von ihr abgewendete Gesicht Hermanrich’s, welches eine dessen edeln Zügen unnatürliche wilde, rachsüchtige Düsterkeit zeigte, dann kehrte sie sich von ihm hinweg, begrub ihr Gesicht in den Händen und machte keinen weiteren Versuch, seine Aufmerksamkeit zu erregen, oder ihn zur Antwort aufzufordern.

Das feierliche Schweigen des unglücklichen Weibes und des brütenden Mannes hatte einige Minuten gedauert, als eine rauhe, zitternde Stimme von dem Wagen her rief:

»Hermanrich! Hermanrich!«

Anfangs blieb der junge Mann von den mißtönigen, abstoßenden Lauten unberührt; sie wiederholten seinen Namen jedoch so oft und ausdauernd, daß er endlich darauf achtete und plötzlich, wie über die Unterbrechung unmuthig auffahrend, nach der Seite des Wagens schritt, von welcher die geheimnißvolle Aufforderung zu kommen schien.

Als er aufblickte, schwieg die Stimme und er sah, daß die Alte, welcher er das Kind anvertraut, Diejenige war, welche ihn vor wenigen Augenblicken so hastig gerufen. Ihr in Bärenfelle gehüllter, zitternder Körper war über einen großen dreieckigen Schild von poliertem Erz gelehnt, auf welchen sie ihre dürren, verschrumpften Arme stützte. Ihr Kopf zitterte altersschwach —— ein fratzenhaftes Lächeln zog ihre welken Lippen auseinander und erhellte ihre eingesunkenen Augen. Tückisch, kriechend, abstoßend, mit vom Wiederscheine der ihre Stütze bildenden Waffe noch gelber gefärbtem Gesicht und in den rauhen Gewändern, die ihre mageren Glieder umhüllten, kaum menschlich erscheinenden Gestalt, schien sie eine von bösen Geistern zum Spott gegen die Majestät der menschlichen Form geschaffene Mißgestalt, —— eine verkörperte Satyre alles Beklagenswerthesten in der Gebrechlichkeit und Abstoßendsten im Alter zu sein.

In dem Augenblicke, wo sie Hermanrich sah, streckte sie ihren Körper noch weiter über das Schild hervor, deutete nach dem Innern des Wagens und mnrmelte leise das furchtbare, ausdrucksvolle Wort:

»Todt!«

Ohne auf weitere Erklärung zu warten, stieg der junge Gothe auf das Fuhrwerk und sah, als er an die Seite der Matrone gelangte, auf ihren Kräuterbündeln ausgestreckt, in der schönen erhabenen Stille des Todes —— die Leiche von Goiswinthen’s letztem Kinde.

»Ist Hermanrich erzürnt?« winselte die Vettel vor dem festen, vorwurfsvollen Blicke des jungen Mannes zusammenzuckend. »Ich log, als ich sagte, daß Brunhild größer sei als Hermanrich. Hermanrich ist mächtiger als sie! Schau, die Verbände sind auf die Wunden gelegt worden und sollen nicht, wenn auch das Kind gestorben ist, die versprochenen Schätze mir zu Theil werden? Ich habe gethan, was ich konnte, aber meine Geschicklichkeit beginnt, mich zu verlassen, denn ich bin alt —— alt —— alt! Ich habe mein Geschlecht vorübergehen sehen! Aha, ich bin alt, Hermanrich, ich bin alt!«

Als der junge Krieger das Kind erblickte, sah er, daß die Alte die Wahrheit gesprochen hatte und das Kind nicht durch ihre Schuld gestorben sei. Das Gesicht des Knaben war bleich und heiter und zeigte, wie ruhig sein Tod gewesen war. Die Verbände waren geschickt angefertigt und sorgfältig auf seine Wunden gelegt worden, aber Leiden und Entbehrungen hatten den schwachen Widerstand der menschlichen Kräfte auf dem Wege nach dem letzten, gefürchteten Ziele vernichtet und die Hinterlist des kaiserlichen Rom’s wieder gesiegt, wie sie es gewohnt war —— über ein Kind gesiegt!

Als Hermanrich mit der Leiche herabstieg, war Goiswintha beim Betreten des Bodens der erste Gegenstand, welchen seine Augen erblickten. Die Mutter nahm ihm seine leblose Last wortlos und thränenlos ab. Die Ausströmung ihrer früheren, liebevollern Natur, welche der Schluß der Erzählung ihrer Leiden hervorgerufen hatte, war von nun an durch den Tod ihres letzten Kindes auf ewig in ihr erloschen.

»Seine Wunden hätten den Knaben zum Krüppel gemacht,« sagte der junge Mann düster, »er hätte nie mit unsern Kriegern kämpfen können! Unsere Väter tödteten sich selbst, wenn sie keine Kraft mehr zum Kampfe besaßen; besser für ihn, daß er gestorben ist.«

»Rache!« stöhnte Goiswintha, dicht an seine Seite gedrängt. »Wir wollen Rache für das Blutbad von Aquileja nehmen! Wenn in den Palästen von Rom das Blut strömt, so erinnere Dich an meine hingemordeten Kinder und eile nicht, Dein Schwert in die Scheide zu stecken.«

In diesem Augenblicke hörte man, wie, um die bereits auf dem Gesichte des jungen Gothen erweckte grimmige Entschlossenheit noch weiter zu befestigen, die Stimme Alarich’s dem Heer den Befehl, zum Vorrücken geben. Hermanrich fuhr auf und zog das racheglühende Weib mit sich zum Könige hin. Dort stand vollständig gewaffnet und durch seine höhere Gestalt über die ihn umgebende Menge hervorragend, der gefürchtete Anführer der gothischen Heerschaaren. Sein Helm war zurückgeschoben, so daß er seine über die ihn umgebende Menge strahlendem hellen, blauen Augen sehen ließ, er deutete mit dem Schwerte gen Italien und als Glied vor Glied seine Leute die Waffen ergriffen und sich jubelnd zum Marsche fertig machten, öffneten sich seine Lippen zu einem Triumphlächeln, und ehe er sich aufmachte, um sie zu begleiten, sprach er:

»Krieger der Gothen, unsere Rast im Gebirge ist nur kurz gewesen, aber die Müden mögen darüber nicht klagen, denn der ruhevolle Rastort, welcher nach unsern Mühseligkeiten unserer wartet, ist Rom. Es ist unser Vorrecht, den Fluch Odins, als er sich in der Kindheit unseres Volkes vor den Myriaden des Kaiserreiches zurückzog, zu erfüllen! Uns ist es vorbehalten, den künftigen Untergang, womit er Rom bedrohte, zu bewerkstelligen! Erinnert Euch an Eure Geißeln, die die Römer ermorden, Eure Besitzungen, deren sich die Römer bemächtigt, Euer Vertrauen, welches die Römer verrathen haben! Erinnert Euch, daß ich, Euer König, in mir den übernatürlichen Antrieb fühle, welcher nie täuscht, und der mir mit aufmunternder Stimme zuruft: —— Rücke vor und, das Kaiserreich ist Dein! Versammle Deine Krieger, und die Stadt der Welt soll den erobernden Gothen anheimfallen. Wir wollen ohne Zögern vorwärts eilen! unsere Beute erwartet uns! —— unser Sieg ist nicht mehr fern, unsere Rache naht sich!«

Er schwieg, und in diesem Augenblicke gab die Trompete das Zeichen zum Marsch.

»Auf auf!« rief Hermanrich, indem er Goiswintha’s Arm ergriff und auf den Wagen zeigte, der schon anfing sich zu bewegen. »Bereite Dich zur Reise, ich will für das Begräbniß des Kindes sorgen. Noch ein Paar Tage und unser Lager kann vor Aquileja sein. Sei geduldig, ich werde Dich in den Palästen Rom’s rächen.«

Die mächtige Masse bewegte sich. Die Menge breitete sich aus über den unfruchtbaren Boden, und jetzt sahen die Krieger im Nachtrab der Armee Diejenigen, die an der Spitze derselben die letzte Reihe von Pässen erstiegen: welche zwischen den Ebenen Italien’s und den Gothen lag.



Kapiteltrenner

Kapitel II.
Der Hof.

Der Reisende, der den gewöhnlichen Weg der Touristen im heutigen Italien so weit verläßt, daß er die Stadt Ravenna besucht, erinnert sich mit Erstaunen, wenn er ihre stillen und melancholischen Straßen durchschreitet, und Weinberge und Sümpfe über eine Ausdehnung von vier Meilen zwischen dem adriatischen Meere und der Stadt ausgebreitet sieht, daß dieser jetzt halb verödete Ort einst die volkreichste der römischen Festungen war, und daß da, wo sich jetzt Felder und Wälder den Augen darbieten, einst die Flotten des Reiches sicher vor Anker lagen, und der Kaufmann von Rom seine kostbaren Ladungen am Thore seines Lagerhauses ausschiffte.«

Als die Macht Rom’s abnahm, fing das adriatische Meer seltsamer Weise an, die Festung, deren Schutz es bisher gebildet hatte, zu verlassen. Gleichzeitig mit der stufenweisen Entartung des Volkes trat das allmählige Zurückziehen des Ozeans von den Stadtmauern ein, bis sichgn Anfange des sechsten Jahrhunderts schon da, wo einst der Hafen des August war, ein Pinienhain zeigte.

Zur Zeit unsrer Geschichte waren, obgleich das Meer schon damals sichtlich zurückgetreten war, die Gräben um die Mauern noch gefüllt, und die Kanäle liefen noch beinahe in derselben Art, wie sie jetzt Venedig durchschneiden, durch die Stadt.

An dem Morgen, den wir jetzt beschreiben wollen, war der Herbst, seit dem im vorhergehenden Kapitel erwähnten Ereignissen, nur einige Tage vorgeschritten. Obgleich die Sonne jetzt hoch am Osthimmel stand, gab doch die Unruhe, welche die Hitze hervorbrachte, einigen Müßiggängern von Ravenna den Muth, der Schwüle der Atmosphaire in der eiteln Hoffnung Trotz zu bieten, daß sie eine Brise vom adriatischen Meere begrüßen würde, wenn sie die seewärts gelegenen Walle der Stadt erstiegen. Als sie die beabsichtigte Höhe erreicht hatten, wandten diese hoffenden Bürger das Gesicht mit fruchtloser verzweifelnder Sorgfalt nach jeder Weltgegend; aber kein Lufthauch kam, um ihre Ausdauer zur belohnen. Nichts konnte die unverminderte Allgemeinheit der Hitze vollkommener andeuten, als die Aussicht nach allen Richtungen hin von der Stellung her, welche sie inne hatten. Die steinernen Häuser der Stadt hinter ihnen glänzten mit einer, die stärksten Augen überwältigenden, blendenden Helle. Die leichten Vorhänge hingen unbeweglich über den einsamen Fenstern. Kein Schatten unterbrach die glänzende Einförmigkeit der Mauern, oder milderte das Flimmern auf dem Wasser der Fontänen unter ihnen. Keine Welle bewegte die Oberfläche des breiten Kanals, welcher jetzt den alten Hafen ersetzte, kein Windhauch entfaltete die ausgedörrten Segel der verlassenen Schiffe am Quai; über den fernen Marschen hing sein heißer, zitternder Dunst, und in den Weinbergen bei der Stadt bewegte sich nicht ein Blatt an seinen schlanken Stengeln. Auf der Seeseite lag der glühende Sand weit ausgestreckt und eben da und jenseits desselben dehnte sich der weiße Ozean, wogenlos, träge und in eine Fluth blendenden Glanzes aufgelöst, bis zu dem wolkenlosen Horizonte, der die sonnenhelle Aussicht begrenzte.

In der Stadt selbst, in den Straßen, wo die hohen Häuser dunkle Schatten auf die breiten Steine der Straße warfen, konnte man hier und dort die Gestalten einiger Sklaven sehen, die an der Mauer schliefen oder träge über die Fehler ihrer Herren schwatzten. Manchmal war ein alter Bettler zu bemerken, der auf den wohlversehenen Revieren seines eignen Körpers das leichtbewegliche Ungeziefer des Südens jagte. Manchmal kroch ein Kind von einer Thürstufe, um in dem stehenden Wasser einer Gosse zu plätschern, aber mit Ausnahme dieser zweifelhaften Beweise menschlicher Thätigkeit war der vorherrschende Charakter der wenigen Gruppen aus den niedrigsten Volksklassen, welche in den Straßen erschienen, der der äußersten Trägheit. Alles, was der Stadt zu anderen Stunden des Tages Glanz verlieh, war um diese Zeit dem Auge verborgen. Die eleganten Höflinge ruhten in ihren hohen Zimmern. Die aufgestellten Wachposten verbargen sich in Mauerecken und unter Thorbögen. Die reizenden Damen schlummerten auf parfümierten Lagern in verdunkelten Zimmern; die vergoldeten Wagen waren in den Remisen verschlossen, die stolzen Pferde waren in die Ställe eingesperrt und man hatte selbst die Waaren auf den Marktplätzen aus dem Sonnenscheine entfernt. Es war klar, daß die, üppigen Einwohner von Ravenna keine Pflichten für hinreichend wichtig und keine Vergnügungen für hinlänglich anziehend hielten, um sie zu bewegen, ihre empfindlichen Körper der Mittagshitze auszusetzen.

Um dem Leser eine Idee von der Art, in welcher die trägen Patrizier des Hofes ihren Mittag verbrachten, zu geben und zugleich den Forderungen des Fortgangs dieser Geschichte zu genügen, ist es nöthig, die Ruheplätze der Plebejer auf den Straßen mit dem Lager der Edlen im kaiserlichen Palast zu vertauschen.

Der erste Gegenstand, welcher den Beobachter, sobald er die nach den Privatgemächern führenden Gänge erreichte, nachdem er durch das massive Eingangsthor getreten und die weite Vorhalle des kaiserlichen Palastes mit ihren Marmorstatuen und ihren Wachen durchschritten und von dort die schöne Treppe erstiegen hatte, angezogen haben würde, war eine reich geschnitzte, halb offene Thüre am Ende des Ganges. An dieser Stelle waren ungefähr fünfzehn bis zwanzig Individuen gruppiert, welche sich durch Zeichen mit einander unterhielten und in allen ihren Bewegungen das ehrfurchtvollste und vollständigste Schweigen bewahrten. Von Zeit zu Zeit stahl sich Einer von der Gesellschaft auf den Zehen zu der Thür und blickte vorsichtig durch dieselbe, worauf er fast augenblicklich zurückkehrte und seinem nächsten Nachbar das ungeheure Interesse an dem Anblick, den er eben gehabt hatte, durch verschiedene Grimassen ausdrückte. Gelegentlich kamen aus diesem geheimnißvollen Zimmer Töne die dem Gackern von Hühnern glichen und von Zeit zu Zeit mit einem Geräusch wie dem Fallen eines Regens von kleinen leichten Gegenständen auf einen harten Boden abwechselten. Wenn diese Klänge hörbar wurden, so blickten die Mitglieder der vor der Thür stehenden Gesellschaft einander an und lächelten theils sarkastisch, theils triumphierend. Einige von den geduldig Wartenden hatten Pergamentrollen in den Händen, während die Uebrigen Sträuße von seltenen Blumen hielten oder kleine Statuen und Mosaikgemälde auf den Armen hatten. Die Einen waren Maler und Dichter, Andere Redner und Philosophen und noch Andere Bildhauer und Musiker. Es könnte seltsam erscheinen, daß unter einer solchen bunten Versammlung von Gewerben, die sich in allen Zeitaltern der Welt dadurch ausgezeichnet haben, daß sie in den dieselben Betreibenden den Fehler der Reizbarkeit nähren, ein so stilles ruhiges Benehmen herrschte, wie das so eben beschriebene. Man muße aber bedenken, daß diese genialen Leute bei dem Besuch des Palastes eine wenigstens äußerliche Einigkeit unter ihren Reihen dadurch verbürgten, daß sie alle mit einer Fähigkeit ausgerüstet und von einer Hoffnung beseelt erschienen —— ste warteten auf die Gelegenheit zur Anwendung eines gemeinschaftlichen Hilfsmittels der Schmeichelei, um einen gemeinschaftlichen Zweck, den des Gewinnes, zu erreichen.

Das so selbst vor dem Eindringen intellectueller Bestrebungen geschützte Gemach war, wenn auch reich verziert, doch nicht von besonderer Größe. Bei andern Anlässen hätte das Auge mit Entzücken über die auf einer schönen Terrasse, zu der eine zweite Thür des Zimmers führte, reichlich vorhandenen köstlichen Blumen und Pflanzen hinweisen können, in diesem Augenblicke aber war das Benehmen des im Zimmer Befindlichen, von so ungewöhnlicher Art, daß selbst der aufmerksamste Beobachter alle untergeordneten Eigenthümlichkeiten desselben übersehen mußte, um sich sofort dem Bewohner ausschließlich zuzuwenden.

In der Mitte einer großen Hühnerheerde, die auf einem Marmorfußboden und unter einem vergoldeten Dache sehr am unrechten Orte zu sein schien, stand ein blasser, magerer, schwächlicher Jüngling in prächtiger Kleidung, der ein mit Getreide gefülltes, silbernes Gesäß in der Hand hielt und aus demselben von Zeit zu Zeit dem gackernden Völkchen zu seinen Füßen Körner vorstreute. Es konnte nichts kläglicher Weibisches geben, als das Aussehen dieses jungen Mannes. Seine Augen waren glanzlos und matt, seine Stirn niedrig und zurücktretend, seine Wangen grau und seine Gestalt wie von vorzeitigem Alter gekrümmt. Ein bedeutungsleeres Lächeln schwebte auf seinen schmalen farblosen Lippen und er flüsterte den seltsamen Günstlingen, auf die er hinabschaute, von Zeit zu Zeit einige abgebrochene Schmeichelworte, die in ihrer Einfalt fast kindisch waren, zu. Seine ganze Seele schien von der Arbeit, sein Getreide zu vertheilen, ausgefüllt zu werden, und er folgte den verschiedenen Bewegungen der Hühner mit einer eifrigen Aufmerksamkeit, die in ihrer lächerlichen Gespanntheit fast etwas Blödsinniges zu haben schien. Wenn man fragen sollte, weshalb eine so verächtliche Person wie dieser einsame Jüngling mit so großer Sorgfalt vorgestellt und mit so vieler Ausführlichkeit beschrieben worden ist, so müssen wir antworten, daß er zwar nicht dazu bestimmt ist, reine wichtige Figur in diesem Werke abzugeben, aber durch seine Stellung eine bedeutende Rolle in dem großen Drama, auf welches sich dasselbe gründet, spielte —— denn dieser Hühnerwärter war keine geringere Person, als der römische Kaiser Honorius.

Eben die Verstandesschwäche dieses Mannes zu einer solchen Zeit, wie die, über welche wir jetzt schreiben, ist es, welche seinen Character im Auge der Nachwelt mit einem so furchtbaren Interesse bekleidet. Seiner Schwachheit war die entsetzliche Aufgabe beschieden, den lange verhaltenen Sturm, dessen Elemente wir in dem vorigen Kapitel zu beschreiben versucht haben, losbrechen zu lassen. Mit gerade so viel Verstand begabt, um launisch zu sein, und eben genug Entschlossenheit versehen, um boshaft sein zu können, war er ein passendes Werkzeug für jeden ehrgeizigen Bösewicht, dem es gelang, bei ihm Gehör zu erhalten. Um seiner kindischen Tyrannei zu schmeicheln, belohnten die verblendeten Ränkeschmiede des Hofes den heldenmüthigen Stilicho für die Rettung seines Vaterlandes mit dem Tode und betrogen Alarich um die mäßigen Zugeständnisse, zu welchen sie sich feierlich verpflichtet hatten.

Um seine Eitelkeit zu befriedigen, wurde er wegen eines Siegen, den Andere errungen hatten, im Triumph durch die Straßen von Rom gezogen. Um seiner Anmaßung durch den Gebrauch des erbärmlichsten Vorrechtes der Macht, die ihm zum Gutes thun anvertraut war, zu Willen zu sein, wurde ohne Bedenken die Niedermetzelung der von der Ehre der Gothen der römischen Tücke anvertrauten hilflosen Geißeln befohlen und um endlich seine unmännliche Furcht zu beschwichtigen, war es die letzte Handlung seiner gewissenlosen Rathgeber vor dem Untergange des Reiches, ihn zu ermächtigen, sein Volk in der Stunde der Gefahr zu verlassen, ohne sieh»darum zu kümmern, wer in dem schutzlosen Rom umkam während er sich ein dem befestigten Ravenna in Sicherheit befand.

Dies war der Mann, unter welchem das mächtigste Gebäude der Welt seinem Sturze zuzuschwanken bestimmt war. Durch seine übermenschliche Kühnheit die die zurückstoßenden Schrecken unaufhörlichen Blutvergießens mit einer rauhen, furchtbaren Großartigkeit bekleidete, erhoben und getragen, sollten jetzt die Herren der Völker unter den erbärmlichsten Feiglingen, durch die schmähliche Niederlage sinken. Dafür hatte das graue alte Königthum seine Feinde schaarenweise von seinen kräftigen Armen abgeschüttelt. Dazu hatten die zweideutigen Tugenden der Republik und die gefahrvolle Großartigkeit des Kaiserreiches die Welt in Erstaunen und Verwirrung gesetzt. Mit einem Schlußsteine wie Honorius endeten die Barbareien eines Brutus, der feingebildete Glanz eines Augustus, die unmenschlichen Grausamkeiten eines Nero und die unsterblichen Tugenden eines Trajan.

Umsonst war Rom durch mühevolle Jahrhunderte über die Trümmer seiner edelsten Herzen und die Prostitution seiner größten Geister mitleidslos vorwärts geschritten, um den Schatten, Ruhm genannt, zu erfassen. Der Machtspruch war jetzt ausgegangen, welcher es dazu verurtheilte endlich das Wesen —— die Schmach in Empfang zu nehmen.

Als der kaiserliche Schwächling seinen Getreidevorrath erschöpft und den Hunger seiner gefräßigen Günstlinge befriedigt hatte, nahmen ihm zwei Diener seine silberne, Vase ab. Dann wurde die Hühnerheerde zu der einen Thür heraus und die Künstlerherde zur andern hereingelassen.

Wir lassen den Kaiser seine matten Augen auf Kunstgegenstände werfen, für die er keine Bewunderung besaß, und widerwillig seine Ohren lobhudlerischen Reden öffnen, die er nicht begriff, und führen die Leser in ein Gemach auf der entgegengesetzten Seite des Palastes, in welchem sich Alles, was an seinem Hofe schön und elegant war, versammelt hatte.

Man stelle sich einen zweihundert Fuß langen und verhältnismäßig breiten Saal vor. Der Fußboden besteht aus den schönsten Mustern von Mosaikarbeit. Die Wände sind mit ungeheuren Säulen von buntem Marmor geziert und die durch dieselben gebildeten Nischen mit Statuen in der ausgesuchtesten Verschiedenartigkeit der Haltung besetzt, welche dem sich ihnen Nähernden die köstlichen Blumen anzubieten scheinen, welche in ihre Hände zu legen die Pflicht der Dienerschaft war. Die Decke ist in Mustern und Farben, die mit denen des Mosaikfußbodens im Einklange stehen al fresco gemalt. Die Karnise bestehen aus Silber und sind mit Citaten aus den Liebesdichtern der Zeit geziert, deren Buchstaben durch kostbare Steine gebildet werden.

In der Mitte des Zimmers wirft ein Springbrunnen Ströme wohlriechenden Wassers empor und ist mit goldenen Käfigen, die Vögel jeder Größe und jedes Landes enthalten, umgeben. Drei große am östlichen Ende des Zimmers angebrachte Fenster gewähren die Aussicht auf das adriatische Meer, sind aber zu dieser Stunde mit seidenen Vorhängen von zartgrüner Farbe überdeckt, die auf Alles ein weiches üppiges Licht werfen; aber so dünn gewebt und so geschickt geordnet sind, daß der leiseste Lufthauch von Außen augenblicklich zu den matten Höflingen im Wartezimmer hereindringt. Die Zahl dieser Individuen beläuft sich auf etwa fünfzig bis sechzig. Bei weitem der größte Theil der hier Versammelten sind Frauen. Ihr geschmackvoll in verschiedenen Formen geflochtenes und mit Blumen oder Edelsteinen geschmücktes schwarzes Haar bildet einen eleganten Kontrast mit den glänzend weißen Gewändern, in welche sie zum größten Theile gekleidet sind. Einige von ihnen betrachten gleichgültig die Bewegungen der Vögel in den Käfigen, Andere unterhalten sich nachlässig und flüsternd mit den sich in ihrer Nähe befindenden Höflingen. Die Männer zeigen in ihren Kleidern eine größere Farbenabwechslung und in ihren Beschäftigungen eine größere Fruchtbarkeit an Auskunftsmitteln als die Frauen. Ihre Gewänder vom hellsten Rosa, Violet oder Gelb bilden einen phantastischen Abstich gegen die eintönig weißen Kleider ihrer Gefährtinnen. Die auffallendsten Beschäftigungen, welchen sie sich hingeben, bestehen im Lautenspiele, im Würfeln, im Necken ihrer Schoßhunde und im Aufstören ihrer Schmarotzer. Was sie aber auch thun mögen, so geschieht doch Alles mit geringer Aufmerksamkeit und noch geringerem Eifer. Die Einen lehnen mit geschlossenen Augen auf ihren Ruhebetten, als ob die Hitze ihnen die Arbeit, sich ihrer Sehorgane zu bedienen, zu schwer mache, Andere lassen mitten in einem Gespräche plötzlich einen Satz unbeedigt, da sie dem Anscheine nach von der Mattigkeit unfähig gemacht werden, selbst die einfachsten Ideen auszudrücken. Jeder, das Auge berührende Anblick, jeder in das Ohr dringende Ton im Gemache drückte eine üppige Ruhe aus. Kein glänzendes Licht vermindert die allgemeine Weichheit der Atmosphäre, keine grelle Farbe macht die leichten, ätherischen Tinten der Gewänder materiell, kein lautes Geräusch unterbricht die abwechslungsvollen klagenden Töne der Laute, und unterdrückt das leise Zwitschern der Vögel in den Käfigen oder den ruhigen, geregelten Wohlklang der Damenstimmen. Alle belebten, wie leblosen Gegenstände stehen mit einander im Einklange. Es ist ein Schauspiel vergeistigter Trägheit —— ein Bild träumerischer Seligkeit im innersten Heiligthume ungestörter Ruhe.

Unter dieser Versammlung der Schönheit und des Adels, deren Mitglieder mehr allgemein bemerkt als besonders beobachtet werden mußten, befand sich jedoch ein Individuum, welches sowohl durch die von ihm gewählte einsame Beschäftigung, wie durch den Ort, welchen es zufällig im Zimmer eingenommen, sich unter den es umgebenden gleichgültigen Patriziern persönlich auszeichnet.

Sein Ruhebett stand näher am Fenster als das irgend eines Andern im Saale befindlichen. Einige von seinen indolenten Nachbarn, besonders die des sanfteren Geschlechtes, betrachteten ihn zuweilen mit bewundernden und neugierigen Blicken, aber Niemand näherte sich ihm oder versuchte ihn in ein Gespräch zu ziehen. Neben ihm lag ein Stück Pergament, auf welches er von Zeit zu Zeit einige Worte schrieb und dann, wie es schien, gänzlich von seinen Gedanken in Anspruch genommen, und ohne auf irgend Einen von allen den männlichen und weiblichen Besuchern des kaiserlichen Gemaches zu achten, wieder in seine zurückgelehnte Stellung versank.

Seinem Aeußern nach zu schließen konnte er kaum 25 Jahre alt sein. Die Bildung des oberen Theiles seines Gesichts war vollkommen intellectuel —— die Stirn hoch, breit und gerade, die Augen hell, durchdringend und gedankenvoll —— der untere Theil dagegen aber unleugbar sinnlich. Die vollen dicken Lippen bildeten einen unangenehmen Kontrast mit der zart geformten geraden griechischen Nase, während das fleischige Kinn und die vollen genußsüchtigen Wangen gänzlich mit dem Charakter der bleichen edeln Stirn und dem Ausdrucke der scharfen, verständigen Augen im Widerspruch standen. Seine Statur war kaum von Mittelgröße, aber jeder Theil seines Körpers war so vollkommen verhältnißmäßig, daß er in jeder Stellung größer zu sein schien, als er wirklich war. Der wegen der Hitze geöffnete obere Theil seiner Kleidung ließ zum Theil die schöne, statuenartige Form des Halses und der Brust erkennen. Seine Ohren, Hände rund Füße waren von der Kleinheit und Zartheit, die, wie man annimmt, eine aristokratische Geburt verkündet, und in seinem Wesen die unbeschreibliche Verbindung von einfacher Würde und unaffektirter Eleganz, die in allen Zeiten und Ländern und bei allen Veränderungen, der Sitten und Gebrauche das Benehmen der wenigen begünstigten Besitzer derselben zum augenblicklichen Dolmetscher ihres socialen Ranges gemacht hat.

Während der Patrizier noch mit seinem Pergarmente beschäftigt war, fand zwischen zwei in seiner Nähe befindlichen Damen folgendes flüsternde Gespräch statt.

»Sage mir, Camilla,« sprach die Aelteste und Stattlichste von den Beiden, »wer ist der so mit dem Dichten beschäftigte Höfling? Ich habe, wer weiß, wie viele Male versucht, seinen Blicken zu begegnen, aber der Mann sieht auf nichts als seine Pergamentrolle oder die Ecken des Zimmers.«

»Wie, bist Du in Italien so fremd, daß Du ihn nicht kennst?« antwortete Jene, ein munteres Mädchen von kleiner, zarter Gestalt, welches sich mit der ausdauerndsten Unruhe auf seinem Lager umher bewegte und außer Stande zu sein schien, irgend einem von den Gegenständen um sie hier auch nur einen Augenblick unverwandter Aufmerksamkeit zu schenken. Bei allen heiligen Märtyrern und Reliquien meines Onkels, des Bischofs!

»Pst! Du darfst nicht schwören.«

»Nicht schwören? — ei, ich bin mit einer neuen Sammlung von Schwüren, ausschließlich zum Gebrauch für Damen beschäftigt. Ich gedenke, sie dadurch in die Mode zu bringen, daß ich sie selbst schwöre.«

»Aber beantworte doch meine Frage, ich bitte Dich darum! Kannst Du denn nie lernen, auf einmal nur von einem Gegenstande zu sprechen?«

»Deine Frage —— ach Deine Frage! —— war es nicht etwas über die Todten?«

»Nein nein; sie betraf den Mann, der dort so unablässig schreibt und keinen Menschen ansieht. Er macht mich fast eben so böse, wie Camilla selbst.«

»Runzle nicht so die Stirn! Der Mann, wie Du ihn nennst, ist der Senator Vetranio.«

Die Dame schrak zusammen; augenscheinlich hatte Vetranio einen weit verbreiteten Ruf.

»Ja,« fuhr die muntere Camilla fort, »das ist der talentvolle Vetranio, aber er wird bei Dir nicht in Gunst kommen, denn er schwört zuweilen —— und da zu noch bei den alten Göttern, trotzdem daß es verboten ist.«

»Er ist hübsch.«

»-Hübsch! —— er ist schön! Es giebt in Italien kein Frauenzimmer, das nicht nach ihm schmachten! Ich habe gehört, daß er klug sei.«

»Wer hätte das nicht? Er ist der Erfinder einiger von den berühmtesten Saucen unserer Zeit. Die Köche aller Nationen verehren ihn wie ein Orakel. Und dann schreibt er Gedichte und componirt Musikstücke und malt Bilder. Und was die Philosophie anlangt, so spricht er darüber besser als mein Oheim, der Bischof.«

»Ist er reich?«

»O, mein Onkel der Bischof! -— ich muß Dir doch erzählen, wie ich Vetranio beigestanden habe, eine Satyre auf ihn zu machen. Als ich bei ihm in Rom war, pflegte ich häufig ein verschleiertes Frauenzimmer durch den Garten nach seinem Studierzimmer führen zu sehen. Um ihn also in Verlegenheit zu sehen, fragte ich ihn, wer es sei, und er runzelte die Stirn und stotterte und sagte Anfangs, ich sei unehrerbietig, aber nachher erzählte er mir, daß sie eine Arianerin wäre, an deren Bekehrung er arbeite. Ich dachte daher, daß es hübsch sein müsse, zu sehen, wie diese Bekehrung vor sich ging, und versteckte mich hinter einen Bücherschrank, aber es ist ein tiefes Geheimniß und ich theile Dir es nur im Vertrauen mit.«

»Ich sehne mich nicht danach, es zu wissen; erzähle mir lieber etwas von Vetranio.«

»Wie boshaft Du bist! O, ich werde nie vergessen, wie wir lachten, als ich Vetranio das; was ich gesehen, erzählte. Er nahm sein Schreibzeug und machte augenblicklich die Satyre. Am folgenden Tage hörte sie ganz Rom. Mein Oheim konnte vor Grimm kein Wort sprechen! Ich glaube, daß er mich in Verdacht hatte, aber er gab es auf, die arianische Dame zu bekehren und ——«

»Ich frage Dich nochmals, ist Vetranio reich?«

»Halb Sicilien gehört ihm. Er hat ungeheure Güter in Afrika, Olivenfelder in Syrien und Kornfelder in Gallien. Ich war bei einem Feste zugegen, welches er einst auf seiner Villa in Sicilien gab. Er rüstete eines von seinen Schiffen nach den Beschreibungen aus, welche man von Cleopatra Galeere besitzt und ließ seine Sklaven als dienende Tritonen hinter uns herspringen. O es war prächtig!«

»Ich möchte ihn doch kennen.«

»Du solltest nur seine Katzen sehen! Er hat in seiner Villa eine wahre Legion von ihnen. Zwölf Sklaven haben nur die Pflicht, ihnen aufzuwarten. Er ist katzentoll und behauptet, daß die alten Aegypter recht gehabt hätten, sie anzubeten. Er erzählte mir gestern, daß er seine größte Katze, wenn sie stürbe, den Christen zum Trotz heilig sprechen will. Und dann ist er so gütig gegen seine Sklaven. Sie werden nie gegeißelt oder bestraft, außer wenn sie sich nachlässig halten oder entstellen, denn Vetranio duldet nichts Häßliches oder Schmutziges in seiner Nähe. Du mußt seinen Speisesaal in Rom sehen. Er ist die Vollkommenheit selbst.«

»Aber warum ist er hier?«

»Er ist mit einem geheimen Auftrage von den Senate nach Ravenna gekommen und hat eine seltene Zucht von Hühnern für unsern Dummen ——«

»Pst, man könnte Dich hören.«

»Nun für unsern klugen Kaiser mitgebracht. O! der Palast ist so lustig gewesen, seit er sich hier befindet.«

In diesem Augenblick wurde obiges Gespräch, vor dessen Frivolität die universell gebildeten Leser unserer Zeit, wie wir fürchten, mit Verachtung zurückschrecken werden, von einer Bewegung des Helden desselben unterbrochen, welche bewies, daß seine Beschäftigung beendigt war.

Vetranio rollte mit der absichtlichen Langsamkeit eines Mannes, welcher es verschmäht, sich durch irgend eine Angelegenheit auf Erden aus seinem gewöhnlichen Gange bringen zu lassen, das jetzt vollgeschriebene Pergament zusammen, steckte es in seine Brust und gab einem Sklaven, der mit einem Obstteller an ihm vorüberging, ein Zeichen.

Der Sklave begab sich nach Empfang seines Auftrages an die Thür des Gemaches, winkte einem vor demselben stehenden Manne und forderte ihn auf, sich an Vetranio’s Ruhebett zu begeben.

Dieses Individuum eilte augenblicklich durch den Saal nach dem Fenster hin, wo ihn der elegante Römer erwartete. Es bedarf nicht der mindesten Beschreibung von ihm, denn er gehörte zu einer Klasse, mit welcher die neuesten Zeiten eben so bekannt sind, wie die ältesten —— einer Klasse, die alle Veränderungen der Nationen und Sitten überlebt hat —— einer Klasse, die mit dem ersten Reichen auf die Welt gekommen ist und erst mit dem letzten aussterben wird —— mit einem Worte, es war ein Schmarotzer.

Er besaß jedoch einen großen Vorzug im Verhältniß zu seinen modernen Nachfolgern. Zu seiner Zeit war die Schmeichelei ein Geschäft —— in der unsern ist sie zu einer Beschäftigung herabgesunken.

»Ich werde heute Abend Ravenna verlassen,« sagte Vetranio.

Der Schmarotzer machte drei tiefe Verbeugungen und lächelte entzückt.

»Du wirst bestellen, daß mein Reisewagen eine Stunde vor Sonnenuntergang an dem Palastthore hält.«

Der Schmarotzer erklärte, daß er die Ehre des Auftrags nie vergessen werde,und verließ den Saal.

Die muntere Camilla, welche Vetranio’s Befehl gehört hatte, sprang von ihrem Ruhebette auf, sobald der Schmarotzer den Rücken gewendet, lief zu dem Senator hin und begann ihm Vorwürfe über den so eben ausgesprochenen Entschluß zu machen.

»Machst Du Dir kein Gewissen daraus, mich in diesem langweiligen, abscheulichen Palaste zu lassen, um Deine mäßige Laune, nach Rom zugehen, zu befriedigen?« sagte sie schmollend und mit einer Locke des dunkelbraunen Haares spielend, welche sich über Vetranio’s Stirn kräuselt.«

»Besitzt der Senator Vetranio so geringe Zuneigung für seine Freunde, daß er sie den Gothen zur beliebigen Verfügung zurückläßt?« fragte eine andere Dame, die lächelnd zu Camilla trat.

»Ach, die Gothen!« rief Vetranio zu der, welche zuletzt gesprochen hatte, gewendet. »Sage mir, Julia, heißt es nicht, daß die Barbaren wirklich nach Italien marschieren?«

»Alle Welt hat davon gehört. Der Kaiser ist über das Gerücht so fassungslos, daß er verboten hat, vor ihm selbst den Namen der Gothen wieder zu erwähnen.«

»Ich meinestheils,« fuhr Vetranio fort, indem er Camilla zu sich zog und scherzhaft ihre kleine Grübchenhand tätschelte; »ich befinde mich in eifriger Erwartung der Gothen, denn ich habe eine Minervenstatue im Sinne, für die ich kein besseres Modell finden kann, als ein Weib jener Nation von Störenfrieden. Ich habe ans guter Quelle erfahren, daß ihr Gliederbau kolossal und ihr Anstandsgefühl unter der Disciplin des Geldbeutels höchst gehorsam und lenkbar sei.«

»Wenn die Gothen Dir ein Modell für irgend etwas liefern,« sagte ein Höfling, welcher sich, während Vetranio sprach, der Gruppe angeschlossen hatte, »so wird es eine Vorstellung von dem Brande Deines Palastes sein, die aus dem unerschöpflichen Quell Deiner Wunden in Blut malen kannst.«

Das Individuum, welches die letzte Bemerkung aussprach, zeichnete sich unter dem glänzenden Kreise durch seine ausnehmende Höflichkeit aus. Von seinen persönlichen Nachtheilen und denn Verlust seines ganzen Vermögens am Spieltisch dazu angetrieben, hatte er in der letzten Zeit eine Rolle zu spielen begonnen, deren Eigenthümlichkeiten ihn durch ihre unangenehme Originalität in jenem frivolen Zeitalter vor Vergessenheit oder Verachtung bewahrten; er war ein cynischer Philosoph.

Seine Bemerkung brachte auf seine Zuhörer jedoch keine weitere Wirkung hervor, als daß deren Heiterkeit erregte. Vetranio lachte, Camilla lachte, Julia lachte. Die Idee, daß eine Bande von Barbaren je im Stande sein könne, einen römischen Palast zu verbrennen, war zu ungeheuer lächerlich für den ungeheuren Ernst Aller und als die Worte in andern Theilen des Saales wiederholt wurden, lachte, trotz seiner Langeweile und Mattigkeit, per ganze Hof.

»Ich weiß nicht, weshalb ich mich über den Unsinn« dieses Menschen belustige,« sagte Camilla beim Ausbruch eines höchst anziehenden Lächelns plötzlich ernsthaft werdend, »während ich beim Gedanken an Vetranio’s Abwesenheit so betrübt bin. Was wird aus mir werden, wenn er fort ist. Ach, wer wird noch im Pa1aste Gedichte über meine Schönheit und Lieder für meine Laute schreiben? wer wird mich als Venus malen und mir Geschichten über die alten Aegypter und ihre Katzen erzählen? wer wird mir beim Festmahle Anweisungen geben, welche Gerichte ich wählen und welche ich verwerfen soll? Wer« —— und die arme kleine Camilla hielt plötzlich in ihrer Aufzählung der Freuden, die sie verlieren würde, inne und schien auf dem Punkte zu stehen, eben so kläglich zu weinen, wie sie, kaum einen Augenblick vorher, entzückt gelacht hatte.

Vetranio war gerührt —— nicht über das Compliment, welches seinen intellectuellen Fähigkeiten gemacht wurde, sondern durch das Geständnis? seiner Feinzüngler-Vorzüge als Führer beim Festmahl, welches in dem letzten Theile der Vorstellungen Camilla’s enthalten war.

Dem weiblichen Geschlechte fehlte es damals, wie noch jetzt, an gastronomischem Enthusiasmus. Es war daher ein vollkommener Triumph für ihn, die jüngste und schönste von den Hofdamen zu der Wissenschaft bekehrt zu haben.

»Wenn sie Urlaub erhalten kann,« antwortete der geschmeichelte Senator, »so soll mich Camilla nach Rom begleiten, und dort bei der ersten Feier meiner neuesten Entdeckung einer Nachtigallensauce zugegen sein.«

Camilla war entzückt. Sie faßte Vetranio’s Wangen mit ihren rosigen kleinen Fingern, küßte ihn mit dem Enthusiasmus eines Kindes, über ein neues Spielzeug und schoß munter davon, um sich zur Abreise vorzubereiten.

»Vetranio würde besser thun,« höhnte der Cyniker, »wenn er sich mit der Erfindung neuer Salben für künftige Wunden, statt mit den neuen Saucen für künftige Nachtigallen beschäftige. Sein Leichnam wird von gothischen Schwertern zum Mahle für die Würmer zerlegt werden, ehe seine Vögel an römischen Bratspießen stecken, um ein Mahl für seine Gäste abzugeben. Ist dies eine Zeit, um Bildsäulen auszuhauen und Saucen zu brauen? Pfui über die Senatoren, die sich solchen Beschäftigungen hingeben, wie Vetranio.«

»Ich habe andere Pläne,« antwortete der Gegenstand dieser moralischen Entrüstung, indem er mit beleidigender Gleichgültigkeit in das abstoßende Gesicht des Cynikers blickte, »und sie müssen wegen ihrer unermeßlichen Wichtigkeit für die Welt allgemeinen Beifall finden. Die so eben von mir beendigte Arbeit bildet das erste einer Reihe von drei Projekten, die ich seit einiger Zeit schon im Auge habe. Das erste ist eine Analyse der neuen Priesterschaft, das zweite eine treffende Vorstellung der Venus sowohl durch die Malerei, wie durch die Skulptur, das dritte eine Erfindung eines bisher unentdeckten Gegenstandes, einer Nachtigallensauce. Die unerforschliche Weisheit des Schicksals hat es gewollt, daß der letzte von den Gegenständen, die ich mir vorgenommen habe, zuerst in’s Werk gesetzt worden ist. Die Sauce ist erfunden, und ich habe so eben auf diesem Pergament die Ode beendigt, welche sie auf meinem Tische einführen wird.

Meine nächste Arbeit wird die Analyse sein. Sie wird die Form einer Abhandlung annehmen, in welcher ich die Erfahrung früherer Jahre zur Basis der Prophezeihung für die Zukunft nehmen und die genaue Anzahl von weiteren Zwistigkeiten, Controversen und Zänkereien angeben werde, welche erforderlich ist, um die neue Priesterschaft in den Stand zu sehen, ihren eignen Gottesdienst zu vernichten. Ich werde durch eine genaue Berechnung das Jahr ermitteln, in welchem dieser Untergang vor sich geht, und habe als Material für mein Werk eine historische Uebersicht der christlichen Schismen und Zwistigkeiten in Rom seit den letzten hundert Jahren bei mir. Was meinen zweiten Plan, die Personification der Venus betrifft, so ist er von abschreckender Schwierigkeit. Er erfordert eine Untersuchung der Frauen jeder Nation des Erdkreises, eine Vergleichung der relativen Vorzüge und Eigenthümlichkeiten ihrer Reize, und eine Vereinigung alles Liebenswürdigsten in der unendlichen Verschiedenartigkeit ihrer hervorragendsten Schönheiten in einer Form. Um die Ausführung dieses mühevollen Planes zu befördern, haben meine Pächter in der Heimath und meine Sklavenhändler im Auslande den Befehl erhalten, alle im Kaiserreiche geborene oder aus den Völkerschaften um dasselbe her geholten schönsten Frauen nach meiner Villa in Sicilien zu senden. Zur geeigneten Periode werde ich meine Untersuchungen, ohne mich von Schwierigkeiten schrecken zu lassen und zum Erfolge entschlossen, beginnen. Die echte Venus ist noch nicht verkörpert worden. Wie köstlich wird mein Triumph sein, wenn ich diese Aufgabe ausführe. Mein Werk wird der Altar sein, auf welchem Tausende die sanftesten Empfindungen ihrer Herzen darbringen. Es wird die eingekerkerte Einbildungskraft der Jugend erfreuen und die verbleichenden Erinnerungen des Altars wieder auffrischen.«

Vetranio schwieg. Der Cyniker hatte vor Entrüstung die Sprache verloren. Ein einzelner Eiferer für die Kirche, welcher sich zufällig in der Nähe befand, runzelte, über die Analyse, die Stirn. Die Damen kicherten über die Versinnlichung, die Feinschmecker freuten sich auf die Nachtigallensauce, aber in den ersten Minuten sprach Niemand. Während dieser vorübergehenden Verlegenheit flüsterte Vetranio einige Worte in Juliens Ohr, und verließ, als sich der Cyniker eben hinlänglich gefaßt hatte, um ihm eine Erwiderung zu geben, von der Dame begleitet, das Zimmer.

p>Der Geschichtsforscher wird bemerken, daß es in den meisten älteren wie neueren Perioden der Welt eine gewisse Klasse von Menschen gegeben hat, bei deren Erschaffung es ein Hauptzweck gewesen zu sein scheint, der Nachwelt das auffallendste und vollkommenste Beispiel von dem Einflusse des Zeitalters auf das Individuum zu gewähren. Zu einer solchen Klasse gehörte der Senator Vetranio. Unter der dünnen Decke der absichtlich kleinlichen, mühsam an den Tag gelegten Entartung lag ein mächtiger, tiefer Verstand verborgen, dessen rechtmäßigen Wünschen in jenen entarteten Zeiten nicht entsprochen und die daher durch die Entbehrung vernichtet oder zum Gefallen an der intellectuellen Verkappung der Zeit irre geleitet wurden. Mehr denkend als thätigkeitsliebend, mehr nachahmend als schöpferisch, für den Widerstand zu nachgiebig und für die Einsamkeit zu gesellig, war seine Seele keine von denjenigen, welche ihre Bedürfnisse aus sich befriedigen können, die von der äußern Welt weder Begeisterung noch Sympathie verlangen und die sich ihrer erhabenen Einsamkeit in der von ihrem eignen unfruchtbaren Begehren ererbten oder durch ihre eignen unwillkommenen Thaten erzeugten Wüste freuen.

Gleich einem Binnensee, lag sein Geist in sich selbst ruhig unter den äußern Einflüssen da, die allein ihn zur That antreiben oder zur Großartigkeit anspornen konnten. Aber der Sturm gewaltiger Thaten oder großer Beispiele trieb ihn zu jener erbärmlichen Zeit nie an, seine verborgenen Schätze an das Tageslicht herauf zu werfen, regte ihn nie bis in seine innersten Tiefen auf. Auch, über seine träge Oberfläche spielte nur das Lüftchen der Ueppigkeit hin, auf ihr erhob sich nur das winzige Wellchen kleiner Fertigkeiten und so fand dieser von dem entarteten Einfluß seines Alters intellectuell verkrüppelte Mann, der zu andern Zeiten vielleicht die Geschicke eines Reiches gelenkt haben würde, in der seinen keine glänzendere Auszeichnung, als die Herrschaft über Spaßmacher und keinen edleren Ehrgeiz, als die erste Stelle unter Köchen.

Es hat wohl nie eine allgemeinere Beliebtheit gegeben als die Vetranio’s war. Mit einem Charakter begabt, der sich durch seine Schmiegsamkeit in alle Lagen schickte, entwaffnete seine Großmuth die Feinde, während seine Zuthunlichkeit sich Freunde erwarb. Freigebig ohne Prunk, glücklich ohne Stolz, leistete er Andern mit Anmuth Dienste und glänzte in Sicherheit. Man genoß seine Gastfreundschaft, denn man wußte, daß sie uneigennützig war, und bewunderte seine Talente, denn man fühlte, daß sie sich nicht vordrängten. Mitunter —— wie in dem Gespräche mit dem Cyniker —— entlockte ihm die Laune des Augenblicks, oder der Stachel eines Sarkasmus, eine Anspielung auf seinen Stand oder eine Entwickelung seiner Excentricitäten, da er aber stets der Erste war, welcher bald daraus das Gelächter über seine Hitze anregte, litt sein Ansehen als Edelmann nicht unter seiner Schwäche als Mensch. Er bewegte sich heiter und anziehend in allen Kreisen der Gesellschaft seiner Zeit und erwarb sich seine socialen Lorbeeren unter allen Klassen, ohne einen Nebenbuhler zu erwecken, der ihr Gesetz bestritten, oder sich einen Feind zu machen, der ihren Werth herabgesetzt hätte.

Und doch war die bezaubernde Herablassung, die verschwenderische Freigebigkeit, welche ihm diese beneidenswerthe Stellung in der Welt erwarb, bei einem Charakter wie der seine eher eine Notwendigkeit, wie eine Tugend. Er war gütig gegen seine Untergebenen, mehr weil er die Berührung mit den Leiden und die Befleckung mit der Unzufriedenheit haßte, als weil er geliebt zu werden wünschte, oder an der Wohlthätigkeit Freude gefunden hätte. Er war seiner Klasse ergeben, weil Streitigkeiten seiner Gemüthsart widerstanden und Eifersüchteleien die üppige Heiterkeit trübten, welche die Gewohnheit seinen Gefühlen zu einer zweiten Natur gemacht hatte. Durch seine Stellung mächtig und von unerschöpflichem Vermögen, strengte er sich aufs Höchste an, sich die Befreiung von Sorgen und Aengsten, welche die meisten Menschen als einen frommen Wunsch erhoffen, systematisch zu erlangen. Bei Andern würde sich eine so ausgedehnte Selbstsucht beständig verrathen haben, bei ihm aber nahm sie durch Reichthum geweiht und durch Scharfsinn verschleiert, die Form der Philosophie an, und der Senator wurde da als eleganter Epikuräer citirt, wo der Plebejer als herzloser Egoist gebrandmarkt worden sein würde.

Nach dem Verlassen des Wartesaals stiegen Vetranio und Julia die Palasttreppe hinab und gingen in den Garten des Kaisers. Dieser gewöhnlich als Abendspaziergang benutzte Platz war jetzt menschenleer und nur die wenigen mit der Pflege der Blumenbeete und dem Begießen der glatten schattigen Rasenplätze beschäftigten Bediensteten darin vorhanden. Sie traten in eine von den abgelegensten von den zahlreichen Lauben unter den Bäumen, wo Vetranio seine Gefährtin auf einem Sitze Platz zunehmen winkte und sie dann ohne weitere Einleitung in folgenden Worten anredete:

»Ich habe gehört, daß Du im Begriffe ´seist nach Rom abzureisen —— ist es wahr?«

Er stellte ihr diese Frage mit leiser Stimme und einem Wesen, dessen Ernst in seltsamem Widerspruch mit der flüchtigen Munterkeit war, welche ihn vor wenigen Augenblicken noch unter den Edeln des Hofes charakterisiert hatte. Als ihm Julia bejahend antwortete, drückte sein Gesicht die lebhafteste Freude aus; er setzte sich an ihre Seite und sprach weiter:

»Wenn ich glaubte, daß Du längere Zeit in der Stadt zu verweilen gedachtest, so würde ich es wagen, Deine Freundschaft von Neuem auf die Probe zu stellen, indem ich Dich bäte, mir Deine kleine Villa bei Aricia zu leihen!«

»Du kannst einen Befehl an meinen Verwalter, Dir Alles, was dort ist, zur unumschränkten Verfügung zu stellen, mit nach Rom nehmen.«

»Meine großmüthige Julia. Du gehörst zu den wenigen Begabten die wirklich eine Gefälligkeit zu erweisen wissen. Eine Andere würde mich gefragt haben, wozu ich die Villa brauchte. Du gibst sie rückhaltlos. Eine so zarte Abneigung, in ein Geheimniß zu dringen, erinnert mich daran, daß dies Geheimniß jetzt auch das Deine sein muß.«

Um die ruhige Vertraulichkeit zu erklären, welche zwischen Vetranio und Julia bestand, ist es nöthig; dem Leser mitzutheilen, daß die Dame, wenn auch noch von anziehendem Aeußern, doch in dem Alter stand, wo sie eher über ihre vergangenen Eroberungen nachdenken, als auf künftige sinnen durfte. Sie hatte ihren extentrischen Gefährten seit seiner Knabenzeit gekannt, war einst von seinen Versen geschmeichelt worden und jetzt, wo ihre Reize verblichen, verständig genug, eben so zufrieden mit der Freundschaft des Senators zu sein, wie sie einst von der Anbetung des Jünglings entzückt gewesen war.

»Du bist zu scharfsichtig,« fuhr Vetranio nach einer kurzen Pause fort, »um nicht bereits vermuthet zu haben, daß ich Deine Villa nur dazu brauche, mich im Verbergen einer Intrigue zu unterstützen. Mein Abenteuer ist in seinen verschiedenen Einzelheiten so eigenthümlich, daß ich mich, wenn ich meinen Palast zum Schauplatze ihrer Entwickelung machte, einer Entdeckung aussetzen würde, welche den sofortigen Umsturz aller meiner Pläne zur Folge haben könnte. Aber ich fürchte, daß, die Lange meines Geständnisses die Dauer Deiner Geduld übersteigen wird.«

»Du hast meine Neugier erregt. Ich könnte Dir ewig zuhören.«

»Kurz vor meiner Abreise von Rom nach Ravenna,« fuhr Vetranio fort, »begegnete mir ein Abenteuer der ungewöhnlichsten Art, welches meinen Geist mit der außerordentlichsten Hartnäckigkeit in Banden hält und wie ich überzeugt bin, die ungewöhnlichsten Folgen haben wird. Ich saß eines Abends im Garten meines Palastes auf dem Monte Pincio und versuchte eine neue Composition auf meiner Laute. In einer Pause der Melodie, welche sanft und klagend war, hörte ich Töne unter den Bäumen hinter mir, die dem Schluchzen eines Bekümmerten glichen. Ich blickte mich vorsichtig um und bemerkte halb im Laube verborgen, die Gestalt eines jungen Mädchens, welches mit der entzücktesten Aufmerksamkeit der Musik zu lauschen schien. Von einem solchen Zeugnisse meiner Geschicklichkeit geschmeichelt und von dem Verlangen getrieben, meine geheimnißvolle Besucherin näher zu betrachten, schritt ich auf ihren Versteck zu, vergaß aber in meiner Eile im Lautenspiele fortzufahren. In dem Augenblicke, wo die Musik aufhörte, entdeckte sie mich und verschwand. Entschlossen sie zu sehen, schlug ich die Saiten von Neuem an und wenige Minuten darauf sah ich auch ihr weißes Gewand wieder unter den Bäumen. Ich verdoppelte meine Anstrengungen, ich spielte mit dem größten Ausdrucke die rührendsten Theile der Melodie. Wie unter dem Einflusse eines Zaubers begann sie auf mich zuzukommem bald zaudernd, bald um ein paar Schritte zurückgehend bald sich halb widerstrebend, halb willig nähernd, bis sie endlich durch den langen bebenden Schluß der letzten Cadanze gänzlich besiegt, plötzlich zu mir heran lief, zu meinen Füßen niedersank und die Hände erhob, wie um meine Verzeihung zu erstehen.

»Ich habe nie etwas Bezaubernderes gesehen, wie sie in dieser Stellung. Ihre großen weichen von Thränen schimmernden Augen blickten wehmüthig zu meinem Gesichte auf, ihre zarten Lippen bebten, als ob sie zu sprechen wünsche, aber es nicht wage. Ihre glatten, runden Arme waren von der vollkommensten Schönheit. Obgleich sie an Jahren und Empfindungen noch ein Kind zu sein schien, glich sie an Schönheit und Gestalt doch schon einem Weibe. Ich war für den Augenblick durch das Plötzliche ihrer bittenden Bewegung zu erstaunt, um mich zu bewegen oder zu sprechen. Sobald ich meine Fassung wieder erlangt hatte, versuchte ich sie zu streicheln und zu beschwichtigen, aber sie wich vor meiner Umarmung zurück und schien mir wieder entfliehen zu wollen bis ich von Neuem die Saiten der Laute berührte, und dann stieß sie einen leisen Ruf des Entzückens aus, schmiegte sich dicht an mich und blickte mit einem so seltsamen Gemisch von Anbetung und Entzücken in mein Gesicht, daß ich Dir bekennen muß, Julia, daß ich vor, ihr so schüchtern wie ein Knabe war.

»Die Laute war mein einziges Mittel in Verkehr mit ihr zu treten. Wenn ich zu spielen aufhörte, so waren wir einander fremd, wenn ich wieder anfing, so waren wir Freunde. Ich milderte daher die Töne des Instruments, während sie mit leiser bebender, wohlklingender Stimme zu mir sprach, fuhr aber zu spielen fort.

»Auf diese Weise entdeckte ich bei unserm ersten Zusammentreffen, daß sie die Tochter eines gewissen Numerian war, auf dem Punkte stand, ihr vierzehntes Jahr zu vollenden und Antonina hieß. Es war mir erst gelungen, Umrisse ihrer Geschichte zu erlangen, als sie sich wie, von einer plötzlichen Befürchtung ergriffen, mit einem Blicke des äußersten Schreckens von mir loßriß, mich anflehte, ihr nicht zu folgen, wenn ich sie je wieder zu sehen wünsche und schnell unter den Bäumen verschwand.

»Am folgenden Abend, besuchte ich den Gartenhain wieder und sobald ich die Saiten angeschlagen hatte, näherte sie sich mir auch wie von einem Zauber angelockt. Bei diesem zweiten Besuche erfuhr ich den Grund ihres geheimnißvollen Erscheinens und Scheidens. Ihr Vater gehörte, wie sie mir sagte, zu einer neuen Sekte, die sich aus welchem Grunde, vermag man nicht zu begreifen —— einbildet, daß sie sich ihrer Gottheit dadurch empfiehlt, wenn sie ihr Leben zu einer ewigen Runde von Körperleiden und Geistesqual macht. —— Der Tyrann begnügte sich nicht damit, alle seine eignen Gefühle und Fähigkeiten zu entstellen, sondern übte, auch an dem armen Kinde seine unvernünftige Strenge.

»Er verbot seiner Tochter in ein Theater zu treten, eine Bildhauerarbeit anzusehen, Gedichte zu lesen, Musik anzuhören. Er ließe sie lange Gebete auswendig lernen und endlosen Predigten beiwohnen. Er gestattete ihr keine Gespielen von ihrem Alter nicht einmal Mädchen wie sie selbst. Die einzige Zerstreuung, welche sie erlangen konnte, war die mit dem größten Widerwillen und Tadel gewährte Erlaubniß, einen kleinen Garten anzubauen, der zu dem Hause, in welchem sie wohnten, gehörte und an einem Punkte an die Haine um meinen Palast grenzte. Während sie dort mit der Pflege ihrer Blumen beschäftigt war, hatte sie zuerst die Klänge meiner Laute gehört. Mehrere Monate, ehe ich sie entdeckte, war sie schon gewohnt gewesen, die ihren Garten umgrenzenden Mauern zu erklimmen und sich unter den Bäumen zu verbergen, um der Musik zu lauschen, wenn ihr Vater durch seine Geschäfte auswärts gerufen wurde. Sie war dabei von einem alten Manne entdeckt worden, der den Auftrag hatte, sie in Abwesenheit seines Herrn zu bewachen. Der Diener hatte jedoch, als er ihr Geständnis hörte, nicht nur versprochen, ihr Geheimniß zu bewahren, sondern ihr auch gestattet, ihre Besuche in meinem Haine fortzusetzen, wenn ich dort auf der Laute spielte. Das Räthselhafteste an der Sache ist aber das, daß das Mädchen, trotz seiner Strenge gegen sie, große Neigung zu ihrem mürrischen Vater zu besitzen schien, denn wenn ich ihr anbot, sie aus seinen Banden zu befreien, so erklärte sie, daß sie nichts bewegen könne, ihn zu verlassen, nicht einmal das Vergnügen, unter schönen Gemälden zu leben und zu jeder Stunde des Tages schöne Musik zu hören. Ich sehe aber, daß ich Dich langweile und überdies zeigt mir die Länge der Schatten, daß es Zeit zu meiner Abreise ist. Ich will daher von meinen ersten Zusammenkünften mit Antonina zu den Folgen übergehen, welche dieselben gehabt hatten, als ich meine Reise nach Ravenna antrat.

»Du wirst Dir leicht vorstellen, Julia, daß die seltsame Lage dieses Mädchens und die Originalität ihrer Ideen sie für mich mit einer Anziehungskraft bekleideten, welche die Reize ihrer Person und Jugend ungemein erhöhten. Sie entzückte meine Dichterkräfte eben so sehr, wie sie meine Mannesgefühle entzündete und ich beschloß, sie durch Anwendung jedes Kunstgriffes, den mir mein Scharfsinn eingehen konnte, aus dem tyrannischen Schutze ihres Vaters zu locken. Ich begann ihr selbst das Talent, welches sie bei einem andern so angezogen hatte, ausüben zu lehren. Durch die Vertraulichkeit, welche eine solche Beschäftigung auf beiden Seiten erzeugte, hoffte ich in Bezug auf Neigung von ihr eben so viel zu erlangen, als sie von mir an Geschicklichkeit erwarb. Zu meinem Erstaunen fand ich sie jedoch gegen den Lehrer fortwährend eben so gleichgültig und für die Musik eben so geneigt, wie sie bei unserer ersten Zusammenkunft erschienen war. Wenn sie mein Entgegenkommen zurückgewiesen, wenn sie dasselbe in Verwirrung gesetzt hätte, so würde ich mich in ihre Launen haben finden und die Aufmunterung der Hoffnung fühlen können, aber die Kälte, die Gleichgültigkeit, die unnatürliche, unbegreifliche Ruhe, mit welcher sie selbst meine Liebkosungen annahm, brachten mich gänzlich aus der Fassung. Es schien, als ob sie mich nur als eine sich bewegende Statue, als eine bloße wesenlose Verkörperung der Wissenschaft betrachten könne. Wenn ich sprach, so blickte sie mich kaum an. Bewegte ich mich, so bemerkte sie es fast gar nicht. Ich konnte es nicht für Widerwillen halten. Sie schien zu sanft zu sein, um ein solches Gefühl gegen irgend ein Wesen auf Erden zu nähren. Ich konnte nicht glauben, daß es Kälte sei, denn sie war voll Leben und Aufregung, wenn sie nur ein paar Musiktöne hörte. Wenn sie die Saiten des Instruments berührte, so bebte ihr ganzer Körper. Ihre, wenn sie mich anblickte, milden, ernsten und gedankenvollen Augen strahlten bald von Entzücken, bald schimmerten sie in Thränen, wenn sie der Laute zuhörte. Mit jedem Tage, an welchem sich ihre musikalische Fertigkeit vermehrte, wurde auch ihr Wesen gegen mich unerklärlicher gleichgültig. Endlich machte ich ihr, der beständigen Täuschungen, die mir zu Theil wurden, müde, und entschlossen, durch. die Erweckung ihrer Dankbarkeit einen letzten Versuch anzustellen, um ihr Herz zu rühren, ein Geschenk mit der Laute, die sie zuerst gehört und auf welcher sie jetzt spielen gelernt hatte. Ich habe nie ein menschliches Wesen verklärter entzückt gesehen, wie dieses unbegreifliche Mädchen, als sie aus meinen Händen das Instrument empfing. Sie weinte und lachte abwechselnd darüber, sie küßte es, hätschelte es und sprach zu ihm, als ob es ein lebendes Wesen wäre. Als ich mich ihr aber näherte, um den Ausdrücken der Dankbarkeit fürs das Geschenk, mit welchen sie mich überhäuft ein Ende zu machen, versteckte sie die Laute plötzlich in ihrem Gewande, als fürchte sie, daß ich sie derselben berauben würde, und eilte mir schnell aus den Augen.

»Am folgenden Tage, wartete ich an unserm gewohnten Zusammenkunftsorte auf sie, aber sie zeigte sich nicht. Ich sendete einen verkleideten Sklaven in das Haus ihres Vaters, aber sie wollte in keinen Verkehr mit ihm treten. Offenbar hatte sie jetzt, wo ihr ihre Absicht gelungen war, kein Verlangen mehr, mich zu sehen. In meinen ersten zornigen Augenblicken beschloß ich, Ihr meine Macht fühlen zu lassen, wenn sie meine Güte verachtete, nach weiterer Ueberlegung überzeugte mich jedoch meine Kenntniß ihres Charakters, daß bei solchen Dingen Gewalt unpolitisch sei und daß ich meine Beliebtheit in Rom auf das Spiel setzen und mich zwecklos auf einen meiner unwürdigen Streit einlassen würde. Mit mir selbst unzufrieden und in dem Mädchen getäuscht, gehorchte ich den ersten Eingebungen meines Unmuths, ergriff die mir durch meine Pflichten im Senate gewährte Gelegenheit, dem Schauplatz meiner getäuschten Hoffnungen zu entfliehen, und reiste zornig nach Ravenna ab.

»Du lächelst, Julia; höre mich aber bis zu Ende an und Du wirst finden, daß ich mich noch nicht in die Niederlage gefügt habe.

»Während der wenigen hier zugebrachten Tage hat Antonina’s Bild meine Gedanken in beständige Unruhe versetzt. Ich bemerke, daß es sich bei der Beseitigung ihrer Undankbaren Abneigung sowohl um meine Liebe, wie um meinen Ruf handelt. Ich vermuthe, daß mein Eifer, sie zu erwerben, wenn er unbefriedigt bleibt, auf meinen Charakter solchen Einfluß üben wird, daß ich mich aus Vetranio den Heitern in Vetranio den Sardonischen verwandeln werde. Stolz, Ehre, Neugier und Liebe treiben mich gleichmäßig zu ihrer Eroberung an. Die Vorbereitung auf mein Bankett ist für den Hof eine Entschuldigung meiner plötzlichen Abreise von diesem Orte, der wahre Zweck meiner Reise aber Antonina allein.

»Du wirst mich fragen, wie ich wieder eine Zusammenkunft mit ihr zu erlangen gedenke. Ich antworte, daß der Diener des Mädchens sich mir freiwillig zum Werkzeuge für die Ausführung meiner Pläne angeboten hat. Am Tage vor meiner Abreise von Rom erschien er plötzlich vor mir in meinem Garten und erbot sich, mir Zugang in Numerian’s Hause zu verschaffen, nachdem er, eher mit der Miene eines Gleichstehenden, wie eines Geringern, gefragt hatte, ob das Gerücht, daß ich noch ein geheimer Anhänger der alten Religion und Götterverehrung sei, begründet wäre. Ueber die Beweggründe des Burschen argwöhnisch —— denn er wollte von keiner Belohnung für seine Verrätherei hören —— und über die Undankbarkeit des Mädchens gereizt, wies ich sein Anerbieten mit Verachtung zurück. Jetzt, wo meine Unzufriedenheit beschwichtigt und meine Besorgniß erweckt ist, bin, ich jedoch auf jede Gefahr hin entschlossen, mich diesem Manne anzuvertrauen, was auch immer seine Beweggründe zu meinem Beistande sein mögen. Wenn meine Bemühungen um die erwartete Zusammenkunft —— und ich werde sie emsig betreiben —— mit Erfolg gekrönt werden, so wird es nöthig sein, für Antonina einen Zufluchtsort, den man weder beargwöhnen noch durchsuchen kann, zu erlangen. Es kann für einen solchen Versteck nichts Vortrefflicheres, Geeigneteres geben, als Deine Aricische Villa. Bereuest Du jetzt, wo Du weißt, zu welchem Zwecke sie bestimmt ist, Deine großmüthige Verfügung über dieselbe zur Unterstützung meines Planes?«

»Ich bin entzückt darüber, sie Dir überlassen zu können. Dein Abenteuer ist in der That ungewöhnlich. Ich glühe vor Ungeduld zu hören, wie es enden wird. Was auch geschehen mag, so kannst Du Dich doch stets auf meine Verschwiegenheit verlassen und auf meinen Beistand zählen. Aber sieh, die Sonne senkt sich bereits im Westen und dort kommt einer von Deinen Sklaven, ohne Zweifel, um Dich zu benachrichtigen, daß Dein Wagen bereit steht. Kehre mit mir nach dem Palaste zurück; ich werde Dir den nöthigen Brief geben, um Dich als Herrn auf meinem Landsitze einzuführen.«

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Die auf dem freien Platze vor dem Palaste versammelten guten Bürger von Ravenna, welche die Abreise des Senators mit ansehen wollten, hatten die unschuldigen Unterhaltungsmittel des Anstierens der Wachen, des Fangens der Mückenwolken, welche um ihre Ohren spielten, und des Zankens mit einander gänzlich erschöpft und waren jetzt in höchst lärmende einstimmige Ungeduld versunken, als ihre Unzufriedenheit plötzlich und auf das Wirksamste durch das Erscheinen des Reisewagens mit Vetranio und Camilla vor den Palastthore beschwichtigt wurde.

Beim Anblicke des Senators und seines prächtigen Gefolges erhob sich ein lärmendes Beifallsgeschrei, welches jedoch um das Hundertfache lauter wurde, als die ersten Sklaven auf Befehl ihres Herrn ein Paar Hände voll kleiner Münzen unter die ärmere Klasse der Zuschauer ausstreuten.

Alle Mitglieder dieser heterogenen Versammlung von Schelmen, Narren und Müßiggängern brüllten so laut, und sprangen, so hoch sie konnten, zu Ehren des freigebigen Patriziers. Langsam und vorsichtig bewegten sich die vornehmen Reisenden durch die sie umgebende Menge nach dem Stadtthore zu und von dort reiste Vetranio unter unablässigen, mit imposanter Einmüthigkeit der Lungen und in den ohrenzerschneidendsten Mißtönen ausbrechenden Beifallsgeschrei mit seiner muntern Gefährtin im Triumph nach Rom ab.

Wenige Tage nach diesem Ereignisse waren die Bürger wieder auf demselben Platze und zur gleichen Stunde versammelt, wahrscheinlich, um wieder einen Patrizier abreisen zu sehen, als ihre Ohren von dem unerwarteten Tone des Rufes: »Zu den Waffen!« begrüßt wurden, auf welchen unmittelbar das Schließen der Stadtthore erfolgte. Sie hatten einander kaum um die Bedeutung dieser ungewöhnlichen Ereignisse gefragt, als ein entsetzensbleicher Bauer auf den Platz stürzte und die furchtbare Nachricht aufschrie, daß die Gothen in der Ferne sichtbar seien.

Die Höflinge hörten die Neuigkeit, sprangen von einem üppigen Mahle auf und eilten an die Palastfenster, um das wichtige Schauspiel zu betrachten. Den übrigen Theil des Abends hindurch blieben die gastlichen Tische von den Gästen verlassen.

Der erbärmliche Kaiser wurden von dieser gefürchteten Mittheilung bei seinen Hühnern überrascht. Auch er eilte an das Fenster, blickte hinaus und sah das Rächerheer verächtlich an seiner einsamen Festung vorüberziehen und schnell nach dem unvertheidigten Rom weiter rücken.

Noch lange, nachdem die Dunkelheit die Massen jener gewaltigen Armee seinen Augen entrückt hatten, stierte er hilflos und von Staunen. und Furcht gelähmt, auf die verbleichende Landschaft hinaus und zum ersten Male, seit er sie besaß, blieb an jenem Abende sein Hühnervolk von der Hand des Herrn ungewartet.



Kapiteltrenner

Band 1

Zweites Buch.

»—— Res hominum tanta caligine vohvi
Adspicerem, laetosque diu florere nocentes
Vexarique pios: rursus labefacta cadebat
Religio« —— Claudian.

Kapitel I.
Rom.

Wir fürchten, daß erfahrene Leser, wenn sie den Titel dieses Kapitels erblicken, eher Besorgniß als Neugier empfinden werden. Sicherlich stellen sie sich vor, daß er lange Rhapsodieen über die Wunder des Alterthums verkündet, deren Beschreibung ihnen durch unablässige Wiederholung seit lange schon geradezu zum Abscheu geworden ist. Sie werden Klagen über den Palast der Cäsaren und Betrachtungen unter den Bögen des Colosseums durch eine lange Reihe von langweiligen Artikeln bis zum Ende des Kapitels voraussehen, und um ihrer Aufmerksamkeit eine Aufgabe, vor welcher sie zurückgeschreckt, zu ersparen, einmüthig an der gefürchteten Wüste conventioneller Reflexionen vorüber eilen, um bei der ersten sich ihnen darbietenden Oase Halt zu machen; möge sie nun aus einer neuen Abtheilung der Geschichte bestehen oder plötzlich durch das Erscheinen eines Gesprächs verkündet werden.

Aus Rücksicht auf solche Befürchtungen beeilen wir uns daher, Ihnen zu versichern, daß die Lokalitäten unserer Geschichte nirgends an die Grenzen des abgenutzten Forums streifen oder die Bögen des erschöpften Colosseums besteigen werden. Ihre Aufmerksamkeit soll sich mit den Menschen, nicht aber mit den Gebäuden des alten Rom’s beschäftigen, Wir wünschen, Ihnen ein Gemälde der innersten Empfindungen jener Zeit, der lebenden, athmenden Handlungen und Leidenschaften des Volkes, in dem dem Untergang geweihten Reiche zu bieten. Topographische Alterthumsforscherei und klassische Architektur überlassen wir geschickteren Federn und anderen Lesern.

Es ist jedoch nöthig, den Kreis, in welchem sich die Personen unserer Geschichte bewegen werden, einigermaßen anzudeuten, um das Verständniß ihrer verschiedenen Bewegungen zu erleichtern. Der Theil der alten Stadt, welchen wir wieder zu beleben gedenken, hat in der neuen nur wenige Spuren seiner Existenz hinterlassen, seine Plätze werden nur von der Tradition angedeutet —— seine Gebäude sind Staub. Da, wo einst der Tempel stand, erhebt sich jetzt die Kirche und der vorübergehende Müßiggänger wird jetzt von der Weinkneipe angelockt, wo sein Vorfahr von dem Bade eingeladen wurde.

Die Mauern von Rom sind dem Umfange nach heutzutage noch dieselben, wie zu der Zeit, von welcher wir jetzt schreiben. Hiermit hört aber auch alle Aehnlichkeit zwischen der alten und neuen Stadt auf. Die Häuser, welche diese Mauern einst kaum zu umfassen vermochten, sind schon längst verschwunden und ihre modernen Nachfolger nehmen nur ein Drittel des Raumes ein, welcher einst die Hauptstadt des Reiches ausfüllte.

Jenseits der Mauern streckten sich, in alten Zeiten ungeheure Vorstädte hin. Prächtige Villen, köstliche Haine, Tempel, Theater, Bäder —— zwischen Colonien von der unteren Volksklasse gehörenden Gebäuden verstreut —— umgaben die gewaltige Stadt. Von diesen unzähligen Gebäuden ist jetzt kaum noch eine Spur vorhanden. Der Reisende erblickt, wenn er die Gegend, in welcher einst die berühmten Vorstädte standen, überschaut, hier und da nur eine verfallene Wasserleitung oder ein zerbröckelndes Grab auf der Oberfläche eines gifthauchenden Morastes.

Der gegenwärtige Zugang Rom#s durch die Porta del Popolo befindet sich aus derselben Stelle, wie das alte Flaminische Thor. Drei große Straßen führen gegenwärtig von demselben dem südlichen Ende der Stadt zu und bilden mit ihren Nebengassen den Haupttheil des modernen Rom. Aus der einen Seite sind sie von dem Monte Pincio, aus der andern vom Tiber begrenzt. Von diesen Straßen nehmen die dem Flusse zunächstliegenden die Stelle des berühmten Campus Martius ein, die auf der andern Seite die alten Zugänge zu den Gärten des Sallust und Lucullus auf dem Monte Pincio.

Auf der entgegengesetzten Seite des Tiber —— nach welcher man über den Ponte San Angelo, früher Ponte Elius, gelangt —— führen zwei durch eine unregelmäßige, volkreiche Gegend gehende Straßen nach der neuen St. Peterskirche.

Zur Zeit unserer Erzählung war dieser Theil der Stadt sowohl in Bezug auf Größe wie auf das Aeußere von höherer Bedeutung als jetzt, und führte direkt nach der alten Basilica zu St. Petrus, die sich auf derselben Stelle befand, wie jetzt das Gebäude aus neuerer Zeit.

Die von uns zu erzählenden Ereignisse tragen sich nur in dem eben beschriebenen Theile der Stadt zu.

Von dem Monte Pincio über den Campus Martius, und den Pons Elias bis zu der St. Petrus-Basilica, wird der Leser wohl oft eingeladen werden uns zu begleiten. Wir verschonen ihn aber mit der Notwendigkeit in allbekannte Ruinen zu dringen oder über den Gräbern geschiedener Vaterlandsfreunde zu trauern.

Ehe wir jedoch zu frühen Schauspielen zurückkehren oder zu neuen Rollen übergehen, wird es erforderlich sein, die Straßen, welche wir hier wieder aufzugraben versuchen, zu bevölkern. Durch dieses Verfahren hoffen wir, dem Leser die Vertrautheit mit den Sitten und Gebrauchen der Römer im fünften Jahrhundert zu verleihen, von welchen der Einfluß der Geschichte hauptsächlich abhängt, und welche wir durch eine philosophische Abhandlung über die Eigenthümlichkeiten jener Zeit einflößen zu können, verzweifeln. Einige erläuternde Seiten werden unserm Zwecke vielleicht besser entsprechen, als ganze Bände voll historischer Beschreibungen. Es giebt keine sichereren Zeichen für den Charakter eines Volkes als die Straßen seiner Städte.

Es ist beinahe Abend. Auf dem breitesten Theile des Campus Martius sind eine Menge von Menschen vor den Thoren eines Palastes versammelt. Sie haben sich eingestellt, um mehrere Körbe mit Lebensmitteln zu empfangen, die der Eigenthümer des Gebäudes mit prunksüchtiger Wohlthätigkeit austheilt. Der unaufhörliche Lärm und die Bewegung der ungeduldigen Menge bildet einen sonderbaren Kontrast mit der stolzen Ruhe der Natur- und Kunstgegenstände, die sie auf allen Seiten umschließen.

Der Raum, auf welchem sie sich befinden, ist von länglicher Form und bedeutender Größe. Ein Theil desselben besteht aus einem Rasenwege unter schattigen Bäumen, ein anderer aus den gepflasterten Zugängen des Palastes und der öffentlichen Bäder, welche in dessen unmittelbarer Nähe stehen. Diese beiden Gebäude zeichnen sich durch ihre prächtigen äußern Verzierungen mit Statuen und die Eleganz und Zahl der Treppen aus, über welche man in sie gelangt. Mit den niederen Gebäuden, Marktplätzen und Gärten, die zu ihnen gehören, sind sie umfänglich genug, um auf der einen Seite den Blick zu begrenzen. Das einförmige Aussehen, welches zu andern Zeiten die Ausdehnung und Regelmäßigkeit ihrer weißen Vorderseiten besitzen könnte, wird in diesem Augenblicke angenehm durch mehrere über ihre Thüren und Balkone gespannte, buntfarbige Sonnendecken unterbrochen. Die Sonne scheint jetzt mit Alles besiegendem Glanze auf sie, die Metallzierathen an ihren Fenstern strahlen wie feurige Edelsteine, selbst die Bäume, welche ihre Haine bilden, gehören zu der allgemeinen Lichtfluth und bieten gleich den sie umgebenden Gegenständen dem müden Auge weder Erquickung noch Ruhe.

Gegen Norden zieht das stolz in den tiefblauen Himmel hinaufragende Mausoleum des Augustus sofort unsere Aufmerksamkeit an. Seiner Lage zufolge liegt dieses edle Gebäude bereits theilweise im Schatten. Auf keinem Theile seiner mächtigen Galerien ist ein menschliches Wesen zu erblicken —— es sieht einsam und erhaben als eindringliche Verkörperung der Gefühle, zu deren Ausdrucke es errichtet wurde, da.

Auf der dem Palast und den Bädern gegenüber liegenden Seite befindet sich der bereits erwähnte beraste Spaziergang. Dicht neben einander gepflanzte und mit Weinstöcken verschlungene Bäume warfen einen üppigen Schatten auf diese Stelle. In ihren Zwischenräumen zeigen sich aus der Ferne schon bunte Kleider, Gruppen von ausruhenden Gestalten, mit Obst und Blumen beladene Verkaufsstände und unzählige weiße Marmorstatuen von Rehen und Waldnymphen. Von diesem köstlichen Plätzchen aus hörte man das Rauschen von Springbrunnen, welches zuweilen von dem Säuseln der Blätter oder den klagenden Tönen der römischen Flöte unterbrochen wurde.

Im Süden stehen zwei heidnische Tempel in einsamer Größe unter einem Heere von Monumenten und Trophäen da. Obgleich die Gesetze jetzt den Gottesdienst, für welchen sie errichtet wurden, verbieten, so hat es doch die Hand der Reform noch nicht gewagt, sie dem Ruin zu weihen oder christlichen Zwecken anzupassen. Niemand betritt jetzt ihre einst menschengefüllten Säulengänge. Kein Priester erscheint, um an ihren Thoren die Orakel zu verkünden —— keine Opfer dampfen auf ihren nackten Altären. Unter ihren, nur von dem durch ihre schmalen Eingänge dringenden Lichte besuchten, Dächern stehen unbemerkt, unangebetet, unbewegt die gewaltigen Götter des alten Rom’s. Das Gefühl der Menschen, welches sie einst allmächtig machte, betrachtet sie jetzt nur noch als Stein. Der Stern aus Osten hat bereits die furchtbare Glorie verdunkelt, welche die Religion des Blutvergießens einst um ihre Gestalten hüllte. Verlassen und allein stehen sie nur noch als düstere Denkmäler der größten Verblendung da, welche der Scharfsinn des Menschen je organisirt hat.

Wir haben jetzt so zu sagen den Rahmen um das bewegliche Gemälde gezeigt, welches wir nun dem Leser zu bieten versuchen. wollen, indem wir uns unter die Menge vor dem Palastthore mischen.

Diese Versammlung löste sich, in drei Abtheilungen auf: die vor den Palaststufen stehende, die um die öffentlichen Bäder schlendernde und die im Schatten der Bäume ruhende. Die erste war der Zahl nach die wichtigste und vom verschiedenartigsten Aussehen. Aus Schelmen der schlimmsten Art aus jedem Theile der Welt her bestehend, hatte man sagen können, daß sie in ihrem allgemeinen Anblick von, numerischer Wichtigkeit das höchste Bild der Entartung darstellte. Im Vertrauen auf ihre rohe Verbindung durch die gemeinschaftliche Habgier machten diese trefflichen Bürger ihrer Unverschämtheit über alle Gegenstände und nach allen Richtungen hin mit einer sorglosen Unpartheilichkeit welche die siegreichsten Bemühungen moderner Pöbelhaufen beschämt haben würde, Luft.

Das Stimmengewirr war wirklich furchtbar. Die rohen Verwünschungen trunksüchtiger Gallier,die unsittlichen Witzworte weibischer Griechen, die geräuschvolle Zufriedenheit eingeborener Römer, die lärmende Entrüstung reizbarer Juden, Alles dies bildete zusammen einen ununterbrochenen Chor mißtönender Laute. Der Gesichts- und Geruchssinn wurde durch diese aus so verschiedenen Theilen bestehende Versammlung nicht angenehmer berührt, als der des Gehörs. Schamlose Jugend und gottloses Alter, wüthende Weiber, feige Männer, mit stinkendem Oel eingeriebene schwärzliche Aethiopier, mit Schmuz überzogene stumpfe Britten, diese und hundert andere verschiedene Combinationen, die man sich leichter vorstellen als ausdrücken kann, stießen dem Beschauer nach jeder Richtung hin auf.

Wenn wir die Gerüche beschreiben wollten, welche die Hitze aus diesem gärenden Gemisch von Verderbtheit zog, so würden wir dadurch den Leser zwingen, das Buch zuzumachen. Wir ziehen es daher vor, zu der Austheilung zurückzukehren, welche diesen Auflauf verursacht hatte, und aus kleinen Körben mit gebratenem Fleisch, das mit gewöhnlichen Obst und Gemüsen zusammengepackt war, bestand, und von den Dienern des Edelmanns, welcher das Fest gab, dem Pöbel eingehändigt oder vielmehr unter denselben geworfen wurde. Die Leute labten sich an dem ihnen so gebotenen Ueberfluß. Sie warfen sich darauf wie wilde Thiere, sie verschlangen ihn wie Schweine oder trugen ihn davon wie Räuber, während die Lieferanten dieses öffentlichen Gastmahls, durch die Höhe, auf welcher sie sich befanden, gesichert, ihre Verachtung den lärmenden Empfängern durch Zuhalten der Nasen, Verstopfen der Ohren, Zukehren des Rückens und andere pantomimische Zeichen hochmüthigen und unermeßlichen Ekels ausdrückten.

Diese Bewegungen entgingen der Aufmerksamkeit der Mitglieder der Versammlung nicht, die sich voll gegessen und nun Muße hatten, sich ihrer Zungen zu bedienen, und die einen unaufhörlichen Sturm von Schmähungen auf die Köpfe der Dienerschaft ihres Wohlthäters herabregnen ließen.

»Seht die Kerle an,« schrie Einer, »sie sind die Aufwärter bei unserm Mahle und verspotten uns vor unsern Augen. Nieder mit den schmutzigen Küchenspitzbuben.«

»Vortrefflich gesprochen, Davus!, Wer soll sich ihnen aber nähern? Sie stinken selbst bis zu uns her!«

»Die Schufte mit ihren verfaulten Leichnamen haben die Nasen von Hunden und die Leiber von Böcken.«

Dann schrie ein Chorus von Stimmen: »Nieder mit ihnen! nieder mit ihnen!«

Mitten unter demselben trat ein entrüsteter Freigelassener vor, um dem Pöbel Vorwürfe zu machen, empfing aber zur Belohnung für seine Tollkühnheit einen Regen von Steinen und andern Gegenständen und eine Salve von Flüchen, worauf ihn ein auf die Schultern seines Kameraden erhobener ungeheuren fettiger Fleischer folgendermaßen anredete:

»Bei der Seele meines Kaisers, wenn ich Dir näher kommen könnte, Du Schuft, so würde ich Dich mit meinen Fingern allein viertheilen. Du grinsender Hallunke, der Andere aushöhnt, Du kothiger Schmeichler, der den Boden, auf dem er geht, beschmutzt. Beim Blute der Märtyrer, wenn ich ihn mit den Abfällen des Schlachthauses bewürfe, so würde er nicht wissen, wo er sich trocknen lassen könnte.«

»Du Lump,« brüllte ein Nachbar des indignirten Fleischers, »runzelst Du die Stirn gegen die Gäste Deines Herrn, deren Hautabschabsel mehr werth sind, als Dein ganzer Leichnam! Es ist leichter, ein Trinkgefäß aus dem Schädel eines Flohes zu machen, als aus einem schuftigen Nachtwandler wie Du, einen ehrlichen Mann.«

»Gesundheit und Glück für unsern edeln Bewirther!« schrie eine Abtheilung der dankbaren Menge, als der, welcher zuletzt gesprochen, inne hielt, um Athem zu schöpfen.

»Tod allen speichelleckerischen Schuften!« stimmte eine andere ein.

»Ehre den Bürgern von Rom!« brüllte eine dritte mit bescheidenem Enthusiasmus.

»Gebt dem Freigelassenen unsere Knochen zum Abknaupeln,« kreischte eine Range vom äußersten Saume der Menge her.

Dieser scharfsinnige Rath wurde augenblicklich befolgt und der Pöbel ließ ein Triumphgeschrei ertönen, als der unglückselige Freigelassene durch eine neue Salve von Wurfgeschossen vertrieben mit schmachvoller Eile den Rückzug in das Haus seines Patron eintrat.

Der Leser wird in dem kleinen, gereinigten Pröbchen von den Tischgesprächen des römischen Pöbels, welches wir hier mitzutheilen gewagt haben, das außerordentliche Gemisch von Knechtsinn und Insolenz bemerken, welches nicht nur die Reden, sondern auch die Handlungen der niederen Stände zur Zeit, über welche wir legt schreiben, auszeichneten. Auf der einen Seite bis zu einem dem Publikum unserer Tage kaum begreiflichem Punkte des Elend’s bedrückt und entwürdigt, waren die ärmeren Klassen in Rom anderseits mit einem solchen Grade moralischer Freiheit begabt und mit so ausgedehnten, politischen Vorrechten versehen, daß ihre Eitelkeit sich bis zur Verblendung über ihre Indignation geschmeichelt fühlte. Während ihrer Dienstzeit Sklaven, in ihren Stunden der Erholung Herren, boten sie als Klasse eine der erstaunlichsten socialen Anomalien dar, welche je bei irgend einer Nation existiert haben, und bildeten in ihrer gefährlichen und Unnatürlichen Lage einen der wichtigsten inneren Gründe des Unterganges von Rom.

Die Stufen der öffentlichen Bäder waren fast eben so sehr mit Menschen angefüllt, wie der Raum vor dem benachbarten Gebäude. Unaufhörliche eintretende oder sich entfernende Menschenströme ergossen sich über die breiten Steine ihrer Marmorsäulengänge. Diese Versammlung bestand zwar zum Theil aus derselben Volksklasse wie die vor dem Palaste, zeigte aber doch einen gewissen Grad von Achtbarkeit. Hier und da konnte man unter der grauen Einförmigkeit der Massen schmutziger Tuniken den erquicklichen Anblick eines reinlichen Gewandes oder eines hübschen Menschen genießen. Kleine, so weit als möglich ans der Nähe der lärmenden Plebejer entfernte Gruppen waren entweder in lebhaften Gespräche beschäftigt, oder gaben sich gleichgültig der durch das Bad hervorgebrachten Mattigkeit hin. Eine kurze Beachtung der Gesprächsgegenstände unter den Munterern von diesen Individuen wird uns in der Fortsetzung unserer socialen, Mittheilungen Hilfe leisten.

Die lauteste Stimme unter den in diesem Augenblicke Redenden ging von einem langen, magern, dick aussehenden Manne aus«, der mit bedeutender Heftigkeit und Geläufigkeit zu einer kleinen Gruppe von Zuhörern sprach.

»Ich sage Dir, Socius,«" sprach er plötzlich zu einem von seinen Gefährten gewendet, »daß, wenn nicht neue Sklavengesetze gemacht werden, mein Geschäft zu Ende ist. Das Gut meines Patrons erfordert eine unablässige Versorgung mit solchen Burschen. Ich strenge mich aufs Aeußerste an, um den Bedarf herbeizuschaffen und das einzige Resultat In einer Arbeit ist das, daß die Bösewichter entweder mein Leben in Gefahr setzen oder ungestraft zu den Räuberbanden fliehen, welche unsere Wälder unsicher machen.«

»Du thust mir wirklich leid, aber welche Veränderung würdest Du in den Sklavengesetzen wünschen?«

»Ich würde die Verwalter ermächtigen, alle Sklaven, welche sie für ungehorsam hielten, den andern zum Beispiele auf der Stelle umzubringen.«

»Was würde Dir eine solche Erlaubniß nützen? Die Geschöpfe sind nöthig, mit einem solches Gesetz würde sie in wenigen Monaten ausrotten. Kannst Du nicht ihren Muth durch Arbeit brechen, ihre Kraft durch Ketten fesseln und ihre Hartnäckigkeit durch Kerker besiegen?«

»Alles dies habe ich gethan aber sie sterben unter der Züchtigung oder entfliehen aus; ihren Gefängnissen. Ich habe jetzt dreihundert Sklaven auf den Gütern meines Patrons. Gegen die, auf unserm Grund und Boden Geborenen habe ich wenig einzuwenden. Allerdings beginnen Viele von ihnen den Tag mit Weinen und enden ihn mit dem Tode, aber zum größten Theile sind sie, Dank ihren täglichen Portionen von Schlägen, leidlich unterwürfig. Die Schurken, welche ich unter den Kriegsgefangenen und den Bewohnern empörter Städte habe kaufen müssen, sind es aber, mit denen ich so unzufrieden bin. Strafen bringen auf sie keine Wirkung hervor. Sie sind beständig träge, mürrisch und verzweifelt. Erst neulich vergifteten sich Zehn von ihnen bei der Arbeit auf dem Felde und fünfzig Andere entflohen, nachdem sie, sobald ich den Rücken gewendet hatte, ein Pächterhaus angezündet hatten, zu einer Bande von ihren Genossen, die jetzt Räuber in den Wäldern sind. Diese werden jedoch die Letzten sein, welche solche Missethaten ausführen. Ich habe mit Zustimmung meines Patrons ein System ausgesonnen, welches sie von nun an gehörig zähmen wird.«

»Darfst Du es mittheilen?«

»Bei den Schlüsseln des heiligen Petrus, ich möchte es wohl auf allen Gütern im Lande üben sehen. Es ist folgendes: Bei einem Schwefelsee in einiger Entfernung von meinem Wirthschaftshofe befindet sich ein sumpfiger Landstrich, auf dem hier und da Ruinen von einem alten Schlachthause liegen. Ich beabsichtige hier mehrere unterirdische Höhlen auszugraben, von denen jede zwanzig Mann aufzunehmen im Stande ist. Hier sollen meine meuterischen Sklaven nach ihrer Tagesarbeit schlummern. Die Eingänge werden bis zum Morgen mit einem großen Steine verschlossen, auf welchem ich die Inschrift eingraben lasse: »Dies sind die Schlafgemächer, welche Gordian, der Gutsverwalter des Edelmannes Saturnius, zur Aufnahme widerspenstiger Sklaven erfunden hat.««

»Dein Plan ist sinnreich, aber ich vermuthe, daß Deine Sklaven in ihren neuen Schlafgemächern eben so ungestört ruhen werden, wie in ihren alten. Die viehische Heerde ist ja gegen Leiden fast ganz unempfindlich.«

»Ruhen! es wird eine ganz originelle Art von Ruhe sein, die sie dort zu kosten bekommen. Der Gestank des Schwefelsee’s wird ihnen auf ihrem Schlammlager Sabäische Düfte zusenden! Ihr Salböl wird der Schleim der Schlangen und Kröten sein. Ihre flüssigen Düfte, das von ihrer Kammerdecke herabsickernde Sumpfwasser; ihre Musik wird im Qualen der Frösche und dem Summen der Mücken bestehen, und was ihren Schmuck betrifft, so werden sie sich mit Kränzen von verschlungenen Würmern und beweglichen Broschen von Holzböcken und Kröten zieren! Sage mir nun, scharfsinniger Socius, glaubst Du noch, daß meine Sklaven unter solchen Sinnesgenüssen schlafen werden?«

»Nein, sie werden sterben.«

»Da hast Du wieder Unrecht! Sie werden vielleicht fluchen und wüthen, aber das macht nichts aus. Sie werden um so länger über der Erde arbeiten, um die Zeit der Ruhe unter derselben abzukürzen. Sie werden augenblicklich erwachen und auf das erste Zeichen herauskommen. Vor ihrem Tode habe ich keine Furcht!«

»Verläßt Du Rom bald?«

»Ich gehe heute Abend und nehme eine hinreichende Anzahl von zuverlässigen Gehilfen mit, um meinen Plan ohne Verzug zur Ausführung bringen zu können. Lebewohl, Socius.«

»Sinnreichster aller Gutsverwalter, ich wünsche Dir wohl zu leben.«

Als der treffliche Gordian von der Großartigkeit seiner neuen Projekte erfüllt, hinwegstolzirte, zogen die Geberden und Töne eines Mannes unter einer in einem entfernten Theile des Säulenganges, welchen er eben verlassen wollte, versammelten Gruppe seine Aufmerksamkeit an. Die Neugier bildete im Charakter dieses Mannes einen eben so hervorragenden Bestandtheil wie die Grausamkeit. Er schlich sich hinter die Basis einer nahen Säule und da sein Ohr die häufige Wiederholung des Wortes »Gothen« vernahm —— der Bericht von dem bevorstehenden Einfall dieser Nation war jetzt nach Rom gekommen —— bereitete er sich sorgfältig darauf vor, die Redner mit der unbedingtesten Aufmerksamkeit anzuhören.

»Die Gothen!« rief Jener in den finsteren, gepreßten Tönen der Verzweiflung. »Befindet sich unter uns Einer, dem dieser Bericht von ihrem Vorrücken gegen Rom nicht eher Hoffnung als Furcht bereitet? Haben wir eine Aussicht, uns aus der Entwürdigung zu erheben, in welche wir von unsern Vorgesetzten hinabgedrückt werden, ehe diese Mördergrube von herzlosen Kleinigkeitskrämern und schamlosen Feiglingen gänzlich von der Erde, die sie befleckt hat, hinweggefegt worden ist?«

»Deine Ansichten über die Uebel unserer Lage sind unbezweifelt äußerst richtig,« bemerkte ein dicker, pomphaft aussehender Mann, an den die vorerwähnten Bemerkungen gerichtet gewesen waren; »aber ich kann die Reform, welche Du so eifrig hoffst, nicht wünschen. Bedenke die Erniedrigung, von Barbaren besiegt zu werden.«

»Ich bin der Vorrechte meines Vaterlandes beraubt, welches Interesse habe ich, dessen Ehre aufrecht zu erhalten? —— wenn es wirklich Ehre hat!« antwortete der, welcher zuerst gesprochen.

»Deine Aus-drücke sind wirklich zu streng, Du bist zu unzufrieden, um gerecht zu sein.

»Wirklich! —— Höre mich auf einen Augenblick an und Du wirst Deine Ansicht ändern. Du siehst mich jetzt durch mein Vernehmen und Aeußeres der Plebejerheerde dort überlegen, Du denkst ohne Zweifel, daß ich in der Welt behaglich lebe, daß ich keine Besorgniß wegen meiner persönlichen Bedürfnisse in Bezug auf die Zukunft fühle. Was würdest Du antworten, wenn ich Dir sagte, daß ich um eine weitere Mahlzeit, ein frisches Gewand für morgen zu erlangen, stehlen oder einem großen Herrn schmeicheln müßte? Ja, so ist es. Ich bin hoffnungslos, freundlos, in der höchsten Noth. Es giebt im ganzen Reiche keinen ehrlichen Beruf, zu dem ich meine Zuflucht nehmen könnte. Ich muß ein Kuppler oder Schmarotzer —— ein gemietheter Tyrann über Sklaven oder ein gewerbsmäßiger Krieger unter Edelleuten werden, wenn ich nicht auf den Straßen verhungern oder offen in den Wäldern rauben will. Das bin ich! Jetzt höre, was ich war. Ich bin frei geboren. Ich habe von meinem Vater ein Landgut geerbt, welches er auf Kosten seines Wohlseins, seiner Gesundheit und seines Lebens mit Erfolg gegen die Uebergriffe der Reichen vertheidigt hatte. Als ich ihm im Besitze folgte, beschloß ich meine Habe eben so eifrig zu vertheidigen, wie er die seine. Ich arbeitete unablässig. Ich vergrößerte mein Haus. Ich verbesserte meine Felder, ich verstärkte meine Heerden. Ich verschmähte die Drohungen und vereitelte die List meiner adeligen Nachbarn, die nach meinem Gute trachteten, um ihr Vermögen zu vermehren. Mit der Zeit heirathete ich und hatte ein Kind. Ich glaubte, daß ich unter meinem Stamme als Glücklicher auserwählt worden sei, als mich eines Nachts Räuber anfielen —— Sklaven, die die Grausamkeit ihrer reichen Herrn zur Verzweiflung gebracht hatte. Sie verheerten meine Getreidefelder, sie beraubten mich meiner Heerden. Als ich Entschädigung verlangte, sagte man mir, daß ich mein Gut an Diejenigen verkaufen möge, welche es vertheidigen könnten —— an die reichen Edelleute, deren Tyrannei die Schaar von Bösewichtern, die mich meiner Habe beraubt, organisirt hatte und deren durch Betrug erworbenen Schätzen die Regierung mit Freuden den Schutz gewährt, welchen sie meinen ehrlichen Ersparnissen versagt. Ich beschloß in meinem Stolze, selbstständig zu bleiben. Ich pflanzte neues Getreide. Mit dem geringen Ueberbleibsel meines Geldes miethete ich neue Diener und kaufte frische Heerden. Ich hatte mich eben von meinem ersten Unglück erholt, als ich das Opfer eines zweiten wurde. Man griff mich wieder an. Diesmal hatten wir Waffen und suchten uns zu vertheidigen. Mein Weib wurde vor meinen Augen erschlagen; mein Haus von Grund auf niedergebrannt. Ich selbst entrann nur mit Wunden bedeckt; bald darauf siechte mein Kind und starb. Ich hatte kein Weib, kein Kind, kein Haus, kein Geld mehr. Meine Felder breiteten sich noch immer um mich aus, aber ich besaß Niemand zu ihrem Anbau. Meine Mauern lagen immer noch in Ruinen zu meinen Füßen, aber ich hatte Niemand, der sie wieder aufgerichtet, Keinen, der sie bewohnt hätte, wenn sie errichtet waren. Das Grundstück meines Vaters war für mich jetzt zu einer Wüste geworden. Zu stolz, es an einen reichen Nachbar zu verkaufen, zog ich es vor, es zu verlassen ehe ich es einem Tyrannen zur Beute werden sah, dessen Rang über meinen Fleiß den Sieg errungen hatte und der sich jetzt zu rühmen vermag, daß er zehn Stunden weit über senatorisches von der Nähe eines Bauerngutes unbeflecktes Eigenthum zu reisen vermag. Obdachlos, heimathlos, freundlos, bin ich in meinem Unglück allein, in meiner Erniedrigung hilflos nach Rom gekommen. Wundert Ihr Euch jetzt noch, daß ich mich um die Ehre meines Vaterlandes nicht weiter kümmere? Ich würde ihm mit Gut und Blut gedient haben, wenn es meines Dienstes würdig gewesen wäre, aber es hat mich verstoßen und es ist mir gleichgültig, wer es erobert. Mit Tausenden, die dieselbe Bedrängniß leiden, wie ich jetzt, sage ich zu den Gothen: »Tretet in unsere Thore! macht unsere Paläste der Erde gleich! Vermischt in einem gemeinschaftlichen Blutbade uns, die wir die Opfer, mit jenen, die die Tyrannen sind! Euer Einfall wird dem Lande neue Herren geben; —— sie können es nicht ärger mit Füßen treten, vielleicht bedrücken sie es weniger. Unsere Nachkommen erwerben ihre Rechte vielleicht durch die Aufopferung eines Lebens, welches unser Vaterland werthlos gemacht hat, wiewohl Römer, sind wir doch bereit, zu leiden und uns zu unterwerfen.«

Er hielt ein, denn er hatte sich selbst zur Wuth an gestachelt. Seine Augen glühten, seine Wangen waren erhitzt, seine Stimme erhob sich. Hätte er auch nur den mindesten Schimmer von dem Schicksale haben können, welches künftige Jahrhunderte den Nachkommen des Geschlechts, welches jetzt gleich ihm im ganzen civilisirten Europa litt, erblicken —— hätte er ahnen können, daß die zu seiner Zeit verachtete Mittelklasse sich zu Recht und Macht erheben, in ihren gerechten Händen die Wage des Blühens der Völker halten, die Bedrückung unterdrücken und die Regierung reguliren, sich in ihrem gewaltigen Fluge über Throne und Fürstenstühle und Rang und Reichthümer erheben, dem Anscheine nach gehorsam, in Wirklichkeit aber gebietend sein würde —— hätte er dies voraussehen können —— welches Licht müßte in seine Nacht gedrungen, welche Hoffnung ihn in seiner Verzweiflung beschwichtigt haben.

Zu welchen ferneren Extremitäten ihn sein Zorn hätte führen, zu welchen Verfahren der entrüstete Gordian, welcher aus seinem Versteck immer noch zuhörte, seine Zuflucht hätte nehmen können, läßt sich nur schwer bestimmen, denn die Klagen des unglücklichen Bauern und die Gedanken des gebieterischen Gutsverwalters wurden durch einen Tumult unterbrochen, der in diesem Augenblicke um einen Wagen todte, welcher so eben aus dem früher von uns beschriebenen Palaste kam.

Dieses Fuhrwerk sah wie eine einzige Silbermasse aus. Gestickte Seidenvorhänge flatterten aus seinen Fenstern, goldene Zierrathen bedeckten seine polierten Seiten und es enthielt keine geringere Person als den Edelmann welcher das Volk mit Körben voll Fleisch bewirthet hatte. Der Pöbel vor dem Palastthore hatte diese Thatsache erfahren. Eine solche Gelegenheit, seinen Jubel über seine Knechtschaft, seine thatsächliche Servilität in seiner eingebildeten Selbstständigkeit zu zeigen, durfte nicht verloren gehen und es brach daher beim Erscheinen seines Bewirthers in einen solchen Schwall von lärmender Dankbarkeit aus, daß ein in Rom Fremder geglaubt haben würde, daß sich die Stadt im Aufruhr befinde. Es sprang, es lief, es tanzte um die feurigen Rosse, es warf seine leeren Körbe in die Luft und streichelte zufrieden seine gerundeten Bäuche.

Während der Wagen weiter fuhr, erhielt es von allen Seiten neue Rekruten und neue Wichtigkeit. Die Schüchternen flohen vor ihm, die Lärmenden schrieen mit ihm, die Kühnen stürzten sich in seine Reihen und der stete Refrain seines Freudenchors war: »Gesundheit dem edeln Pomponius! Wohlsein den römischen Senatoren, die uns mit ihren Speisen nähren und uns frei in ihre Theater lassen! Ehre dem Pomponius! Ehre den Senatoren!«

Das Schicksal schien an jenem Tage ein Vergnügen daran zu finden, die unersättliche Neugier des Gutsverwalters Gordian zu befriedigen. Das Geschrei der dem Wagen folgenden Menge war kaum in der Entfernung verklungen, als von der entgegengesetzten Seite der Säule die Stimmen zweier Männer in leisem, vertraulichen Tone sein Ohr erreichten. Er schaute vorsichtig herum und sah, daß es Priester waren.

»Welcher ewige Witzling doch der Pomponius ist,« sagte eine Stimme; »er will sich Absolution holen und fährt in seinem Galawagen hin, als ob er seinen Triumph feiern wollte, statt seine Sünden zu beichten.«

»Hat er denn schon wieder eine Unklugheit begangen?«>

»Leider ja! Für einen Senator mangelt es ihm entsetzlich an Vorsicht. Vor einigen Tagen warf er in einem Anfalle von Zorn, einer von seinen Sklavinnen einen Trinkbecher an den Kopf. Das Mädchen starb auf der Stelle und ihr Bruder, der sich ebenfalls in seinem Dienste befindet, drohte mit sofortiger Rache. Um unangenehme Folgen für seinen Körper zu verhindern, hat Pomponius den Burschen nach seinen Gütern in Egypten geschickt und geht jetzt in der gleichen Besorgniß, um die Wohlfahrt seiner Seele hin, um von unserer heiligen, gütigen Kirche Absolution zu verlangen.«

»Ich fürchte, daß uns diese Absolutionen, welche fortwährend Leuten bewilligt werden, die zu nachlässig sind, um Reue über ihre Verbrechen auch nur zu heucheln, uns bei dem Volke im Allgemeinen in Mißkredit bringen werden.«

»Was kümmern wir uns um die Ansichten des Volkes, so lange wir seine Herrscher auf unserer Seite haben? Die Absolution ist der Zauber, der diese römischen Wüstlinge an unsern Willen bindet. Wir wissen, wodurch Constantin bekehrt worden ist, durch politische Schmeichelei und die Bereitwilligkeit ihm Absolution zu geben. Das Volk wird Dir sagen, daß es das Zeichen des Kreuzes gewesen sei.«

»Es ist wahr, daß dieser Pomponius reich ist und unsere Einkünfte vermehren kann. Ich fürchte aber doch die Entrüstung des Volkes.«

»Fürchte nichts! Bedenke nur, wie lange es sich durch seine alten Institutionen hat betrügen lassen,und dann bezweifle, wenn Du kannst, daß wir es beliebig nach unsern Wünschen formen können. Bei dem Pöbel wird jede Täuschung von Erfolg sein, wenn das zu ihrer Beförderung angewendete Werkzeug nur eine Religion ist.«

Die Stimmen schwiegen. Gordian, der noch die unbestimmte Absicht hegte, den flüchtigen Gutsbesitzer den senatorischen Behörden anzuzeigen, verwendete die Freiheit welche das Verstummen der Priester seiner Aufmerksamkeit ließ, darauf, sich nach seinem beabsichtigten Opfer umzusehen. Zu seiner Ueberraschung bemerkte er, daß der Mann die Zuhörer, welche er früher angeredet, verlassen hatte und an einem andern Theile der Säulenhalle im ernsten Gespräche mit einem Individuum begriffen war, welches erst vor Kurzem zu ihm gestoßen zu sein schien und dessen Aeußeres so merkwürdig war, daß der Gutsverwalter einige Schritte vorwärts gethan hatte, um es näher zu betrachten, als er wieder von den Stimmen der Priester zurück gelockt wurde.

Auf einen Augenblick unschlüssig, welcher Seite er seine unser upulöse Aufmerksamkeit zuwenden sollte, kehrte er mechanisch nach seiner alten Stelle zurück. Bald jedoch überwog sein Verlangen die geheimnißvollen Mittheilungen zwischen dem Gutsbesitzer und seinem Freunde zu hören, seine Freude über das Eindringen in die theologischen Geheimnisse der Priester. Er wendete sich wieder um, zu seinem Erstaunen waren aber die Gegenstände seiner Neugier verschwunden. Er trat vor die Säulenhalle hinaus und sah sich überall nach ihnen um, aber sie waren nirgends zu erblicken.

Mürrisch und in seinen Erwartungen getäuscht, kehrte er als letzte Zuflucht zu der Säule, wo er die Priester verlassen hatte zurück; aber die auf seine Forschungen nach der einen Gesellschaft verwendete Zeit war seiner Wiedervereinigung mit der andern verderblich gewesen, auch die Priester waren fort.

Durch die Vereitelung seiner Hoffnungen hinreichend für seine Neugier bestraft, marschierte der Gutsverwalter mißmuthig, gegen den Monte Pincio hin, ab. Wenn er sich nach der entgegengesetzten Richtung, der St. Peters-Basilica, zugewendet hätte, so würde er sich wieder in der Nähe des Gutsbesitzers und seines auffallenden Freundes befunden und die Bekanntschaft mit den Gegenständen ihres Gesprächs erlangt haben, welche wir dem Leser im Laufe des folgenden Kapitels bestimmen.

Bis dahin sind unsere Enthüllungen zu Ende und die Aufmerksamkeit des Lesers kann sich wieder der Geschichte zuwenden. Ehe wir uns aber zur Fortsetzung derselben anschicken, möchten wir diejenigen, welche es interessiert, in die inneren Gründe der Katastrophe von Rom zu dringen, nochmals bitten, aus einen Augenblick iiber die einzelnen Zeugnisse, welche wir hier für ihn gesammelt haben, nachzudenken. Er möge sich die mitwirkenden Zersetzungen in den Geist zurückrufen, welche die heftige sociale Krankheit bildeten, die zu dieser Periode innerhalb der Mauern der Stadt wüthete und ihren verpestenden Einfluß bis aus die entferntesten Gegenden des Reichs ausdehnte. Er möge mit Einem Blicke die Unwissenden, ausschweifenden, verthierten, bedrückten untern, die gekränkten, verfolgten, verlassenen Mittelklassen, die frivole, unverantwortliche gefühllose Aristokratie, die ehrgeizige, weltliche, heuchlerische Kirche, welche die Verderbniß des Staates hätte verbessern sollen, umfassen, und er wird die wirkliche Tiefe und Ausdehnung der allgemeinen Zersetzung der römischen Gesellschaft in jenem ereignißreichen Jahrhundert entdecken. Er möge sich endlich die Wirkung vorstellen, welche eine in frischer, kräftiger Jugend stehende zu ihrem ungeheuren Zwecke verbundene Nation, wie die Gothen hervorbrachte, als sie plötzlich auf ein Volk ohne Sympathie, Grundsätze, Ehrgeiz oder Hoffnung, um welche sich dasselbe wie um eine moralische Fahne in der Stunde der Noth scharen konnte, hereinbrach —— er möge sich dies ausmalen und er wird kaum geneigt sein, Ausstellungen gegen die Wahrscheinlichkeit der Scenen zu erheben, durch die er in den künftigen Theilen dieses Werkes geführt werden wird, er wird nur wenig darüber erstaunen, daß das civilisirte Rom seine blendende Laufbahn mit der Niederwerfung vor einem Heere von Gothen schloß.



Kapiteltrenner

Kapitel II.
Die Kirche.

Im Jahre 324 errichtete Constantin auf der Stelle, wo dem Gerüchte nach, St. Petrus den Märtyrertod erlitten hatte, auf den Ruinen des Neronischen Circus die Kirche, welche die St. Peters Basilica genannt worden ist. Zwölf Jahrhunderte stand dieses von einem wegen seiner Mordthaten und Tyranneien berüchtigten Manne errichtetes Gebäude unverletzt unter allen den Stößen da, welche während jener langen Periode den übrigen Theil der Stadt verheerten. Nach dieser Zeit wurde es durch sein ehrwürdiges und berühmtes Alter bis zum Grunde schwankend von Papst Julius dem Zweiten entfernt, um den Grundlagen der neuen Kirche Platz zu machen.

Auf dieses zwölfhundertjährige von mit Blut befleckten Händen errichtete und doch stürmische Jahrhundert des Krieges hindurch als Stern des Friedens bewahrte, Gebäude wollen wir die Aufmerksamkeit des Lesers richten. Was für die neue Kirche die Kunst gethan, das hat für die alte die Zeit bewirkt. Wenn die eine durch ihre Großartigkeit dem Auge majestätisch erscheint, so ist die andere durch ihr Alter der Erinnerung geheiligt.

Wie diese Kirche durch ihre Erbauung die triumphierende Einsetzung des Christenthums als der Religion von Rom verherrlichte, so spiegelte sie in ihrem Fortschreiten auch jede durch den Ehrgeiz, die Verschwendungssucht oder die Frivolität der Priester im Geiste der neuen Gottesverehrung hervorgebrachte Veränderung ab. Anfänglich stand sie Ehrfurcht erregend, imposant und in allen Theilen so schön, wie die Religion, zu deren Ruhme sie aufgebaut war, da. Mächtige Porphyrsäulen zierten ihre Zugänge und umgaben einen Brunnen, dessen Wasser aus einer riesenhaften broncenen Pinie hervorsprudelte. Ihre doppelten Flügelreihen wurden jede durch achtundvierzig Säulen von kostbarem Marmor getragen, ihre flache Decke mit von der Befleckung der heiligen Tempel erretteten Balken von vergoldetem Metall geziert. Ihre Wände waren mit großen Gemälden von religiösen Gegenständen geschmückt und ihr Altar mit elegantem Mosaik besetzt. So erhob sie sich einfach und doch erhaben, ehrfurchtgebietend und doch anlockend in diesem ihren Anfange als Sinnbild des Morgens der Gottesverehrung, die zu vertreten sie errichtet worden war.

Als die Priester aber von ihrem Erfolge angefeuert das Christenthum als ihren Pfad zur Politik und ihr Mittel zur Macht erwählten, begann sich der Anblick der Kirche allmälig zu verändern. Wie der ehrgeizige Mensch langsam und allmälig den Mantel seiner Mysterien, Lehren und Streitigkeiten um die ursprüngliche Reinheit des ihm von Gott gegebenen Gebäudes legt, so begannen auch allmälig prunkende Zierrathen und entstellende Veränderungen die majestätische Basiliea zu beflecken, bis zu dem drohenden und tadelnden Auftreten des Heiden Julian, wo der Kirche sowohl wie den Priestern in ihren verderbten Fortschritten plötzlicher und nachdrücklicher Einhalt gethan wurde.

Sobald die kurze Periode des Wiederauflebens des Götzendienstes einmal vorüber war, begannen die Priester, von der erhaltenen Warnung unbeirrt mit erneuter Kraft das zu verwirren, was in ihrem Evangelium wie in ihrer Kirche einst einfach gewesen war. Täglich sendeten sie neue Abhandlungen in die Welt, erhoben hitzige Controversen, spalteten sich in neue Sekten und täglich veränderten sie mehr und mehr das einst edle Aussehen der alten Basilica. Sie hingen ihre widerlichen Reliquien an ihre mächtigen Mauern, sie steckten ihre winzigen Kerzen an die herrlichen Säulen, sie zogen ihre flitterprunkenden Franzen um die massiven Altäre. Hier polirten, dort stickten sie. Wo ein Fenster zu sehen war, verhingen sie es mit bunten Tüchern, wo sich eine Statue befand, bedeckten sie dieselbe mit künstlichen Blumen, wo eine Ehrfurcht erweckende Nische zu sehen war, verderbten sie ihre feierliche Dunkelheit durch hereingelassenes Licht, bis es ihnen zur Zeit unserer Geschichte so vollständig gelungen war, das Aussehen des Gebäudes zu verändern, daß es im Innern eher wie ein ungeheurer heidnischer Spielwaarenladen, als eine christliche Kirche aussah. Hier und da erhob sich allerdings eine Säule oder ein Altar, in der alten Einfachheit und bildete mit der Ziererei rund umher denselben Kontrast, wie eine Stelle aus der heiligen Schrift, wenn sie in einer Predigt jener Zeit citirt worden wäre.

Was aber den allgemeinen Anblick der Basilica betraf, so schien die ernste Schönheit ihrer ersten Tage unwiderstehlich entflohen und vernichtet zu sein.

Nachdem was über das Gebäude gesagt worden ist, wird sich der Leser leicht vorstellen, daß der Platz, auf welchem es stand, selbst mit noch größerer Schnelligkeit wie die Kirche, alle Großartigkeit, welche er einst besessen haben mochte, verlor. Wenn die Cathedrale jetzt aussah wie ein ungeheuerer Spielwaarenladen, so boten die Säulengänge an derselben den Anblick eines unermeßlichen Jahrmarktes.

er Tag, von welchem wir im vorigen Kapitel gesprochen haben, neigte sich schnell seinem Ende zu, als sich die Bewohner der Straßen auf dem westlichen Ufer des Tiber, darauf vorbereiteten, sich der Menge anzuschließen, welche sie nach der Peterskirche zu an ihren Fenstern vorübergehen sahen. Der Grund dieses plötzlichen Zusammenflusses des Volksstromes zeigte sich allen, die in der Nähe einer Kirche oder eines öffentlichen Gebäudes waren, hinreichend an einem dort zu erblickenden künstlich, ausgemalten, großen Pergamentblatte auf einer hohen Stange, welches durch zwei bewaffnete Soldaten vor der Berührung der neugierigen Menge geschützt wurde. Die Anzeigen auf diesem sonderbaren Plakate waren alle von gleicher Art und richteten sich auf den gleichen Zweck. Auf jedem von ihnen benachrichtigte der Bischof von Rom seine »frommen und ehrenwerthen Brüder« —— die Bewohner der Stadt, daß, da der folgende Tag der Jahrestag des Märtyrertodes des St. Lucas sei, nothwendiger Weise an diesem Abend die Vigilie in der St. Peterskirche gehalten und in Betracht der Wichtigkeit des Anlasses vor dem Beginn der Ceremonie die kostbaren, auf den Tod des Heiligen bezüglichen Reliquien gezeigt werden würden, welche ein unschätzbares Erbtheil der Kirche geworden seien und aus einem Zweige des Olivenbaumes, an welchen St. Lucas gehangen worden war, einem Stücke der Schlinge, mit Einschluß des Knotens, die man um seinen Hals gelegt hatte, und einem von seiner Hand gemalten Bilde der Verklärung der heiligen Jungfrau bestanden.

Nach einigen wehklagenden Sätzen über die Leiden des Heiligen, die Niemand las und welche hier wiederzugeben unnöthig ist, besagte die Proklamation weiter, daß im Laufe der Vigilie eine Predigt gehalten und später der große Kronleuchter mit seinen Zweitausend vierhundert Flammen angezündet werden würde, um die Kirche zu erleuchten. Endlich forderte der wackere Bischof alle Mitglieder seiner Heerde auf, sich in Betracht der Feierlichkeit des Tages der sinnlichen Vergnügen zu enthalten, damit sie um so frommer und würdiger die ihrem Anblicke ausgesetzten Gegenstände betrachten und die ihrem Geiste gebotene geistige Nahrung verdauen könnten.

Nach dem Pröbchen, welches wir bereits vom Charakter des römischen Volkes gegeben haben, werden wir wohl kaum zu sagen brauchen, daß die Hauptlockungen, welche dieser theologische Speisezettel bot, die Reliquien und die Kronleuchter waren.

Die Kanzelberedtsamkeit und die Vigilienfeierlichkeit allein hätten lange ihre nüchternere Anziehungskraft entwickeln müssen, ehe sie auch nur den fünfzigsten Theil der ungeheuren Menge, welche jetzt der entweihten Basilica zueilte, auf die Straßen zu ziehen vermocht hätten. Die bald herbeigeströmte Versammlung war in der That so Ungeheuer, daß die ersten Reihen von Neugierigen bereits die Kirche bis zum Ueberströmen angefüllt hatten, ehe die Hintersten auch nur die Säulengänge erblickten.

Wie unzufrieden der nicht zum Schauspiel gelangte Theil der Bürger auch über seine Ausschließung von der Kirche sein mochte, so fand er doch einen mächtigen Gegenreiz in den Belustigungen auf dem Platze, wo die Anwesenden vollkommen achtlos gegen die Ermahnungen des Bischofs in Betreff des der Feierlichkeit des Tages angemessenen anständigen Benehmens zu sein schienen. Wie um der von der Geistlichkeit empfohlenen Ruhe und Ordnung Trotz zu bieten, waren aus den breiten Steinen des großen Raumes vor der Kirche volksthümliche Schaustellungen jeder Akt versammelt, Straßentänzerinnen übten auf jeder freien Stelle die »kleidenden Umdrehungen,« welche der wackere Ammianus Marcellinus, sittlichen und historischen Andenkens, so beredt verdammt. Mit Reliquien von zweifelhafter Authenticität vollgestopfte Buden, mit nett geschriebenen Auszügen wüthender Streitschriften angefüllte Körbe, in Heiligenbilder umgeschaffene heidnische Götzen, bildliche Darstellungen von sich in der Verdammniß krümmenden Arianern und in Glorien von himmlischen Lichte triumphierenden Märtyrern lockte auf allen Seiten die frömern Zuschauer an. Köche wandelten mit ihren Laden auf dem Rücken umher; rivalisirende Sklavenhändler schrieen Bitten um Kundschaft aus, Weinhändler lehrten, aus ihren Fässern sitzend, die bachische Philosophie, Dichter recitirten zum Verkauf ausgebotene Verse, Sophisten hielten Reden zur Bekehrung der Schwankenden und Verblüffung der Unwissenden. Unablässige Bewegung und unaufhörlicher Lärm schienen die einzigen Entschädigungen zu sein, welche die Menge von dem Ausschluß der Kirche suchte.

Wenn sich ein Fremder, nachdem er die Proklamation des Tages gelesen, nach der Basilica begeben hätte, um seine Augen an der herrlichen Versammlung zu weiden, welche der Bischof seine »frommen und ehrenwerthen Brüder« nannte, so hätte er, falls er sich in diesem Augenblicke unter die Menge mischte, entweder die Wahrheit der bischöflichen Bezeichnung bezweifeln, oder den Bürgern die Verfeinerung des inneren Werthes zuschreiben müssen, welcher von zu erhabener Art ist, um aus den Charakter des äußerlichen Menschen Einfluß zu üben.

Als die Sonne unterging, konnte es nichts Malerischeres geben, als den Anblick dieses muntern Schauspiels aus der Ferne. Die dunkelrothen Strahlen des scheidenden Lichtkörpers ergossen ihren Glanz zum Theil hinter der Kirche her über die ungeheure Menge auf dem Platze. Das gesättigte Licht spielte hell und schimmernd auf dem ihm in aller Schönheit seiner natürlichen flüchtigen Form auf dem Brunnen entgegensprudelndem Wasser. In jenem purpurnen Schein gebadet, warfen die glatten Porphhrsäulen chamäleonartige, ätherische, wechselnde Tinten zurück. Die weißen Marmorstatuen überzogen sich mit einer zarten Rosenfarbe und die dunkeln Bäume leuchteten in ihren innersten Laubtiefen wie in einen goldenen Nebel getaucht; während, im seltsamen Contrast mit dem wunderbaren Strahlenglanze um sie her, die ungeheure broncene Pinie in der Mitte des Platzes und die breite Fronte der Basilica sich im dunkeln Schatten unbestimmt und kolossal erhoben; wie böse Geister über der heitern Schönheit des übrigen Schauspiels lauerten und ihre tiefen Schlagschatten mitten in das Licht, dessen Herrschaft sie verachteten, warfen.

Aus der Ferne betrachtet, bildete diese phantastische Vereinigung blendenden Glanzes und feierlicher Düsterkeit —— diese auf der einen Stelle, so daß sie riesenhaft aussahen, verdunkelten, auf der Andern, so daß sie ätherisch zu sein schienen, erhellten Gebäude, diese wogenden Gruppen, die eine auf dem einen Punkte im strahlenden Licht schimmernde, an dem andern in dichten Schatten verdunkeln, bewegliche Masse ausmachten —— ein so ungleichartiges und doch so schönes, so groteskes und doch so erhabenes Ganze, daß die Scene für den Augenblick eher einem durch seine Nähe an der Erde halb verdunkeltem bewohnten Meteor als einem irdischen, materiellen Schauspiele glich.

Die Schönheiten dieses atmosphärischen Effektes waren von viel zu ernster und hoher Natur, um die Menge auf dem Platze zu interessieren. Von der ganzen Versammlung beobachteten nur zwei Menschen den herrlichen Sonnenuntergang mit einer Spur der Bewunderung und Aufmerksamkeit, welche er verdiente. Der Eine war der Gutsbesitzer, dessen Unglück wir im vorigen Kapitel erzählt haben, der Andere sein merkwürdig Freund.

Diese beiden Männer bildeten in ihrem Aeußern wie in ihrem Benehmen einen eigenthümlichen Kontrast mit einander, als sie so auf den purpurnen Himmel blickten. Der Bauer war ein untersetzter, ruhelos aussehender Mann, dessen von Natur eckigen Züge jetzt durch einen starren Ausdruck des Elends und der Unzufriedenheit verzerrt waren. Sein scharfer durchdringender Blick schweifte unablässig von einem Orte zum andern, bemerkte alle Gegenstände, ruhten aber auf keinem. Seine Aufmerksamkeit für das Schauspiel vor ihm schien eher durch den Einfluß des Beispiels veranlaßt zu sein, als durch seine eignen, freiwilligen Gefühle, denn er blickte in kurzen Zwischenräumen ungeduldig auf seinen Freund, als erwarte er, daß dieser sprechen würde, aber sein nachdenklicher Gefährte ließ weder ein Wort noch eine Bewegung wahrnehmen. Ausschließlich mit seinen eignen Betrachtungen beschäftigt, schien er für jeden gewöhnlichem äußeren Aufruf vollkommen unempfindlich zu sein.

Seinem Alter und Aussehen nach war dieses Individuum schon betagt, denn es hatte sechzig Jahre gezählt; sein Haar war völlig ergraut und sein Gesicht mit tiefen Runzeln bedeckt. Trotz aller dieser Nachtheile war er aber doch im höchsten Sinne des Wortes ein schöner Mann. Seine abgemagerten Züge waren immer noch kühn und regelmäßig und in dem zur Gewohnheit gewordenen Trübsinn seines Ausdrucks lag eine Höhe und in seinen etwas strengen, ernsten Augen eine Intelligenz, die beredtes Zeugniß für die Ueberlegenheit seiner intellectuellen Kräfte ablegte.

Als er jetzt fest auf den goldenen Himmel hinausblickend mit halb auf seinen Stab gestützter, schlanker magerer Gestalt, fest zusammengepreßten Lippen, leicht gerunzelter Stirn und ruhiger, bewegungsloser Haltung dastand, mußte auch der oberflächlichste Beobachter augenblicklich fühlen, daß er kein gewöhnliches Wesen vor sich hatte. Die Geschichte eines Lebens voll tiefen Denkens, vielleicht auch langer Bekümmerniß schien auf jedem Zuge seines sinnenden Gesichts geschrieben zu stehen und sein Wesen zeigte eine natürliche Würde, die offenbar seinem rastlosen Gefährten abhielt, den Lauf seiner Reflexionen entschieden zu unterbrechen.

Langsam und prächtig war die Sonne am Horizont hinabgesunken, bis sie jetzt gänzlich den Blicken entschwand. Als ihre letzten Strahlen an den fernen Bergen verglommen waren, schrak der Fremde aus seinen Träumen auf, näherte sich dem Bauer und deutete mit seinem Stabe auf, die schnell verbleichende Helligkeit des westlichen Himmels.

»Probus,« sagte er mit leiser wehmüthiger Stimme. Als ich diesen Sonnenuntergang anblickte, dachte ich an den Zustand der Kirche.«

»Ich sehe an der Kirche wenig zu denken und am Sonnenuntergange nicht viel Bemerkenswerthes,« entgegnete sein Gefährte.

»Wie rein, wie glänzend,« murmelte Jener, kaum die Bemerkung des Gutsbesitzers beachtend, »war das Licht, welches die-Sonne über die Erde zu unsern Füßen warf! Wie herrlich triumphierte seine Helligkeit eine Zeitlang über die Schatten um uns her und doch, wie schnell verblich es trotz der Verheißungen dieses Strahlenschimmers in seinem Kampfe mit der Finsterniß —— wie gänzlich ist es jetzt schon von der Erde geschieden und hat die Schönheit seines Schimmers dem Himmel entzogen! Schon Verlängern sich die Schatten um uns und hüllen jeden Gegenstand auf dem Platze in ihr Dunkel ein; kaum noch eine kurze Stunde und die Schwärze der Nacht wird sich —— wenn der Mond nicht erscheint —— widerstandslos über Rom ausbreiten!.«

»Zu welchem Zwecke sagst Du mir das?«

»Erinnert Dich nicht das, was wir beobachtet haben, an die Laufbahn der Religion, die zu bekennen wir das Glück haben. Bezeichnet nicht jenes erste herrliche Licht ihren reinen vollkommenen Aufgang, jener kurze Kampf zwischen Helligkeit und Finsterniß ihre erfolgreiche Bewahrung durch die Apostel und Väter, das schnelle Verbleichen der Strahlen, ihre Entweihung in späterer Zeit und das uns jetzt umgebende Dunkel, das Verderben, welches sie in dem Zeitalter, wo wir leben, umschlungen hat? —— ein Verderben, welches nichts abwenden kann, als die Rückkehr zu dem reinen ersten Glauben, welche jetzt die Hoffnung unserer Religion sein muß, wie der Mond die Hoffnung der Nacht ist?«/p>

»Wie sollen wir reformieren? Kümmern sich Menschen, die keine Freiheit haben, um die Religion?« Wen soll sie belehren?«

»Ich habe es gethan —— ich werde es thun. Es ist der Zweck meines Lebens, ihnen die Heiligkeit der alten Kirche zurückzugeben; sie aus den Fallstricken der Hochverräther am Glauben, die die Menschen Priester nennen, zu erlösen. Sie sollen durch mich erfahren, daß die Kirche einst keinen Schmuck? gekannt hat, als die Gegenwart der Reinen, daß der Priester kein schöneres Gewand begehrt hat, als seine Frömmigkeit, daß das Evangelium, welches einst Demuthlehrte und jetzt Uneinigkeit erregt, in früheren Zeiten, die Regel des Glaubens, für alle Bedürfnisse genügend, alle Schwierigkeiten beherrschend —— war. Durch mich sollen sie erfahren, daß es in alter Zeit der Hüter des Herzens war, durch mich sollen sie sehen, daß es jetzt ein Spielzeug der Stolzen ist —— durch mich sollen sie fürchten, daß es in künftigen Tagen aus der Kirche verbannt werden kann!

»Dieser Aufgabe habe ich mich geweiht, dem Umsturz dieses Götzendienstes, welcher sich mit seinen Bildern, Reliquien, Juwelen und seinem Golde gleich einem zweiten Heidenthume unter uns erhebt, will ich mein Kind, mein Leben, meine Kräfte und Habe weihen. Von diesem Versuche werde ich mich nie abwenden —— vor diesem Entschlusse nie zurückweichen. So lange ich noch einen Hauch des Lebens besitze werde ich darauf beharren, dieser gottlosen Stadt die wahre Verehrung des Höchsten wiederzugeben!«

Er brach kurz ab. Die Fülle seiner Bewegung schien ihm plötzlich die Fähigkeit der Rede zu rauben. Jede Muskel im ganzen Körper jenes strengen, trüben Mannes bebte bei den unsterblichen Eingebungen seiner Seele. Es lag fast etwas Weibliches in seiner gänzlichen Hingebung an den Einfluß einer einzigen Empfindung. Selbst der rauhe, verzweifelte Gutsbesitzer fühlte Ehrfurcht vor dem Enthusiasmus des Wesens vor ihm und vergaß das ihm widerfahrene Unrecht, trotz seiner Furchtbarkeit, und sein Elend, so drückend es auch war, als er in das Gesicht seines Gefährten blickte.

Einige Minuten lang sprach Keiner von den Männern weiter ein Wort. Bald beschwichtigte jedoch der, welcher zuletzt gesprochen, seine Aufregung mit der Selbstbeherrschung eines Mannes, der gewohnt ist, die Bewegung, welche er nicht ersticken kann, zu unterdrücken, trat auf den Gutsbesitzer zu und ergriff trübe dessen Hand.

»Ich sehe, Probus, daß ich Dich überrascht habe,« sagte er, »aber die Kirche ist der einzige Gegenstand, über welchen ich keine Zurückhaltung besitze. In allen anderen Dingen habe ich die Hitze meiner frühem Jahre besiegt, in diesem muß ich immer noch mit meinem ungebärdigen Herzen kämpfen. Wenn ich auf die Betrügereien, welche um uns aufgeführt werden, blicke, wenn ich eine lügnerische Priesterschaft, ein getäuschtes Volk, eine befleckte Religion sehe, dann gestehe ich, daß die Entrüstung meine Geduld überwältigt, und ich da, wo ich nur zu verbessern hoffen sollte, zu vernichten glühe.«

»Ich weiß, daß Deine Einbildungskraft stets höchst lebhaft war; als ich Dich aber das letzte Mal sah, war Dein Enthusiasmus der der Liebe, Dein Weib ——«

»Frieden! sie hat mich betrogen.«

»Dein Kind ——«

»Lebt bei mir in Rom.«

»Ich erinnere mich ihrer aus ihrer frühesten Jugend, als ich vor vierzehn Jahren Dein Nachbar in Gallien war. Bei meiner Abreise aus der Provinz warst Du so eben von einer Reise nach Italien zurückgekehrt und ohne Erfolg in Deinen Versuchen gewesen, dort eine Spur von Deinen Eltern oder dem älteren Bruder zu entdecken, dessen Abwesenheit von Dir Du beständig zu beklagen pflegtest. Sage mir, hast Du seit jener Periode die Mitglieder Deines vormaligen Haushalts entdeckt? Bisher bist Du so damit beschäftigt gewesen, die Geschichte des mir widerfahrenen Unrechtes anzuhören, daß Du kaum von den Veränderungen gesprochen hast, welche seit unserer letzten Begegnung in Deinem Leben vorgegangen sind.«

»Wenn ich in Bezug auf mich gegen Dich geschwiegen habe, Probus, so ist es deshalb geschehen, weil der Rückblick für mich wenig Anziehendes besitzt. So lange es noch in meiner Macht stand, zu den Eltern zurückzukehren, die ich in meinen Knabenjahren verlassen hatte, dachte ich nicht an Reue, und jetzt, wo sie nur zu gewiß für mich verloren sind, ist meine Sehnsucht nach ihnen nutzlos. Von meinem Bruder, den ich in einem Augenblicke kindischer Eifersucht und Erzürnung verließ und für dessen Verzeihung und Liebe ich selbst meinen Ehrgeiz opfern würde, habe ich noch keine Spur zu entdecken vermocht. Die Entschädigung Derjenigen, welche ich in meinen frühem Jahren verletzt habe, ist ein den Gebeten meines Alters versagtes Vorrecht. Ich schied ungesegnet von meinen Eltern und meinem Bruder und fühle, daß ich dazu bestimmt bin, zu sterben, ohne ihren Segen und ihre Verzeihung erhalten zu haben. Mein Leben ist leichtsinnig, nutzlos, gottlos gewesen, von Raub und Gewaltthat zu Ueppigkeit und Trägheit übergegangen und hat mich zu der Heirath geführt, in welcher ich triumphierte, als ich Dich das letzte Mal sah, die aber, wie ich jetzt fühle, in ihren Beweggründen meiner eben so unwürdig, wie in ihren Resultaten war. Aber gesegnet, dreifach gesegnet sei jenes letzte Unglück meiner gottlosen Existenz, denn es öffnete meine Augen der Wahrheit —— es machte mich zu einem Christen, während ich noch das Leben hatte. Damals war es, Probus, als ich mich verlassen und entehrt sah, allein geblieben, um der Hüter meines hilflosen Kindes zu sein, auf ewig aus einem Vaterhause, dem ich selbst entsagt, verbannt, daß ich ernstlich meine Missethaten bereute, daß ich Weisheit in dem Buche des Heils und Lebensregeln bei den Vätern der Kirche suchte.

»Zu jener Zeit entschloß ich mich, mein Kind, wie Samue1 in alter Zeit, dem Dienste des Himmels und mich der Reformation unserer in den Staub gezogenen Religion zu weihen. Wie ich Dir schon erzählt habe, verließ ich meine Wohnstätte und veränderte meinen Namen, —— erinnere Dich, daß Du mich von nun an nur Numerian nennen darfst —— damit von meinem früheren Selbst keine Ueberbleibsel mehr vorhanden seien, damit mich von meinen früheren Genossen keiner je wieder entdecken und verlocken könne. Mit unablässiger Sorgfalt habe ich meine Tochter vor der Befleckung der Welt geschützt. Sie ist im Hause ihres Vaters bewacht und gehütet worden, wie. ein kostbares Juwel in der Hand eines Geizigen. Ihre Bestimmung ist es, die Bekümmerten zu trösten, die Kranken zu pflegen, den Unglücklichen beizustehen, wenn ich ihr Lehrer, dem Lande die Herrschaft seines alten Glaubens und die Leitung seines fehlerlosen Evangeliums zurückgegeben habe. Wir Beide besitzen weder eine Neigung, noch eine Hoffnung, die uns an die Dinge dieser Erde binden kann. Unserer Beider Herzen blicken nach dem Himmel, unsere Hoffnungen sind nur nach Oben gerichtet.«

»Setzest Du nicht Deine Erwartungen zu fest auf Dein Kind? Erinnere Dich, wie die römischen Adeligen meine frühere Haushaltung vernichtet haben, und zittere für die Deine.«

»Für meine Tochter fürchte ich nichts. In meiner Abwesenheit behütet sie Einer, der das Gelübde gethan hat, mich in meinen Arbeiten für die Kirche zu unterstützen. Es ist jetzt beinahe ein Jahr her, seit ich Ulpius getroffen, und seit jener Zeit hat er sich meinem Dienste geweiht und über mein Kind gewacht.«

»Wer ist der Ulpius, daß Du solches Vertrauen in ihn setztest?«

»Er ist ein Mann von demselben Alter wie ich. Ich fand ihn, gleich mir, von den Unglücksfällen seines früheren Lebens niedergebeugt und, wie einst auch ich, den Blendwerken der heidnischen Götter ergeben. Er war trostlos, leidend, einsam und ich hatte in seinem Unglück Mitleid für ihn. Ich bewies ihm, daß die Religion, zu welcher er sich noch bekannte, wegen ihrer Frevel aus dem Lande verbannt, daß die, welche ihr folgte, durch die Menschen verderbt worden war, und daß er nur einen Glauben wählen konnte, wenn er zum Heile gelangen wollte —— den Glauben der ersten Kirche. Er hörte mich an und bekehrte sich. Seit jenem Augenblicke hat er mir geduldig gedient und bereitwillig beigestanden. Unter dem Dache, wo ich die Wenigen versammle, welche bis jetzt dem wahren Glauben ergeben sind, ist er der Erste, welcher kommt, und der Letzte, der da geht. Seinen Lippen ist noch kein Wort des Zornes entschlüpft, in seinen Augen noch kein Blick des Unmuthes erschienen. Wenn auch bekümmert, ist er doch sanft, wenn auch leidend, doch fleißig. Ich habe ihm Alles, was ich besitze, anvertraut und freue mich meiner Leichtgläubigkeit. Ulpius ist Unbestechlich!«

»Und Deine Tochter? —— wird Ulpius von ihr eben so verehrt, wie Du ihn achtest?«

»Sie weiß, daß es ihre Pflicht ist, zu lieben, wen ich liebe, und zu vermeiden, wen ich vermeide. Kannst Du Dir vorstellen, daß eine christliche Jungfrau Gefühle besitzt, die gegen die Wünsche ihres Vaters laufen? Komm in mein Haus, urtheile mit eignen Augen über meine Tochter und meinen Genossen. Du, dem sein Unglück keine Heimath gelassen hat, sollst, wenn Du willst, bei mir eine finden. Komm also und arbeite mit mir an meinem großen Unternehmen. Du wirst Deinen Geist von der Betrachtung Deiner Schmerzen abziehen und durch Deine Hingebung die Gunst des Höchsten verdienen.«

»Nein, Numerian, ich will unabhängig bleiben, selbst von meinen Freunden. Weder Rom noch Italien sind für mich Rastorte. Ich gehe nach einem andern Lande, um unter einem andern Volke zu leben, bis die Waffen eines Eroberers in allen Ländern des Reiches dem Guten Freiheit und dem Rechtschaffenen Schutz verliehen haben werden.«

»Probus, ich flehe Dich an, bleibe!«

»Nein! mein Entschluß ist gefaßt; lebe wohl, Numerian!«

Und der Landmann eilte schnell hinweg, als fürchte er, daß seine Entschlossenheit gegen die Ueberredungen seines Freundes nicht länger Stand halten würde.

Auf einige Minuten stand Numerian unbeweglich da und blickte verlangend nach der Gegend, in welcher sich sein Gefährte entfernt hatte. Anfänglich milderte ein Ausdruck des Kummers und Mitleids die Strenge, welche das Kennzeichen seiner Züge, wenn sich dieselben in Ruhe befanden, zu sein schien, bald aber war es, als ob diese milderen, zarteren Gefühle eben so plötzlich aus seinem Herzen verschwunden wären, als sie in demselben aufgestiegen waren. Sein. Gesicht nahm wieder seine gewohnte Härte an und er murmelte, während er sich unter die der Basilica zueilende Menge mischte, vor sich hin:

»Er möge unbedauert scheiden, er hat sich dem Dienste seines Schöpfers versagt; er darf nicht mehr mein Freund sein!«

In diesen Worten lag der Schlüssel zu dem Charakter, des Mannes. Seine Existenz war nur eine lange Aufopferung, eine Scene unerschrockener Selbstentäußerung. Wiewohl er in den kurzen Andeutungen über die Ereignisse seines Lebens, die er seinem Freunde gegeben, den Umfang seiner Irrthümer übertrieben hatte, war er doch keineswegs gerecht gegen die Gluth seiner Buße gewesen, einer Buße, die die gewöhnlichen Grenzen der Reue überschritt und in Verzweiflung begann, nur um mit Fanatismus zu enden. Seine Flucht aus dem väterlichen Hause —— in deren Gründe wir jetzt nicht einzugehen beabsichtigen —— und sein langes, darauf folgendes Leben der Gewaltthätigkeit und Ausschweifung machte seine von Natur starken Leidenschaften ungeeignet, sich selbst dem leisesten Zwange zu unterwerfen. Ihrem ersten Antriebe gehorsam, schloß er in seinen reiferen Jahren eine Ehe mit einem der glühenden Bewunderung, welche es eingeflößt hatte, gänzlich unwerthen Weibe. Als er sich von demselben betrogen und entehrt sah, vibrierte der Schlag eines solchen Unglücks durch sein ganzes Wesen, —— erdrückte alle seine Kräfte —— streckte ihn auf einen Stoß mit Herz und Geist zu Boden. Die in seiner Zeit des Glückes mit moralischer Straflosigkeit begangenen Irrthümer seiner Jugend, wirkten in seinem Unglück mit einem für seinen künftigen Frieden verderblichen Einflusse auf ihn zurück. Seine Reue wurde von Trostlosigkeit verdunkelt, seine Entschlüsse durch keine Hoffnung erhellt. Er wendete sich der Religion zu, wie der Selbstmörder dem Messer —— in Verzweiflung. Alle Aufmunterungen, welche er in den Lehren der Priester oder den Gebräuchen der Kirche erblickte, verdammte er als die trügerischen Verblendungen menschlicher Unvollkommenheit und Anmaßung Er ging in der Geschichte seiner Religion von einer Periode zur andern zurück und suchte nach Strenge, wie andere Menschen nach Erbarmen, bis er bei dem Christenthum der ersten Tage der Kirche stehen blieb. In der stoischen Praxis und unfruchtbaren Theorie der alten Gläubigen fand er ein mit seinen neuen Ueberzeugungen übereinstimmendes System. Tag um Tag suchte er begierig unter den von den strengsten der ersten Kirchenväter hinterlassenen Schriften, bis ihn das stete Brüten über ihren starren, strengen Lehren endlich auf den Glauben führte, daß selbst das Vorhandensein der geselligen Gefühle in seinem Innern eine Sünde sei. Er erinnerte sich, daß ihn diese Gefühle in seiner Jugend irre geleitet hatten, und glaubte, daß seine Seligkeit in Gefahr und seine Reue unaufrichtig sei, so lange noch eines davon sein Mannesalter beeinflußte. Durch seinen thätigen Geist angespornt, der düsteren Ruhe zu entsagen, welche er sich gern auferlegt haben würde,und einen Zweck im Leben zu erlangen, dem er sein Herz wie einer Leidenschaft weihen könne, wählte er die Reformation der entwürdigten Kirche als die edelste und reinste Beschäftigung, die er unternehmen konnte. Sobald er einmal diesen Plan gefaßt hatte, gehörte es sowohl zu seinem Temperamente, wie zu seinen Grundsätzen, sich rückhaltslos der Beförderung desselben hinzugeben. Jede Neigung, wie unschuldig sie auch an sich sein mochte, die sich, ohne mit seinem Hauptzwecke in Verbindung zu stehen, in seinem Innern erhob, verdammte er als Ueberbleisel seiner früheren Natur und unterdrückte sie —— mit welchen Schmerzen, vermag Niemand zu sagen —— als Verrätherin der Möglichkeit eines moralischen Rückfalls. Obgleich er nur ein Laie war, nahm er doch keinen Augenblick Anstand, sich ein Gebäude zu verschaffen, welches er als Kirche gebrauchen konnte und Anhänger zu suchen, um sie als Gemeinde zu belehren. Bei jedem Scheine von Fortschritt, welchen er im Laufe seiner gefahrvollen Arbeiten zu entdecken glaubte, fühlte er ein geheimes phantastisches Entzücken, welches ihn für den Augenblick über alle irdische Sympathieen und Rücksichten erhob. Er hoffte, wenn Andere verzweifelt sein würden, er arbeitete, wenn Andere schwach geworden wären. Der Enthusiasmus für seine Sache stieg auf eine solche Höhe, daß er sein weltliches Wahrnehmungsvermögen abstumpfte, ihn für Beleidigung unempfindlich, gegen Betrug vertheidigungslos und gegen Gefahr gefühllos machte, wenn sie ihm bei der Verfolgung seiner Pläne begegneten. Er schulte sich so weit, daß er seine Tochter nur noch als ein Muster zum Beweise der Möglichkeit, Andere zur Beförderung seines großen Planes zu erziehen, betrachtete. Er erblickte in seinem Vermögen und Einflusse nur das Mittel zur Erreichung eines einzigen Zweckes, kurz er hatte seinem Unternehmen, wie er auch gegen Probus sagte, »sein Leben, sein Kind, seine Kräfte und Habe« geweiht. [Wenn der Leser die Möglichkeit des Versuchs einer Reformation der römischen Kirche im fünften Jahrhundert bezweifeln sollte, so möge er Gibbons Verfall und Sturz des römischen Reichs Kap. 28. Anmerkung 174 und die Controversen zwischen Hieronymus und Vigilantius, »dem Protestanten seiner Zeit,« zu Rathe ziehen.]

Wir versparen die Besprechung aller weiteren Eigenthümlichkeiten in Numerian’s Charakter bis auf eine künftige Gelegenheit, und folgen ihm jetzt durch die Menge bis zum Eingange der Basilica, wobei wir fortfahren, ihn hier und anderswärts mit dem Namen zu bezeichnen, welchen er bei seiner Bekehrung angenommen hatte, und unter welchem er sich bei seiner Zusammenkunft mit dem flüchtigen Landmann anzureden ausgebeten hatte.

Wiewohl sich unser Enthusiast im Beginn seines Ganges nach der Kirche unter den hintersten Mitgliedern der auf dieselbe zueilenden Menge befunden hatte, gelang es ihm doch, bald seine trägen und schwatzhaften Nachbarn so gänzlich zu überflügeln, daß er nach geringem Verzug die Stufen des geweihten Gebäudes erreichte. Hier mußte er mit vielen Anderen anhalten, bis sich die der Basilika Nächsten durch die hohen Thore. derselben gedrängt hatten. An einer solchen Stelle konnte seine auffallende Gestalt der Beobachtung nicht entgehen, und er wurde schweigend von vielen Umstehenden erkannt, von denen ihn die Einen mit Verwunderung, die Andern mit Widerwillen anblickten. Er wurde jedoch von Keinem angeredet. Alle fühlten die Notwendigkeit, einen Mann zu scheuen, der durch seine kühne, tägliche Auseinandersetzung der Mißbräuche der Kirche seine Freiheit und selbst sein Leben gefährdet.

Unter denjenigen, welche Numerian umgaben, befanden sich jedoch Zwei, die sich nicht damit begnügten, nachlässig jeden Verkehr mit dem unerschrockenen, verdächtigen Reformator zu vermeiden. Diese beiden Männer gehörten zur niedrigsten Klasse der Geistlichkeit und schienen damit beschäftigt zu sein, vorsichtig die Handlungen der Individuen um sie her zu beobachten und deren Gespräche zu belauschen. Sobald sie Numerian erblickten, entfernten sie sich so weit, daß sie seiner Beobachtung entgingen, zugleich aber eine solche Stellung einnahmen, daß sie den Gegenstand ihres offenbaren Mißtrauens im Auge behalten konnten.

»Schau, Osius,« sagte der Eine, »der Mann ist wieder hier.«

»Und ohne Zweifel in derselben Absicht, welche, ihn gestern hierher gebracht hat,« antwortete Jener. »Du wirst sehen, daß er wieder in die Kirche tritt, den Gottesdienst anhört, sich nach seiner kleinen Kapelle auf dem Monte Pincio begibt und dort die von unsern Brüdern gepredigten Lehren vor seinen zerlumpten Anhängern angreift, wie er es, wie wir wissen, vergangene Nacht gethan hat und wie er es wahrscheinlich fortwährend thun wird, bis die Behörden es für angemessen halten, das Zeichen zu seiner Einsperrung zu geben.«

»Es wundert mich nur, daß man ihm so lange gestattet hat, in seiner Widersetzlichkeit gegen die Kirche fortzufahren, wie es geschehen ist. Haben wir nicht in seinen Schriften allein schon Zeugniß genug, um ihn der Ketzerei zu überweisen? Die Nachlässigkeit des Bischofs in einer solchen Sache ist wahrhaft unerklärlich.«

»Du mußt bedenken, daß, da Numerian kein Priester ist, die Sorglosigkeit wegen unserer Interessen eher den Senat, als den Bischof trifft. Alle Zeit, die der Adel sich von seinen Ausschweifungen abmüßigen kann, ist bis vor Kurzem auf Diskussionen über das Benehmen des Kaisers, als er sich nach Ravenna zurückzog, verwendet worden und wird jetzt der Nachforschung über den Grund des Gerüchtes wegen der Gothen geweiht werden. Was kümmert sich übrigens der Senat, selbst wenn er Zeit dazu hätte, um theologische Streitigkeiten? Er kennt diesen Numerian nur als einen römischen Bürger, einen Mann von einigem Einflusse und Vermögen, und daher als politisch wichtige Person unter der Bevölkerung. Außerdem würde es gerade in diesem Augenblicke deine leichte Aufgabe von uns sein, die von unsern Angreifer vorgebrachten Lehren zu bekämpfen, denn der Bursche versteht mit beunruhigender Leichtigkeit das, was er sagt, aus der Bibel zu unterstützen.«

»Glaube mir, daß in dieser Sache die einzige Art, uns Gerechtigkeit zu verschaffen, die sein wird, ihn der Verleumdung gegen die höchsten Würdenträger der Kirche zu überweisen.«

»Der uns vor Kurzem zu Theil gewordene Befehl, seinen Bewegungen nachzuspüren und seine Reden zu belauschen, läßt mich glauben, daß unsere Vorgesetzten Deiner Ansicht sind.«

»Mögen meine Uederzeugungen richtig sein oder nicht, so bin ich doch darüber gewiß, daß die Tage seiner Freiheit gezahlt sind. Erst vor wenigen Stunden sah ich den ersten Assistenten beim Kammerherrn des Bischofs und er sagte mir, daß er durch eine Thürklinke gehört habe ——«

»Still! er bewegt sich, er drängt sich vor, um in die Kirche zu gelangen. Du kannst mir, während wir ihm folgen, erzählen, was Du sagen wolltest. Schnell! wir wollen uns unter die Menge mischen.«

Die Beiden, in der Ausübung ihrer widerlichen Pflichten stets enthusiastischen Hirten der christlichen Heerde folgten Numerian mit der größten Vorsicht in das Innere des Tempels.

Wiewohl die Sonne noch einen schwachen rdthen Streifen am westlichen Himmel zurückgelassen hatte und der Mond kaum erst aufgegangen war, brannten doch bereits die von dem Bischofe in seiner Proklamation an das Volk erwähnten zweitausend vierhundert Flammen auf dem großen Kronleuchter. In den Tagen ihrer ernsten und heiligen Schönheit würde würde das Aussehen der Kirche durch diesen künstlichen Glanz schwer gelitten haben, jetzt aber, wo sich der alte Charakter der Basilica völlig verändert, wo sie sich aus einem feierlichen Tempel in einen üppigen Palast verwandelt hatte, gewann sie durch die flimmernde Erleuchtung ungemein. Jeder Zierrath in ihrem langen herrlichen Schiffe glitzerte mit der größten Deutlichkeit in dem sich von der Decke herab ergießenden blendenden Lichte. Die vergoldeten Dachbalken, die glatten eingelegten Marmorsäulen, die schweren Vorhänge der Fenster, die Juwelenbesetzten Leuchter auf den Altären, die Gemälde, Statuen, Broncen und Mosaikarbeiten schimmerten alle in einem für das Auge geradezu berauschenden, üppigen Glanze. An keinem Gegenstande war jetzt eine Spur von Abnutzung oder Verbleichen zu erblicken. Jeder Theil des Schiffes, auf welchen sich das Auge lenkte, erschien in zu schöner fleckenloser Helle, um je von sterblichen Händen berührt worden zu sein. Der bezauberte und verwirrte Blick schweifte über das strahlende Schauspiel, bis er von der ununterbrochenen Schönheit desselben ermüdet, um Ruhe zu suchen, auf den dämmernd erleuchteten Flügeln haftete und mit Entzücken auf den milden Schatten verweilte, die um ihre, fernen Säulen schwebten und den vorüber gleitenden Gestalten folgten, die ihre dunkeln Nischen bevölkerten oder an ihren hohen Wänden hingingen.

In dem Augenblicke, wo Numerian die Basilica betrat, war ein Theil des Gottesdienstes zu Ende. Das letzte schwache Echo der Stimmen des Chores zitterte noch in der weihrauchschweren Luft und die ungeheuren Massen der Zuschauer waren noch in ihre verschiedenartigen lauschenden Stellungen gruppiert, als der eifrige Reformator in die Kirche hinauf blicke. Selbst er schien trotz seiner Strenge, auf einen Augenblick durch den unnennbaren Zauber des Schauspiels beschwichtigt zu, werden, bald aber runzelte sich seine Stirn wie über seine unfreiwillige Bewunderung unzufrieden und er seufzte schwer, als er —— noch immer von den aufmerksamen Spionen gefolgt —— die vergleichsweise Abgeschiedenheit der Flügel aufsuchte.

Während der Zeit zwischen den Abtheilungen des Gottesdienstes beschäftigte sich die Gemeinde damit die Reliquien zu begaffen, welche in einem silbernen Schreine mit kristallenen Thüren auf dem Hochaltare standen, wiewohl es unmöglich war, einen deutlichen Anblick dieser kirchlichen Schätze zu erlangen, nahmen sie dessen ungeachtet die Aufmerksamkeit Aller in Anspruch, bis das Erscheinen eines Priesters auf der Kanzel das Zeichen zum Beginne der Predigt gab und Alle, welche Sitze hatten, ermahnte, sich derselben ohne Säumen zu bedienen.

Eine ausführliche Analyse der bei diesem Anlasse gehaltenen Predigt würde die Zeit des Lesers, ohne besonderen moralischen oder literarischen Vortheil, in Anspruch nehmen. Es genüge, wenn wir, ehe wir zu wichtigeren Dingen übergeben, sagen, daß die Predigt ungeheuer lang war, daß sie mit theatralischer Heftigkeit der Gebärden in düster einförmigem Tone gehalten wurde und ihr Gegenstand, —— das Märtyrerthum des heiligen Lukas, zu einer Grundlage diente, aus welcher der eifernde Prediger das imposante Gebäude einer Philippika gegen die Arianer errichtete. Er begann damit, daß er es für einigermaßen möglich hielt, daß es zu St. Lucas Zeiten Arianer gegeben habe, sprach —— über seine Annahme raisonnirend, als ob es eine Gewißheit gewesen wäre —— seine feste Ueberzeugung aus, daß die Mörder des Evangelisten Arianer gewesen seien, und schloß, indem er die unglückseligen Arianer an’s Ende stellte, damit, daß er der Reihe nach alle Nationen, Religionen, Sekten und Individuen, die nicht bereit seien, die Unfehlbarkeit des römischen Bischofs und die Authentieität der Reliquiensammlung in der St. Peters-Basilica anzuerkennen, zur unbedingten Verdammniß verurtheilte.

Wir schreiten durch die Reihen der Zuhörer dieser Predigt hin, von denen die Einen beschäftigt waren, die Lichter auf dem Kronleuchter zu zählen, um überzeugt zu sein, daß sie der Bischof um keine einzige von den zweitausend vierhundert Flammen betrogen habe, während Andere sich flüsternd unterhielten und kleine Schachteln mit Süßigkeiten öffnen —— und führen den Leser wieder aus der Kirche.

Die Versammlung war jetzt bedeutend dünner geworden, die von den hohen Säulenhallen aus den Boden geworfenen Schatten hatten sich noch mehr verdunkelt und vergrößert und an vielen von den abgelegeneren Stellen des Platzes war kaum ein menschliches Wesen mehr zu erblicken. An einer von diesen äußersten Stellen, wo die Säulen auf der Straße endigten, und die Finsterniß am dichtesten war, stand ein einsamer alter Mann, der sich vorsichtig in der Dunkelheit versteckt hielt und aufmerksam nach dem unmittelbar vor ihm liegenden Wege hinaus schaute.

Er hatte erst kurze Zeit gewartet, als ein hübscher Wagen, vor welchem einer Leibwache von schön gekleideten Sklaven herging, wenige Schritte von seinem Verstecke entfernt anhielt und die Stimme der darin befindlichen Person hörbar die folgenden Werte sprach:

»Nein, nein, fahre zu —— es ist später, als ich dachte. Wenn ich Verweile, um die Illumination der Basilica zusehen, so werde ich nicht zeitig genug zurückkehren können, um meine Gäste zum heutigen Banket zu empfangen. Ueberdies hat sich dieses unschätzbare Kätzchen von der bei den alten Egyptern am höchsten geehrten Art bereits erkältet und ich möchte um alle Welt nicht das gefühlvolle Thierchen länger als nöthig der Nachtluft aussetzen. Fahre zu, guter Carrio, fahre zu.«

Der alte Mann wartete kaum auf die Beendigung dieser Worte, ehe er zu dem Wagen heran lief, wo ihm augenblicklich zwei Köpfe begegneten, der des Senators Vetranio und der eines glänzend schwarzen Kätzchens mit einem Rubinenhalsband, welches halb in die weiten Gewänder seines Herrn gehüllt war. Ehe der erstaunte Edelmann auch nur ein Wort sprechen konnte, flüsterte ihm der Greis in leiser, beflügelter Rede zu.

»Ich bin Ulpius, Entlaß Deine Diener —— ich habe Dir etwas Wichtiges zu sagen.«

»Da, mein wackerer Ulpius, Du hast die höchst unglückliche Eigenschaft, Mittheilungen mit dem Wesen eines Meuchelmörders. zu machen! Aber ich muß Deine unangenehme Weise aus Rücksicht auf Deinen Eifer entschuldigen. Vortrefflicher Carrio, wenn Dir an meiner Zufriedenheit etwas gelegen ist, so entferne Deine Gefährten und Dich außer Hörweite.«

Der Freigelassene leistete dem Befehle seines Herrn augenblicklichen Gehorsam. Jetzt begann folgendes von dem sonderbaren Alten eingeleitetes Gespräch.

»Erinnerst Du Dich Deines Versprechens?«

»Ja.««

»Bist Du auf Deine Ehre als Edelmann und Senator bereit, es zu halten, wenn es nöthig sein wird?«

»Ja.«

»Dann triff mich mit der Morgendämmerung an der Privatthür Deines Palastgartens und ich werde Dich in Antonina’s Schlafgemach führen.«

»Die Zeit sagt mir zu, warum aber mit der Morgendämmerung?«

»Weil der Christennarr bis Mitternacht eine Vigilie hatte»wird, der das Mädchen aller Wahrscheinlichkeit nach beiwohnt. Ich wollte Dir es in Deinem Palaste sagen, hörte aber dort, daß Du nach Aricia gegangen seist und über die Basilica zurückkehren würdest. Ich habe mich daher in den Hinterhalt gelegt, um Dich so aufzufangen.«

»Du eifriger Ulpius!«

»Behalte Dein Versprechen im Gedächtniß.«

Vetranio lehnte sich vor, um zu antworten, aber Ulpius war verschwunden.

Als der Senator wieder weiter zu fahren befahl, blickte er aus dem Fenster des Wagens, als erwarte er, daß sein seltsamer Anhänger. sich noch in der Nähe desselben aufhalten würde. Er bemerkte jedoch nur einen ihm unbekannten Mann, der von zwei andern gefolgt, schnell an ihm vorüberging. Es war Numerian mit den beiden Spionen.

»Endlich nähern sich meine Pläne der Ausführung!« rief Vetranio vor sich hin, als er und sein Kätzchen im Wagen abfuhren. »Es ist ein Glück, daß ich heute daran gedacht habe, mir Juliens Villa zu verschaffen, da ich sie jetzt sicherlich morgen brauchen werde. Beim Jupiter, welche Menge von Gefahren, Widersprüchen und Räthseln diese Geschichte umgeben! Wenn ich bedenke, daß ich, der ich aus meine Philosophie stolz war, Ravenna verlassen, eine Privatvilla geliehen, mich mit einem ungebildeten Plebejer verbündet habe und Alles nur um des Mädchens willen, das bereits meine Erwartungen getäuscht hat, indem es mich zum Musiklehrer erlangte, ohne mich als Liebhaber anzunehmen, so bin ich, wahrhaftig über meine Schwäche erstaunt. Man muß jedoch gestehen, daß das Aussehen, welches mein Abenteuer seit einiger Zeit angenommen hat, demselben an sich schon einiges Interesse verleiht. Das bloße Vergnügen, in die Hausgeheimnisse dieses Numerian zu dringen, ist keineswegs der geringste von den zahlreichen Reizen meines Planes. Wie hat er seinen Einfluß auf das Mädchen erworben? Warum hält er es in so strenger Abgeschiedenheit? Wer ist das alte halbrasende, unceremoniöse Menschenungeheuer, das sich Ulpius nennt, jede Belohnung seiner Schurkerei ausschlägt, über die Rückkehr zu der alten Götterreligion faselt und über das Versprechen jubelt, welches er mir als einem guten Heiden entrissen hat, die erste Wiederherstellung des alten Götterdienstes, die in Rom versucht werden würde, zu unterstützen? —— Wo kommt er her? Warum bekennt er sich äußerlich zum Christenthume? Was hat ihn in Numerian’s Dienst gebracht? —— Beim Gürtel der Venus, Alles, was mit dem Mädchen zusammenhängt, ist eben so unbegreiflich wie sie selbst. Aber Geduld —— Geduld! Nur noch wenige Stunden und diese Geheimnisse werden sich enthüllen. Unterdessen wollen wir an mein Gastmahl und seine Schutzgottheit, die Nachtigallensauce, denken.«



Kapiteltrenner

Kapitel III.
Antonina.

Wer ist in Rom gewesen, ohne sich mit Entzücken der Reize des Monte Pincio zu erinnern? Wer ist nicht, nachdem er sich durch die Wunder der düsteren, traurigen Stadt geschleppt, durch einen Besuch seiner schattigen Spaziergänge und das Athmen seiner balsamischen Düfte neu belebt worden? Unter der feierlichen Trauer, die über dem verfallenden Rom herrscht, erhebt sich dieser köstliche Hügel leicht, luftig und einladend zur Erquickung für den Körper und zum Troste fürs den Geist. Von seinem, ebenen Gipfel erblicket man die Stadt in ihrer größten Majestät und die Umgegend in ihrem schönsten Kleide. Die Verbrechen und das Elend von Rom scheinen abgeschreckt zu werden, sich seinem beglückten Boden zu nähern, er macht aus den Geist den Eindruck eines durch den allgemeinen Willen für die Gegenwart der, Unschuldigen und Frohen bei Seite gesetzten Ortes —— einer Stelle, die durch Ruhe und Erholung gegen das Eindringen des Lärmens und der Mühe heilig gehalten wird. Sein Aeußeres in der neueren Zeit ist das Bild seines Charakters seit Jahrhunderten. Die Kriege konnten seine Schönheiten auf eine Zeitlang verdunkeln, der Friede stellte sie aber stets in aller ihrer ursprünglichen Lieblichkeit wieder her. Die alten Römer nannten ihn den Berg der Gärten, er hat bei allen Unglücksfällen des Reiches und Zuckungen des Mittelalters fortwährend seine alte Benennung verdient, und ist noch heutzutage triumphierend ein Berg von Gärten.

Zu Anfange des fünften Jahrhunderts stand die Herrlichkeit des Monte Pincio auf ihrem Gipfel. Wenn es sich mit dem Laufe unserer Geschichte verträge, auf der Pracht seiner Paläste und Haine, seiner Tempel und Gräber zu verweilen, so könnte vor dem Leser ein so glühendes Gemälde von natürlicher Schönheit unterstützten, künstlichen Glanzes ausgebreitet werden, daß er denken würde, man wolle seiner Leichtgläubigkeit spotten, während es sein Erstaunen erregte. Es ist hier jedoch unnöthig, eine solche Aufgabe zu versuchen. Nicht für die Wunder des alten Luxus und Geschmackes, sondern für die Wohnung des religionseifrigen Numerian halten wir es jetzt nöthig, Theilnahme zu erwecken und Aufmerksamkeit zu erregen.

Auf der Rückseite des Flaminischen Endes des Monte Pincio und dicht an der Stadtmauer stand zur Zeit, von welcher wir schreiben, ein kleines, aber elegant gebautes Haus von einem Gärtchen umgeben und von hinten durch die hohen Haine und Nebengebäude des Senators Vetranio geschützt. Diese Wohnung war einst eine Art von Sommerhaus des früheren Besitzers eines nahen Palastes gewesen.

Die Verschwendung und Ausschweifung hatten den Eigenthümer gezwungen, sich von diesem Theile seiner Besitzthümer zu trennen, welcher von einem Kaufmanne an sich gebracht wurde, den Numerian, dem das Haus beim Tode seines Freundes als Erbtheil zufiel, gut kannte. Sobald seine Reformationspläne von seinem Geiste Besitz ergriffen, schon über die Idee der Nähe bei den adeligen Wüstlingen von Rom entrüstet, hatte der strenge Christ sein Erbtheil zu verlassen und es an einen Andern zu verkaufen beschlossen, aber auf die wiederholten Bitten seiner Tochter endlich eingewilligt seine Absicht zu ändern und den Widerwillen gegen seine üppigen Nachbarn der jugendlichen Liebe seines Kindes für die Schönheiten der Natur, wie sie sich in seinem Legate auf dem Monte Pincio zeigten, geopfert.

Dies war der einzige Fall, in welchen: die angeborene Liebe des Vaters den Sieg über die angeeignete Strenge des Reformators davontrug. Hier ließet sich zum ersten und letzten Male zu den süßen Tändeleien der Jugend herab, hier richtete er, trotz seiner selbst, nachsichtig, seine kleine Haushaltung ein und erlaubte seiner Tochter, als einzige Erholung die Pflege der Blumen im Garten und den Genuß der schönen Aussicht in die Ferne.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Die Nacht ist seit den im vorigen Kapitel erwähnten Ereignissen um eine Stunde vorgerückt. Der helle, glänzende Mondschein Italiens erleuchtet jetzt jeden Bezirk der herrlichen Stadt und badet die Haine und Paläste auf dem Monte Pincio in seinen reinen Strahlen. Von dem Garten Numerian’s aus sind die unregelmäßigen Gebäude der großen Vorstädte von Rom, das fruchtbare, wellenförmige Land jenseits derselben und die langen Bergreihen inder Ferne in dem weichen, sanften Lichte deutlich sichtbar. In der Nähe der Stelle, von welcher man diese Aussicht hat, ist bei der erstens Betrachtung kein lebendes Wesen zu erblicken. Wenn man sich aber aufmerksamer und geduldiger umschaut, so kann man später an einem der Fenster von Numerian’s Hause, hinter einem Vorhange halb versteckt, die Gestalt eines jungen Mädchens erschauen.

Diese einsame Gestalt tritt bald dem Auge näher, die Mondstrahlen, welche bis jetzt nur auf das, Fenster geschienen haben, erleuchten nun auch andere Gegenstände. Zuerst zeigen sie einen kleinen weißen Arm, dann ein leichtes, einfaches Gewand, darauf einen schönen, graziösen Hals und endlich ein schimmerndes, jugendliches, unschuldiges Gesicht, welches sich unbewegt auf die weite monderhellte Aussicht der fernen Berge heftet.

Eine Zeitlang bleibt das Mädchen betrachtend am Fenster stehen, dann verläßt es seinen Posten und erscheint fast augenblicklich darauf an eine in den Garten führenden Thür. Ihre auf den vor ihr liegenden Rasenplatz zu schreitende Gestalt ist leicht und klein, in ihren Bewegungen zeigen sich natürliche Anmuth und Anstand —— sie hält an ihren Busen gepreßt und halb von ihrem Gewande verborgen eine vergoldete Laute. Sie hat eine Rasenbank erreicht, auf der man dieselbe Aussicht hat, wie am Fenster, legt ihr Instrument auf dem Knie zurecht und berührt mit einigermaßen zauderndem Wesen sanft die Saiten. Hierauf blickt sie, wie über den von ihr hervorgebrachten Ton in Schrecken, ängstlich um sich und scheint zu fürchten, daß sie gehört werden könne. In ihren großen, dunkeln, schimmernden Augen liegt ein Ausdruck von Besorgniß, ihre zarten Lippen öffnen sich halb. Ein plötzliches Erröthen steigt in ihren weichen, olivenfarbenen Wangen auf, während sie jeden Winkel des Gartens durchforscht. Nachdem sie ihre Untersuchung beendet, ohne einen Grund für den Verdacht, welchen sie zu hegen scheint, zu entdecken, nimmt sie wieder ihr Instrument vor. Sie schlägt von Neuem die Saiten an, diesmal aber mit kühnerer Hand. Die von ihr hervorgebrachten Töne vereinigen sich zu einer wilden, klagenden, unregelmäßigen Melodie, die, wie von dem launischen Einflusse eines Sommerwindes beherrscht, abwechselnd stärker und schwächer werden. Diese Töne vermehren sich bald harmonisch durch die Stimme der jungen Lautenschlägerin, die ruhig, voll und metallisch sich mit ausgesuchter Kunst jeder willkürlichen Veränderung im Tone der Begleitung anschmiegt. Das Lied, welches sie gewählt hat, ist eine von den phantastischen Oden der Zeit. Ihr Hauptvorzug liegt für sie in der Verbindung mit der seltsamen, orientalischen Melodie, welche sie bei ihrer ersten Begegnung mit dem Senator, der ihr die Laute schenkte, gehört.

Das Lied war bald zu Ende. Als aber die letzten Töne ihrer Stimme und Laute sanft in der stillen Nachtluft verklangen, zeigte sich aus dem Gesicht des Mädchens eine unbeschreibliche Erhebung. Sie blickte verzückt zu dem fernen, sternhellen Himmel auf ihre Lippe bebte, ihre dunkeln Augen füllten sich mit Thränen und ihr Busen wogte im Uebermaße der Empfindungen, welche die Musik und die Natur in ihrem Geiste erweckt hatten, dann schaute sie langsam um sich, verweilte liebevoll auf den duftigen Blumenbeeten, die das Werk ihrer eignen Hände waren und sah mit halb ehrfurchtsvollem, halb seligem Ausdrucke über die weithingedehnte, glatte, schimmernde Ebene und die stummen herrlichen Berge hin, die, so lange die Begeisterung ihre liebsten Gedanken gewesen waren und jetzt sanft und schön, wie die Träume ihres jungfräulichen Lagers, vor ihr leuchteten. Von den unschuldigen Gedanken und Erinnerungen, welche die Zauberflügel der Natur und Nacht in ihren Geist fächelten, überwältigt, beugte sie dann das Haupt auf ihre Laute herab, drückte ihre runde Grübchenwange an das glatte Gehäuse derselben, ließ die Finger mechanisch über die Saiten streifen und gab sich rückhaltslos ihren jungfräulichen, jugendlichen Träumereien hin.

Dies war das Wesen, welches der traurige Ehrgeiz seines Vaters zu einer lebenslänglichen Verbannung von Allem, was es in der menschlichen Kunst Anziehendes und im menschlichen Geiste Schönes giebt, geweiht hatte! Dies war die Tochter, deren Existenz nur eine lange Bekanntschaft mit dem Schmerze der Sterblichen, nur eine wechsellose Verweigerung aller menschlichen Freuden sein, deren Gedanken sich nur auf Predigten und Fasten, deren Handlungen sich nur aus das Verbinden fremder Wunden und das Trocknen fremder Thränen richten sollten, deren Leben, kurz gesagt, dazu verurtheilt trat, die Verkörperung des strengen Ideals ihres Vaters von den strengen Jungfrauen der alten Kirche zu werden!

Ihrer Mutter beraubt, aus der Gesellschaft Anderer ihres Alters verbannt, aller Vertraulichkeit mit irgend einem lebenden Wesen —— aller Sympathieen mit den Herzen Anderer entäußert, stets mit Befehlen, aber nie mit Nachsicht überhäuft, getadelt, aber nie gelobt, hätte sie unter der Strenge ihres Vaters erliegen müssen, wenn sie sich nicht den geringen Ungehorsam erlaubt und der einsamen Freude, die ihr ihre Laute verschaffte, hingegeben hätte. Umsonst las sie in ihren Stunden des Studiums die wüthenden Flüche gegen Liebe, Freiheit und Freude, Dichtkunst, Malerei und Musik, Gold, Silber und Edelgesteine, welche die alten Kirchenväter zur Beachtung der unterwürfigen Gemeinden früherer Tage abgefaßt hatten, umsonst bildete sie sich während jener langen theologischen Unterrichtsstunden ein, daß die verbotenen Wünsche ihres Herzens verbannt und vernichtet wären, daß ihr geduldiger, kindergleicher Charakter sich zu völliger Unterwürfigkeit gegen die strengsten Gebote ihres Vaters niedergebeugt habe. Ihre Gespräche mit Numerian waren kaum beendet, als auch die Eingebungen der Kunst in unserm Innern, welche die Natur zwar irre leiten, aber nie vernichten kann, zum Vergessen alles Dessen, was sie gehört, und zur Sehnsucht nach manchem Verbotenen lockte. Wir leben auf dieser Welt nur durch die Gesellschaft irgend einer Theilnahme, Sehnsucht oder Beschäftigung, welche uns zur gewöhnten Zuflucht von den von Außen herkommenden Plagen dient. Dasselbe Gefühl, welches Antoninen in ihrer Kindheit bewog, um einen Blumengarten zu bitten, veranlaßte sie in ihrem Jungfrauenalter, sich den Besitz einer Laute zu verschaffen.

Die Leidenschaft für die Musik, welche ihr den Besuch bei Vetranio eingab, die allein ihr Herz vor dem Verkümmern in der ihr auferlegten Einsamkeit errettete und in der bereits beschriebenen Art ihre Mußestunden ausfüllte, war ein Erbtheil ihrer Geburt.

Ihre spanische Mutter hatte ihr während der kurzen Zeit, daß es ihr gestattet war, über ihrem Kinde zu wachen, stundenlang in der Wiege vorgesungen. Der so auf die dämmernden Fähigkeiten des Kindes gemachte Eindruck verwischte sich nie. Obgleich ihre frühesten Wahrnehmungen nur das Elend ihres Vaters betrafen, obgleich die Form, welche bald seine verzweifelnde Reue annahm, sie zu einem Leben der Abgeschlossenheit und einer Erziehung von strengen Ermahnungen verurtheilte, überlebte doch die leidenschaftliche Anhänglichkeit an die Melodie der Töne, welche ihr die Stimme ihrer Mutter eingeflößt, die sie fast an der Mutterbrust eingesogen hatte, alle Vernachlässigung und überdauerte jeden Widerstand. Sie fand ihre Nahrung in kindischen Erinnerungen, in durch das Fenster gehörten Brocken von Liedern der Straßenjungen, im Rauschen der nächtlichen Winterstürme durch die Haine des Monte Pincio und empfing ihre entzückte Befriedigung in den ersten Tönen der Laute des römischen Senators, welche sie vernahm. Wie sie später zum Besitz eines Instrumentes und zur Geschicklichkeit im Spielen gelangte, weiß der Leser bereits aus Vetranio’s Erzählung in Ravenna. Wenn der leichtsinnige Senator die wahre Fülle der Empfindungen, welche seine Kunst in der Brust seiner Schülerin erregte, während er derselben Unterricht gab, entdeckt, wenn er geahnt hätte, wie unablässig während ihrer Lektionen ihr Pflichtgefühl mit ihrer Liebe zur Musik kämpfte, wie völlig sie in dem einen Augenblicke durch die Qual des Zweifels und der Furcht, in dem andern durch das Entzücken des Genusses der Hoffnung absorbiert wurde, so würde er nur wenig von dem Erstaunen über ihre Kälte gegen ihn gefühlt haben, welches er bei seinem Gespräche mit Julien in dem Garten des Hofes so warm aussprach.

In der That konnte nichts vollständiger sein, als Antoninen’s kindische Unbewußtheit der Gefühle, mit welchen sie Vetranio betrachtete. Wenn sie vor ihn trat, so wurde alle Neigung, welche nicht ihre Furcht verschlang, gänzlich von der geliebten, schönen Laute angezogen und ausgefüllt. Als sie das Instrument empfing, vergaß sie fast den Geber über dem Triumph des Besitzes oder war, wenn sie überhaupt an ihn dachte, nur dafür von Dankesgefühlen erfüllt, daß sie unverletzt einem Mitgliede der Klasse entgangen war, gegen welche die wiederholten Ermahnungen ihres Vaters ihr ein unbestimmtes Gefühl der Scheu und des Mißtrauens eingeflößt hatten, und um zu beschließen, daß sie jetzt, wo sie ihm für seine Güte gedankt und von seinem Gebiete geschieden war, nichts wieder bewegen solle, je durch das Betreten derselben sich der Entdeckung durch ihren Vater und der Gefahr für sich selbst auszusetzen.

Unschuldig in ihrer Einsamkeit, fast kindisch in ihrer natürlichen Einfalt war ein einziger Genuß hinreichend, um alle Leidenschaften ihres Alters zu befriedigen. Vater, Mutter, Liebhaber und Gefährte, Freiheit, Unterhaltung und Putz, Alles vertrat ihr diese einfache Laute. Die Schelmischkeit, Munterkeit, Sanftmuth ihres Charakters, die Poesie ihrer Natur und die Neigung ihres Herzens, die glückliche Blüthe der Jugend, welche die Absperrung weder gänzlich zum Verwelken bringen noch falsche Lehren verderben konnten, wurden jetzt —— so groß ist die schaffende Macht des menschlichen Gefühls —— durch diesen unschätzbaren Besitz vollkommen genährt, zum Aufblühen gebracht und erfrischt. Sie konnte zu der Laute sprechen, sie anlächeln liebkosen und in der Extase ihres Entzückens in der Sorglosigkeit ihrer Selbstverblendung glauben, daß sie an ihrer Freude Theil nahm. Während ihrer langen, einsamen Stunden, wo sie in Abwesenheit ihres Vaters stumm von dem brütenden, traurigen Fremdling, den er über sie gesetzt hatte, bewacht wurde, war sie ihr zu einer theurern Gefährtin geworden, als der Blumengarten, theurer selbst, als die Ebenen und Gebirge, welche ihre Lieblingsaussicht bildeten. Wenn ihr Vater zurückkehrte und sie an einen dunkeln Ort unter fremde schweigsame Leute geführt wurde, um dort zu sitzen und endlosen Deklamationen zuzuhören, war es ihr ein Trost, an das Instrument zu denken, welches sicher versteckt in ihrer Kammer lag und entzückt über die neuen selbsterfundenen Melodieen nachzusinnen, welche sie das nächste Mal darauf spielen würde, und dann, wenn der Abend kam und sie in ihrem Garten allein blieb, dann erschien die Stunde des Mondscheins und Gesanges, der Augenblick des Entzückens und der Melodie, welcher sie sich selbst entzog, sie erhob, ohne daß sie fühlte, wie, und sie führte, ohne daß sie wußte, wohin.

Während wir aber so bei Reflexionen über Beweggründe und Charakterforschungen verweilen, werden wir durch das Erscheinen einer anderen Gestalt auf der Bühne wieder in die äußere Welt der vorübergehenden Interessen und Ereignisse zurückgerufen. Wir ließen Antoninen im Garten, über ihre Laute in Gedanken versunken. Sie befindet sich noch in ihrer nachdenklichen Haltung, aber sie ist nicht mehr allein.

Von denselben Stufen, über die sie herabgestiegen war, tritt jetzt ein Mann in den Garten und schreitet auf die Stelle zu, welche sie jetzt einnimmt. Sein Gang ist hinkend, seine Gestalt verkrümmt, seine Proportionen verzerrt. Seine großen, eckigen Züge stehen in gespenstischen Kontrast mit seinen eingeschrumpften Wangen. Sein trockenes, verworrenes Haar ist von der Sonne zu einem sonderbaren Graubraun gebrannt. Sein Ausdruck ist der des auf einen Punkt gehefteten strengen, trüben Denkens. Während er leise auf Antoninen zuschreitet, murmelt er vor sich hin und greift mit seinen dürren, formlosen Fingern mechanisch nach seinen Gewändern. Der helle Mondschein, welcher sein Gesicht überströmt, bekleidet dasselbe mit einem leichenartigen, räthselhaften, gespenstischen Aussehen. Für einen Fremden, der ihn in diesem Moment erblickt hätte, würde er eine fast furchtbare Erscheinung gewesen sein.

Dies war der Mann, der Vetranio aus seinem Heimwege aufgefangen hatte und jetzt zurückgeeilt war, um seinen gewohnten Posten vor der Heimkehr seines Herrn wieder zu erreichen, denn er war das Individuum, welches Numerian bei seinem Gespräch mit dem Landmann vor der St. Peters Basilica als seinen alten Proselyten Ulpins erwähnt hatte.

Als Ulpius dem Mädchen bis aus einige Schritte genaht war, blieb er stehen, und sprach mit rauher, starker Stimme:

»Verstecke Dein Spielzeug, Numerian ist an der Thür.«

Antonina schrak bei diesen zurückstoßenden Tönen heftig zusammen, das Blut strömte in ihre Wangen, sie bedeckte hastig die Laute mit ihrem Gewande, blieb einen Augenblick stehen, als wolle sie mit dem Manne sprechen, schauderte dann und eilte dem Hause zu.

Als sie die Stufen hinauf stieg und in den Hausgang trat, begegnete ihr Numerian. Es war jetzt unmöglich geworden, die Laute an ihrem gewohnten Platze zu verbergen.«

»Du bleibst zu lange im Garten,« sagte der Vater, trotz aller seiner Strenge, mit einem stolzen Blicke auf seine neben ihm stehende schöne Tochter. »Was fehlt Dir aber,« fügte er, ihre Verwirrung bemerkend, hinzu. »Du zitterst, Deine Farbe kommt und verschwindet, Deine Lippen beben, gieb mir Deine Hand. Als ihm Antonina gehorchte, schlüpfte eine Falte des verrätherischen Gewandes bei Seite und ließ einen Theil des Kastens der Laute entdecken. Numerian’s scharfes Auge erkannte ihn augenblicklich. Er riß das Instrument aus ihren schwachen Händen. Sein Erstaunen beim Anblicke desselben war für Worte zu groß und er stand auf einen Augenblick dem armen Mädchen mit seinem blassen, schreckensstarren Gesicht in ominösem, ausdrucksvollem Schweigen gegenüber.

»Dieses Ding,« sagte er endlich, »diese Erfindung der Gottlosen in meinem Hause, im Besitz meiner Tochter!« und er schleuderte die Laute auf den Boden, daß sie in Stücke zersprang.

Einen Moment blickte Antonina ungläubig auf die Trümmer der geliebten Gefährtin, die der Mittelpunkt aller ihrer glücklichsten Erwartungen für künftige Tage war. Dann, als sie die Wirklichkeit ihres Verlustes zu ermessen begann, verloren ihre Augen ihren ganzen Himmelsglanz und füllten sich bis zum Ueberströmen mit den Thränen der Erde.

»Nach Deinem Gemach!« donnerte Nummerian, als sie mit convulsivischen Schluchzen bei den nutzlosen Trümmern niederkniete. »Auf Dein Gemach! Morgen soll dieses Geheimniß des Frevels an’s Licht kommen.«

Sie stand demüthig auf, um ihm Gehorsam zu leisten, denn die Entrüstung hatte an den Gefühlen, die dieses sanfte, liebevolle Wesen erschütterten, keinen Theil. Als sie sich nach dem Zimmer bewegte, welches von nun an keine Laute beherbergen, als sie an den morgenden Tag dachte, welchen keine Laute wieder erheitern sollte, wurde sie von ihrem Schmerz fast überwältigt. Sie wendete sich zurück und blickte ihren Vater flehendlich an, als bitte sie um Erlaubniß, auch nur das kleinste der Fragmente zu seinen Füßen aufzuheben.

»Auf Dein Gemach,« wiederholte er streng. »Soll ich mir in’s Gesicht ungehorsam finden?«

Sie entfernte sich augenblicklich, ohne ihre stumme Einwendung zu wiederholen. Sobald sie verschwunden war, stieg Ulpius die Stufen hinauf und stand vor dem zornigen Vater.

»Sieh, Ulpius,« rief Numerian, »meine Tochter, die ich so sorgfältig bewahrt, die ich zu einem Beispiel für die Welt zu machen beabsichtigte, hat mich so betrogen.«

Er deutete bei diesen Worten auf die Trümmer der zerschmetternden Laute, aber Ulpius richtete kein Wort der Entgegnung an ihn und er fuhr hastig fort:

»Ich will den feierlichen Gottesdienst der heutigen Nacht nicht durch eine Unterbrechung mit meinen weltlichen Angelegenheiten beflecken. Morgen werde ich mein ungehorsames Kind befragen. Stelle Dir bis dahin nicht vor, Ulpius, daß ich Dich in irgend einer Art mit dieser gottlosen, schändlichen Täuschung in Verbindung bringe! In Dich setze ich mein ganzes Vertrauen. Von Deiner Treue hoffe ich Alles!«

Von Neuem hielt er inne und wiederum verharrte Ulpius in Schweigen. Jeder weniger Bewegte, weniger Vertrauensvolle, wie sein verdachtsloser Herr, würde bemerkt haben, daß auf seinem hagern Gesicht ein schwaches, düsteres Lächeln ausbrach. Numerian’s Entrüstung war aber noch zu heftig, um ihm eine Beobachtung zu gestatten, und trotz seinem Versuche, sich zu beherrschen, brach er in neue Klagen aus.

»In dieser Nacht vor allen andern dazu!« rief er, »wo ich gehofft hatte, sie in meine kleine Versammlung von Gläubigen zu führen, um an ihren Gebeten Theil zu nehmen und meinen Ermahnungen zu lauschen —— in dieser Nacht bin ich bestimmt, zu finden, daß sie auf einer heidnischen Laute spielt, eine Besitzerin der üppigsten aller Eitelkeiten der Welt ist! Gott verleihe mir den Muth, ihn diese Nacht mit fest auf ihn gerichteten Gedanken anzubeten, denn mein Herz ist von der Uebertretung meines Kindes erzürnt, wie in alter Zeit das Herz Elis von den Freveln feiner Söhne.«

Er entfernte sich schnell, blieb aber, wie von einer plötzlichen Erinnerung ergriffen, stehen und sprach zu seinem düsteren Gefährten weiter:

»Ich werde diese Nacht allein in die Kapelle gehen. Du, Ulpins, bleibe, um mein ungehorsames Kind zu hüten. Sei wachsam über mein Haus, mein lieber Freund, denn eben jetzt bei meiner Rückkehr war es mir, als ob zwei Fremde meinen Schritten folgten und ich ahne, daß mir zur Züchtigung für meine Sünden noch größeres Uebel bevorsteht, als dieses Unglück der Uebertretung meiner Tochter. Sei wachsam, guter Ulpius, sei wachsam!«

Und als der strenge, ernste Mann hinweg eilte, war er von der seinem düsteren Fanatismus zu Theil gewordenen Kränkung eben so überwältigt, wie das schwache, schüchterne Mädchen von der Vernichtung ihrer harmlosen Laute.

Nach der Entfernung Numerian’s trat das düstere Lächeln wieder auf Ulpius Gesicht. Er stand eine Zeitlang nachdenkend da und begann darauf langsam eine in einige unterirdische Gemächer führende Treppe in seiner Nähe hinabzusteigen. Er war noch nicht weit gekommen, als ein leises Geräusch am Ende des Ganges über ihm hörbar wurde. Als er lauschte, ob sich der Ton wiederholen würde, hörte er ein Schluchzen und entdeckte, als er vorsichtig emporblickte, im Mondschein Antoninen, die schüchtern auf den Marmorfließen des Ganges dahinschritt.

Iu ihrer Hand hielt sie eine kleine Lampe, ihre rosigen Füße waren nackt, ihre Thränen strömten immer noch über ihre Wangen hinab. Sie schritt mit der größten Vorsicht, als fürchte sie, gehört zu werden, vorwärts, bis sie die Stelle erreicht hatte, welche noch mit den Trümmern der zerbrochenen Laute bedeckt war. Hier kniete sie nieder und drückte jedes vor ihr liegende Bruchstück einzeln an ihre Lippen. Dann verbarg sie hastig ein einzelnes Stückchen an ihrer Brust, erhob sich und stahl sich schnell in der Richtung, aus welcher sie gekommen war, wieder hinweg.

»Geduld bis zur Dämmerung,« flüsterte ihr treuloser Hüter, während er ihr aus seinem Verstecke nachblickte, bis sie verschwunden war; »sie wird Deiner Laute einen Wiederhersteller und Ulpins einen Verbündeten bringen.«



Kapiteltrenner

Kapitel IV.
Eine Lehrzeit im Tempel.

Die Handlungen unserer Personen während der Nacht, welche zu den letzten beiden Kapiteln Anlaß gab, sind jetzt zu einer Pause gelangt. Vetranio erwartet seine Gäste zum Banket, Numerian befindet sich in der Kapelle, um sich zu der Predigt, welche er an seine Freunde zu halten gedenkt, vorzubereiten, Ulpius hängt im Hause seines Herrn seinen Gedanken nach und Antonina liegt auf ihrem Bette und liebkost das kostbare Bruchstück, welches sie von den Trümmern ihrer Laute gerettet hat. Alle Hauptpersonen unserer Geschichte sind also für den Augenblick in Ruhe.

Es ist unsere Absicht. diesen Zwischenraum der Unthätigkeit zu benutzen und die Aufmerksamkeit des Lesers auf ein anderes Land als das, welches wir für den Ort unserer Erzählung gewählt haben und auf frühere historische Ereignisse zu lenken, die mit dem Leben des treulosen Proselyten Numerian verwoben sind.

Der Mann wird, wie uninteressant er auch bisher erschienen sein mag, im Verlauf unserer Geschichte eine wichtige Stellung einnehmen, und es ist für das Verständniß seines Charakters und die Erforschung seiner bereits angedeuteten und noch künftig zum Vorschein kommenden Absichten nöthig, daß sein Lebenslauf bis zu seinem Ursprunge verfolgt wird.

Es war unter der Regierung Julian’s, als die Götter der Heiden ihren letzten Sieg über das Evangelium der Christen feierten, als ein anständig gekleideter Mann, der einen hübschen fünfzehnjährigen Knaben an der Hand führte, in das Thor von Alexandria trat und sich hastig nach der Wohnung des Hohenpriesters in den Tempel des Serapis begab.

Nachdem sich der Mann einige Stunden lang an seinem Bestimmungsorte aufgehalten hatte, verließ er die Stadt allein, eben so eilig wie er in dieselbe gekommen war und wurde nie wieder in Alexandria gesehen. Der Knabe blieb bis zum folgenden Tage in der Wohnung des Hohenpriesters und wurde dann feierlich dem Tempeldienste geweiht.

Dieser Knabe war der junge Emilius, später Ulpius. Er war der Neffe des Hohenpriesters, dem ihn sein Vater, ein Kaufmann aus Rom, anvertraut hatte.

Der Ehrgeiz war die herrschende Leidenschaft des Vaters unsers Emilius, er hatte ihn angetrieben, nach jeder Auszeichnung zu streben, die der Staat dem Glücklichen gewährt, ihn aber nicht mit den Fähigkeiten begabt, welche nöthig gewesen wären, um seine Bestrebungen mit Erfolg zu krönen. Er blieb lebenslänglich in seinen Hoffnungen getäuscht, machte fortwährend Pläne, die nie zur Ausführung gelangten, sah seinen glücklichern Bruder zu den höchsten Stellen des Priesterthums aufsteigen, fand sich aber unwiderruflich zu der wohlhabenden Dunkelheit verurtheilt, welche ihm seine merkantilischen Geschäfte zu Theil werden ließen.

Als sein Bruder Macrinus bei Julian’s Thronbesteigung den höchsten Gipfel der Macht und Berühmtheit als Hoherpriester des Serapistempels erstieg, verlor der Kaufmann alle Hoffnung es seinem Verwandten im Streben nach Auszeichnungen gleich zu thun. Sein unersättlicher Ehrgeiz lenkte sich jetzt von seiner eigenen Person ab und ging auf die Bestrebungen für einen seiner Söhne über. Er beschloß, daß es wenigstens dem Kinde da gelingen solle, wo es ihm mißglückt war. Jetzt, wo sein Bruder die höchste Tempelstelle erlangt hatte, konnte einem Mitgliede seines Hauses kein Beruf direktere Vortheile bieten, als der des Priesterthums. Alle Mitglieder seiner Familie waren von jeher strenge Heiden gewesen. Der Eine von ihnen hatte bereits die ausgezeichnetsten Ehrenstellen seiner prunkvollen Religion erlangt. Er beschloß, daß ein zweites es seinem Verwandten gleich thun und dieses zweite sein ältester Sohn sein solle.

In diesem Entschlusse fest, weihte er sein Kind sofort dem großen Plane, welchen er jetzt beständig im Auge behielt. Er wußte recht gut, daß das Heidenthum zwar neu belebt, aber doch nicht mehr die frühere allgemeine Religion war, daß es jetzt geheimen Widerstand fand und ihm bald von den verfolgten Christen im ganzen Reiche offene Widersetzlichkeit zu Theil werden könne. Wenn daher die jüngere Generation dasselbe mit Erfolg vor allen künftigen Eingriffen bewahren und sicher zu seinen höchsten Ehren steigen wolle, müsse dann mehr von ihnen gefordert werden, als die ruhige Anhänglichkeit an die alte Religion, welche von den Gläubigen früherer Tage gefordert wurde. Damals vertrug sich die Ausübung der wichtigsten Aemter der Priesterschaft mit dem Besitz militärischen oder politischen Ranges. Jetzt aber sollten die künftigen Diener der Götter dem Tempel und nur dem Tempel geweiht werden. Diesem Entschlusse zufolge trug der Vater dafür Sorge, daß steh alle Beschäftigungen und Belohnungen des Sohnes von dessen frühesten Jahren an aus die eine oder andere Art mit der Laufbahn, für welche er bestimmt war, verbanden. Seine kindischen Freuden wurden auf Opfer und Augurien gerichtet, seine kindischen Spielsachen waren Götterbilder. Der Knabe leistete diesem Erziehungsplane keinen Widerstand. Weit verschieden von seinem jüngern Bruder, dessen unruhiger Charakter aller Herrschaft Trotz bot, war er von Natur gelehrig und seine über seine Jahre hinaus lebhafte Einbildungskraft ließ sich leicht durch ihr gebotene merkwürdige Gegenstände fesseln. So aufgemuntert, wurde sein Vater völlig von der Beschäftigung in Anspruch genommen, ihn ganz für seine künftige Existenz zu formen. Der Einfluß seiner Mutter auf ihn wurde eifersüchtig beobachtet, der geheime Ausdruck ihrer Liebe, ihres Kummers über die Aussicht auf die Trennung von ihm unbarmherzig unterdrückt, sobald er entdeckt ward, und sein jüngerer Bruder vernachlässigt, ja fast vergessen, um dem ältesten Sohne die väterliche Wachsamkeit gänzlich und unablässig weihen zu können.

Als Emilius fünfzehn Jahre alt geworden war, sah sein Vater mit Freuden, daß die Zeit gekommen sei, wo er den Beginn zur Verwirklichung aller seiner Pläne vor sich sehen könne. Der Knabe wurde vom Hause entfernt, nach Alexandria gebracht und von seinem stolzen, triumphierenden Vater freudig unter der besonderen Obhut des Hohenpriesters Macrinus gelassen.

Der Tempelvorsteher dachte in Bezug auf die Pläne mit dem jungen Emilius, ganz eben so wie sein Bruder. Sobald der Knabe seine neuen Beschäftigungen begonnen hatte, wurde ihm gesagt, daß er Alles, was er in Rom zurückgelassen, vergessen, daß er den Hohenpriester als seinen Vater und den Tempel fortan als seine Heimath betrachten und der einzige Zweck seiner jetzigen Bemühungen und seines künftigen Ehrgeizes der sein müsse, im Dienste der Götter zu steigen.

Hiermit begnügte sich Macrinus aber noch nicht. Er war eifrig darauf bedacht, bei seinem Schüler Vaterstelle zu vertreten, und sich seine Anhänglichkeit dadurch zu sichern, daß er ihn auf jede mögliche Weise von der Welt abzog, in welcher er bisher gelebt hatte, und so veränderte er sogar dessen Namen, legte ihm eine von seinen eigenen Benennungen bei, und bezeichnete dies als ein Vorrecht, um ihn zu ferneren Anstrengungen aufzumuntern. Aus dem Knaben Emilius wurde er jetzt für immer in den Zögling Ulpius umgewandelt.

Bei einer natürlichen Neigung, wie die bereits beschriebene, und unter einer Obhut wie die des Hohenpriesters, war kaum zu fürchten, daß Ulpius die ungewöhnlichen Erwartungen, welche man. sich von ihm gemacht hatte, täuschen werde. Seine Aufmerksamkeit für seine neuen Pflichten erschlaffte nie; sein Gehorsam gegen seine neuen Herren kam nie zum Schwanken. Alles, was auch Macrinus von ihm verlangen mochte, führte er zuverlässig aus. Welche Sehnsucht er auch fühlen mochte, nach Hause zurückzukehren, so ließ er sie doch nie blicken, er suchte nie die seinem Alter natürlichen Neigungen zu befriedigen. Der Oberpriester und seine Collegen waren über die außerordentliche Bereitwilligkeit, womit der Knabe selbst die Absichten, welche sie in Bezug auf ihn hatten, befördern, erstaunt. Wenn sie gewußt hätten, wie mühsam er im Hause seines Vaters auf seine künftigen Beschäftigungen vorbereitet worden war, so würden sie von der ungewöhnlichen Gelehrigkeit ihres Schülers weniger überrascht gewesen sein. Bei der Erziehung, welche er genossen hatte, hätte es mehr als menschlicher Verkehrtheit bedurft, um Widerstand gegen die Wünsche seines Oheims zu entwickeln. Er hatte keine Kindheit, weder in Bezug auf das Denken, noch auf das Handeln, gehabt. Seine natürliche Frühreife war als die Maschine benutzt worden, durch welche man seine Fähigkeiten zu einer gefahrvollen und unheilsamen Reife getrieben hatte, und als seine neuen Pflichten seine Aufmerksamkeit verlangten, begann er dieselben mit derselben enthusiastischen Aufrichtigkeit, welche seine jungen Altersgenossen für ein neues Spiel bewiesen hab würden. Seine allmälige Einweihung in die Geheimnisse seiner Religion erzeugte in seinem Geiste ein seltsames wollüstiges Gefühl der Furcht und Theilnahme. Er hörte die Orakel und bebte, er wohnte den Opfern und Augurien bei und erstaunte. Die ganze Poesie des kühnen, schönen Irrglaubens, welchem er geweiht wurde, floß unwiderstehlich in sein junges Herz, nahm seine frische Phantasie völlig in Anspruch und führte ihn unablässig aus dem Leben und der Wirklichkeit. der äußern Welt in die Schattenregionen der Begeisterung und des Gedankens.

Ulpius ließ seine Aufmerksamkeit jedoch nicht gänzlich von seinen Pflichten absorbieren; der Jüngling hatte so gut seine eigenthümlichen Freuden, wie seine eigenthümlichen Beschäftigungen. Wenn sein Diensi für den Tag vorüber war, so, gewährte es ihm einen seltsamen überirdischen Genuß, leise in dem Schatten der Säulenhallen des Tempels umherzuwandeln, von seiner geheimnißvollen Höhe auf die volkreiche, sonnenhelle Stadt zu seinen Füßen hinabzublicken, die glänzende Wasserfläche des Nils freudig im blendenden, alles belebenden Lichte blitzen zu sehen, seine Augen von den Feldern und Wäldern, Palästen und Gärten, die sich unter ihm ausstreckten, zu dem schönen, wolkenlosen Himmel zu erheben, der ihn in ferner Höhe umgab, um alle Freude und liebevolle Empfindung zu erwecken, die sein nur selten ununterbrochener Verkehr mit seiner Mutter seinem Herzen eingepflanzt und seine neuen Pflichten ihm gelassen hatten. Dann, wenn das Licht des Tages zu verbleichen begann und der Mond und die Sterne bereits an ihren Orten am Himmel zu strahlen anfingen, begab er sich in die unterirdischen Gewölbe des Gebäudes, bebte, wenn seine kleine Kerze kaum die dumpfe, feierliche Dunkelheit verscheuchte und lauschte mit athemloser Aufmerksamkeit nach den Stimmen der Schutzgeister, deren fabelhafte Wohnung sich in den Räumen des heiligen Gebäudes befand. Oder wenn sich die Menge zu ihren Vergnügungen und Wohnungen entfernt hatte, stahl er sich wohl auch in die hohen Tempelhallen, wanderte um die Piedestale der mächtigen Statuen, athmete furchtergriffen die stille Atmosphäre des Tempels und beobachtete das Vorüberstreifen der kalten, traurigen Mondstrahlen, die durch die Oeffnungen im Dache auf die kolossalen Glieder und Züge der heidnischen Götterbilder fielen. Zuweilen, wenn der Dienst des Serapis und die sich auf seine Mittheilungen an den Kaiser beziehenden Sorgen zu Ende waren, führte Macrinus seinen Schüler in den Garten der Priester und lobte seine Gelehrigkeit, daß ihm das Herz vor Dankbarkeit und Stolz klopfte. Mitunter geleitete er ihn vorsichtig aus dem Gebiete des geweihten Gebäudes und zeigte ihm in den Vorstädten stumme, bleiche, traurige Männer, die verdächtig durch die belebten menschenvollen Straßen schlichen. Diese waren, wie er ihm erklärte, die Feinde des Tempels und alles darin Enthaltenen, Verschwörer gegen den Kaiser und die Götter, Bösewichter, die als Auswürflinge der Menschheit vertrieben werden müßten, sie nennten sich Christen, deren gottlose Religion, wenn man sie duldete, ihn des Oheims, welchen er liebte, des Tempels, welchen er verehrte, und der priesterlichen Würde und Berühmheit, welche zu erlangen der Ehrgeiz seines Lebens sein müsse, berauben würden.

So von seinem Lehrer in seinen Pflichten und von sich selbst in seinen Erholungen gelenkt, verlor der Knabe mit der Zeit allmälig jede ihm noch gebliebene Eigenschaft seines Alters. Selbst die Erinnerung an seine Mutter und die Liebe derselben schwächte sich in seinem Gedächtniß. Ernst, einsam, nachdenklich, lebte er nur für den Erfolg im Tempel, mühte er sich nur dem Oberpriester nachzueifern. Alle seine Gefühle und Fähigkeiten wurden jetzt in die Banden eines Ehrgeizes geschlagen, der sowohl für sein gegenwärtiges Alter unnatürlich, wie für sein künftiges Leben eine Vorbedeutung von Leiden war. Der Plan, welchen Macrinus, als das Werk von Jahren, im Auge gehabt, erfüllte sich in wenigen Monaten, die Hoffnung, welche sein Vater kaum für sein Mannesalter zu hegen gewagt hatte, kam schon in seiner Jugend zur Reife.

Unter diesen Vorbereitungen auf künftigen Erfolg vergingen drei Jahre von Ulpius Leben. Nach Ablauf dieser Periode verdunkelte der Tod Julian’s die glänzenden Aussichten der heidnischen Welt. Die Priester des Serapis hatten sich kaum von dem ersten Erstaunen und Schmerze über die schlimme Nachricht von der Erledigung des Kaiserthrones erholt, als das von dem neuen Kaiser Jovian erlassene Toleranzedict nach Alexandria gelangte und an den Mauern des Tempels angeschlagen wurde.

Der erste Anblick dieser Proklamation, durch welche die Christen freie Religionsübung erlangten, erregte in dem hochgespannten Geiste des Ulpius den heftigsten Zorn. Der fortwährend auf seine Religion gelenkte Enthusiasmus seines Charakters und Alters nahm die Form des wildesten Fanatismus an, als er die leichtsinnige Verletzung der Oberherrlichkeit des Tempels durch den Kaiser entdeckte. Er erbot sich in dem ersten Augenblicke seines Grimms das Edict von den Mauern zu reißen, einen Angriff auf die Versammlungen der triumphierenden Christen anzuführen oder nach dem Wohnsitze des Kaisers zu reisen und Jovian zu ermahnen, seine gefahrvolle Handlung der Nachsicht zu widerrufen, ehe es zu spät sei. Nur mit Schwierigkeit gelang es seinen vorsichtigen Genossen, ihn von der Ausführung seiner gewalthätigen Pläne abzubringen. Zwei Tage lang hielt er sich von seinen Genossen fern und brütete einsam über die seinem geliebten Glauben angethane Schmach und der voraussichtlichen Vermehrung des Einflusses der Christensekte.

Aber die Verzweiflung des jungen Enthusiasten sollte noch weiter durch ein Privatunglück vermehrt werden, welches in seiner Ursache eben so räthselhaft wie sie in seinen Wirkungen überwältigend war. Zwei Tage nach der Publikation des Edicts starb plötzlich der Hohepriester Macrinuis in der vollsten Kraft des Mannesalters.

Die Erzählung der Verwirrung und des Schreckens in und außer dem Tempel bei der Entdeckung dieses unglückseligen Ereignisses, die Beschreibung der Verwünschungen und Tumulte der Priester und des Pöbe1s, die sofort die begünstigten und ehrgeizigen Christen in Verdacht, nahmen, durch Gift den Tod ihres geistlichen Regenten verursacht zu haben, könnte als Geschichte der Sitten jener Zeit interessant sein, gehört aber nicht zu dem Gegenstande dieses Kapitels. Wir ziehen es vor, die Wirkung zu verfolgen, welche dieser persönliche und Privatverlust, diese ihm unersetzliche Beraubung des Lehrers, welchen er liebte, und des Vormundes, den zu verehren sein Vorrecht war, auf den Geist des Ulpius hervorbrachte.

Eine mehrere Monate anhaltende Krankheit, während welcher besonders in der letzten Zeit seine Pfleger für sein Leben und seine Vernunft zitterten, bewies zur Genüge die Aufrichtigkeit von Ulpius Kummer über den Verlust seines Beschützers.

Während seines deliriösen Paroxysmus zogen die um sein Bett wachenden Priester aus seinen Phantasien viele weise Schlüsse in Bezug auf die Wirkungen, welche diese Krankheit und ihre Ursachen auf seinen künftigen Charakter hervorbringen würden, trotz ihres ganzen Scharfsinns waren sie aber noch weit entfernt, auch nur zu einem Zehntel die Umwälzung zu ermessen, welche dieser Verlust in seinem Geiste bewirkt hatte. Der Knabe wußte bis zum Augenblicke des Todes des Hohenpriesiers selbst nicht, wie tief seine Ergebenheit gegen seinen zweiten Vater ging. So sehr die liebevollen Gefühle, die die Haupttriebfeder seiner Natur bildeten auch von seinem Vater irre geleitet worden waren, hatten dieselben doch nicht gänzlich vernichtet werden können und sie hingen sich an jedes freundliche Wort, jede milde Handlung des Hohenpriesters als Nahrung fest, die ihnen seit seiner Jugend nur kärglich zu Theil geworden war. Moralisch und intellectuell war Macrinus für ihn der Leuchtthurm gewesen, welcher, ihm die Richtung seines Courses angedeutet, der Richter, der sein Benehmen geregelt, die Muse, zu der er aufgeblickt hatte, um sich zu begeistern. Und jetzt, wo dieses Glied, welches jede Verzweigung seiner liebsten und herrschenden Ideen verbunden hatte, plötzlich gerissen war, sank auf seinen Geist eine Oede nieder, die sowohl dessen Elasticität lähmte, wie seine Frische zum Verwelken brachte. Er blickte zurück und sah nichts als ein Familienhaus, von dessen Freuden und Neigungen ihn der Ehrgeiz seines Vaters für immer verbannt hatte. Er blickte vorwärts, und wenn er bedachte, wie ungeeignet er durch Charakter wie durch Erziehung war, sich unter die Welt zu mischen, wie es Andere thaten, so sah er keinen Leitstern des socialen Glücks vor Augen, der seine künftige Existenz hätte regeln können. Er hatte jetzt weiter keine Aussicht mehr, als sich gänzlich dem Berufe hinzugeben, welcher ihm seine Heimath fremd gemacht hatte, welcher durch seinen Zusammenhang mit dem verlorenen Gegenstande seiner Liebe geheiligt wurde und ihm das einzige Glück und die einzige Auszeichnung verleihen würde, worauf er für, sein künftiges Leben in der weiten Welt hoffen konnte.

Außer diesem Beweggrund zur eifrigen Arbeit in seinem Berufe war in Ulpius Geiste noch ein tiefes, festgewurzeltes Gefühl vorhanden, welches ihn mit nie verlöschender Gluth für die Fortsetzung seiner geliebten Beschäftigungen beseelte. Dieses leitende Princip war der Abscheu gegen die Christensekte. Der Verdacht, welchen Andere über den Tod des Hohenpriesters gehegt hatten, war für seinen Geist eine Gewißheit. Er verwarf jede Idee, welche im Widerspruche mit seiner entschlossenen Ueberzeugung stand, daß die Eifersucht der Christen ihnen den Giftmord des mächtigsten und eifrigsten aller heidnischen Priester eingegeben habe. Unablässige Arbeit, bis er den Einfluß und die Stellung erlangt haben würde, deren sich früher sein Verwandter erfreut hatte, und die Benutzung dieses Einflusses und dieser Stellung, wenn er sie einmal erlangt haben würde, als Mittel, um Macrinus, durch Vertilgung aller Spuren des Christenglaubens vom Angesichte der Erde, zu rächen, dies waren jetzt die festen Vorsätze seines Herzens.

Durch seinen Entschluß mit der überlegten Weisheit begabt, welche bei den meisten Menschen nur das Resultat jahrelanger Erfahrungen ist, verwendete er die ersten Tagen seiner Genesung darauf, seine Zukunftspläne vorsichtig zur Reife zu bringen und seine Hoffnungen auf Erfolg unparteiisch zu erwägen.

Sobald diese Selbsterforschung beendigt war, weihte er sich sofort und für immer dem großen Plane seines Lebens, nichts ermüdete, nichts entmuthigte, nichts war für ihn ein Hinderniß. Die äußern Ereignisse gingen unbeachtet an ihm vorüber, die Betrübnisse und Triumphe der Stadt sprachen nicht mehr zu seinem Herzen. Ein Jahr folgte dem andern, aber die Zeit besaß keine Zunge für ihn. Das Heidenthum sank allmälig und eben so unmerklich erhob sich das Christenthum aber die Veränderung breitete vor seinen Angen kein Bild aus.

Die ganze äußere Welt war für ihn eine Leere, bis der Augenblick erschien, welcher seine Pläne mit Erfolg gekrönt sah. Seine Vorbereitungen auf die Zukunft absorbierten jede Fähigkeit seiner Seele und machten aus ihm, was die Gegenwart betraf, einen bloßen Automaten, der durch kein Ereigniß belebt wurde, eine Maschine, welche sich bewegte, ohne wahrzunehmen —— einen handelnden Körper ohne denkenden Geist.

Wenn wir auf einen Augenblick in die äußere Welt zurückkehren, so finden wir, daß beim Tode Jovians im Jahre 364 der neue Kaiser Valentinian das von seinem Vorgänger angenommene System der Duldung weiter führte. Als er im Jahre 375 starb, überschritt Gratian, sein Nachfolger auf dem Kaiserthrone, das ihm von seinen beiden Vorgängern gegebene Beispiel so, daß er sich kühn auf die Seite der Anhänger des neuen Glaubens stellte. Damit noch nicht zufrieden, durch Lehre und Beispiel das Zunehmen des Christenthums zu befördern, bewies der Kaiser seinen Eifer für die aufsteigende Religion noch weiter dadurch, daß er den schnell abnehmenden Vertretern der alten Religion unablässige Verfolgungen zu Theil werden ließ und durch diese Thaten seine Regierung seinem Nachfolger Theodosius dem Großen als Vorläufer in der religiösen Revolution, welche dieser berühmte Gegner des Heidenthums zu bewirken bestimmt war, diente.

Beim Tode Gratians im Jahr 383 war Ulpius einer von den Oberpriestern des Tempels und zum nächsten Erben des wichtigen Amtes, welches einst der mächtige, thätige Macrinus bekleidet hatte, bestimmt. So der Auszeichnung, für welche er gearbeitet hatte, versichert, fand endlich der aufstrebende Priester Muße, auf die Angelegenheiten des Tages zu blicken. Nach allen Seiten hin überdeckte ödes Dunkel seine Aussicht. Schon waren in vielen Provinzen des Reiches die Tempel der Götter durch den Zerstörungseifer der triumphierenden Christen niedergerissen worden. Schon hatten Tausende des entsetzten Volkes aus Furcht, daß das Schicksal ihrer Götzen endlich auch das ihre werden könne, von ihren verjagten Priestern verlassen und von den unerbittlichen Feinden des alten Glaubens umgeben, ihrer Religion entsagt, um ihr Leben und Eigenthum zu retten. Auf dem weiten Felde des heidnischen Ruins erhob sich jetzt nur noch ein völlig unverletztes Gebäude. Noch immer streckte der Tempel des Serapis unerschüttert, ungebeugt, unbefleckt sein Haupt empor. Hier waren noch die Opfer im Gange und das Volk beugte sich immer noch anbetend. Vor diesem Denkmale der religiösen Herrlichkeit von Jahrhunderten schreckte selbst die aufsteigende Macht der christlichen Herrschaft zurück. Wiewohl sich die Reihen seiner einst zahlreichen Gemeinde jetzt merklich verdünnt hatten, wiewohl die neuen Kirchen von Bekehrten wimmelten, wiewohl die römischen Edikte es einen Schandflecken auf dem Antlitze der Erde nannten, behauptete es doch seine düsterer, einsame Größe. Kein ungeweihter Fuß betrat seine geheimen Gemächer, keine zerstörende Hand erhob sich noch gegen seine alten herrlichen Mauern.

Entrüstung, aber nicht Niedergeschlagenheit erfüllte Ulpius Herz, als er die Lage der heidnischen Welt betrachtete. Eine gleich dieser durch jahrelange Reflexionen genährte und durch unablässige Ueberlegung gereifte Entschlossenheit steht über allen Stößen, die einen hastig gefaßten Vorsatz berühren oder eine schwankende Absicht vernichten. Vom Mißlingen unberührt, wird sie durch Unfälle zur Thatigkeit getrieben, aber nie zur Ruhe herabgedrückt. Ihre Existenz ist die Luft, welche das Leben des Geistes bewahrt —— die Triebfeder, welche den Gang der Gedanken anregt. Ulpius schwankte weder einen Augenblick in der Hingebung an seinen großen Plan, noch verzweifelte er an dessen endlicher erfolgreicher Ausführung., Obgleich jeder neue Tag die Nachricht neuer Unglücksfälle für die Heiden und neuer Triumphe für die Christen brachte, so beharrte er doch mit einigen von seinen religionseifrigeren Genossen immer noch in der Hoffnung auf das Kommen eines zweiten Julian und eines Wiederherstellungstages für die zerstörten Heiligthümer der Gottheiten, welchen er diente. So lange der Tempel des Serapis noch unverletzt dastand, um seinen Bemühungen Aufmunterung und seinen verfolgten Brüdern eine Zuflucht zu gewähren, existierte für ihn noch ein Beweis des Erfolges, welcher ihn zu jeder Anstrengung spornte und gegen jede Gefahr stählte.

Und jetzt sprang zum Erstaunen der Priester und Gemeinden der schweigsame, nachdenklich einsame Ulpius plötzlich aus seiner langen Ruhe auf und wurde zum feurigen Vertreter der Rechte seiner unterdrückten Religion. Nach wenigen Tagen verbreitete sich der Ruhm seiner Reden an die Heiden, welche noch dem Serapis-Dienste beiwohnten, durch die ganze Stadt. Die kühnsten Christen zitterten, wenn sie an den Tempelmauern vorüberkamen, unwillkürlich bei dem mächtigen Applaus, der sich unter den Zuhörern des begeisterten Priesters erhob. An jedes Alter und jeden Charakter gerichtet, erweckten diese Reden ein Echo in jeder Brust, welche sie erreichten. Für die Jugend waren sie in alle Poesie der Religion, für welche sie sprachen, gekleidet. Sie redeten von den Altären der Venus, die die Christen verwüsten wollten, von den Hainen, die die Christen ihrer Dryaden zu berauben gedachten, von den heiligen Künsten, die die Christen vernichten würden. Den Alten riefen sie Erinnerungen an die Herrlichkeit vergangener Zeiten zurück, welche durch die Gunst der Götter herbeigeführt worden war, an Verfahren, die in deren Dienste gestorben, an alte, vergessene Liebe und Freuden rund Erfolge, die unter der milden Obhut der alten Gottheiten gewachsen und gediehen waren, während der unabänderliche Schluß derselben in der stets wiederholten Behauptung bestand, daß der große Macrinus als Opfer der Toleranz der Christensekte gestorben sei.

Die Anstrengungen des Ulpins beschränkten sich aber nicht bloß auf das Halten von Reden. Jeder freie Augenblick wurde zu geheimen Wanderungen nach dem Innern von Alexandria verwendet. Gleichgültig gegen Gefahr, achtlos gegen Drohungen drang der unerschrockene Enthusiast in die geheimsten Versammlungsplätze der Christen, führte auf allen Seiten Abtrünnige wieder dem heidnischen Glauben zu und bot der Feindseligkeit der halben Stadt hinter den festen Tempelmauern Trotz. Tag um Tag kamen neue Rekruten, um die Reihen der Verehrer des Serapis zu verstärken; die wenigen Mitglieder der zerstreuten Provinzialgemeinden, welche noch der alten Religion treu geblieben waren, wurden von den Geheimboten des unermüdlichen Ulpins in Alexandria versammelt. Schon begannen zwischen den Heiden und Christen Tumulte auszubrechen und die Priester des Serapis hielten sich bereit, dem neuen Kaiser eine Protestation für die alte Gottesverehrung des Landes zugehen zu lassen; es schien in diesem Augenblicke möglich, daß die heldenmüthigen Versuche eines Einzigen das Religionsgebäude zu stützen, dessen Grundlagen überall untergraben waren und dessen Mauern von Tausenden angegriffen wurden, endlich doch mit Erfolg gekrönt werden würden.

Aber das Rad der Zeit rollte weiter und die unerbittliche Veränderung trat die kleinen Schutzwehren nieder, welche der menschliche Widerstand gegen sie errichtet hatte und baute, statt ihrer triumphierend, ihre seltsamen vorübergehenden Structuren auf. Umsonst strengte der hingebende Priester alle seine Kräfte an, um seine zerstreute Schaar zu verstärken und zum gemeinschaftlichen Handeln zu bringen, umsonst entwickelte der mächtige Tempel seine alte Majestät, seine prächtigen Opfer, seine geheimnißvollen Augurien. Der Geist des Christenthrims war zum Triumph auf Erden ausgezogen, die letzten Schicksale des Heidenthums erfüllten sich schnell. Es vergingen noch ein Paar Jahre nutzlosen Widerstandes und dann erließ der Erzbischof von Alexandria ein Dekret, daß der Serapistempel zerstört werden solle.

Beim Gerüchte von dem Entschluß ihres Primaten kamen die christlichen Fanatiker schaarenweise aus allen Winkeln Egyptens und eilten nach Alexandria, um dem Zerstörungswerke beizuwohnen. Aus den dürren Einöden der Wüste, aus ihren Felsenklöstern und Erdhölllen flogen jubelnde Mönchsschaaren den Stadtthoren zu und schlossen sich in ungeduldiger Erwartung des Angriffs den Soldaten und Bürgern an. Mit dem Anbruch des Morgens hatten sich die Zerstörer zusammengefunden, und als die Sonne über Alexandria ausging, erschienen sie vor den Mauern des Tempels.

Die Thore des herrlichen Gebäudes waren verrammelt, auf den Mauern drängten sich ihre heidnischen Vertheidiger. Ein todtes, geheimnißvolles Schweigen herrschte in dem ganzen Gebäude und von allen den Menschen, mit welchen es angefüllt war, verließ nur Einer seinen Standort, wanderte nur Einer unablässig von einem Punkte zum andern, wo immer das Gebäude mit einem Angriff bedroht sein mochte. Diejenigen Belagerer, welche sich dem Tempel am nächsten befanden, sahen in diesem Schutzgeiste der Vorbereitungen zur Vertheidigung den Gegenstand ihres erbittertsten Hasses und ihrer unbezwingbarsten Furcht —— Ulpius, den Priester.

Sobald der Erzbischof das Zeichen zum Sturme gab, zog eine Schaar von Mönchen, deren rauhe, mißtönige Stimmen Psalmfragmente kreischten, deren zerfetzte Gewänder im Winde flatterten, deren cadaveröse Gesichter in wilder Freude leuchteten, —— voran, legte die ersten Leitern an die Mauern und begann den Angriff. Auf allen Seiten wurde der Tempel von den wüthenden Angreifern bestürmt und auf allen Seiten wurde er von den entschlossenen Angegriffenen erfolgreich vertheidigt. Ein Stoß nach dem anderen folgte gegen die massiven Thore, ohne sie zum Weichen zu bringen, ein Wurfgeschoß nach dem andern wurde gegen das Gebäude geschleudert, seine feste Oberfläche aber nicht im Mindesten verletzt. Eine Menge von Menschen erkletterte die Mauern, gelangte in die äußern Säulengänge und schlachtete deren heidnische Vertheidiger hin, wurde aber ihrerseits augenblicklich zurückgetrieben, ehe sie ihren Vortheil benutzen konnte. unzählige Male schienen die Angreifenden auf dem Punkte zu stehen, den Tempel erfolgreich zu stürmen, aber Ulpins Gestalt, die stets im kritischen Augenblicke unter seinen niedergeschlagenen Anhängern erschien, vernichtete dem Schicksale gleich den Erfolg der kühnsten Anstrengungen und wichtigsten Triumphe. Wo Gefahr und Blutvergießen, wo Verzweiflung herrschte, eilte der unerschütterliche Priester herbei, begeisterte die Kühnen, leistete den Verwundeten Hilfe, ermuthigte die Schwachen von Neuem. Durch keine Kriegslist geblendet, von keiner Anstrengung ermüdet, lag fast etwas Dämonisches in seiner vernichtenden Thätigkeit, in seiner Entschlossenheit bei der Niederlage. Die Belagerer erkannten seinen Weg um den Tempel an den Unfällen, welche ihnen bei jedem Schritte zustießen. Wenn die Leichen erschlagener Christen von den Mauern auf sie herabgeworfen wurden, so fühlten sie, daß Ulpius da war. Wenn die tapfersten Streiter zauderten, die Leiter zu besteigen, so wußte man, daß Ulpius oben die Niederlage ihrer Kameraden leitete. Wenn ein Ausfall der Tempelbesatzung die Vorhut bis zu den Reservemannschaften im Rücken zurücktrieb, wurde zu ihrer Entschuldigung eingewendet, daß Ulpius an der Spitze seiner heidnischen Schaaren kämpfe. Immer neue Mengen von christlichen Kriegern drangen zum Angriffe herbei, wiewohl aber die Reihen der Ungläubigen merklich gelichtet wurden, wiewohl die vertheidigten Thore unter den wiederholten Stößen, mit welchen man sie bestürmte, endlich zu zittern begannen, blieb doch jeder Hof des heiligen Gebäudes im Besitz der Belagerten und zur Verfügung des unbesiegten Anführers, welcher die Vertheidigung organisierte.

Durch das Mißlingen seiner Anstrengungen niedergeschlagen und über das unter seinen Anhängern bereits stattgefunde Blutbad einsetzt, befahl der Erzbischof plötzlich die Feindseligkeiten einzustellen und schlug den Vertheidigern des Tempels einen kurzen günstigen Waffenstillstand vor. Nach einigem Verzug und, wie es schien einiger Zwiste in ihren Reihen sendeten die Heiden dem Primus die Versicherung der Annahme seiner Bedingungen, welche darin bestanden, daß beide Theile sich weiteren Kampfes um die Oberhand enthalten sollten, bis man von Theodosius ein Edikt über das endliche Schicksal des Tempels verlangt und erhalten haben würde.

Sobald der Waffenstillstand einmal abgeschlossen war, wurde der weite Raum vordem gefristeten Gebäude allmälig von Menschen gereinigt. Langsam und traurig entfernte sich der Erzbischof mit seinen Leuten von den alten Mauern, deren Zinnen sie vergeblich gestürmt hatten, und als die Sonne unterging, waren von der ungeheuren Menge, die sich am Morgen zusammengefunden hatte, nur noch einige Leichen vorhanden. In dem Tempelgebäude selbst trat mit der Nacht die Herrschaft des Todes und der Ruhe ein, wo der Morgen hell auf Leben und Thätigkeit geschimmert hatte. Die Verwundetem Müden und Todten lagen alle jetzt gleich still von den Nachtwinden gestichelt, die durch die hohen Säulenhallen zogen, oder von der in den stummen Sälen herrschenden Dunkelheit beschwichtigt. In den Reihen der Heiden gab es nur Einen, der sich noch mühte und dachte. Rastlos wie ein Raubthier, welches in seiner Höhle bedroht wird, wachsam wie ein einsamer Geist in einer Stadt von fremden Gräbern, wanderte Ulpius brütend im Tempel umher. Für ihn gab es keine Ruhe des Körpers —— keine Stille ins Geistes. Ueber den Ereignissen der nächsten wenigen Tage schwebte die furchtbare Entscheidung welche bald auf die Jahre seines künftigen Lebens einen unwiderruflichen Einfluß zum Elend oder Glücke haben sollte. Rund um die gewaltigen Mauern wachte er mit mechanischer nutzloser Aengstlichkeit, jeder Stein des Gebäudes war beredt für sein einsames Herz —— schön für seine wilde Phantasie. In jenen nackten Gebäuden war für ihn das geliebte fruchtbare Vaterhaus, hier war der Tempel, für dessen Verherrlichung sein Geist in Sklavenbande geschlagen, zu dessen Ehre seine Jugend geopfert worden war. Um die geheimen Raume und die geheiligten Höfe schritt er mit eiligen Tritten und reinigte mit sanfter, fleißiger Hand die Statuen neben ihm von Blutflecken und den Befleckungen des Kriegs. Trübe, einsam, nachdenklich, wie in den ersten Tagen seiner Lehrzeit zum Götterdienst, schweifte er jetzt in den mondhellen Gemächern umher, wo in seiner Jugendzeit Macrinus sein Lehrer gewesen war. Wie die drohenden Tumulte des Tages seinen Zorn erregt hatten, so erweckte die Stille der ruhigen Nacht seine Sanftmuth. Er hatte am Morgen für den Tempel gekämpft, wie ein Sohn für seinen Vater, und ietzt bei Nacht wachte er über ihm, wie der Geizige über seinen Schätzen, wie der Liebende über seiner Geliebten, wie eine Mutter über ihrem Kinde!

Die Tage vergingen und endlich erschien der denkwürdige Morgen, welcher das Schicksal des letzten Tempels entscheiden sollte, den der christliche Fanatismus für die Bewunderung der Welt ausgespart hatte. In der Frühe des Tages trafen die verminderten Schaaren der heidnischen Streiter mit ihren verstärkten, entschlossenen Gegnern, beide unbewaffnet, auf dem Hauptplatze von Alexandria zusammen. Die kaiserliche Verfügung wurde hier öffentlich vorgelesen.

.

Sie begann damit, daß sie den Heiden versicherte, wie das Ansuchen ihres Priesters um Schutz für den Tempel dieselbe Berücksichtigung erfahren habe, welche der von dem christlichen Erzbischof übersendeten Petition gegen die Götter zu Theil geworden sei und endete mit dem Befehl des Kaisers, daß Serapis und alle andere Götzenbilder in Alexandria sofort vernichtet werden sollten.

Das Triumphgeschrei, welches dem Schlusse des kaiserlichen Edikts folgte, war in den christlichen Reihen noch nicht verstummt, als die Vorhut der zur Unterstützung des Vollzugs des kaiserlichen Dekrets bestimmten Soldaten aus dem Platze erschien. Einige Minuten lang standen die verlassenen Heiden an die Stelle gewurzelt, wo sie sich versammelt hatten, und blickten in stumpfer Verwirrung und Verzweiflung auf die kriegerischen Vorbereitungen um sie her.

Als sie sich dann erinnerten, wie vermindert ihre Zahl, wie schwer ihre erste Vertheidigung gegen Wenige gewesen war und wie unmöglich eine zweite gegen Viele sein würde, wurden die Kühnsten wie die Schwächsten von einem panischen Schrecken ergriffen, und ohne an Ulpius, ohne an die Ehre, ohne an die Götter zu denken, wendeten sie sich wie ein Mann und flohen vom Platze.

Mit der Flucht der Heiden begann das Werk der Zerstörung. Selbst Frauen und Kinder eilten herbei, um an der willkommenen Aufgabe rücksichtsloser Vernichtung Theil zu nehmen. Diesmal versperrten keine Vertheidiger den Christenschaaren die Thore des Tempels. Die erhabene Einsamkeit des bewohnerlosen Gebäudes wurde augenblicklich gestört und geschändet Die Statuen wurden zerschlagen, das Gold der Verzierung davon geschleppt, die Thüren zersplittert —— hier aber hielt für jetzt das Werk der Zerstörung an. Diejenigen, denen die Arbeit, das äußere Gebäude zu zertrümmern, anvertraut worden war, hatten dabei geringeren Erfolg als ihre Freunde, welche das Innere ausplünderten. Die gewichtigen Steine der Säulen, die massive Oberfläche der Mauern widerstanden selbst ihren kräftigsten Anstrengungen und zwangen sie, sich mit dem Verstümmeln Desjenigen, was sie nicht zerstören konnten, zu begnügen —— mit dem Abreißen der Dächer, dem Verstümmeln der Statuen und Zerschlagen der Capitäle. Das übrige Gebäude blieb unverletzt und stand selbst jetzt in seinen Ruinen noch großartiger da, als es je in der Pracht seiner Vollkommenheit und Macht gewesen war.

Aber die wichtigste That blieb noch zu verrichten. Dem Heidenthume mußte noch seine Todeswunde geschlagen, die Bildsäule des Serapis, der die Herzen von Millionen beherrscht hatte und in den entferntesten Winkeln des Reiches berühmt war, zerstört werden.

Athemlose Stille herrschte in den Reihen der Christen, als sie in die Halle des Gottes drangen. Eine abergläubische Scheu, der sie sich bis jetzt überlegen geglaubt hatten, kam über ihre Herzen, als ein einziger Soldat, kühner wie seine Genossen, auf einer Leiter bis zum Kopfe der kolossalen Statue hinaufstieg und mit seiner Axt einen Streich nach ihrer Wange führte. Der Schlag war kaum erfolgt, als, ein tiefes Stöhnen von der entgegengesetzten Mauer des Saales her ertönte, dann hörte, man sich entfernende Schritte und darauf war Alles still. Auf einige Minuten hielt dieser Vorfall Diejenigen zurück, welche im Begriff waren, ihrem Genossen in der Verstümmlung des Götterbildes beizustehen, dann aber verschwand ihr Zaudern, sie führten ihre Streiche nach der Statue und es folgten denselben keine weiteren Laute.

In unglaublich kurzer Zeit lag das Bild des Serapis in Trümmern auf dem Boden. Die Menge bemächtigte sich der Glieder der Bildsäule und eilte hinweg, um sie triumphierend durch die Straßen zu schleppen. Noch wenige Minuten und die Ruinen waren öde, der Tempel verstummt, das Heidenthum vernichtet!

Die Christen waren in ihrem Zerstörungslaufe durch den Tempel mit der hartnäckigsten Ausdauer und zugleich der vollkommensten Straflosigkeit von dem einzigen Heiden, der nicht in der Flucht Sicherheit gesucht hatte, gefolgt worden. Dieser Mann, der jeden geheimen Gang, jede Treppe des heiligen Gebäudes kannte, konnte insgeheim bei jeder neuen Zerstörungshandlung, in welchem Theile des Gebäudes sie auch stattfinden mochte, zugegen sein Von Halle zu Halle, und Zimmer zu Zimmer folgte er mit geräuschlosem Schritte und glühendem Auge den Bewegungen des christlichen Pöbels —— bald hinter einer Säule versteckt, bald in geheime Höhlungen der Mauern schlüpfend, bald von unmerklichen Spalten in der Decke herabblickend; wo er aber auch immer sein mochte, stets mit derselben Aufmerksamkeit und demselben bewegten Schweigen, selbst die geringfügigsten Zerstörungen der Niedrigsten unter den Reihen der Christen beobachtend.

Erst als er mit den siegreichen Verwüsten in das ungeheure Gemach trat, welches von dem Bilde des Serapis eingenommen wurde, begann das Gesicht des Mannes Zeugniß von der Pein abzulegen, in welcher sein Herz zuckte. Er stieg eine Geheimtreppe, die in der massiven Wand ausgehauen war, hinauf, gelangte in einen Gang, der um den Rand der Decke lief und blickte durch eine Art von Fenster, welches in den Zierrathen des Karnises verborgen war. Als er so hinabschauend, den Soldaten die Axt in den Händen zu dem Kopfe der Statue hinaufsteigen sah, träufelten große Schweißtropfen von seiner Stirn. Der heiße Athem zischte dick durch seine zusammengepreßten Zähne und seine Hände griffen in die starken Metallstützen des Fensters, daß sich dieselben verbogen.

Als der Streich auf das Götterbild fiel, schloß er die Augen. Als das von dem Schlage abgelöste Bruchstück zu Boden stürzte, entfloh seinen bebenden Lippen ein Stöhnen. Noch einen Augenblick starrte er mit Entsetzen auf die Menge zu seinen Füßen und stieg dann mit rasender Eile die steile Treppe, über die er hinaufgelangt war, herab, und floh aus dem Tempel.

In der Nacht darauf wurde der Mann wieder von einigen Schäfern, die die Neugier zu einem Besuche in dem entheiligten Gebäude getrieben hatte, gesehen, wie er in den zerstörten, verlassenen Säulenhallen bitterlich weinte. Als sie sich ihm näherten, um ihn anzureden, erhob er den Kopf und winkte ihnen mit flehender Gebärde, ihn zu verlassen. Während der wenigen Augenblicke, wo er ihnen gegenüber stand, schien der Mond voll auf sein Gesicht und die Schäfer, die in früheren Tagen den Ceremonien im Tempel beigewohnt hatten, sahen mit Erstaunen, daß der einsame, trauernde, dessen Betrachtungen sie unterbrochen hatten, kein Anderer war als Ulpius der Priester.

In der Morgendämmerung kamen diese Schäfer wieder an den Mauern des geplünderten Tempels vorüber. Während der Stunden der Nacht hatte ihnen die Erinnerung an den trostlosen, ungetheilten Schmerz, den sie erblickt, an die furchtbare Einsamkeit des Elendes, in welcher sie den verlassenen Mann mit dem gebrochenen Herzen, dessen leisestes Wort sie einst freudig verehrt hatten, gesehen, ein Gefühl des Mitleids für den unglücklichen Heiden eingeflößt, welches weit von dem Verfolgungsgeiste abwich, den das Wahnchristenthum ihrer Zeit der Brust selbst seiner geringsten Schüler einflößen wollte. Auf Trost bedacht, von dem Verlangen, Hilfe zu gewähren, erfüllt, traten diese Männer gleich dem barmherzigen Samaritaner ein, um einem bekümmerten Bruder beizustehen. Sie durchsuchten alle Theile des leeren Gebäudes, aber der Gegenstand ihrer Theilnahme war nirgends zu sehen. Sie riefen, aber sie vernahmen außer den Klagen des frühen Morgenwindes durch die zerstörten Hallen, die vor Kurzem noch von der Beredtsamkeit des einst berühmten Priesters erfüllt gewesen waren, keinen antwortenden Ton. Mit Ausnahme einiger Nachtvögel, denen das öde Gebäude bereits Zuflucht gewährte, bewegte sich kein lebendes Wesen in Dem, was einst der Tempel der östlichen Welt gewesen war. Ulpius war verschwunden.

Diese Ereignisse fanden im Jahrr 389 statt.

Ein Jahr darauf wurde das Halten von heidnischen Ceremonien im ganzen römischen Reiche dem Hochverrathe gleich gestellt. Von dieser Periode an spalteten sich die zerstreuten Wenigen, welche noch dem alten Glauben anhingen, in drei Theile, die alle gleich unbedeutend waren, mochte man sie nun als offene oder geheime Feinde der neuen Staatsreligion betrachten.

Die erste Abtheilung bemühte sich ohne Erfolg, die die Opfer und Wahrsagereien verbietenden Gesetze zu umgehen, indem sie ihre religiösen Feierlichkeiten unter der Form von gastlichen Zusammenkünften verbarg.

Die zweite bewahrte ihre alte Ehrerbietung für die Theorie des Heidenthums, gaben aber alle Hoffnung und Absicht auf, je wieder die Ausübung derselben vorzunehmen. Durch dergleichen rechtzeitige Zugeständnisse gelang es Vielen, hohe und einträgliche Staatsämter zu behaupten und selbst zu erlangen.

Die Dritten zogen sich als freiwillige Verbannte von jeder Religion in ihre Heimath zurück, gaben aus Nothwendigkeit die Uebung des Heidenthums auf und vermieden aus freier Wahl die Gemeinschaft der Christen.

Dies waren die unwichtigen Abtheilungen, in welche jetzt die letzten Ueberbleibsel der einst mächtigen Heiden versanken. Aber der von seiner stolzen Höhe herabgestürzte Ulpins schloß sich nie einer von denselben an.

Fünf lange Jahre von der Epoche der Verbietung des Heidenthums an gerechnet, wanderte er durch das ganze Reich und besuchte als freundloser, hoffnungsloser, einsamer Mann in allen Ländern die zerstörten Heiligthümer seiner unterdrückten Religion.

Durch ganz Europa und alles, was in Asien und Afrika noch zu Rom gehörte, nahm er seinen langsamen mühseligen Weg. Durch die fruchtbaren Thaler Galliens, über den glühenden Sand von Afrika, durch die sonnenhellen Städte von Spanien reiste er freundlos, wie ein fluchbelasteter, einsam, wie ein zweiter Kain. Keinen Augenblick verließ die Erinnerung an seine zerstörten Pläne sein Gedächtniß oder der wahnsinnige Vorsatz, seine Religion neu zu beleben, seinen Geist. An jedem Ueberbleibsel des Heidenthums, welches er auf seinem Wege traf, wie geringfügig es auch sein mochte, fand er Nahrung für seine grimmige Pein, Beschäftigung für seine rachsüchtigen Gedanken. In den kleinen Dörfern wurden oft die Kinder von ihren Spielen in einem verlassenen Tempel durch das Erscheinen seiner magern, starren Gestalt unter den schwankenden Säulen oder den Ton seiner hohlen Stimme unter den heidnischen Gräberruinen aus ihren Spielen aufgeschreckt. Oft fanden ihn in menschenvollen Städten Männergruppen, die sich versammelt hatten, ums über ihre Erinnerungen an den Fall des Heidenthums zusprechen, lauschend an ihrer Seite und wenn sie nachlässig ihren alten Glauben bedauerten, sie mit der lächelnd geflüsterten Versicherung tröstend, daß noch die Zeit des Wiederersatzes kommen würde. Von Allen und überall wurde er als ein unschädlicher Wahnsinniger betrachtet, dessen seltsame Verblendungen und Vorurtheile nicht bekämpft werden durften, sondern mit Nachsicht betrachtet werden mußten.

So wanderte er durch die christliche Welt, ohne auf das Verfließen der Zeit und die Veränderung des Klimas zu achten, lebte nur mit sich, fand Genuß in der Trauer über den Untergang seiner Religion, ließ sich geduldig die ihm zu Theil werdenden Beleidigungen, Schmähungen und Hoffnungstäuschungen gefallen, wartete auf die-Gelegenheit, die, wie er immer noch glaubte sicher kommen würde, und hielt mit aller Rücksichtslosigkeit des Ehrgeizes und aller Ausdauer der Rachsucht an seinem Vorsatze fest.

Die fünf Jahre vergingen unbeachtet, unberechnet, von Ulpius unbedauert. Für ihn, der nur in der Vergangenheit lebte, nur für die Zukunft hoffte, besaß der Raum keine Hindernisse, war die Zeit etwas Vergessenes. Jahre vergehen wie Tage, Stunden wie Augenblicke, wenn die wechselnden Empfindungen, welche ihre Existenz im Gedächtnisse bezeichnen und ihre Reihenfolge auf dem Zifferblatte des Herzens anmerken, nicht mehr zum Glück oder Schmerz existieren, für alle neuen Gefühle todt, lag Ulpius Geist, seine ganzen Wanderungen hindurch, unter der einen Idee, welche ihn ausfüllte, erstarrt da. Erst nach Verlauf dieser unbeachteten Jahre, als der Zufall der Reise seine Schritte nach Alexandria lenkte, brach sein Geist die lange Knechtschaft, welche ihn bedrückt hatte. Dort —— als er durch das Thor schritt, in welches er vor langen Jahren als ein stolzer, ehrgeiziger Knabe getreten war, als er unbegrüßt durch die Ruinen des Tempels wanderte, wo er einst berühmt und verehrt gelebt hatte, —— erhoben sich seine dumpfen, kalten Gedanken stark und lebenskräftig in ihm. Der Anblick des Schauplatzes seiner früheren Herrlichkeit, welcher bei Andern vielleicht Verzweiflung erweckt haben würde, regte in ihm die schlafenden Leidenschaften auf, machte die erstickten Kräfte frei. Die Pläne der Rache und die Visionen der Wiederherstellung des Heidenthums, über welchen er fünf lange Jahre hindurch gebrütet hatte, stiegen jetzt vor ihm auf, als wären sie schon von dem belebenden Einflusse der ihn umgebenden, entweihten Lokalitäten verwirklicht worden. Als er so in den zertrümmerten Säulengängen des Heiligthums stand, gab es keinen zu seinen Füßen zerbröckelten Stein, der ihn nicht über seine bisherige Unthätigkeit getadelt und ihn zum Wagen zu Verschwörungen, zur Rache im Dienste der beleidigten Götter gestärkt hätte. Die Tempelruinen, welche er auf seinen düsteren Wanderungen besucht hatte, wurden jetzt von seiner Phantasie wieder belebt, als sie sich eine nach der andern in seinem angestrengten Gedächtnisse erhoben. Zerbrochene Säulen stiegen vom Boden auf, entweihte Götterbilder nahmen wieder ihre leeren Fußgestelle ein und er, der Verbannte und Trauernde, stand wieder als Herrscher, Lehrer und Priester da.

Die Zeit der Wiederherstellung war gekommen obgleich sein Verstand ihm noch keine bestimmten Pläne eingab, trieb ihn doch sein Herz an, blindlings auf die Ausführung seiner Reform zuzueilen. Der Augenblick war erschienen —— Macrinus sollte noch gerächt, der Tempel endlich wieder hergestellt werden.

Er stieg in die Stadt hinab, er eilte, ohne bewillkommnet oder wieder erkannt zu werden, durch die menschenvollen Straßen, er trat in das Haus eines Mannes, der einst in früheren Tagen sein Freund und College gewesen war, schüttete gegen ihn seine phantastischen Vorsätze und unzusammenhängenden Pläne aus, flehte ihn um Beistand an und versprach ihm herrlichen Erfolg. Aber sein alter Genoss war durch rechtzeitige Bekehrung zum Chtistenthume ein Mann von Vermögen und Ansehen in Alexandria geworden und wendete sich mit Entrüstung und Verachtung von dem freundlosen Enthusiasten ab.

Zurückgewiesen aber nicht entmuthigt suchte Ulpius Andere auf, die er in seinem Glück und Glanz gekannt. Sie alle hatten ihren alten Glauben abgeschworen, —— sie alle empfingen ihn mit studierter Kälte oder nachlässiger Geringschätzung, er aber verharrte trotzdem auf seinen nutzlosen Versuchen. Er verblendete seine Augen gegen ihre verächtlichen Blicke, er verschloß seine Ohren ihren spöttischen Worten. In seiner Selbstverblendung verharrend, ernannte er sie zu Boten an ihre Brüder in anderen Ländern, zu Anführern der Verschwörung, die in Alexandria beginnen sollte, zu Rednern vor dem Volke, wenn die denkwürdige Revolution einmal begonnen haben würde. Umsonst verweigerten sie jede Theilnahme an seinen Plänen, er verließ sie, als eben die Worte der Weigerung auf ihre Lippen stiegen und eilte zu andern in seinen Anstrengungen so eifrig, seiner unwillkommenen Sendung so hingegeben, als ob« sich die Hälfte der Bevölkerung der Stadt freudig gelobt habe, ihm in seinem rasenden Vorhaben beizustehen.

So setzte er den ganzen Tag hindurch seine Arbeit unablässiger Ueberrednng unter denjenigen Bewohnern der Stadt, welche einst seine Freunde gewesen waren, fort. Als der Abend kam, begab er sich müde, aber nicht niedergeschlagen nach dem irdischen Paradiese, weiches er wieder zu erlangen entschlossen war —— dem Tempel, wo er einst gelehrt hatte, und welchem er immer noch dereinst vorzustehen hoffte. Hier begann er, mit den neuen Gesetzen unbekannt, gleichgültig gegen Entdeckung und Gefahr, wie in alten Zeiten durch seine Wahrsagekunst zu untersuchen, ob seinen großen Plan Mißlingen oder Erfolg erwarte.

Unterdessen waren die Freunde, deren Beistand zu erzwingen Ulpius beschlossen hatte, ihrerseits nach der Entfernung des eifrigen Priesters keineswegs unthätig geblieben. Sie erinnerten sich mit Schrecken, daß die Gesetze eben so streng gegen Diejenigen waren, welche ihre Kenntniß von einer heidnischen Intrige geheim hielten, wie gegen die wirklich an einer heidnischen Verschwörung Betheiligten. Und sie begaben sich, in der Besorgniß um ihre persönliche Sicherheit mit Ueberwindung aller Rücksichten der Ehre und Ansprüche alter Freundschaft, zusammen zu dem Präfekten der Stadt, um ihn mit dem ganzen Eifer der Besorgniß von der Anwesenheit des Ulpius in Alexandria und dessen verbrecherischen Plänen zu benachrichtigen.

Jetzt wurde sofort Nachsuchung nach dem unbekehrten Heiden gehalten. Man fand ihn noch im Laufe der Nacht vor einem zerstörten Altare über den Eingeweiden eines so eben von ihm geopferten Thieres brüten. Es bedurfte keines weiteren Beweises seiner Schuld. Er wurde gefangen genommen, am folgenden Morgen unter den Verwünschungen des Volkes, welches ihn einst fast angebetet hatte, vor Gericht gestellt und verurtheilt, den nächsten Tag die Todesstrafe zu erleiden.

Zur angesetzten Stunde versammelte sich der Pöbel, um die Hinrichtung anzusehen. Zu seiner Entrüstung sah er sich jedoch in seinen Erwartungen getäuscht, denn als die Gerichtsbeamten der Stadt vor dem Gefängnisse erschienen, geschah es nur, um den Zuschauern anzuzeigen, daß die Ausführung der blutigen Feierlichkeit verschoben worden sei. Nach einer räthselhaften mehrwöchentlichen Frist wurden sie wieder zusammenberufen, aber nicht um der Hinrichtung beizuwohnen, sondern um die außerordentliche Ankündigung zu erhalten, daß das Leben des Missethäters geschont werden würde, und der abgeminderte Richterspruch ihn jetzt zu lebenslänglicher Sklavenarbeit in den spanischen Kupferbergwerken verdamme.

Welcher mächtige Einfluß den Präfekten bewogen hatte, sich durch Begnadigung eines Gefangenen, dessen Schuld so vollkommen erwiesen war wie die des Ulpius, dem öffentlichen Hasse auszusetzen, kam nie an den Tag. Die Einen behaupteten, daß der Stadtrichter noch im Herzen ein Heide sei und sich daher scheue, den Tod eines Mannes zu autorisieren, der einst der berühmteste von den Bekennern des alten Glaubens gewesen war. Andere meinten, daß Ulpius die Nachsicht seiner Richter dadurch erlangt habe, daß er sie mit der Lage eines von den geheimen Behältnissen unter den Grundlagen des zerstörten Serapistempels, die, wie man glaubte, ungeheure Schätze enthalten sollten, bekannt gemacht habe. Es wurde aber nie zur Genüge erwiesen, welches von diesen beiden Gerüchten begründet sei, man entdeckte weiter nichts, als daß Ulpius um Mitternacht von Alexandrien nach dem ihm von den glaubenseifrigen Behörden bestimmten Orte irdischer Pein geschafft worden war und die Schildwache an dem Thore, durch welches man ihn brachte, ihn im Vorbeigehen vor steh hin murmeln gehört hatte, daß die Augurien ihn auf das Mißlingen vorbereitet, der große Tag der Wiederherstellung des Heidenthums aber noch erscheinen werde.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Im Jahre 407, zwölf Jahre nach den eben erzählten Ereignissen, betrat Ulpius Rom.

Er war noch nicht weit gekommen, als ihn schon das Getümmel und die Verwirrung aus der Straße völlig außer Fassung zu bringen schien, er eilte nach dem nächsten öffentlichen Garten, welchen er bemerken konnte, vermied die besuchteren Wege und warf sich, wie es schien, in ohnmächtiger Erschöpfung am Fuße eines Baumes nieder.

Eine Zeitlang lag er auf dem von ihm gewählten schattigen Ruheplatze peinlich aufathmend mit fortwährend von plötzlichen Krämpfen durchzittertern Körper und von einer Aufregung, die er umsonst zu unterdrücken versuchte, bebenden Lippen da. Sein Aussehen war so verändert, daß die Wachen, welche ihn von Alexandrien fortgebracht hatten, so elend sein Aeußeres selbst damals schon war, ihn jetzt unmöglich als denselben Mann wieder erkannt haben würden, der einst von ihnen zur Sklaverei in die spanischen Bergwerke abgeliefert worden war. Die Dünste der Kupferbergwerke in denen er zwölf Jahre wie vergraben gelegen, hatten nicht nur das Fleisch auf seinen Gebeinen verzehrt, sondern auch seiner Oberfläche eine fast todtenartige gelbe Farbe ertheilt. Seine vom Alter abgezehrten und durch Leiden verkrümmten Glieder beugten sich und zitterten unter ihm und seine in ihren edeln Verhältnissen einst so majestätische Gestalt war jetzt so verzerrt und verkrüppelt, daß wer ihn erblickte, nicht anders glauben konnte, als daß er von Geburt an verunstaltet gewesen sein müsse. Von dem früheren Manne war kein Kennzeichen mehr übrig geblieben, als der Ausdruck der strengen, traurigen Augen und diese, die wahrhaften Dolmetscher des unbesiegbaren Geistes, dessen Empfindungen auszudrücken sie geschaffen schienen, bewahrten von Leiden unverändert und von der Zeit unvermindert noch denselben Blick theils der Reflexion, theils des Trotzes und theils der Verzweiflung, welcher in ihnen geleuchtet hatte, als der Tempel zerstört und die Gemeinde der Heiden zerstreut wurde.

Aber die in diesem Augenblicke von seinem erschöpften Körper geforderte Ruhe wurde ihm selbst jetzt von seinem ungezähmtem unermüdlichen Geiste verweigert, und als die Stimme seiner alten Verblendung wieder in seinem Innern sprach, erhob sich der glanbenseifrige Priester von seinem einsamen Rastorte und blickte auf die große Stadt, deren neue Religion er umzustzürzen gelobt hatte.

»Durch jahrelange geduldige Wachsamkeit,« flüsterte er vor sich hin, »ist es mir gelungen, glücklich aus meinem Kerker in den Bergwerken zu entkommen. Nur noch ein wenig mehr List, ein wenig mehr Ausdauer, ein wenig mehr Wachsamkeit und ich werde es noch erleben, durch meine Anstrengungen die verlassenen Tempel Rom’s wieder zu bevölkern.«

Mit diesen Worten trat er aus dem Garten auf die Straße hinaus. Der heitere Sonnenschein der ihn Jahre lang fremd gewesen war, strahlte warm auf sein Gesicht, wie um ihn in der Freiheit und, der Welt willkommen zu heißen. Die Töne muntern Gelächters erklangen in seinen Ohren, wie um ihn zu den frohen Genüssen des Lebens zurückzulocken; aber der Einfluß der Natur und das Beispiel der Menschen waren für sein einsames Herz jetzt gleich stumm. In den traurigen Einöden desselben herrschte immer noch der Ehrgeiz, welcher aus seiner Jugend die Liebe und aus seinem Mannesalter die Freundschaft verbannt hatte und bestimmt war, seine Zerstörungssendung damit zu beenden, daß er aus seinem Alter die Ruhe verbannte. Er suchte, grimmig auf Alles, was ihn umgab, starrend, die einsamsten und schattigsten Straßen auf, die Einsamkeit war für sein Herz jetzt eine Nothwendigkeit geworden, der tiefe Abgrund seiner ungetheilten Bestrebungen hatte ihn längst schon für immer von seinen Mitmenschen getrennt. Er dachte, arbeitete und litt allein.

Wenn wir die Jahre unbelohnter Arbeit und durch nichts gemilderter Mühseligkeiten, welche Ulpius am Orte seiner Strafe erlitt, beschreiben, auf dem Tage, der, was auch die Jahreszeit über ihm in der Welt sein mochte, die gleiche wechsellose Bestimmung von Anstrengung und Ermattung mitbrachte, verweilen, die Geschichte der Nächte verzeichnen wollten, in denen der unruhige Schlummer der einen Stunde nur mit dem ermattenden Nachdenken der andern abwechselte, so würden wir ein Gemälde liefern, vor dessen trauriger Eintönigkeit die Aufmerksamkeit des Lesers mit Abscheu zurückschrecken müßte? Es wird hier genügen, wenn wir bemerken, daß der Einfluß derselben Verblendung, welche ihn zur Vertheidigung des angegriffenen Tempels gestählt und zu seinem unüberlegten Versuche der Wiederherstellung des Heidenthums ermuthigt hatte, auch im Stande gewesen war, ihn unter Leiden aufrecht zu erhalten, die stärkere und jüngere Männer für immer darnieder gedrückt haben würden, ihm den Entschluß, aus der Sklaverei zu entfliehen, eingegeben, und ihn jetzt nach Rom geführt hatte, um so alt, verlassen und schwach er auch war, für die Sache, der er sich rücksichtslos für immer mit Leib und Seele geweiht neue Gefahren zu bestehen und, neue Drangsale zu erleiden.

Von seiner Verblendung getrieben, war er daher jetzt in, eine Stadt gekommen, wo man nicht einmal seinen Namen kannte, um seinem rasenden Plane treu sich hilflosen einzelnen Mann dem Volke und der Regierung eines Kaiserreiches zu, widersetzen. Während seiner Sklavenzeit hatte er, ohne seine vorgerückten Jahre zu achten, eine Reihe von Plänen gefaßt, deren allmälige Ausführung ein langes thatkräftiges Leben erfordert haben würde. Er wollte nicht mehr wie bei seinem früheren Versuche in Alexandria den Erfolg seiner Absichten auf einen Wurf sehen. Er war jetzt darauf gerüstet, jahrelang zu wachen und zu warten, zu arbeiten und zu sinnen, er wollte sich mit dem ärmlichsten und langsamsten Fortschritte begnügen, von der geringsten Aussicht auf endlichen Sieg ermuthigen lassen.

Diesem Entschlusse zu Folge begann er damit, Alles, was von seinen geschwächten Kräften noch vorhanden war, darauf zu verwenden, sich vorsichtig durch alle in seiner, Macht stehenden Mittel über die politischen, religiösen und Privatansichten aller Männer von Einfluß in Rom zu belehren. Wo sich eine Volkskmenge zusammenfand, begab er sich unter sie, um das Geschwätz des Tages zu hören, wo die Möglichkeit vorhanden war, ein Privatgespräch zu behorchen, wußte er unbemerkt darauf zu lauschen. Er schlicht geräuschlos wie ein Schatten und eben so achtsam auf die leichtsinnigen Enthüllungen der Trunkenheit, wie auf die Schmähungen boshafter Sklaven an Wirthshausthüren und Herbergen dienstloser Domestiken umher. Ein Tag verging nach dem andern und immer noch gab der sich seiner Beschäftigung, die, so niedrig sie auch an sich war, doch in seinen Augen durch ihr hohes Ziel veredelt wurde, hin, bis er sich nach einigen Monaten im Besitz eines Vorrathes von unbestimmten und ungenauen Nachrichten sah, welche er als einen kostbaren Schatz in seinem Geiste aufspeicherte. Dann erkundigte er sich nach den Namen und der Wohnung jedes römischen Edelmanne der im Verdacht auch nur der gleichgültigsten Anhänglichkeit für die alten Religionsformen stand. Er besuchte die christlichen Kirchen, unterrichtete sich über die Lehrsätze der verschiedenen Sekten und beurtheilte die Wichtigkeit der mit einander streitenden Schismen und erlangte diese Sammlung von heterogenen Thatsachen unter den vereinigten Nachtheilen der Armuth, Einsamkeit und des Alters, wobei er in Bezug auf seinen Lebensunterhalt von dem geringsten öffentlichen Almosen und auf sein Obdach von den ärmlichsten öffentlichen Freistätten abhing.

Jeder Schluß, welchen er aus allem, was er erfuhr, zog, nahm den sanguinischen Charakter der verderblichen Selbsttäuschung an, welche sein ganzes Leben verbittert hatte. Er glaubte, daß die Zwistigkeiten, welche er in der Kirche erblickte, über kurz oder lang die Vernichtung des Christenthums selbst zur Folge haben würden, daß, wenn eine solche Periode eintrete, das Publikum nur der Leitung eines höheren Geistes bedürfe, um wieder zu seiner alten Religion zurückzukehren und daß es um die Grundlage einer solchen erwünschten Revolution zu verrichten, für ihn nothwendig sei, so unmöglich es auch in seiner gegenwärtigen, entwürdigten Stellung erscheinen möge, Zutritt bei den unzufriedenen Edelleuten von Rom zu erlangen und das Geheimnis zu entdecken; über sie einen Einfluß zu gewinnen, der ihn in den Stand setzen konnte, sie mit seinem Enthusiasmus zu erfüllen und mit seiner Entschlossenheit anzufeuern. Es waren schon noch größere Schwierigkeiten als diese von andern Männern überwunden worden; es hatten schon früher einzelne Individuen Revolutionen bewirkt. Die Götter würden ihn begünstigen, seine eigne Schlauheit ihn beschützen. Nur noch ein wenig mehr Geduld —— noch ein wenig mehr Entschlossenheit und er konnte trotz aller seiner Unglücksfälle noch immer des Erfolgs gewiß sein.

Um diese Zeit hörte er zuerst während seiner Forschungen von einem unbekannten Manne, der sich Möglich erhoben hatte, um eine Revolution in der christlichen Kirche zu bewirken, deren erklärter Zweck es war, die neue Religion gerade von der Ausartung zu befreien, auf deren Fortschreiten alle seine Hoffnungen des Triumphes berühren. Man sagte, daß dieser Mann schon seit einiger Zeit mit seinen Reformationsarbeiten beschäftigt sei, aber die Schwierigkeiten der Aufgabe, welche er sich gestellt, ihn bisher verhindert habe, die Notorität zu erlangen, welche zur erfolgreichen Ausführung seiner Pläne wesentlich war. Sobald Ulpius dieses Gerücht vernahm, schloß er sich sofort den Wenigen an, die den Predigten des neuen Redners beiwohnten, und hörte jetzt genug, um sich zu überzeugen, daß er den entschlossensten Eiferer für das Christenthum, den es in Rom gab, vor sich habe. Das Vertrauen dieses Mannes zu gewinnen, jeden Versuch, den er in seinem neuen Berufe machen könnte, zu vereiteln, sein Ansehen bei seinen Zuhörern zu vernichten und seine persönliche Sicherheit dadurch zu bedrohen, daß er dessen mächtigen Feinden in der Kirche seine innersten Geheimnisse verrieth, waren Entschlüsse, welche der Heide augenblicklich als von seinem Glauben gefordert, annahm.

Von diesen Augenblicke an ergriff er jeden Anlaß, die Aufmerksamkeit des neuen Reformators auf sich zu lenken, und wurde endlich für seine Schlauheit und Ausdauer dadurch belohnt, daß ihn der verdachtlose, wohlthätige Numerian als einen frommen Bekehrten zu dem Christenthume der Urkirche in sein Hans aufnahm.

Sobald der hinterlistige Heide erst unter Numrian’s Dache eingerichtet war, erblickte er in der Tochter des Christen ein Werkzeug, welches in seinen unskrupulösen Händen vortrefflich geeignet war, seinem Phantastischen Plan das Ohr eines der bestehenden Religion abgeneigten Römers von Macht und vornehmen Stande zu verschaffen.

Unter den Patriziern, mit deren christenfeindlichem Charakter ihn das Gerücht bekannt gemacht hatte, befand sich auch Numerian’s Nachbar, der Senator Vetranio. Für einen solchen Mann, der durch sein üppiges Leben berühmt war, würde ein Mädchen von der Schönheit Antonina’s eine hinreichend große Bestechung sein, um ihn in den Stand zu setzen, jedes nöthige Versprechen als Belohnung für ihren Verrath, so lange sie sich noch unter dem Schutze des väterlichen Daches befand, zu erpressen. Außer diesem Vortheile, welchen ihm. ihr Verderben bringen würde, hatte er noch die Gewißheit, daß ihr Verlust Numerian so tief berühren mußte, daß er wenigstens auf eine Zeitlang unfähig wurde, seine Arbeiten in der Sache des Christenthums fortzusetzen. In dieser verabscheuungswürdigen Absicht befestigt, erwartete also der mitleidslose Priester geduldig den Augenblick zum Beginn seiner Ränke. Er wachte nicht umsonst, das Opfer, Antonina, fiel unschuldiger Weise gerade in die Schlinge, welche er ihr vorbereitet hatte, als sie zum ersten Male auf die Klänge von Vetranio’s Laute horchte und ihrem verätherischen Hüter gestattete, ihr Freund zu werden, der ihren Ungehorsam vor ihrem Vater verbarg. Nach diesem ersten verderblichen Schritte brachte jeder Tag die Pläne des Ulpius ihrem Gelingen näher. Die lange gesuchte Zusammenkunft mit dem-Senator wurde endlich erlangt, die auf der einen Seite gebieterisch geforderte Zusage, wie wir bereits erzählt haben, von der andern sorglos angenommen, der Tag, welcher den Ränken des Verräthers Erfolg und den Verrathenen Schmach bringen sollten, angesetzt und das kalte Harz des Fanatikers erwärmte sich wieder unter der Berührung der Freude. Es kam ihn nie in den Sinn, die bindende Kraft seiner Abrede mit Vetranio in Zweifel zu ziehen. Er ahnte nicht, daß ihm der mächtige Senator mit vollkommener Straflosigkeit den unausführbaren Beistand, welchen er als seine Belohnung verlangt hatte, verweigern und ihn als einen unwissenden Tollhäusler aus seiner Palastthüre werfen lassen könne. Er glaubte fest und aufrichtig, daß Vetranio mit seiner Bereitwilligkeit zum Gelingen seiner verbrecherischen Absichten beizutragen, so zufrieden und von der Aussicht auf den Ruhm, welchen den Erfolg in dem großen Unternehmen erwarten würde, so geblendet sei, daß er sich gern an die Erfüllung seines Versprechens gebunden halten würde, wann auch immer sie von ihm verlangt werden würde.

Unterdessen hatte das Werk bereits begonnen. Numerian wurde selbst jetzt schon aus seine Anregung von den Spionen der eifersüchtigem rücksichtslosen Kirche beobachtet, Fehden, Schismen, Verräthereien und Zwistigkeiten herrschten in den christlichen Reihen. Alles vereinigte sich, um es gewiß zu machen, daß die Zeit nahe sei, wo durch seine Anstrengungen und die Hilfe des befreundeten Senators die Wiederherstellung des Heidenthums gesichert werden könne.

Trotz der größten Verschiedenheit der Handlungsweise und des Planes herrschte doch eine seltsame, räthselhafte Analogie zwischen der jetzigen Lage von Ulpius und Numerian. Der Eine war bereit für den Tempel, der Andere für die Kirche das Märtyrerthum zu erleiden. Beide waren Enthusiasten in einer unwillkommenen Sache, Beide hatten mehr als den sonst auf ein Leben fallenden Antheil von Bekümmerniß erlitten und Beide waren alt und schritten unwiderbringlich von ihren verbleichenden Aussichten auf Erden auf die sie in dem unbekannten Jenseits erwartende ewige Zukunft zu.

Hier hört aber die Aehnlichkeit zwischen ihnen auf.

Der leitende Grundsatz der Handlungen des Christen war aus der Gottheit, welcher er diente, gezogen, die Liebe; der des Heiden aus dem ihn vernichtenden Aberglauben entsprungen, der Haß. Der Eine arbeitete für die Menschheit, der Andere für sich und so konnten die auf das allgemeine Gute gegründeten, durch gute Thaten genährten und edel auf ein großes Ziel gerichteten Bestrebungen ihn zu Unvorsichkeiten verleiten, aber nie zum Verbrecher herabwürdigen, die Heiterkeit seines Lebens« trüben, ihn aber nie der Hoffnung berauben. Der Ehrgeiz des Ulpius dagegen entsprang aus Rache, war, auf Zerstörung gerichtet, forderte Grausamkeit von seinem Herzen und Hinterlist von seinem-Geiste, und spottete seiner zum Lohn für seine Dienste abwechselnd mit Täuschung und Verzweiflung.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Und nun, ehe wir Weiter gehen, wollen wir den einsamen alten Mann, dessen Priesterthumsgeschichte zu Ende gelangt ist, betrachten, wie er in dem dunkeln Zufluchtsorte, nach welchem er sich begab, als sein Opfer aus seinen Augen verschwunden war und das Bruchstück ihrer zerbrochenen Laute auf ihr Gemach getragen hatte, dessen Reinheit zu beschmutzen er sich nicht scheute —— über seine mitleidlosen Pläne nachdenkt. Stellen wir uns ihn in seiner Kindheit vor, wie er gelehrig und liebevoll, lernbegierig und freudig gehorsam, mit allen Fähigkeiten des Guten begabt, mit allen Eigenschaften zum Glücke versehen, frisch aus den Händen des Schöpfers kam —— und dann wollen wir ihn in seinem Alter anblicken, wie er durch die Einmischung der Menschen verdorben worden ist.

Seht, wie er allein da sitzt, wie keine Kinder um seine Kniee spielen, wie keine Erinnerung an vergangene Liebe und Freundlichkeit seine düstere Gegenwart vergoldet, keine wachsamen Freunde, keine himmelsgeborenen Bestrebungen die Schrecken der Todesaussichten zerstreuen, welche sich bereits aus ihn niedersenken. Der verkrümmt schwankende Körper ist durch viele Länder gereist, aber nie zu einer Sendung des Guten ausgegangen, die strengen, trüben Augen haben in Zorn geglüht und in Verachtung gefunkelt, aber Jahre sind vorübergegangen und kein Mitleid hat sie erreicht, keine Thränen haben in ihren eingesunkenen Höhlen gestanden. Selbst jetzt noch hält, wenn er nach dem Himmel hinaufblickt, der auf seinen verwelkten Wangen zitternde Mondschein keinen Verkehr mit seinem liebe leeren Herzen und das sich über ihm ausbreitende Firmament ist, trotz des schönen, durchsichtigen, reichen, nächtlichen Schattens, womit es geziert, für seinen achtlosen Geist bedeutungsleer und ohne Sprache. Seine Gedanken richten sich auf vergangene Verletzungen und künftige Rache, auf die Verrätherei. deren Beginn die Morgendämmerung bezeichnen soll, auf den vertrauensvollen Vater und die unschuldige Tochter, deren Glück er auf das Gebot der schlimmen Verblendung, die auf lebenslang seine bessern Eigenschaften gefangen genommen hat, ohne Bedauern zum Scheitern bringen kann. So ist er jetzt mit Herz und Seele an seinen monströsen Zweck fest gekettet, an Körper eine Ruine und an Geist eine Mißgestalt Die Erziehung, welche seine Kindheit irre geleitet, die Bestrebungen, welche seine Jugend getäuscht, und der Ehrgeiz, der sein Mannesalter entwürdigt hat, haben ihr Werk vollendet; und jetzt ebnet das Greisenalter des Verbrechens schnell den Pfad zu der letzten Folge von jenem Allen —— dem Tode der Verzweiflung.



Kapiteltrenner

Band 2

Erstes Buch.

O, wo ist Gnade, wo ist Mitleid jetzt?
Wohin ist die Barmherzigkeit geflohen?
Sackville’s »Gorboduc.«

Kapitel I.
Die Gothen.

Es war kein falsches Gerücht, welches die Einwohner der Vorstädte zur Flucht hinter die schützenden Stadtmauern getrieben hatte. Es war kein unbegründeter Schrei des Entsetzens, welcher an Ulpius Ohr schlug, als er an Numerians Fenster stand. Der Name Rom’s hatte in der That seinen ursprünglichen Schrecken verloren, die Mauern Rom’s, die Mauern, welche durch ihren Ruhm das Reich moralisch, wie die Hauptstadt desselben durch ihre Stärke physisch bewahrt hatten, waren endlich ihrer alten Unverletzlichkeit beraubt. Ein Barbarenheer war, rächend und erobernd, bis nach der Hauptstadt der Welt vorgedrungen. Das Resultat, nach welchem seit sechshundert Jahren alle Einfalle vergebens gestrebt hatten, war jetzt ausgeführt und zwar von denjenigen, deren Vorfahren einst von den Legionen der Cäsaren, gejagten Stieren gleich, in ihre undurchdringlichen Wälder geflohen waren — die Gothen standen vor den Thoren von Rom!

Und welche Empfindungen regten sich jetzt in dem Herzen Alarich’s, als seine Krieger um ihn her ihr Lager aufschlugen, als er die gewaffneten Schaaren, die sein Befehl zusammengerufen und seine Energie vorwärts geführt hatte, den feilen Senat, der ihn betrogen, und das prahlerische Volk, welches ihn verachtet, vor ihren Thoren bedrohen sah? Welches hohe Streben, welche kühnen Entschlüsse erwuchsen und kräftigten sich, als die Worte des kriegerischen Commando’s von seinen Lippen sielen und seine Augen die Bewegungen der ihn umgebenden Massen beobachteten, in dem Geiste des Mannes, welcher der Vorläufer der gewaltigen Revolution war, die aus einem Viertel der Welt die Herrschaft, die Civilisation das Leben und den Geist Jahrhunderte langer Gewalt vermischte? In seinem Geiste drängten sich hohe Gedanken, in seinem Innern entfaltete sich ein kühner Ehrgeiz —— nicht der Ehrgeiz des barbarischen Räubers, sondern der des Rächers, welcher gekommen war, um zu strafen, nicht der des Kriegers, welcher um des Kampfes willen kämpfte, sondern der des Helden, der sich gelobt hatte, zu erobern und zu herrschen. Von den fernen Tagen, wo Odin durch die Römer aus seinem Gebiet vertrieben wurde, bis zu der durch das Hinschlachten der Geißeln in Aquileja befleckten Nacht war die Stunde der gerechten, furchtbaren Vergeltung für das den Gothen angethane Unrecht lange, lange Jahre hindurch, und unter warnenden Convulsionen erbitterter Kämpfe verzögert worden, um endlich unter ihm zu nahen. Der einzige Eroberer seit Hannibal, von welchem die hohen vor ihm liegenden Mauern erblickt worden waren, fühlte er im Schauen auf dieselben, daß sein neues Streben ihn nicht trog, daß seine Träume der Herrschaft zu einer herrlichen Wirklichkeit aufgingen, daß sein Schicksal sich ruhmvoll mit dem Sturze des kaiserlichen Rom’s verkettete.

Aber selbst in dem Augenblick des nahen Triumphes war der Anführer der Gothen noch in seinen Absichten schlau und in seinen Handlungen gemäßigt. Seine ungeduldigen Krieger erwarteten nur ein Zeichen, um den Sturm zu beginnen, die Stadt zu plündern und die Einwohner niederzumetzeln, aber er hielt es zurück. Das Heer war kaum vor den Thoren Rom’s zum Halt gekommen, als sich unter seinen Reihen die Nachricht verbreitete, daß Alarich aus geheimen Absichten die Stadt durch eine Blockade einzunehmen beschlossen habe.

Seine Streitkräfte, die sich während seines Marsches durch dreißigtausend Mann Hilfstruppen verstärkt hatten, wurden jetzt in Schlachthaufen getheilt, deren Stärke je nach dem von ihnen geforderten Dienste wechselte. Diese Abtheilungen lagerten sich um die Stadtmauern und waren, wiewohl getrennte Posten einnehmend und getrennten Pflichten geweiht, so aufgestellt, daß sie sich auf ein gegebenes Zeichen in jeder beliebigen Anzahl aus jedem beliebigen Punkte vereinigen konnten. Vor einem jeden von den zwölf Hauptthoren wurde ein besonderes Lager aufgeschlagen. Große Schaaren beobachteten in jeder möglichen Richtung mit unermüdlicher Wachsamkeit die Schifffahrt auf dem Tiber und keiner von den gewöhnlichen Zugängen Rom’s, wie unbedeutend er auch erscheinen mochte, wurde übersehen. Hierdurch gelang es, jeden Verkehr zwischen der belagerten Stadt und den dieselbe umgebenden ausgedehnten fruchtbaren Landstrichen vollkommen abzuschneiden. Wenn man bedenkt, daß dieser verwickelte Blockadeplan gegen eine Stadt geübt wurde, die nach der niedrigst möglichen Schätzung zwölfmalhunderttausend Einwohner enthielt, die innerhalb ihren Mauern Mangel an Magazinen hatte, deren Bedarf durch regelmäßige Zufuhren vom platten Lande gedeckt werden mußte, die von einem unentschlossenen Senate regiert und von einer verweichlichten Armee vertheidigt wurde, so lassen sich die jetzt den belagerten Römern bevorstehenden Schrecken leichter vorstellen, als beschreiben.

Unter den Heerestheilen, welche jetzt die dem Untergange geweihte Stadt umringten, wird zur Bewachung des Pincischen Thores bestimmte sich unter den jetzigen Verhältnissen der Aufmerksamkeit des Lesers am würdigsten erweisen, da Einer von den Unterbefehlshabern derselben der junge Häuptling Hermanrich war, welchen Goiswintha seit der Zeit, wo wir ihn an der Grenze oder italienischen Alpen verließen, durch alle Mühen und Gefahren des Marsches hin begleitet hatte.

Die Wachen warm ausgestellt, die Zelte aufgeschlagen, die Schutzwehren auf der Strecke, welche man gewählt hatte, um jeden möglichen Zugang zu dem Pincischen Thore besetzt zu halten, aufgerichtet worden, als sich Hermanrich zurückzog, um an Goiswinthens Seite die weiteren Befehle zu erwarten, welche ihm seine Vorgesetzten im gothischen Lager zugehen lassen würden. Die Stelle, auf welcher sich das einfache Zelt des jungen Kriegers befand, war eine geringe Anhöhe, etwas von den durch seine Kameraden gewählten Stellungen abgelegen, östlich vom Stadthore, und man überschaute von ihr aus in einiger Entfernung die verlassenen Gärten der Vorstädte und die stattlichen Paläste des Monte Pincio. Hinter seiner zeitweiligen Wohnung befand sich das durch die Flucht seiner erschreckten Bewohner in eine furchtbare Einöde verwandelte platte Land, und zu beiden Seiten sah man nichts als kriegerische Rüstungen, die, so weit das Auge reichte, ihre belebte Verwirrung von Soldaten, Zelten und Kriegsmaschinen ausbreiteten. Es war jetzt Abend. Die Mauern von Rom stiegen, von einem sich erhebenden Nebel verschleiert, sonnenlos und majestätisch vor den Augen der Gothen empor.

Das Geräusch in der belagerten Stadt wurde leiser und tiefer; es schien von der herniedersinkenden Finsterniß der Herbstnacht gedämpft zu werden und desto mehr an Hörbarkeit zu verlieren, je länger die wachsamen Belagerer von ihren verschiedenen Posten aus darauf lauschten.

In dem gothischen Lager zeigten sich allmälig in unregelmäßigen Zwischenräumen grelle Lichter. Der schmetternde Ruf der Signaltrompete erschallte rauh und kurz abgebrochen von Schaar zu Schaar und durch die nebelige, dicke Luft erhob sich in den Zwischenräumen der wichtigeren Klänge das Schlagen schwerer Hämmer und die Rufe kriegerischer Befehle. Wo die Blockadevorbereitungen noch unvollständig waren, durfte weder das Einbrechen der Nacht, noch der Vorwand der Ermüdung auch nur einen Augenblick ihren Fortgang hindern. Alarich’s unbezähmbarer Wille besiegte jedes Hinderniß der Natur, jeden Mangel des Menschen. Die Finsternis konnte ihn nicht zur Ruhe zwingen, die Müdigkeit nicht zum Zögern verlocken.

In keinem Theile des Heeres waren die Befehle des Gothenkönigs schneller und verständiger ausgeführt worden, als in dem zur Bewachung des Pincischen Thores bestimmten. Das Zusammensein Hermanrich’s und Goiswinthens in dem Zelte des jungen Häuptlings blieb daher lange Zeit hindurch von neuen Geboten aus dem Hauptquartier des Lagers ununterbrochen.

Der äußern Erscheinung nach, hatten sowohl der Bruder wie die Schwester eine Veränderung erlitten, die bedeutend genug war, um selbst in dem ungewissen Lichte der Fackel, die sie jetzt beschien, als sie zusammen an der Thür des Zeltes standen, sichtbar zu sein. Die Züge Goiswinthens, welche zu der Zeit, wo wir sie am Ufer des Gebirgssee’s zum ersten Male erblickten, trotz ihrer tiefen Leiden, noch viel von der erhabenen, imposanten Schönheit bewahrten, durch welche sie sich in ihren glücklichen Tagen ausgezeichnet hatten, besaßen jetzt nicht mehr die mindeste Spur von ihrem früheren Reize. Die Frische ihres Teints war verwelkt, die Fülle ihrer, Gestalt verschwunden. Ihre Augen hatten einen starren, Finstern Ausdruck tückischer Verzweiflung angenommen und ihr Benehmen war mürrisch, zurückstoßend und mißtrauisch geworden. Diese Veränderung in ihrem äußern Aussehen war nur die Folge einer noch gefahrvolleren in der Stimmung ihres Herzens. Der Tod ihres letzten Kindes, gerade in dem Augenblick, wo ihre Flucht sie glücklich unter den Schutz ihres Volkes gebracht, hatte sie noch verderblicher berührt, als alle ihre früher erlittenen Verluste. Die Schwierigkeiten und Gefahren, welche sie bei der Rettung ihres Sprößlings aus dem Blutbade bestanden, die trübe Gewißheit, daß das Kind von allen frühem Gegenständen ihrer Neigung der einzige war, welchen sie noch lieben konnte, das wilde Trinmphgefühl, welches sie bei der Erinnerung daran empfand, daß in diesem Falle ihre einzelnen ununterstützten Bemühungen die barbarische Hinterlist des römischen Hofes vereitelt, hatten ihr eine fast an Wahnsinn grenzende Hingebung für dieses letzte Mitglied ihrer Familie eingeflößt, und jetzt, wo ihr geliebtes Kind, ihr unschuldiges Opfer, ihr künftiger Krieger nach allen ihren Anstrengungen, es zu erhalten, dahingesiecht und gestorben, jetzt, wo sie wirklich kinderlos war, jetzt, wo die Grausamkeit der.Römer, trotz aller Geduld, alles Muthes, aller Standhaftigkeit, ihren Zweck erreicht hatte, sank jedes edle Gefühl ihres Herzens von diesem Schlage vernichtet zusammen. Ihr Kummer nahm die verderbliche Form an, welche beim Weibe alle milderen und besseren Empfindungen unwiederbringlich zerstört —— er verwandelte sich in die Verzweiflung. welche keine Theilnahme verlangt, in den Schmerz, der keine Thräne kennt.

Mit weniger hohem Geiste und nicht so empfänglichem Charakter begabt, hatte die jetzt an Hermanrich sichtbare Veränderung« zu einem mürrischen Ausdrucke und kurz angebundenen Benehmen ihren Ursprung eher in seiner beständigen Betrachtung der düsteren Verzweiflung Goiswinthens, als in einer wirklichen Revolution seines eigenen Charakters. Wie viele Punkte äußerer Aehnlichkeit auch jetzt zwischen dem Bruder und der Schwester sichtbar werden mochten, so zog die verschiedene Stufe ihres moralischen Standpunktes von selbst die Verschiedenheit in der Stärke des inneren Kummers eines Jeden nach sich. Hermanrich besaß bei allen Prüfungen und Kümmernissen, die ihn bestürmten, die gesunde Elasticität der Jugend, die durch die kriegerischen Beschäftigungen seines Geschlechts ausfrecht erhalten wurde. Goiswintha konnte sich weder auf die eine, noch aus die andere stützen. Ihre Gedanken wurden von keiner Beschäftigung in Anspruch genommen, als von der bitteren Erinnerung. Ohne ein liebevolles Streben, ohne beschwichtigende, das Herz erfüllende Hoffnung war sie unwiderruflich dem Einflusse ungetheilten Schmerzes und rachsüchtiger Verzweiflung anheimgefallen.

Das Weib sowohl, wie der Krieger standen eine Zeitlang schweigend neben einander da. Endlich redete Hermanrich, ohne seine Augen von der darüber dämmernden, formlosen Masse, die alles war, was die Nacht noch von der dem Verderben geweihten Stadt erkennen ließ, abzuwenden, Goiswinthen an.

»Hast Du keine Worte des Triumphes, wenn Du auf die Wälle blickest, die, so in seinen Händen zu sehen, Dein Volk Generationen hindurch gekämpft hat? Kann ein gothisches Weib schweigen, wenn es vor Rom steht?«

»Ich bin hierher gekommen, um Rom plündern und Römer schlachten zu sehen! was nützt mir das blockirte Rom?« entgegnete Goiswintha zornig. »Die Schätze in jener Stadt werden ihre Sicherheit von unserm Könige erkaufen, sobald die zitternden Feiglinge auf den Wällen Herz genug fassen, um in ein gothisches Lager zu dringen. Wo ist die Rache in jenen fernen Palästen, die Du mir versprochen hast? Sehe ich Dich in die Häuser von Rom die Vernichtung tragen, welche die Soldaten jener Stadt durch die Wohnungen der Gothen gebracht haben? Ist das Heer hier, um zu plündern oder um sich Ruhm zu erwerben? Ich hatte in meiner weibischen Verblendung geglaubt, daß es da sei, um Rache zu nehmen.«

»Schmach wird Dich rächen —— Hungersnoth wird Dich rächen —— Pestilenz wird Dich rächen!«

»Sie werden meine Nation rächen, aber nicht mich. Ich habe das Blut gothischer Frauen um mich vergießen sehen —— ich habe die blutenden Leichen meiner Kinder zu meinen Füßen erblickt! —— wird mir eine Hungersnoth, die ich nicht sehen und eine Pest, die ich nicht beobachten kann, dafür Rache gewähren! Schau her! hier ist der Helmschmuck meines Gatten, Deines Schwagers —— der Helmschmuck, der mir als Zeuge, daß ihn die Römer erschlagen hatten, zugeworfen worden ist —— seit dem Blutbade von Aquileja hat er meinen Busen nie verlassen. Ich habe geschworen daß das Blut, welches ihn färbt und verdunkelt, im Blute des römischen Volkes abgewaschen werden soll. Selbst wenn ich vor diesen verfluchten Mauern umkäme, selbst wenn Du mir in Deiner muthlosen Geduld Schutz und Hilfe versagtest, würde ich, so verwitwet, schwach und verlassen ich auch bin, mich doch an die Erfüllung meines Eides halten.«

Hiermit umhüllte sie den Helmschmuck mit ihrem Mantel und wendete sich in bitterer, unverhohlener Verachtung kurz von Hermanrich ab. Alle Eigenschaften ihres Geschlechts, sowohl dem Gedanken, wie dem Ausdrucke und Wesen nach, schienen sie verlassen zu haben. Selbst die Töne, welche sie aussprach, waren rauh und unweiblich.

Jedes von ihr ausgestoßene Wort, jede ihrer Gebärden waren tief in das Innerste des jungen Kriegers, welchen sie anredete, gesunken, und hatten die wildesten Leidenschaften seines Herzens aufgeregt. Das erste Nationalgefühl, welches sich in der Frühlingszeit der gothischen Geschichte entdecken läßt, ist die Liebe zum Kriege, das zweite aber die Verehrung der Frauen. Dieses letztere, unter einem so rauhen, wenig für Gefühle empfänglichen Volke äußerst auffallende Gefühl hatte nicht den mindesten Zusammenhang mit den starken, fesselnden Banden, welche die natürliche Folge der wärmeren Temperamente der südlicheren Nationen sind, denn die Liebe gehörte bei dem kalten, abgehärteten Charakter des nordischen Kriegers zu den niedrigen, unedeln Leidenschaften. Es war das Resultat von Schlußfolgerungen und Beobachtungen, nicht von instinktmäßiger Empfindung und momentanem Triebe. In dem wildpoetischen Codex des altgothischen Glaubens befand sich eine Lehre, die sich auffallend dicht einer wichtigen Theorie in dem christlichen Systeme näherte —— die Wachsamkeit eines allmähligen Schöpfers über einem endlichen Geschöpfe. Jede Handlung des Körpers, jede Regung des Geistes war, dem Religionssysteme der Gothen zufolge, die Wirkung des direkten, wiewohl unsichtbaren Einschreitens der Götter, welche sie anbeteten. Als sie daher bemerkten, daß der Körper der Frauen den räthselhaften Gesetzen der Natur und des Temperaments stärker unterworfen war, und ihr Geist mächtiger von den angeborenen, universellen Instinkten der Menschheit beherrscht wurde, als ihr eigner, so zogen sie daraus den unvermeidlichen Schluß, daß das weibliche Geschlecht von den Göttern ihres Glaubens unablässiger berücksichtigt und beständiger und auffallender beeinflußt werde, als das männliche. In dieser Ueberzeugung übertragen sie das Studium der Medicin, das Auslegen der Träume und in vielen Fällen die Geheimnisse des Verkehrs mit der unsichtbaren Welt der Sorge ihrer Frauen. Das Weib wurde ihr Rathgeber in schwierigen Fällen ihr Arzt in der Krankheit, ihre Gefährtin vielmehr als ihre Geliebte, mehr der Gegenstand ihrer Verehrung, als die Vermittlerin ihrer Freuden. Wenn auch in späteren Jahren die Nationalwanderungen der Gothen das Temperament der Nation veränderten, wenn sie auch ihre alte Mythologie mit der Christusreligion vertauschten, so wurden sie doch nie vollkommen von dieser seit ihrer frühesten Existenz als Volk bei ihnen herrschenden Empfindung verlassen, sondern sie behaupteten mit verschiedenen Modificationen und in verschiedenen Formen bei allen Veränderungen der Sitten und Gebräuche einen großen Theil ihrer alten Herrschaft, die sich bis auf ihre Nachkömmlinge unter den jetzigen Völkern Europa’s in der Gestalt des allgemein eingeführten Gesetzbuches der Höflichkeit gegen die Frauen erhalten hat, welche für einen Hauptunterschied zwischen den Socialsystemen der Bewohner civilisirter und uncivilisirter Länder gilt.

Diese mächtige, auffallende Herrschaft des Weibes über den Mann bei den Gothen konnte sich kaum schlagender zeigen, als bei Hermanrich. Man erblickte sie nicht nur an dem verschlimmernden Einflusse der beständigen Gesellschaft Goiswintha’s auf seinem mannhaften Charakter, sondern auch in der starken Wirkung, welche die letzten von ihr gesprochenen Worte auf seinen Geist ausgeübt hatten. Seine Augen blitzten zornig, seine Wangen glühten beschämt, als er auf die Theile ihrer ingrimmigen Reden hörte, welche den bittersten Bezug auf ihn hatten. Sie schwieg und war im Begriff, sich in das Zelt zurückzuziehen, als er sie festhielt und in lauten, anklagenden Tönen entgegnete:

»Du thust mir durch Deine Worte Unrecht! Habe ich Dir meinen Schutz verweigert, als ich Dich in den Alpen erblickte? Habe ich das verwundete Kind ohne Hilfe dulden lassen? Habe ich es, als es starb, auf der Erde verfaulen lassen oder seiner Mutter die Bereitung seines Grabes anheimgegeben. Habe ich vergessen, daß das Schwert an meiner Schulter hing, als wir uns Aquileja näherten und an Ravenna vorüber marschierten? Ist es durch meinen Willen in der Scheide geblieben? Bin ich durch meinen Willen nicht in die Thore der römischen Städte getreten, sondern in Eile an ihnen vorübergegangen? War es nicht der Befehl des Königs, welcher mich zurückhielt, und konnte ich, sein Krieger, ihm den Gehorsam versagen? Ich schwöre Dir es zu, daß ich mich nach Ausübung der Rache sehne, welche ich Dir versprochen habe, aber geziemt es mir, die Beschlüsse Alarich’s zu verändern? Kann ich allein die Stadt stürmen, welche wir nach seinen Befehle blockieren sollen? Was willst Du von mir?«

»Ich will, daß Du Dich erinnerst,« erwiderte Goiswintha entrüstet, »daß die Römer Deinen Schwager getödtet und mich kinderlos gemacht haben! Ich will, daß Du Dich erinnerst, daß ein öffentlicher Krieg, wenn er auch jahrelang dauert, nicht im Stande ist, das auch nur einstündige Nagen der Privatrache zu vermindern! Ich will, daß Du Dich weniger der Weisheit Deines Generals unterwerfen und stärker das Dir widerfahrene Unrecht berücksichtigen möchtest! Ich wollte, daß Du gleich mir nach dem Blute des ersten Bewohners jener Verrätherhöhle dürstete, der, sei es nun zum Frieden oder zum Kriege, aus ihren schützenden Mauern hervorkäme!«

»Sie brach ab, um seine Antwort zu hören. Hermanrich aber sprach keine Silbe. Das muthige Herz des jungen Häuptlings schrak vor dem vorbedachten Morde zurück, welcher ihm in Goiswinthens verschleierter aber ausdrucksvoller Rede angerathen wurde; —— mit seinen Kameraden gemeinschaftlich die Stadt im Sturme zu nehmen, in der Hitze der Schlacht die schlimmsten Schrecken des Blutbades von Aquileja zu übertreffen, würden Thaten gewesen sein, die mit seinem wilden Geiste und seiner kriegerischen Erziehung im Einklange standen, sich aber in Goiswinthens Pläne zu fügen, war ein Opfer, welches gerade die Eigenthümlichkeiten seines martialischen Charakters seinem Geiste zuwider machten. Diese Gedanken würde er seiner Gefährtin in demselben Maße mitgetheilt haben, wie sie durch seinen Geist gingen; in der furchtbaren ominösen Veränderung ihres Charakters, seit er ihr auf den Alpen begegnet war, in ihrem rasenden, unatürlichen Lechzen nach Blut und Rache lag jedoch etwas, wodurch sie einen geheimnißvollem mächtigen Einfluß auf seine Gedanken, Worte und selbst Thaten erhielt. Er zauderte und schwieg.

»Bin ich nicht geduldig gewesen?« fuhr Goiswintha fort, indem sie ihre Stimme zu Lauten eindringlicher, bewegter Bitte senkte, welche mißtönig in Hermanrich’s Ohr klangen, als er bedachte, wer die Bittende sei und was der Gegenstand ihres Verlangens sein würde; —— »bin ich nicht die ganze lange Reise von den Alpen her geduldig gewesen? Habe ich nicht selbst vor den schutzlosen Stadien, an denen wir auf dem Marsche vorüberkamen, die Stunde der Vergeltung abgewartet? Habe ich nicht aus Deinen Antrieb meine Sehnsucht nach Rache bis zu dem Tage beherrscht, wo Du mit den Kriegern der Gothen jene Mauern ersteigen würdest, um die stolzen Verräther von Rom mit Feuer und Schwert zu züchtigen? Ist dieser Tag erschienen? Soll diese Blockade die Vergeltung bilden, welche Du mir bei der Leiche meines gemordeten Kindes versprochen hast? Erinnere Dich an die Gefahren, denen ich Trotz bot, um das Leben des Letzten meines Hauses zu bewahren —— und willst Du nichts wagen, um seinen Tod zu rächen? Sein Grab ist ungepflegt und einsam. Weit von den Wohnungen seines Volkes, im Morgen seiner Schönheit geknickt, im Keime seiner Kraft geschlachtet, liegt der Sprößling Deines Schwagers da, und die Uebrigen —— die beiden Kinder, die noch an der Mutter Brust lagen, der Vater, der tapfer in der Schlacht und weise im Rathe war —— wo sind sie? Ihre Gebeine bleichen auf der obdachlosen Erde oder vermodern unbegraben am Strande des Ozeans. Bedenke, wie glücklich, wenn sie am Leben geblieben wären, Deine Tage mit ihnen zur Zeit des Friedens verstrichen sein würden! wie gern Dein Schwager mit Dir zur Jagd hinausgezogen wäre! wie freudig sich seine Söhne an Deine Knie geschmiegt haben würden, um von Deinen Lippen die ersten Lehren zu lesen, welche sie für das Leben des Kriegers ausbilden sollten. Denke an solche Genüsse und dann bedenke, daß römische Schwerter Dich ihrer aller beraubt haben!«

Ihre Stimme bebte, sie hielt einen Augenblick inne und schaute wehmüthig in Hernianrich’s abgewendetes Gesicht auf. Jeder Zug aus dem Antlitze des jungen Häuptlings verkündete die Aufregung, welche ihre Worte in seinem Herzen hervorgebracht hatten. Er versuchte zu antworten, seine Zunge war aber in diesem Augenblicke kraftlos. Der Kopf sank ihm auf die wogende Brust und er seufzte schwer, indem er stumm Goiswinthens Hand ergriff. Der Zweck ihres Verlangens war seiner Erreichung nahe —— er begann sich in die gut gespannten Netze der Bersucherin zu verfangen.

»Bist Du immer noch stumm?« fuhr sie düster fort, »wunderst Du Dich immer noch über meinen Durst nach Rache, über mein Lechzen nach römischem Blut. Ich sage Dir, daß mein Verlangen sich in mir in Folge von Eingebungen der Stimmen einer andern unbekannten Welt erhoben hat. Sie spornen mich an, gegen das Volk, welches mich gatten- und kinderlos gemacht hat, Vergeltung zu suchen —— dort in seiner prahlerischen Stadt an ihren üppigen Bürgern, in ihren prächtigen Häusern, —— an der Stelle, wo ihre schändlichen Rathschläge Wurzel schlagen und wo ihre grausamen Verräthereien ihre blutige Quelle haben! Ich habe in dem Buche, welches unsere Lehrer anbeten, lesen hören, daß vergossenes Blut zum Himmel aufschreit! Das ist die Stimme, Hermanrich, das ist die Stimme, die ich gehört habe. Ich habe geträumt, daß ich an, einem Meere von Blut, auf einem Strande von Leichen wandelte —— ich habe aus diesem Meere die Leichen meines Gatten und meiner Kinder von römischen Wunden zerfleischt auftauchen sehen! Sie haben mir durch den sie umgebenden blutigen Dunst zugerufen: Sind wir noch ungerächt? Ist Hermanrich’s Schwert noch in der Scheide? Eine Nacht nach der andern habe ich diese Visionen gesehen und jene Stimmen gehört und hoffte aus keine Erlösung davon vor dem Tage, der das Heer vor den Mauern von Rom gelagert und mit Aufrichtung der Sturmleitern beschäftigt sehen würde! Und wie ist jetzt nach aller meiner Geduld dieser Tag gekommen? Verflucht sei die Habsucht! Sie steht den Kriegern und Dir höher als die Gerechtigkeit der Rache.«

»Höre mich an! höre mich an!« rief Hermanrich flehend.

»Ich will nichts mehr hören,« unterbrach ihn, Goiswintha, »die Sprache meines Volkes ist meinen Ohren fremd geworden, denn sie redet nur von Beute und Frieden, von Gehorsam, Geduld und Hoffnung. Ich will nichts mehr hören, denn die Verwandten, denen ich mein Ohr zu leihen liebte, sind dahin —— sie sind bis auf Dich alle von den Römern erschlagen —— und von Dir sage ich mich los.«

Durch den Aufruhr, der in seinem Herzen durch Goiswinthens wilde Enthüllungen der schlimmen Leidenschaft, welche sie verzehrte, erweckten Gefühle, aller Ueberlegungskraft beraubt, murmelte der junge Gothe, am ganzen Körper bebend, und immer noch abgewendetem Gesichte mit heiserer schwankender Stimme:

»Verlange von mir, was Du willst! ich habe keine Worte, um Dir es abzuschlagen, keine Macht, um Dich zu tadeln, verlange von mir, was Du willst!«

»Versprich mir,« rief Goiswintha, indem sie Hermanrich’s Hand ergriff und mit einem Blicke wilden Triumphes in sein verstörtes Antlitz schaute, »daß diese Blockade der Stadt meiner Rache keinen Eintrag thun soll! Versprich mir, daß das erste Opfer unserer gerechten Rache, der erste Bewohner Rom’s sein soll, der, sei es nun zum Kriege oder Frieden, vor Dir erscheint!«

»Ich verspreche es!« rief der Gothe. Und diese drei Worte besiegelten das Schicksal seines künftigen Lebens.

Während der jetzt zwischen Goiswintha und Hermanrich eingetretenen Stille und des tiefen Nachdenkens, in welches Beide versunken waren, begann sich die um sie her ausgebreitete Gegend langsam von einem weichen, klaren Lichte zu erhellen. Der Mond, dessen trübe, große Scheibe sich, in eine düstere Röthe gekleidet, in dem Abendnebel erhoben hatte, war jetzt über die höchsten Ausdünstungen der Erde gestiegen und strahlte nieder, mit seiner gewohnten bleichen Farbe angethan, am Nachthimmel. Allmälig, aber doch wahrnehmbar, rollte sich eine Dunstschicht nach der andern von den hohen Zinnen der römischen Paläste und die höchst gelegenen Orte der mächtigen Stadt begannen, so zu sagen, in dem weichen, friedlichen, geheimnißvollen Lichte aufzudämmern, während die niedriger stehenden Abtheilungen der Mauern, die verödeten Vorstädte und ein Theil des gothischen Lagers, noch in die Dunkelheit des Nebels getaucht, in einem großartigen finsteren Kontraste mit dem glänzend erleuchteten Bilde, welches fast über ihnen zu schweben schien, dalagen. Erhöhte, offene Orte hinter dem Zelte Hermanrich’s begannen stellenweise sichtbar zu werden und von Zeit zu Zeit vernahm man jetzt aus der Ferne von den einzeln stehenden Bäumen her den Gesang der Nachtigall. Die Natur versprach, nach welcher Richtung hin man sie auch beobachten mochte, eine wolkenlose stille Nacht des herbstlichen Klima’s im alten Italien.

Hermanrich war der Erste, welcher zur Betrachtung der Außenwelt zurückkehrte. Er bemerkte, daß die noch neben seinem Zelte lodernde Fackel sich, seit sich der Mond erhoben und die Dünste zerstreut hatte, nutzlos geworden war, schritt auf dieselbe zu und löschte sie aus und blickte darauf über die langsam vor ihm aufdämmernde Ebene hin. Er war erst kurze Zeit damit beschäftigt gewesen, als er eine menschliche Gestalt in geringer Entfernung langsam über eine theilweise erleuchtete hügelige Stelle hinschreiten zu sehen glaubte. Es war unmöglich, daß dieselbe zu seinen Leuten gehören konnte —— sie waren alle an ihren Posten versammelt und er wußte, daß sein Zelt an der äußersten Grenze des Lagers vor dem Pincischen Thore liege.

Er blickte wieder hin. Die Gestalt kam immer noch näher, befand sich aber in zu großer Entfernung, um ihm in dem ungewissen Lichte, welches ihn umgab, ihre Nation, ihr Geschlecht oder Alter entdecken zu lassen. Das Herz pochte ihm, als er seines Goiswintha gegebenen Versprechens gedachte und die Möglichkeit vor Augen sah, daß es ein armer Sklave sei, den die Flüchtlinge, die am Morgen aus den Vorstädten geflohen waren, seinem Schicksale überlassen hatten und der sich jetzt als letztes Auskunftsmittel seinen Feinden im Lager nähere, um bei ihnen Gnade und Schutz zu suchen. Er wendete sich, als die Idee seinen Geist durchzuckte, Goiswinthen zu und bemerkte, daß sie noch immer in Gedanken versunken war. Durch ihren Anblick überzeugt, daß sie die Flüchtlingsgestalt noch nicht bemerkt hatte, lenkte er seine Blicke wieder mit einem Uebermaße von Besorgniß, welches er sich kaum zu erklären vermochte, der Gegend zu, wo er sie zuerst bemerkt hatte, aber sie war nicht mehr zu sehen. Sie hatte sich entweder in einen Versteck zurückgezogen oder näherte sich durch eine Baumgruppe, womit der Abhang bekleidet war, immer noch seinem Zelte.

Die Minuten schleppten sich langsam hin und noch immer war nichts wahrzunehmen. Endlich, als Hermanrich schon zu zweifeln begonnen, ob ihn nicht seine Sinne in dem, was er bisher zu sehen geglaubt, getäuscht hatten, kam die flüchtige Gestalt plötzlich unter den Bäumen hervor, eilte schwankenden Ganges über die ebene, bethaute Stelle, welche sie noch von dem jungen Gothen trennte, erreichte sein Zelt und fiel dann mit einem schwachen Schrei ohnmächtig zu seinen Füßen aus den Boden nieder.

Der Schrei, so schwach er auch war, erregte Goiswinthens Aufmerksamkeit. Sie wendete sich augenblicklich um, stieß Hermanrich bei Seite und hob die Fremde in ihren Armen auf. Die leichte, schlanke Gestalt, die schöne Hand und der weiße Arm, welche bewegungslos herabhingen, die langen, tiefschwarzem von der feuchten Nachtluft schweren Locken verriethen augenblicklich das Geschlecht und Alter des Flüchtlings. Es war ein junges Mädchen.

Goiswintha gab Hermanrich ein Zeichen, die verlöschte Fackel an seinem nahen Wachtfeuer wieder anzuzünden und trug das noch bewußtlose Mädchen in sein Zelt. Als ihr der Gothe schweigend gehorchte, zuckte ein unbestimmter plötzlicher Argwohn, dem er Worte zu verleihen schaudern, durch seinen Geist. Seine Hand zitterte so stark, daß er kaum die Fackel anzuzünden vermochte und so kühn und kräftig er auch war, schwankten doch seine Glieder unter ihm, als er langsam in das Zelt zurückkehrte.

Als er in das Innere seiner zeitweiligen Wohnung gelangte, beschien das Licht seiner Fackel eine seltsame, eindrucksvolle Scene.

Goiswintha saß auf einem rohen Eichenkasten, hielt die Gestalt des jungen Mädchens aus ihren Knieen und blickte mit dem Ausdrucke der innigsten, alle ihre Gedanken fesselnden Interessen auf sein blasses, eingefallenes Gesicht. Das zerissene Gewand, welches bisher den Flüchtling umhüllt hatte, war zurückgesunken und zeigte das weiße Kleid, aus dem allein ihre sonstige Bedeckung bestand. Gesicht, Hals und Arme hatten von der Kälte die reine, weiße Färbung des Marmors angenommen. Ihre Augen waren geschlossen und ihre feinen, zarten Züge befanden sich in starrer Ruhe.

Wenn nicht ihr rabenschwarzes Haar gewesen, welches das gespenstische Aussehen ihres Gesichts noch erhöhte, so hätte man sie, als sie so in den Armen des Weibes dalag, für eine köstlich gemeißelte Statue der Jugend im Tode halten können.

Als die so erzeugte Gruppe sich um die Gestalt des jungen Krieger, der in seiner Rüstung mit offenbarer Verwunderung und Besorgniß neben dem bewußtlosen Mädchen stand, vermehrte —— als Goiswinthens hoher, kräftiger, in dunkle Gewänder gekleideter und über die zarte Figur und das weiße Kleid der Flüchtigen gebeugter Körper durch den wilden flackernden Schein der Fackel erleuchtet wurde, —— als die gerötheten Wangen, abgemagerten Züge und der begierige Ausdruck des Weibes hier beschattet, dort erhellt, in den nächsten Kontrast mit dem blassen, jugendlichen, ruhevollen Antlitz des Mädchens traten, entstand ein solches Zusammentreffen von blendenden Lichtern und tiefen Schatten, daß die ganze Scene einen zugleich geheimnißvollen und erhabenen Charakter erhielt. Sie zeigte eine harmonische Abwechselung ernster Farben, die durch die unübertreffliche Kunst der Natur zu einer großartigen, aber einfachen Anordnung der Formen verbunden wurden. Es war ein von Rembrands Hand ausgeführtes und von Raphaels Geiste gedachtes Gemälde.

Plötzlich schrak Goiswintha von ihrer langen, eindringlichen Betrachtung der Fremden auf und begann Mittel anzuwenden, um ihren bewußtlosen Schützling in’s Leben zurückzurufen. So lange sie damit beschäftigt war, verharrte sie in ununterbrochenem Schweigen. Eine athemlose Erwartung, die alle ihre Sinne nur nach einer Richtung hin in Anspruch nahm, schien sich ihres Herzens bemächtigt zu haben. Sie mühte sich in ihrer Arbeit mit der mechanischen, ununterbrochenen Energie Derjenigen, deren Aufmerksamkeit mehr von ihren Gedanken, als von ihren Handlungen in Anspruch genommen wird. Langsam und widerstrebend dämmerte die erste schwache Morgenröthe wiederkehrenden Lebens in der zartesten Farbe auf der bleichen Wange des Mädchens auf. Allmälig begann ihr Athem eine dünne Haarlocke welche über ihr Gesicht gefallen war, zu bewegen. Noch ein Weilchen und die geschlossenen friedlichen Augen öffneten sich plötzlich und warfen mit einem wilden Ausdruck von Verwirrung und Schrecken einen scharfen Blick im Zelte umher. Als Goiswintha sodann aufstand und sie auf einen Sitz zu bringen versuchte, riß sie sich von ihr los, blickte sie einen Moment schreckensvoll und spähend an, sank dann zu ihren Füßen nieder und murmelte mit klagender Stimme:

»Erbarme Dich meiner, ich bin von meinem Vater verstoßen, ich weiß nicht warum. Die Thore der Stadt sind mir verschlossen. Meine Wohnung in Rom ist mir für immer versperrt!«

Sie hatte diese wenigen Worte kaum gesprochen, als sich auf Goiswinthens Gesicht eine ominöse Veränderung zeigte. Sein früherer Ausdruck glühender Neugier verwandelte sich in einen Blick boshaften Triumphes, ihre Augen hefteten sich mit stierer, wie von einem Zauber gefesselten Betrachtung auf das erhabene Antlitz des Mädchens. Sie hielt das hilflose Geschöpf fest, wie das Raubthier seine Beute. Ihre Gestalt dehnte sich aus, auf ihre Lippen trat ein hämisches Lächeln, in ihren Wangen stieg eine heiße Röthe auf und von Zeit zu Zeit flüsterte sie leise vor sich hin:

»Ich wußte, daß sie eine Römerin war! aha, ich wußte, daß sie eine Römerin war!«

Hermanrich war die ganze Zeit über stumm geblieben. Sein Athem kam in kurzen, vollen Stößen, sein Gesicht erbleichte und sein Auge wanderte, nachdem es eine Minute auf dem Weibe und dem Mädchen geruht, langsam und ängstlich im Zelte umher. In der einen Ecke desselben lag eine schwere Streitaxt; er blickte mit dem heftigsten Schrecken von der Waffe auf Goiswintha, schritt dann langsam durch das Zelt, und bemächtigte sich mit fester, wiewohl bebender Hand des Todeswerkzeuges.

Als er wieder aufsah, näherte sich ihm Goiswintha. In der einen Hand hielt sie den blutigen Helmschmuck, während sie mit der andern auf die zusammengesunkene Gestalt des Mädchens deutete. Ihre Lippen trugen noch jenes unnatürliche Lächeln und sie flüsterte leise dem Gothen zu:

»Gedenke Deines Versprechens! —— gedenke Deiner Verwandten! —— gedenke des Blutbades von Aquileja!«

Der junge Krieger antwortete nicht. Er trat schnell um ein paar Schritte vorwärts und winkte dem jungen Mädchen, hastig durch die Thüre zu entfliehen. Es war jetzt aber durch seinen Schrecken aller Wahrnehmungs- und Fassungskraft beraubt. Es blickte wie blödsinnig zu Hermanrich auf und kauerte dann, heftig schaudernd, in einen Winkel des Zeltes nieder. Während der kurzen, jetzt eingetretenen Stille hörte sie der Gothe frösteln und seufzen, als er so mit ängstlicher Besorgniß Goiswinthens sich verdunkelndes Gesicht beobachtete.

»Sie ist eine Römerin —— sie ist die erste Bewohnerin der Stadt, die vor Dir erscheint —— gedenke Deines Versprechens! —— gedenke Deiner Verwandten! —— gedenke des Blutbades von Aquileja!« sprach das Weib in wilden, gepreßten, zischenden Tönen.

»Ich gedenke, daß ich ein Krieger und ein Gothe bin!« erwiederte Hermanrich geringschätzig; »ich habe Dich zu rächen versprochen, aber mein Versprechen muß an einem Manne erfüllt werden —— an einem gerüsteten Manne, der mit den Waffen in der Hand auftreten kann —— an einem starken, muthigen Manne, den ich vor Deinen Augen im Zweikampf erschlagen werde! Das Mädchen ist zu jung zum Sterben, zu schwach, um angegriffen zu werden.«

Keine Silbe seiner Rede war unbeachtet an der Flüchtigen vorübergegangen. Jedes Wort schien ihre erstarrten Geisteskräfte neu zu beleben. Sobald er schwieg, stand sie auf und lief mit dem schnell erweckten Instinkte des Schreckens zu dem jungen Gothen heran. Hierauf ergriff sie seine Hand —— die Hand, welche immer noch die Streitaxt gefaßt hielt, kniete nieder und küßte sie und stieß, dieselbe an ihren Busen pressend, hastige, gebrochene Worte aus, die durch das Beben ihrer Stimme vollkommen unverständlich wurden.

»Haben die Römer meine Kinder für zu jung zum Sterben, oder für zu schwach, um angegriffen zu werden, gehalten?« rief Goiswintha. »Bei dem Herrn des Himmels! sie mordeten sie um so lieber, weil sie jung, und hieben um so grimmiger auf sie ein, weil sie schwach waren! Mein Herz hüpft vor Freuden, wenn ich auf das Mädchen blicke! Ich bin doppelt gerächt, wenn ich an einem unschuldigen jugendlichen Wesen gerächt werde. Ihre Gebeine sollen auf den Ebenen von Rom verwesen wie die meiner Kinder auf der von Aquileja! Vergieße mir ihr Blut! Gedenke Deines Versprechens! Vergieße mir ihr Blut!«

Sie schritt mit ausgestreckten Armen und funkelnden Augen auf die Flüchtige zu. Sie rang nach Athem, ihr Gesicht nahm plötzlich eine leichenartige Blässe an, der Fackelschein fiel auf ihre verzerrten Züge, sie sah in jenem furchtbaren Augenblicke gespenstisch aus, aber der Gott der Gnade hatte jetzt die Entschlossenheit des jungen Gothen für alle Fälle gestählt. Sein helles, festes Auge zuckte nicht, als er dem rasenden Blicke der vor ihm stehenden Furie begegnete. Mit der einen Hand hielt er Goiswinthen zurück, die andere konnte er nicht von dem Mädchen losmachen, welches sie jetzt eifriger als je umfaßt hielt und küßte.

»Du thust dies nur, um mich zum Zorne zu reizen,« sagte Goiswintha, indem sie ihr Benehmen mit plötzlicher, sichtbarer Schlauheit veränderte, welche für die Flüchtige gefahrverkündender war. als die bisher kund gegebene Wuth. »Du scherzest mit mir, weil ich es an Geduld habe mangeln lassen, wie ein Kind! Aber Du wirst ihr Blut vergießen —— Du bist ein Mann von Ehre und wirst Dich an Dein Versprechen halten! Du wirst ihr Blut vergießen!«

»Und ich,« fuhr sie triumphierend fort und setzte sich, ihre geballten Fäuste auf ihre Kniee legend, auf den eichenen Kasten, welchen sie früher eingenommen hatte, nieder. »Ich werde warten, bis ich es sehe!«

In diesem Augenblicke vernahm man Stimmen und Schritte vor dem Zelte. Hermanrich hob schnell das zitternde Mädchen auf, unterstützte es mit seinem Arme und schritt vor, um den Grund der Störung zu ermitteln. Ein alter Krieger von hohem Range, der zu Alarich’s Umgebungen gehörte, stand mit einer kleinen Abtheilung gemeiner Soldaten aus dem Lager vor ihm.

»Zu den Frauen, die der König für diese Nacht bestimmt hat, die Kranken und auf dem Marsche Verwundeten zu pfegen, gehört Goiswintha, die Schwester Hermanrich’s. Wenn sie hier ist, so möge sie hervorkommen und mir folgen!« sprach der Anführer mit gebieterischem Tone, während er am Eingange des Zeltes stehen blieb.

Goiswintha erhob sich. Sie stand einen Augenblick unentschlossen da. Hermanrich in einem solchen Augenblicke zu verlassen, war ein Opfer, welches ihr wildes Herz zerriß; aber sie kannte die Strenge von Alarich’s Disciplin; sie sah die Bewaffneten, welche sie erwarteten,und wich nach heftigem Kampfe der gebieterischen Notwendigkeit, dem Befehle des Königs Gehorsam zu leisten. Vor unterdrücktem Zorn und bitterem Unmuth bebend, flüsterte sie Hermanrich im Vorübergehen zu:

»Du kannst sie nicht retten, wenn Du es auch willst, Du wagst sie nicht der Obhut Deiner Gefährten anzuvertrauen; sie ist zu jung und schön, um ihrem zweifelhaften Schutze überlassen zu werden. Du kannst nicht mit ihr fliehen, denn Du mußt hier an Deinem Posten auf Wache bleiben. Du wirst sie nicht allein gehen lassen, denn Du weißt, daß sie, ehe der Morgen erscheint, vor Kälte und Hunger umkommen würde. Wenn ich morgen zurückkehre, so werde ich sie im Zelte sehen. Du kannst Deinem Versprechen nicht ausweichen, Du kannst es nicht vergessen —— Du mußt ihr Blut vergießen!«

»Die Befehle des Königs,« sagte der alte Krieger, indem er seiner Abtheilung das Zeichen gab, sich mit Goiswinthen, die jetzt in erzwungener Fassung dastand und ihre Leitung erwartete, zu entfernen, »werden früh dem Häuptling Hermanrich mitgetheilt werden. Erinnere Dich,« fuhr er leise fort, indem er verächtlich auf das zitternde Mädchen deutete, »daß die Wachsamkeit, welche Du im Aufstellen Deiner Abtheilung vor jenem Thore bewiesen hast, keine Nachlässigkeit entschuldigen wird, zu der Dich Dein Fang dort jetzt veranlassen könnte! Genieße Deine jugendlichen Freuden, wie Du willst, aber erinnere Dich Deiner Pflichten! Lebe wohl!«

Nachdem der Veteran diese Worte mit strengem, ernstem Tone gesprochen, entfernte er sich. Bald verklangen die letzten Töne der Schritte seiner Begleiter und Hermanrich war mit der Entflohenen im Zelte allein.

Während der Anrede des alten Kriegers hatte sich das Mädchen schweigend von ihrem Beschützer losgemacht und hastig nach dem Innern des Zeltes entfernt. Als sie sah, daß sie wieder allein waren, schritt sie zaudernd auf den jungen Gothen zu und blickte mit stummer Frage in sein Gesicht auf.

»Ich bin sehr elend,« sagte sie nach einer Pause mit weichen, klaren, wehmüthigen Tönen. »Wenn Du mich jetzt verlässest, so muß ich sterben —— und ich habe erst so kurze Zeit auf Erden verlebt, ich habe so wenig Glück und Liebe gekannt, daß ich zum Sterben noch nicht geeignet bin, aber Du wirst mich beschütze. Du bist gut und tapfer; ein starker Mann mit Waffen in der Hand und von Mitleid erfüllt. Du hast mich vertheidigt und gütig von mir gesprochen —— ich liebe Dich wegen des Mitleids, das Du mir bewiesen hast!«

Ihre Sprache und Bewegung waren trotz ihrer Einfachheit für Hermanrich, dessen Erfahrungen über ihr Geschlecht sich fast völlig auf die Frauen seines eigenen, strengen, kalten Volkes beschränkt harten, doch so neu, daß er, als, die Bittende auf seine Antwort wartete, ihr nur eine kurze Versicherung seines Schutzes geben konnte. Vor seinen Augen war ein neues Blatt in der Geschichte der Menschheit aufgeschlagen und er blickte forschend und in verwunderter Stille, aus dasselbe.

»Wenn das Weib zurückkehren sollte,« fuhr das Mädchen, ihre dunkeln, beredten Augen»auf das Gesicht des Gothen heftend, fort, »so führe mich schnell an einen Ort, wohin sie nicht kommen kann. Das Herz erstarrt mir, wenn ich sie anblicke. Sie wird mich tödten, wenn sie mir wieder nahen kann! Der Zorn meines Vaters ist sehr furchtbar, aber der ihre entsetzlich —— entsetzlich —— entsetzlich! Horch, ich höre sie schon zurückkommen —— laß uns gehen —— ich werde Dir folgen, wohin Du willst —— laß uns aber nicht zögern, solange wir noch Zeit haben, uns zu entfernen. Sie wird mich umbringen, wenn sie mich jetzt sieht, und ich kann noch nicht sterben! O mein Retter, mein mitleidiger Beschützer, ich kann noch nicht sterben!«

»Es soll Dir Niemand ein Leides thun —— es soll Dir diese Nacht Niemand nahen, Du bist in meinem Zelte vor allen Gefahren sicher,« sagte der Gothe, indem er sie mit unverhohlenem Staunen und Bewunderung anblickte.

»Ich will Dir sagen, weshalb der Tod mir so furchtbar ist,« fuhr sie fort, und ihre Stimme nahm jetzt einen Ton wehmüthigen Ernstes an, welcher bei einem so jungen Geschöpfe einen seltsamen Eindruck machte; »ich habe so viel allein gelebt und keine Gefährten gehabt als meine Gedanken und den Himmel, zu dem ich aufblicken, und die Dinge auf Erden, die ich beobachten konnte. Wenn ich den heitern Himmel und die grünen Felder gesehen und den Duft der Blumen eingesogen und die Stimmen der fernen Singvögel gehört habe, so wunderte ich mich, warum derselbe Gott, der alles dies gemacht und mich dazu geschaffen, auch Kummer und Schmerz und die Hölle —— die furchtbare, ewige Hölle, von der mein Vater in seinen Predigten spricht, geschaffen hat. Wenn ich auf den Sonnenschein blickte, oder aus dem Schlafe erwachte, um die fernen Sterne zu betrachten und an sie zu denken, sehnte ich mich stets, etwas zu lieben, was meine Freude anhören könne. Aber mein Vater verbot mir, glücklich zu sein, er runzelte die Stirn, selbst als er mir meinen Blumengarten gab, und Gott hat doch die Blumen gemacht. Er zerschlug meine Laute und Gott hat doch die Musik gemacht. Mein Leben ist ein einsames Sehnen nach Freundesstimmen gewesen. Mein Herz hat mir in der Brust gebebt, weil ich, wenn ich im Garten umherwandelte und auf die Felder und Wälder und hohen, grünen Berge, die mich umgaben, schaute, das Bewußtsein hatte, daß ich sie allein liebe! Weißt Du nun, weshalb ich noch nicht sterben darf? Weil ich erst das Glück finden muß, welches Gott, wie ich fühle, für mich gemacht hat, weil ich leben muß, um diese schöne, wundervolle Welt mit Andern, die sie genießen, wie ich es könnte, zu preisen! weil meine Heimath unter Denjenigen gewesen ist, welche seufzen, aber nie unter Denen, welche lächeln! Deshalb fürchte ich mich vor dem Tode. Ich muß Gefährten finden, deren Gebete singend und freudig gehalten werden, ehe ich in das furchtbare Jenseits gehe, vor welchem sich Alle entsetzen. Ich darf noch nicht sterben! ich darf noch nicht sterben!«

Bei diesen letzten Worten begann sie bitterlich zu weinen. Der junge Gothe war vor Erstaunen und Mitleid stumm. Er blickte auf die kleine, weiche Hand hinab, die sie während ihrer Rede aus seinen Arm gelegt hatte und sah, daß sie zitterte, er drückte sie und fühlte, daß sie kalt war und in dem ersten Antriebe des Mitleids, welches diese Bewegung hervorrief, fand er die Fähigkeit der Rede, nach welcher er bis jetzt umsonst gerungen hatte.

»Du zitterst und siehst bleich aus,« sagte er, »an der Thür des Zeltes soll ein Feuer angezündet werden. Ich will Dir Kleider bringen, die Dich wärmen und Nahrung, die Dir Kraft bringen soll, Du sollst schlafen und ich werde Dich bewachen, damit Dir Niemand etwas zu Leide thut.«

Das Mädchen blickte hastig auf. Ein Ausdruck unaussprechlicher Dankbarkeit trat auf das kummervolle Gesicht desselben. Sie murmelte mit gebrochener Stimme:

»O wie barmherzig —— wie barmherzig Du bist!« und dann bedeckte sie, nach einem deutlich wahrnehmbaren Kampfe mit sich selbst, ihr Gesicht mit den Händen und brach von Neuem in Thränen aus.

Mehr und mehr verlegen, machte sich Hermanrich mechanisch damit zu thun, von denjenigen seiner Untergebenen, welche nicht mit Dienstpflichten beschäftigt waren, Feuer, Nahrung und Kleidung, wie er es versprochen hatte, herbeibringen zu lassen. Sie nahm die Gewänder an, näherte sich der lodernden Flamme und genoß begierig die einfachen Erquickungen, welche ihr der junge Krieger bot. Hierauf saß sie eine Zeitlang still in tiefes Nachdenken versunken und zusammengekauert am Feuer, ohne, wie es schien, die Neugier, womit sie der Gothe immer noch betrachtete, zu bemerken.

Endlich blickte sie plötzlich auf, nahm wahr, daß er seine Augen auf sie geheftet hatte, erhob sich und winkte ihm aus den Sitz neben sich.

»Wenn Du wüßtest, wie gänzlich verlassen ich bin, so würdest Du Dich nicht so wundern, daß ich, eine Fremde und eine Römerin, Dich in dieser Weise aufgesucht habe. Ich habe Dir erzählt, wie einsam meine Heimath war, aber doch war für mich diese Heimath eine Freistätte und ein Schutz bis zum Morgen des langen, jetzt vergangenen Tages, wo ich für immer daraus verstoßen wurde! Ich wurde plötzlich in meinem Bette aufgeweckt —— mein Vater trat zornig ein —— er nannte mich ——

Sie zauderte, erröthete und hielt dann schon im Anfange ihrer Erzählung inne. So unschuldig sie auch war, sprachen die natürlichen Instinkte ihres Geschlechts mit räthselhaftem, aber doch warnendem Tone in ihrem Herzen und legten ihr ein Schweigen auf, dessen Gründe sie weder erforschen noch erklären konnte; sie faltete ihre zitternden Hände auf ihrem Busen, wie um dessen Wogen zu unterdrücken, schlug die Augen nieder und fuhr mit leiser Stimme fort:

»Ich vermag Dir nicht zu sagen, weshalb mich mein Vater aus seinem Hause getrieben hat. Er ist gegen mich immer schweigsam und betrübt gewesen, hat mir lange Aufgaben in traurigen Büchern gestellt, mir verboten, die Grenzen seiner Wohnung zu überschreiten und zu ihm zu sprechen, wenn ich ihn mitunter gebeten habe, mir etwas von meiner längst verlorenen Mutter zu erzählen. Aber er hat mir nie gedroht, mich nie von seiner Seite vertrieben, außer an dem Morgen, von welchem ich Dir erzählt habe. Da war sein Grimm entsetzlich, seine Augen blitzten, seine Stimme war drohend! Er gebot mir zu gehen und ich gehorchte ihm mit Schrecken, denn ich glaubte, daß er mich tödten würde, wenn ich bliebe! Ich floh aus dem Hause, ohne zu wissen, wohin ich ging, und lief durch jenes Thor, welches dicht bei unserer Wohnung ist. Als ich in die Vorstädte kam, traf ich große Menschenmengen, die alle nach Rom hereineilten. Ich war vor Furcht und der mich umgebenden Verwirrung ganz von Sinnen, erinnere mich aber doch, daß man mir laut zurief, nach der Stadt zu fliehen, ehe die Thore vor dem Angriffe der Gothen gesperrt werden würden. Und andere stießen mich an und verspotteten mich, als sie vorüber kamen und mich in den dünnen Nachtgewändern sahen, in welchen ich aus meinem Hause verbannt worden war.«

Hier hielt sie inne und lauschte einige Augenblicke hindurch. Jedes zufällige Geräusch, welches sie vernahm, erweckte in ihr die Besorgniß vor Goiswinthens Rückkehr. Durch Hermanrich und ihre eigene Beobachtung des vor dem Zelte Vorgehenden wieder beruhigt, nahm sie nach einiger Zeit ihre Erzählung wieder auf und sprach jetzt mit festerer Stimme:

»Ich dachte, daß mir das Herz brechen würde,« fuhr sie fort, »als ich ihnen zu entfliehen suchte. Vor meinen Augen drehte sich Alles im Kreise. Ich konnte nicht sprechen —— ich konnte nicht stehen bleiben, —— ich konnte nicht weinen. Ich floh und floh, ohne zu wissen, wohin, bis ich erschöpft an der Thür eines kleinen Hauses am äußersten Rande der Vorstadt niedersank; dann rief ich um Hilfe, aber Niemand vernahm meine Stimme. Ich kroch in das Haus —— denn ich konnte nicht mehr stehen. Es war leer. Ich blickte aus den Fenstern, aber keine menschliche Gestalt durchschritt die schweigenden Straßen. Von den Mauern der Stadt erhob sich immer noch das Brausen einer ungeheuren Verwirrung, aber ich hörte dasselbe allein von Außen an. Im Hause sah ich einige Brodstücke und ein altes Gewand auf dem Boden umherliegen. Ich nahm Beides, stand dann auf und entfernte mich, denn die Stille des Ortes war mir furchtbar und ich gedachte der Felder und Wiesen, auf die ich einst so gern hinausgeschaut hatte, und dachte, vielleicht dort die Zuflucht zu finden, welche mir in Rom versagt worden war. Ich brach also von Neuem auf und als ich auf das weiche Gras gelangte, und mich neben den schattigen Bäumen niedersetzte und die glänzend auf die Erde fallenden Sonnenstrahlen sah, wurde mir das Herz schwer und ich weinte bei dem Gedanken an meine Einsamkeit und bei der Erinnerung an den Zorn meines Vaters.

»Ich war noch nicht lange an meinem Rastorte, als ich in der Ferne Trompetengeschmetter vernahm und beim hinaus blicken weither über die Ebene eine ungeheure Menschenmenge mit in der Sonne blitzenden Waffen herbeikommen sah. Ich versuchte bei ihrem Anblicke aufzustehen und selbst zu den Vorstädten, deren Einsamkeit mich erschreckt hatte, zurückzukehren, aber die Glieder versagten mir den Dienst; ich sah eine kleine, von den Bäumen rund umher versteckte Vertiefung, ich trat in dieselbe und lag dort den einsamen Tag hindurch verborgen. Ich hörte das lang anhaltende Marschiren als Euer Heer auf den Wegen unterhalb an mir vorüber kam und dann nach jenen Stunden der Furcht stellten sich die langen Stunden der Einsamkeit ein!

»O, jene einsamen —— einsamen —— einsamen Stunden! Ich habe ohne Gefährten gelebt, aber jene Stunden waren mir furchtbarer, als die ganzen Jahre meines früheren Lebens. Ich wagte nicht, meinen Versteck zu verlassen, ich wagte nicht, zu rufen! —— Völlig allein in der Welt, lag ich in meiner Zufluchtsstätte, bis die Sonne unterging. Dann kam der Nebel und die Dunkelheit und die Kälte. Der schneidende Nachtwind durch fröstelte meinen ganzen Körper. Die einsame Finsterniß um mich. her schien von Gespenstern erfüllt zu sein, die ich nicht erblicken konnte, die mich anrührten und über meine Haut hinraschelten, —— sie machten mich halb wahnsinnig. Ich stand auf, um mich zu entfernen, um meinen zornigen Vater oder dem Heere, das an mir vorübergegangen war, oder der Einsamkeit auf den kalten, hellen Wiesen —— welchen, war mir gleichgültig —— entgegen zu treten, als ich das Licht Deiner Fackel im Augenblicke vor ihrem Erlöschen bemerkte. So finster es auch damals war, fand ich doch Dein Zelt. Und jetzt weiß ich, daß ich noch mehr gesunden habe —— einen Gefährten und einen Freund.«

Sie blickte bei diesen Worten mit demselben dankbaren Ausdrucke, welcher sich schon auf ihrem Gesicht gezeigt hatte, zu dem jungen Gothen aus, diesmal waren ihre Augen aber nicht von Thränen getrübt, schon hatte ihr Gemüth, so gering auch die Aussicht auf Glück war, welche jetzt vor ihr lag, mit fast kindlicher Veränderlichkeit die stärkenden Einflüsse heiterer Empfindungen zurückgespiegelt. Schon begann die kurze Ruhe der Gegenwart ihren verwischenden Zauber über die Aufregungen der Vergangenheit zu erstrecken. Die Verzweiflung gehörte nicht zu den Empfindungen, welche um jenes kindergleiche Herz keimten, Schmach, Frucht und Schmerz ließen, wie sehr sie es auch auf eine Zeitlang überschatten mochten, keine Spur ihrer Gegenwart auf seiner hellen, schönen Oberfläche zurück. Zart, für jedes Gefühl wahrhaft gefahrvoll empfänglich, dankbar wie sie von Natur war, hatte sie die Einsamkeit, zu welcher sie verurtheilt gewesen, trotz ihrer Jugend, mit Märtyrerstandhaftigkeit und stoischer Geduld im Schmerze begabt.

»Traure jetzt nicht um mich,« unterbrach sie sanft einige Worte des Mitleids, welche von den Lippen des jungen Gothen fielen; »wenn Du barmherzig gegen mich bist, so werde ich Alles, was ich gelitten habe, vergessen. Ist auch Dein Volk in Feindschaft mit dem meinen, so fürchte ich doch nichts, so lange Du mein Freund bleibst. Ich kann jetzt Deine große Gestalt, Dein schwarzes Schwert und Deine schwere Rüstung ohne Zittern anblicken. Du gleichst nicht den Soldaten Rom’s —— Du bist größer, stärker, herrlicher angethan, wie sie! Du gleichst der Statue einem griechischen Krieger, die ich einst gesehen habe. Dein Blick fordert Gehorsam und Deine Gestalt ist gebietend!«

Sie schaute die männliche, kräftige Gestalt des jungen Kriegers und die Rüstungsstücke, mit welchen er angethan war, in kindischer Theilnahme und Erstaunen an, fragte ihn nach dem Namen und Zwecke aller Theile derselben, welche ihre Aufmerksamkeit erregten und erkundigte sich endlich begierig nach seinem Namen.

»Hermanrich! wiederholte sie, als er ihr denselben gesagt hatte, die rauhen gothischen Silben mit einiger Mühe aussprechend; »Hermanrich! das ist ein strenger, ernster Name, —— ein Name, wie er einem Krieger und Manne geziemt! Nach einem solchen klingt der meine werthlos, er heißt nur Antonina!«

So tiefen Antheil Hermanrich auch an jedem von dem Mädchen ausgesprochenen Worte nahm, konnte er doch nicht länger die deutlichen Spuren von Erschöpfung unbemerkt lassen, welche sich jetzt in allen ihren Bewegungen zeigten. Er holte aus einer Ecke des Zeltes einige Felle, bereitete neben dem Feuer eine Art von rohem Lager, häufte frisches Brennmaterial auf die Flamme und rieth ihr dann sanft, ihre erschöpften Kräfte durch Ruhe zu stärken. In seinem Benehmen lag etwas so Offenes, in den Tönen seiner Stimme etwas so Aufrichtiges, als er der Fremden, welche bei ihm Zuflucht gesucht hatte, dieses einfache Anerbieten der Gastlichkeit machte, daß das mißtrauischste Weib es mit eben so geringem Zaudern angenommen haben würde, wie Antonina, die sich dankbar und ohne weiteres Besinnen auf das Bette niederlegte, welches er ihr zu ihren Füßen ausgebreitet hatte.

Sobald er sie sorgfältig mit einem Mantel bedeckt und ihr Lager so geordnet hatte, daß sie die volle Wärme des Feuers erhielt, zog sich Hermanrich auf die andere Seite desselben zurück und überließ sich, auf sein Schwert gelehnt, den neuen tiefen Gedanken, welche die Gegenwart des Mädchens natürlicher Weise erweckte. Er dachte nicht an die Pflichten, welche ihm die Blockade auferlegte, er entsann sich weder der wüthenden, zornigen Scene, die der Umgehung seines leichtsinnigen Versprechens gefolgt war, noch der wilden Entschlossenheit welche Goiswintha kundgegeben hatte, als sie ihn für die Nacht verließ. Die Sorgen und Mühen, welche ihm der nächste Morgen bringen und die ihn nöthigen mußten, den Flüchtling der Tücke ihrer rachsüchtigen Feindin auszusetzen, die tausend Zufälle, welche die Verschiedenheit ihres Geschlechts, ihres Volkes und Lebens der Fortdauer des Schutzes, welchen er ihr versprochen hatte, entgegensetzen konnte, verursachten ihm keine ahnenden Vorgefühle Antonina —— Antonina allein nahm jede Fähigkeit seines Geistes und jedes Gefühl seines Herzens in Anspruch. In ihrem Namen schon lag für sein Ohr ein weicher, melodischer Klang!

Er war früh schon mit der lateinischen Sprache bekannt geworden, hatte aber die ganze Rundung ihres Tones und der Eleganz ihrer Wortfügung nicht eher entdeckt, als bis er sie von Antonina sprechen hörte. Er ging in seinem Geiste Wort für Wort ihre verschiedenartigen, natürlichen und glücklichen Wendungen des Ausdrucks durch, rief sich dabei die beredten Blicke, die schnellen Gestikulationen, die wechselnden Töne, welche diese Worte begleitet hatten, zurück, und dachte über den weiten Unterschied zwischen dieser jungen Tochter Rom’s und den kalten, schweigsamen Frauen seines Volkes nach. Selbst das ihre Geschichte umhüllende Geheimnis, welches den Argwohn oder die Verachtung civilisirterer Männer erregt haben würden, erweckte in ihm keine Empfindung als die der Bewunderung und des Mitleids. Kein Gefühl niederer Art, als diese, regte sich in seinem Herzen für das Mädchen. Sie war sicher unter dem Schutze des Feindes und des Barbaren, nachdem sie die Einwirkung des Römers und Senators in’s Verderben gestürzt hatte.

Für den einfachen Geist des Gothen war die Entdeckung so vielen Verstandes im Verein mit so großer Jugend, so vieler zu so vollkommener Einsamkeit verurtheilter Schönheit, die Entdeckung eines geistigen Wesens, welches ihn blendete, nicht die eines Weibes, weiches ihn bezaubern, Er hätte nicht einmal die Hand des hilflosen Geschöpfes, welches jetzt unter seinem Zelte ruhte, berühren können, wenn es dieselbe nicht freiwillig nach ihm ausstreckte Er konnte nur mit einem Entzücken, dessen Uebermaß selbst abzuschätzen er weit entfernt war, an das einsame, geheimnißvolle Wesen denken, welches zu ihm gekommen war, um Schutz und Hilfe zu suchen, welches in ihm bereits neue Quellen der Empfindung erweckt hatte und sich in seiner Einbildungskraft plötzlich für immer mit dem Schicksal seines künftigen Lebens verwebt zu haben schien.

Er war noch in tiefe Gedanken versunken, als ihn eine plötzlich auf seinen Arm gelegte Hand aus demselben aufschreckte. Er blickte auf und sah, daß Antonina, die, wie er geglaubt hatte, auf ihrem Lager schlief, an seiner Seite stand.

»Ich kann nicht eher einschlafen,« sagte das Mädchen mit leiser, ängstlicher Stimme, »als bis ich Dich gebeten habe, meines Vaters zu schonen, wenn Du nach Rom kommst. Ich weiß, daß Ihr hier seid, um die Stadt zu verheeren, und werdet sie vielleicht schon diese Nacht stürmen und Verwüsten. Willst Du Versprechen, mir es zu sagen, ehe die Mauern bestürmt werden? Ich werde Dir dann den Namen und die Wohnung meines Vaters mittheilen und Du wirst seiner schonen, wie Du mich gnädig verschont hast. Er hat mir seinen Schutz versagt, aber er ist immer noch mein Vater und ich erinnere mich, ihm einmal ungehorsam gewesen zu sein, als ich mir den Besitz einer Laute verschaffte. Willst Du mir versprechen, seiner zu schonen? Meine Mutter, die ich nie gesehen habe und die daher todt sein muß, wird mich vielleicht in jener Welt lieben, weil ich für meines Vaters Leben gebeten habe.«

Hermanrich beschwichtigte mit wenigen Worten ihre Besorgnisse, indem er ihr die Natur und den Zweck der gothischen Blockade erläuterte, und sie kehrte stumm auf das Lager zurück. Nach kurzer Zeit verkündete ihr leises, regelmäßiges Athmen dem jungen Krieger, welcher neben dem Feuer wachte, daß sie endlich das Unglückserbtheil des Tages über der willkommenen Ruhe des Schlafes vergessen hatte.



Kapiteltrenner

Kapitel II.
Zwei Unterredungen.

Die Zeit ist der Abend des ersten Tages der Blockade durch die Gothen, der Ort Vetranio’s Palast in Rom. In einem von den Privatgemächern seines Hauses, befindet sich der feingebildete Eigenthümer, endlich von der langen Sitzung erlöst, welche der Senat in Bezug auf die unerwartete Belagerung der Stadt gehalten bat. Wiewohl trotz der Gefahr, welche jetzt in Rom Reiche und Arme bedroht, noch dieselbe vollkommene Disciplin, dieselbe elegante Regelmäßigkeit und der gleiche üppige Pomp, wodurch sich der Palast des Senators in den Zeiten der Sicherheit auszeichnete, darin herrschen, scheint Vetranio selbst doch weit entfernt zu sein, die Ruhe seiner patricischen Haushaltung zu theilen. Sein Wesen hat eine ungewöhnliche Strenge und sein Gesicht einen bei ihm ganz neuen Unmuth angenommen, während er so mit seinen stummen Gedanken beschäftigt und gegen Alles, was um ihn her vorgeht, völlig achtlos dasitzt. Zwei Damen, welche seine Gesellschafterinnen im Zimmer bilden, bieten alle ihre Lockungen auf, um ihn wieder zur Heiterkeit zurückzuführen, aber vergebens. Die Dienste seiner aufmerksamen Musiker werden nicht in Anspruch genommen, die Delikatessen auf seinem Tische bleiben unberührt und selbst das »unschätzbare Kätzchen von der bei den alten Egyptern am höchsten verehrten Race,« springt unbeachtet und unbelobt zu seinen Füßen umher. Es liegt klar am Tage, daß, für jetzt wenigstens, der gewohnte philosophische Gleichmuth aus dem Geiste des Senators gewichen ist.

Eine Zeitlang hatte das Schweigen —— bisher in den Gemächern des Palastes etwas Fremdartiges —— ununterbrochen in demselben geherrscht, als der Freigelassene, Carrio, Vetranio’s Gedanken unterbrach und die bei ihm befindlichen Damen in die Flucht schlug, indem er mit wichtiger Stimme meldete, daß der Präfekt Pompejanus eine Privatunterredung mit dem Senator Vetranio wünsche.

Im nächsten Augenblicke trat die erste Magistratsperson von Rom in das Zimmer. Es war ein kurzer, dicker, würdeloser Mann. Trägheit und Ungewißheit waren leserlich seinem Aeußern und Gesichtsausdrucke ausgeprägt. Man sah augenblicklich, daß sein Geist wie ein Spielball durch die Kräfte Anderer nach jeder Richtung hin getrieben werden könne, für sich selbst aber des Wollens völlig unfähig sei. Es war uns ein einziges Beispiel im Leben des Präfekten Pompejanus vorhanden, wo derselbe ohne Beistand zu einem positiven Entschlusse gekommen war —— nämlich bei einem hitzigen Streite zwischen einem Bischofe und einem Generale über die relativen Vorzüge zweier rivalisierender Seitänzer von gleicher Berühmtheit.

»Ich komme, mein geliebter Freund« sagte der Präfekt mit bewegter Stimme, »um in dieser Zeit entsetzlicher Verantwortlichkeit für uns Alle nach Deiner Ansicht über den Operationsplan zu fragen, welchen der Senat bei der heutigen Sitzung vorgeschlagen hat. Zuerst aber,« fuhr er hastig fort, da er mit dem unfehlbaren Instinkte eines alten Gastronomen wahrnahm daß die einladenden Erfrischungen auf Vetranio’s Tische unberührt geblieben waren, »zuerst gestatte mir, meine erschöpften Kräfte durch eine Heimsuchung Deiner stets delikaten Tafel zu starken. Ach, mein Freund, wenn ich an den jetzigen furchtbaren Mangel an Mundvorräthen in der Stadt und die Länge der Zeit, welche diese fluchwürdige Blockade dauern kann, denke, so bin ich zu der Ansicht geneigt, daß nur die Götter wissen —— ich meine St. Peter —— wie lange wir noch unsere Verdauungskräfte anwenden und unsern Köchen werden Beschäftigung geben können.

»Ich habe bemerkt,« fuhr der Präfekt nach einiger Zeit fort, indem er mit von gedämpftem Pfau angefülltem Munde sprach, »ich habe, mein werthgeschätzter College, die Traurigkeit Deinen Wesens und Dein heutiges, absolutes Schweigen bei unsern Berathungen bemerkt. Haben wir Deiner Ansicht nach einen irrigen Beschluß gefaßt? Es ist nicht unmöglich. Unsere Verwirrung bei diesem unerwarteten Erscheinen der Barbaren kann unsern gewohnten Scharfsinn geblendet haben. Wenn Du vielleicht von unsern Plänen abweichen solltest, so bitte ich Dich, mir es rückhaltslos mitzutheilen.«

»Ich weiche von nichts ab, weil ich nichts gehört habe,« antwortete Vetranio mürrisch. »Ich wurde während der Sitzung des Senats von einer wichtigen Privatsache so in Anspruch genommen, daß ich für dessen Berathungen taub war. Ich weiß, daß uns die Gothen belagern; warum werden sie nicht von den Mauern fortgetrieben?«

»Für unsere Berathungen taub? —— Die Gothen von den Mauern forttreiben!« —— wiederholte der Präfekt mit schwacher Stimme; »kannst Du in einem solchen Augenblicke noch an eine Privatsache denken, —— kennst Du unsere Gefahr! —— weißt Du, daß unsere Freunde über dieses entsetzliche Unglück so erstaunt sind, daß sie wie halb im Traume liegende Menschen umhergehen? —— Hast Du nicht die Straßen mit entsetzten, entrüsteten Menschen angefüllt gesehen? —— Hast Du nicht die Wälle erstiegen und die zahllose Menge von unbarmherzigen Gothen erblickt, die uns auf allen Seiten umgeben, unsere Zufuhr vom Lande abschneiden und uns mit einer baldigen Hungersnoth bedrohen, wenn nicht unsere gehofften Befreier von Ravenna ankommen.

Weißt Du nicht, daß die Legionen, die wir in der Stadt haben; nicht hinreichend sind, um mehr als die Hälfte der Mauern zu bewachen. Hat Dir Niemand mitgetheilt, daß es, wenn der Anführer der Barbaren Lust haben sollte, seine Blockade in einen Sturm zu verwandeln, mehr als wahrscheinlich ist, daß wir ihm nicht mit Erfolg widerstehen können? Taub für unsere Berathung, wenn Dir morgen Dein Palast über dem Kopfe angezündet werden kann, wenn wir ausgehungert wenn wir zum Abschließen eines« Friedens gezwungen, ewiger Schmach geweiht werden können? Taub für unsere Berathungen, wenn ein so unerwartetes Unglück wie dieser Einfall, einem Donnerkeile gleich, dicht vor unsern Mauern niedergefallen ist! Du setzest mich in Erstaunen! Du bringst mich vom Verstande! Du entsetzest mich!«

Und der verblüffte Präfekt verließ im Uebermaß der Verwunderung sogar seinen gedämpften Pfau und trat mit dem Weinbecher in der Hand auf seinen unbeweglichen Wirth zu, um dessen Züge näher zu betrachten.

»Wenn wir nicht stark genug sind, um die Gothen aus Italien zu vertreiben,« erwiderte Vetranio kaltblütig, »so weißt Du und der Senat, daß wir Reichthümer genug besitzen, um ihre Entfernung bis an die entlegensten Grenzen des Reiches zu erkaufen. Wenn wir nicht Schwerter genug zum Fechten zu haben, so ist doch Gold und Silber genug zum Bezahlen da.«

»Du scherzest! Bedenke doch unsere Ehre und die Hilfstruppen, welche wir noch von Ravenna hoffen,« sagte der Präfekt tadelnd.

»Das Wort Ehre hat jetzt die Bedeutung verloren, welche es in der Zeit der Cäsaren besaß,« entgegnete der Senator, »Unsere Kampfestage sind vorüber. Wir haben für unsern Ruhm Helden genug gehabt. Was die Hilfstruppen betrifft, auf welche Du noch immer hoffst, so wirst Du keine erhalten! So lange sich der Kaiser in Ravenna sicher befindet, wird er sich nicht um die schlimmste Noth kümmern, die dem römischen Volke zustoßen kann.«

»Aber Du vergissest Deine Pflichten,« drängte der erstaunte Pompejanus vom Tadel zu Vorstellungen übergehend »Du vergissest, daß wir in einer Zeit leben, in welcher alle Privatinteressen aufgegeben werden müssen! Du vergissest, daß ich hierher gekommen bin, um Dich um Rath zu fragen, daß ich durch tausend mir von allen Seiten aufgedrungene Pläne zur gehörigen Regierung der Stadt, während der Blockade, verblüfft bin, daß ich von Dir als Freunde und Mann von Ruf Hilfe zur Entscheidung über die mir heute im Senate gegebenen zahlreichen Rathschläge erwarte! Willst Du mich wirklich überreden, daß Du nicht weißt, daß alle unsere Wachen auf den Mauern schon verdoppelt sind. Willst Du ernsthaft gegen mich behaupten, daß Du den, Plan des Saturninus, die täglichen Rationen unbemerklich zu vermindern, nicht gehört hast? oder die Empfehlung des Emilianus, daß das Volk vom Denken an die es jetzt bedrohenden Gefahren und Nöthe durch unablässig, öffentliche Vergnügungen in den Theatern und Rennbahnen abgehalten werden soll? Bist Du wirklich gegen die Schrecken unserer jetzigen Lage gleichgültig? —— Bei den Seelen der Apostel, Vetranio, ich fange zu denken an, daß Du nicht an die Gothen glaubst.«

»Ich habe Dir bereits gesagt, daß mich jetzt Privatangelegenheiten so in Anspruch nehmen, daß ich von öffentlichen nichts wissen will,« sagte Vetranio unmuthig, »debattiert wie Ihr wollt,«— billigt, welche Pläne Ihr wollt«— ich ziehe mich von aller Einmischung in Eure Berathungen zurück!«

»Dies,« murmelte der zurückgeschlagene Präfekt vor sich hin, als er wieder mechanisch seinen Platz am Tische einnahm, »dies ist das Ende und der höchste Gipfel des Unglücks! Jetzt, wo Rath und Beistand für mich kostbarer sind als Juwelen, erhalte ich keines von Beiden. Ich erlange von Keinem die weisen, rettenden Rathschläge, welche ich als erste Amtsperson dieser kaiserlichen Stadt von Allen zu verlangen das Recht habe, und derjenige, auf den ich mich am meisten verließ, ist der, welcher mich am ersten verläßt! Aber höre mich noch einmal an, Vetranio,« fuhr, er zu dem Senator gewendet fort; »wenn unsere Gefahren außerhalb der Mauern Dich nicht berühren, so ist doch soeben innerhalb derselben eine gewichtige Sache ausgemacht worden, welche Dich bewegen muß. Nachdem Du den Senat verlassen hattest, wurde Serena, Stilicho’s Wittwe, wie schon ihr Gatte vor ihr, des geheimen verrätherischen Verkehrs mit den Gothen angeklagt, und ist, wie früher ihr Gatte, zur Todesstrafe verurtheilt worden. Ich selbst sah keine Beweise vor mir, um sie zu überführen, aber der Pöbel schrie in allgemeiner Raserei, daß sie schuldig sei, daß sie sterben müsse und daß die Barbaren, wenn sie die ihrer geheimen Anhängerin auferlegte Strafe erführen, sich entsetzt von Rom zurückziehen würden. Dies war ebenfalls ein streitiger Punkt, über welchen ich umsonst eine Entscheidung zu geben versuchte, aber der Senat und das Volk waren klüger als ich, und Serena wurde verurtheilt, morgen vom Henker erwürgt zu werden. Sie war früher ein Frauenzimmer von gutem Rufe und ist die adoptierte Mutter des Kaisers. Viele bezweifeln jetzt, ob Stilicho, ihr Gatte, je des Einverständnisses mit den Gothen, dessen er angeklagt wurde, schuldig gewesen sei und ich meinerseits bin sehr unschlüssig, ob Serena die Todesstrafe an uns verdient hat. Ich flehe Dich an, Vetranio, mich wenigstens in diesem Punkte durch Deine Ansicht zu erleuchten.«

Der Präfekt wartete ängstlich auf eine Entgegnung, aber Vetranio blickte ihn weder an, noch ließ er ihm eine Erwiderung zu Theil werden. Offenbar hatte der Senator kein Wort von seinen Reden gehört.

Diese Aufnahme seiner letzten Bitte um Beistand brachte auf den Bittsteller die Wirkung, welche dadurch vielleicht beabsichtigt wurde, hervor; der Präfekt Pompejanus verließ verzweiflungsvoll das Zimmer.

Er war noch nicht lange fort, als Carrio wieder eintrat und zu seinem Herrn sagte:

»Es ist mir schmerzlich, verehrter Patron, Dir mittheilen zu müssen. daß Deine Sklaven ohne Resultat von der Nachsuchung zurückgekehrt sind.«

»Gib die Beschreibung des Mädchens einer frischen Abtheilung von denselben und laß sie ihre Bemühungen die Nacht hindurch nicht nur auf den Straßen, sondern auch an allen öffentlichen Orten der Stadt fortsetzen, Sie muß in Rom sein und gefunden werden!« sagte der Senator düster.

Carrio verbeugte sich tief und wollte sich eben entfernen, als ihn die Stimme seines Herrn an der Thür festhielt.

»Wenn ein alter Mann, der sich Numerian nennt, mich zu sehen wünschen sollte, so lasse ihn augenblicklich ein!«

»Sie hatte das Zimmer erst kurze Zeit verlassen, als ich sie zurückzubringen versuchte,« fuhr der Senator vor sich hinsprechend fort, »und doch war sie, als ich in’s Freie gelangte, nirgends zu sehen. Sie muß sich unabsichtlich unter die Menge gemischt haben, welche die Gothen in die Stadt trieben und so meiner Beachtung entgangen sein! So jung und so unschuldig! Sie muß gefunden werden! sie muß gefunden werden!« Er hielt wieder, in tiefes, trübes Nachdenken versunken, inne. Nach einem langen Zwischenraum wurde er durch den Ton von Schritten auf dem Marmorfußboden aus seiner Zerstreuung geweckt. Er blickte auf.

Die Thür war, ohne daß er es bemerkte, geöffnet worden und ein alter Mann trat mit langsamen, schwankenden Schritten auf sein Lager zu. Es war der verlassene, unglückliche Numerian.

»Wo ist sie? — hat sie sich gefunden?« fragte der Vater, sich ängstlich im Zimmer umschauend, als habe er seine Tochter dort zu finden erwartet.

»Meine Sklaven suchen immer noch nach ihr!« sagte Vetranio trübe.

»Ach, wehe! —— wehe —— wehe! —— Wie habe ich ihr Unrecht gethan! wie habe ich ihr Unrecht gethan! rief der Greis, sich zur Entfernung wendend.

»Höre mich an, ehe Du gehst,« sagte Vetranio, indem er ihn sanft zurückhielt, »Ich habe Dir großes Unrecht gethan, aber ich werde es noch wieder gut machen, indem ich Dir Dein Kind aufsuche! So lange es noch Weiber gab, die in meiner Bewunderung ihren Triumph gefunden haben würden, hätte ich keinen Versuch machen sollen, Dich Deiner Tochter zu berauben! Erinnere Dich, wenn Du sie wieder erhältst —— und Du sollst sie wieder erhalten, —— daß sie von der Zeit an, wo ich sie zuerst verlockte, meiner Laute zuzuhören, bis zu der Nacht, wo mich Dein verrätherischer Diener in ihr Schlafgemach geführt hat, in dieser übel angesehenen Sache unschuldig gewesen ist. Ich allein bin der Schuldige. Sie war kaum erwacht, als Du sie in meinen Armen entdecktest, und mein Erscheinen in ihrer Kammer kam ihr eben so unerwartet wie Dir. Ich war noch von den Dünsten des Weines und dem Erstaunen über Dein plötzliches Erscheinen verwirrt, sonst würde ich sie vor Deinem Zorne gerettet haben, ehe es zu spät war! Die Ereignisse dieses Morgens haben mich, so verworren sie auch gewesen sind, doch überzeugt, daß ich mich in Euch Beiden getäuscht hatte. Ich weiß jetzt, daß Dein Kind zu rein war, um für meine Bewerbung geeignet zu sein, und glaube, daß Deine Absicht aufrichtig war, als Du sie so, wie Du es gethan hast, abschlossest, wie übel berathen Du auch dabei erscheinen mochtest! Ich habe während meines ganzen Strebens nach Vergnügen nie einen verderblicheren Irrthum begangen, als das Eintreten in Dein Haus!«

Vetranio drückte durch diese Worte nur die Gefühle aus, von welchem sie ihm wirklich eingegeben wurden. Wie schon bemerkt, war er zwar aus Leichtsinn in der ihm durch seine sociale Stellung gestatteten Freiheit ausschweifent, aber weder herzlos, noch von Natur böse. Väter hatten wohl gewüthet, aber seine Freigebigkeit sie bisher stets beschwichtigt, Töchter hatten geweint, aber bei allen bisherigen Anlässen im Glanze seines Palastes und der Liebenswürdigkeit seines Charakters Trost gefunden. Als er daher die Entführung Antoninens versuchte, hatte er sich zwar auf ungewöhnliche Hindernisse gefaßt gemacht, aber von seiner neueren Eroberung keine schlimmeren Resultate erwartet, als diejenigen, welche bisher seinen früheren Galanterien gefolgt waren. Als er sich jedoch in der Einsamkeit seines Hauses und im vollen Besitz seiner geistigen Fähigkeiten, alle Umstände seines Versuches von der Zeit an, wo er sich zu dem schlummernden Mädchen geschlichen, bis zu dem Augenblicke, wo sie aus dem Hause geflohen war, in’s Gedächtniß rief, als er sich an den strengen auf einen Punkt zusammengezogenen Zorn Numerian’s und die Qual und Verzweiflung Antoninens erinnerte, als er an die Reue des zu Boden gedrückten, betrogenen Vaters und die Flucht der mißhandelten Tochter dachte, kam er sich wie ein Mann vor, der nicht bloß eine Indiskretion begangen, sondern sich eines Verbrechens schuldig gemacht hatte —— er wurde überzeugt, daß er die furchtbare Verantwortlichkeit auf sich geladen, das Glück eines Vaters, der wirklich tugendhaft, und das eines Kindes, welches wahrhaft unschuldig, war, vernichtet zu haben. Für einen Mann, dessen ganzes Leben sich nur damit beschäftigte, sich ungetrübte Freuden zu verschaffen, dessen einziger Trieb es war, nie verfeinerte Sinnlichkeit, welche die Gewohnheit eines ganzen Lebens zu dem Material, aus welchem sein Herz bestand, gemacht hatte, durch Verbreitung von Ueppigkeit und Erweckung von Lächeln, wohin er nur immer seine Schritte wendete, zu nähren, war die bloße, geistige Unruhe, welche dem Mißlingen seines Versuches auf Numerian’s Tochter folgte, in ihrem Einfluss e eben so peinlich wie die bitterste Reue, welche einen Mann von höheren Grundsätzen hatte quälen können. Er stellte also jetzt die Forschungen nach Antonina an und gab ihrem Vater seine Zerknirschung in der echten Ueberzeugung zu erkennen, daß nichts als die vollkommenste Entschädigung für den von ihm begangenen Irrthum ihm die üppige Ruhe wieder geben könne, deren Verlust ihn, wie er es selbst ausdrückte, taub für die Berathung des Senates und achtlos gegen. den Einfall der Gothen gemacht hatte.

»Sage mir,« fuhr er nach einer Pause fort, »wohin sich Ulpius begeben hat. Ist es nöthig, ihn aufzusuchen? Er könnte uns vielleicht über Antoninens Zufluchtsort aufklären. Er soll festgenommen und ausgefragt werden.«

»Er hat mich plötzlich verlassen. Ich sah ihn sich, als ich das Fenster verließ, unter die Menge auf der Straße mischen, weiß aber nicht, wohin er sich begeben hat,« entgegnete Numerian, und sein ganzer Körper erbebte, als er von dem unbarmherzigen Heiden sprach.

Wiederum herrschte eine kurze Stille. Der Schmerz des zu Boden gedrückten Vaters besaß in seiner Demuth und Verzweiflung eine tadelnde Stimme, vor welcher der Senator, so sorglos und ausschweifend er auch war, instinktmäßig bebte. Er bemühte sich, eine Zeitlang umsonst den mißbilligenden Einfluß zu bekämpfen, welchen die bloße Gegenwart des schmerzbekümmerten Mannes, dem er so unwiderbringliches Unrecht zugefügt, hervorgebracht hatte. Endlich erlangte er wieder Fassung genug, um einige weitere Ausdrücke des Trostes und der Hoffnung an Numerian zu richten, aber er sprach zu Ohren, welche ihn nicht hörten. Der Vater war wieder in seine trübe Zerstreuung versunken und als der Senator inne hielt, murmelte er er die Worte vor sich hin:

»Sie ist verloren! leider ist sie für immer verloren!«

»Nein, sie ist nicht für immer verloren!« rief Vetranio warm. »Ich besitze Vermögen und Macht genug, um sie bis an’s Ende der Welt suchen zulassen Ulpius soll festgenommen und verhört —— wenn es nöthig ist, eingekerkert und gefoltert werden. Deine Tochter muß sich wieder finden, es giebt für einen Senator von Rom nichts Unmögliches.«

»Ich wußte nicht eher, daß ich sie liebte, als bis zu dem Morgen, wo ich sie vertrieb und ihr so großes Unrecht that. Ich habe alle Spuren von meinen Eltern und meinem Bruder verloren —— meine Gattin ist auf ewig von mir getrennt —— ich habe weiter nichts als Antonina, und jetzt ist sie ebenfalls fort!« sprach der alte Mann noch immer vor sich hin. »Selbst mein Ehrgeiz, den ich einst für mein Alles in Allem hielt, ist kein Trost für meine Seele, denn ich liebte ihn —— liebte ihn leider, meiner unbewußt, in meinem Kinde. Ich zerschlug ihre Laute —— ich hielt sie für schamlos —— ich trieb sie aus meinem Hause! O, wie sehr habe ich ihr Unrecht gethan! wie sehr habe ich ihr Unrecht gethan!«

»Bleibe hier und ruhe in einem von den Schlafgemächern aus, bis meine Sklaven morgen früh zurückkehren werden. Du sollst dann ohne Verzug das Resultat ihrer nächtlichen Forschungen erfahren,« sagte Vetranio mit freundlichem, mitleidigem Tone.

»Es wird finster —— finster!« stöhnte der Vater, indem er nach der Thür schwankte, »aber das ist nichts, das Tageslicht selbst gleicht für mich jetzt der Finsterniß! Ich muß gehen, ich habe Pflichten in der Kapelle zu erfüllen. Für Dich bringt die Nacht Ruhe —— für mich bringt sie Pein und Gebet!«

Er entfernte sich mit diesen Worten. Langsam schritt er durch die nach seiner Kapelle führenden Straßen und blickte mit durchdringendem Auge auf jeden Bewohner der belagerten Stadt, welcher unterwegs an ihm vorüberkam. Es kostete ihm einige Mühe, an seinen Bestimmungsort zu gelangen, denn Rom war noch von Bewaffnetem welche hin und her eilten, und mit Haufen von tumultuösen Bürgern gefüllt, die sich überall, wo Raum genug für sie vorhanden war, versammelten. Das Gerücht von dem ihm zugestoßenen Unglück hatte sich bereits unter seinen Hörern verbreitet und sie flüsterten besorgt mit einander, als er in die einfache, schwach erleuchtete Kapelle trat und langsam auf die Kanzel stieg, um den Gottesdienst durch Lesung des Bibelkapitels, welches für diesen Abend angesetzt war und zufällig im fünften des Evangelium St. Marci bestand, zu eröffnen.

Seine Stimme bebte, sein Gesicht war mit gespenstischer Blässe überzogen und seine Hände zitterten merklich, als er begann, aber er las in leisen. gebrochenen Tönen und mit offenbarer Pein und Mühe weiter, bis er zu dem Verse kam, welcher die Worte enthielt: —— »Meine Tochter liegt in den letzten Zügen.« —— Hier hielt er plötzlich inne, strengte sich einige Minuten an, weiter zu lesen, aber vergebens, bedeckte darauf sein Gesicht mit den Händen, sank in der Kanzel nieder und schluchzte laut. Seine bekümmerten, erschreckten Zuhörer sammelten sich augenblicklich um ihn, richteten ihn in ihren Armen auf und wollten ihn nach seiner Wohnung führen. Als sie jedoch an die Thür der Kapelle gelangten, forderte er sie sanft auf, ihn zu verlassen und ohne ihn zu dem Gottesdienste zurückzukehren.

Stets selbst seinen leisesten Wünschen gehorsam, leisteten ihm die Personen seiner kleinen Gemeinde, durch den Anblick der Leiden ihres Lehrers zu Thränen bewegt, Folge, und zogen sich schweigend auf ihre früheren Plätze zurück. Sobald er fand, daß er allein war, schritt er über die Schwelle und flüsterte vor sich hin:

»Ich muß mich Denen, die sie suchen. anschließen, ich muß ihnen selbst bei der Nachsuchung beistehen,« und mischte sich wieder unter die sich auf den finsteren Straßen drängenden Bürger.



Kapiteltrenner

Kapitel III.
Die Mauerspalte.

Als Ulpius an dem Morgen, wo die Belagerung begann, plötzlich Numerian’s Haus verließ, geschah es nicht in der bestimmten Absicht, sich nach irgend einem besonderen Orte zu begeben, oder irgend ein Geschäft vorzunehmen. Es geschah, um seiner Freude —— dem Triumphe, welcher sein Herz jetzt bis zum Zerspringen anfüllte, Luft zu machen, daß er die offenen Straßen aufsuchte. Sein ganzer Geist war von dem Triumphgefühle exaltiert, welches den Körper zum Handeln antreibt. Er eilte in die freie Luft hinaus, wie ein Kind an einem hellen Tage auf das Feld läuft. Sein Entzücken war zu groß, um sich unter einem Dache entfalten zu können. Das Uebermaß seines Glückes schwoll unwiderstehlich über alle künstlichen Schranken des Raumes hinaus an. Die Gothen waren in Sicht. Noch wenige Stunden und ihre Sturmleitern würden gegen die Mauern angesetzt werden. Bei einer so schwach vertheidigten Stadt, wie Rom, mußte ihr Angriff fast augenblicklichen Erfolg haben. Sie würden beutedürstend in wüthenden Schaaren durch die unvertheidigten Straßen strömen. Wenn»sie auch Christen waren, würden doch die Fesseln der Religion in dem Augenblicke wilden Triumphes bei einer solchen Räubernation gegen die Versuchung zum Beutemachen ohnmächtig sein. Kirchen würden verheert und zertrümmert, Priester bei dem Versuch, ihre Kirchenschätze zu bewahren, ermordet werden, Feuer und Schwert den Hauptort der Christenheit bis in seine entlegensten Grenzen verwüsten und die kühnsten Gläubigen des Christenthums in Tod und Vergessenheit hinabziehen! Dann, wenn der Orkan der Zerstörung und des Verbrechens über der Stadt verbraust, wenn ein neues Volk für eine andere Regierung und Religion herangereist war —— dann würde es Zeit sein, die verbannten Götter des alten Rom’s wieder mit ihrer früheren Herrschaft zu bekleiden, die Ueberlebenden an das Strafgericht Gottes zu erinnern, welches der Abfall von ihrem alten Glauben erforderlich gemacht und erlitten hatte; Zeit sein, selbst die Erinnerung an das Kreuz aus dem Gedächtniß der Menschen zu verwischen; und das Heidenthum durch seine frühen Verfolgungen noch mächtiger, durch seine plötzliche Wiedereinführung noch allgemeiner, wie in der größten Herrlichkeit seiner alten Herrschaft, wieder aus seinen Opferthron zu sehen und unter sein goldenes Dach zurück zu führen.

Dergleichen Gedanken zogen durch den Geist des Heiden, als er achtlos gegen alle äußeren Ereignisse durch die Straßen der belagerten Stadt schritt. Schon sah er das Heer der Gothen als bewußtlose Vorläufer der wiederkehrenden Götter, der mächtigen Revolution, welche er anzuführen entschlossen war, den Weg bahnen. Die Wärme seiner früheren Beredtsamkeit, die Gluth seines alten Kampfesmuthes zuckten durch sein Herz, als er sich die Aussicht vorstellte, welche sich bald vor ihm ausbreiten würde —— eine verwüstete Stadt, ein entsetztes Volk, eine verwirrte Regierung, eine zerstörte Religion. Dann wollte er sich in dieser Finsterniß, diesem Verderben, aus dieser Einsamkeit, Verödung und Vernichtung erheben und sein herrliches Vorrecht sollte es sein, das ungläubige Volk aufzufordern, zur Herrin seiner alten Liebe zurückzukehren, von seinem Sturze unter der zerstörten Kirche aufzustehen und in neu bevölkerten Tempeln, an wiederhergestellten Heiligthümern sein Glück zu suchen.

Die Erinnerung an die jüngsten Ereignisse verschwand jetzt völlig aus seinem Geiste. Vetranio, Numerian, Antonina waren über dem denkwürdigen Erscheinen der Gothen gänzlich vergessen. Seine Sklaverei in den Bergwerken, sein letzter Besuch in Alexandrien, seine früheren Wanderungen, selbst diese, bis zur Ankunft des Feindes, seinem Gedächtnisse so gegenwärtige Dinge, waren jetzt von der Oberfläche desselben verwischt. Alter, Einsamkeit, Gebrechlichkeit, bisher die traurigen Empfindungen, welche ihm Beweise waren, daß er noch existierte —— verschwanden plötzlich aus seinem Wahrnehmungsvermögen, wie Dinge. die keine Existenz besaßen und nun vergaß er endlich, daß er ein Ausgestoßener sei, und gedachte mit Triumph daran, daß er noch ein Priester war. Er fühlte sich von denselben Hoffnungen beseelt, von denselben Bestrebungen erhoben, wie in den frühen Tagen, wo er die schwankenden Heiden im Tempel angeredet und zuerst auf den Umsturz der christlichen Kirche gesonnen hatte.

Es war ein furchtbarer, warnender Beweis des allmächtigen Einflusses, welchen eine einzige Idee auf ein ganzes Leben üben kann, wenn man den Preis nach Jahren des Leidens und der Einsamkeit, der Herabwürdigung und des Verbrechens noch immer in den Banden des Ehrgeizes, welche die Blüthe seiner Jugend geknickt hatte, unter der ihn umgebenden Menge umherwandern sah.

Es war ein ehrfurchtgebietendes Zeugnis von der ewigen, räthselhaften Natur des Gedankens, wenn man jene abgezehrte geschwächte Gestalt erblickte und dann bemerkte, wie der unbesiegbare Geist im Innern immer noch die Trümmer des ihm gebliebenen Körpers beherrschte, —— wie treulich sich die letzten erschöpften Hilfsquellen der sinkenden Thatkraft auf dessen strenges Gebot zum Kampfe schaarten, —— wie schnell auf seine trügerische Stimme das eingesunkene Auge sich wieder von einem Strahl der Hoffnung entzündete und auf die blassen, dünnen Lippen mechanisch ein triumphierendes Lächeln trat.

Die Stunden vergingen, aber noch immer schritt er vorwärts —— wohin oder unter wem, wußte er weder, noch kümmerte es ihn. Sein Herze fühlte keine Reue über die Zerstörung, welche er in das Haus des Christen, der ihn bei sich aufgenommen, gebracht hatte, —— kein Schrecken entsetzte seine Seele bei der Betrachtung des Elendes, welches, seinem Glauben nach, der Stadt von dem Feinde vor ihren Thoren drohte —— der Zweck, welcher ihm die lange Reihe seiner früheren Sünden und Leiden geheiligt hatte, verwischte jetzt die so eben vergangenen Frevel und entkleidete die unmittelbar bevorstehenden Schändlichkeiten aller ihrer Schrecknisse.

Für Andere mochten die Gothen Zerstörer sein, für ihn waren sie aber Wohlthäter, denn sie waren die Boten des Verderbens, welches das Material seiner Reform und die Quelle seines Triumphes sein sollte. Es kam ihm nicht in den Sinn, daß er als Bewohner Rom’s die nahen Gefahren der Bürger theilte und im Augenblicke des Sturms ihr Schicksal theilen könne, er erblickte nur die neuen, glänzenden Aussichten, welche ihm Krieg und Plünderung eröffneten. Er dachte nur an die Zeit, welche vergehen mußte, ehe seine neuen Anstrengungen beginnen konnten, an die Stände des Volks, unter welchen er zuerst seine Stimme vernehmen lassen wollte —— an die Tempel, welche er zur Wiederherstellung auswählen würde —— an den Theil Rom’s, welcher zuerst zur Aufnahme seiner kühnen Reform bestimmt werden sollte.

Endlich blieb er stehen; seine erschöpften Kräfte wichen den ihnen auferlegten Anstrengungen und zwangen ihn, an Erquickung und Ruhe zu denken. Es war jetzt Mittag, seine Wanderung hatte ihn unmerklich in die Nähe seines alten, bekannten Wohnplatzes zurückgeführt, er befand sich auf der Rückseite des Monte Pincio und war nur durch einen Streifen unebenen, beholzten Bodens vom Fuße der Stadtmauern getrennt. Die Stelle war sehr einsam. Sie wurde von den Straßen und Wohnungen über diese durch dichte Haine und ausgedehnte Gärten, welche sich auf den wellenförmigen Hügelabhänge hinstreckten, abgeschieden. Etwas westlich von ihm lag das Pincische Thor, aber eine scharfe Biegung der Mauer und einige in deren Nähe wachsende Olivenbäume verschlossen alle Aussicht nach jener Richtung hin den Augen gänzlich.

Auf der andern Seite, nach Osten zu, sah man die Wälle eine ziemliche Strecke weit in gerader Linie hinlaufen, bis sie sich plötzlich in einem rechten Winkel nach innen bogen und, durch die Mauern eines entfernten Palastes und die Pinien eines öffentlichen Gartens, weiterer Beobachtung verborgen wurden. Die einzige lebende Gestalt, welche man in der Nähe dieser einsamen Stelle erblickte, war die einer Schildwache, die zuweilen auf den Mauerzinnen hin- und herschritt, die, da sie zwischen zwei Soldatenposten, den am Pincischen Thore und dem, wo die Mauer den bereits beschriebenen Winkel bildete, lagen, nur von, dem Wachtposten besetzt waren, in dessen Bezirk sie sich befanden. Hier vergönnte der Heide auf kurze Zeit seinem müden Körper Ruhe und erwachte unmerklich aus den Betrachtungen, die ihn bisher für das verwirrte Aussehen der ihn umgebenden Welt blind gemacht hatten.

Jetzt hörte er zum ersten Male deutlich den verwirkten Lärm, welcher sich immer noch aus allen Theilen Rom’s erhob. Derselbe unablässige Streit von um die Oberhand ringenden Stimmen und eiligen Schritten, welcher am Morgen sein Ohr getroffen hatte, zog jetzt seine Aufmerksamkeit an. Mit ihm vermischte sich aber kein Nothgeschrei, kein Waffengeklirr, keine Rufe der Wuth und Herausforderung, wiewohl, wie er an dem Stande der Sonne bemerkte, der Tag hinreichend vorgerückt war, um das gothische Heer längst schon an den Fuß der Mauern gebracht haben zu können. Was konnte der Grund der Verzögerung des Sturmes, der ominösen Ruhe auf den Wällen über ihm sein? War die Kampfeshitze der Gothen beim Anblicke von Rom plötzlich verschwunden? Hatte man beim ersten Erscheinen der Eroberer Friedensunterhandlungen begonnen?

—— Er lauschte wieder.

Sein Ohr vernahm keine Klänge von anderer Art, als die von ihm bis jetzt gehörten. Wiewohl belagert, war die Stadt doch offenbar aus irgend einem geheimen Grunde nicht einmal von einem Angriffe bedroht.

Plötzlich erschien auf einem schmalen Pfade neben ihm, welcher um den Fuß der Mauer führte, ein Weib mit einem voraus laufenden Kinde, welches ihr ungeduldig zartes:

»Eile, Mutter, eile! Hier sind keine Menschen, dort ist das Thor, wir, werden eine prächtige Aussicht auf die Gothen haben!«

In der Anrede des Kindes lag etwas, wodurch Ulpius schon jetzt eine Spur von der Entdeckung erhielt, welche bald nachher auf ihn eindrang. Er stand auf und folgte ihnen. Sie gingen an der Mauer unter den Olivenbäumen hin und gelangten dann auf den freien Raum vor dem Pincischen Thore. Hier hatte sich eine große Menge von Menschen versammelt, der der Reihe nach von einigen Soldaten, welche die Treppe, über die man hinaufstieg, bewachten, gestattet wurde, in Abtheilungen auf die Mauern zu gehen. Nach kurzem Verweilen durfte Ulpius, nebst den ihn umgebenden Neugierigen seine Schaulust eben so befriedigen, wie es Andere schon vorher gethan hatten. Sie stiegen auf die Mauern und erblickten innerhalb und außerhalb der Vorstädte die weit ausgebreiteten gothischen Linien.

So furchtbar und fast erhaben auch der Anblick jener ungeheuren Menge in der strahlenden Beleuchtung der Mittagssonne war, machte sie doch nicht Eindruck genug auf die Römer, um die in ihrem Charakter eingewurzelte stürmische Geschwätzigkeit zum Schweigen zu bringen. Männer, Weiber und Kinder machten ihre lärmenden, einander widerstreitenden Bemerkungen über den Anblick vor ihnen in jeder Verschiedenheit des Tones, von den behenden Klängen des Schreckens an bis zum lauten Geschrei der Herausforderer. Einige sprachen prahlerisch von den Thaten, welche die Römer verrichten würden, wenn ihre erwarteten Hilfstruppen von Ravenna ankamen. Andere ahnten mit unverhohlenem Entsetzen einen Sturm im Schleier der Nacht. Hier schmähte eine Gruppe in leisen vertraulichen Tönen die Politik der Regierung in ihren früheren Beziehungen zu den Gothen, dort unterhielt sich eine Gruppe von zerlumpten Vagabunden damit, daß sie sich gegenseitig ihre positive Ueberzeugung mittheilte, daß in diesem Augenblicke die Barbaren bei dem bloßen Anblick der allmächtigen Hauptstadt der Welt in ihrem Lager zittern müßten. Auf der einen Seite hörte man die Leute lärmend debattieren, ob die Gothen durch die Soldaten Rom’s von den Mauern hinweggetrieben oder mit einer Einladung beehrt werden würden, Frieden mit dem Kaiserreiche zu schließen, in welches sie so verrätherischer Weise einzufallen gewagt hatten. Aus der andern sprachen die Nüchterneren und Achtbareren unter den Zuschauern hörbar ihre Besorgnisse vor Hungersnoth, Schande und Niederlage aus, im Fall die Behörden der Stadt tollkühn genug sein sollten, Widerstand gegen Alarich und sein Barbarenheer zu wagen.

So weit aber auch die Verschiedenheit zwischen den Ansichten der Bürger war, stimmten sie doch alle in der einen unvermeidlichen Gewißheit überein, daß die Stadt nur deshalb mit einem Sturme verschont geblieben sei, um von den Schrecknissen einer Blockade bedroht zu werden, im Falle die von Ravenna her erwarteten Legionen ausblieben.

In dem ihn umgebenden Stimmengewirr drang nur das Wort Blockade zu den Ohren des Heiden. Es brachte eine Fluth von Bewegungen mit, in welcher er gänzlich unterging. Alles, was er sah und hörte, verknüpfte sich unmerklich mit diesem Ausdruck. Eine plötzliche Finsterniß, welche sich weder zerstreuen ließ, noch ein Ausweichen gestattete, schien augenblicklich über seine Geisteskräfte hereingebrochen zu sein. Er drängte sich mechanisch durch die Menge, stieg von der Mauer herab und kehrte nach der einsamen Stelle zurück, wo er das Weib mit dem Kinde zuerst erblickt hatte.

Die Stadt war blockiert! Die Gothen wollten also einen Frieden erzwingen; nicht aber eine Eroberung! Die Stadt war blockiert! es war kein Irrthum der unwissenden Menge. Er hatte mit eigenen Augen die Zelte und Positionen des Feindes erblickt. Er hatte die Soldaten auf der Mauer über die treffliche Vertheilung der Streitkräfte Alarich’s, über die Unmöglichkeit, die mindeste Verbindung mit der Umgegend herzustellen, die strenge Wache, welche über die Schifffahrt auf dem Tiber gesetzt worden war, sprechen hören. Die Sache ließ sich nicht mehr bezweifeln —— die Barbaren hatten sich zu einer Blockade entschlossen.

Noch geringere Ungewißheit herrschte über die Resultate, welche diese ungeahnte Politik der Gothen haben mußte —— die Stadt konnte gerettet werden! Rom hatte früher keinen Anstand genommen, die Entfernung aller Feinde aus seinen entlegenen Provinzen zu erkaufen, und jetzt, wo der Mittelpunkt seines Ruhmes, die Zinne seiner abnehmenden Macht mit plötzlichem unerwarteten Verderben bedroht war, würde es an die Gothen die Schätze des ganzen Reiches verschwenden, um von ihnen den Frieden zuerkaufen und sie zum Rückzuge zu bewegen.

Der Senat konnte vielleicht aus Hoffnungen auf Beistand, die sich nie erfüllen würden, die nöthigen Zugeständnisse hinausschieben, früher oder später mußte aber die Stunde des Unterhandelns kommen, die nordische Habgier mit dem südlichen Reichthume befriedigt werden und der Ruin, welcher die Quelle der heidnischen Revolution werden sollte, sich in demselben Augenblicke, wo er unvermeidlich schien, sich von den Kirchen Rom’s abwenden.

Konnte der alte Ruhm des Römernamens von seinem frühem Einflusse noch soviel bewahrt haben, daß er die kühnen Gothen schreckte, nachdem sie so glücklich durch das Reich bis zu den Mauern seiner berühmten Hauptstadt vorgedrungen waren; konnte Alarich eine so übertriebene Ansicht von den Streitkräften in der Stadt besitzen, daß er mit allen seinen Heerschaaren daran verzweifelte, sie erfolgreich zu bestürmen. Etwas Anderes war unmöglich!

Keine andere Rücksicht konnte den Barbarengeneral bewogen haben, eine so ruhmvolle That wie die Zerstörung Rom’s aufzugeben. Mit der Möglichkeit eines Sturms hatten sich auch die Aussichten des Heiden erhellt, mit der Gewißheit einer Belagerung versanken sie augenblicklich in zu Boden schmetterndes Dunkel.

Von diesen Gedanken erfüllt, schritt Ulpius in seiner Einsamkeit, von dem Triumphgefühl, welches seinen Geisteskräften am Morgen die lange verlorene Spannung ihrer Jugend zurückgegeben hatte, gänzlich verlassen, auf und ab. Er fühlte wieder die Gebrechlichkeit seines Alters, —— er erinnerte sich von Neuem des Elends, welches seine Existenz zu einem endlosen Märtyrerthum gemacht hatte, er fühlte nochmals die Gegenwart seines Ehrgeizes gleich einem Urtheilsspruche, welchen willkommen zu heißen er bestimmt, gleich einem Fluche, den an seiner Brust zu hegen er geschaffen war. Wenn man sagen wollte, daß seine Gefühle in diesem Augenblicke die des Verbrechers waren, welcher den Befehl zu seiner Hinrichtung vernimmt, nachdem man ihm Gnade zugesagt hatte, so würde man nur eine schwache Idee von dem Grimm, Schmerz und der Verzweiflung geben, welche sich jetzt vereinigten, um das Herz des Heiden zu zerfleischen.

Vor Müdigkeit an allen Gliedern zitternd, warf er sich im Schatten des Gebüsches nieder, welches eine Strecke weit den Fuß der über ihm aufragenden Mauer bekleidete. Während er in seiner schweren Ermattung so still, daß ihn das Leben selbst verlassen zu haben schien, dalag, kroch eine von den in Italien gemeinen, langen, grünen Eidechsen über seine Schulter. Er ergriff das Thier, für den Augenblick in Zweifel, ob es nicht etwa zu der giftigen Art gehöre und betrachtete es. Auf den ersten Blick entdeckte er, daß es eines von den unschädlichen seines Geschlechts war und würde es unbekümmert von sich geworfen haben, wenn ihm nicht etwas im Aussehen desselben bei der launischen Reizbarkeit seiner gegenwärtigen Stimmung bewogen hätte, es mit einem seltsamen Vergnügen zu betrachten.

Er konnte durch die schöngezeichnete, durchsichtige Haut des Thieres die Bewegung seines Herzens bemerken und sah, daß es von der Furcht, welche die Gefangenschaft desselben in seiner Hand erzeugte, heftig klopfte. Als er darauf niederblickte und bedachte, wie beständig ein so furchtsames Wesen in seinen bescheidenen Bestrebungen, in seinen kleinen Anstrengungen, in seinen kurzen Reisen von einem Grasflecken zum andern auf hundert Hindernisse stoßen müsse, die, wenn auch für Geschöpfe von höheren Klassen Kleinigkeiten, doch für solche wie dieses, von verderblicher Wichtigkeit sein mußten, begann er eine unvollkommene aber auffallende Analogie zwischen seinem Schicksale und dem dieses kleinen Pünktchens in der Schöpfung zu finden. Er fühlte, daß das kurze Leben des kleinen Thieres vor ihm, in seinem engumgrenzten Kreise, eine Beute von Durchkreuzungen und Täuschungen seiner Absichten gewesen sein müsse, die für dasselbe eben so ernst waren, wie die schwereren vernichtenden Trübsale, deren Opfer er in seiner Existenz gewesen war, und als er die schattenartige Bewegung des kleinen pochenden Herzens der Eidechse beobachtete, fand er eine grausame Freude an der Wahrnehmung, daß es bis zu den unbedeutendsten Wesen der Schöpfung hinab noch andere gebe, die einen Theil seines Elends geerbt hatten und einen Theil seiner Verzweiflung litten.

Bald nahmen jedoch seine Empfindungen eine strengere, dunklere Färbung an. Der Anblick des Thieres langweilte ihn und er warf es verächtlich bei Seite. Es verschwand in der Richtung der Mauer hin, und fast in demselben Augenblicke hörte er ein leises Geräusch wie das Fallen einiger kleinen Ziegelstücke oder Steine, welches von der Mauer hinter ihm zu kommen schien.

Es war ihm unerklärlich, daß ein solches Geräusch von einem so massiven Bauwerke ausgehen konnte, er stand auf, theilte das Gebüsch und trat dicht an die Fläche der hohen Mauer. Zu seinem Erstaunen fand er, daß die Ziegel an vielen Stellen so völlig verwittert waren, daß er sie leicht mit den Fingern bewegen konnte. Der Grund des leichten Geräusches, welches er gehört hatte, war jetzt vollständig erklärt. Hunderte von Eidechsen hatten zwischen den Spalten der Ziegel ihre Wohnungen aufgeschlagen, das Thier, welches er freigelassen, hatte in einer von diesen Höhlungen Zuflucht gefunden und in der Eile seiner Flucht mehrere von den lockeren krümeligen Bruchstücken, welche seinen Versteck umgaben, abgelöst.

Mit der bereits gemachten Entdeckung indes noch nicht zufrieden trat er ein wenig zurück, blickte zwischen einigen Bäumen hinauf, welche an dieser Stelle am Fuße der Mauer standen und sah, daß die Fläche derselben vielfach von großen, unregelmäßigen Ritzen durchzogen war, die sich theilweise fast bis zu ihrer ganzen Höhe hinauf erstreckten. Außerdem sah er noch, daß sich das Gebäude gerade an diesem Punkte bedeutend aus der Perpendikulärlinie neigte. Ueber das, was er gesehen, verwundert hob er einen Stock vom Boden auf, schob ihn in eine von den niedrigsten und engsten Ritzen und es gelang ihm leicht ihn völlig in die Mauer zu stoßen, welche zum Theil hohl und zum Theil aus denselben verwitterten Ziegeln zu bestehen schien, die anfänglich seine Aufmerksamkeit erregt hatten. Es ließ sich jetzt deutlich wahrnehmen, daß die ganze Mauer auf eine Breite von mehreren Schritten entweder schwach und leichtsinnig gebaut war, oder in einer früheren Periode einen plötzlichen heftigen Stoß erlitten hatte. Er ließ den Stock in der Mauer, um die Stelle zu bezeichnen, und wollte sich eben entfernen, als er den Schritt der Schildwache auf der Mauer gerade über sich vernahm. Plötzlich vorsichtig geworden, wiewohl er in jenem Augenblicke kaum zu erklären vermocht hätte, aus welchem Grunde, blieb er in seinem Baum- und Buschversteck, bis der Soldat weiter gegangen war, verließ dann leise seinen Ort, zog sich eine Strecke weit davon zurück und versank in eine Reihe ernster, ihn gänzlich absorbierender Gedanken.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Um dem Leser die Erscheinung zu erklären, welche jetzt die Aufmerksamkeit des Heiden in Anspruch nahm, wird es nöthig sein, eine kurze Abschweifung zur Geschichte der Mauern von Rom zu machen.

Der Umfang der ersten durch Romulus erbauten Festungswerke der Stadt betrug sechs Stunden. Der größte Theil dieses großen Flächenraumes war jedoch mit Feldern und Gärten bedeckt, welche der Gründer des Reiches für den Ackerbau vor den Einfällen der verschiedenen Feinde, die ihn von Außen bedrohten, bewahren wollte. Als Rom allmälig an Größe zunahm, wurden seine Mauern von späteren Herrschern erweitert und verändert. Erst unter der Regierung des Kaisers Aurelian (270 nach Christus) trat jedoch eine außerordentliche wichtige Veränderung in den Schutzwehren der Stadt ein. Dieser Herrscher begann zehn Stunden im Umkreise haltende Mauern zu errichten, die endlich unter der Regierung des Probus (276 nach Christus) vollendet, von Belisar (537 nach Christus) ausgebessert wurden und noch heutzutage theilweise in den Festungswerken der modernen Stadt zu sehen sind.

Zur Zeit unserer Geschichte (408 nach Chr.) befanden sich die Mauern also gerade in dem Zustande, wie sie unter Aurelian und Probus erbaut worden waren. Sie bestanden größtentheils aus Ziegeln und vielleicht war auch an einigen Stellen eine Art von weichem Sandstein zu dem herrschenden Material gefügt worden. An verschiedenen Punkten in ihrem Umkreise, besonders an dem Theile hinter dem Monte Pincio, waren diese Mauern bogenartig gebaut, bildeten tiefe Nischen und standen zuweilen in doppelten Reihen. Die bei ihnen angewendete Constructionsart war meist die von Vitruv, zu dessen Zeit sie entstand, als Opus reticulatum bezeichnete.

Das Opus reticulatum bestand aus kleinen Ziegeln oder Steinen, die statt horizontal, aus ihren Kanten zusammen gestellt wurden und der Oberfläche einer Mauer, das Aussehen einer Art von festem Netzwerk verliehen. Einige Baumeister des Alterthums betrachteten dies als eine unhaltbare Konstruktionsweise und Vitruv behauptet, daß einige Gebäude, an denen er sie angewendet gesehen habe, eingestürzt seien. Nach den unvollständigen Proben davon, welche jetzt noch existieren, läßt sich schwer eine Ansicht über ihre Vorzüge abgeben. Daß sie jedenfalls ungenügend war, um die Last des Abhanges des Monte Pincio, welcher sich unmittelbar dahinter erhob, zu tragen, ist noch aus der Betrachtung der Mauer in diesem Theile der Stadt zu ersehen, da dieselbe stark aus der Perpendikulärlinie getrieben und an einigen Stellen fast von der Spitze bis zum Fuße gerissen ist. Diese Ruine wird von den modernen Italienern mit dem ausdrucksvollen Titel il muro torto oder die verkrümmte Mauer bezeichnet.

Wir wollen hier bemerken, daß es höchst unwahrscheinlich ist, daß das Vorhandensein dieser natürlichen Breschen in den Festungswerken von Rom zur Zeit unseres Romanes vom größten Theile der leichtsinnigen indolenten Einwohner bemerkt, oder wenn man sie bemerkte, nur mit der leisesten Besorgniß oder Aufmerksamkeit betrachtet wurde. Sie soll schon zur Zeit Aurelian’s sichtbar gewesen sein, wird aber erst bestimmt von Procopius, einem Geschichtsschreiber des sechsten Jahrhunderts erwähnt, welcher erzählt, daß Belisar, als er die Stadt gegen eine Belagerung der Gothen rüstete, diesen schwachen Punkt der Mauer auszubessern versucht habe, aber in seiner beabsichtigten Arbeit von dem frommen Volke verhindert worden sei, welches erklärt habe, daß er unter dem, besonderen Schutze des heiligen Petrus stehe und daß es demnach gottlos sein würde, Hand daran zu legen. Der General unterwarf sich der Entscheidung der Einwohner, ohne Grund zu seiner Nachgiebigkeit zu finden, da, um uns der Worte des oben erwähnten Schriftstellers zu bedienen, während der Belagerung weder der Feind noch die Römer den Ort ansahen. Es ist anzunehmen, das ein so außerordentliches Ereigniß, wie dieses, der Mauer den heiligen Charakter verlieh, welcher spätere Regenten davon abschreckte, ihre Ausbesserung zu versuchen, so daß sie, alle Umwälzungen des Mittelalters hindurch, zerspalten und verkrümmt blieb und noch existirt, um die Wahrhaftigkeit der Geschichtsschreiber zu bezeugen, indem sie an die alterthumsforschende Neugier des Reisenden unserer Zeit appelliert.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Wir kehren jetzt zu Ulpius zurück. Es ist eine Eigenthümlichkeit, welche man im Charakter von unter dem Einfluß einer herrschenden Idee lebenden Männern Wahrnimmt, daß sie unwillkürlich Alles —— was in der äußern Welt ihre Aufmerksamkeit erregt, in eine mehr oder weniger vertraute Verbindung mit dem Gegenstande ihrer geistigen Betrachtungen bringen. Seit seiner Verbannung aus dem Tempel hatten die Gedanken des Heiden, ihm selbst unbewußt, einzig in Bezug auf die kühne Absicht gewirkt, welche zu hegen das Geschäft seines ganzen Lebens war. Unter dem Einflusse der Verschrobenheit dieses Moralgefühls hatte er kaum die so eben am Fuße der Stadtmauer gemachte Entdeckung bemerkt, als auch sein Geist augenblicklich zu den ehrgeizigen Betrachtungen überging, welche ihn am Morgen in Anspruch genommen hatten, und im Augenblicke darauf begannen die ersten dämmernden Umrisse eines kühnen gefahrvollen Planes, seine ruhelosen, leidenschaftlichen Gedanken zu absorbieren. Er dachte über die Eigenthümlichkeit und Lage der Mauer vor ihm nach. Wiewohl die weiteste und wichtigste von den Spalten, welche er darin bemerkt hatte, der Zinne zu nahe war, um ohne Beihilfe einer Leiter erreicht werden zu können, befanden sich doch andere dicht am Boden und konnten, wie ihm der bereits gemachte Versuch gezeigt hatte, durch die gewöhnlichste Anstrengung und Ausdauer erfolgreich und angemessen erweitert werden.«

Das Innere der Mauer konnte, dem Zustande der Oberfläche nach zu urtheilen, einem sich auf eine Höhe und Breite von ein paar Fuß beschränkendem Versuche keine unüberwindlichen Hindernisse darbieten. Die Brustwehr würde in Folge ihrer Lage zwischen zwei Wachthäusern nicht mit neugierigem Volke besetzt sein. Das einzige menschliche Wesen, welches aller Wahrscheinlichkeit nach an der Stelle nach Einbruch der Nacht vorbei kommen würde, war die Schildwache, in deren Bezirk sie gehörte, und zu einer solchen Stunde mußte bei der Lage, in welcher sich die Stadt jetzt befand, die Aufmerksamkeit des Wächters sich nothwendiger Weise eher auf die Gegend außerhalb der Stadt als auf den Boden unterhalb und hinter ihm richten. Es schien daher fast gewiß zu sein, daß ein vorsichtiger, unter dem Schutze der Nacht arbeitender Mann am Fuße der Mauer alle beliebige Untersuchungen anstellen könne.

Er besichtigte den Boden, auf welchem er jetzt stand. Es konnte nichts Einsameres geben, als sein gegenwärtiges Aussehen. Die Privatgärten auf dem Hügel oberhalb desselben schlossen alle Verbindung mit jener Seite aus. Man konnte sich ihm nur auf dem Fußpfade nähern, der um den Monte Pincio und am Fuße der Mauern hinlief. Bei der gegenwärtigen Lage der Dinge in der Stadt war es nicht wahrscheinlich, daß irgend Jemand diese einsame Stelle aufsuchen würde, wo nichts zu sehen und wenig zu hören war, statt sich unter die aufregende Verwirrung auf den Straßen zu mischen, oder das gothische Lager von solchen Stellen auf der Mauer aus zu beobachten, welche Allen leicht zugänglich waren.

Außer dem Geheimnisse, welches die Unbesuchtheit dieser kleinen Stelle jeder darauf unternommenen Beschäftigung versprach; gewährten die das untere Ende derselben bedeckenden Bäume und Dickichte noch den weiteren Vortheil, daß sie in der Dunkelheit der Nacht Jeden, der sich darunter befand, selbst vor der schärfsten Beobachtung von der Mauerhöhe schützen würden.

Von diesen Gedanken erfüllt, bezweifelte er nicht, daß ein kluger und entschlossener Mann ungestraft eine von den unteren Spalten in der Mauer so erweitern könne, daß er eine Höhlung, die groß genug war, um einen Menschen durchzulassen, bis zur äußern Fläche derselben brechen und die Fähigkeit, die Stadt zu verlassen und in das gothische Lager zu dringen, welche die verschlossenen Thore jetzt allen Einwohnern ohne Unterschied versperrten, erlangen könne. Die Entdeckung der Ausführbarkeit eines solchen Versuches war für einen mit denen des Heiden ähnlichen Bestrebungen erfüllten Geist eben so viel, wie der unwiderrufliche Entschluß seiner sofortigen Ausführung. Er beschloß, sobald die Nacht eintrat, seine Arbeiten an der Mauer zu beginnen; wenn die Bresche durchgebrochen war und die Dunkelheit ihn begünstigte, Alarich’s Zelt aufzusuchen, einmal dort angelangt, ihn mit der Schwäche der Materialien zur Vertheidigung in der Stadt bekannt zu machen, und ihm die Verfallenheit der Festungswerke am Monte Pincio zu verrathen; als Bedingung seiner Verrätherei aber auf dem Versprechen des Gothen zu bestehen, welches dieser ihm, wie er nicht zweifelte, gern und augenblicklich geben würde, die christlichen Kirchen zu zerstören, die Besitzungen der Christen zu plündern und die christlichen Priester niederzumetzeln. Er zog sich vorsichtig von der einsamen Stelle, welche jetzt der Mittelpunkt seiner neuen Hoffnungen geworden war, zurück, betrat wieder die Straßen der Stadt und ging, um sich mit einem Werkzeuge zur Erleichterung seiner bevorstehenden Arbeit und mit Nahrung zu versehen, damit er, von Ermattung unbedroht, Kräfte erhielte, seine beabsichtigten Anstrengungen auszuführen. Als er an die kühne Verrätherei seines Planes dachte, begann sich das Triumphgefühl des Morgens wieder bei ihm einzustellen. Alle seine früheren Versuche, die Wiederherstellung seiner Religion zu organisieren, versanken vor seinem jetzigen Plane in plötzliche Unbedeutsamkeit. Seine Vertheidigung des Serapistempels, seine Verschwörung in Alexandrien, seine Intrigue mit Vetranio waren Versuche eines Menschen, aber diese beabsichtigte Vernichtung der Priester, Kirche und Schätze einer ganzen Stadt durch die Vermittlung einer von den Umtrieben eines einzigen Inividuums bewegten, mächtigen Armee, würde die blendende That eines Gottes sein.

Die Stunden schlichen langsam dahin. Die Sonne verbleichte am purpurnen Himmel und ging, von rothen, dicken Wolken umgeben, unter. Dann kam Schweigen und Finsterniß. Die Wachtfeuer der Gothen flammten allmälig in der nebeligen Luft auf. Die Wachen an den verschiedenen Posten wurden verdoppelt, man trieb das Volk von den Wällen und die Festungswerke der Stadt hallten jetzt von keinem Tone mehr wieder, als von dem Schritte der ruhelosen Schildwachen und dem Klirren der Waffen in den fernen Wachthäusern, mit welchen die lange Linie der hohen Mauern besetzt war.

Jetzt gelangte Ulpius, vorsichtig durch die unbetretensten Straßen gehend, unbemerkt bis an den Ort seiner Bestimmung. Ueber der einsamen, morastigen Stelle lag ein dichter Nebel. Es war in demselben jetzt nichts mehr zu unterscheiden, als der unbestimmte Umriß der oberhalb gelegenen Paläste und die Masse der verwitterten Festungswerke, welche so in Finsterniß versunken war, daß sie selbst wie eine dunkle Nebelschicht aussah. Das Gesicht des Heiden überzog mit einem triumphierenden Lächeln, als er die willkommene, Alles verhüllende Undurchdringlichkeit der Atmosphäre bemerkte. Er tastete sich leise durch das Dickicht bis an den Fuß der Mauer. Einige Minuten lang schritt er langsam daran hin, und befühlte die Weite der verschiedenen Spalten, welche er mit seiner Hand erreichen konnte. Endlich blieb er vor einer, welche bedeutender war, als die übrigen, stehen, zog eine dicke an dem einen Ende zugespitzte Eisenstange unter seinen Gewändern hervor und begann eine Bresche zu brechen.

Der Zufall hatte ihn an die für seine Absicht passendste Stelle geführt. Der Boden, auf welchem er stand, trug dicht an der Mauer nur geiles Unkraut und niedriges Gebüsch und bestand hauptsächlich aus feuchtem, weichem Rasen. Die Ziegel machten, als er sie sorgfältig ablöste, beim Fallen daher kein größeres, als das leichte Geräusch, welches ihre plötzliche Berührung mit den Zweigen, durch welche sie herabsanken, erzeugte. So unbedeutend dieser Ton auch war, erregte er doch die Besorgnisse des vorsichtigen Heiden. Er legte sein Brecheisen nieder und entfernte das Gebüsch durch Ausreißen oder Abbrechen desselben an den Wurzeln, bis er am Fuße der Mauer eine einige Fuß im Umfang haltende Stelle gereinigt hatte. Hierauf kehrte er zu seiner mühseligen Aufgabe zurück und setzte mit von den Wunden, die ihm die Dornen des herausgerissenen Gebüsches zugefügt hatten, blutenden Händen seine Arbeit an dem Mauerwerke fort. Er trieb seine Beschäftigung mit vollkommener Straflosigkeit, die Finsterniß schützte ihn vor Beobachtung, er wurde durch keinen sich der einsamen Stelle seiner Bemühungen nahenden Schritt gestört, und von den zwei Schildwachen, welche in der Nähe des Theiles der Mauer, der der Mittelpunkt aller seiner Anstrengungen war, ausgestellt waren, blieb die Eine bewegungslos am fernsten Ende ihres Postens, während die Andere ruhelos auf der Brustwehr hin und her schritt und ein wildes, phantastisches Lied von Krieg, Weibern und Wein sang, welches, wenn es auch ihren Gesichtsorganen alle Freiheit ließ, sie doch an dem wachsamen Gebrauch ihres Ohres hinderte.

Ulpius sah einen Ziegel nach dem andern seinen kräftigen und gut abgemessenen Anstrengungen weichen. Er hatte bereits in schiefer Richtung eine Höhle gemacht, welche weit genug war, um hindurch zu kriechen und bereitete sich eben darauf vor, noch weiter einzudringen, als ein Theil des verwitterten Materials im Innern der Mauer plötzlich in einer zusammenhängenden Masse einem zufälligen Drucke seines Brecheisens wich und langsam nach Innen in ein Bett sank, welches, nach den schwachen Tönen zu urtheilen, die sich in demselben Augenblicke vernehmen ließen, zum Theil aus Wasser, zum Theil aus morastiger Erde und verwittertem Mauerwerk bestanden haben mußte.

Nachdem Ulpius gelauscht hatte, um sich zu überzeugen, daß das durch dieses Ereigniß verursachte, geringe Geräusch nicht zu den Ohren der sorglosen Schildwachen gedrungen war oder deren Verdacht erregt hatte, kroch er in die von ihm gemachte Höhlung und tastete sich dort mit seinem Brecheisen vorwärts, bis er an den Rand eines Abgrundes gelangte, dessen Tiefe er nicht erforschen konnte und dessen Breite er nicht zu ermitteln vermochte.

Er blieb unentschlossen stehen. Die ihn umgebende Finsterniß war undurchdringlich. Er konnte fühlen, wie Kröten und Molche über seine Füße krochen. Die feuchte Atmosphäre des Ortes, wo er sich befand, begann ihn bis auf die Gebeine zu durchfrösteln, sein ganzer Körper zitterte von dem Uebermaße seiner bisherigen Anstrengung Ohne Licht konnte er weder einen Versuch zum Vordringen wagen, noch die Größe und den Umfang des Abgrundes, welchen er theilweise ausgefüllt hatte, zu entdecken hoffen. Die Zeit schritt rastlos vorwärts. Es wurde nöthig zu einem Entschlusse zu gelangen, ehe es zu spät sein würde.

Er kroch aus der Höhlung; eben als er in die freie Luft gelangt war, blieb der Wachtposten gerade über der Stelle, wo er sich befand stehen und hielt plötzlich in seinem Liede inne. Es entstand eine augenblickliche Stille, während welcher der Heide im Innersten unter einer Furcht zusammenzuckte, welche eben so heftig war wie die, welche im Herzen der verachteten Eidechse gepocht hatte, deren Flucht ihn zu seiner Entdeckung an der Mauer geleitet. Bald daraus hörte er jedoch die Stimme des Soldaten seinem Kameraden heiter zurufen:

»Kamerad, siehst Du den Mond? Er geht auf, um unsere Wache zu erheitern.«

Es war nichts entdeckt worden! —— er war immer noch sicher! konnte er aber, wenn er in der Höhlung verweilte, bis der Nebel im Mondschein verschwand, der Bewahrung seiner Sicherheit gewiß sein? Er fühlte, daß er es nicht könne.

Was kam es, für einen Plan wie der seinige, auf eine Nacht mehr oder weniger an? Es konnten Monate vergehen, ehe sich die Gothen von den Mauern entfernten. Es war besser Verzögerung zu leiden, als es auf Entdeckung ankommen zu lassen. Er beschloß, sich zu entfernen und in der nächsten Nacht mit einer Laterne zurückzukehren, deren Licht er verbergen wollte, bis er die Höhlung betrat. Einmal dort angelangt, konnte es nicht mehr von den Wachen auf der Brustwehr bemerkt werden und würde ihn durch alle Hindernisse führen, ihn durch alle Gefahren behüten. So massiv die Mauer auch war, fühlte er sich doch überzeugt, daß sich das Innere derselben in eben so ruinenhaften Zustande wie das Aeußere befand. Vorsicht und Ausdauer waren Alles, was nöthig sein würde, um seinen Anstrengungen den schnellsten und vollkommensten Erfolg zu sichern.

Er wartete bis der Posten sich wieder nach der fernsten Grenze seines Bezirks begeben hatte, sammelte dann leise das um ihn her liegende Buschholz und verbarg damit die Mündung der Höhle in der äußern Mauer und die Ziegelfragmente, welche auf den Rasen unterhalb derselben gefallen waren. Sobald er dies gethan hatte, lauschte er wieder, um sich zu überzeugen, daß man ihn nicht beobachtet und entfernte sich dann, mit der äußersten Vorsicht auftretend, auf dem Wege, welcher um den Abhang des Monte Pincio führt.

»Kraft, —— Geduld —— und die morgende Nacht!« murmelte der Heide vor sich hin, als er aus die Straße trat und sich wieder unter die Bürger von Rom mischte.



Kapiteltrenner

Kapitel IV.
Goiswinthens Rückkehr.

Es war Morgen. Die Sonne war aufgegangen, aber ihre Strahlen wurden theilweise durch dicke, schwere Wolken verdunkelt, welche bereits über der mit ihnen kämpfenden Helligkeit des östlichen Horizonts drohten. Allmälig verbreitete sich die Geschäftigkeit und das Leben des neuen Tages nach allen Richtungen hin im gothischen Lager. Das einzige Zelt, dessen Thür noch geschlossen blieb und um welches sich keine geschäftige Menge zu Gesprächen oder Arbeit versammelt hatte, war das Hermanrich’s.

An den verglimmenden Kohlen seines Wachtfeuers stand der junge Häuptling mit zwei Kriegern, denen er einige hastige Anweisungen zu geben schien. Sein Gesicht drückte Veängstigung und Unzufriedenheit aus, welche er zwar in Gegenwart seiner Gefährten theilweise unterdrückte, die aber nicht nur in seinen Zügen, sondern auch in seinem Benehmen völlig sichtbar wurden, als ihn Jene verlassen hatten und er allein vor seinem Zelte stand.

Eine Zeitlang schritt er regelmäßig auf und ab, blickte ängstlich an den westlichen Linien des Lagers hin und flüsterte sich zuweilen ein hastiges Wort des Zweifels und des Unmuthes zu. Das Licht des neuen Morgens hatte schnell die entzückenden Gedanken zerstreut, welche ihn während der Dunkelheit der Nacht bei seinem Wachtfeuer beschäftigt hatten. Und jetzt, wo die Stunde der erwarteten Rückkehr allmälig näher rückte, verbannte das Bild Goiswinthens Alles, was von den friedlichen, glücklichen Betrachtungen, in welche er bisher versunken gewesen war, noch übrig blieb. Je mehr er über sein verderbliches Versprechen, über die Nation, zu welcher Antonina gehörte —— über seine Pflichten gegen sein Heer und Volk nachdachte, desto zweifelhafter erschien ihm die Aussicht, die junge Römerin aus die Dauer schützen zu können, ohne seine Degradation als Gothe und seinen Ruin als Krieger vor Augen zu haben, und desto finsterer und Unglück weissagender erschallte die unbestreitbare Wahrheit der Abschiedsworte Goiswintha’s in sein Ohr. Du mußt Deines Versprechens gedenken, Du kannst sie nicht retten, wenn Du es auch willst.«

Des Beharrens auf Ueberlegungen müde, welche nur seinen Trübsinn tiefer und seine Zweifel größer machten und darauf bedacht, die ihm trotz seiner selbst überwältigenden ahnenden Gedanken in vorübergehendes trügerisches Vergessen zu versenken, indem er die Gesellschaft seines unglücklichen Schützlings aufsuchte, so lange ihm noch der Genuß desselben freistand, näherte er sich seinem Zelte, zog den dicken, schweren Vorhang von Häuten, welcher die Oeffnung desselben verschloß, zurück und beugte sich über das Lager, auf welchem Antonina immer noch schlief.

In diesem Augenblicke brach ein einzelner Sonnenstrahl durch die schweren Wolken und stahl sich in die Oeffnung des Bettes, wo er das schlummernde Mädchen betrachtete. Er strömte über ihre unbedeckte Hand und ihren Arm, flog über ihren Busen und Hals und badete ihre stillen, ruhigen Züge in eine helle, frische Gluth. Allmälig begannen sich ihre Glieder zu bewegen, ihre Lippen theilten sich sanft und mit halbem Lächeln, wie um den Gruß des Lichtes willkommen zu heißen. Ihre Augen öffneten sich ein wenig und schlossen sich dann von der durch ihre erhobenen Lider fließenden Helligkeit geblendet zitternd von Neuem. Endlich vollkommen erwacht, beschattete sie ihr Gesicht mit den Händen, richtete sich in eine sitzende Stellung auf und begegnete dem Blickes Hermanrich’s, welcher in glühendem, trübem Forschen auf sie geheftet war.

»Deine schimmernde Rüstung und Dein herrlicher Name und Deine barmherzigen Worte sind selbst in meinem Schlafe bei mir geblieben,« sagte sie verwundert, »und jetzt wo ich erwache, sehe ich Dich wieder vor mir! Es ist ein Glück, von der Sonne, die mich, so lange ich lebe, stets erheitert hat, erweckt zu werden, um auf Dich, von dem mir in meiner Noth Schutz zu Theil geworden ist, zu blicken! Warum aber,« fuhr sie mit verändertem forschenden Tone fort; »warum blickst Du mich mit so zweifelndem trüben Augen an?«

»Du hast gut und sicher geschlafen,« sagte Hermanrich ausweichend; »ich hatte die Oeffnung des Zeltes geschlossen, um Dich vor dem Nachtthau zu bewahren, habe sie aber jetzt wieder erhoben, denn die Luft wird von der aufgehenden Sonne erwärmt.«

»Bist Du vom Wachen ermüdet?« unterbrach sie ihn sich erhebend und mit einem besorgten Blicke in sein Gesicht. Er gab ihr jedoch keine Antwort, sein Kopf war nach der Thür des Zeltes gewendet. Er schien auf einen erwarteten Laut zu lauschen. Offenbar hatte er ihre Frage nicht gehört. Sie folgte der Richtung seiner Augen. Der Anblick der großen Stadt, welche halb erhellt, halb verdunkelt war, je nachdem ihre Myriaden Gebäude das Licht der Sonne zurückwarfen oder die Schatten der Wolken bewahrten, rief dieser die köstliche Bitte um Beschützung ihres Vaters ins Gedächtniß zurück. Sie legte ihre Hand auf den Arm ihres Gefährten, um seine Aufmerksamkeit zu erwecken,und fuhr hastig fort:

»Du hast doch nicht vergessen, was ich gestern Abend zu Dir sagte —— meines Vaters Name ist Numerian, er wohnt auf dem Monte Pincio. —— Du wirst ihn retten! Du wirst ihn retten! Du wirst Dich Deines Versprechens erinnern.«

Die Augen des jungen Kriegers senkten sich bei ihren Worten und sein ganzer Körper wurde von einem unwiderstehlichen Schauder durchfröstelt. Der letzte Theil von Antoninens Anrede war in dieselben Worte gefaßt, wie eine frühere Berufung auf ihn, von andern Lippen und in andern Tönen, welche immer noch in seinem Gedächtniß haftete. Dieselbe Aufforderung: Gedenke Deines Versprechens! welche Goiswintha am vorigen Abend an ihn gestellt hatte, um ihn zum Blutvergießen zu treiben, wurde jetzt von Antonina erhoben, um ihn zum Mitleid zu bewegen. Die Bitte der Liebe war in dieselben Ausdrücke gefaßt, wie die Bitte der Rachsucht. Als er an beide dachte, erhoben sich das menschliche Mitleid der Einen und die dämonische Grausamkeit der Andern in düsterem, bedeutungsvollem Kontrast vor dem Geiste des Gothen, verwirklichten in allen seinen Gefahren den Kampf, welcher eintreten mußte, sobald Goiswintha zurückkehrte und zerstreuten augenblicklich die letzten Hoffnungen, welche er noch für den Flüchtling an seiner Seite zu hegen gewagt hatte.

»Es ist kein Sturm auf die Stadt befohlen —— man beabsichtigt keinen Sturm. Das Leben Deines Vaters ist vor dem Schwerte der Gothen sicher,« antwortete er düster auf Antoninens letzte Worte.

Das Mädchen lenkte, während er so sprach, ihren Blick von seinem Gesichte ab und sah sich zerstreut im Zelte um. Die Streitaxt, weiche Hermanrich während des Auftritts vom vorigen Abend an sich genommen hatte, lag immer noch in einer Ecke ans dem Boden. Der Anblick derselben führte eine Fluth von entsetzlichen Erinnerungen in ihren Geist zurück. Sie schrak heftig zusammen, ihre Züge überzogen sich mit einer plötzlichen Veränderung des Ausdrucks und ais sie Hermanrich wieder anredete, zitterten ihre Lippen so, daß sie kaum Worte bilden konnte.

»Ich weiß jetzt, weshalb Du so düster auf mich blickst« sagte sie, »das Weib wird zurückkehren. Ich war so von meinen Träumen und Gedanken, von meinem Vater und Dir und meinen Hoffnungen auf künftige Tage erfüllt, daß ich beim Erwachen das Weib vergessen hatte. Aber jetzt weiß ich wieder Alles. Sie kommt zurück —— ich sehe es in Deinen trüben Augen sie kommt zurück, um mich zu ermorden! Ich werde gerade in dem Augenblicke sterben, wo ich solche Hoffnung von meinem Leben hatte! Für mich gibt es kein Glück! keines! —— keines!«

Das Gesicht des Gathen begann sich zu verdüstern, Er flüsterte mehrere Male vor sich hin:

»Wie kann ich sie retten?«

Auf einige Minuten herrschte ein tiefes nur durch Antoninens Schluchzen unterbrochenes Schweigen. Nach einiger Zeit blickte er wieder auf das Mädchen. Sie hatte die Hände vor den Augen gefaltet, die Thränen strömten zwischen ihren Fingern herab, ihr Busen wogte, als ob ihre Empfindungen sich in einer greifbaren Form einen Weg durch denselben bahnen wollten, und ihre Glieder bebten so, daß sie sich kaum aufrecht zu erhalten vermochte. Er schlang, als er sie so anblickte ohne es selbst zu wissen, seinen Arm tm ihre schlanke Gestalt, zog ihr sanft die Hände vom Gesicht und sagte; wiewohl sein Herz die Worte Lügen straften:

»Fürchte nichts! Vertraue auf mich!«

»Wie kann ich ruhig sein?« rief sie flehend zu ihm aufblickend, »ich war gestern Abend so froh, so gewiß, daß Du mich beschützen könntest, so hoffnungsvoll auf das Morgen —— und jetzt sehe ich aus Deinen trauernden Blicken, ich höre an Deiner zweifelnden Stimme, daß Du um meine Angst zu beschwichtigen, mehr versprochen hast, als Du halten kannst! Das Weib, Deine Gefährtin, besitzt über uns Beide eine Macht, an die auch nur zu denken entsetzlich ist. Sie wird zurückkehren, sie wird aus Deinem Herzen alle Gnade reißen, sie wird mich mit ihren furchtbaren Augen anstarren, sie wird mich zu Deinen Füßen tödten. Ich werde nach Allem, was ich gelitten, nach Altem was ich gehofft habe, doch noch sterben! O Hermanrich, laß uns fliehen, so lange es noch Zeit ist! Du bist nicht zum Blutvergießen geschaffen. Du bist zu barmherzig! Gott hat Dich nicht zum zerstören gemacht! Du, kannst Dich nicht nach Grausamkeit und Unheil sehnen, denn Du hast mich unterstützt und mir Schutz gewährt. Laß uns fliehen! ich werde Dir folgen, wohin Du willst! ich werde thun, was Du verlangst! ich werde mit Dir über jene fernen, schimmernden Berge hinter uns hinaus nach jedem fremden, weit entlegenen Lande gehen, denn es gibt überall Schönheit, es gibt auf der ganzen Oberfläche dieser großen weiten Erde Wälder, in denen man wohnen, und Thäler, die man lieben kann! Denke, wie viele Freuden wir genießen würden, wie viel wir sehen könnten! Wir könnten wandern wohin wir wollten, wir würden nie einsam, nie traurig, nie müde werden! Ich könnte Dir tagelang zuhören, während Du mir von dem Lande erzähltest, wo Dein Volk geboren ist; ich könnte Dir süße Lieder, die ich auf der Laute gelernt habe, singen. O wie habe ich in meiner Einsamkeit geweint, ein solches Leben zu führen. Wie habe ich mich gesehnt, daß solche Freiheit und Freude mein werden möchte. Wie habe ich an die fernen Lande gedacht, die ich besuchen, an die glücklichen Nationen, die ich entdecken, an die Berglüftchen, die ich athmen, an die schattigen Orte, wo ich ruhen, an die Flüsse, deren Laufe ich folgen, an die Blumen, die ich pflanzen und die Früchte, die ich pflücken wollte. Wie habe ich auf eine solche Existenz gehofft! wie habe ich mich nach einem Gefährten gesehnt, der sie genießen könnte wie ich! Hast Du, der doch immer gehen konnte, wohin es ihm gefiel, nie die Freude empfunden, welche ich mir vorgestellt habe? Wir wollen diesen Ort verlassen und ich werde Dir sie lehren, wenn Du sie nicht hast. Ich werde so geduldig, so gehorsam, so glücklich sein! Ich werde nie Kummer haben, nie zurücksehnen —— aber laß uns fliehen —— o Hermanrich, o laß uns fliehen, so lange es noch Zeit ist! Willst Du mich hier behalten, damit ich erschlagen werde! Kannst Du mich allein in die Welt hinaus treiben? Bedenke, daß die Thore der Stadt und die Thüren meines Hauses mir jetzt verschlossen sind! Bedenke, daß ich keine Mutter habe und von meinem Vater verstoßen bin! Bedenke, daß ich ein Fremdling auf der Erde bin, die dazu geschaffen ist, damit ich mich darauf freuen sollte. Denke, wie bald das Weib, das mich zu ermorden geschworen hat, zurückkehren wird! Denke, wie entsetzlich es ist, in Todesfurcht zu schweben, und laß uns fliehen, so lange es noch Zeit ist, Hermanrich, Hermanrich! wenn Du Mitleid für mich hast, so laß uns fliehen!«

Sie faltete die Hände und blickte flehendlich zu seinem Gesichte auf. Das Benehmen Hermanrich’s hatte ihre durch die Gefahr geschärften Sinne mehr ausgedrückt sals seine Worte vermocht haben würden, selbst wenn er ihr den Grund des Zweifels und der Besorgniß, wovon sein Geist bedrückt war, gestanden hätte. Es konnte kein schlagenderes Zeugniß für die Unschuld« ihres Charakters und die Abgeschlossenheit ihres Lebens geben, als ihren Versuch mit ihrer Flucht vor Goiswinthens Grimm, die Erlangung eines Gefährten, wie es der Gothe war, zu verbinden. Hätte aber dem einsam stehenden, liebevollen Mädchen welches sich, den Gesetzen der socialen Existenz ihrer Nebenmenschen fremd, plötzlich freundlos in die kalte Welt hinausgestoßen sah, das Herz wohl einen andern Wunsch eingegeben haben, als das Verlangen, sich in dem neu entdeckten Beschützer einen Gefährten zu verschaffen, in der Schuldlosigkeit ihres Charakters, in der absoluten Unbekanntschaft mit den Menschen, dem Einflusse der Sitten der verschiedenen Formen, welche das Gefühl bei den verschiedenen Geschlechtern annimmt, stellte sie sich fälschlich vor, daß die ruhige Existenz, welche sie Hermanrich vorgeschlagen, zur Erreichung ihres zweckes genügen würde, indem sie ihm, einem Krieger und Gothen, dieselben Lockungen bot, welche dieselbe für sie, ein einsames, seinen Gedanken hingegebenes, träumerisches Mädchen, besaß. Und doch war die Herrschaft, welche sie durch den Zauber ihrer Gegenwart, die Frische ihrer Schönheit und die Neuheit ihres Benehmens auf das Herz des jungen Häuptlings erlangt hatte, so wunderbar, daß er, der jedes andere Weib, welches eine Bitte, wie die Antoninens, an ihn gerichtet hätte, mit Verachtung von sich gestoßen haben würde, bekümmert auf das Mädchen hinabblickte, als es schwieg und für einen Augenblick in seiner Wahl schwankte.

In diesem Augenblick, als die Aufmerksamkeit eines Jeden auf das Andere geheftet war, trat eine dritte Person leise in die Oeffnung des Zeltes und brach, als sie sie so zusammen erblickte, in ein bitteres, spöttisches Lachen aus.

Hermanrich erhob sofort die Augen, aber der Klang jener rauhen, unweiblichen Stimme war für Antoninens Sinne Zeugniß genug. Sie verbarg ihr Gesicht an der Brust des Gothen und murmelte athemlos:

»Sie ist zurückgekehrt, ich muß sterben! ich muß sterben!«

Sie war zurückgekehrt. Sie bemerkte Hermanrich und Antonina in einer Stellung, welche ihr keine Zweifel ließ, daß ein stärkeres Gefühl, als der bloße Wunsch, das Opfer ihrer beabsichtigten Rache zu beschützen, während ihrer Abwesenheit in der Brust ihres Bruders entstanden war. Die langen Stunden der Nacht während sie an den Betten der kranken Soldaten Alarich’s ihre Pflicht erfüllte, hatte sie über ihre Rache und Blutpläne gebrütet Weder die Krankheit, noch der Tod, den sie um sich her erblickte, hatte einen Einfluß besessen, der kräftig genug gewesen wäre, um die halsstarrige Wuth, welche jetzt allein ihre Natur erfüllte, zu beschwichtigen, sie zur Gnade zu bewegen, oder zur Reue zu bringen.Durch die Zögerung gekräftigt und durch den Mangel an Befriedigung verstärkt, hatte die schlimme Leidenschaft, welche sie verzehrte, an Macht zugenommen und während der stummen Wache, die sie gehalten hatte, alle ihre noch schlummernde Energie aufgerufen. Sie hatte das Mädchen am vorigen Abend seiner Nation wegen verabscheut, jetzt haßte sie es um seiner selbst willen.

»Was hast Du mit der Rüstung eines gothischen Kriegers zu schaffen?« rief sie spöttisch, indem sie mit einem langen Jagdmesser, welches sie in der Hand hielt, auf Hermanrich deutete; »warum bist Du hier in einem gothischen Lager. Gehe klopfe an die Thore von Rom, flehe die Wachen auf Deinen Knieen an, Dich unter die Bürger zuzulassen, und wenn sie Dich fragen warum, so zeige ihnen das Mädchen dort! sage ihnen, daß Du sie liebst, daß Du sie heirathen willst, daß es Dir gleichgültig ist, daß ihr Volk Deinen Schwager und seine Kinder gemordet hat! Und dann, wenn Du selbst Söhne erzeugt hast, mit römischem Blut angesteckte gothische Bastarde, so sei selbst von Herzen ein Römer, schicke Deine Kinder aus, um zu vollenden, was das Volk Deines Weibes in Aquileja angethan gelassen hat, indem sie mich ermorden!«

Sie schwieg und lachte höhnisch. Dann veränderte sich ihre Stimmung plötzlich, sie trat um einige Schritte vor und fuhr mit lauterem, strengerem Tone fort:

»Du hast Dein Wort gebrochen, Du hast mich belogen, Du hast das Dir und mir widerfahrene Unrecht vergessen, aber meine letzten Worte, als ich Euch gestern Abend verließ, werden Dir noch nicht entschwunden sein! Ich habe Dir gesagt, daß sie getödtet werden müsse und seht, wo Du Dich geweigert hast, mich zu rächen, werde ich meine Worte dadurch erfüllen, daß ich sie mit meiner eignen Hand tödte. Wenn Du sie vertheidigen willst, so mußt Du mich ermorden. Du mußt ihr Blut vergießen oder das meine

Sie that einen Schritt vorwärts. Ihre imposante Gestalt richtete sich in ihrer höchsten Länge empor, die Muskeln an ihren nackten Armen schwellten sich an, als sie dieselben über ihrem Kopfe erhob. Einen Moment heftete sie ihre blitzenden Augen fest auf die zusammengesunkene Gestalt des Mädchens —— im nächsten stürmte sie gegen dasselbe heran und führte einen wüthenden Streich mit dem Messer gegen seinen nackten Hals. Als die Waffe herabsank, ergriff Hermanrich ihr Handgelenk. Sie rang heftig, um sich von ihm loszureißen aber vergebens.

Das Gesicht des jungen Kriegers wurde todtenbleich während er sie so hielt, einige Minuten lang blickte er, von Verwirrung und Verzweiflung gequält, begierig im Zelte umher. Die streitenden Interessen seiner Pflicht gegen seine Schwester und seine Besorgniß um Antonina erfüllten sein Herz zum Zerspringen. Noch einen Augenblick zauderte er und während dieses kurzen Zeitraumes erhielt der Despotismus der Gewohnheit Gewalt genug, um über die Eingebungen des Mitleids die Oberhand zu erhalten. Er rief dem Mädchen, indem er seinen Arm, welcher es bisher gestützt hatte, zurückzog, zu:

»Geh, habe Mitleid für mich ——« geh!«

Aber sie beachtete ihn weder, noch hörte sie ihn. Sie fiel zu den Füßen des Weibes auf die Kniee und sprach mit leiser, stöhnender Stimme:

»Was habe ich gethan, um den Tod zu verdienen? Ich habe Deine Kinder nicht gemordet! Ich habe nie ein Kind gesehen, das ich nicht geliebt hätte; wenn ich Deine Kinder gesehen hätte, so würde ich sie geliebt haben!«

»Wenn ich das Kind, welches ich aus den! Blutbade rettete, bis jetzt behalten und Du Dich ihm genähert hättest,« entgegnete das Weib grimmig so würde ich ihm gelehrt haben, mit seinen kleinen Händen nach Dir zu schlagen. Wenn Du zu ihm gesprochen hättest, hätte es Dich zur Antwort anspeien müssen, wie ich es thue.«

Zitternd, erschöpft, entsetzt, wie sie war, strömte doch das römische Blut des Mädchens in ihre blassen Wangen, als sie die Beleidigung fühlte. Sie wendete sich zu Hermanrich, blickte flehend zu ihm auf, versuchte zu sprechen, sank dann auf den Boden nieder und weinte bitterlich.

»Warum weinst Du und bittest und grimassierst gegen ihn?« schrie Goiswintha, indem sie mit ihrer freien Hand auf Hermanrich deuten. »Er hat weder den Muth, Dich zu beschützen, noch das Ehrgefühl, mir beizustehen. Denkst Du, daß ich mich von Deinen Thränen und Bitten bewegen lassen werde? Ich sage Dir, daß Dein Volk meinen Gatten und meine Kinder erschlagen hat und daß ich Dich dafür hasse. Ich sage Dir, daß Du Hermanrich zur Liebe für eine Römerin und Untreue gegen mich verlockt hast, und werde Dich dafür erschlagen! Ich sage Dir, daß es kein lebendes Wesen von dem Blute Deines Vaterlandes oder dem Namen Deines Volks im ganzen Umfange dieses Reiches giebt, das ich nicht vernichten würde, wenn ich die Macht dazu besäße! Wenn selbst die Bäume auf dem Wege hierher Gefühl gehabt hätten, so würde ich mit eigenen Händen die Rinde von ihren Stämmen gerissen haben. Wenn ein unter Deinem Himmel gebotener Vogel zahm an meinen Busen geflogen wäre, so würde ich ihn mit den Füßen zertreten haben! Und Du denkst, daß Du entrinnen wirst? Denkst Du, daß ich nach dem, was geschehen ist, nicht den Tod meines Gatten und meiner Kinder an Dir rächen werde?«

Bei diesen Worten öffnete sie mechanisch die Hände, das Messer fiel zu Boden, Hermanrich beugte sich augenblicklich nieder und bemächtigte sich desselben. Eine Minute lang stand sie, von seinem Griffe befreit, sprach und bewegungslos da, dann eilte sie, wie von einem plötzlichen Gedanken ergriffen auf die Oeffnung des Zeltes zu und sagte in Tönen boshaften Triumphes:

»Du sollst sie doch nicht retten, Du bist Deiner Nation und Deines Namens unwürdig. Ich werde Deine Feigheit und Verrätherei Deinen Kameraden im Lager kund thun.« Und sie lief aus dem Zelte und rief mit lauter Stimme einer Gruppe junger Krieger, welche in einiger Entfernung vorüberging, zu:

»Halt, halt! Fritiger —— Athanarich! —— Colias —— Swerid —— Witherich —— Fravtta —— Eilt hierher! Hermanrich hat einen Gefangenen in seinem Zelte, über dessen Anblick Ihr Euch freuen werdet. Hierher, hierher!«

Die Gruppe, welche sie angerufen hatte, bestand aus einigen von den unruhigsten und leichtsinnigsten Jünglingen des ganzen gothischen Heeres. Sie waren so eben von ihren Pflichten der vergangenen Nacht abgelöst worden und hatten Muße genug, um Goiswinthens Aufforderung zu genügen. Sie war kaum ausgesprochen, als sie sich umwendeten und begierig zum Zelte heraneilten, indem sie Hermanrich zuschrieen, daß er ihnen seinen Gefangenen im Freien zeigen möge.

Wahrscheinlich hatten sie erwartet, mit dem komischen Entsetzen eines von ihrem Kameraden in der verlassenen Vorstadt entdeckten, römischen Sklaven regalirt zu werden, denn als sie in das Zelt traten und nichts als die zusammengesunkene Gestalt des unglücklichen Mädchens auf dem Boden zu Hermanrichs Füßen sahen, blieben sie plötzlich stehen, und blickten einander in sprachlosen Erstaunen an.

»Schaut sie an!« rief Goiswintha; das eingetretene Schweigen unterbrechend, »sie ist die römische Gefangene, die Euer tapferer Kamerad dort für sich behalten hat! Um des zitternden Kindes willen hat er die Feindschaft seines Volkes vergessen. Sie ist ihm bereits mehr als Heer, General oder Gefährten. Ihr habt die Nacht über vor der Stadt gemacht, aber er hat bei der Römerin Schildwache gestanden! Hofft nicht, daß er weiter an Euren Mühen oder Freuden Theil nehmen wird. Alarich und die Krieger haben seine Dienste verloren —— sein künftiger König kriecht dort zu seinen Füßen.«

Sie hatte erwartet, daß sie den Zorn und die Eifersucht der rauhen Zuhörerschaft, welche sie anredete, erregen würde; aber das Resultat ihres giftigen Hohnes täuschte ihre Erwartungen. Die Laune des Augenblicks forderte die Gothen zum Lachen auf, was für Antonina’s Interessen bei Hermanrich weit verderblicher war, als Drohungen oder Vorwürfe es hätten sein können. Von ihrem ersten Erstaunen wieder zurückgekommen, brachen sie in ein lautes, allgemeines Gelächter aus.

»Mars und Venus zusammengefangen! Aber bei St. Petrus, ich sehe den Vulkan und das Netz nicht!« rief Fravitta, der im römischen Heere gedient und dort eine weitläufige Bekanntschaft mit der alten Mythologie und der modernen Politik des Reiches erlangt hatte, und daher von seinen Kameraden als der klügste Kopf des Bataillons zu welchem er gehörte, betrachtet wurde.

»Ihre Figur gefällt mir,« brummte Fritigern, ein schwerfälliger, phlegmatischer Riese, der wegen seiner unzerstörbaren guten Laune und seiner Tapferkeit im Trinken berühmt war. »Das winzige Bischen, was davon vorhanden ist, sieht so schlapp aus, daß Hermanrich sie in sein leichtes Gepäck stecken und überall hin auf den Schultern mitnehmen könnte.«

»Durch welches Verfahren Du, alter Weinschlauch, sagen willst, daß er den doppelten Vortheil erlangen wird, sie stets für sich zu haben und stets warm zu halten,« unterbrach ihn Colias, ein dicker, leichtsinniger, sechzehnjähriger Junge, dem man aus Rücksicht auf seine Jahre das Recht gestattete, impertinent zu sein.«

»Ist sie eine Orthodoxe oder eine Arianerin,« fragte Athanarich, der sich etwas auf seine theologischen Kenntnisse und außerordentliche Frömmigkeit zu Gute that, ernsthaft.

»Welches Haar sie hat!«" rief Swerid sarkastisch, »es ist so schwarz, wie die Pferdehäute einer Schwadron von Hunnen.«

»Zeige uns ihr Gesicht. Wessen Zelt wird sie zunächst besuchen?« rief Witherich mit insolentem Lachen.

»Das meine!« antwortete Fritigern gemächlich.«

»Was sagt der Refrain des Liedes?

Geld und Wein
Machen die Schönheit mein!

ich habe von Beiden mehr, als Ihr Alle, sie wird in mein Zelt kommen.«

Während dieser unbeholfenen Scherze die einander Schlug auf Schlag folgten, trat an die Stelle der Verachtung, welche sich anfänglich auf Hermanrich’s Gesicht kund gab, allmälig eine Miene unwiderstehlichen Zornes. Bei Fritigern’s Worten verlor er alle Herrschaft über sich, ergriff sein Schwert und trat drohend auf den gutmüthigen Riesen zu, der weder zurückwich noch einen Versuch, sich zu vertheidigen, machte, sondern beschwichtigend ausrief:

»Geduld, Mann, Geduld! Willst Du einen alten Kameraden umbringen, weil er einen Spaß gemacht hat. Ich beneide Dich um Dein Glück! als Freund, nicht als Feind.«

Der Nothwendigkeit, sein Schwert vor einem Waffenlosen zu senken, nachgebend, wollte Hermanrich Fritigern eben eine zornige Antwort geben, als seine Stimme durch das Schmettern einer Trompete dicht vor dem Zelte übertäupt wurde. Das Signal, welches sie gab, wurde von der witzelnden Gruppe, die um den jungen Gothen herstand, augenblicklich begriffen. Sie wendeten sich ab und entfernten sich ohne Säumen. Der Letzte ihrer Zahl war kaum verschwunden, als derselbe Veteran, welcher bei Goiswinthens Entfernung am vorigen Abends mit Hermanrich gesprochen hatte, eintrat und ihn folgendermaßen anredete:

»Du erhältst hiermit den Befehl, Dich mit der Dich jetzt erwartenden Abtheilung an einer Stelle«östlich von Deinem gegenwärtigen Posten, welchen Dir ein Führer zeigen wird, aufzustellen. Mache Dich, sofort bereit, —— Du hast keinen Augenblick zu verlieren.«

Während die Wort über die Lippen. des Greises gingen, wendete sich Hermanrich und blickte Goiswinthen an. So lange die Gothen, im Zelte geblieben waren, hatte sie dagesessen und ihre rauhen Späße, mit unterdrückten Zorn und sprachloser Geringschätzung angehört. Jetzt stand sie auf und trat einige Schritte vor. Plötzlich aber zeigte sich eine ungewohnte Zögerung in ihrem Gange, ihr Gesicht war blaß, sie athmete schnell und schwer.

»Wo willst Du sie jetzt unterbringen?« rief sie Hermanrich zu, indem sie mit ausgestreckten Händen nach dem Mädchen hin drohte, »Du magst sie Deinen Kameraden übergeben oder sie mir da lassen —— auf beide Weisen ist sie verloren. —— Ich werde triumphieren —— triumphieren!«

In diesem Augenblicke senkte sich ihre Stimme zu einem unverständlichen Murmeln herab und sie schwankte. Offenbar hatten der lange Kampf der Leidenschaften während ihrer vergangenen Nachtwache und die wechselnden Bewegungen des Morgens, welche plötzlich durch ihren Triumph, als sie die Botschaft des alten Kriegers hörte, zu einer Krisis gebracht worden waren, endlich die Kräfte selbst ihres mächtigen Körpers überspannt. Noch einen Augenblick versuchte sie, vorwärts zu schreiten, zu sprechen, das Jagdmesser aus Hermanrich’s Hand zu reißen —— im nächsten stürzte sie bewußtlos zu seinen Füßen nieder.

Durch die vielfachen Prüfungen, welche er erlitten, fast bis zum Wahnsinn gestachelt, mit Goiswinthens wüthendem Versprechen, seine Absichten zu vereiteln, vor seinem, Geiste, den spöttischen Worten seiner Kameraden noch in seinen Ohren, und den ohne Rückhalt oder Zögerung seine Beachtung fordernden, unerbittlichen Pflichten, unterlag Hermanrich endlich den Schwierigkeiten seiner Stellung und gab verzweifelnd alle weiteren Hoffnungen, das Mädchen zu retten, auf. Er deutete auf einige in einer Ecke des Zeltes liegende Nahrungsmittel und nach der Gegend hinter ihm und sagte mit gebrochener, düsterer Stintme zu ihr:

»Nimm diese Mundvorräthe und fliehe so lange Goiswintha Dich noch nicht verfolgen dann, ich vermag Dich nicht weiter zu beschützen!.

Bis zu diesem Augenblick! hatte Antonina ihr Gesicht verborgen gehalten und war aus dem Boden zusammengesunken geblieben, ohne sich zubewegen, außer wenn ihr bei den lauten, rohen Späßen der Gothen ein Schauder durch den Körper zuckte, und sprachlos, außer daß sie, als Goiswintha bewußtlos niedergestürzt war, einen Ruf des Schreckens ausgestoßen hatte. Jetzt aber, wo sie ihr Verbannungsurtheil von denselben Lippen hörte, welche ihr erst am Abend vorher Schutz und Obdach zugesagt hatten, stand sie schnell auf, warf dem jungen Gothen einen solchen Blick von sprachlosem Elend und Verzweiflung zu, daß er unwillkürlich davor zusammenzuckte, und verließ dann ohne Thräne und Seufzer, ohne einen Blick des Vorwurfs, oder ein Wort der Bitte, versteinert und von Schrecken und Schmerz darniedergebeugt, das Zelt.

Hermanrich beeilte seine Handlungen mit der Energie eines Mannes, der entschlossen ist, seine Gedanken durch Beschäftigung zu verbannen, stellte sich an die Spitze seiner Abtheilung und marschierte schnell vom Pincischen Thore nach Osten zu. Zwei von seinen Dienern, die nach seiner Entfernung in das Zelt traten, brachten Goiswinthen, die noch auf dem Boden ausgestreckt dalag, nach dem Theile des Lagers, welchen die beim Heere befindlichen Frauen einnahmen, und dann war das kleine Zelt, welches die Wohnung des Gothen bildete und in so wenigen Stunden einen so großen Antheil menschlichen Elends und einen so erbitterten Kampf menschlicher Leidenschaften gesehen hatte, eben so stumm und einsam, wie die verlassene Gegend, in welcher Antonina jetzt eine Zufluchtsstätte und Heimath suchen sollte.



Kapiteltrenner

Kapitel V.
Der Weg durch die Mauer.

»Eine schöne Nacht, Balldus! Der Mond scheint hell und es ist kein Nebel zu sehen! Ich war gestern Abend am Ostia’schen Thore postiert, wo mich der Nebel halb erstickt hat.«

»Wenn »Du gestern Abend am Ostia’schen Thore warst, so befandest Du Dich an einem besseren Platze wie jetzt. Die Mauer hier ist so einsam, wie eine Ruine in den Provinzen. Hinter uns nichts als die Rückseite des Monte Pincio —— vor uns nichts als die leeren Vorstädte —— zu beiden Seiten nichts als Stein und Ziegel, —— auf unsern Posten nichts als wir selbst. Ich will mich kreuzigen lassen, wie St. Petrus, wenn ich glaube, daß es in der ganzen Runde der Mauer noch eine Stelle gibt, die so einsam und langweilig wäre, wie diese.«

»Du bist ein Mensch, der sich noch beklagen würde, wenn er auch in einem jener Paläste einquartiert wäre. Der Ort ist allerdings einsam genug, aber ob er langweilig oder nicht ist, hängt von uns selbst, den ehrenwerthen Anwesenden ab. Ich meinestheils bin entschlossen, seine Heiterkeit durch die lobenswerthe Anstrengung zu befördern, Dir, mein unzufriedener Freund, eine unerschöpfliche Reihe von den Geschichten zu erzählen, wegen welcher ich, wie ich ohne Anmaßung sagen kann, in der ganzen Länge und Breite der römischen Kasernen berühmt bin.«

»Du magst so viele Geschichten erzählen, wie Du willst, aber stelle Dir nicht vor, daß ich Dir zuhören werde.«

»Du kannst auf mich achten oder nicht, wie Du willst. Wenn Du auch nicht zuhörst, so werde ich doch meine Geschichten erzählen, um mich in der Uebung zu erhalten. Ich werde sie an die Mauern oder an die Lust oder an die alten Götter und Göttinnen von Rom richten, im Falle sie, wie uns einige Unbekehrte einreden wollen, wüthend über der Stadt schweben, oder an unsere Nachbarn die Gothen, wenn sie von einem plötzlichen Wunsche ergriffen werden, ihr Lager zu verlassen und die Festungswerke, welche zu stürmen sie so wenig Lust haben, in der Nähe zu betrachten. Wenn mir aber alle diese Bestandtheile einer geziemendem anständigen Zuhörerschaft ausbleiben, so werde ich meine Geschichten dem aufmerksamsten aller Zuhörer, mir selbst, erzählen.«

Und die Schildwache eröffnete ohne weitere Zögerung ihren Vorrath von Anekdoten mit der behaglichen Geläufigkeit eines Mannes, der ein gut angebrachtes Vertrauen auf seine Erzähltalente hat. Entschlossen, seinen mürrischen Kameraden zur Aufmerksamkeit zu bewegen, trotzdem, daß ihn derselbe nicht anhören wollte, sprach er mit erhöhter Stimme, indem er auf seinem angewiesenen Raume mit schnellen Schritten hin und her ging und bei jedem Spaß den er im Laufe seiner schlecht belohnten Erzählung machte, mit komischer Regelmäßigkeit und Selbstgefälligkeit zu lachen begann. Er ahnte bei seiner Geschichte nicht, daß der Beginn derselben von einem ungesehenen Zuhörer mit Empfindungen begrüßt worden war, die weit von denjenigen entfernt waren, welche die Bemerkungen seines unfreundlichen Wachkameraden diktiert hatten.

Seinem Entschlusse getreu hatte Ulpius mit einem Theile des Lohns, welchen er in Numerian’s Dienste erspart, in einem Laden eines Stadttheiles wo er nicht bekannt war, eine kleine Laterne gekauft, ihr Licht mit einem groben, dicken Tuche verhüllt und sich auf dem einsamen Wege zu seiner zweiten Nachtarbeit an die Mauer begeben. Er gelangte zu Anfang des oben erzählten Zwiegesprächs an die Bresche und hörte mit Freuden den lärmenden Beschluß der Schildwache, ihren Kameraden ihm selbst zum Trotz zu unterhalten, da, je lauter und länger der Mann sprach, desto geringer auch die Wahrscheinlichkeit war, daß seine Arbeiten im Innern der Mauer vermuthet oder gehört werden würden.

Er räumte leise das Reisig am Eingange des in der vorigen Nacht gebrochenen Loches hinweg, kroch so weit hinein, wie er damals gekommen war und nahm dann mit einem Gemisch von Erwartung und Besorgniß, welches ihn so mächtig in Anspruch nahm, daß er für den Augenblick kaum seiner Bewegungen Herr war, langsam und vorsichtig die Decke von seinem Lichte.

Sein erster Blick war unwillkürlich auf die Höhlung unter ihm gerichtet. Er sah sofort, daß sie an Breite wie an Tiefe geringer war, als er es sich vorgestellt hatte. Die Erde war an dieser Stelle unter den Grundlagen der Mauer gewichen, welche in den nachgiebigen Boden gesunken waren und durch ihr Gewicht den Abgrund noch tiefer gemacht hatten. Eine kleine Wasserquelle, —— wahrscheinlich die erste Ursache des Einsinkens der Erde —— war in dem Raume des Mauerwerkes, welches sie allmälig, und Jahr für Jahr mehr unterwühlt hatte, heraufgesprudelt. Sie blieb aber an dieser Stelle nicht stehen, sondern rieselte munter und still weiter —— ein Bächlein, das sich nur dazu aus einem Gefängnisse im Boden losgerungen hatte, um ein anderes in der Mauer zu betreten, das von keinem begrasten Ufer eingefaßt, von keinem heitern Tageslicht erhellt, von keinem menschlichen Auge bewundert wurde, dem in seinem engen Bette durch die inneren Spalten der Ziegel kein lebendes Wesen folgte, als etwa eine aufgeschwollene Kröte oder eine einsame Eidechse, das aber doch so glücklich seinen Weg durch Finsterniß und Ruinen verfolgte wie seine Brüder, die im Sonnenschein auf der Wiese murmelten oder in dem frischen Winde des freien Berghanges hüpften.

Ulpius erhob seine Augen von der kleinen Quelle und wendete zunächst seine Aufmerksamkeit der Aussicht über ihm zu.

Obgleich unmittelbar über seinem Kopfe das innere Material der Mauer eine glatte, ebene, harte Oberfläche zeigte, welche im Stande schien, selbst den kräftigsten Versuchen zu ihrer Zerstörung Widerstand zu leisten, bemerkte er doch auf der einen Seite und weiter nach innen eine dunkle, formlose Unregelmäßigkeit, die ihn zu weiteren Anstrengungen aufmunterte. Er stieg in das Bett des Baches hinab, kroch über einen Haufen von verwitterten Ziegeln hinauf und gelangte in ein Loch, welches er augenblicklich zu erweitern begann, um hindurch zu dringen. Zoll um Zoll erweiterte er die Spalten, kroch hinein und sah sich auf einem Bruchstück der Wölbung eines von den Bögen des Grundes, welches sich, wiewohl theilweise zerfallen, doch von aller Verbindung mit dem Theile der oberen Mauer, welchen es einst getragen, und der allmälig in die unteren Höhlungen gebröckelt war, isoliert, doch immer noch im Gleichgewichte hielt. Er blickte auf. Ueber ihm ging eine ungeheure Spalte hinauf, die ihre geschlängelten Verzweigungen an verschiedenen Punkten in jeden Theil der Mauer welcher ihm noch sichtbar war, erstreckte. Das ganze Gebäude schien an dieser Stelle einen plötzlichen furchtbaren Ruck erlitten zu haben. Wenn es nicht von den besser erhaltenen Befestigungen zu beiden Seiten gestützt worden wäre, so hätte es sich nach dem Stoße nicht mehr aufrecht erhalten können.

Der Heide blickte mit ununterdrückbarer Furcht in die breiten Spalten, die über ihm klafften, empor. Sein kleines flackerndes Licht war nicht hinreichend, um ihm ihre Endpunkte zu zeigen. Sie sahen, als er sie so im dunkeln Abstich gegen den übrigen ausgehöhlten Theil der Mauer erblickte, wie ungeheure Schlangen aus, die sich gerade hinauf bis zu den Zinnen wanden, und er selbst, mit seinem kleinen Lichte neben ihm, wurde von der wilden Großartigkeit der feierlichen Düsterkeit der dunkeln, phantastischen Gegenstände um ihn her zu Pygmäengröße zusammengedrückt. Wenn man ihn von den Zinnen oben hätte sehen können, wie er jetzt hinter seiner Laterne in die Höhlungen und Unebenheiten unter ihm hinabblickte, so würde er mit seinem flackernden Lichte ausgesehen haben, wie ein von einem Glühwurm geführter Maulwurf.

Er hielt an, um seine nächsten Bewegungen zu überlegen. Während er an einem Orte verharrte, war die feuchte Kälte der Atmosphäre fast unerträglich, aber er erlangte durch seine jetzige Unbeweglichkeit einen großen Vortheil, er konnte vor dem Geräusch der im Gehen unter ihm zerbröckelnden Ziegelsteine ungestört lauschen. Bald darauf hörte er einen feinen anhalten den Ton, der bald lauter, bald leiser war, sich bald näherte, bald entfernte, bald fast schrill wurde, schnell aber wieder zu einem schwachen, sanften Schwellen zurückkehrte. Plötzlich wurde diese seltsame, gespenstische Musik von einer Reihe langer, tiefer, rollender Töne unterbrochen, die großartig in den Spalten über ihm umherzogen, wie eingekerkerte Donner, die einen Ausgang suchten. Gänzlich damit unbekannt, daß das erste gehörte Geräusch durch den Nachtwind verursacht wurde, welcher sich durch die Spalten in den Ziegeln der äußern Mauerwand, und das zweite durch das Echo, welches die Tritte der Wachen über ihm in den unregelmäßigen Höhlungen derselben hervorbrachte —— durch den furchtgebietenden Ort und seine geheimnißvolle Beschäftigung einer fanatischen Exaltation erhoben, welche für den Augenblick geradezu seine Vernunft zum Schwanken brachte —— von dem rasenden Enthusiasmus seiner Pläne und den Legenden über unsichtbare Wesen und Welten, die die Grundlagen seiner Religion bildeten, erfüllt, glaubte Ulpius, als er die Laute über sich und um sich her vernahm, daß die Götter des Alterthums jetzt über ihm schwebten und ihm mit gespenstischer Stimme in unbekannter Sprache zuriefen, sein kühnes Unternehmen mit der vollen Gewißheit des nahen, herrlichen Erfolges fortzusetzen.

»Braust und murmelt und macht Euren Orkan zu Musik in meinen Ohren!« rief der Heide, seine welken Hände erhebend und seine Gottheiten mit wilder Energie anredend. »Euer Diener Ulpius hält nicht auf der Reise an, welche ihn zu Euren wieder bevölkerten Heiligthümern führt! Blut, Verbrechen, Gefahr, Pein —— Stolz und Ehre, Freude und Ruhe habe ich, Opfern gleich, an Euren Altären ausgestreut! Die Zeit ist an mir vorüber gewirbelt, die Jugend und das Mannesalter liegen längst schon in dem Lethe vergraben, welches das Erbtheil des Lebens ist —— das Alter hat seine Bande um die Kraft meines Körpers geschlungen, aber ich wache immer noch an Euern Tempeln und diene Eurer mächtigen Sache. Eure Rache ist nahe, Monarchen der Welt! Euer Triumph steht uns bevor.«

Er verweilte eine Zeit lang in derselben Stellung, blickte fest in die pfadlose Dunkelheit über ihm hinauf und sog die Laute ein, welche, abwechselnd steigend und fallend, immer noch um ihn schwebten. Der zitternde Schein seiner Laterne fiel roth und wild aus sein blasses Gesicht. Sein verworrenes Haar flatterte in dem kalten an ihm vorbei streichenden Winde. Er würde in diesem Augenblicke, von ferne betrachtet, ausgesehen haben, wie ein feuriges Phantom, welches in einem dunkeln Nebel untergeht, wie ein Gnome, der in den Eingeweiden der Erde anbetet, wie ein verstoßener Geist in einem einsamen Fegefeuer, welcher auf das Erscheinen eines Blickes der Schönheit oder das Kommen eines Lufthauches lauscht.

Endlich erhob er sich aus seiner Verzückung, putzte mit vorsichtiger Hand die ihn führende Laterne und schritt weiter, um durch die große, so eben betretene Spalte zu dringen.

Er kam in schiefer Richtung um mehrere Fuß breit weiter, wobei er bald über die Gipfel der Grundbogen kroch, bald hervorspringende Ecken in dem zerbröckelnden Mauerwerk vermied, bald in dunkle, schlüpfrige, von Trümmern halb ausgefüllte Schlünde hinabstieg, bis nach allen Seiten hin die Spalte plötzlich enger wurde.

Die Atmosphäre war an dcr Stelle, wo er sich jetzt befand, wärmer, er konnte schwache Flecken von feuchtem, dunklen Moos unterscheiden, die hier und da die unebene Mauerfläche bedeckten und ein paar mal wurden ihm lange Grashalme, die von einem Vorsprunge unmittelbar über seinem Kopfe herabwuchsen, von dem Winde, den er jetzt durch die schmale Ritze, welche er zu erweitern suchte, herein blasen fühlte, in’s Gesicht geweht. Offenbar hatte er sich der äußern Fläche der Mauer bis aus wenige Fuß genähert.

»Numerian sucht auf den Straßen nach seinem Kinde,« murmelte der Heide, als er seine Laterne neben sich niedersetzte, seine zitternden Arme entblößte und seine Eisenstange erhob. »Die Sklaven seines Nachbars, des Senators, sind ausgezogen, um mich zu verfolgen. Auf allen Seiten jagen mir meine Feinde nach, aber hier postiert. spotte ich ihres eifrigsten Suchers. Wenn sie mir bis zu meinem Versteck nachspüren wollen, so müssen sie die Mauern von Rom durchdringen. Wollen sie mich in meinem Lager niederjagen, so müssen sie mich heute bis zu den Gothen verfolgen. Die Thoren, sie mögen sich vorsehen! Mit dem letzten Ziegel, den ich von ihren schutzlosen Mauern reiße, besiegele ich das Schicksal ihrer Stadt!«

Er lachte vor sich hin, während er sein Brecheisen kühn in die Spalte stieß. An einigen Stellen wichen die Ziegel seinen Anstrengungen leicht, an andern ließ sich ihr Widerstand nur durch Anwendung seiner äußersten Kräfte besiegen. Er setzte entschlossen und unablässig seine Arbeiten fort, wobei er bald seine Hände an den zackigen Spitzen der weiter. werdenden Oeffnung verwundete, bald unwillkürlich sein Werkzeug vor Erschöpfung sinken ließ, aber doch, trotz jedes sich ihm entgegenstellenden Hindernisses, wacker fort arbeitete, bis er in das Innere der neuen Spalte gelangte.

Als er seine Laterne in die von ihm gemachte Höhlung nachzog, nahm er wahr, daß er, wenn er dieselbe nicht unmittelbar über sich erhöhte, selbst kriechend nicht weiter kommen konnte. Ueber diese unerwartete Nothwendigkeit zu heftigerer Anstrengung bereit, und in dem verzweifelten Entschlusse, auf alle Fälle noch in dieser Nacht durch die Mauer zu kommen, stieß er rücksichtslos mit aller seiner Kraft das Brecheisen aufwärts, statt allmälig und leise das Material der Oberfläche, welche sich ihm entgegenstellte, aufzulockern, wie er es früher gethan hatte.

Er hatte diese Arbeit kaum einige Augenblicke lang fortgesetzt als ein bedeutender Theil des Mauerwerkes in einer festen, zusammenhängenden Masse mit Blitzesschnelle herabstürzte. Sie schleuderte ihn aus den Gründungsbogen, welcher seine Stütze gewesen war, nieder, quetschte und renkte seine rechte Schulter aus und zertrümmerte seine Laterne.

Er stieß ein Stöhnen der Pein aus. Er befand sich in undurchdringlicher Finsterniß. Die Ziegelmasse rollte, nachdem sie ihn getroffen hatte, etwas seitwärts. Mit einer verzweifelten Anstrengung rang er sich unter derselben hervor, nur um von der neuen Qual, die ihm die Anstrengung verursachte in Ohnmacht zu fallen.

Eine kurze Zeitlang lag er in seiner kalten, dunkeln Einsamkeit besinnungslos da. Hierauf, als er nach dem ersten Stoße wieder zu sich kam, begann er in aller ihrer Schwere die Zuckungen, das dumpfe Nagen, die pochenden Schmerzen zu erleiden, welche die Folgen der erhaltenen Verletzung sein mußten. Sein Arm lag bewegungslos an seiner Seite; er besaß weder Kraft, noch Entschlossenheit genug, um eines von den gesunden Gliedern seines Körpers zu bewegen. In dem einen Augenblicke bildeten seine tiefen, stöhnendem halb erstickten Athemzüge entsetzliche, halb artikulierte Flüche —— im nächsten erstarb sein keuchender Athem plötzlich und dann konnte er das Blut mit grausiger Regelmäßigkeit langsam von seiner Schulter in eine kleine Lache, die es neben ihm bereits gebildet hatte, tröpfeln hören.

Der Nachtwind, welcher sich von außen durch die Mauerritzen drängte, war jetzt nur an seinem verwundeten Glied fühlbar. Er berührte dessen Oberfläche gleich unzähligen Splittern dünnen, scharfen Eises, er drang in sein Fleisch wie Funken, die aus einem See von geschmolzenem Blei hervor sprühten. Es gab während der ersten Qualen dieser Folter Augenblicke, wo er, wenn er eine Waffe und die Kraft, dieselbe anzuwenden, gehabt hörte, er seinen Ehrgeiz für immer aufgeopfert und sich das Leben genommen haben würde.

Aber dieser Wunsch, seine Schmerzen mit seiner Existenz zu enden, dauerte nicht lange. Allmälig erweckte seine Körperpein in seinem Geiste eine mildere, stärkere Krankheit und jetzt wütheten die körperlichen und Geistesqualen in wilder Rivalität in ihm, und beraubten ihn aller Gedanken, die nicht durch ihre Einwirkung erschaffen oder erweckt worden waren.

Eine Zeitlang lag er hilflos in seinem Elend da und machte abwechselnd durch unterdrücktes Stöhnen der Pein seiner Wunden Luft und beklagte unter Flüchen das Mißlingen seines Unternehmens in dem Augenblicke seines anscheinenden Erfolgs. Endlich schienen die ihn durchzuckenden Schmerzen allmälig weniger schnell hintereinander zu kommen; er wußte jetzt kaum mehr, in welchem Theile seines Körpers sie unmittelbar entstanden. Unmerklich stumpfte sich sein Denk- und Gefühlsvermögen ab, dann blieb er eine kurze Zeit in räthselhafter, unerquicklicher Ruhe des Körpers und Geistes liegen und dann wurden seine ungeleiteten und ungezügelten Sinne das Opfer eines plötzlichen furchtbaren Blendwerks.

Die Finsterniß um ihn her schien allmälig in ein trübes, dickes, nebeliges Licht, gleich dem Widerscheine von Gewitterwolken am Abend, überzugehen. Bald darauf war es, als ob diese Atmosphäre von einem phantastischen Gitterwerkt weißen, sich kräuselnden Dampfes durchkreuzt und durchstreift würde. Dann wurde die Ziegelmasse, welche ihn zu Boden geschlagen hatte, an seiner Seite, zu ungeheurer Größe angewachsen, sichtbar und schien mit einer Bewegungskraft begabt zu sein, durch welche sie geheimnißvoll größer und kleiner wurde und sich anschwellte und zusammenzog, ohne auch nur einen Augenblick ihre Lage neben ihm zu verlassen. Dann erhob sich von ihrer dunkeln, beweglichen Oberfläche ein langer Strom von Nebelgestalten, die sich um das Gitterwerk über ihm schlangen und die greifbare Form von menschlichen Gesichtern annahmen, die jede Altersverschiedenheit blicken ließen und von jeder Verschiedenheit des Leidens verzerrt wurden.

Er sah Kindergesichter mit Grabeswürmern umschlungen, die um sie her hingen wie Locken schmutzigen Haares, alte Gesichter mit Blut befleckt und von Wunden zerfleischt, junge von schwarzgelben Kanälen durchzogene Gesichter, in denen unaufhörliche Thränenströme herabflossen —— schöne Gesichter, die zum festen Ausdrucke zuckender Pein, wilder Bosheit und verzweifelnder Düsterkeit verzerrt waren. Kein Einziges von diesen Gesichtern glich dem Andern genau. Jedes unterschied sich durch einen eignen empörenden Charakter, Wie entstellt aber auch ihre anderen Züge sein mochten, waren doch die Augen Aller unverletzt geblieben. Sprachlos und körperlos schwebten sie in nie endenden Myriaden zu dem phantastischen Gitterwerk empor, welches seine ungeheuren Proportionen noch weiter aufschwellen zu lassen schien, um sie aufzunehmen. Dort hingen sie sich an ihren gespenstischen Amphitheater zusammen und starrten fest und schweigend ohne Ausnahme auf das Gesicht des Heiden herab.

Unterdessen begannen die Seitenwände von einem eigenen Lichte zu glimmen und zackige Grenzen für die Bühne der gespenstischen Gesichter zu bilden, dann erweiterten sich die Spalten ihrer Oberfläche und spieen ungestaltete Figuren von heidnischen Götzen und heidnischen Priestern aus, die in jeder häßlichen Entstellung des Aeußern hervorkamen und die Gesichtern auf dem Gitterwerk nachäfften, während hinter und über dem Ganzen gigantische, dunkle Formen heraufragten, die in düstere, wallende Nachahmungen von Häuten, wie sie die Gothen trugen, gekleidet waren und in dem zitternden Dunste mächtige, schattengleiche Kriegswaffen schwangen. Von dieser ganzen gespenstischen Versammlung stieg nicht der mindeste Laut aus. Eine Stille, gleich der einer todten, in Ruinen liegenden Welt, hielt das entsetzliche Schauspiel nach allen Seiten hin umfangen.

Die tiefen Echos von den Schritten der Schildwachen und das schwache Rauschen des Windes waren verklungen. Das Blut, welches bisher aus seiner Wunde geträufelt war, brachte in dem Ohre des Heiden jetzt keinen Ton mehr hervor, sogar sein eigenes Entsetzen war eben so stumm, wie die Dämonen der Vision, welche es erweckt hatten. Tage, Jahre, Jahrhunderte schienen zu vergehen, während er dalag und in wahnsinnigem Schrecken zu seinem Reiche bevölkerter, gespenstischer Dunkelheit emporblickte. Endlich unterlag die Natur der Prüfung, das Phantomschauspiel wirbelte plötzlich mit grausiger Schnelligkeit um ihn her und seine Sinne suchten vor der Folter ihrer eignen Schöpfung in tiefer, willkommener Bewußtlosigkeit Zuflucht.

Die Zeit war träge vorwärts geschritten, die scheltenden Winde hatten oftmals die trocknen Locken seines Haares auf seiner Stirn hin und her getrieben, wie um ihn erwachen und aufstehen zu heißen, ehe er wieder zum Bewußtsein gelangte. Von Neuem zur Kenntniß seiner Lage und dem Gefühl seiner Wunde erwacht, richtete er sich langsam auf seinem unverletzten Arme auf und blickte sich wild nach selbst der schwächsten Spur eines Lichtstrahles um, aber der gewundene und unebene Weg, welchen er sich durch die Mauer bereitet hatte, verhinderte die Mondstrahlen, welche jetzt in die äußerste von seinen Höhlungen strömten, den Ort, wo er jetzt lag, zu erreichen. Um ihn her war kein einziger Gegenstand auch nur schwach erkennbar. Auf allen Seiten war er von Finsterniß umgeben.

Die ersten Qualen seiner Verletzung hatten sich jetzt in ein dumpfes, schweres, wechselloses Schmerzgefühl aufgelöst. Die Vision, welche seine Sinne überwältigt hatte, war jetzt in schattenartiger, ungeheurer Form nur noch seiner Erinnerung gegenwärtig, erfüllte die Dunkelheit mit furchtbaren Erinnerungen, aber nicht mehr mit Schreckensgestalten und drängte ihn zu einem rastlosen Sehnen, sich aus dem einsamen, ungeweihten Grabe, dem Gefängnis der Einsamkeit und des Todes, zu retten, womit ihn seine eigenen Anstrengungen bedrohten, wenn er noch in den Höhlungen der Mauer liegen bleiben würde.

»Ich muß aus dieser Finsterniß an’s Licht kommen! Ich muß die Luft des Himmels einathmen, wenn ich nicht in der feuchten Kälte dieser Gruft umkommen soll!« rief er mit heiserer, stöhnender Stimme, indem er sich allmälig und mit peinlicher Anstrengung auf die Kniee erhob, sich langsam umwendete und seinen beabsichtigten Rückzug begann.

Sein Gehirn drehete sich immer noch, von den Aufregungen, die seinen Geist vor so Kurzem zu Boden geschmettert hatten, wie im Kreise herum; seine rechte Hand hing hilflos an seiner Seite herab, schleppte ihm nach, wie die Kette eines Gefangenen und wurde von der unebenen Fläche des Bodens, über welche sie langsam hinschleifte, zierfleischt, als er sich auf seinen linken Arm stützend und jedes mal nur um wenige Zoll vorwärts kriechend, seine mühselige Reife antrat.

Hier hielt er, verwirrt in der Dunkelheit, an, dort bewahrte er sich mir durch eine convulsivische Anstrengung vor dem Sturze in die unbekannten Tiefen unter ihm oder verlor den geringen Vortheil, welchen er mit Mühe und Noth erlangt hatte, dadurch, daß er, von einem unerwarteten Hindernisse gezwungen, eine Strecke weit zurück mußte. Bald knirschte er mit den Zähnen, bald war er athemlos vor Erschöpfung dessen ungeachtet aber ließ er mit einer Hartnäckigkeit welche etwas Heroisches an sich hatte, nie in dem festen Entschluß, sein Entkommen zu bewirken, nach.

Langsam und peinlich mit dem Schritte und der Ausdauer der Schildkröte, hoffnungslos und doch entschlossen, gleich einen Seefahrer in einem unbekannten Meere, kroch er vorwärts, bis er endlich für seine langen Leiden durch die plötzliche Entdeckung eines dünnen Strahles von blassem Licht, welcher sich durch eine Ritze im verwitterten Mauerwerk vor ihm ergoß, belohnt wurde. Kaum die Herzen der Weisen aus dem Morgenlande konnten entzückter gepocht haben, als der Stern des Ostens zuerst vor ihnen aufging, als das des Ulpius in dem Augenblicke, wo er den, leitenden und ermuthigenden Lichtstrahl erblickte.

Nur noch ein wenig Anstrengung —— noch ein wenig Geduld —— noch ein wenig Pein —— und seine gespenstische und verkrüppelte Gestalt stand wieder vor der äußern Höhlung der Mauer. Der Tag begann herauf zu dämmern, der Mond verblich mit kaltem Scheine am grauen Morgenhimmel —— ein dünner, dunstartiger Regen träufelte aus den formlosen Wolken herab, der Morgen zeigte sich der Erde kalt und trostlos, übte aber keinen trüben oder tadelnden Einfluß auf den Geist des Heiden. Er sah sich auf seinem einsamen Lauerorte um, erblickte aber keine menschliche Gestalt. Er schaute an den Mauern hinauf und sah. daß die Wachen schweigend und getrennt in ihre schweren Wachmäntel gehüllt und auf ihre Waffen gelehnt da standen. Es war nicht zu verkennen, daß die Ereignisse seiner Leidens- und Verzweiflungsnacht, von der äußern Welt unbemerkt, vergangen waren.

Er blickte mit einem Schauder ans seinen verwundeten, unbeweglichen Arm herab, dann hefteten sich seine Augen auf die Mauer. Nachdem er sie mit mißtrauischem, spähendem Blicke überschaute, bewegte er langsam mit seinem Fuße das Reisig gegen die kleine Höhlung in ihrer äußern Fläche.

»Tage vergehen, Wunden heilen, Aussichten verändern sich!« murmelte der alte Mann, als er sich mit langsamen, unsichern Schritten von der einsamen Stelle entfernte. »In den Bergwerken habe ich ohne Murren Streiche erlitten —— ich habe meine Ketten, mit jedem Tage die Geschwüre, welche ihre eisernen Zähne in mein Fleisch genagt hatten, erweitern sehen und doch habe ich es erlebt, meine Fesseln zu lösen und meine Geschwüre zu schließen! Soll diese neue Pein eine größere Gewalt haben, mich zu besiegen, als die andern, welche vergangen sind? Ich werde noch zurückkehren, um den Widerstand der Mauer zu besiegen! Mein Arm ist zerrissen, aber mein Vorsatz ist unerschüttert!«



Kapiteltrenner

Kapitel VI.
Das Haus in der Vorstadt.

Wir schreiten um einige Stunden zurück und wenden uns von der gespaltenen Mauer nach der Vorstadt und der Gegend, welche man von ihren Zinnen überschaut. Wir verlassen den verwundetem mit seinen finsteren Plänen beschäftigten Ulpius und unsere Aufmerksamkeit heftet sich jetzt auf die Schicksale Hermanrich’s und Antoninens.

Wiewohl der Abend kaum eingebrochen war, hatte der Gothe doch den Kriegern unter seinem Befehl bereits ihre Nachtstationen in der einsamen Vorstadt angewiesen. Nach Erfüllung dieser Pflicht blieb er der ununterbrochenen Einsamkeit des Gebäudes überlassen, welches ihm jetzt zur vorübergehenden Wohnung diente.

Das Haus, in welchem er sich befand, war das letzte der breiten, unregelmäßigen Straße, zu welcher es gehörte, und es ging nach der Mauer unterhalb des Monte Pincio, von welcher es durch einen, etwa eine Viertelstunde im Umfange haltenden öffentlichen Garten getrennt war. Dieser einst von Menschen erfüllte Vergnügungsort war jetzt gänzlich unbetreten. Seine dunkeln Haine wurden durch keine Menschengestalt erhellt, die bunten Sommerhäuser darin waren finster und öde, die Buden seiner Obst- und Blumenhändler standen leer auf den einsamen Rasenplätzen da. Traurig und verlassen erstreckte er sich als eine furchtbare Einöde bis unter die Mauern einer Meschenerfüllten Stadt.

Und doch lag ein unaussprechlich ernster und beschwichtigender Zauber in dem einsamen Anblick, welchen er gewährte, als sich seine Blumenbeete und Bäume jetzt allmälig in den Schatten der vorrückenden Nacht verdunkelten. Er gewann in seiner jetzigen Verschönerung, was er an seiner früheren Heiterkeit verloren hatte. Er hatte noch seine eigne einfache Anziehungskraft, obgleich er nicht mehr in seinen gewohnten Illuminationen funkelte, nicht mehr dem Ohre durch die Musik und das Gelächter, welche sich in Friedenszeiten daraus erhoben, gefiel. Als er von der Terrasse seiner neuen Wohnung darauf hinblickte, verschwand die Erinnerung an seine vergangenen, geschäftigen Stunden aus dem Geiste des jungen Gothen und seine Geisteskräfte bewillkommneten die Gedanken, welche die Nacht allmälig zu wecken und zu erzeugen begann.

Wohin konnten sich unter solchen Verhältnissen die Gedanken Hermanrich’s am Natürlichsten verirren?

Von dem Mondlichte an, welches bereits die höchsten zitternden Blätter der Bäume des Gartens zu färben; begann, bis zu den zarten, jetzt schattenartigen Blumen, die. sich an den Pfeilern der verlassenen Terrasse, auf welcher er stand, emporschlangen, verband sich jeder Gegenstand, den er erblickte, für seine lebhafte ungebildete Phantasie mit dem einen Wesen, dessen beredter, passender Typus ihm alles Schöne in der Natur zu sein schien. Er dachte an Antoninen, die er einst beschützt, an Antoninen, die er nachher verlassen, an Antoninen, die er jetzt verloren hatte.

Mit starker Einbildungskraft und schwacher Fähigkeit des Denkens, mit starker moralischer Empfänglichkeit und geringer moralischer Festigkeit begabt, zu leicht zu lenken und zu schwer zu einem Entschlusse zu bringen, hatte Hermanrich das Mädchen eher aus Charakterschwäche als aus Entschlossenheit des Willens aufgegeben. Als jetzt daher die Beschäftigungen des Tages seine Aufmerksamkeit auszufüllen aufgehört hatten, als jetzt die Stille und Einsamkeit sein Gedächtniß zu dem Verlassen seines hilflosen Schützlings zurückführte, flößte ihm diese That verderblichen Unmuths und unverantwortlicher Unentschlossenheit Kummer und Reue ein. Wenn Antonina während ihres Aufenthaltes unter seiner Obhut einen unmerklichen Einfluß aus sein Herz geübt hatte, so erfüllte jetzt ihr Bild, wo er über seinen verbrecherischen Antheil an ihrer Trennung nachdachte, alle seine Gedanken und betrübte und beschämte ihn zugleich, wenn er sich ihrer Verbannung aus dem Schutze seines Zeltes erinnerte.

Jedes Gefühl, welches seine Gedanken an Antoninen in der vorigen Nacht beseelt hatte, gewann doppelte Stärke, als er sich jetzt ihrer erinnerte. Er entsann sich von Neuem ihrer beredten Worte und des Zaubers ihres milden, unschuldigen Wesens; von Neuem verweilten seine Gedanken ans den Schönheiten ihrer äußern Form. Jeder warme Ausdruck, jeder wechselnde Ton der Stimme, welcher ihre Bitte ums Rettung und Anschluß an. sie begleitet hatte, jeder Ueberredungsgrund dessen sie sich bedient, um ihn zu erweichen, lebte jetzt wieder in seinem Gedächtnisse auf, und nahm in seinem Herzen an Einfluß und Gewalt zu. Alle unvollkommenen Bilder des Glückes, welche sie so hastig ausgemalt hatte, um ihn zu verlocken, färbten sich jetzt heller und sein Geist begann sich in Visionen zu ergehen, die bisher von keinen andern Bildern, als denen des Wetteifers, der Gewaltthat und des Kampfes erfüllt gewesen waren, Scenen, die selbst Antoninens leichtesten und hastigsten Ausdrücke heraufbeschworen hatten, erhoben sich jetzt schattenhaft und unbestimmt vor seinem brütenden Geiste. Liebliche Stellen der Erde, die er besucht und wieder vergessen hatte, kehrten jetzt, wo er an sie dachte, idealisiert und veredelt zurück. Sie erschien seinem Geiste in jedem Reize der Bewegung, wie sie alle Pflichten erfüllte und alle Freuden genoß, welche sie ihm versprochen hatte. Er stellte sie sich vor, wie sie glücklich und von Gesundheit erfüllt, mit rosiger Wange und elastischem Schritte heiter am frischen Morgen neben ihm hinschritt. Er stellte sich vor, wie sie ihn in der milden Stille des Abends durch ihre versprochenen Lieder entzückte, durch ihre beredten Worte erheiterte. Er stellte sich vor, wie sie sanft und warm und still in seinen schützenden Armen schlief, stets glücklich und stets mild, an Jahren ein Kind, an Verstand ein Weib, zugleich eine Geliebte und eine Gefährtin, eine Lehrerin und Schülerin, eine Geleitete und eine Führerin.

Das hätte sie ihm werden können! Was war sie jetzt?

Sank sie unter ihrer Einsamkeit danieder, ging sie in Kälte und Ermattung unter, von Hinterlistigen bedroht, von Grausamen zurückgestoßen, von Gedankenlosen verspottet! Allen diesen Gefahren, diesem ganzen Elend hatte er sie ausgesetzt und zu welchem Zwecke? Um die ungewisses Gunst, die unwillkommene Freundschaft eines Weibes zu bewahren, das selbst die gewöhnlichsten, instinktmäßigsten Tugenden ihres Geschlechts verlassen hatten, dessen rasender Rachedurst Gerechtigkeit mit Verrätherei, Unschuld mit Verbrechen, Hilflosigkeit mit Tyrannei verwechseln, dessen Ansprüche auf Nationalität und Verwandtschaft seiner Schätzung nach, durch die offen gestandene Tücke ihrer Absichten, in dem verderbenschwangern Augenblicke hätten verwirkt sein sollen, wo sie ihm dieselben in aller ihrer Schändlichkeit vor den Mauern Rom’s anvertraut hatte. Er stöhnte in Verzweiflung, als er dieser seiner unwürdigsten aller Nothwendigkeiten gedachte, denen das verlassene Mädchen geopfert worden wär.

Bald jedoch wendete sich sein Geist von diesen Gedanken ab und seinen Pflichten und seinem Kriegsruhme zu und hier erleichterte sich seine Reue theilweise, wie wohl sein Schmerz unverändert blieb. So wunderbar auch der Einfluß der Gegenwart und der Worte Antoninens auf den Gothen gewesen war, so hatten sie doch noch nicht Macht genug erlangt, um in ihm gänzlich die kriegerischen Instinkte seines Geschlechts und Volkes zu ersticken, oder die kräftigen, feindseligen Eingebungen der Erziehung und der Gewohnheit zu besiegen. Sie hatte ihn mit neuen Empfindungen begabt und zu neuen Gedanken erweckt, sie hatte alle schlummernde Sanftmuth seines Charakters zum Kampfe gegen die rohe Gleichgültigkeit, die rücksichtslose Energie aufgerufen, welche Lehre und Beispiel bisher seinem Herzen zur zweiten Natur gemacht hatten. Sie hatte sich einen Weg in seinen Geist gebahnt, die dunkeln Stellen desselben erleuchtet, seine engen Raume erweitert, seine polierten Schätze verschönert. Sie hatte während der kurzen Stunden des Verkehrs mit ihm geschaffen und veredelt, aber seine Neigung noch nicht gänzlich von seinen alten Gewohnheiten und Anhänglichkeiten abgelenkt; sie hatte den barbarischen Kampf noch nicht seines falschen Schimmers, den kriegerischen Ruhm noch nicht seines Pomp’s entkleidet; sie hatte die Niedrigerstehenden, Intellectuellen noch nicht zu der Hohe der erhabeneren, moralischen Fähigkeiten seines Charakters heraufgezogen. Fast unparteiisch der abwechselnden streitenden Herrschaft der beiden Herren, Liebe und Pflicht, ausgesetzt, bedauerte er zugleich Antonina und hielt sich doch mechanisch an seinen alten Gehorsam gegen jene tyrannischen Forderungen der Nationalität und, des Namens fest, welche ihren Verlust herbeigeführt-hatten.

Von diesen wechselnden Bewegungen bedrückt, und eben so rath- wie trostlos, machte ihn die Untätigkeit seiner gegenwärtigen Lage äußerst niedergeschlagen. Er stand ungeduldig auf, legte seine Waffen an und suchte seinen Gedanken zu entgehen, indem er den Ort verließ, unterdessen Einflusse sie sich erhoben hatten. Der Stadt den Rücken wendend, lenkte er seine Schritte planlos durch das verwickelte Straßenlabyrinth, welches die verlassene Vorstadt bildete.

Nachdem er durch die im Besitz der gothischen Linien befindlichen Gebäude gegangen war und diejenigen erreicht hatte, welche den verödeten Feldern näher lagen, wurde der Anblick der Dinge um ihn her eindrucksvoll genug, um die Aufmerksamkeit eines Jeden, der nicht gänzlich mit anderen, wichtigeren Gegenständen der Betrachtungen angefüllt war, zu erregen.

Die Einsamkeit, welche er jetzt auf allen Seiten erblickte, war nicht die Einsamkeit des Verfalls —— die Gebäude um ihn her befanden sich in vollkommen baulichem Zustande —— es war nicht die Einsamkeit der Pest —— auf den unbetretenen Straßen lagen keine Leichen; es war nicht die Einsamkeit der Absperrung —— nirgends waren vergitterte Fenster, und nur an seltenen Stellen verschlossene Thüren zu sehen; es war die Einsamkeit der menschlichen Vernichtung. Die offenen Hallen der Theater standen leer, den Säulengängen der Kirchen näherte sich Niemand, die Bänke vor den Weinläden waren unbesetzt, auf den Verkaufstischen der Straßenbuden standen immer noch bunte Ueberbleibsel von Hausrath, die von Keinem bewacht, von Keinem gekauft wurden, Brod- und Fleischstücke —— Schätze, die bald höheren Werth für das belagerte Rom erlangen sollten, als Gold und Silber —— verfaulten hier im Freien, wie Unrath auf Düngerhaufen. Kinderspielzeug Frauenzierathen, Börsen, Geld, Liebespfänder, kostbare Manuskripte lagen auf den Wegen verstreut, von ihren verschiedenen Besitzern in der Eile ihrer plötzlichen, allgemeinen Flucht fallen gelassen und nicht weiter berücksichtigt. Jede verödete Straße verkündete verzweifelt aufgegebene Lieblingspläne, kläglich verlassene, kostbare Arbeiten, unwiederbringlich verlorene, entzückende Genüsse; selbst die Hausthiere, die Penaten der Reichen und Armen, waren fortgezogen. Sie waren entweder ihren Besitzern in die Stadt gefolgt, oder hatten sich ungehindert und unbewacht im Lande verlaufen. Palast, Bad und Circus entwickelten umsonst ihre bunte Pracht und ihre üppige Bequemlichkeit, in der Nähe ihrer leeren Hallen war nicht einmal ein umherschweifender Gothe zu sehen, denn das Heer hatte in einer Aussicht, wie es die Unterjochung Rom’s war, den Enthusiasmus seines Anführers für dessen hohe Aufgabe angenommen und gehorchte gern seinen Geboten, die Plünderung der Vorstädte zu verschieben, indem es die im Vergleich werthlosen Schätze, von denen es umgeben war und die es jederzeit erlangen konnte, verschmähte, da es fühlte, daß die reichen Besitzthümer Rom’s selbst sich jetzt ihren begierigen Händen aufthaten. Stumm und geräuschlos, unbevölkert und unverheert lagen die weitberühmten Vorstädte der größten Stadt der Welt eben so in die Nacht der Natur, wie in die Nacht des Glückes und die des Ruhmes versunken da!

So traurig und eindrucksvoll auch der sich so den Augen des jungen Gothen bietende Anblick trat, vermochte er doch nicht den mächtigen Einfluß zu schwächen, welchen die Gedanken des Abends noch auf seinen Geist übten. Wie während der vergangenen Stunden das Bild des verlassenen Mädchens die Erinnerung an die erfüllten Pflichten vermischt und sich, der Betrachtung der noch auszuführenden Gebote entgegengesetzt hatte, so verweigerte es jetzt seinen Geisteskräften jeden Eindruck von der sich um ihn her ausbreitenden einsamen Scene, welche er erblickte, ohne sie zu berücksichtigen. Während er durch die düsteren Straßen schritt, beherrschten ihn immer noch seine vergeblichen Kümmernisse und Selbstanklagen, seine natürlichen Neigungen und angeeigneten Anhänglichkeiten und stritten in ihm eben so eifrig und unablässig, wie in den ersten Augenblicken, wo sie sich mit dem Abend während seines Verweilens auf der Terrasse des einsamen Hauses erhoben hatten.

Er war jetzt zur äußersten Grenze der Gebäude in den Vorstädten gelangt, vor ihm lag eine ununterbrochene Aussicht auf ebene, schimmernde Felder und weiche, nebelige, undurchdringliche Wälder. Auf der einen Seite befanden sich Weinberge und zu Häusern gehörende Gärten, auf der andern ein einzelnes Haus, das äußerste von Allen in seiner unmittelbaren Nähe. So finster und verödet es auch aussah, betrachtete er es doch eine Zeitlang mit der mechanischen Aufmerksamkeit eines Mannes, der mehr mit seinen Gedanken als seinen Beobachtungen zu thun hat —— er näherte sich ihm allmälig in der brütenden Zerstreuung seiner Reflexionen und blieb, ohne es selbst zu bemerken, vor der niedrigen Reihe unregelmäßiger Stufen, welche zur Eingangsthür hinaufführten, stehen.

Durch die plötzliche Nähe an dem Gegenstande, zu welchem er unwissentlich herangekommen war, aus seinem Sinnen aufgeschreckt, betrachtete er jetzt zum ersten Male die menschenleere Wohnung vor sich mit wirklicher Aufmerksamkeit.

Das Haus besaß nichts Bemerkenswerthes, außer der ungemeinen Verödung, deren Gepräge es trug, was zum Theil seiner einzelnen Lage, theilweise aber auch dem ungewöhnlichen Mangel an allen Zierathen auf der Straßenseite zu entspringen schien. Es war zu umfangreich, um die Wohnung eines Armen sein zu können, zu sehr von Prunk und Zierathen entblößt, um der Palast eines Reichen zu sein. Vielleicht hatte es einein Bürger der Mittelklasse gehört —— vielleicht auch einem mürrischen Nordländer, einem einsam lebenden Egypter, einem ränkesüchtigen Juden. Obgleich es aber an sich keinen auffallenden oder entschiedenen Charakter besaß, fühlte doch der Gothe eine räthselhafte fast unwiderstehliche Neugier, sein Inneres zu untersuchen. Er konnte sich keinen Grund für die Sache angeben, keinen Vorwand für die Handlung der Sinne, als er die vor ihm liegenden Stufen hinaufstieg. Wenn Alarich selbst plötzlich seine Rückkehr geboten, wenn Beweise unleugbarer Verrätherei um das einsame Gebäude sichtbar gewesen wären, als er die unverriegelte Thür desselben aufstieß, hätte er doch, wie er fühlte, seinen Weg fortsetzen müssen.

Im nächsten Augenblicke hatte er das Haus betreten. Das Licht fiel durch die offene Thür in den düsteren Hausgang, der Abendwind eilte seiner Spur nach, pfiff schrill und traurig zwischen den steinernen Säulen und in den verborgenen Ritzen und unbewohnten Gemächern im ersten Stock. Es war kein Lebenszeichen zu erblicken, man vernahm keinen Schritt, kein Gegenstand des Hausrathes war zu sehen. Außerhalb lagen die verlassenen Vorstädte wie eine Wüste und dieses leere Haus glich im Innern einem Grabmal denn es war zwar leichenleer, sprach aber doch mit beredter Stimme vom Tode.

Diese gruftartige einsame Halle besaß einen unerklärlichen Zauber für die Augen des Gothen. Er blieb bewegungslos am Eingange stehen und blickte träumerisch in die düstere, leere Räumlichkeit vor ihm, bis ein heftiger Windstoß plötzlich die äußere Thür weiter zurückwarf und zu gleicher Zeit einen stärkeren Lichtstrom einließ.

Das Haus war nicht leer. In einer Ecke des Hausgangs, die bisher in Dunkelheit versunken gewesen war, kauerte eine schattenartige Gestalt. Sie war in ein dunkles Gewand gehüllt und zu einer unerklärlichen und ungewöhnlichen Form zusammengesunken. Das Einzige an ihr, was verrieth, daß es ein menschliches Wesen war, bestand in einer weißen Hand, welche die schwarze Draperie zusammenhielt und im kalten Mondlichte fast einen gespenstischen Kontrast mit derselben bildete.

Unbestimmte Erinnerungen an den Aberglauben der alten Religion seines Volkes zogen beim ersten Anblicke des gespensterartigen Bewohners der Halle durch die Erinnerung des jungen Gothen. Als er in gefesselter Aufmerksamkeit vor der bewegungslosen Gestalt stand, begann sie bald denselben seltsamen Einfluß auf seinen Willen zu üben, welchen schon das einsame Haus gehabt hatte. Er schritt langsam auf die niedergekauerte Gestalt zu;

Das räthselhafte Wesen machte bei dem Geräusch seines Näherkommens keine Bewegung, die blasse Hand hielt immer noch mit derselben starren Unbeweglichkeit den Mantel über der zusammengesunkenen Gestalt, so tapfer er auch war, schauderte Hermanrich doch, als er sich niederbeugte und die blutleeren, eisigen Finger berührte. Bei dieser Berührung sprang die Gestalt, wie von einem elektrischen Funken getroffen, plötzlich auf.

Als die Falten des dunkeln Mantels zurücksanken, zeigte sich ein Gesicht, dessen Farbe eben so bleich war, wie die der steinernen Säulen ringsumher und die Stimme des einsamen Wesens wurde hörbar und sprach in leisen, eintönigen Klängen die Worte:

»Er hat mich vergessen und verlassen! —— tödte mich, wenn Du willst! — ich bin zum Sterben bereit!«

So gebrochen und tonlos sie auch war, ließ sich doch in dieser Stimme noch eine Spur von ihrem alten Wohllaut erkennen, strahlte in jenem ausdruckslosen, matten Auge doch noch etwas von der ihm innewohnenden Milde. Mit einem plötzlichen Rufe des Mitleids und der Ueberraschung that der Gothe einen Schritt vorwärts, richtete die zitternde Ausgestoßene in seinen Armen auf, verließ das einsame Gebäude, stand im nächsten Augenblicke im Freien unter dem Sternenhimmel und war wieder mit dem Schützling, welchen er verlassen, mit Antoninen, die er verloren hatte, vereinigt.

Er redete ihr zu, liebkoste sie, flehte sie um Verzeihung an, versicherte sie seiner künftigen Fürsorge, aber sie antwortete weder, noch erkannte sie ihn. Sie blickte kein einziges Mal in sein Gesicht aus, bewegte sich nicht in seinen Armen, bat nicht um Gnade. Sie gab kein Zeichen von Leben oder Besinnung, außer daß sie in regelmäßigen Zwischenräumen mit stöhnender Stimme rief:

»Er hat mich vergessen und verlassen!« als ob dieser eine Ausruf für sie zugleich das Geständniß der Nutzlosigkeit ihres Lebens und ihre Wehklage um ihren erwarteten Tod umfasse.

Das Gesicht des Gothen erbleichte bis an seine Lippen. Er begann zu fürchten, daß ihre Geisteskräfte so vielen Prüfungen unterlegen seien. Er eilte mit zitternden, ungewissen Schritten mit ihr dem Freien zu, denn er hegte eine träumerische, instinktmäßige Hoffnung, daß der Anblick jener Wälder und Felder und Berge, welche sie ihm bei ihren früheren Bitten um Schutz gepriesen hatte, jetzt durch ihren Anblick das Bewußtsein des Mädchens wiederherstellen könnten.

Er lief vorwärts, bis er die Vorstadt wenigstens eine Viertelstunde weit hinter sich und eine Anhöhe erreicht hatte, die auf beiden Seiten durch hohe beraste Abhänge und Baumgruppen begrenzt war und eine schmale, aber doch wechselvolle Aussicht auf das Thalgelände unterhalb und die jenseits desselben ausgebreiteten fruchtbaren Ebenen gestatten.

Hier hielt der Krieger mit seiner Bürde an, setzte sich auf den Rasen und versuchte von Neuem die fortdauernde Verwirrung und Furcht des Mädchens zu beseitigen. Er dachte nicht an seine Wachen, die er verlassen hatte —— an seine Abwesenheit von den Vorstädten, die durch einen unerwarteten Besuch seiner Vorgesetzten im Lager in seinem verlassenen Quartiere wahrgenommen und bestraft werden könne. Der sociale Einfluß, welcher die Welt beherrscht, das Götterbild, an dessen Altar der Stolz sich beugen und die Gefühllosigkeit empfinden lernt, der milde, liebliche Einfluß, der natürlichen, ewigen Regel —— der Einfluß des Weibes, die Quelle der Tugenden, wie der Verbrechen, der irdischen Herrlichkeit, wie des irdischen Unglückes, hatte in diesem Augenblicke der Pein und Erwartung in ihm die Stimme der Pflicht zum Schweigen gebracht und alle aus seinen selbstsüchtigen Gedanken hervorgehenden Hindernisse überwunden. Er sprach jetzt zu Antoninen so lockend, wie ein Weib, so sanft, wie ein Kind. Er liebkoste sie so warm, wie ein Liebhaber, so heiter, wie ein Bruder, so gütig, wie ein Vater —— er, der rauhe, nordische Krieger, der nur zu den Waffen erzogen worden war und dessen jugendliche Bestrebungen man aus Kampf und Blutvergießen und Ruhm gelenkt hatte, selbst er war jetzt mit der zarten Beredtsamkeit des Mitleids und der Liebe, mit geschickter, Alles berücksichtigender Fürsorge —— mit ruhiger, ausdauernder Geduld begabt! Sanft und unablässig fuhr er in seiner beschwichtigenden Aufgabe fort und bald erblickte er zu seiner Freude und seinem Triumph die nahe Belohnung seiner Versuche in der langsamen Veränderung, welche allmälig im Gesicht und Wesen des Mädchens wahrnehmbar wurde. Sie richtete sich in seinen Armen auf, blickte fest, aber ohne ihn zu kennen, in sein Gesicht und dann um sich auf die helle, stille Landschaft, dann wieder aufmerksamer auf ihren Gefährten und flüsterte endlich, heftig erhebend, leise, zu mehreren Malen den Namen des jungen Gothen, indem sie ihn ängstlich und furchtsam aufschaute, als ob sie ihn fürchte und an ihm zweifle, während sie ihn wieder erkannte.«

»Du führst mich zu meinem Tode,« rief sie plötzlich, »Du, der mich einst beschützt —— Du, der mich verlassen hat —— Du verlockst mich in die Gewalt des Weibes, welches nach meinem Blute dürstet, —— o es ist entsetzlich —— entsetzlich!«

Sie schwieg, wendete ihr Gesicht ab, schauderte heftig und machte sich aus seinen Armen los; nach einer Pause fuhr sie fort:

»Den langen Tag hindurch und den kalten Abend habe ich an dem einen einsamen Orte, auf den mir bevorstehenden Tod gewartet! Ich habe meine Stunden der Erwartung ohne Klage erlitten, ich habe mit geringer Furcht und ohne Schmerz auf das Nahen meiner Feindin gelauscht, die geschworen hat, mein Blut zu vergießen! Ich habe Keinen, der mich liebt, bin ein Fremdling im Lande meines eignen Volkes und besitze nichts, wofür ich leben möchte! Aber es ist ein bitterer Schmerz für mich, in Dir den Vollstrecker meines Urtheils zu erblicken, durch die Hand Hermanrich’s dem Erbtheil des Lebens entrissen zu werden, welches zu bewahren ich so lange gerungen habe.«

Ihre Stimme hatte beim Aussprechen dieser Worte eine eindrucksvolle Schwäche und Wehmuth des Tones angenommen, ihre ruhigen, trüben Klänge verkündeten fast göttliche Resignation und Betrübniß, sie schienen zu einer geheimnißvollem unerklärlichen Harmonie mit der wehmüthigen Stille der Nachtlandschaft gestimmt zu sein. Als sie jetzt dastand und mit blassem, ruhigem Gesicht und sanften, thränenlosen Augen in den Himmel aufblickte, dessen Mondstrahlen weich ihre Gestalt beschienen, konnte kaum die das Nahen ihres Engelsboten erwartende heilige Jungfrau mit einer reineren, einfacheren Schönheit geschmückt gewesen sein, als diejenige, welche jetzt auf den Zügen des von Numerian verstoßenen Kindes thronte.

Seiner Bewegung nicht länger Herr, mit Ehrfurcht, Schmerz und Verzweiflung erfüllt, als er auf das Opfer seines herzlosen Unmuths blickte, beugte sich Hermanrich zu den Füßen des Mädchens nieder und flehte mit den leidenschaftlichen Tönen echter Reue um Verzeihung, indem er sie seines Schutzes und seiner Liebe versicherte. Alles, was der Leser bereits erfahren hat, die bitteren Selbstvorwürfe des Abends, die bekümmerten Wanderungen der Nacht, die geheimnißvolle Anziehungskraft, welche ihn zu dem einsamen Hause geführt hatte, seine Freude, als er wieder seinen verlorenen Schützling —— entdeckte, alle diese Bekenntnisse schüttete er jetzt in der ungeschminkten Beredtsamkeit tief innerlicher Bewegung und wahrer Bekümmerniß aus.

Allmälig erwachte Antonina beim Vernehmen seiner Worte überrascht aus ihrer Zerstreuung. Der Ausdruck seines Gesichts und das Innige seines Wesens wirkte, mit dem instinktmäßigen Scharfsinn ihres Geschlechts und ihrer Lage betrachtet, mit freundlichem, heilendem Einflusse auf ihren Geist. Sie schrak plötzlich auf, eine helle Röthe flog über ihre farblosen Wangen, sie beugte sich nieder und blickte ernst und forschend in das Gesicht des Gothen. Ihre Lippen bewegten sich, aber ihre schnellen, convulsivischen Athemzüge erstickten die Worte, welche sie vergebens zu bilden versuchte.

»Ja,« fuhr Hermanrich, aufstehend und sie wieder an sich ziehend, fort, »Du sollst nie wieder trauern, nie wieder fürchten, nie wieder weinen! Obgleich Du Deinen Vater verloren hast und die Leute Deines Volkes Dir fremd geworden sind, obgleich Du bedroht und verstoßen worden bist, sollst Du doch schön, doch glücklich bleiben, denn ich werde über Dir wachen und Dir soll nie ein Leides widerfahren. Ich werde für Dich arbeiten und Du sollst nie Mangel haben. Ich will Volk und Verwandte, Ruhm und Pflicht verlassen, um Dir das Verlorene wieder zu ersetzen.«

Die jugendliche Frische und Hoffnung kehrte in das Herz des Mädchens zurück, wie Wasser in die lange versiegte Quelle, als der junge Krieger innehielt. Die Thränen standen in ihren Augen, aber sie seufzte weder, noch sprach sie. Ihr ganzer Körper bebte im Uebermaß ihres Erstaunens und Entzückens, während sie ihn anblickte und zu lauschen fortfuhr, als er weiter sprach:

»Fürchte also nichts mehr für Deine Sicherheit. Goiswintha, vor der Du Dich entsetzest, ist fern von uns. Sie weiß nicht, daß wir hier sind, sie kann jetzt unsere Schritte nicht mehr verfolgen, um Dir zu drohen oder weh zu thun. Denke nicht mehr daran, wie Du gelitten hast und ich gesündigt habe! Denke nur, wie bitter ich die Trennung des Morgens bereuet und wie freudig ich die Begegnung des Abends bewilllommne. O Antonina, Du bist mit wunderbarer Lieblichkeit bekleidet, Du besitzest eine vervollkommnete Jugend, die nichts vom Kinde an sich hat. Deine Worte sinken mit dem Wohlklange eines Liedes aus alter Zeit in meine Ohren, es ist wie ein Traum von den Geistern, die meine Väter anbeteten, wenn ich aufblicke und Dich an meiner Seite sehe.«

Ein aus Verwirrung, Freude und Ueberraschung gemischter Ausdruck zog über das halbabgewendete Gesicht des Mädchens, während es dem Gothen zuhörte. Antonina erhob sich mit einem Lächeln unnennbarer Dankbarkeit und Entzückung und deutete auf die vor ihnen liegende Aussicht, während sie leise entgegnete:

»Laß uns etwas weiter gehen, bis dahin, wo der Mond unten die Wiese bescheint. Das Herz will mir an diesem schattigen Orte zerspringen. Laß uns das Licht dort aufsuchen es scheint glücklich zu sein wie ich.«

Sie schritten weiter und unterwegs erzählte sie ihm wieder von den Kümmernissen des vergangenen Tages, von ihrem einsamen und verzweifelten Wege von seinem Zelte nachdem alleinstehenden Hause, wo er sie am Abend gefunden, und wo sie sich von Anfang an darein ergeben hatte, einen Tod zu erwarten, der zu der Zeit wenig Schreckliches für sie besaß. In dieser Erneuerung ihrer traurigen Geschichte lag keine Spur von Vorwurf oder von Klage. Es geschah nur um sich von Neuem an den entzückenden Ausdrücken der Reue und Hingebung zu erquicken, welche dieselbe, wie sie wußte, von Hermanrich’s Lippen locken würde, daß sie jetzt daran dachte, nochmals die Geschichte ihrer Schmerzen an ihn zu richten.

Während sie immer weiter gingen, während das Mädchen der rauhen, glühenden Beredtsamkeit der Sprache des Gothen lauschte, während es auf die stille Landschaft und den milden, durchsichtigen Nachthimmel blickte, gewann ihr Geist, der selbst unter dem Drucke der heftigsten Gefühle stets elastisch, stets bereit gewesen war, seine gewohnte gesunde Stimmung und Hoffnung wieder zu erlangen, von Neuem seine frühere Spannkraft und nahm sein gewohntes Gleichgewicht wieder an.

Von Neuem begann sich ihr Gedächtniß mit seinen geliebten Erinnerungen zu erfüllen, und ihr Herz sich seiner unschuldigen Wünsche und visionären Gedanken zu erfreuen. Trotz aller ihrer Befürchtungen und Leiden schritt sie jetzt dahin mit einem Charakter gesegnet, den der Schmerz nicht lange verdunkeln und die Vernachlässigung nicht zu verzerren vermochte, immer noch so glücklich in sich selbst, auch jetzt so vergeßlich für ihre Vergangenheit, so hoffnungsvoll für ihre Zukunft, wie an jenem ersten Abende, wo wir sie in ihres Vaters Garten zu den Klängen ihrer Laute singen hörten. Unmerklich, wie sie vorwärts gingen, waren sie vom Wege abgeschweift, hatten einen Nebenpfad betreten und standen jetzt vor einem Thore, das zu einem kleinen von Gärten und Weinbergen umgebenen Bauernhause führte, welches gleich den Vorstädten, aus denen sie so eben kamen, beim Herannahen der Gothen von seinen Bewohnern verlassen worden mir. Sie schritten durch das Thor, gelangten auf den Rasenplatz vor dem Hause und blieben einen Augenblick stehen um sich umzuschauen.

Die Gothen hatten bereits die Wiesen ihres Grases und die jungen Bäume ihrer Aeste beraubt, um ihre Pferde damit zu füttern, hierauf aber hatte sich die Zerstörung des kleinen Gutes beschränkt. Das Haus mit seinem netten Strohdache und seinen Fensterläden von buntem Holze, der Garten mit seinem kleinen Vorrathe von Obst und seinen sorgfältig gepflegten Beeten seltener Blumen, die wahrscheinlich dazu bestimmt gewesen waren, die festliche Tafel eines Adeligen oder die Statue eines Märtyrers zu zieren, hatten für den rohen Geschmack der Soldaten Alarich’s keine Lockung geboten.

Auf dem Rasen vor der Hausthür war keine Fußspur zu sehen, der Epheu rankte sich in seiner gewohnten Ueppigkeit um die Säulen der niedrigen Hausthür und als Hermanrich und Antonina nach dem Fischteiche am Ende des Gartens schritten, schwammen die wenigen Wasservögel welche die Besitzer des Bauernhauses dorthin gesetzt hatten, auf das Ufer zu, wie um in ihrer Einsamkeit den Anblick einer menschlichen Gestalt zu bewillkommnen.

Weit entfernt davon, Traurigkeit zu erwecken, lag etwas Beschwichtigendes und Anziehendes in der Einsamkeit des verlassenen Bauernhauses Seine verheerten Wirthsschaftsgebäude und abgegrasten Wiesen, die bei Tage hätten den Eindruck der Verödung hervorbringen können, waren durch die Atmosphäre der Nacht so in die Ferne gelegt, gemildert und verdunkelt, daß sie keinen Mißton mit der herrschenden Glätte und Ueppigkeit der umgebenden Landschaft bildeten. Als Antonina die erleuchteten Felder und beschatteten Haine hier gemischt, dort einander folgend sich weithin erstrecken sah, bis sie sich an die fernen Berge schlossen, sprach die beredte Stimme der Natur, deren Zuhörer das menschliche Herz und deren Thema die ewige Liebe ist, begeisternd zu ihren aufmerksamen Sinnen. Sie streckte ihre Arme aus, während sie mit festem entzückten Blicke auf die lichte Aussicht schaute, als sehne sie sich ihre Schönheiten in eine einzige lebende Gestalt, —— in einen Geist ausgelöst zu sehen, der menschlich genug wäre, um angeredet, und sichtbar genug, um angebetet werden zu können.

»Du schöne Erde!« murmelte sie leise vor sich hin, »Deine Berge sind die Markthürme der Engel, Dein Mondenlicht ist der Schatten Gottes!«

Ihre Augen erfüllten sich mit schimmernden, glücklichen Thränen, sie wendete sich Hermanrich zu, der in ihre Beobachtung versunken dastand und fuhr fort:

»Ist es Dir nie eingefallen, daß Licht und Luft und Blumenduft Ueberbleibsel von den Schönheiten des Paradieses enthalten könnten, die mit Eva entstehen, als sie in die einsame Welt hinauswandern? Sie glühten und athmeten für das Weib und dieses lebte und war in ihnen schön! Sie waren mit einander verbunden wie der Sonnenstrahl mit der Erde, die er erwärmt, und konnte sie das Schwert des Cherubs so plötzlich scheiden? Verschlossen, als Eva hinaus ging, die hinter ihr zufallenden Thore alle Schönheit, die sich an sie geschmiegt und um sie erhoben und geglänzt hatte, in dein leeren Paradiese? Stahl sich ihr kein Strahl ihres heimischen Lichtes in die öde Welt nach? Blieb kein Eindruck von den verlorenen Blumen auf dem Busen, an den sie einst gedrückt worden sein mußten, zurück? Es kann nicht sein. Ein Theil ihrer Besitzthümer des Paradieses müssen ihr mit einem Theile ihres Lebens gelassen worden sein. Sie muß die freudenleere Luft der Erde, als sie dieselbe betrat, mit einem Hauche der duftigen Winde und einem Strahle des Sonnenscheines ihres verlorenen Paradieses veredelt haben! Sie müssen sich verstärkt haben, und strahlender geworden sein und müssen sich. jetzt mit dem langsamen Verlaufe sterblicher Jahre immer noch verstärken und strahlender werden, bis sie zu der Zeit, wo die Erde selbst ein Paradies sein wird, wieder mit der verborgenen Welt der Vollkommenheit, von welcher sie noch getrennt sind, Eines gemacht werden. Seht, wo ich auf die Landschaft hinausblicke, besitzt das Licht, welches ich erschaue, in sich also einen Schimmer vom Paradiese und die Blume, welche ich hier pflücke, einen Hauch des Duftes, welcher einst die Sinne meiner Urmutter Eva erfreute.«

Wiewohl sie hier inne hielt, als ob sie eine Antwort erwarte, bewahrte der Gothe dennoch ein ununterbrochenes Schweigen. Er war weder durch seine Natur, noch durch seine Lage befähigt, die wilden Phantasien und hochfliegenden Gedanken zu theilen, welche durch die Einwirkungen der Außenwelt aus ihrer Verborgenheit in Antoninens Herzen hervorgelockt wurden.

Das Räthselhafte seiner gegenwärtigen Lage, seine dunkle Erinnerung an die Pflichten, welche er versäumt, die Ungewißheit seines künftigen Schicksals, die Gegenwart des einsamen Wesens, welches so unzertrennlich mit Seien vergangenen Empfindungen und seiner künftigen Existenz verknüpft war und das ihn durch sein Geschlecht, sein Alter, sein Aeußeres, sein Unglück und seine Geistesgaben so seltsam anzog —— Alles dies trug dazu bei, seine Geistesfähigkeiten in Verwirrung und Ungewißheit zu bringen. Goiswintha, das Heer, die belagerte Stadt, die verlassenen Vorstädte schienen ihn wie ein Kreis von schattenhaften, drohenden Urtheilssprüchen einzunehmen und mitten in ihnen stand die junge Römerin mit ihrem beredten Antlitz und ihren begeisternden Worten, um ihn, wohin, wußte er selbst nicht, zu treiben und ihn, ohne daß er zu sagen vermochte wie, zu lenken.

Antonina legte unwillkürlich das Schweigen ihres Gefährten als Wunsch aus, die Seene und den Gesprächsgegenstand zu verändern und ging, nachdem sie noch einen Augenblick bei der Aussicht vom Garten her verweilt, wieder nach dem unbewohnten Hause voran. Sie nahmen das hölzerne Vorlegeschloß von der Thür des Gebäudes und traten, durch die Strahlen des Mondes geleitet, in das Hauptgemach desselben.

Die einfachen Zierathen des kleinen Zimmers waren ungestört geblieben und verliehen demselben, so undeutlich sie jetzt auch sichtbar wurden, in den Augen der Fremden dasselbe Aussehen bescheidenen Wohlstandes, welcher es einst wahrscheinlich seinen vertriebenen Bewohnern theuer gemacht hatte. Als sich Hermanrich neben Antoninen aus das einfache Ruhebett setzte, welches das Hauptmöbel des Zimmers bildete, und aus dem Fenster auf dieselbe Naturscene blickte, welche sie im Garten vor sich gehabt hatten, begann die zauberische Stille und Neuheit der Situation jetzt auch sein langsames Wahrnehmungsvermögen zu berühren, wie es schon früher auf den gebildeteren, empfindlicheren Geist des gedankenvollen Mädchens gewirkt hatte. Neue Hoffnungen und ruhige Gedanken erhoben sich in seinem jungen Geiste und ertheilten seinen Ausdrücken eine ungewohnte Sanftheit, seiner Stimme eine ungewohnte Weichheit, als er seine jetzt schweigsame Gefährtin anredete.

»Sage mir, Antonina, würde nicht Dein Glück vollkommen sein, wenn Du ein Haus hättest, wie dieses, mit diesem Garten, mit jener Aussicht, ohne Krieg, ohne strenge Lehrer, ohne drohenden Feind, und dabei Gesellschaft und Beschäftigungen, die Du liebst, besäßest?«

Als er sich nach dem Mädchen umsah, um dessen Antwort zu hören, bemerkte er, daß sich ihr Gesicht verändert hatte. Der frühere Ausdruck tiefen Kummers war wieder auf ihre Züge zurückgekehrt, ihre Augen waren auf den kurzen Dolch geheftet, welcher über die Brust des Gothen herabhing und der plötzlich eine Reihe trüber, unwillkommener Gedanken in ihr erweckt zu haben schien. Als sie endlich sprach, geschah es mit trüber, veränderter Stimme und einem aus Resignation und Verzweiflung gemischten Ausdruck.

»Du mußt mich verlassen, —— wir müssen uns wieder trennen,« sagte sie; »der Anblick Deiner Waffen hat mich an Alles erinnert, was ich bis jetzt vergessen, an Alles, was ich in Rom und was Du vor den Stadtmauern zurückgelassen hast. Einst glaubte ich, daß wir zusammen der uns umgebenden Verwirrung und Gefahr hätten entfliehen können, aber jetzt weiß ich, daß es besser ist, wenn Du Dich entfernst. Ach, meine Hoffnungen und mein Glück sind verschwunden, ich muß wieder allein bleiben!«

Sie hielt einen Augenblick inne, bemühte sich, ihre Selbstbeherrschung wieder zu erlangen, und fuhr dann fort:

»Ja, Du mußt mich verlassen und auf Deinen Posten vor der Stadt zurückkehre, denn am Tage des Sturmes wird, außer Dir, Niemand da sein, der für meinen Vater sorgt. Ehe ich weiß, daß er gerettet ist, ehe ich ihn wieder sehen und um Verzeihung und um Liebe anflehen kann, wage ich es nicht, mich aus der gefahrvollen Nähe Roms zu entfernen. Kehre also zu Deinen Pflichten und Deinen Kameraden und Deinen kriegerischen Beschäftigungen zurück und vergiß, wenn die Stadt gestürmt wird, weder Numerian noch Antoninen, die auf dem einsamen Felde zurückbleibt, um an Dich zu denken.«

Sie stand auf, wie, um das Beispiel zur Entfernung zu geben, aber Kraft und Entschlossenheit verließen sie und sie sank wieder, ohne weiter eine Bewegung machen oder ein Wort sprechen zu können, auf das Ruhebett zurück.

Heftige, streitende Bewegungen zogen durch das Herz des Gothen. Die Worte des Mädchens hatten die Erinnerung an seine halbvergessenen Pflichten belebt und den verschwindenden Einfluß seiner alten Erziehungs- und Stammesneigungen verstärkt. Sowohl sein Gewissen, wie seine Wünsche verhinderten ihn jetzt ihre dringende, unselbstsüchtige Bitte zu bekämpfen. Er verharrte einige Minuten lang in Ueberlegung, stand dann auf und blickte aus dem Fenster und sodann auf Antoninen und das Zimmer, in welchem sie sich befanden. Endlich näherte er sich, wie von einem plötzlichen Entschlusse belebt, wieder seiner Gefährtin und sprach:

»Es geziemt mir, zurückzukehren; ich werde Dein Gebot erfüllen und nach dem Lager gehen, aber nicht vor Anbruch des Tages, während Du, Antoninen, hier verborgen und sicher zurückbleibt. Hier kann Dich Niemand stören. Die Gothen werden die bereits ihrer Vorräthe entkleideten Felder nicht wieder besuchen, der Landmann, welchem diese Wohnung gehört, ist in der belagerten Stadt festgehalten, die, Bauern des platten Landes wagen es nicht, dem feindlichen Heere so nahe zu kommen und Goiswintha, die Du fürchtest, kennt nicht einmal die Existenz eines Zufluchtortes wie dieser. Hier wirst Du zwar einsam, aber sicher sein, hier kannst Du meine Rückkehr erwarten, wenn mir die Nacht Gelegenheit giebt, mich aus dem Lager zu entfernen, und hier werde ich Dir im Voraus mittheilen, wenn die Stadt einem Sturme anheimfallen soll. Du wirst zwar einsam, aber nicht verlass en bleiben —— wir werden nicht von einander geschieden sein. Ich werde oft zurückkehren, um Dich zu sehen und Deinen Worten zu lauschen und Dich zu lieben! Du wirst hier an diesem einsamen Orte glücklicher sein, als in der früheren Heimath, welche Du durch den Zorn Deines Vaters verloren hast.«

»O, ich werde gern bleiben —— ich werde Dich mit Freuden erwarten!« rief das Mädchen, seine strahlenden Augen zu Hermanrich’s Gesicht erhebend. »Ich werde nie wieder traurig zu Dir sprechen, ich werde Dich nie wieder an das, was ich gelitten und verloren habe, erinnern! Wie barmherzig warst Du gegen mich, als ich Dich zum ersten Male in Deinem Zelte sah, wie doppelt barmherzig bist Du hier gegen mich! Ich bin stolz, wenn ich auf Deine Größe und Deine Kraft, und. Deine schweren Waffen blicke, und daß es Dir Freude macht, bei mir zu bleiben, daß Du meinem Vater beistehen wirst, daß Du aus Deinem glänzenden Lager nach diesem Hause, wo ich bleibe, um Dich zu erwarten, zurückkehren wirst. Schon habe ich alles Weh, was mit begegnete, vergessen, schon bin ich freudiger, als ich je in meinem Leben war. Sieh, ich weine nicht nicht vor Kummer. Wenn auf meinen Wangen Thränen stehen, so sind es die Thränen der Freude, welche Jeder willkommen heißt, Thränen über die man singen und jubeln muß.«

Sie schwieg plötzlich, als ob Worte nicht im Stande seien, ihr neues Entzücken auszusprechen. Alle düsteren Empfindungen, welche sie erst vor Kurzem noch bedrückt hatten, waren jetzt völlig verschwunden und das junge, frische Herz hüpfte, immer noch über Verzweiflung und Schmerz erhaben, wieder so glücklich in der ihm natürlichen Freudenatmosphäre, wie ein Vögelchen im Sonnenschein des Morgens und Frühlings.

Wie mild und leicht gingen dann, als nach einer Pause ihre frühere Ruhe zurückgekehrt war, die stillen Stunden der Nacht an den beiden Wachenden im einsamen Hause vorüber! Wie froh enthüllte das glückliche Mädchen seine verborgenen Gedanken und seine unschuldigen Geständnisse dem Sohne eines andern Volkes und anderer Eindrücke, als der ihrigen! Alle die verschiedenartigen Ideen, welche durch die Naturgegenstände, die sie insgeheim erforscht, durch den gewaltigen Bilderreichthum ihrer Bibelkenntniß, durch die düsteren Geschichten von heiligen Visionen und Märtyrerleiden, die sie an der Seite ihres Vaters gelernt und überdacht, in ihrem Geiste erweckt wurden, kamen jetzt aus ihren geheimen Orten in ihrem Gedächtnisse hervor und drangen in das Ohr des Gothen, Wie das Kind mit der Geschichte seines ersten Spielzeugs zu seiner Wärterin eilt, wie das Mädchen sich mit dem Geständnisse seiner ersten Liebe an die Schwester wendet, wie der Dichter mit dem Plane seines ersten Werkes zum Freunde geht, so suchte Antonina die Aufmerksamkeit Hermanrich’s mit den ersten äußerlichen Offenbarungen, welche ihre Geisteskräfte genossen und dem ersten Geständnisse der in ihrem Herzen freigewordenen Empfindungen auf.

Je länger ihr der Gothe zuhörte, desto vollkommener wurde der Zauber ihrer halb dichterischen Worte und ihrer fast der Musik gleichenden Stimme. Während ihre leisen, wechselnden Töne sich in sein Ohr schlichen, wendeten sich seine Gedanken plötzlich und instinktmäßig ihren früher mitgetheilten Erinnerungen an ihre verlorene Laute zu und regten ihn an, sie mit erneutem Antheil und erhöhter Lebhaftigkeit nach der Art zu fragen, wie sie ihre Kenntniß des Singens, welche sie, wie sie sagte, besaß, erlangt habe.

»Ich habe viele Lieder vieler Dichter gelernt,« sagte sie schnell und verwirrt, indem sie die Erwähnung Vetranio’s vermied, welche eine direkte Antwort auf Herrnanrich’s Frage hätte herbeiführen müssen; »aber ich weiß davon nur die vollständig, die von Geistern und andern Welten und der unsichtbaren Schönheit handeln, an die wir denken, die wir aber nicht wahrnehmen können. Unter den wenigen derartigen, die ich kenne, befindet sich eines, welches ich zuerst gelernt habe, und das ich am meisten liebe. Ich will es singen, damit Du sicher sein kannst, daß ich Dir in meiner versprochenen Kunst nicht ermangeln werde.

Sie zauderte einen Augenblick, wehmüthige Erinnerungen an die Ereignisse, welche den letzten Worten, die sie im Garten ihres Vaters gesungen hatte, gefolgt waren, schwellten in ihrem Innern an und gestatteten ihr nicht zu reden. Bald jedoch erlangte sie ihre Fassung wieder und begann mit leisem behenden Tönen, die mit dem Charakter der Worte und der Melodie, die sie gewählt hatte, im Einklang standen, zu singen.

Sie sang von der Thräne und ihrer Sendung:

»Die Mutter, die Freude, der Vater, der Schmerz,
»Der Wohnort der Thräne ist jegliches Herz;
»Was immer das Inn’re des Menschen bewegt,
»Das wird an den Tag von der Thräne gelegt.

»Im Himmel geboren, zur Erde verbannt,
»So wandert sie jetzt noch von Lande zu Land
»Besel’gend, erleichternd bei Jedem der weint,
»Die Thrän’ als willkommene Freundin erscheint.«

Die ersten Minuten nachdem sie geschlossen hatte, wußte Hermanrich kaum, daß sie zu Ende war, und als sie zu ihm aufblickte, hatte ihre stumme Bitte um Beifall eine Beredtsamkeit, welche für den Gothen in diesem Moment durch jedes Wort geschmälert worden sein würde. Entzücken, Begeisterung und neues Leben regte sich in seinem Innern, die Stunde und der Ort vollendeten, was der Zauber des Liedes begonnen hatte. seine Augen glühten jetzt von südlicher Wärme, seine Worte nahmen jetzt eine römische Gluth an. Allmälig wurde die Stimme des Mädchens weniger häufig vernehmbar. Eine Verwandlung kam über ihren Geist, aus der Lehrerin wurde eine Schülerin.

Während sie dem Gothen zuhörte, während sie bei seinen Worten die Geburt neuer Gefühle empfand, glühten ihre Wangen, erleuchteten sich ihre Züge, schien sich ihre ganze Gestalt zu erfrischen und zu entfalten. Kein sich aufdrängender Gedanke, keine erwachende Erinnerung störte ihre verzückte Aufmerksamkeit, kein kalter Zweifel, kein düsteres Zaudern war in den Worten ihres Gefährten zu bemerken. Die Eine lauschte, der Andere sprach mit ganzem Herzen, mit ungetheilter Seele. Während eine Weltrevolution ihre Organkräfte um sie her concentrirte, während die Hauptstadt eines Kaiserreichs bereits ihrem ungeheuren Falle zuschwankte, während Goiswintha auf neue Rache sann, während Ulpius sich für seine Revolution, voll Blut und Verderben, abmühte, während alle diese dunkeln Bestandtheile des öffentlichen Unglücks und des Privatkampfes um sie her wallten und sich verstärkten, konnten sie in sich versunken die stürmische äußere Welt so völlig vergessen, konnten Sie so heiter an eine ruhige Liebe denken, konnte der Kuß so leidenschaftlich gegeben und so zärtlich erwidert werden, als ob sie das Loos ihres Lebens in die stillen Tage der Hirtendichter versetzt hätte, und die Zukunft ihrer Pflichten und Freuden sie sicher in einem Lande ewigen Friedens erwarte.



Kapiteltrenner

Band 2

Zweites Buch.

Was kommt? der Tod, der schreckenvolle Tod.
Voltaire.

Kapitel I.
Die Hungersnoth.

Das Ende des November naht sich. Seit den im vorigen Kapitel erwähnten Ereignissen ist fast ein Monat vergangen, aber die gothischen Linien ziehen sich immer noch um die Stadtmauern Rom, welches wir stolz und üppig verlassen haben, selbst während es an seinen Thoren mit Verderben bedroht war, hat nun eine furchtbare, warnende Veränderung erlitten. Jetzt, wo wir uns ihm wieder nahen, sind Pein, Schrecken und Verödung bereits ausgezogen, um seine hohen Paläste zu beschatten und seine Prächtigen Straßen zu verdunkeln.

Ueber dem Prunke, der es mit Füßen von sich stieß, über der Freude, die ihm Trotz bot, über der Fülle, die es auf seinen geheimen Rundgängen verscheuchte, hat sich endlich das Gespenst des Hungers triumphierend erhoben. Tag für Tag sind die Nahrungsmittel der Stadt spärlicher zugemessen worden, höher und höher ist der Werth der gröbsten und einfachsten Nahrung gestiegen. Die aufgespeicherten Vorräthe, welche Mitleid und Nächstenliebe bereits dem erliegenden Volke ausgetheilt, haben ihre äußersten Grenzen erreicht. Für den Reichen ist noch Korn in der Stadt vorhanden —— Schätze der Speise, die für Schätze an Gold ausgetauscht werden, für den Armen gibt es die natürliche Nahrung des Menschen nicht mehr; die Zeit der abstoßenden Mahle der Hungersnoth, die ersten Tage der Aufopferung der Vorliebe für die Noth haben finster und unwiederbringlich begonnen.

Es ist Morgen. Eine traurige, geräuschlose Menge schreitet über die kalten Steine des»großen Platzes vor der Basilika des heiligen Johannes-Lateran dahin. Die Schwachen weinen, die Starken sind düster, Alle bewegen sich mit langsamem, mattem Gange und halten in ihren Armen ihre Hunde oder andern Hausthiere. An den Säumen der Menge marschieren die hungerschwachen Hüter der Stadt und halten in ihren rauhen Händen seltene Lieblingsvögel von prächtigem Gefieder und melodischem Gesang und ihnen folgen Kinder und junge Mädchen, welche vergebens flehen und bitten, ihnen ihre Lieblinge wieder zu geben.

Dieser seltsame Zug hält endlich vor einem ungeheuren Kessel, der über einem großen Feuer in der Mitte des Platzes hängt und um welchen die Fleischer der Stadt mit blitzenden Messern und die zuverlässigsten Leute der römischen Legionen mit drohenden Waffen stehen.

Hierauf wird eine Proklamation verlesen, welche denjenigen im Volke, die kein Geld besitzen, um Nahrung zu kaufen, gebietet, ihre Hausthiere herbeizubringen, damit diese auf dem öffentlichen Heerde zusammengekocht werden und zum öffentlichen Unterhalte beitragen können.

In der nächsten Minute gehen, diesem Edikte gemäß, die stummen Lieblinge der Menge aus der liebkosenden Hand des Eigenthümers in die Faust des Fleischers über. Die schwachen Schreie der Thiere, welche halb verhungert waren, wie ihre Herren vermischten sich auf einige Augenblicke mit dem Schluchzen und Wehklagen der Frauen und Kinder, denen der größte Theil derselben gehörte. Auf dieser ersten Stufe seiner Noth war das Nagen des Hungers, welches das Mitleid zum Verlöschen bringt und den Schmerz unterdrückt, dem Volke noch unbekannt, und obgleich es schon den Muth zu verlieren begann, war es doch noch nicht bis zu der Tiefe wilder Verzweiflung gesunken, welche sich allerdings schon unsichtbar unter ihm zu öffnen begann. In den kurzen Augenblicken der Trennung zwischen Beschützer und Schützling wurden tausend Schmerzen gefühlt, tausend Trauerspiele aufgeführt. Das Kind küßte den Vogel, welcher über seinem Lager gesungen hatte, zum letzten Male, der Hund warf seinen letzten um Schutz stehenden Blick auf die Herrin, welche ihn sonst nie ohne Liebkosung empfangen hatte. Dann kam der kurze Zwischenraum des Schmerzes und Todes, dann stieg der Dampf aus dem gierigen Kessel auf und das Volk zerstreute sich auf eine Zeitlang, die Bekümmertem um in der Nähe des Feuers zu verweilen, und die Hungrigen, um ihre Ungeduld durch einen Besuch in der nahen Kirche zu stillen.

Die Marmorhallen der herrlichen Basilika enthielten eine trübe Gemeinde. Auf dem Hochaltare brannten nur drei kleine Kerzen. Keine süßen Stimmen sangen melodische Lobgesänge oder jubelnde Loblieder, die Mönche intonierten mit heiseren Tönen und einförmiger Harmonie die Bußpsalmen. Hier und da kniete eine in Trauergewänder gehüllte und in stummes Gebet versunkene Gestalt, aber unter der Mehrzahl der Versammelten herrschte entweder öde Entmuthigung oder dumpfe Unaufmerksamkeit.

Als die letzten Klänge des letzten Psalms in den hohen Wölbungen der Kirche verklungen waren, erschien an der Thür eine Prozession von frommen Christen und schritt langsam auf den Altar zu. Sie bestand aus barfüßigen in schwarze Gewänder gekleideten Männern und Frauen, die über ihr zerrauftes Haar Asche gestreut hatten. Aus ihren Augen strömten Thränen und sie schlugen sich auf die Brust, während sie ihre Stirnen auf das Marmorpflaster der Altarstufen niederbeugten.

Dieser demüthige öffentliche Ausdruck der Bußfertigkeit in dem Unglück, welches jetzt über die Stadt hereingebrochen war, beschränkte sich jedoch nur auf ihre wenigen, wahrhaft religiösen Bewohner und fand weder Theilnahme noch Aufmerksamkeit bei der herzlosem halsstarrigen Bevölkerung von Rom. Einige gaben sich immer noch der trügerischen Hoffnung auf Beistand von dem Hofe zu Ravenna hin, Andere glaubten, daß die Gothen bald ungeduldig ihre lange Blockade aufgeben würden, um ihre Verheerungen in die reichen, unbeschützten Gefilde von Süd-Italien zu tragen. Aber dasselbe blinde Vertrauen auf den verschwundenen Schrecken des Römernamens, dieselbe wilde, rücksichtslose Entschlossenheit, den Gothen bis auf den letzten Augenblick Trotz zu bieten, hielt den sinkenden Muth der großen Masse des leidenden Volkes aufrecht und unterdrückte die Muthlosigkeit desselben von dem Bettler an, der nach Abfällen umhersuchte, bis zu dem Patrizier, welcher über seine unwillkommene Nahrung von einfachem Brod seufzte.

Während die Büßer, welche die oben beschriebene Prozession bildeten, noch mit der Ausübung ihrer unbeachteten und ungetheilten Pflichten der Buße und des Gebets beschäftigt waren, bestieg ein Priester die Hauptkanzel der Basilika, um die undankbare Ausgabe zu versuchen, der hungrigen Menge zu seinen Füßen Geduld und Frömmigkeit zu predigen.

Er begann seine Predigt damit, daß er die Hauptereignisse, welche seit dem Beginn der Blockade durch die Gothen in Rom stattgefunden hatten, in das Gedächtniß der Menge zurückrief. Er berührte vorsichtig das erste Ereigniß, welches die Annalen der Stadt befleckt hatte. Die Hinrichtung der Wittwe des römischen Generals Stilicho auf den unbegründeten Verdacht hin, daß sie in verräterischem Verkehr mit Alarich und dem feindlichen Heere stehe. Er verbreitete sich ausführlich über die Besprechungen von Beistand, welche nach jener unglückverkündenden That von Ravenna her übersendet worden waren. Er sprach mit Bewunderung von der Geschicklichkeit, welche die Regierung dadurch bewiesen hatte, daß sie augenblicklich die nöthige Verminderung in dem täglichen Verbrauch von Speisen eintreten ließ. Er beklagte den furchtbaren Mangel, welcher diesen von der Zeit gebotenen Einschränkungen nur zu unvermeidlich gefolgt war. Er hielt eine beredte Lobrede auf die edle Mildthätigkeit Läta’s, der Wittwe des Kaisers Gratian, die mit ihrer Mutter die durch ihre kaiserlichen Einkünfte erlangten Mundvorräthe dazu anwendete, in diesem wichtigen Augenblicke die hungernden und entmuthigten Armen zu unterstützen. Er gestand die neue Noth zu, welche auf die Zersplitterung von Läta’s Vorräthen gefolgt war, klagte über die gegenwärtige Nothwendigkeit, die Hausthiere der Bürger aufzuopfern, verdammte die ungeheuren Preise, welche jetzt für die letzten Ueberbleibsel an gesunder Nahrung, welche noch in der Stadt vorhanden waren, gefordert wurden, verkündete es als die feste Ueberzeugung eines Jeden. daß in wenigen Tagen von Ravenna Hilfe kommen werde, und endete damit, daß er seiner Zuhörerschaft mittheilte, sie könne, da sie schon so viel gelitten habe, geduldig noch ein wenig länger leiden und würde, wenn sie nach dem so unglücklich wäre, ihrer Noth zu erliegen, einen edlen Trost darin finden, daß sie für das katholische und apostolische Rom sterbe und sicherlich von der nächsten Generation der Frommen in dem ersten Zwischenraume des Friedens als Heilige und Märtyrer kanonisiert werden würde.

So geläufig auch die Beredtsamkeit dieser Predigt war, besaß sie doch nicht die Macht, auch nur einen von Denjenigen, an welche sie gerichtet war, zum Vergessen des Gefühls seiner gegenwärtigen Leiden zu bewegen und seine Aufmerksamkeit aus die künftigen, vortheilhaften Aussichten, welche der wortreiche Priester allen seinen Zuhörern bot, zu heften. Mit demselben Murren zänkischer Klage und denselben Ausdrücken ohnmächtigen Hasses und Trotzes gegen die Gothen, welche ihr entfallen waren, als sie in die Kirche trat, entfernte sieh jetzt die. Menge aus derselben, um von den Händen der städtischen Beamten das kärgliche Maß widerlicher Nahrungsmittel zu empfangen, welches in dem Kessel aus dem öffentlichen Platze zur Stillung ihres Hungers bereitet worden war.

Und siehe, schon drängen sich von anderen Orten des benachbarten Stadttheils von Rom ihre Mitbürger auf das gegebene Signal herbei, um sich Denjenigen, welche um den Kessel herstehen, anzuschließen. Die matte Schildwache wendet, von ihrem Posten abgelöst, ihren Blick von der traurigen Aussicht aus das gothische Lager ab und eilt, ihren Antheil an dem öffentlichen Mahle entgegenzunehmen Der Bäcker springt vom Schlafe auf seinem leeren Ladentische auf der Bettler erhebt sieh von seinem Lager in dem unbenutzten Schlachthause des Fleischers, der Sklave verläßt seinen Posten an dem glimmenden Küchenfeuer —— Alle eilen herbei, um die Zahl der zu dem elenden Mahle geladenen Gäste zu verstärken. Schnell und allgemein strömt die Gemeinde der Basilika durch ihre hohen Pforten, die Priester und Büßer entfernen sich von dem Fuße des Altars und in der großen Kirche, welche vor wenigen Augenblicken noch so menschenvoll gewesen war, ist jetzt nur noch die Gestalt eines einzigen Mannes vorhanden.

Seit dem Beginn des Gottesdienstes ist dieses einsame Wesen weder angeredet, noch beobachtet im Kreise der Gemeinden umhergeschwankt und hat lange und sehnsuchtsvolle Blicke auf die sich seinen Augen bietenden Gesichter geworfen. Seht, wo die Predigt zu Ende ist und der letzte Zuhörer die Kirche verlassen hat, wendet er sich von der Stelle ab, wo er ängstlich die verschiedenen Mitglieder der sich entfernenden Menge beobachtet hat und knieet schwach am Fuße einer nahen Säule nieder. Seine Augen sind hohl und seine Wangen bleich, seine dünnen, grauen Haare hängen unordentlich um seinen greisen Kopf. Er macht keinen Versuch, der Menge zu folgen und an ihrer Nahrung Theil zu nehmen, es ist Niemand zurückgeblieben, um ihn dazu zu treiben, es kehrt Keiner zurück, um ihn zu der öffentlichen Mahlzeit zu führen. Wiewohl schwach und alt, ist er in seiner Einsamkeit doch völlig verlassen, in seinem Schmerze völlig ungetröstet, seine Freunde haben jede Spur von ihm verloren, seine Feinde haben jetzt aufgehört, ihn zu fürchten oder zu hassen. Wie er so allein an der Säule knieet, bedeckt er seine Stirn mit den abgezehrten, zitternden Händen, seine trüben Augen füllen sich mit bitteren Thränen und in den Zwischenräumen seiner tiefen Seufzer hört man Ausdrücke wie diese:

»Ein Tag nach dem anderen —— ein Tag nach dem andern! und die Verlorene findet sich nicht, meine Geliebte und Gekränkte ist mir nicht wiedergegeben! Antonina! Antonina!«

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

»Einige Tage nach der öffentlichen Vertheilung von Lebensmitteln auf dem St. Johannes Lateranplatze konnte man Vetranio’s Lieblings-Freigelassenen traurig und langsam auf dem Heimwege nach den Palaste seines Herrn sehen.

Nicht ohne Grund war der Schritt des klugen Carrio langsam, wie bei einem Leichenbegräbnisse und der Ausdruck seines Gesichts untröstlich. Selbst während der kurzen Periode, welche seit der bereits beschriebenen Scene in der Basilika verflossen war, hatte sich die Lage der Stadt furchtbar verschlimmert. Die Hungersnoth rückte mit Riesenschritten vorwärts, jede Stunde begabte sie mit neuer Kraft, jeder Versuch, sie zurückzuweisen, diente nur dazu, ihren sich verbreitenden Alles überwältigenden Einfluß zu vermehren. Eins nach dem andern nahmen die Vergnügungen und die Beschäftigungen der Stadt unter dem traurigen Drucke des allgemeinen Uebels ab, bis der Geist des Publikums in Rom unter allen Klassen gleichmäßig von einem düsteren Gedanken beherrscht wurde —— dem verzweifelnden den Trotz gegen die Hungersnoth wie gegen die Gothen.

Der Freigelassene trat, von den einst unterwürfigen Sklaven im Pförtnergemache weder begrüßt, noch bewillkommnet, in den Palast seines Herrn. Weder Harfen noch Sängerknaben, weder das schallende Gelächter der Frauen, noch die bacchische Lustigkeit von Männern erweckte jetzt das Echo in den einsamen Hallen. Der Puls der Freude schien in dem düsteren, verwandelten Hause Vetranio’s seinen letzten Schlag gethan zu haben. Carrio beschleunigte beim Eintreten in das Haus seine Schritte und begab sich in das-Gemach, wo ihn der Senator erwartete.

Auf zwei durch einen kleinen Tisch getrennten Ruhebetten lehnten der Herr des Palastes und seine Schülerin und Gefährtin .von Ravenna, die einst muntere Camilla. Vetranio’s offene Stirn hatte einen bewölkten, strengen Ausdruck angenommen, und er betrachtete weder seine Besucherin, noch redete er sie an, während diese ihrerseits eben so schweigsam und traurig, wie er selbst, war. Jede Spur von den früheren Kennzeichen des heitern, eleganten Wollüstlings und des munteren geschwätzigen Mädchens schien gänzlich verschwunden zu sein. Auf dem Tische zwischen ihnen stand eine große Flasche mit, Falerner Wein und ein Gefäß mit einer kleinen Quantität wässeriger Suppe, in deren Mitte ein winziger Teigkuchen schwamm, der kärglich mit gemeinen Kräutern gewürzt war. Was den gewöhnlichen Zubehör von Vetranio’s üppigem Privatleben betraf, so war, er nirgends zu sehen. Gedichte, Gemälde, Juwelen, Lauten, kurz Alles war verschwunden, selbst die unschätzbare Katze von der Zucht, welche die alten Egypter am höchsten verehrten, war nicht mehr zu erblicken. Sie war von einem entlaufenen Sklaven gestohlen, gekocht und verzehrt und ihr Rubinenhalsband gegen einen magern Papagei und die ungebratene Hälfte eines geschlachteten Hundes vertauscht worden.

»Ich beklage es gestehn müssen, werthgeschätzter Patron, aber meine Sendung ist mißlungen,« bemerkte Carrio, indem er mehrere Säcke mit Geld und Kisten mit. Juwelen unter seinem Mantel hervorzog und die selben vorsichtig auf den Tisch niedersetzte. Der Präfekt hat selbst der Durchsuchung der öffentlichen und Privatmagazine beigewohnt und ist zu der Ueberzeugung gelangt, daß in der Stadt keine Handvoll Getreide mehr existirt.Ich habe öffentlich, auf dem Marktplatze fünftausend Sesterzien für einen lebenden Hahn und eine Henne geboten, aber die Antwort erhalten, daß das Geschlecht längst ausgerottet sei und da für Geld keine Nahrung mehr erlangt werden könne, selbst für den ärmsten Bettler von Rom das Geld nichts Wünschenswerthes mehr an sich habe. Sogar von dem Heu, welches ich gestern kaufte, ist jetzt auch für die freigebigste Bezahlung nichts mehr zu erlangen. Diejenigen, welche noch einen geringen Vorrath an Lebensmitteln besitzen, bewahren und verbergen denselben mit der eifersüchtigsten Sorgfalt. Ich habe weiter nichts thun können, als mir für den Bedarf der wenigen noch im Hause gebliebenen Sklaven diesen kleinen Vorrath von Hundefellen zu verschaffen, welche vor einigen Tagen bei der öffentlichen Vertheilung auf dem St. Johannes Lateranplatze zurückbehalten worden waren.«

Und der Freigelassene zeigte bei diesen Worten mit einem Gemisch von Triumph und Ekel seinen Vorrath von schmutzigen Häuten.

»Was für Mundvorräthe befinden sich noch in unserm Besitz!« fragte Vetranio, nachdem er einen tiefen Zug von dem Falerner gethan hatte, indem er seinem Diener einen Wink gab, ihm seine kostbare Last aus den Augen zu schaffen.

»Ich habe, da ich nicht weiß, wie bald der Hunger die Sklaven zum ungehorsam bringen kann, an einem sichern Orte sieben Säcke Heu, drei Körbe mit eingesalzenen Pferdefleisch, eine Confirurenschachtel mit Hafer und eine zweite mit getrockneter Petersilie versteckt. Die seltenen indianischen Singvögel befinden sich noch unverletzt im Vogelhause und überdies haben wir noch einen großen Vorrath von Gewürzen und einige Flaschen von der Nachtilgallensauce.«

»Wie sieht es jetzt in der Stadt aus?« unterbrach ihn Vetranio ungeduldig.

»Rom ist düster wie ein unterirdisches Grabmal,« antwortete Carrio schaudernd. »Das Volk versammelt sich in stummen, hungrigen Gruppen an den Thüren feiner Häuser und den Ecken der Straßen. Die Schildwachen der Mauern schwanken auf ihren Posten. Weiber und Kinder schlafen erschöpft auf dem Steinpflaster der Kirchen, die Theater sind eben so leer von Zuschauern, wie von Schauspielern, die Bäder hallen vom Geschrei nach Nahrung und Flüchen auf die Gothen wieder; schon werden in den offenen unbewachten Läden Diebstähle begangen und die Barbaren bleiben unbeweglich in ihrem Lager, ohne daß sich ihnen die versprochenen Legionen von Ravenna nähern, und greifen uns weder in unserer Schwäche an, noch bereiten sie sich darauf vor, die Blockade aufzuheben. Unsere Lage wird immer gefahrvoller —— ich habe große Hoffnung auf unsere Mundvorräthe, aber ——«

»Wirf Deine Hoffnungen dem Hofe von Ravenna und Dein Viehfutter dem heulenden Pöbel vor!« rief Vetranio mit plötzlicher Energie. »Es ist jetzt zu spät, um nachzugehen. Wenn uns nicht die paar nächsten Tage Hilfe bringen, so wird die Stadt ein menschliches Schlachthaus werden, und denkst Du, daß ich, der ich bereits bei dieser öffentlichen Aufhebung der geselligen Freuden meine Vergnügungen, meine Beschäftigungen und meine Gefährten verloren habe, ruhig auf dem langsamen, gemeinen Tod warten werde, der dann uns Alle bedrohen muß? Nein, es darf nicht gesagt werden, daß ich mit der Heerde verhungert sei, wie ein Sklave, den sein Herr verlassen hat! Wenn auch die Schüsseln meiner Festhalle jetzt leer sein müssen, so sollen doch meine Vasen und Weinbecher noch für meine Gäste funkeln. Im Keller befindet sich noch Wein und in der Vorrathskammer Gewürze und Wohlgerüche! Ich will meine Freunde zu einem letzten Gastmahle, einer Saturnalie in einer ausgehungerten Stadt, einem Banket des Todes einladen, welches durch die erheiternden Bemühungen Silens und seiner Faunen geliefert werden soll! Obgleich die Parzen mir das Schicksal eines Hundes gesponnen haben, so ist es doch die, Hand des Bacchus, welche den Faden durchschneiden soll!«

Seine Wangen waren erhitzt, seine Augen funkelten, die ganze wahnsinnige Energie seines Entschlusses wurde bei diesen Worten auf seinem Gesichte erkennbar, er war nicht mehr der leichte, liebenswürdige, glattzüngige Stutzer, sondern ein mürrischer, rücksichtsloser, verzweifelter Mensch, der sich um keine Pflicht und Beschäftigung mehr kümmerte, welche bisher auf die ruhige Oberfläche seines Patrizierlebens Einfluß geübt hatte. Camilla, welche bis jetzt ein trauriges Schweigen bewahrt, eilte mit entsetzen Blicken und strömenden Thränen auf ihn zu. Carrio starrte in verblüfftem Erstaunen auf das verstörte Gesicht seines Herrn, vergaß sein Bündel von Hundefellen und ließ dasselbe unbeachtet auf den Boden fallen. Es trat eine kurze Pause ein, welche plötzlich durch das ungemeldete Eintreten einer vierten blassen, zitternden, athemlosen Person unterbrochen wurde, die kein Anderer war als Vetranio’s früherer Besucher, der Präfekt Pompejanus.

»Ich heiße Dich zu meinem bevorstehenden Gastmahle überströmender Weinbecher und leerer Schüsseln willkommen!« rief Vetranio, indem er den funkelnden Falerner in sein leeres Glas schüttete. »das letzte Gastmahl, welches vor der Vernichtung der Stadt in Rom gegeben wird, soll das meine sein. Die Gothen und die Hungersnoth sollen an meinen letzten Augenblicken keinen Theil haben! —— Die Freude soll bei meinem Tode den Vorsitz führen, wie sie es mein ganzes Leben lang gethan hat! Ich werde sterben, wie Sardanapal, von meinen Geliebten und Schätzen umgeben und der letzte meiner Gäste, welcher bei unserem Feste nüchtern bleibt, soll meinen Palast anzünden, wie der königliche Assyrier den seinen

»Wir leben in keiner Zeit zum Scherze!« rief der Präfekt, indem er sich mit verwirrten Blicken und farblosem Gesicht umsah. »Unser Elend beginnt erst jetzt! In der nächsten Straße liegt die Leiche eines Weibes und —— eine entsetzliche Vorbedeutung! um ihren Hals haben sich Schlangen gewickelt! Wir haben keinen Begräbnißplatz, um sie und die Tausende zu beerdigen, welche gleich ihr sterben können, ehe uns Hilfe zu Theil wird! Die städtischen Grabmäler vor den Mauern befinden sich in den Händen der Gothen. Das Volk steht, von Entsetzen überwältigt, um die Leiche her, denn es hat jetzt eine furchtbare Wahrheit entdeckt, die wir ihm gern verborgen haben würden ——«

Hier hielt der Präfekt inne, blickte seine Zuhörer schreckensvoll an und fügte mit leiser, bebender Stimme hinzu:

»Die Bürger liegen verhungert auf den Straßen von Rom!«



Kapiteltrenner

Kapitel II.
Die Stadt und die Götter.

Wir kehren wieder zu dem gothischen Lager in der Vorstadt, östlich vom Pincischen Thore, und zu Hermanrich und den Kriegern unter seinem Befehl zurück, welche sich noch in jenem Theile des großen Kreises der Blockcade befinden.

Die Bewegungen des jungen Häuptlinge von einem Posten zum andern ließen in ihrer Verschiedenartigkeit und Schnelligkeit die Unruhe, welche seinen Geist bewegte, erkennen. Er blickte häufig, von den ihn umgebenden Kriegern nach dem abgelegenen Theile der Vorstadt und wendete von Zeit zu Zeit seine Blicke dem westlichen Horizonte zu, als ob er mit Aengstlichkeit das Nahen einer bestimmten Stunde der bevorstehenden Nacht erwarte. Endlich müde geworden, Beschäftigungen fortzusetzen, welche seine Ungeduld offenbar mehr reizten als beschäftigten, wendete er sich plötzlich von seinen Leuten ab, schritt auf die Stadt zu und ging langsam auf dem freien Raume zwischen der Vorstadt und den Mauern von Rom hin und her.

Von Zeit zu Zeit fuhr er fort, das ihn umgebende Schauspiel zu betrachten. Man kann sich kaum auf der Erde oder am Himmel etwas Traurigeres denken, als die Aussicht, welche ihm jetzt zu Theil wurde. Der trübe, sonnenlose Tag näherte sich seinem Ende und der Himmel versprach eine stürmische Nacht. Dichte, schwarze Schichten von formlosen Wolken hingen über dem ganzen Firmament, mit Ausnahme des Westens, wo ein Streifen blassen, gelben Lichtes lag, der auf allen Seiten von den festen, unabgestuften, unregelmäßigen Rändern der düsteren Dunstmassen rund umher eingeschlossen war.

In der ganzen Atmosphäre herrschte tiefe Stille, selbst der Wind säuselte nicht mehr in den Bäumen. Die Bewegung und Thätigkeit in der Existenz der Natur und dem Leben des Menschen schien völlig gefesselt, unterdrückt, erstickt zu sein. Die Luft war mit einer drückenden Hitze geschwängert und alle belebten und leblosen Dinge auf Erden fühlten die Last, welche die höheren Elemente auf sie warfen. Das Volk, welches nach Athem keuchend in der von Hungersnot gepeinigten Stadt lag, war diesem schwächenden Drucke eben so sehr unterworfen, wie die Grashalme, welche verschmachtend auf dem dürren Rasen vor den Mauern welkten.

Als die Stunden allmälig vergingen und die Nacht langsam heranschlich, überzog eine monotone Dunkelheit, die Hermanrich von der einsamen Stelle, an welcher er sich befand, sichtbaren Gegenstände einen nach dem andern. Bald verschwamm die Stadt zu einem ungeheuren, undurchdringlichen Schatten, während die Vorstädte und das niedere Land um sie her in der dichten Finsterniß verschwand, welche sich wahrnehmbar über der Erde sammelte; und jetzt war der einzige deutlich sichtbare Gegenstand die Gestalt einer müden Schildwache, welche auf der drohenden Zinne unmittelbar über der gespaltenen Mauer postiert war und auf ihre Waffe gestützt einen harten Abstich gegen den drinnen, einsamen Lichtstreifen bildete, welcher noch in der kalten Wolkenwüste des Westhimmels schimmerte.

Als die Nacht noch weiter vorrückte, verbleichte und verschwand aber auch dieser eine Lichtstreifen und mit ihm die Schildwache samt der Mauer, auf welcher sie postiert war. Die Herrschaft der Finsterniß wurde jetzt allgemein. Dicht und schnell überzog sie die ganze Stadt mit erschreckender Plötzlichkeit, als habe das furchtbare Schicksal, welches sich jetzt in Rom erfüllte, die äußeren Eigenthümlichkeiten der Nacht zur Harmonie mit seiner eigenen Wehe verkündenden Natur gezwungen.

Als der junge Gothe noch auf seinem beobachten Posten verharrte, wurde das lange, leise, bebende Rollen fernen Donners großartig hörbar. Es schien aus fast unberechenbarer Ferne zu kommen; vom-seiner Wiege im eisigen Norden zu erklingen; an den einsamen Polen um seine mit Eis umgürteten Gemächer zu ziehen. Es machte die traurige, geheimnißvolle Stille der Atmosphäre eher noch tiefer, als daß es sie unterbrochen hätte. Auch die Blitze besaßen eine sommerliche Weichheit in ihrem geräuschlosen, häufigen Aufleuchten. Es war nicht das zackige Blitzen des Winters, sondern eine flackernde, warme Helle, die, in ihrer leichten, schnellen Wiederkehr fast bezaubernd und mit der Gluth des Himmels, nicht aber mit dem grellen Schein der Hölle gefärbt war.

Es herrschte weder Wind noch Regen und die Luft war so still, als schlafe sie in der Kindheit einer neuen Schöpfung über dem Chaos.

Unter den Gegenständen, die auf Augenblicke den Augen Hermanrich’s durch die Blitze sichtbar wurden, ließ sich keiner leichter und deutlicher erkennen, als die breite, ununterbrochene Oberfläche der gespaltenen Mauer. Die großen lockern Steine, welche hier und da an ihrem Fuße verstreut waren und die überhangende Decke ihrer breiten Zinne erschienen deutlich, wenn auch nur vor übergehend, in den kurzen Augenblicken ihrer Erleuchtung. Die Blitze hatten eine Zeitlang um die Festungswerke und den sich unmittelbar jenseits derselben erstreckenden nackten Boden gespielt, als die platte Fläche, welche man so auf Augenblicke sah, plötzlich durch eine Flucht von Vögeln unterbrochen wurde, welche an einer der unteren Abtheilungen der Mauer erschien und unruhig an einem Punkte vor derselben hin- und her flatterten.

Wie einen Augenblick nach dem andern die Blitze schimmerten, wurden auch die schwarzen Formen der Vögel dem geübten Auge des Gothen sichtbar, sie wirbelten wie Feuerfunken oder Schneeflocken verwirrt und anhaltend um die Stelle, von welcher sie offenbar durch eine unbekannte Unterbrechung verscheucht worden waren. Nach einiger Zeit verschwanden sie endlich ebenso plötzlich wie sie sich gezeigt hatten, mit schrillen Tönen der Furcht, die selbst über das anhaltende Rollen des Donners hervor klangen und unmittelbar darauf in einem dunkeln Zwischenraume erblickte Hermanrich an dem Theile der Mauer, wo die Vögel zuerst gestört worden waren, einen kleinen rothen Schimmer, gleich seinem in der Oberfläche des Gehäu’s angebrachten Feuerfunken. Dann verschwand auch dieser, eine längere Dunkelheit als gewöhnlich herrschte in der Atmosphäre und als der Gothe begierig durch die zunächst folgenden Blitze hinblickte, zeigten sie ihm momentan die undeutliche Gestalt eines Menschen, welcher aus den Steinen am Fuße der Mauer aufrecht dastand.

Hermanrich schrak erstaunt zusammen. Von Neuem hatte das Blitzen aufgehört. In der fruchtlosen Hoffnung, die ihn umgebende Dunkelheit zu durchdringen, strengte er seine Augen auf’s Aeußerste an, um mehr von jener Erscheinung zu erblicken. Die Dunkelheit schien endlos gu sein. Wieder leuchteten die Blitze glänzend auf, er schaute gierig nach der Mauer hin —— die Gestalt befand sich immer noch daselbst.

Sein Herz pochte schnell, als er unentschlossen auf dem Punkte verharrte, welchen er eingenommen hatte, seit das erste Rollen des Donners sein Ohr traf. Waren das Licht und der Mensch —— das eine nur auf einen Augenblick gesehen, der andere immer noch wahrnehmbar —— bloße Gespenster seines irrenden Auges, welches durch die schnelle Wiederholung der atmosphärischen Phänomene geblendet worden war, oder erblickte er unbezweifelt eine menschliche Gestalt und hatte er wirklich ein Licht beobachtet?

In der belagerten Stadt brütete vielleicht eine seltsame Verrätherei, ein gefährliches Geheimniß, was zu beobachten und zu enthüllen seine Pflicht gebot. Er zog sein Schwert und schritt, auf die Gefahr hin, von der Schildwache auf der Mauer durch die Blitze wahrgenommen und durch die tausend Donner gehört zu werden, entschlossen bis an den Fuß der Festungswerke des feindlichen Rom’s vor.

Er hörte kleinen Laut, bemerkte kein Licht, gewahrte keine Gestalt, als er nach mehreren erfolglosen Versuchen die Stelle, wo sie lagen, zu erreichen, endlich an den losen Steinen stehen blieb, welche, wie er wußte, am Fuße der Mauer zusammengehäuft waren.

Im nächsten Augenblicke befand er sich so dicht an derselben, daß er mit der Schwertspitze über Theile ihrer rauhen Oberfläche hinziehen konnte. Er hatte kaum auf diese Art einen mehr als zehn Schritte breiten Raum untersucht, als seine Waffe auf eine scharfe, gezähnte Kante stieß und ihm augenblicklich ein plötzliches Vorgefühl verkündete, daß er die Stelle gefunden, wo er das momentane Licht erblickt, und auf demselben Steine stand, wo sich früher die Gestalt des Mannes befunden hatte.

Nach kurzem Zaudern wollte er eben auf den losen Steinen höher steigen und die so eben in der Mauer entdeckte Unregelmäßigkeit näher untersuchen, als ein ungewöhnlich lange anhaltender, heller Blitz ihn kaum einen Schritt vor sich die bereits von der Ebene aus erblickte Gestalt zeigte.

Es lag etwas unaussprechlich Furchtbares in der unsichtbaren Nähe, in welcher er sich die nächsten dunkeln Augenblicke hindurch bei dieser schweigenden, räthselhaften Gestalt befand, die so unwillkommen durch den Blitz erleuchtet worden war.

Jeder Puls in dem Körper des Gothen schien zu stocken, als er mit bereit gehaltener Waffe dastand, in die undurchdringliche Dunkelheit hinaussah und auf den folgenden Blitz wartete. Er kam und zeigte, ihm die Augen des Mannes, welche fest auf sein Gesicht herab stierten —— ein zweites Leuchten und er sah, wie Jener einen dürren Finger zum Zeichen des Schweigens an die Lippen legte —— ein dritter und er gewahrte den Arm der Gestalt, der nach der Ebene hinter ihm deutete und dann, in der jetzt erfolgenden Finsternis, schlug ein heißer Athem an sein Ohr und eine Stimme flüsterte ihm nährend einer Pause im Rollen des Donners zu:

»Folge mir!«

Im nächsten Augenblicke fühlte Hermanrich eine momentane Berührung von dem Körper des Mannes als dieser mit geräuschlosen Schritte über die Steine hinweg an ihm vorbeikam. Es war keine Zeit zur Ueberlegung oder zu Zweifeln vorhanden. Er folgte dem Fremden dicht auf dem Fuße und bemerkte seine dunkle Gestalt vor sich, wenn das Blitzen auf einen Augenblick Licht in die Scene brachte, bis sie an eine Baumgruppe gelangten, die nicht weit von der durch die Gothen unter seinem Befehle besetzt gehaltenen Häusern der Vorstadt war.

Hier blieb der Fremde vor dem Stamme eines Baumes stehen, welcher sich zwischen der Stadtmauer und ihm befand und zog unter seinem zerlumpten Mantel eine sorgfältig mit einem Tuche bedeckte Laterne hervor, welche er jetzt enthüllte und das Licht hoch über seinem Kopfe haltend, den Gothen mit ängstlichem Forschen betrachtete.

Hermanrich wollte ihn zuerst anreden, aber das Aeußere des Mannes war, obgleich man es im schwachen Lichte seiner Laterne nur undeutlich erblickte, doch so zurückstoßend und abschreckend daß die halbgebildeten Worte aus seinen Lippen erstarben. Das Gesicht des Fremden war von gespenstischer Blässe, seine hohlen Wangen waren von tiefen Runzeln durchfurcht und seine Augen glommen mit einem Ausdrucke von wildem Argwohn. Einer von seinen Armen war mit alten von geronnenem Blute steifen Bandagen bedeckt und hing gelähmt an seiner Seite herab. Die das Licht haltende Hand zitterte so, daß die Laterne, in welcher sich dasselbe befand, beständig hin und her schwankte. Seine Glieder waren mager und fast bis zur Verkrüppelung verschrumpft und man sah, daß es ihm Mühe machte, aufrecht zu stehen. Jedes Glied seines Körpers schien von einem allmäligen Tode verzehrt zu werden, während seinem glühenden, gebieterischen Auge alle Energie des Mannesalters und alle Kühnheit der Jugend ausgeprägt zu sein schien.

Es war Ulpius! Die Mauer war durchbrochen! —— der Durchgang erzwungen.

Nach anhaltender Betrachtung des Gesichts und der Kleidung Hermanrich’s redete ihn der Mann mit gebieterischem Ausdruck, der im seltsamen Kontraste gegen seine hohle, schwankende Stimme stand, an.

»Du bist ein Gothe?«

»Ja,« entgegnete der junge Häuptling »Und Du?«

»Ein Freund der Gothen!« lautete die schnelle Antwort.

Es erfolgte eine momentane Pause, nach welcher der Fremde das Gespräch wieder begann.

»Was hat Dich allein an den Fuß der Mauer geführt?« fragte er, indem ein Ausdruck unwillkürlicher Besorgniß aus seinen Augen schoß.

»Ich sah die Gestalt eines Mannes im Leuchten der Blitze,« antwortete Hermanrich; »ich näherte mich ihr, um mich zu überzeugen, daß meine Augen mich nicht betrogen, um zu entdecken ——«

»Es gibt in Deinem Volke nur einen Einzigen, der entdecken soll, woher ich gekommen bin und was ich wünsche!« unterbrach ihn der Fremde hastig; »und der Mann ist Alarich, Dein König.«

Ueberraschung, Entrüstung und Verachtung zeigten sich in den Zügen des Gothen, als er diese Erklärung von dem hilflosen Auswürflinge vor sich vernahm. Der Mann bemerkte es, winkte ihm zu schweigen und sprach weiter.

»Höre«- rief er, »ich habe dem Anführer Eurer Streitkräfte eine Entdeckung zu machen, die einem Jeden in Eurem Lager das Herz pochen lassen wird, wenn Ihr das Geheimniß erfahrt, nachdem es Euer König von meinen Lippen gehört hat! Weigerst Du Dich noch immer, mich nach seinem Zelte zu führen?«

Hermanrich lachte verächtlich.

»Sieh mich an,« fuhr der Mann fort, indem er sich vorwärts beugte und seine Augen mit wilder Eindringlichkeit auf das Gesicht seines Zuhörers heftete; »ich bin allein, alt, verwundet, schwach —— Deinem Volke ein Fremder, ein halb verhungerter, hilfloser Mann! Glaubst Du, daß ich mich ohne Grund in Euer Lager wagen —— mich der Gefahr aussetzen würde, von Deinen Kameraden als Römer umgebracht zu werden, dem Grimme Deines stolzen Herrschers Trotz bieten würde?«

Er hielt inne und fuhr dann mit immer noch auf den Gothen gehefteten Augen mit leiseren und bewegteren Tönen fort:

»Wenn Du mir Deine Hilfe verweigerst, so werde ich das Lager durchwandern bis ich Deinen König finde. Kerkerst Du mich auch ein, so wird Deine Gewaltthätigkeit meine Lippen doch nicht öffnen. Erschlägst Du mich, so wirst Du nichts durch meinen Tod gewinnen. Stehst Du mir aber bei, so wirst Du bis zum letzten Augenblicke Deines Lebens über die That triumphiren! Ich habe Worte von furchtbarer Wichtigkeit für Alarich’s Ohr —— ein Geheimniß für dessen Erlangung ich diesen Preis gezahlt habe.«

Er deutete auf seinen verwundeten Arm. Die Feierlichkeit seiner Stimme, die rauhe Energie seiner Worte, die finstere Entschlossenheit seines Gesichts, die sie umgebende Dunkelheit der Nacht, der rollende Donner, welcher sich ihrem Gespräche anzuschließen schien, die Räthselhaftigkeit ihrer Begegnung unter den Stadtmauer —— alle diese Dinge begannen ihre mächtigen, verschiedenartigen Einflüsse aus den Geist des Gothen zu üben und veränderten allmälig die Gefühle, welche ihm anfangs die Mittheilungen des Mannes eingeflößt hatten.

Er war unschlüssig und blickte zweifelhaft nach den Linien des Lagers.

Es entstand eine lange Stille, welche wieder von dem Fremden unterbrochen wurde.

»Bewache mich, kette mich an, verspotte mich, wenn Du willst!« rief er mit erhobener Stimme und blitzenden Augen, »aber führe mich zu Alarich’s Zelt! Ich schwöre Dir bei dem über unsern Häuptern rollenden Donner, daß die Worte, welche ich mit ihm sprechen will, in seinen Augen kostbarer sein werden, als das herrlichste Juwel, welches er aus den Schatzkammern von Rom rauben könnte.«

Wiewohl der Mann einen unverkennbaren Eindruck auf ihn gemacht hatte, zauderte Hermanrich doch immer noch.

»Zögerst Du noch?« rief der Mann mit verächtlicher Ungeduld. »Laß mich vorüber, ich will allein in das Herz Eures Lagers dringen! Ich habe meinen Plan allein begonnen, ich werde seine Erfüllung ohne Hilfe bewerkstelligen. Laß mich durch!«

Und er schritt an Hermanrich in der Richtung nach der Vorstadt vorüber, während auf seinen verwelkten Zügen derselbe Ausdruck stolzer Energie lag, welche sie im Beginne seines ungewöhnlichen Gesprächs mit dem jungen Häuptling so auffallend markiert hatte!

Die kühne Hingebung an, seinen Zweck, das rücksichtslose Streben nach einem gefahrvollen, ungewissen Erfolge, welches sich in den Worten und Handlungen eines so schwachen, hilflosen Mannes, wie der Fremde war, kundgab, erweckte in dem Gothen das Gefühl unwiderstehlicher Bewunderung, welches die Verbindung von moralischem mit physischem Muth unfehlbar erzeugt. Außer dem hierin liegendem Reize, dem Manne beizustehen, erfüllte sich Hermanrich’s Geist mit einer brennenden Neugier, sein Geheimniß zu entdecken, und machte ihn weiter geneigt, seinen entschlossenen Gefährten vor Alarich zu führen, da er nur durch dieses Verfahren nach der festen Erklärung des Mannes, daß er sich Keinem als dem Könige mittheilen würde, endlich den Gegenstand seines räthselhaften Vorsatzes zu erforschen hoffte. Von diesen Motiven beseelt, rief er also dem Fremden zu, daß er anhalten möge und theilte ihm in kurzen Worten seine Bereitwilligkeit mit, ihn sofort vor den gothischen König zu führen.

Der Mann gab ihm durch ein Zeichen zu erkennen, daß er sein Anerbieten annehme. Offenbar waren seine physischen. Kräfte nahe daran, ihn zu verlassen, dessen ungeachtet schwankte er mühsam mit ihm dem Hauptquartiere des Lagers zu, wobei er fast unablässig vor sich hin murmelte und gestikulierte. Unterwegs redete er seinen Führer nur ein einziges Mal an, indem er den jungen Gothen mit dem heftigsten Argwohn und Verdacht fragte, ob er vor dieser Nacht schon die Stadtmauer untersucht habe.

Hermanrich antwortete verneinend und von da an schritten sie im tiefsten Schweigen weiter.

Ihr Weg führte durch die westliche Lagerlinie und wurde nur unvollkommen hier und dadurch die Flamme einer Fackel oder die Gluth eines fernen Wachtfeuers erleuchtet. Das, Donnern war weniger häufig, dabei aber stärker geworden. Von Westen erhoben sich einige schwache Windstöße und schon fielen einzelne Regentropfen auf die durstige Erde nieder. Die nicht geradezu an den verschiedenen Beobachtungsposten zur Wache aufgestellten Krieger hatten sich in den Schutz ihrer Zelte zurückgezogen, von den tausend Müssiggängern und Troßknechten der großen Armee« war keiner an seinem gewohnten Orte zu sehen, selbst die wenigen Stimmen, welche man vernahm, erklangen leise und wie aus der Ferne.

Das nächtliche Schauspiel hier in den Reihen der Eroberer von Italien war eben so düster und wenig anziehend wie das auf der einsamen Ebene vor den Mauern von Rom.

Der Fremde bemerkte bald, daß sie einen Theil des Lagers erreicht hatten, welcher dichter bevölkert sorgfältiger erleuchtet, stärker befestigt war, wie die bereits passierten, und das Rauschen des Tiber drang jetzt in sein argwöhnische, aufmerksames Ohr. Sie gingen noch einige Schritte weit vorwärts und blieben dann plötzlich vor einem Zelte stehen, welches von vielen andern dicht umgeben und an allen seinen Zugängen von Gruppen reich bewaffneter Krieger besetzt war. Hier blieb Hermanrich stehen, um mit einer Schildwache zu sprechen, die nach kurzem Verzug die äußere Decke des Zelteinganges aufhob und einen Augenblick darauf stand der römische Abenteurer neben seinem Führer vor dem gothischen Könige.

Das Innere von Alarich’s Zelt war mit Häuten ausgeschlagen und von einer kleinen an die das Dach desselben stützende Mittelstange befestigten Lampe erleuchtet. Der einzige Hausrath bestand aus einigen nachlässig auf den Boden geworfenen Holzbündeln und einem großen roh geschnitzten hölzernen Kasten, auf welchem ein zu einer Art von ungeschicktem Weinbecher ausgehöhlter polierter Menschenschädel stand. Das geräumige Zelt besaß ein wahrhaft gothisches graues Ansehen, eine majestätische nordische Einfachheit, die sich nicht nur in seinem dichten Schatten, seinen ruhigen Lichtern und seiner Freiheit von Prunk und Schimmer sondern selbst in dem Aeußern und der Beschäftigung seines auffallenden Bewohners zeigten.

Alarich saß allein auf dem schon beschriebenen hölzernen Kasten und betrachtete mit gerunzelter Stirn und zerstreutem Blicke einige altrunische Zeichen die auf der verzierten Oberfläche eines volle fünf Fuß hohen aus Erz und Silber bestehenden Schildes, der an der Seite des Zeltes lehnte, eingegraben waren. Das auf die polierte Oberfläche der Schutzwaffe, welche durch die dunkeln Häute hinter derselben doppelt glänzend wurde, fallende Lampenlicht wurde auf die Gestalt des Häuptlings zurückgeworfen. Es schimmerte auf seinem breiten Harnisch, es enthüllte seine festen durch einen Ausdruck verächtlichen Triumphs leicht gekräuselten Lippen, es zeigte die großartige Muskelbildung seines Armes, welcher in eng anschließendes Leder gekleidet auf seinem Knie ruhte, es erleuchtete theilweise sein kurzes, helles Haar, und blitzte stetig in seinen auf den einen Punkt gehefteten, gedankenvollen, männlichen Augen, die unter dem theilweisen Schatten seiner gerunzelten Brauen nur eben sichtbar waren, während es den unteren Theil seines Körpers und seine rechte Hand, die auf dem Kopfe eines zu seinen Füßen liegenden großen zottigen Hundes ruhte, fast völlig von den dicken Fellen beschatten ließ, die verwirrt an den Seiten des hölzernen Kastens aufgehäuft waren. Er war so vollkommen in die Betrachtung der Runenzeichen auf seinem ungeheuren Schilde versunken, daß er das Eintreten Hermanrich’s und des Fremden nicht eher bemerkte, als bis ihn das Knurren des wachsamen Hundes plötzlich in seiner Beschäftigung störte. Er blickte rasch auf, sein scharfes, durchdringendes Auge ruhte momentan auf dem jungen Häuptling und verweilte dann fest und forschend auf der schwachen verkrüppelten Gestalt seines Gefährten.

An die militärische Kürze und Schnelligkeit gewöhnt, welche sein Befehlshaber bei allen von seinen Untergebenen an ihn gerichteten Mittheilungen forderte, erzählte Hermanrich kurz, ohne auf eine Frage zu warten oder eine Vorrede oder Entschuldigung seiner Darstellung zu versuchen, das Gespräch, welches zwischen dem Fremden und ihm auf der Ebene bei dem Pincischen Thore stattgefunden hatte und schwieg dann ehrerbietig, um das Lob oder den Tadel des Königs entgegenzunehmen, wie es eben der Zufall des Augenblickes entscheiden mochte.

Nachdem Alarich seine Augen wieder streng und forschend auf die Gestalt des Römers geheftet hatte, redete er den jungen Krieger in gothischer Sprache an:

»Laß den Mann bei mir —— kehre auf Deinen Posten zurück und erwarte dort die Befehle, die ich Dir heute Nacht zu senden für nothwendig erachten werde.«

Hermanrich entfernte sich augenblicklich, worauf der gothische Anführer, zum ersten Male zu dem Fremden gewendet, in lateinischer Sprache diesem kurz und bedeutsam mittheilte, daß sie jetzt allein seien.

Die vertrockneten Lippen des Mannes bewegten sich, öffneten sich, bebten, seine wilden, hohlen Augen funkelten, er schien jedoch unfähig zu sein, ein Wort zu sprechen, seine Züge verzogen sich in furchtbaren Krämpfen, um seine Lippen sammelte sich Schaum, er schwankte vorwärts und würde zu Boden gefallen sein, wenn ihn nicht der König augenblicklich mit starkem Arme erfaßt und auf den hölzernen Kasten gesetzt hätte, welchen, er bis jetzt selbst eingenommen hatte.

»Kann ein verhungernder Römer aus der belagerten Stadt entronnen sein?« murmelte Alarich, indem er den Schädelbecher nahm und einen Theil des darin enthaltenen Weines in den Mund des Fremden schüttete.

Die Flüssigkeit hatte augenblicklich die Wirkung, den Zügen des Mannes wieder Fassung und seinem Geiste Bewußtsein zu verleihen; er erhob sich von dem Sitze, wischte den kalten Schweiß, welcher seine Stirn überzog, ab und stand aufrecht vor dem Könige da, der einsame, machtlose Greis vor, dem thatkräftigen Herrn von Tausenden in der Mitte, seiner Krieger, ohne daß sein festes Auge gebebt, oder über seine stolze Lippe eine Bitte um Schutz gekommen wäre.

»Ich ein Römer,« begann er, »komme von Rom, gegen das der Eroberer mit der Waffe des Hungers Krieg führt, um die Stadt, ihre Bewohner ihre Paläste und Schätze in die Hände Alarich’s des Gothen zu liefern.«

Der König schrak auf, sah den Redner einen Augenblick an und wendete sich dann mit Unmuth und Verachtung von ihm ab.

»Ich lüge nicht!« fuhr der Enthusiast mit einer ruhigen Würde fort, welche selbst auf den abgehärteten Charakter des gothischen Heiden einen gewissen Eindruck übte.

»Betrachte mich wieder! konnte ich, so verhungert, zusammengeschrumpft, verwelkt, von irgend einem Orte als Rom kommen? —— Seit ich die Stadt verlassen habe, ist, kaum eine Stunde vergangen und auf dem Wege, über welchen ich aus ihr gekommen bin, können sie die Streitkräfte der Gothen noch diese Nacht betreten.«

»Die Güte der Ernte beruht auf der Menge des Korns, nichts auf der Zunge des Ackermannes —— zeige mir Deine offenen Thore und ich werde glauben, daß Du die Wahrheit gesprochen hast,« erwiderte der König mit rauhem Lachen.

»Ich verrathe die Stadt!« fuhr Jener finster fort, »aber nur unter einer Bedingung, wenn Du sie mir bewilligst —— so ——«

»Ich will Dir Dein Leben bewilligen,« unterbrach ihn Alarich hochfahrend.

»Mein Leben!«, rief der Römer, und seine zusammengeschrumpfte Gestalt schien sich auszudehnen und seine zitternde Stimme in der Bitterkeit seiner Verachtung fest und bestimmt zu werden als er sprach: »Mein, Leben! ich verlange es nicht von Deiner Macht. Die Trümmer, meines Körpers besitzen kaum Kraft genug, um mir es einen einzigen Tag zu bewahren. Ich habe keine Heimath, keine Geliebten, keine Freunde, keine Güter! —— Ich lebe in Rom allein, in der Mitte der Menge, als Heide in eine Stadt von Abtrünnigen. Was ist das Leben für mich? Ich liebe es nur um des Dienstes der Götter willen, zu deren Rachewerkzeugen gegen das Volk, welches, sie verleugnete, ich Dich und Deine Heerschaaren machen möchte. Wenn Du mich tödtest, so ist es mir ein Zeichen von ihnen, daß ich für ihre Sache werthlos bin, und ich werde zufrieden sterben.«

Er schwieg. Das Benehmen des Königs verlor allmälig die Sorglosigkeit, welche es bisher charakterisiert hatte, und nahm eine Aufmerksamkeit und einen Ernst an, wie sie seinem hohen Stande und seiner wichtigen Verantwortlichkeit eher geziemten. Er begann den Fremden nicht als einen gewöhnlichen Renegaten, einen gemeinen Spion, einen geringfügigen Betrüger zu betrachten, der geringschätzig aus seinem Zelte getrieben werden kann, sondern als einen Mann, der wichtig genug war, um Gehör zu verdienen, und ehrgeizig genug, um Mißtrauen zu erregen. Er ließ sich daher wieder auf den Kasten, von welchem er sich während des Gesprächs erhoben hatte, nieder und forderte ruhig seinen neuen Verbündeten auf, die Bedingung zu erklären, von deren Zugeständniß sein versprochener Verrath Rom’s abhinge.

Die schmerzgefurchten, muthlosen Züge des Heiden belebten sich mit triumphierender Gluth, als er die plötzliche Milde und Mäßigung der Frage des Königs hörte. Er erhob stolz den Kopf und that einige Schritte vorwärts, indem er laut und kurz abgebrochen fortfuhr:

»Sichere mir den Umsturz der christlichen Kirche, die Ausrottung der christlichen Priester und die allgemeine Wiederbelebung der Verehrung der Götter zu, und noch diese Nacht soll Dich zum Herrn der Hauptstadt des Reiches machen, welches zu stürzen Du Dich bemühst.«

Die Kühnheit, die Umfänglichkeit, die wahnsinnige Gottlosigleit eines solchen Vorschlages aus solcher Quelle setzte Alarich in solches Erstaunen, daß er für den Augenblick nicht zu sprechen vermochte. Ulpius brach, als er seine vorübergehende Unfähigkeit, ihm zu antworten, bemerkte, das jetzt eingetretene Schweigen und fuhr fort:

»Ist meine? Bedingung eine schwere? Ein Eroberer ist allmächtigt er kann die Religion eines Volkes umstürzen, wie die Regierung desselben. Was kümmert es Dich, welche Gottheiten das Volk anbetet, so lange die Herrschaft, der Ruhm und die Schätze desselben Dir gehören? Ist es ein hoher Preis für eine leichte Eroberung, eine Veränderung zu bewirken, die weder Deine Macht, Deinen Ruhm noch Deinen Reichthum bedroht? Wundert es Dich, daß ich eine solche Revolution von Dir verlange? Ich bin für die Götter geboren, in ihrem Dienste habe ich Rang und Ruf und Berühmtheit erlangt, für ihre Sache habe ich Herabwürdigung und Schmerz erlitten, für ihre Wiederherstellung will ich Pläne schmieden, kämpfen, sterben! Versichere mir also eidlich, daß Du mit der neuen Regierung die alte Religion einführen willst, und ich werde durch meinen geheimen Zugang Gothen genug in die Stadt bringen, um mit Sicherheit die Wachen an den Thoren zu, tödten und Rom Deiner ganzen Armee zu öffnen. Verachte nicht die Hilfe eines schutzlosem unbekannten Mannes. Die Bürger werden sich Deiner Blockade nie ergeben, Du zagst vor den Gefahren eines Sturmes! Es heißt, daß die Legionen von Ravenna nach Rom unterwegs sind —— so einzeln ich auch dastehe, sage ich Dir doch hier inmitten Deines Lagers, daß die schnellste Gewißheit des Erfolges für Dich auf meiner Entdeckung und, mir beruht.«

Der König sprang plötzlich von seinem Sitze auf.

»Welcher Narr oder Wahnsinnige!«« rief er, seine Augen mit zorniger Verachtung und Entrüstung auf das Gesicht des Fremden heftend, »schwatzt mir da von den Legionen von Ravenna und den Gefahren eines Sturmes! Denkst Du, Renegat, daß Deine Stadt mir hätte widerstehen können, wenn ich sie am ersten Tage, wo ich mein Lager vor ihr aufschlug, stürmen gewollt hätte? Weißt Du, daß Eure verweichlichten Soldaten die Rüstungen Eurer Vorfahren deshalb abgelegt haben, weil ihre schwächlichen Körper zu schwach sind, um die Last derselben zu tragen, und daß die Hälfte meines Heeres hier die ganze Anzahl der Besatzung von Rom um das Dreifache aufwiegt! jetzt, während. Du, hier stehst, brauche ich bloß einen Befehl zu geben und die Stadt wird mit Feuer und Schwert vernichtet, ohne daß mich dabei einer von der Verrätherbande unterstützt, welche im Schutze ihrer schlecht vertheidigten Mauern liegt!«

Bei diesen Worten Alarich’s schien eine unsichtbare Macht den Elenden, welchen er anredete, an Körper und Geist zu erdrücken. Das Entsetzen über die Antwort welche er jetzt hörte, schien ihn blödsinnig zu machen, wie sein Blitzstrahl Denjenigen, welchen er trifft, blind macht. Er betrachtete den König, mit verblüfftem, stierem Blicke, bewegte zitternd seine Hand vor seinem Gesichte hin und her, wie um eine eingebildete Dunkelheit von seinen Augen hinwegzuwischen und dann sank sein Arm hilflos an seiner Seite nieder, der Kopf fiel ihm auf die Brust und er stöhnte mit leisem, bedeutungsvollem Tone:

»Die Wiederherstellung der Götter —— das ist die Bedingung der Einnahme —— die Wiederherstellung der Götter!«

»Ich bin nicht hierher gekommen, um das Werkzeug einer rasenden, vergessenen Priesterschaft zu werden,« rief Alarich geringschätzig. »Wo ich Deine verfluchten Götzen treffe, werde ich sie zu Rüstungen für meine Krieger und Hufeisen für meine Pferde zusammenschmelzen. Ich werde Eure Tempel in Magazine verwandeln und Deine hölzernen Bildsäulen zu Klötzen für die Wachtfeuer meines Heeres zerhacken lassen.«

»Tödte mich, aber schweige« stöhnte der Heide, an die Wand des Zeltes zurück schwankend und unter den erbarmungslosen Worten des Gothen zusammenzuckend, wie ein Sklave unter der Peitsche.

»Ich überlasse das Vergießen solchen Blutes, wie das Deine, Deinen römischen Genossen,« antwortete der König; »sie allein sind der That würdig.«

Den Lippen des Fremden entrang sich keine Silbe und nach einer stummen Pause fuhr Alarich in Tönen, die ihrer frühem zornigen Aufregung entkleidet und mit einem feierlichen Ernst erfüllt waren, welcher jedem seiner Worte unwiderstehliche Würde und Kraft verlieh, fort:

»Sieh die dort eingegrabenen Zeichen,« sagte er, auf den Schild deutend; »sie verkünden den Fluch, welchen Odin gegen die große Unterdrückerin Rom ausgesprochen hat. Einst bildeten diese Worte einen Theil der Religion unserer Väter. Die Religion ist längst schon geschwunden, aber die Worte sind geblieben; sie besiegeln den ewigen Haß des Nordländers gegen den Bewohner des Südens, sie enthalten den Geist des großen Schicksals, welches mich vor die Mauern von Rom geführt hat. Bürger eines stürzenden Reiches, das Maß Eurer Verbrechen ist voll! Die Stimme eines neuen Volkes fordert durch mich die Freiheit der Erde, die für die Menschen und nicht bloß für die Römer geschaffen ist! Die Herrschaft, welche Deine Väter durch Kraft erlangten, sollen ihre Nachkommen nicht durch Betrug behaupten. Zweihundert Jahre lang haben unhaltbare, hohle Waffenstillstände zwischen Deinem Volke und dem meinen mit langen, blutigen Kriegen abgewechselt.In der Erinnerung daran, in der Erinnerung an das, den Gothen in ihren thracischen Niederlassungen wiederfahrene Unrecht, an die Ermordung der gothischen Jünglinge in den Städten Asiens, an die Niedermetzelung der gothischen Geißeln in Aquileja komme ich, von den übernatürlichen Rathschlüssen des Himmels erwählt, um die Freiheit meines Volkes zu sichern und seinen Zorn zu beschwichtigen, indem ich die Macht des tyrannischen Rom zu seinen Füßen demüthige. Nicht um des Kampfes und Blutvergießens willen bin ich hier vor jenen Mauern gelagert, sondern um durch Hungersnoth und Leiden den Stolz Deines Volkes und den Muth Deiner Herrscher zur Erde zu drücken, um Euch Euren versteckten Reichthum zu entreißen und Euch der Ehre, womit Ihr prahlt, zu entkleiden, um durch Bedrückung die Bedrücker der Welt zu stürzen, Euch den Ruhm des Widerstands zu versagen und Euch die Schande der Unterwerfung aufzuerlegen. Dazu enthalte ich mich jetzt des Sturmes auf Eure Stadt und umgehe sie mit einer undurchdringlichen Blockade.«

Während sich die Erklärung seiner großen Sendung so von den Lippen des gothischen Königs drängte, schien sich der Geist seines hohen Ehrgeizes über seine äußere Form zu verbreiten. Seine edle Gestalt, seine schönen Verhältnisse, seine gebietenden Züge bekleideten sich mit einer einfachen, ursprünglichen Größe. In seinem jetzigen Kontrast mit der zusammengesunkenen Figur des entmuthigten Fremden sah er fast erhaben aus.

Ein lang anhaltender Schauder zuckte durch den Körper des Heiden, aber dieser sprach weder, noch weinte er. Die nutzlose Vertheidigung des Serapistempels, die vereitelte Revolution in Alexandrien und die mißlungene Intrigue mit Vetranio stiegen jetzt in seiner Erinnerung auf, um das Entsetzen seiner gegenwärtigen schlimmsten Niederlage zu erhöhen. Jeder Umstand seines verzweifelten Durchbruches der Mauerspalte stellte sich mit furchtbarer Lebendigkeit vor seinen Geist. Er erinnerte sich an alle Empfindungen seiner ersten nächtlichen Arbeit in der Finsterniß, an alles Elend der Qualen seiner zweiten Nacht unter dem gestürzten Mauerwerk, an alle Schmerzen, Gefahren und Muthlosigkeiten, die seine späteren Arbeiten begleitet hatten, und denen zum Trotz er bei allen Hemmnissen eines hungergeschwächten Körpers und hilflosen Armes in seinen Bemühungen verharrt hatte, bis er im trügerischen Triumph das letzte Hinderniß des mühsamen Durchbruches überwunden. Diese verbannten Erinnerungen kehrten eine nach der andern in sein Gedächtniß zurück, während er Alarich’s tadelnden Worten lauschte, rissen alte Wunden von Neuem auf, belebten frühere Gebrechen, zerfleischten ihn von Neuem. Außer dem Schauder, welcher immer noch seinen Körper durchschüttelte, verrieth aber kein äußeres Zeichen die ihn bestürmenden inneren Qualen. Es war für menschliche Worte zu stark, für menschliches Mitgefühl zu entsetzlich. Er erlitt es in dumpfem Schweigen. So monströs auch sein Plan sein mochte, war doch die moralische Strafe seiner versuchten Ausführung schwer genug, um des beabsichtigten Verbrechens werth zu sein.

Nachdem Alarich den Mann noch einige Minuten lang mit einem Blicke mitleidloser Geringschätzung beobachtet hatte, rief er einen von den dienstthuenden Kriegern herbei; trug ihm auf, den Wachen den Durchlaß des Fremden durch das Lager zu gebieten, und wendete sich dann zum letzten Male zu ihm:

»Kehre durch das Loch, aus dem Du wie eine Schlange gekrochen bist, nach Rom zurück und nähre Deine verhungernden Mitbürger mit den Worten, die Du im Zelte des Barbaren gehört hast!«

Der Herbeigerufene näherte sich, führte ihn vom Könige hinweg, gab den Wachen die nöthigen Weisungen und überließ ihn sich selbst. Einmal erhob er die Augen verzweifelnd zum Himmel, welcher über seinem Haupte drohte, aber es entfloh ihm kein Wort, keine Thräne, kein Seufzer. Er schritt langsam durch die dichte Finsterniß, wendete der Stadt den Rücken und betrat, gleich gültig, wohin er gerathen möchte, die Straßen der öden, entvölkerten Vorstädte.



Kapiteltrenner

Kapitel III.
Liebeszusammenkünfte.

Wer hat nicht, wenn er zu einem drohenden, stürmischen Himmel aufblickte, Freude darüber gefühlt, wenn er unerwartet noch eine kleine heiter blaue Stelle unter den Gewitterwolken entdeckte. Je unlieber das Auge über das düstere Gewölbe des übrigen Firmaments gewandert ist, desto freudiger ruht es endlich auf der kleinen Oase des Lichtes, das seinen müden Blicken begegnet und, wenn es über den ganzen Himmel ausgebreitet gewesen, vielleicht nur nachlässig und vorübergehend betrachtet worden wäre.

Durch den Kontrast mit den dunkeln traurigen Farben rund umher nimmt selbst diese kleine blaue Stelle allmälig die Kraft an, die weitere, trübere Aussicht mit einem gewissen Interesse und Leben zu bekleiden, welches sie vorher nicht besaß, bis der Geist in der sie umgebenden Sturmatmosphäre einen Gegenstand erblickt, welcher der Aussicht Abwechselung gewährt, ein Schauspiel, dessen Traurigkeit eben so gut Antheil erwecken, wie zurückstoßen kann.

Mit solchen Empfindungen —— nur daß wir sie direkt auf den Geist, statt auf das Auge anwendeten, schrieben wir die wenigen Seiten nieder, welche das Schlußkapitel des ersten Buches beenden. Das dort beschriebene Glück schien den stürmischen Fortgang unserer Erzählung zu durchstrahlen, wie die blaue Stelle die Dunkelheit der sich zusammenziehenden Wolken. Es erhob sich gleich einem Garten der Ruhe hinter der Wüste wilder Aufregungen, die uns auf den vorhergehenden Seiten umgeben hatten. Es ermuthigte uns zum Betreten des Feldes von düsterem Interesse, welches ihm, wie wir wußten, folgen mußte, und uns so, durch seine Abwechselung als Kontrast mit dem Vorhergegangenen, einladen, statt uns durch eine Eintönigkeit des Schmerzes traurig stimmen würde.

Erinnert sich der Leser der Scene in dem Bauernhause jenseits der Vorstädte mit solchen Empfindungen? Wenn sie ihn so berührt hat, so wird er uns jetzt nicht eine kurze Abschweifung von Ulpius und der von Hungersnoth gequälten Stadt zu Antoninen und dem stillen, einsamen Lande versagen.

Während der Zeit, welche, seit wir sie verließen, verstrichen ist, hat Antonina sicher in ihrer Einsamkeit, glücklich in ihrem gutgewählten Versteck gewohnt. Die wenigen, umherschweifenden Gothen, welche in seltenen Zwischenräumen die Nachbarschaft ihres Heiligthums besuchtem drängten sich nie in dessen friedlichen Bezirk ein. Der Anblick der verheerten Felder und geleerten Scheunen, des verlassenen kleinen Gutes genügte stets, um ihre raubsüchtigen Schritte einer andern Richtung zuzuwenden. Ein Tag nach dem andern verstrich ruhig und schnell für die liebliche Bewohnerin des verlassenen Hauses, die enge Runde seiner Gärten und schützenden Haine Umfaßte für sie den ganzen Kreis der Freuden und Beschäftigungen ihres neuen Lebens.

Die einfachen, im Hause zurückgebliebenen Vorräte die Früchte und Gemüse welche sie im Garten einsammelte, waren für ihren Unterhalt vollkommen hinreichend. Die unschuldige Einsamkeit des Ortes besaß einen ruhigen, träumerischen Zauber, eine Neuheit, einen nie ermüdenden Reiz nach der strengen Einsamkeit, welcher ihre frühere Existenz in Rom unterworfen gewesen war. Und wenn der Abend kam und die Sonne die Wipfel der westlichen Bäume zu vergolden begann, dann stellte sich nach den ruhigen Empfindungen des einsam verlebten Tages die Stunde sie gänzlich in Anspruch nehmender Sorgen und froher Erwartungen ein, die stets die gleichen, aber stets gleich entzückend und neu waren. Dann wurden die rohen Fensterläden sorgfältig geschlossen, die offene Thür verriegelt, das kleine, jetzt der äußern Welt unsichtbare Licht freudig angezündet und dann ergab sich die Herrin und Urheberin aller dieser Vorbereitungen mit froher Aengstlichkeit in die Erwartung des Gastes, zu dessen Bewilllommnung dieselben bestimmt waren.

Und nie erwartete sie das Kommen jenes ersehnten Gefährten vergebens. Hermanrich erinnerte sich seines Versprechens, fortwährend nach dem Bauernhause zu kommen, und erfüllte es mit aller Veständigkeit der Liebe und allem Enthusiasmus der Jugend. Wenn die Wachen unter seinem Befehl für die Nacht ausgestellt waren und das Vertrauen, welches ihm seine Vorgesetzten schenkten, seine Handlungen während der Stunde der Finsterniß von Beaufsichtigung befreiten, so verließ er das Lager, eilte durch die verödete Vorstadt nach dem Gebäude, wo ihn die junge Römerin erwartet und kehrte von dort vor Tagesanbruch zurück, um die Mittheilungen entgegen zu nehmen, die ihm zu dieser Stunde regelmäßig der zunächst unter ihm Befehlende machte.

So suchte er, seiner Nation untreu, aber treu gegen die neue Egeria seiner Gedanken und Handlungen —— ein Verräther gegen die Pflichten der Rache und des Krieges, aber doch den Interessen der Ruhe und Liebe gehorsam, allabendlich Antonina’s Gegenwart auf. Seine Leidenschaft brachte, wiewohl sie ihm seine Kriegerpflichten unmöglich machte, doch keine herabwürdigende Veränderung in seinem Charakter hervor. Alles, was sie in ihm veränderte, veredelte sie. Sie brachte Abwechselung in seine rohen Empfindungen und erhob dieselben, denn sie wurde nicht bloß von der Schönheit und Jugend, die er sah, eingeflößt, sondern von den reinen Gedanken der unschuldigen Beredsamkeit, die er hörte, belebt. Und sie, die verstoßene Tochter, die Quelle, aus welcher der nordische Krieger jene neueren, höheren Gefühle schöpfte, die ihn jetzt zum ersten Male belebten —— betrachtete ihren Beschützer, ihren ersten Freund und Gefährten, wie ihre erste Liebe mit einer Hingebung, welche sich der Geist in ihrem gemischten enthusiastischen Wesen vorstellen, die aber die Feder nur unvollkommen nieder zeichnen kann. Es war eine von Unschuld und Dankbarkeit, Freude und Schmerz, Besorgniß und Hoffnung erzeugte Ergebenheit, sie war zu frisch, hatte zu wenig mit der Welt gemein, um Vorwürfe anerzogener Scham oder künstlichen Anstandes zu kennen. Sie glich in ihrem Wesen, wenn auch nicht in ihrer Anwendung, der Hingebung der ersten Töchter der Menschen für ihre Mitherren der Schöpfung.

Was würde es aber nützen, wenn wir noch länger bei solchen Beschreibungen verweilten? Die höheren Leidenschaften in ihrer vollen Kraft und Thätigkeit sprechen zu der menschlichen Phantasie und verschmähen die gemeine Verdollmetschung durch menschliche Worte. Das Maß des Guten und Bösen in der Liebe Hermanrichs und Antoninens wird das Herz des Lesers besser abwägen, als die Feder des Schriftstellers. Er möge ihr Alter, ihre Lage und ihre Gelegenheiten bedenken und seine Phantasie dann innerhalb der Grenzen der breiten Umrisse, die wir bereits gegeben haben, spielen lassen, sie mit der bunten Gluth der leidenschaftlichen Worte des Liebhabers färben, mit den glänzenden Lichtern ihrer Augenblicke entzückter Seligkeit erleuchten, mit den sanften Schatten ihrer Stunden üppiger Ruhe abdunkeln. So werden die Liebesscenen in dem Bauernhause den Erwartungen Aller entsprechen und —— ein noch glücklicheres Schicksal —— die Vorurtheile, Keines beleidigen!

Was uns betrifft, so ist es jetzt Zeit, zu dem Gange unserer Erzählung zurückzukehren, wiewohl es, ehe wir wieder in die rüstige, bewegte Gegenwart treten, noch auf einen Augenblick nöthig sein wird, nach einer andern Seite hin auf die ereignißreiche Vergangenheit zurückzuschauen. Aber nicht auf Frieden, Schönheit und Freude, heftet sich jetzt unser Blick, wir wenden uns zu Zorn Krankheit und Verbrechen, zu der unversöhnlichem unweiblichen Goiswintha.

Seit dem Tage, wo die Gewaltsamkeit der in ihr kämpfenden Gefühle sie des Bewußtseins beraubt hatte, in dem Augenblicke ihres entscheidenden Triumphs über die Bedenklichkeiten Hermanrich’s und das Schicksal Antoninens, war ihr von einem hitzigen Fieber ein Theil der bitteren Leiden zugefügt worden, welche sie gern Andern auferlegt hätte, bald lag sie in einem rasenden Delirium, bald in hilfloser Erschöpfung da. Welche Form aber auch ihre Krankheit annehmen mochte, so vergaß sie doch nie den grausamen Zweck, bei dessen Verfolgung sie sich dieselbe zugezogen hatte. Langsam und ungewiß kehrte endlich ihre Kraft zurück und zugleich mit ihr verstärkte sich und wuchs die grimmige Rachsucht, welche selbst ihre leisesten Gedanken erfüllte und ihre gleichgültigsten Handlungen beherrschten

Das Gerücht theilte ihr die neue Stellung in der Blockadelinie mit, in welcher sich Hermanrich befand, und zählte als Gefährten seines dortigen Aufenthalts nur die unter seinem Befehle stehenden Krieger auf. Wenn aber auch so von der Trennung Antoninens und des Gothen überzeugt, nagte doch ihre Unwissenheit über das Schicksal des Mädchens ununterbrochen an ihrem wilden Herzen. Im Zweifel, ob sie Hermanrich auf die Dauer für die Interessen der Rache und des Blutvergießens gewonnen, im unbestimmten Argwohn, daß er sich während ihrer Abwesenheit mit Antoninens Zufluchtsort bekannt gemacht habe, fortwährend entschlossen auf den Tod ihres Opfers sinnend, wohin sich dasselbe auch begeben haben würde, erwartete sie mit zitternder Begier den Tag der Wiedererlangung ihrer Kräfte, welche sie in den Stand setzen würde, ihren Einfluß auf den Gothen wieder zu erlangen und ihre Ränke gegen das geflüchtete Mädchen fortzusetzen. Ihre lange erhoffte völlige Genesung war an dem Tage vor der bereits beschriebenen stürmischen Nacht eingetreten, und der erste Gebrauch, welchen sie von ihrer erneuten Thatkraft machte, bestand darin, daß sie dem jungen Gothen ihre Absicht mittheilen ließ, ihn vor Einbruch des Abends ans seinem Posten zu besuchen.

Diese Mittheilung war es, welche die zu Anfang des vorigen Kapitels erwähnte Unruhe Hermanrich’s verursacht hatte. Der dort geschilderte Abend war der erste, welcher ihn durch den angedrohten Besuch Goiswinthens der Aussicht beraubt hatte, wie er gewohnt war, unter dem Schutze der Nacht zu Antonina zu gehen, da er sich durch die Mißachtung der ominösen Botschaft seiner Verwandten der verderblichsten Entdeckung ausgesetzt haben würde. Im Vertrauen auf die trügerische Sicherheit, welche ihm ihre Krankheit gewährte, hatte er bis jetzt die unwillkommene Erinnerung an ihre Existenz aus seinen Gedanken verbannt, jetzt aber, wo sie erneuter Thätigkeit und Verbrechen fähig war, fühlte er, daß er, um das Geheimniß des Verstecks Antoninens und das Leben seiner Geliebten zu bewahren, dableiben und wenn ihn Goiswintha auf seinem Posten besuchte, Gewalt gegen Gewalt und List gegen List anwenden müsse, selbst auf die Gefahr hin, durch sein Ausbleiben dem einsamen Mädchen alle Qualen der Angst und Besorgniß aufzuerlegen.

In solche Gedanken versunken, sich nach der Entfernung sehnend, aber doch zum Bleiben entschlossen, erwartete er ungeduldig Goiswinthens Erscheinen, bis das Aufsteigen des Gewitters, mit seiner räthselhaften, ihn völlig in Anspruch nehmenden Reihe von Ereignissen, seine Gedanken und Handlungen in ein neues Bett leitete. Sobald jedoch seine Gespräche mit dem Fremden und dem gothischen Könige vorüber und er dem erhaltenen Befehle gemäß auf seinen Posten zurückgekehrt war, nahmen seine auf eine Zeitlang vertriebenen aber nicht völlig vernichteten alten Besorgnisse wieder ihren Einfluß auf ihn an. Er fragte seine Kameraden begierig, ob Goiswintha in seiner Abwesenheit gekommen sei und erhielt von Allen die gleiche verneinende Antwort.

Während er jetzt auf das Pfeifen des Windes, den immer lauter werdenden Donner und das schrille Geschrei der fernen Nachtvögel, welche ihren Zufluchtsorten zueilten, lauschte, nahmen trübe, traurige Empfindungen von seinem Herzen Besitz. Er wunderte sich jetzt, daß irgend ein Ereigniß, wie unerwartet es auch kommen und wie ungewöhnlich es auch sein mochte, die Gewalt besitzen konnte, seinen Geist auf einen Augenblick von den traurigen Gedanken abzulenken, welche ihn am Schlusse des Tages erfüllt hatten. Er dachte an die einsame, hilflose Antonina, die erschreckt in den Sturm hinaushorchte und vergebens auf sein lange hinausgeschobenes Nahen wartete. Seine Phantasie stellte vor ihm ein Heer von Gefahren, Complotten und Verbrechen, die mit allen entsetzlichen Mißgestalten eines Traumes bekleidet waren, vor ihm auf. Selbst das schnelle eintönige Tröpfeln des Regens vor dem Hause erweckte in ihm dunkle, unerklärliche Ahnungen von Unheil. Die Leidenschaft, welche ihm bis jetzt neue Freuden geschaffen. hatte, erfüllte jetzt die andere Hälfte ihrer irdischen Sendung, und verursachte ihm neue Schmerzen.

In dem Maße, wie der Sturm zunahm, wie die langsamen Augenblicke schwer und trübe vorüberschlichen, wie die Finsterniß tiefer und immer tiefer wurde, wuchs auch seine Unruhe, bis sie endlich den letzten schwachen Widerstand seiner schwankenden Kraft besiegte. Er überredete sich, daß Goiswintha, nachdem sie so lange gezögert, sich jetzt enthalten würde, ihn vor dem Morgen zu besuchen, und daß alle Mittheilungen von Alarich, wenn deren abgesendet worden wären, ihm längst schon hätten zugekommen sein müssen, unfähig, länger seine Besorgnisse wegen Antoninens Sicherheit zu bekämpfen, entschlossen, es lieber aus die schlimmsten Möglichkeiten ankommen zu lassen, als zu einer solchen Zeit des Sturmes und der Gefahr von dem Hause seiner Geliebten fern zu bleiben, machte er einen letzten Besuch auf den Standpunkten der wachsamen Posten und verließ das Lager.



Kapiteltrenner

Kapitel IV.
Die Hunnen.

Mehr als eine Stunde, nachdem Hermanrich das Lager verlassen hatte, trat eiligen Schrittes ein Mann in das von dem jungen Häuptling bewohnte Haus. Er machte keinen Versuch ein Licht oder Feuer anzuzünden, sondern setzte sich in dem Hauptgemache nieder und flüsterte von Zeit zu Zeit Worte einer fremden barbarischen Sprache vor sich hin.

Er war erst kurze Zeit in Besitz seiner unbehaglichen Einsamkeit gewesen, als ein Troßknecht mit einer kleinen Lampe und dicht hinter ihm ein Weib eintrat, das sich, als er aufsprang, und ihr entgegenging, als Hermanrich’s Schwester zu erkennen gab und begierig den Gothen zu sprechen verlangte.

So hager und bleich es auch durch lange Leiden und Aufregung geworden war, erschien doch das Gesicht Goiswinthens, denn diese war es, geradezu anziehend, wenn man es jetzt im Lampenscheine mit dem Gesichte und der Gestalt des von ihr angeredeten Individuums verglich. Eine platte Nase, eine schwärzlichbraune Haut, lange, straffe, verworrene Locken von kohlschwarzem Haar, ein bartloses, zurückweichendes Kinn und kleine, wilde, tiefliegende Augen verliehen der Physiognomie des Mannes fast etwas Thierisches. Seine breiten, musculösen Schultern hingen über einer Gestalt, die von eben so geringer Höhe, wie athletischer Bauart war, wenn man ihn anblickte, so sah man die Muskeln eines Riesen in den Körper eines Zwerges gespannt. Und doch war dieser ungestaltete Herkules kein einzelnes Versehen der Natur, keine ungewöhnliche Ausnahme von seinen Nebenmenschen, sondern der Typus einer ganzen eben so verwachsenen und zurückstoßenden Race wie er, er war ein Hunne.

Dieses wilde Volk, welches selbst der Schrecken seiner barbarischen Nachbarn war und ohne Regierung, Gesetze oder Religion lebte, besaß mit dem Menschengeschlechte nur ein Gefühl in Gemeinschaft, den Instinkt des Krieges. Seine historische Laufbahn begann mit seinen frühesten Eroberungen in China und nahm ihren Fortgang mit seinen ersten Siegen über die Gothen, welche die hunnischen Krieger als Dämonen betrachteten sind bei ihrer Annäherung flohen. Die so begonnenen Feindseligkeiten zwischen den beiden Völkern gingen endlich durch die zeitweilige Verbindung des besiegten Volkes mit dem römischen Reiche in einen Waffenstillstand über und hörten später bei der allmäligen Verschmelzung der Interessen Beider zu einem gemeinschaftlichen Gefühle —— dem Abscheu gegen Rom —— gänzlich auf.

Durch dieses Verbrüderungsband wurden die Gothen und Hunnen öffentlich verknüpft, blieben aber insgeheim in Feindschaft mit einander, —— denn die eine Nation erinnerte sich eben so lebhaft an ihre früheren Niederlagen, wie die andere an ihre frühem Siege. In einem Wechsel von Niederlagen, Uneinigkeiten und Siegen, verfolgten sie ihre Laufbahn des Kampfes und der Plünderung, bald getrennt, bald zusammen, bis zur Zeit unserer Erzählung, wo Alarich’s Belagerungsheer unter den Reihen seiner barbarischen Hilfstruppen auch eine Abtheilung von Hunnen zählte, die, nur widerstrebend mit dem Titel von Verbündeten der Gothen beehrt, in untergeordneten Stellungen im Heere verstreut waren und unter denen das oben beschriebene Individuum einer von denjenigen war, welche man verächtlich durch Beförderung zu einer niedern Befehlshaberstelle unter Hermanrich, als einem gothischen Anführer begünstigt hatte.

Ein Ausdruck der Abneigung aber nicht des Schreckens zog über Goiswinthens abgemagertes Gesicht, als sie sich dem Barbaren näherte und wiederholt den Wunsch aussprach, vor Hermanrich geführt zu werden. Auch auf das zweite Mal gab der Mann ihr jedoch keine Antwort; er brach in ein kreischendes, kurzes Lachen aus und zuckte seine ungeheuren Achseln mit ungeschicktem Spott. Das Gesicht des Weibes röthete sich auf einen Augenblick und nahm dann wieder eine gelbliche Blässe an, als sie fortfuhr:

»Ich bin nicht hierhergekommen, um von einem Barbaren verspottet, sondern um von einem Gotten bewillkommnet zu werden. Ich frage Dich nochmals, wo ist mein Bruder, Hermanrich!«

»Fort!« —— rief der Hunne, und sein Gelächter wurde noch wilder und mißtöniger.

Goiswinthens Körper durchzuckte eins plötzliches Beben, als sie das Benehmen des Barbaren bemerkte und, seine Antwort hörte. Sie unterdrückte mit Schwierigkeit ihren Zorn und ihre Aufregung und fuhr mit besorgten Blicken und bittenden Tönen fort.

»Wohin ist er gegangen? Weshalb hat er sich entfernt? —— Ich weiß, daß die Stunde, welche ich für unsere Besprechung hier bestimmt hatte, längst vorüber ist, aber ich habe viele Wochen lang krank darnieder gelegen, und als ich mich diesen Abend; zum Fortgehen anschickte, schienen plötzlich meine verschwundenen Leiden zurückzukehren. Ich wurde in mein Bett getragen, wiewohl aber die Weiber, welche mir Beistand leisteten, sagten, daß ich dableiben und ausruhen solle, so fand ich doch in der Nacht Kraft genug, um ihnen zu entrinnen und durch Stimm- und Finsterniß allein hierher zu kommen, —— denn ich war entschlossen, wenn ich auch dafür umkommen sollte, Hermanrich aufzusuchen, wie ich es durch meine Boten versprochen hatte. Du, der Du der Gefährte seiner Wache bist, mußt wissen wohin er sich begeben hat. Geh zu ihm und berichte ihm, was ich gesagt habe, ich werde hier aus seine Rückkehr warten.«

»Sein Geschäft ist geheim! spöttelte der Hunne, »er hat sich entfernt, aber ohne mir zu sagen, wohin, woher sollte ich Barbar den Aufenthaltsort eines vornehmen Gothen kennen? Mir geziemt es nicht, seine Handlungen zu wissen, sondern seinen Worten zu gehorchen.«

»Spotte nicht über Deinen Gehorsam,« entgegnete Goiswintha mit athemlosem Eifer; »ich sage Dir nochmals, Du weißt, wohin er gegangen ist und mußt mir sagen, zu welchem Zwecke er sich entfernt hat. Du gehorchst ihm —— da ist Geld, um Dich zum Gehorsam gegen mich zu bewegen.«

»Als ich sagte, daß sein Geschäft geheim sei, habe ich nicht gelogen,« antwortete der Hunne, indem er gierig die Münzen, welche sie ihm zuwarf, aufhob, »aber er hat es nicht vor mir geheim gehalten! Die Hunnen sind schlau! häßlich und schlau!

Der Argwohn ihres sündigen Herzens war in diesem Augenblicke schon halb genügend, um Goiswinthen die Nachricht, welche sie noch erhalten sollte, errathen zu lassen. Es entfloh ihr jedoch kein Wort, während sie dem Barbaren ein Zeichen gab, weiter zu sprechen.

»Er ist nach einem Bauernhause im Freien jenseits der Vorstadt hinter uns gegangen. Er wird erst mit Tagesanbruch zurückkommen!« fuhr der Hunne fort, indem er das Geld in seinen großen hornigen Händen klappern ließ.

»Hast Du ihn gehen sehen?« stöhnte das Weib.

»Ich habe ihn bis zu dem Hause verfolgt,« erwiederte der Barbar »Viele Nächte lang habe ich ihn beobachtet und in Verdacht gehabt; diese Nacht habe ich ihn fortgehen sehen. Erst seit kurzen bin ich wieder zurück. Die Finsterniß hat mich nicht getäuscht, der Ort ist an der Landstraße von den Vorstädten aus —— der erste Nebenweg nach Westen führt an das Gartenthor —— ich weiß es, ich habe sein Geheimniß entdeckt! ich bin schlauer als er.!«

»Zu welchem Zwecke hat er das Bauernhaus bei Nacht besucht?« fragte Goiswintha nach einiger Zeit, während welcher sie, wie es schien, stumm die letzten Worte des Mannes in ihr Gedächtniß geheftet hatte. »Bist Du schlau genug, um mir das zu sagen.«

»Wozu wagen die Männer ihre Sicherheit und ihr Leben, ihr Geld und ihren Ruhm?« lachte der Barbar, »für die Weiber! In dem Bauernhause befindet sich ein Mädchen. Ich sah es an der Thür als der Häuptling hineinging.«

Er schwieg. Goiswintha antwortete aber nicht.

Wir erinnern uns, daß sie von einem Frauengeschlecht abstammte, welches seine verwundeten Gatten, Söhne und Brüder mit eigenen Händen erschlug, wenn es dieselben durch eine Niederlage entehrt nach der Schlacht aufsuchte; wir erinnern uns, daß das Feuer der alten Wildheit dieser Vorfahren noch in ihrem Herzen glühte, wir erinnern uns aller Hoffnungen, die sie auf Hermanrich gesetzt, alles Hasses, welchen sie gegen Antonina gehegt, und sind, den Eindruck der jetzt erhaltenen Nachricht nach seiner vollen Stärke ermessend, eben so abgeneigt wie unfähig, ihre Empfindungen in diesem Augenblicke zu beschreiben. Auf einige Zeit wurde die Stille des Zimmers durch keinen Ton unterbrochen, als das Rollen des Donners draußen, das schnelle convulsivische Athmen Goiswinthens und das Klimpern des Geldes, welches der Hunne mechanisch aus einer Hand in die andere zu werfen fortfuhr.

»Ich werde nach dem Werke der heutigen Nacht eine gute Ernte von Gold und Silber erhalten,« fuhr der Barbar fort, indem er plötzlich die Stille unterbrach, »Du hast mir Geld gegeben um zu sprechen, wenn der Häuptling nach Hause kommt und hört, daß ich ihn entdeckt habe, so wird er mir Geld geben, damit ich schweige. Ich werde morgen, wenn ich auch ein Hunne bin, doch mit dem besten im Heere um die Wette trinken können.«

Er kehrte mit diesen Worten»auf seinen Sitz zurück und begann den Refrain eines beliebten Trinkliedes im eintönigen Takte mit einem seiner Geldstücke auf der Klinge seines Schwertes zu klopfen, während Goiswintha bleich und athemlos an der Thür des Gemaches stand und mit unverwandten, aber ausdruckslosen Augen auf ihn stierte. Endlich rang sich ein tiefer Seufzer aus ihrer Brust. ihre Hände ballten sich unwillkürlich, ihre Lippen bewegten sich mit einem bitteren Lächeln und darauf verließ sie, ohne weiter ein Wort an den Hunnen zu richten, leise das Zimmer.

Sobald sie sich entfernt hatte, trat eine plötzliche Veränderung im Benehmen des Barbaren ein. Er sprang auf, ein Ausdruck wilden Hasses und Jubels zeigte sich auf seinem häßlichen Gesicht und er schritt im Zimmer auf und ab, wie ein wildes Thier in seinem Käfig.

»Endlich werde ich ihn vom Gipfel seiner Gewalt herabreißen!« flüsterte er ingrimmig vor sich hin, »wegen dessen, was ich ihr jetzt erzählt habe, wird ihn seine Schwester hassen —— ich wußte es, während sie sprach! Für das Verlassen seines Postens kann ihn Alarich entehren, ihn verbannen, ihn hängen! Sein Schicksal liegt in meiner Hand, ich werde mich trefflich von ihm und seinen Befehlen frei machen! Ich hasse diesen Gothen ärger, als sein ganzes übriges Volk! Ich will dabei sein, wenn sie ihn an den Baum schleppen und ihm seine Schande vorwerfen, wie er mir meine Mißgestalt vorgeworfen hat.« Hier lachte er in selbstgefälliger Billigung seines Projekts, schritt schneller hin und her und erging sich schon im Voraus in der barbarischen Freude seines Triumphes.

Seine geheimen Betrachtungen hatten ihn so noch einige Zeit beschäftigt, als Schritte vor der Thür vernehmlich wurden. Er erkannte den Tritt augenblicklich und rief der sich vor der Thür befindenden Person leise zu, sich zu nähern. Auf seinen Ruf trat ein Mann ein, der weniger athletisch als er, aber an Ungestalt sein wahres Spiegelbild war. Jetzt begann folgendes Gespräch zwischen den beiden Hunnen:

»Bist Du ihm bis an die Thür gefolgt?« fragte der Neuangekommene.

»Bis an die Schwelle. Dann ist sein Sturz sicher. Ich habe Alarich gesehen.«

»Wir werden ihn unter unsere Füße treten! Den Knaben, der über uns, die wir älter sind als er, gesetzt worden ist, weil er ein Gothe ist und wir Hunnen sind! Aber was sagt Alarich? Wie hast Du bei ihm Gehör erlangt?«

»Die Gothen um sein Zelt verspotteten mich als Wilden und schworen, daß ich von einem Dämon und einer Hexe gezeugt sei, aber ich gedachte der Zeit, wo die Prahler aus ihren Niederlassungen flohen, wenn unsere Stämme ihre schwarzen Rosse bestiegen und sie wie wilde Thiere jagten. Damals waren ihre Lippen blaß von Furcht.«

»Rede von Alarich — unsere Zeit ist kurz!« unterbrach ihn Jener zornig.

»Ich antwortete keine Silbe auf ihren Spott,« fuhr sein Genosse fort, »sondern rief laut, daß ich ein gothischer Verbündeter sei, daß ich Nachrichten für Alarich überbringe und das Recht der Audienz so gut habe, wie Andere. Meine Stimme drang zu den Ohren des Königs, er blickte aus seinem Zelte und winkte mir, herein zu kommen. Ich sah seinen Haß gegen unser Volk in seinem Auge glühen, als wir uns einander anblickten, aber ich sprach unterwürfig und mit sanfter Stimme. Ich erzählte ihm, daß der Anführer, den er über uns gesetzt, insgeheim seinen Posten verlasse, ich erzählte ihm, daß wir seinen begünstigten Krieger seit vielen Nächten nach den Vorstädten gehen gesehen hätten, daß er sich auch diese Nacht, wie viele andere, aus dem Lager gestohlen habe und daß Du ihm nachgegangen seiest, um ihn bis zu seinem Versteck zu verfolgen.«

»War der Tyrann zornig?«

»Sein Gesicht röthete sich und seine Augen blitzten und seine Finger zitterten an der Scheide seines Schwertes, während ich sprach? Als ich zu Ende war, sagte er, daß ich lüge und verfluchte mich als einen ungläubigen Hund, der einen christlichen Häuptling verleumdet habe. Er drohte mir mit dem Hängen. Ich rief, daß er Boten nach unserem Quartiere senden möge, um die Wahrheit zu erforschen, ehe er mich tödte. Er befahl einem Krieger, hierher mit mir zurückzukehren. Als wir herkamen, war der allerchristlichste Anführer nirgends zu sehen —— kein Mensch wußte, wohin er gegangen sei. Wir gingen wieder nach dem Zelte des Königs zurück, sein Soldat, den er ehrte, sprach zu ihm dieselben Worte, wie der Hunne, den er verachtete, da erhob sich Alarich grimmig. —— Noch diese Nacht, rief er, gebot ich ihm mit meinen eignen Lippen, meine Befehle mit Wachsmkeit an seinem angewiesenen Posten zu erwarten. Ich würde solchen Ungehorsam an meinem eignen Sohne bestrafen. Geh, nimm Andere von Deiner Schaar mit, —— Dein Kamerad, der ihm gefolgt ist, wird Euch zu seinem Versteck führen —— bringe ihn gefangen in mein Zelt! —— Dies waren seine Worte. Unsere Kameraden warten draußen auf uns —— laß uns ohne Säumen ausbrechen, damit er uns nicht entgehe.«

»Und wenn er uns Widerstand leisten sollte!« rief der Andere, indem er eilig auf die Thüre zuschritt, »was sagte der König, wenn er uns Widerstand leisten sollte?«

»Erschlagt ihn mit Euren eignen Händen!«



Kapiteltrenner

Kapitel V.
Das Bauernhaus.

Je weiter die Nacht vorrückte, desto stärker wurde der Sturm. Im Freien war seine Heftigkeit am deutlichsten erkennbar. Hier drangen keine lebenden Stimmen mit dem Grollen der Elemente, keine Fackelflammen kämpften mit der tiefen Finsterniß oder ahmten die grellen Blitze nach. Der Donner spielte ununterbrochen seine Sturmsymphonie und die Windsbraut begleitete ihn zu wilder Harmonie anschwellend, wenn sie durch die Bäume brauste, als ob sie in deren rauschenden Zweigen die Saiten einer mächtigen Harfe anschlüge.

In dem kleinen Zimmer des Bauernhauses saßen Hermanrich und Antonina beisammen und lauschten in sprachloser Aufmerksamkeit dem zunehmenden Aufruhr des Sturmes.

Das Zimmer und die darin Befindlichen wurden nur halb durch die Flamme eines glimmenden Holzfeuers erleuchtet. Die kleine irdene Lampe hing an ihrem gewöhnlichen Platze von der Decke herab, aber ihr Oel war erschöpft und ihr Licht erloschen. Eine Schüssel mit Obst lag zerbrochen neben dem Tische, von welchem sie unbeachtet auf den Boden herabgestürzt war. Sonst waren in dem Zimmer keine weiteren Verzierungen oder Hausrathgegenstände zu sehen. Hermanrichs niedergeschlagenen Augen und trüben Züge verriethen die düstere Zerstreuung, in welche er versunken war. Mit der einen Hand die seine umfassend und die andere mit ihrem Kopfe auf seine Schulter gelegt, lauschte Antonina aufmerksam dem abwechselnden Steigen und Fallen des Windes. Ihre Schönheit war während ihres Aufenthaltes in dem Bauernhause frischer und frauenhafter geworden. Heiterkeit und Hoffnung schienen endlich den vollen Antheil an ihrem Wesen erlangt zu haben, welchen ihnen bei ihrer Geburt die Natur angewiesen hatte.

Selbst in diesem Augenblicke des Sturmes und der Finsterniß lag in ihrem Ausdruck mehr Verwunderung und Ehrfurcht, als Aufregung und Schrecken, während sie mit erröthender Wange und leuchtendem Auge auf die Fortschritte des Sturmes lauschte.

So von ihren Gedanken erfüllt, saßen Hermanrich und Antonina in ihrem kleinem Gemache schweigend beisammen, bis die Träumereien Beider plötzlich durch das Zerbrechen des hölzernen Riegels unterbrochen wurden, welcher die Thür des Zimmers verschloß und deren Drängen in den wiederholten Windstößen das vermoderte Holz nicht mehr zu ertragen vermochte. Es lag etwas unaussprechlich Trauriges in der Fluth von Regen, Wind und Finsterniß, welche sich augenblicklich durch die offene Thür zu ergießen schien, als dieselbe heftig in ihren morschen Angeln zurückflog.

Antonina erbleichte und zitterte unwillkürlich, als Hermanrich hastig aufstand und die Thür wieder schloß, indem er die Klinke aus der Schlinge losmachte, welche sie hielt, wenn sie nicht benutzt wurde. Er sah sich hierbei im Zimmer um, ob er nicht einen Ersatz für den zerbrochenen Riegel finden könne, aber sein Auge begegnete keinem zu diesem Zwecke geeigneten Gegenstande und er murmelte unmuthig, auf seinen Sitz zurückkehrend:

»So lange wir hier sind, um sie zu beobachten, reicht die Klinke aus, sie ist neu und fest.«

Er schien wieder in seinen früheren Trübsinn versinken zu wollen, als die Stimme Antoninens seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm und ihn für den Augenblick aus seinen Gedanken erweckte.

»Steht es in der Macht des Sturmes, Dich, einen Krieger aus einem Heldengeschlecht, so betrübt und traurig zu machen?« fragte sie mit Tönen sanften Vorwurfs, »selbst ich kann, wenn ich auf diese Wände blicke, die mein Glück so beredt verkünden. und neben Dir sitze, dessen Gegenwart dieses Glück bildet, dem brausenden Sturme lauschen, ohne mein Herz bedrückt zu fühlen. Was liegt in dem Sturme für Dich oder mich, daß er uns mit Trübsinn belasten sollte, kommt nicht der Donner der Winternacht von demselben Himmel, wie der Sonnenschein des Sommertages? Du bist so jung, so großmüthig, so tapfer, Du hast mich geliebt und bemitleidet und mir beigestanden —— warum sollte also die nächtliche Sprache des Himmels solche Trauer und solches Schweigen über Dich werfen?«

»Ich bin nicht aus Trübsinn schweigsam,« antwortete Hermanrich mit erzwungenem Lächeln, »sondern aus Ermüdung vom vielen Arbeiten im Lager.« Er erstickte bei diesen Worten einen Seufzer. Sein Kopf kehrte in seine alte gesenkte Lage zurück. Der Kampf zwischen seiner angenommenen Sorglosigkeit und seiner wahren Unruhe war offenbar ein ungleicher. Das Mädchen blickte ihn fest mit dem wachsamen Auge der Liebe an und ihr Gesicht trübte sich mit dem seinen. Sie schmiegte sich enger an seine Seite und sprach mit ängstlichen, bittenden Tönen weiter:

»Ist es vielleicht der Kampf zwischen unsern beiden Nationen, der uns bereits getrennt hat und uns wieder trennen kann, welcher Dich so bedrückt?«. sagte sie; »aber denke, wie ich, an den Frieden, welcher kommen muß, und nicht an den Krieg, der jetzt vorhanden ist. Denke an die Freuden unserer früheren Tage und das Glück unserer gegenwärtigen Augenblicke, wo wir so vereint und liebend, so für einander lebend und hoffend, und Du wirst dann, gleich mir, nicht mehr an der sich für uns Beide vorbereitenden Zukunft zweifeln.

Die Zeit der Ruhe kehrt vielleicht mit dem Frühling zurück. Der heitere Himmel wird dann auf ein ruhiges Land und ein glückliches Volk herableuchten und wird es dann in jenen Tagen des Sonnenscheins und Friedens unter dem ganzen frohen Volke freudigere Herzen geben, als die unseren?«

Sie schwieg einen Augenblick. Ein plötzlicher Gedanke oder eine in ihr aufsteigende Erinnerung ließ sie erröthen und zaudern, ehe sie weiter sprach. Endlich wollte sie fortfahren, als ein lauterer Donnerschlag als alle ihm vorhergegangenen, drohend über dem Hause dahinrollte und die ersten Töne ihrer Stimme erstickte. Der Wind ächzte laut, der Regen plätscherte gegen die Thüre, die Klinke klapperte lange und scharf in ihrer Befestigung. Hermanrich stand wieder auf, trat an das Feuer und legte ein frisches Scheit auf die verglimmenden Kohlen. Seine Niedergeschlagenheit schien sich jetzt Antoninen mitgetheilt zu haben und als er sich von Neuem neben ihr hinsetzte, redete sie ihn nicht wieder an.

Im Geiste des Gothen erhoben sich traurigere und schmerzlichere Gedanken als alle die ihn noch beschäftigt hatten. Seine Unruhe in dem Vorstadtquartiere war im Vergleich mit der Düsterheit, welche ihn jetzt bedrückte, die Ruhe selbst. Alle Pflichten seiner Nation, seiner Familie und seines Berufes, denen er ausgewichen war, alle unterdrückten Erinnerungen an die kriegerischen Beschäftigungen, die er gering geschätzt, und die kriegerische Feindseligkeit, welcher er entsagt hatte, belebten sich jetzt rächend in seinem Gedächtnisse von Neuem. So lebhaft aber auch diese Erinnerungen waren, schwächten sie doch keines von den Gefühlen leidenschaftlicher Hingebung gegen Antoninen, durch welche ihr Einfluß in seinem Innern bisher unterdrückt worden war. Sie existierten neben ihnen —— die alten Erinnerungen neben den neuen Empfindungen —— der strenge Tadel, der Natur des Kriegers mit den besorgten Ahnungen des Herzens des Liebenden. Und jetzt begann seine räthselhafte Begegnung mit Ulpius, Goiswinthens unerwartete Genesung und das dumpfe Aufsteigen und der wüthende Ausbruch des nächtlichen Sturmes auf seinen abergläubischen Geist den Eindruck einer Reihe ungewöhnlicher, bedeutsamer Vorfälle zu machen, die dazu bestimmt waren, die Unglück weissagende Rückkehr des Einflusses seiner Verwandten auf seine Handlungen und Antoninens Schicksal zu bezeichnen.

Mit bis in’s Einzelnste gehender Ausführlichkeit belebte sein Gedächtniß von Neuem jeden Umstand, der seine verschiedenen Zusammenkünfte mit dem römischen Mädchen begleitet hatte, von der ersten Nacht, wo sie sich in sein Zelt verirrt, bis zu dem letzten glücklichen Abend, den er mit ihr in dem verlassenen Bauernhause zugebracht hatte. Hierauf verfolgte er den Lauf seiner Existenz weiter rückwärts und stellte sich sein Zusammentreffen mit Goiswinthen in den italienischen Alpen, seine Anwesenheit bei dem Tode ihres letzten Kindes und sein feierliches Versprechen vor, sie mit seinen eignen Händen an den Römern zu rächen, nachdem sie ihm das Blutbad von Aquileja erzählt hatte. Durch diese einander entgegengesetzten Bilder der Vergangenheit erweckt, bevölkerte seine Phantasie die Zukunft mit Vorstellungen von neuen Gefahren, Bekümmernissen und Verstoßungen Antoninens, mit Visionen von dem ungeduldigen Heere, welches endlich, zu wilder Thätigleit angespornt, das römische Volk gänzlich niedermetzelte und ihn auf ewig wieder in seine rächenden Reihen zurückzukehren zwang. Er konnte weder zu einem Entschlusse des Widerstandes, noch zur Ergebung in die Flucht gelangen, Ungewißheit, Verzweiflung und Besorgniß übten eine ungehinderte Herrschaft auf seine leicht erregbaren, aber trägen Geisteskräfte. Die Nacht selbst war, als er in sie hinausblickte, nicht finsteren; der wilde Donner, welchen er hörte, nicht grausiger, der Name Goiswinthens, wenn er an sie dachte, nicht Unheil verkündender, als die finsteren Visionen, welche jetzt seine Phantasie durchzogen und seinen müden Geist bedrückten.

In der Lage Hermanrichs und Antoninens, wie sie so als die einzigen Glieder ihrer Nationen, welche in Liebe und Frieden verbunden waren, in dem einsamen Bauernhause dasaßen, lag etwas unbeschreiblich Einsames, Rührendes und Beredetes. Beide Hände des Mädchens waren auf Hermanrichs Schulter gefaltet und ihr Kopf ruhte auf ihnen, von der Thür des Zimmers gewendet, und ließ so ihr volles, schwarzes Haar in aller seiner Ueppigkeit erblicken. Der Kopf des Gothen war immer noch auf seine Brust: gesunken, als ob er in tiefen Schlaf gehüllt sei, und seine Hände ruhten nachlässig neben einander auf der Scheide seines auf seinen Knieen liegenden Schwertes. Das Feuer flackerte nur in Zwischenräumen in die Höhe, da der frische Klotz, welchen er darauf gelegt hatte, noch nicht vollkommen angebrannt war. Zuweilen spielte das Licht auf dem glänzenden Harnisch Hermanrichs, den dieser abgenommen und neben sich auf den Boden gelegt hatte, zuweilen auf seinem Schwerte und den darauf ruhenden Händen, aber es war nicht kräftig oder dauernd genug, um das Zimmer zu erhellen, dessen Wände und Ecken es in fast völliger Finsterniß ließ.

Der Donner rollte immer noch, aber Regen und Wind hatten sich theilweise gelegt. Die Stunden der Nacht waren schneller vorwärts gegangen, als unsere Erzählung von den dieselben ausfüllenden Ereignissen.

Es war jetzt Mitternacht.

Aus dem Zimmer drang kein Ton zu Antoninens Ohren, als das scharfe Klappern der Thürklinke, welche von dem Winde in ihrer Befestigung erschüttert wurde. Sie ließ ihre klirrenden Töne so regelmäßig vernehmen, als würde sie von den fortschreitenden Augenblicken bewegt, und hielts mit ihnen Schritt. Allmälig bemerkte das Mädchen, daß sie auf diesen scharfen, mißtönigen Klang mit aller Aufmerksamkeit horchte, welche sie zu andern Zeiten dem Rieseln eines fernen Wassers oder den beschwichtigenden Harmonieen einer Laute geschenkt haben würde; plötzlich aber, gerade als es sich ihren Sinnen am ruhigsten zu fügen schien, hörte es auf und im nächsten Augenblicke wehte ihr ein Windstoß, gleich demjenigen, welcher durch die offene Thür gekommen war, als der morsche Riegel derselben brach, das Haar über ihr Gesicht weg und bewegte die Falten ihres leichten, lockeren Kleides. Sie erhob den Kopf und flüsterte Hermanrich bebend zu:

»Die Thür ist wieder offen —— der Riegel ist gewichen!«

Der Gothe schrak aus seinen Träumen auf und blickte hastig in die Höhe. In diesem Augenblicke begann das Klappern der Klinke eben so plötzlich wieder, als es aufgehört hatte, und die Luft des Zimmers nahm ihre frühere Stille wieder an.

»Beruhige Dich, Geliebte,« sagte Hermanrich sanft; »Deine Phantasie hat Dich getäuscht —— die Thür ist wohl verwahrt.«

Er strich ihr bei diesen Worten liebkosend das Haar aus dem Gesichte. Unfähig, das geringste von seinen Lippen fallende Wort zu bezweifeln, und keinen verdächtigen und ungewöhnlichen Ton im Zimmer vernehmend, machte sie keinen Versuch, ihren Verdacht zu rechtfertigen. Als sie wieder die Hand auf seine Schulter legte, beängstigte eine unbestimmte Befürchtung ihr Herz und entlockte ihr einen unwillkürlichen Seufzer, aber sie verlieh ihrer Besorgniß keinen Ausdruck in Worten. Nachdem der Gothe noch einen Augenblick gelauscht hatte, um sich zu überzeugen, daß die Klinke wirklich gehörig verwahrt sei, nahm er unmerklich wieder die Betrachtungen auf, aus welchen er gestört worden war, von Neuem senkte sich sein Kopf, von Neuem kehrten seine Hände mechanisch in ihre frühere, gleichgültige Lage neben einander auf der Scheide seines Schwertes zurück.

Die schwache, flackernde Flamme stieg und sank immer noch, die Klinke klapperte scharf in ihrer Dille, der Donner ließ immer noch sein mürrisches Rollen vernehmen, aber der Wind legte sich jetzt zu schwächeren Stößen und der Regen begann leiser und immer leiser an die Fensterläden zu schlagen. Für die in dem Bauernhause Wachenden hatte sich, was das Auge betras, nichts, und was das Ohr anlangte, nur wenig verändert. Verderbliche Sicherheit!

Die letzten wenigen Minuten hatten ihr künftiges Geschick verderblich bestimmt, —— sie waren in ihrem geliebten Zufluchtsorte jetzt nicht mehr allein.

Sie hörten keinen leisen Schritt um ihre Wohnung schleichen, sie sahen kein blitzendes Auge durch eine Ritze der Fensterläden in das Innere des Zimmers spähen, sie bemerkten keine dunkle, durch die leise und schnell geöffnete Thür in den finstersten Winkel des Zimmers gleitende Gestalt. Während sie jetzt neben einander saßen und ihre jungen, traurigen Herzen stumm mit einander verkehrten, stand jedoch die drohende Gestalt Goiswinthens, in ihre Verwandte Finsterniß gehüllt, unter ihrem schützenden Dache und in ihrem geliebten Dache, still und stumm fast dicht neben ihnen.

Wiewohl die Gluth ihres Fiebers wieder in ihren Adern gewüthet, wiewohl erschreckende Visionen der Mordthaten von Aquileja blitzähnlich vor ihren Augen gezuckt hatten, war sie doch durch die Vorstädte und auf der Landstraße und den schmalen Pfad zur Thür des Bauernhauses hinab, ohne sich nur ein einziges Mal zu verirren oder zu zaudern, geeilt. Achtlos gegen die Finsterniß und den Sturm war sie um das Haus geschlichen, hatte die Klinke erhoben, auf einen lauten Donnerschlag gewartet, ehe sie durch die Thür trat und sich gespenstergleich in den dunkelsten Winkel des Zimmers geschlichen, wobei sie eine Geduld und Entschlossenheit entwickelte, die sich durch nichts stören ließ. Und jetzt, wo sie am Ziele ihrer schlimmsten Wünsche stand, selbst jetzt, wo sie auf die beiden Wesen hinabblickte, die ihre Absichten vereitelt und sie betrogen hatten, verließ sie ihre wilde Fassung nicht, ihre Lippen bebten über ihren verbissenen Zähnen, ihr Busen pochte über ihren durchnäßten Gewändern, aber sie ließ sich weder Seufzer noch Flüche, noch selbst ein Lächeln des Triumphes oder eine Bewegung des Zornes entschlüpfen.

Sie warf keinen Blick auf Antonina. Ihre Augen schweiften keinen Moment von Hermanrich’s Gestalt hinweg. Dem vorübergehendsten, schwächsten Feuerscheine, welcher auf demselben spielte, folgte ihr begieriger Blick eben so schnell, wie jener selbst. Bald heftete sich ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf seine über der Scheide seines Schwertes liegenden Hände und dann erhob sich langsam und dunkel ein neuer verderben schwangerer Entschluß in ihrem Innern. Die sich auf ihrem Gesichte abzeichnendem verschiedenartigen Bewegungen lösten sich in einen boshaften Ausdruck auf, und ohne die Augen von dem Gothen zu verwenden, zog sie langsam aus den Busenfalten ihres Gewandes, ein langes, scharfes Messer.

Das Feuer zitterte abwechselnd hell auf und versank wieder in Dunkelheit wie anfänglich. Hermanrich und Antonina verharrten von ihren Gedanken und sich selbst erfüllt, in ihrer früheren Lage und Goiswintha blieb unbeweglich mit dem Messer in der Hand wachsam, fest, stumm wie bisher stehen.

Aber unter der Hülle ihrer äußerlichen Ruhe wüthete ein Kampf, in dem sich ihr Geist verdunkelte und ihr Herz zuckte. Zweimal brachte sie das Messer in seinen früheren Versteck zurück und zweimal zog sie es wieder hervor. Ihre Wangen wurden bleicher und bleicher, sie preßte ihre geballte Hand convulsivisch auf ihren Busen und lehnte sich matt an die Wand hinter ihr.

An diesem Kampfe geheimer Bewegungen hatte kein Gedanke an Antoninen Theil, ihr Grimm hatte zu viel Schmerzliches an sich, um Zorn gegen einen Fremden und Feind sein zu können.

Nach wenigen Augenblicken war ihre Kraft zurückgekehrt, ihre Festigkeit gestählt Die letzten Spuren des Kummers und der Verzweiflung, die sich bisher in ihren Augen gezeigt hatten, verschwanden plötzlich aus denselben. Grimm, Rache, Grausamkeit glühten in ihnen, als sie leise bis dicht zu dem Gothen heranschlich und als der nächste Schimmer des Feuers auf ihn spielte, das Messer scharf über die Rückseite seiner beiden Hände zog. Der Schnitt war richtig geführt, kräftig und schnell er theilte die Sehnen von der ersten bis zur letzten der Gothe war auf lebenslang verkrüppelt.

In diesem Augenblicke hatte das Feuer das Herz des darauf gelegten Klotzes ergriffen, er prasselte munter, er loderte hell auf. Das ganze Zimmer war glänzend erleuchtet.

Das warme heitere Licht zeigte dem Gothen die Gestalt derjenigen, welche ihn verstümmelt hatte, ehe noch der erste Schrei der Pein auf seinen Lippen erstorben, ehe noch das erste Zacken ununterdrückbaren Entsetzens in seinem Körper vorüber war. Das Geschrei seiner unglücklichen Gefährtin als die ganze Scene der Rache, Verrätherei und Verstümmelung in einem furchtbaren Augenblicke vor ihr vorüber blitzte, schien nicht einmal seine Ohren zu erreichen. Einmal blickte er auf seine hilflosen Hände nieder, als das Schwert schwer aus denselben auf den Boden rollte, dann haftete sein Blick unbeweglich auf Goiswinthen, die in geringer Entfernung von ihm, mit ihrem blutigen Messer, eben so stumm wie er selbst dastand.

In seinen Zügen war, als er jetzt auf sie blickte, keine Muth, kein Trotz, nicht einmal die vorübergehende Verzerrung physischer Leiden zu erblicken, als er sie so anschaute; starres Entsetzen —— thränenlose, stumme, hilflose Verzweiflung schien den Ausdruck seines Gesichts in eine ewige unjugendliche, hoffnungslose Form gepreßt zu haben, als ob er von Kindheit auf eingekerkert gewesen wäre und eine Stimme ihm jetzt von den Gittern seiner Kerkermauern aus die Freuden der Freiheit vorhalte. Selbst als Antonina, aus ihrer ersten Schmerzensqual erwachend, ihre convulsischen Küsse auf seine kalte Wange drückte und ihn anflehte, sie anzuschauen, wendete er weder den Kopf von Goiswinthens Gestalt ab, noch lenkte er selbst seine Augen von ihr hinweg.

Endlich wurden die tiefen festen Töne der Stimme des Weibes in dem öden Schweigen hörbar.

»Ein Verräther in Wort und Gedanken magst Du noch sein —— aber ein Verräther in Thaten zu sein, hast Du für immer aufgehört!« begann sie mit ihrem Messer aus seine Hände deutend. »Die Hände, welche ein römisches Leben beschützt haben, sollen nie ein römisches Schwert halten, nie wieder durch ihre Berührung eine gothische Waffe beflecken! Ich erinnerte mich, als ich Dich in, der Finsterniß beobachtete, wie die Frauen meines Stammes einst ihre feigen Krieger bestraften, wenn sie von einer Niederlage zu ihnen flohen —— so habe ich Dich bestraft! Der Arm, der nicht der Sache der Schwester und ihrer Kinder —— des Königs und des Volkes gedient hat, soll keiner andern dienen. Ich bin jetzt, wo ich mich an Dir gerächt habe, schon halb für die Morde von Aquileja gerächt. Geh, fliehe mit der Römerin, die Du Dir ausgewählt hast, nach der Stadt ihres Volkes. Dein Leben als Krieger ist zu Ende.«

Er gab ihr keine Antwort, —— es gibt Empfindungen —— die letzten eines Lebens —— die von der Natur die stärksten Schranken hinwegreißen, welche die Gewohnheit aufgerichtet hat, um sie zu unterdrücken, die die verborgene Existenz des ersten rohen Socialgefühls der ursprünglichen Tage einer großen Nation in der Brust ihrer fernsten Nachkömmlinge verrathen, wie weit sie auch durch ihre Kenntnisse, ihr Glück und ihre Veränderungen moralisch von ihren Vorfahren getrennt zu sein scheinen mögen. Dies waren die Empfindungen, welche jetzt in dem Herzen des Gothen erwachten.

Sein Christenthum, seine Liebe, das Bewußtsein hoher Bestrebungen und seine Erfahrung neuer Ideen versanken und verließen ihn, als ob er sie nie gekannt habe. Er dachte an seine gelähmten Hände und in seinem Innern regte sich kein anderer Geist, als der alte gothische, früherer Jahrhunderte, der seiner Nation ihre ersten nordischen Gesänge und nordischen Thaten eingab, der des Ruhmes, des Muthes, der Herrschaft und der Oberherrlichkeit der Kraft.

Umsonst sehnte sich Antonina in der Verzweiflung, welche sich ihrer bemächtigt hatte, nach einem Worte von seinen Lippen oder einem Blicke aus seinen Augen, umsonst stillten ihre zitternden Finger, nachdem sie ihr Kleid zerrissen, um Bandagen daraus zu machen, das Blut seiner verwundeten Hände, umsonst rief ihm ihre Stimme zu, daß er fliehen und von seinen Kameraden im Lager Hilfe herbeirufen möge —— sein Geist war in weiter Ferne bei den Legenden von den Schlachtfeldern seiner Vorfahren und erinnerte sich, wie sie sich selbst am Tage des Sieges tödteten, wenn sie in der Schlacht gelähmt worden waren, wie sie es verschmähten zu andern Zwecken als denen des Kampfes zu leben, wie sie Verräther verstümmeltem wie Goiswintha ihn verstümmelt hatte!

Dies waren die Gegenstände, welche seine inneren Fähigkeiten gefesselt hielten, während seine äußern Sinne noch von dem furchtbaren Zauber umstrickt waren, welcher für ihn in der Gegenwart seiner Lähmerin neben ihm bestand. Sogar das Bewußtsein des Lebens schien aufgehört zu haben, obgleich er athmete und sich bewegte.

»Du dachtest mich in meiner Krankheit zu betrügen, Du hofftest von meinem Tode Vortheil zu ziehen,« fuhr Goiswintha fort, indem sie verächtlich den Blick ihres Opfers erwiderte. »Du vertrautest auf die Nacht und die Dunkelheit und den Sturm —— Du warst sicher in Deiner Kühnheit, in Deiner Kraft, in dem Geheimnisse dieses Verstecks, den Du für Deinen Verrath gewählt hast, aber Deine List und Deine Erwartungen sind fehlgeschlagen! In Aquileja habe ich gelernt, eben so listig und wachsam zu sein, wie Du! Ich habe entdeckt, daß Du die Krieger und das Lager verließest, ich bin bis zu Deinem Verstecke gedrungen, ich bin eben so leise in dasselbe getreten, wie ich einst das Haus verließ, wo meine Kinder getödtet worden waren.

»In meiner gerechten Rache habe ich Dich eben so verrätherisch behandelt, wie Du mich behandelt haben würdest. Erinnere Dich Deines ermordeten Schwagers, erinnere Dich des Kindes, das ich verwundet in Deine Arme gelegt und todt aus ihnen empfangen habe, erinnere Dich Deiner gebrochenen Eide und vergessenen Versprechungen, und gewähre Deinem Volke, Deinen Pflichten und mir die Vergütung, die einzige und letzte Vergütung, welche ich noch in Deiner Macht gelassen habe —— die Vergütung durch den Tod.«

Von Neuem schwieg sie, aber wieder wurde ihr keine Antwort zu Theil. Der Gothe bewegte sich weder noch sprach er und Antonina, die, ohne es selbst zu wissen, auf dem jetzt für ihn auf ewig unbrauchbaren Schwerte kniete, fuhr fort das Blut an seinen Händen mit einem mechanischen Eifer zu stillen, welcher die Betrachtung jedes andern Gegenstandes von ihren Augen auszuschließen schien. Die Thränen strömten unablässig über ihre Wangen herab, aber sie wendete sich nie zu Goiswinthen, ließ nie in ihrer Beschäftigung nach.

Unterdessen loderte das Feuer immer noch prasselnd auf dem warmen, hellen Heerde, aber der Sturm ließ schnell nach, als verschmähe er das Amt, die menschlichen Schrecken der Seene im Bauernhause zu erhöhen. Der Donner rollte weniger häufig und weniger laut, der Wind sank zu Zwischenräumen geräuschloser Stille herab und von Zeit zu Zeit ergoß sich der Mondschein durch die zerrissenen Ränder der sich schnell zerstreuenden Wolken. Der Hauch des stillen Morgens zog bereits über das Firmament der stürmischen Nacht.

»Besitzt das Leben noch seinen alten Zauber für Dich?« fuhr Goiswintha in Tönen mitleidlosen Vorwurfs fort: »hast Du mit dem Muthe Deines Volkes den Zweck vergessen, für welchen Deine Vorfahren lebten? Liegt nicht das Schwert zu Deinen Füßen? Ist nicht das Messer in meiner Hand? Bieten Dir nicht die Wellen des dort der See zuströmenden Tiber das Grab der Vergessenheit, welches Alle suchen können? Stirb also! sei in Deiner letzten Stunde ein Gothe, selbst für die Römer bist Du jetzt werthlos. Schon haben Deine Kameraden Deine Desertion entdeckt —— willst Du warten bist Du als Rebell gehängt wirst? Willst Du leben, um die Gnade Deiner Feinde anzuflehen, oder entehrt und hilflos zu entrinnen versuchen. Du gehörst zu dem Blute meiner Familie, aber nochmals sage ich Dir, stirb!«

Seine bleichen Lippen bebten, er sah sich zum ersten Male nach Antoninen um, aber seine Stimme kämpfte auch jetzt vergebens gegen die Verzweiflung. Er schwieg.

Goiswintha wendete sich geringschätzig von ihm ab, näherte sich dem Feuer und setzte sich vor demselben nieder, indem sie ihr hageres Gesicht über die schimmern den Flammen beugte. Einige Minuten lang blieb sie in ihre schlimmen Gedanken versunken, aber es entfloh ihr kein artikulierter Laut und als sie endlich das Schweigen wieder plötzlich unterbrach, geschah es nicht, um den Gothen anzureden, oder ihre Augen wie früher aus ihn zu heften.

Immer noch über das Feuer gebeugt, dem Anscheine nach für die Gegenwart der beiden Wesen, deren Glück sie jetzt auf ewig vernichtet hatte, so achtlos, als ob sie nie existirt hätten, begann siein feierlichen, gemessenen, singenden Tönen eine Legende aus dem dunkelsten, frühesten Zeitalter der gothischen Geschichte zu recitiren, wobei sie mit dem Messer, welches sie noch in der Hand hielt, den Takt dazu schlug. Die Bosheit ihres Ausdruckes verrieth, während sie ihre Beschäftigung fortsetzte, den herzlosen Zweck, welchen sie dabei hatte, fast eben so beredet, als die Worte des Liedes, welches sie jetzt sprach:

»Die Schwingen des Sturmgotts den Himmel umzieh’n,
»Die Wellen vor dem Sturme flieh’n
Und Odins Säle erzittern vom Schwall
Der brausenden Wogen am Felsenwall,
Allein auf den klippigen Küstenhöh’n
Siehst Du bei Jung Agnar Sionen steh’n.
Von Thränen benetzt ist des Mädchens Gesicht,
Wie leise die Stimme des Helden spricht.

»Schlimmer noch, als wenn gefallen
Ich im wilden Kampfe wär’,
Schwach, gelähmt, kann ich vor Allem
Nie mehr ziehen mit dem Heer.
Mit der Schlacht die heut’ gewonnen,
Agnars Leben ist verronnen.

»Will der Leib vor Schwache beben,
Wenn Du sollst zum Kampfe zieh’n,
Wenn der Arm nicht mehr Dein Leben
Schützen kann im blut’gen Müh’n,
Wenn die Hand nicht mehr beim Ringen
Kann das schneid’ge Schlachtschwert schwingen,
Dann ist’s schmachvoll, fort zu leben,
Dann mußt Du den Tod Dir geben.
Dies ist Odins mäch'ger Wille,
Den ich heute noch erfülle.«

Bei dieser Stelle hielt sie inne, und wendete sich plötzlich zu Hermanrich, um die Wirkung, welche das Lied auf ihn machte, zu beobachten. Die ganze entsetzliche Anwendbarkeit desselben auf ihn zuckte durch sein Herz. Der Kopf sank ihm auf die Brust und ein leises Stöhnen rang sich von seinen Lippen. Aber selbst dieser Beweis des Leidens, welches sie ihm auferlegte, vermochte die eiserne Bösartigkeit Goiswitithens nicht zu erschüttern.

»Erinnerst Du Dich des Todes Agnars?« rief sie. »Als Du ein Kind warst, sang ich Dich damit in den Schlaf und Du schworst, wenn Du es hörtest, daß Du, einst Mann geworden, wenn Du s eine Wunden erleiden solltest, seinen Tod sterben würdest. Er wurde beim Siege gelähmt, aber doch tödtete er sich am Tage seines Triumphes, —— Du bist in Deiner Verrätherei gelähmt worden und hast die Ehre Deiner Knabenzeit vergessen und willst in der Finsterniß Deiner Schmach leben. Hast Du die Erinnerung an das alte Lied verloren? Du hast es von mir am Morgen Deiner Jahre gehört, Du sollst es jetzt bis zu Ende hören, es ist das Trauerlied Deines nahen Todes.«

Sie fuhr fort:

»Klag’ nicht, denn dort, wohin ich geh’,
Fühlt Keiner mehr der Erde Weh!
Der Helden Schwerter lustig klirren,
Die Pfeile durch die Lüfte schwirren,
Die Wunde ungepflegt sich schließt,
Eh’ noch die Schlacht vorüber ist,
Jungfrau’n mit ewig grünen Kränzen
Den Helden goldnen Meth kredenzen.

»Doch denke nicht, daß unbewegt
Mein Schicksal mich von hinnen trägt.
In Dir verlier ich allzumal
Der ird’schen Freuden süße Zahl.

»Sieh’, die schwarzen Wolken zieh’n
Ueber’s Mondesantlitz hin;
Odins Helden warten hehr’
An dem erdumzieh’nden Meer,
Der Wellen Ruf ertönet hohl
Noch ein —— das letzte —— Lebewohl!

»Mit Lächeln stellt er sich zum Sprung,
Vom Felsen flog er mit Vogelschwung,
Laut brüllend das Meer seine Beute verschlang,
Allein stand das Mädchen am Klippenhang
Und die Geier sie, schrie’n um den Helden gut,
Der sie nun nicht mehr zum Leichenmahle lud.«

Als Goiswintha langsam und mit gemessenem Nachdruck die letzten Zeilen des Gedichtes sprach, trat sie wieder zu Hermanrich. Aber die Augen des Gothen suchten sie nicht mehr auf, sie hatte die Gefühle, welche sie zu erregen hoffte, zur Ruhe gebracht. Von der letzten Abtheilung ihrer Ballade hatte nur der Theil, welcher von Liebe sprach, die Aufmerksamkeit des gelähmten Kriegers erregt und die abgestumpften Gefühle seines Herzens erlangten, während er ihnen zuhörte, ihren früheren Adel wieder. Ein tiefernstes Gemisch von Liebe, Schmerz und Mitleid zeigte sich in dem Blicke, welchen er jetzt auf das verzweifelnde Gesicht des Mädchens lenkte. Jahre voll guter Gedanken, ein ganzes Leben liebevoller Fürsorge, eine Ewigkeit jugendlicher Hingebung sprachen aus diesen entzückten, momentanen, beredten Blicken und prägten seinen Zügen einen unaussprechlich schönen und ruhigen Charakter, —— einen Adel ein, der über dem Menschlichen stand und sich dem Engelhaften und Göttlichen näherte. Goiswintha folgte instinktmäßig der Richtung seiner Augen und blickte, gleich ihm, auf das Gesicht des Mädchens. Ein Ausdruck grimmigen Hasses trat an die, Stelle des Hohnes, welcher bis jetzt ihr leidenschaftliches Gesicht verzerrt hatte. Mechanisch zuckte ihre Hand wieder das Messer und die Töne ihrer zornerfüllten Stimme unterbrachen wieder das heilige Schweigen der Liebe und des Schmerzes. »Möchtest Du noch für das Mädchen dort leben?« rief sie finster; »mir ahnte es, Du Feigling, als ich Dich zuerst erblickte, —— ich war darauf gerüstet, als ich Dich verwundete! Ich machte mich sicher, daß, wenn mein Zorn wieder diese neue Beherrscherin Deiner Gedanken und Lenkerin Deiner Handlungen bedrohen sollte, Du die Macht verloren haben würdest, ihn nochmals von ihr abzulenken! Denkst Du, daß meine Rache an ihr aufgegeben ist, weil meine Geringschätzung sie verschoben hat! Schon lange habe ich Dir zugeschworen, daß sie sterben müsse, und ich werde an meinem Entschlusse festhalten! Dich habe ich bestraft, sie werde ich tödten! Kannst Du sie diese Nacht vor dem Streiche beschützen, wie Du sie in Deinem Zelte beschützt hast, Du bist vor mir schwächer als ein Kind.«

Sie hielt plötzlich inne, da in diesem Augenblicke das Geräusch herbeieilender Schritte und streitender Stimmen vor dem Hause laut wurde. Als sie es vernahm, vertrieb eine gespenstische Blasse die Zornröthe von ihrem Gesicht. Mit der Schnelligkeit der Furcht riß sie Hermanrich’s Schwert unter Antoninen hervor und schob es durch die Haspem welche zur Aufnahme des Thürriegels bestimmt waren. Im nächsten Augenblicke erschallten die Schritte auf dem Gartenwege und dann wurde an die Thür geschlagen.

Das gute Schwert hielt fest, aber die schwache Schranke, welche es aufrecht erhalten sollte, gab bei dem zweiten Stoße nach, und fiel zersplitternd in das Zimmer. Augenblicklich verdunkelte sich der Raum der Thür durch menschliche Gestalten und der Schein des Feuers beleuchtete die zurückstoßenden Gesichter zweier Hunnen, welche in voller Rüstung und mit entblößten Schwertern die Eindringenden anführten.

»Gieb Dich auf Alarich’s Befehl gefangen!« rief Einer von den Barbaren, »wenn Du nicht als Deserteur auf der Stelle umgebracht sein willst!«

Der Gothe war aufgesprungen, als die Thür eingebrochen wurde, die Ankunft seiner Verfolger schien ihm seine verlorene Energie wieder zu geben, ihn plötzlich von einem schweren Joche zu erlösen. Auf seinen festen Zügen schimmerten Triumph und Trotz, als er die Aufforderung des Hunnen hörte. Auf einen Augenblick beugte er sich zu Antoninen, die ohnmächtig an ihm hing, nieder. Sein Mund zuckte und sein Auge schimmerte, als er ihre kalte Wange küßte. In diesem Augenblicke stellte sich seinem Geiste die ganze Hoffnungslosigkeit seiner Lage, die ganze Werthlosigkeit seines verdorbenen Lebens, die ganze Schmach, welche ihn bei der Rückkehr nach dem Lager erwartete, vor. In diesem Augenblicke bestürmten ihn die schlimmsten Schrecken des Scheidens und Todes; die heftigsten Foltern der Liebe und Verzweiflung vermochten ihn jedoch nicht zu überwinden. In diesem Augenblicke zahlte er der Neigung den letzten Tribut und spannte zum letzten Male seinen Geist zu männlicher Unerschrockenheit und spartanischer Entschlossenheit an.

Im nächsten riß er sich aus den Armen des Mädchens, der alte Heldengeist seiner kriegerischen Nation erfüllten jeden Nerv seines Körpers, sein Auge erhellte sich wieder mit seinem verlorenen Heldenglanze, seine Glieder wurden fest, sein Gesicht war ruhig; er winkte die Hunnen mit gebieterischer Miene und verächtlichem Lächeln heran und, während er ihnen seine schutzlose Brust bot, war in seiner Stimme nicht das geringste Beben hörbar, als er mit herausforderndem Tone rief:

»Stoßt zu! ich ergehe mich nicht!«

Die Hunnen stürmten mit wildem Geschrei heran und begraben ihre Schwerter in seinem Körper. Sein warmes, junges Blut sprudelte auf den Fußboden des Hauses nieder, welches der Liebesaltar des dasselbe ausströmenden Herzens gewesen war. Ohne Seufzer, ohne Zucken auf seinem Gesicht sank er todt zu den Füßen seiner Feinde nieder, aller Muth seines Charakters, alle Milde seines Herzens. Alle Schönheit seiner Gestalt war in einem kurzen Augenblicke zu einer gefühllosen, bewegungslosen Masse aufgelöst.

Antonina erblickte den Mord, wurde aber mit dem Ausblicke des ihm folgenden Todes verschont, sie fiel bewußtlos neben ihrem jungen Krieger nieder, ihre Kleidung wurde mit seinem Blute bespritzt, ihre Gestalt war bewegungslos wie die seine.

»Laßt ihn hier verfaulen! Der Stolz auf seine Ueberlegenheit wird ihm jetzt nichts mehr helfen, nicht einmal zu einem Grabe!« rief der Hunne höhnisch seinem Genossen zu, als er sein dampfendes Schwert an den Gewändern der Leiche abtrocknete.

»Und dieses Weib?« fragte einer von seinen Kameraden, »soll es freigelassen oder festgenommen werden?«

Er deutete bei diesen Worten auf Goiswinthen.

Während der kurzen Mordscene schienen alle ihre Geistes- und Körperkräfte in Erstarrung gerathen zu sein, sie hatte kein Glied bewegt, kein Wort gesprochen.

Der Hunne erkannte sie als das Weib, welches ihn im Lager ausgefragt und bestochen hatte.

»Sie ist mit dem Verräther verwandt und ohne Urlaub von den Zelten abwesend,« antwortete er. »Führt sie gefangen zu Alarich; sie wird uns bezeugen, daß wir gehandelt haben, wie er es uns gebot. Was das Mädchen betrifft,« fuhr er fort, indem er auf das Blut blickte, womit Antoninens Kleid befleckt war und ihre Gestalt nachlässig mit seinem Fuße bewegte, »so wird das wohl auch todt sein, denn es bewegt sich weder, noch spricht es und kann, wie sein Beschützer, unbegraben liegen bleiben, wo es ist. Für uns ist es Zeit aufzubrechen, der König liebt den Verzug nicht.«

Als sie Goiswinthen rauh aus dem Hause führten, zuckte sie zusammen und versuchte, als sie an dem Leichnam des Gothen vorüberkam, auf einen Augenblick stehen zu bleiben. Der Tod, der eben so gut Feindschaft verlöschen, wie Liebe trennen kann, erhob sich furchtbar vor ihr, als sie den legten Blick auf ihren ermordeten Bruder warf. Aus ihren Augen floß keine Thräne, aus ihrer Brust drang kein Seufzer, aber ihr Herz durchzuckte ein letzter vorübergehender Kummer und Mitleidschmerz, als sie, während sie fortgezogen wurde, rief:

»Aquileja! Aquilejal Habe ich Dich darum überlebt!«

Die Soldaten entfernten sich. Einige Minuten lang herrschte ununterbrochenes Schweigen in dem Gemache, wo das bewußtlose Mädchen noch neben Allem was ihr von dem Gegenstande ihrer ersten Jugendliebe geblieben war, lag. Bald aber näherten sich der Thüre des Bauernhauses neue Schritte und zwei Gothen, die zu der den Hunnen gegebenen Escorte gehört hatten, traten zu der Leiche des jungen Häuptlings Sie hoben sie schnell und stumm auf ihre Schultern und trugen sie in den Garten. Dort scharrten sie mit ihren Schwertern eine seichte Grube in den frischen, blumengezierten Rasen, bedeckten die Leiche, nachdem sie dieselbe dort niedergelegt, hastig mit Erde und entfernten sich schnell, ohne nach dem Hause zurückzukehren.

Diese Männer hatten bei der unter Hermanrich’s Befehlen stehenden Abtheilung gedient. Der junge Häuptling hatte durch eine Menge von Beweisen der Großmuth und ihnen gewährten Aufmunterungen ihre rauhe Zuneigung erlangt. Sie betrauerten sein Schicksal, wagten es aber nicht, den Urtheilsspruch zu hemmen, noch sich der That, durch welche derselbe ausgeführt wurde, zu widersetzen. Auf ihre eigne Gefahr hatten sie insgeheim die sich entfernenden Reihen ihrer Kameraden verlassen, um das letzte Recht der Menschenliebe zu benutzen, und dem letzten Gebote derselben zu gehorchen, —— und sie dachten nicht an das einsame Mädchen, welches sie jetzt hilflos zurückließen, und eilten davon, um wieder ihre angewiesenen Plätze einzunehmen, ehe es zu spät war.

Der Rasen schmiegte sich liebkosend um die Gestalt des jungen Kriegers; seine zertretenen Blumen preßten sich mild an dessen kalte Wangen, der Duft des neuen Morgens wehte seinen reinen Wohlgeruch sanft um dessen einfaches Grab! Um ihn her blühten die zarten Pflanzen, welche Antoninens Hand gezogen hatte, um sein Auge zu erfreuen. Neben ihm stand das Haus, welches dem ersten und letzten Kusse, den er auf ihre Lippen gedrückt hatte, geheiligt war, und um ihn her erhoben sich auf allen Seiten Felder und Wälder, welche, nebst seinem Bilde, alle ihre theuersten Gedanken umfaßt hatten. Er lag in seinem Tode inmitten des Zauberkreises der schönsten Freuden seines Lebens! Es war für die irdischen Ueberbleibsel jenes heitern, edlen Geistes ein passenderer Begräbnißort, als die Grube auf dem blutigen Schlachtfelde oder die öden Gräber eines nordischen Landes!



Kapiteltrenner

Kapitel VI.
Der wiedergefundene Hüter.

Das frische Grab bleibt nicht lange unbewacht, der feierlichen Obhut der Einsamkeit und Nacht überlassen. Kaum sind einige Minuten, seit es gegraben ward, verflossen und schon drücken menschliche Tritte seine nachgiebige Oberfläche und ein menschlicher Blick forscht aufmerksam auf seinem kleinen einfachen Hügel umher. Aber es ist nicht Antonina, die er geliebt, es ist nicht Goiswintha, deren Rachsucht ihn eine Verderben gestürzt hat und die jetzt die Erde über der Leiche des jungen Kriegers betrachtet. Es ist ein Fremder und Auswürfling, es ist ein verlorener, entehrtet, sündiger Mann, es ist der einsame, aller Hoffnungen beraubte Ulpius, der jetzt mit gleichgültigen Augen den friedlichen Garten und das beredte Grab betrachtet.

In die Schicksale des Weh’s, welche die Nacht mit sich geführt hat, ist auch der Heide zu seinem Verderben eingeschlossen gewesen. Die Vernichtung, welche den Körper des jungen Mannes, der in der Erde lag, getroffen, hatte den Geist des alten Mannes, welcher auf seinem einfachen Grabe stand, ergriffen. Der Körper des Ulpius mit allen seinen Gebrechen war noch vorhanden, aber der von grausamer Geduld und unbesiegbarer Kühnheit erfüllte Geist, welcher ihn großartig in seinen Ruinen erhellt hatte, war verschwunden. Ueber die lange Qual seines schmerzerfüllten Lebens hatte sich für immer der Schleier des Vergessens seiner selbst gedeckt!

Er war von Alarich entlassen worden, aber nicht nach der Stadt zurückgekehrt, wie man ihm geboten hatte. Die Nacht hindurch war er in den einsamen Vorstädten umhergewandert und hatte unter geheimen entsetzlichen Leiden um die Herrschaft des Geistes gerungen. Dort entfaltete sich die Niederlage aller seiner Hoffnungen von deu Gothen schnell zur Niederlage des ganzen Geistes, welcher seine Bestrebungen erzeugt hatte. Dort hatte endlich die Vernunft die Bande gebrochen, durch welche sie so lange gefesselt, zu falschen Zwecken verwendet, entwürdigt worden war.

Und jetzt hatte er hierhin und dorthin wandernd, den hilflosen Körper, welcher nicht mehr Besitz des gefährlichen Geistes war, nach dem Garten des Bauernhauses geschleppt, in welchem er jetzt stand, und abwechselnd auf den umgeworfenen Rasen des Grabes des Häuptlings und den rothen Schein des Feuers blickte, welches durch die Oeffnung der gesprengten Thür aus dem öden Zimmer herüber leuchtete.

Seine Geistesfähigkeiten wären eher auf immer in Unordnung gerathen, als gänzlich vernichtet; sein Scharfsinn, seine Festigkeit und Schlauheit waren verschwunden, aber ein nutzloses und unlenkbares Ueberbleibsel des Gedächtnisses, eine gewisse Fähigkeit zu vorübergehenden Beobachtungen war ihm noch geblieben. Der schmähliche Umsturz seiner Hoffnungen in dem Zelte Alarich’s, welcher seine Geisteskräfte zu Boden geschmettert hatte, war ihm wie ein nie geschehenes Ereigniß verschwunden, aber er erinnerte sich noch an Bruchstücke seiner früheren Existenz, er bewahrte noch ein unbestimmtes Bewußtsein des Zweckes, welcher sein ganzes Leben beherrscht hatte.

Diese ungeborenen, unzusammenhängenden und ununterstützten Reflexionen schwebten vor seinem verfinsterten Geiste hin und her, wie leuchtende Ausdünstungen über einem Sumpfe, —— steigend und sinkend, harmlos und trügerisch, flackernd und unregelmäßig. Was er noch von der Vergangenheit wußte, daran erinnerte er sich gleichgültig und betrachtete es mit so bedeutungsleerer Neugier, als ob es das im Traume erblickte Schauspiel der Kämpfe und des Unglücks der Hoffnungen eines Andern sei, und handelte unter dem geheimnisvollen Einflusse desselben, dessen Ende und Grund zu entdecken er sich nicht kümmerte. Was die Zukunft betraf, so war sie ein vollkommen leerer Raum für seine Gedanken. Die Gegenwart war eine mißtönige Verbindung körperlicher Müdigkeit mit geistiger Ruhe.

Er zitterte, als er obdachlos unter freiem Himmel dastand. Die Kälte welcher er in den Gewölben der durchspaltenen Mauer Trotz geboten hatte, durch fröstelte in dem Garten des Bauernhauses seinen ganzen Körper. Seine Glieder, die auf dem schwierigen Gange von Rom nach dem Lager der Gothen der Müdigkeit widerstanden hatten, zitterten so, daß er sie auf dem Boden ausruhen lassen mußte. Eine kurze Zeit lang starrte er mit blöden erschreckten Augen auf das offene Gebäude vor ihm, als ob er sich in dasselbe zu treten sehne, aber es nicht wage. Endlich schien die Lockung des rothen Feuerscheines seine Unentschlossenheit zu besiegen, er erhob sich mit Mühe und trat langsam und zaudernd in das Haus.

Er war erst einige-Schritte weit mit leisem Diebsgange geschlichen, er hatte auf einen Augenblick die willkommene Wärme des Zimmers gefühlt, als sein Auge den Körper Antoninens, welcher immer noch bewußtlos auf der Erde lag, erblickte. Er näherte sich ihm mit eifriger Neugier, erhob das Mädchen in seinen Armen und blickte es mit langem strengen Forschen an.

Einige Augenblicke hindurch ging über seine Lippen, erschien auf seinem Gesichte kein Ausdruck des Wiedererkennens, während er mit einer mechanischen, kindlichen Gebärde der Zärtlichkeit ihr verwirrtes Haar auf der Stirn glättete. Während er so beschäftigt war, während die Ueberbleibsel seiner sanften Kindheit sich so entsetzlich im Wahnsinn seines Greisenalters neu belebten, fiel eine Musiksaite, die« um ein Stückchen vergoldeten Holzes gewunden war, aus ihrem Versteck am Busen des Mädchens. Er riß sie vom Boden auf —— es war das Bruchstück ihrer zerbrochenen Laute, welches sie seit der Nacht, wo sie in ihrem unschuldigen Schmerze, in ihrer jungfräulichen Kammer darüber weinte, nie verlassen hatte.

So klein und unbedeutend es auch war, berührte dieses geringfügige Erinnerungszeichen doch die Saite im Geiste des Heiden, welche die allberedte Gestalt und das Antlitz seiner unglücklichen Herrin nicht zu, erreichen vermocht hatte, sein Gedächtniß flog augenblicklich zu dem Garten aus dem Monte Pincio und seinen früheren Pflichten in Numerian’s Hause zurück, sagte ihm jedoch nichts von dem Unglück, welches er seit jener Zeit seinem vertrauensvollen Herrn bereitet hatte. Seine Phantasie zeigte ihm in diesem Augenblicke nur ein Bild, seine Dienstbarkeit im Hause des Christen und als er jetzt auf das Mädchen blickte, konnte er sich nur in dem Lichte ihres wiedergefundenen Hüters betrachten.

»Was thut sie hier mit ihrer Musik?« flüsterte er besorgt. »Dies ist nicht das Haus ihres Vaters und der Garten dort steht nicht auf der Höhe des Hügels.«

Als er neugierig im Zimmer umhersah, erregten plötzlich die rothen Flecken auf dem Boden seine Aufmerksamkeit. Er schien augenblicklich von einem panischen, wahnsinnigen Schrecken ergriffen zu werden. Er stand mit einem Entsetzensschrei auf und eilte mit dem Mädchen in seinem Arme zitternd und athemlos in den Garten hinaus, als ob ihn die Waffe eines Mörders aus dem Hause verscheucht habe.

Die Einwirkung ihrer rauhen Entfernung, der plötzliche Einfluß der frischen, kalten Luft brachte Antoninen wieder in’s Leben und Bewußtsein, als Ulpius, der sie nicht länger zu tragen vermochte, sie gegen den kleinen Erdhaufen legte, welcher das Grab des jungen Häuptlings bezeichnete, ihre Augen öffneten sich wild, ihr erster Blick heftete sich auf die zersprengte Thür und das leere Zimmer. Sie erhob sich vom Boden, that einige Schritte auf das Haus zu, blieb dann starr, athemlos, stumm stehen, wendete sich langsam um und betrachtete den ausgeworfenen Rasen. Das Grab verkündete beredt, wen es enthielt. Sein Harnisch, den die Soldaten mit dem Körper, welchen er in früheren Tagen vertheidigt, zu begraben gedacht hatten, war in der Eile seiner geheimen Beerdigung übersehen worden und lag theilweise mit Erde bedeckt, theilweise dem Anblicke freigegeben —— ein einfaches Denkmal auf einem einfachen Grabe da.

Ihre thränenlosen, weit offenen Augen blickten darauf nieder, als wollten sie jeden Grashalm, jede Erdscholle, womit es umgeben war, zählen. Ihr Haar wehte müssig um ihre Wangen, als es von dem leichten Winde bewegt wurde, über ihr Gesicht zog aber kein Ausdruck, ihre Glieder machten nicht die leiseste Bewegung. Ihr Geist rang und bebte, wie von einer feurigen Last zu Boden gedrückt, aber ihr Herz besaß keine Stimme, und ihr Körper war stumm.

Ulpius war unbemerkt neben ihr stehen geblieben. In diesem Augenblicke bewegte er sich so, daß er gerade vor sie zu stehen kam, und sie blickte plötzlich zu ihm auf. Ein momentaner Ausdruck der Verwirrung und des Argwohns durchhellte die schwere, dumpfe Verzweiflung, welche aus ihren Augen die natürliche weibliche Sanftmuth verscheucht hatte. Sie wendete sich von dem Heiden ab, knieete neben dem Grabe nieder und preßte Gesicht und Busen an den kleinen Rasenaufwurf unter ihr.

Keine Stimme tröstete, kein Arm liebkoste sie, als ihr Geist jetzt die Geheimnisse des Unglücks der langen Nacht zu durchdringen, ihre dunkelsten Tiefen zu erforschen begann. Ununterstützt und unerquickt knieete sie, während die wenigen verbleichenden Sterne von ihren Plätzen am Himmel auf sie herabflimmerten, während sich die erhabene Stille der ruhigen Natur um sie her ausbreitete, an dem Altar des Todes nieder und erhob ihre mit ihrem heiligen Opfer menschlichen Schmerzes beladene Seele zu dem großen Himmel über ihr!

So verharrte sie lange, und als sie sich endlich vom Boden erhob, als sie sich dem Heiden nähernd, ihre thränenlosen, traurigen Augen auf ihn heftete, zuckte er vor ihrem Blicke zusammen, während seine abgestumpften Geisteskräfte vergebens wagen, die frühere mittheilende Kraft, welche sie jetzt für immer verloren hatten, wieder zu erhalten.

Es lebte in seinem Innern weiter nichts mehr, als die Erinnerung, welche der erste Anblick des Lautenbruchstücks erweckt hatte und er flüsterte ihr mit leisem, bittendem Tone zu:

»Komm heim! komm heim! Dein Vater kann vor uns zurückkehren —— komm heim!«

Als die Worte »heim« und »Vater,« jene Penaten der frühesten Existenz des Herzens das Ohr des Mädchens berührten, zuckte mit elektrischer Plötzlichkeit eine Veränderung über das ganze Aeußere desselben.

Sie erhob ihre blassen Hände zum Himmel, ihre ganze weibliche Zärtlichkeit bemächtigte sich wieder ihres Herzens, und als sie nochmals auf dem Grabe niederknieete, stieg ihr Schluchzen hörbar durch die ruhige, duftige Luft auf.

Mit Hermanrich's Leiche unter ihr, mit dem blutbesprengten Zimmer hinter ihr, mit seinem feindlichen Heere und einer von Hungersnoth verwüsteten Stadt vor ihr, gelang es ihr nur durch einen Thränenstrom der heilenden Erleichterung des bedrückten Herzens, sich über die vervielfältigten Schrecken ihrer Lage gerade in dem Augenblicke zu erheben, wo ihre Geisteskräfte und ihr Leben denselben zu erliegen schienen. Sie weinte reichlich und bitterlich auf die liebevolle Muttererde, den geduldigen, freundlichen Boden, welcher einst die leichten Schritte des Ersten eines Geschlechts getragen hatte, das nicht zum Tode erschaffen ist; welcher jetzt in seinen schützenden Armen die Geliebten hält, welche wir dort trauernd zum Schlafe niederlegen, welcher noch bis in seine entferntesten Tiefen aufspringen wird, wenn die sonnenhellen Gestalten wiederkehrender Geister auf seine erneuerte Form herab scheinen und die Liebe in Engelvollkommenheit an dem Punkte wieder aufgenommen wird, wo sie der Tod in sterblicher Schwäche unterbrochen hatte.

»Komm heim! Dein Vater erwartet Dich, komm heim!« wiederholte der Heide, indem er sich langsam entfernte.

Beim Tone seiner Stimme schrak sie auf, Umfaßte seinen Arm mit ihren zitternden Fingern, um ihn zurückzuhalten, und blickte erschreckt in sein runzeliges, geistesleeres Gesicht auf. Jetzt schien sie ihn erst wieder zu erkennen. Furcht und Erstaunen vermischten sich in ihrem Gesicht mit Schmerz und Verzweiflung, als sie zu seinen Füßen niedersank und in Tönen schneidender Bitte stöhnte:

»O Ulpius, —— wenn Du Ulpius bist, habe Mitleid für mich und bringe mich zu meinem Vater! Mein Vater! mein Vater! in der ganzen einsamen Welt habe ich Keinen mehr, als meinen Vater!«

»Warum weinst Du gegen mich über Deine zerbrochene Laute!« antwortete Ulpius mit stumpfsinnigem Lächeln; »ich habe sie nicht zerschlagen.«

»Sie haben ihn erschlagen!« schrie sie untröstlich, ohne auf die Antwort des Heiden zu achten.«Ich sah wie sie gegen ihn ihre Schwerter zogen. Sieh, sein Blut ist an mir, —— an mir! —— an Antoninen, die er beschützt und geliebt hat! Ich habe ihn seitdem nie wieder gesehen, —— er ist unten —— dort unten! unter den Blumen, die ich gezogen um sie für ihn zu pflücken! Sie haben ihn erschlagen und ihn begraben, als ich es nicht wußte! —— oder Du —— Du hast ihn begraben! Du hast ihn unter der kalten Gartenerde verscharrt. Er ist fort! —— ach fort! fort! —— für immer dahin!«

Und sie warf sich wieder mit rücksichtsloser Heftigkeit auf das Grab nieder. Ulpius näherte sich ihr, nachdem er einen Augenblick fest auf sie herabgesehen hatte, und hob sie von der Erde auf.

»Komm!« rief er zornig, »die Nacht schreitet vorwärts, Dein Vater wartet!«

»Die. Mauern von Rom sperren mich von meinem Vater ab! ich werde Hermanrich und meinen Vater nie wieder sehen!« rief sie in Tönen bitterer Pein, als sie steh des ganzen Elends ihrer Lage vollkommener erinnerte und rang, um sich von den Händen des Heiden frei zu machen.

»Die Mauern von Rom!«

Bei diesen Worten öffnete sich der Geist des Heiden einer Fluth dunkler Erinnerungen und die Traumgebilde, welche ihn bis jetzt erfüllt hatten, verschwanden. Er lachte triumphierend.

»Die Mauern von Rom beugen sich meinem Arme,« rief er mit jubelnder Stimme; »ich habe sie mit meiner guten Eisenstange durchbrochen. Ich habe mich mit meiner Laterne durch sie gewunden! Geister schrieen mich an und schlugen mich zu, Boden und grinsten mich in der dichten Finsterniß an, aber ich bin durch die Mauer gelangt! Der Donner rollte um mich, als ich durch die gewundenen Spalten kroch, aber ich habe mich durch sie hingekämpft! Ich bin auf der andern Seite als Sieger herausgetreten! Komm, komm, komm, komm! wir wollen zurückkehren. Ich weiß den Weg selbst in der Finsterniß. Ich wache besser als die Schildwachen. Du sollst auf dem Pfade wandeln, den ich durch das Mauerwerk gebrochen habe!«

Die Züge des Mädchens verloren auf einen Moment ihren Ausdruck des Schmerzes und wurden schreckensstarr, als sie auf seine glühenden Augen blickte und den furchtbaren Verdacht seines Wahnsinns in ihren Geist ziehen fühlte. Sie stand kraftlos, zitternd, widerstandslos da, ohne einen Versuch zu machen, ihn zur Entfernung zu locken oder zum Verweilen zu bewegen.

»Weshalb habe ich meinen Weg durch die Mauer gebrochen,« murmelte der Heide mit leiser, ungewisser Stimme, indem er sich plötzlich zurückhielt, als er eben einen Schritt vorwärts thun wollte, »warum habe ich das starke Mauerwerk niedergerissen und bin hinaus in die dunkle Vorstadt gegangen?«

Er schwieg und rang auf einige Augenblick mit seinen unzusammenhängenden, verwirrten Gedanken, aber eine öde Finsterniß und Vernichtung überdeckte Alarich und das gothische Lager und er mühte sich umsonst, sie zu zerstreuen. Er seufzte bitterlich vor sich hin:

»Es ist fort!« und zog Antoninen, deren Hand er nicht losgelassen hatte, hinter sich nach dem Gartenthore.

»Laß mich los!« schrie sie, als er in den nach der Landstraße führenden Weg bog. »O sei barmherzig und laß mich sterben, wo er gestorben ist!«

»Ruhig! sonst zerreiße ich Dich Glied um Glied, wie ich die Steine aus der Mauer gerissen habe, als ich durch sie ging!« flüsterte er ihr grimmig zu, als sie rang, um ihm zu entgehen, Du sollst mit mir nach Rom zurückkehren, Du sollst den Weg betreten, den ich in dem durchspaltenen Gemäuer gemacht habe.«

Entsetzen, Angst, Erschöpfung überwältigten ihre schwachen Anstrengungen, ihre Lippen bewegten sich halb bittend, und halb nach einem Schrei ringend, aber sie sprach kein hörbares Wort, während sie sich mechanisch vom Heiden an der Hand vorwärts führen ließ.

Sie schritten in dem verbleichenden Sternenscheine auf der kalten, einsamen Straße dahin und durch die öde, verlassene Vorstadt. Starr, gehorsam, willenlos und wie im Traume bewegte sich das geknickte Mädchen neben seinem kaum menschlichen Führer dahin.

Von den Lippen des Heiden strömten unzusammenhängende Ausrufungen, die entsetzlich zwischen kindischer Einfalt und wilder Lasterhaftigkeit wechselten, aber er sprach nicht weiter zu seiner schreckensstarren Gefährtin. So gelangten sie mit schnellem Schritte bis zu den gothischen Linien, wo der Wahnsinnige seinen Schritt langsam werden ließ und gleich einem wilden Thiere, welches sich den Wohnungen der Menschen nähert, stehen blieb, um sich umzuschauen.

Ohne von Antoninen, deren Wahrnehmungskraft selbst hier, im Bereich der zweifelhaften Hilfe der Feinde ihres Volkes, von ihren Schrecken zu vollkommener Unthätigkeit versteinert worden war, gehindert zu werden, schlich der Heide durch die einsamsten Stellen des Lagers und entging, von der geheimnißvollen List der elenden Gefährten seines Leidens geführt, glücklich der Beobachtung der schläfrigen Wachen. Nie von der Finsterniß behindert, obgleich der Mond untergegangen war, stets von dem mit seiner Krankheit verknüpften thierischen Instinkt geleitet, schritt er über den freien Raum zwischen dem feindlichen Lager und der Stadt und gelangte triumphierend an den Steinhaufen, welcher seinen Eingang zu der Mauerspalte bezeichnete.

Einen Augenblick blieb er stehen, wendete sich zu dem Mädchen und deutete stolz auf die dunkle, niedrige Höhlung, in welche er zu dringen im Begriff war. Hierauf zog er ihre halbohnmächtige Gestalt dichter an seine Seite, blickte aufmerksam zu den Zinnen empor, und betrat mit geräuschlosem Fuße, als ob er auf Rasen hinwandelte, mit seinem hilflosen Schützling die düstere Spalte.

Als sie in dem Grunde der Mauer verschwanden, erreichte die Nacht —— die stürmische, ereignißreiche, Verderben bringende! —— ihre letzte Grenze und der halb verhungerte Wächter auf den Festungswerken der belagerten Stadt erhob sich aus den traurigen Gedanken, in die er versunken war, denn er sah, daß der neue Tag im Osten dämmerte.



Kapiteltrenner

Band 3

Erstes Buch.

(»—— das Volk starb ohne Hilfe; bei dem Mangel
an Hütern der göttlichen und menschlichen Gesetze
hatten die Verbrecher die Oberhand und begingen
ungestört Räubereien und alle möglichen anderen
Excesse; den Kranken fehlte es an der gehörigen
Pflege, denn es fehlte an Pflegern; ——«)

»—— la gente moriva senza rimedio; mancati i cu-
stodi delle leggi si divine. che umane, gli scele-
rati le conculcavano, commettendo rapine e ogni
altro eccesso liberamente; i pazienti mancavano
della debita cura, per mancanza di chi gli assi-
stesse;——«
Martinelli:
»Osservazioni sopra ll Decameron di
Giovanni Boccacci.«

Kapitel I.
Die Rückkehr durch die Mauerspalte.

Stumm und gleichgültig heftete der Wächter auf der durchbrochenen Mauer seine Augen auf die östlichen Wolken, als sich dieselben langsam in der anbrechenden Dämmerung erhellten. So trostlos auch das Aussehen des trüben, nebeligen Morgens war, bot er doch von allen den verschmachtenden Soldaten umgebenden Gegenständen das willkommenste Ziel für sein mattes Auge. Wenn er auf die Stadt hinter ihm zurückblickte so sah er ein ödes Gebeinhaus der Hungersnoth und des Todes. Blickte er auf den leeren Raum außerhalb der Mauern hinab, so sah er die Leiche des Gefährten seiner Wache, der von den Qualen des Hungers, die er die Nacht über gelitten, zum Wahnsinn getrieben, sich von der Zinne hinabgestürzt hatte, um einen willkommenen Tod am Fuße der Mauer zu finden. Hungrig und verzweifelnd lehnte der Wächter auf den Festungswerken, auf denen hinzuschreiten er jetzt nicht Kraft genug mehr besaß und um deren Vertheidigung er sich nicht länger kümmerte, indem er sich, nach der Nahrung sehnend, die zu erlangen er keine Hoffnung hatte, anf seinem einsamen Posten die graue Dämmerung beobachtete.

Während er noch so damit beschäftigt war, wurde das düstere Schweigen, welches ihn umgab, plötzlich von dem Tone herabstürzenden Gemäuers am innern Fuße der Mauer unterbrochen, worauf schwache Bitten um Gnade und Befreiung folgten, die seltsam mit unzusammenhängenden Ausdrücken der Herausforderung und des Triumphs, von einer zweiten Stimme gemischt, zu seinem Ohre aufstiegen. Er, wendete langsam den Kopf und sah, als er hinabblickte, auf dem Boden unter ihm ein junges Mädchery welches mit einem Greise rang, der es, nach dem Pincischen Thore, zu schleppte.

Auf einen Moment begegnete das Auge des Mädchens dem gleichgültigen Blicke des Wächters und sie erneuerte, mit einer letzten Anstrengung ihrer Kräfte und heftigerem Flehen ihr Hilfegeschrei, aber der Soldat bewegte sieh weder, noch antwortete er. Bei seiner Erschöpfung konnte ihn jetzt kein Anblick weiter berühren, als der Anblick von Nahrung. Er war, gleich den übrigen Bewohnern der Stadt, in die schwere Betäubung des Hungers versunken —— selbstsüchtig, gleichgültig, verthiert geworden. Kein Unglück vermochte, ihn niederzuschlagen, keine Abscheulichkeit ihn anzuspornen. Der Hunger hatte alle Bande der Gesellschaft zerrissen, hatte unter seinen belagerten Mitbürgern jedes menschliche Gefühl abgestumpft und er hungerte gleich ihnen.

Als die Bitten des Mädchens um Schutz jetzt schwächer und immer schwächer an sein Ohr schlugen, machte er daher keinen Versuch, seine matten Glieder zu bewegen. Er sah sie mit stumpfem, mechanischem Blicke hinweg schleppen, bis sie eine Biegung des Pfades am Fuße des Monte Pincio seinen Augen verbarg. Dann kehrten seine Augen langsam wieder zu dem bewölkten Himmel, zurück, welcher der Gegenstand. seiner früheren Betrachtung gewesen war, und sein Geist versank wieder in seine alte, peinlich, zwecklose Zerstreutheit, als ob kein Ereigniß kaum einen Augenblick vorher die geschwächten Fähigkeiten desselben angeregt hätte.

Wenn er in dem Augenblicke, wo das erste Licht der Dämmerung erschien, durch eine geheimnißvolle Kraft befähigt worden wäre, von der Zinne, auf welcher er seine müde Wacht hielt, nach den inneren Grundlagen der Mauer hinabzublicken, so hätte sich ihm dann ein Anblick bieten müssen, welcher selbst seines träge Beobachtungsfähigkeit zu starrer Aufmerksamkeit und unwillkürlicher Ueberraschung aufgeregt haben würde.

Zwischen zackigen Massen von morschem Mauerwerk bald aufwärts, bald abwärts gewunden, hier in die Schatten dunkler Schlünde versunken, dort über den Wölbungen aufsteigender Bögen heraustretend, würden sich die dunkeln, unregelmäßigen Gänge, welche Ulpius durch die morsche Mauer gebrochen hatte, seinen Augen gezeigt haben —— nicht bloß in öder Einsamkeit, nicht nur von den dem Orte angehörigen Kriechthieren bevölkert, sondern in allen ihren labyrinthischen Verschlingungen von Menschengestalten durchmessen. Er würde den wilden, entschlossenen Heiden wahrgenommen haben, wie er sichern, langsamen Ganges durch Dunkelheit und über Hindernisse schritt und das junge Mädchen, das durch sein unglückliches Schicksal in seine Gewalt geliefert worden war, gleich einem, seinem Willen gehorchenden Hunde nachzog. Er hätte dann sehen können, wie ihre halb ohnmächtige Gestalt zuweilen auf den höheren Stellen des Ganges lag, während ihr furchtbarer Führer vor ihr in eine Vertiefung hinabstieg und sich dann wendete, um sie nach einer noch finsteren und niedriger gelegenen Tiefe nachzuziehen —— zuweilen in flehender Bitte auf den Knieen, während ihre Lippen sich noch einmal mit einer letzten verzweifelnden Bitte bewegten und ihre Glieder, in der höchsten Anstrengung den unbarmherzigen Händen ihres Führers zu entgehen, bebten. Bei allem, was sich ihm entgegenstellte, würde dabei in jeder Handlung des Heiden die gleiche wilde Hartnäckigkeit sichtbar gewesen sein, die ihn fortwährend in seinem wahnsinnigen Entschlusse bewirkte, sein Opfer durch die Mauer mit sich zu ziehen, ihn stets mit seltsamem Instinkte über jedes Hinderniß hinwegführte, und ihn von jeder Gefahr aus seinem Pfade befreite, bis sie ihn triumphierend mit seiner, sich noch in seiner Macht befindenden Gefangenen hinausbrachte, und er wieder die verödeten Straßen betreten und sich unter die hungernden Bürger von Rom mischen konnte.

Und welche Hoffnung hatte Antonina nun, wo sie nach Gefahr und Noth wieder in ihrer Heimathstadt stand, ihre letzte Freistätte unter dem Dache ihres Vaters zu erlangen und ihren einzigen Trost in dem Versuche zu finden, die Liebe ihres Vaters wieder zu erringen? Sobald der Heide die durchbrochene Mauer hinter sich hatte, schien auch jede mit derselben verknüpfte Erinnerung in seinem Gedächtnisse verschwunden zu sein. An die Stelle seiner verlorenen Geisteskräfte war wieder eine eben so öde Wüste getreten, wie diejenige, welche sie in der Nacht überzogen hatte, wo er im Garten des Bauernhauses an dem Grabe des jungen Häuptlings stand. Er ging, ohne etwas zu beobachten, ohne zu denken, ohne Ziel oder Hoffnung und nur von einer geheimnißvollen Unruhe getrieben, vorwärts, vergaß dabei sogar Antoninens Gegenwart, hielt aber immer noch mechanisch ihre Hand fest und schleppte sie hinter sich her, ohne zu wissen wohin.

Aber auch sie machte keinen weiteren Versuch, um sich zu befreien. Sieh hatte gesehen, wie der Wächter auf der Mauer von ihren Bitten unbewegt blieb, sie hatte gesehen, wie die Mauern des väterlichen Hauses immer weiter vor ihren sehenden Augen zurückwichen, also sie Ulpius mitleidlos von der fernen Thür desselben weiter und weiter zog und sie verlor die letzte schwache Hoffnung auf das Wiedersehen, den letzten geringen Wunsch zu leben, über dem schwer auf ihrem Geiste. lastenden Gefühle ihrer. Hilflosigkeit. Ihr Herz war von dem jungen Krieger erfüllt, der erschlagen worden war, und von ihrem Vater, von welchem sie sich in der Stunde seines Zorns getrennt hatte, während sie jetzt schwach den Schritten des Heiden folgte und sich in ihrer höchsten Verzweiflung der schnellen Erschöpfung und dem Tode anheim gab.

Sie wendeten sich von dem Pincischen Thore ab und gelangten, auf den Campus Martius und hier zeigte sich das Aussehen der belagerten Stadt und die Lage ihrer unglücklichen Einwohner vollkommen und furchtbar ihren Blicken. Auf dem herrlichen Plage, der einst von geschäftigen Menschen erfüllt gewesen war, welche in jeder Richtung hin und her eilten, wie sie ihre verschiedenartigen Bestimmungen oder Launen führen mochten, waren jetzt keine zwanzig sich bewegenden Gestalten zu entdecken. Diese Wenigen, welche noch die Kraft oder die. Entschlossenheit besaßen auf dem größten Platze Rom’s umherzuschreiten, gingen unablässig mit in das Leere gerichteten hohlen Augen und auf den Mund gepreßten, abgemagerten Händen« einzeln, mißtrauisch, stumm, wüthend, wie eingekerkerte Tollhäusler rastlos, wie in der Ruhe gestörte Gespenster auf einem Friedhofe, auf und ab.

Von dieser Art waren die Bürger, welche sich noch auf dem Campus Martius bewegten; auf ihrem Pfade lag, überall; wohin sie sich wenden mochten, die grausige Menge der Sterbenden und Todten —— die bereits getroffenen Opfer der Pest, welche sich jetzt in der angesteckten Stadt erhoben und dem Hunger in seinem Werke der Verödung und des Todes angeschlossen hatte. Um die öffentlichen Brunnen, in denen das Wasser noch eben so kühlend und süß aufsprudelte, wie in der Sommerzeit des Wohlstands und Friedens, hatte sich hauptsächlich die ärmere Bevölkerung des belagerten Rom zum Sterben zusammengedrängt. Einige besaßen noch Kraft genug, um gierig am Rande der steinernen Becken zu trinken, über welche Andere —— mit in das Wasser getauchten Köpfen und Schultern —— todt, und ertrunken lagen, durch ihre Schwäche unfähig, sich nach dem ersten Zuge zurückzuziehen. Kinder stiegen über die Leichen ihrer Eltern, um bis an den Rand des Brunnens zu gelangen —— Eltern stierten blödsinnig auf die im Wasser, in welches sie unbeklagt, und ohne Beistand zur finden, gesunken waren, bald steigenden bald sinkenden Körper ihrer Kinder.

Auf anderen Theilen des Platzes an den offenen Thoren der Theater und Hyppodromen in den ungehüteten Vorhallen der Paläste und Bäder lagen die mißfarbigen Körper derjenigen, welche gestorben waren ehe sie die Brunnen erreichen konnten, —— besonders von Frauen und Kindern —— in entsetzlichen Kontrast von dem, Verlassen Hausrath der Ueppipgkeit und den bei Seite geworfenen Erfindungen des Lasters umgeben —— von vergoldeten Ruhebetten, —— von eingelegten Tischen —— von Juwelen besetzten Karniesen —— von obscönen Gemälden und Statuen —— von prächtig gebundenen, buntbemalten Manuskripten üppiger Lieder, die noch auf ihren gewohnten Plätzen an den hohen Marmorwänden hingen. Weiterhin in den Nebengassen und den abgelegenen Höfen, wo die Leiche des Krämers auf seinem leeren Ladentische ausgestreckt lag, wo der Soldat der Stadtwache erschöpft niedergesunken war, ehe er das Ende seiner Stunde erreicht hatte, wo der reiche Kaufmann von der Pest betroffen auf den letzten Ueberbleibseln widerlicher Nahrung lag, welche ihm sein Gold verschafft hatte, konnte man den Räuber und Mörder sehen, wie sie bald gierig das um sie her liegende Aas verschlungen, bald todt auf die Leichen niedersanken, welche sie vor kaum einem Augenblicke geplündert hatten.

Ueber das ganze Schauspiel in der Nähe, wie in der Ferne, so weit es sieh auch erstrecken mochte, was auch die Schrecken waren, welche es zeigte, breitete sich eine todte, unnatürliche Stille. Kein Laut war zu hören, die Lebenden waren eben so still wie die Todten, Verbrechen, Leiden, Verzweiflung waren gleich stumm. Die Trompete war nicht mehr im Wachhause zu hören, die Glocke ertönte nicht mehr von der Kirche, —— selbst der dichte, nebelige Regen, welcher jetzt aus den schwarzen, unbeweglichen Wolken niedersank, und die Umrisse entfernter Gebäude und die Zinnen der umfangreichen Paläste in kalte, Schatten hüllte, fiel geräuschlos auf den Boden nieder. Der Himmel besaß keinen Wind, die Erde kein Echo, die Alles durchdringende Verödung entsetzte das Auge, die öde Stille lastete dumpf auf dem Ohre —— es war eine Scene, als ob die letzte, noch übrige Stadt einer erschöpften Welt geräuschlos im Ur-Chaos zurücksinke.

Durch diese Atmosphäre der Finsterniß und des Todes, auf diesen Pfaden der Pest und des Hungers, Keinen betrachtend, von Keinem betrachtet, schritt der Heide langsam mit seiner Gefangenen nach dem, dem Monte Pincio gegenüberliegenden Theile der Stadt. Selbst jetzt noch erhellte kein Strahl des Gedankens die stumpfen Geisteskräfte des Ulpius er schritt gedankenleer vorwärts und das dem Sinken nahe Mädchen folgte ihm müde und matt.

In ihrem, aus körperlicher Schwäche und geistiger Verzweiflung gemischten Stumpfsinn sprach sie kein Wort, erhob weder den Kopf, noch blickte sie zur einen oder andern Seite. Sie hatte jetzt sogar aufgehört, den kräftigen, kalten Druck der Hand des Heiden zu fühlen. Schattenhafte Visionen, von überweltlichen Sphären in zauberische Schönheit gekleidet und mit seligen Geistern in ihrer alten irdischen Form bevölkert, in denen eine lange, den Tod nicht kennende Existenz glatt und träumerisch, ohne eine Spur von der Zeit oder eine Befleckung vom Schmerze, dahinzog, thaten sich ihrem Geiste auf. Sie verlor alle Erinnerung an Leiden und Unrecht, alle Besorgniß vor Gefahr, vor dem Wahnsinnigen, in dessen Händen ihr Schicksal lag, und so bewegte sie sich langsam vorwärts, wie sie der Wille des Heiden führte, ohne ihre gegenwärtige Gefahr zu bemerken und ohne wegen des ihr bevorstehenden Schicksals besorgt zu sein.

Sie kamen an dem großen kreisförmigen Gebäude des Pantheons vorüber, betraten die langen, engen Straßen, welche an das Ufer des Flusses führen, und gelangten endlich an den Rand des Tiber —— dicht bei der kleinen Insel, welche sich noch in der Mitte seiner Wellen erhebt —— hier blieb der Heide mechanisch zum ersten Male stehen und lenkte gedankenlos seine trüben, wie vom Traume befangenen Augen auf die Aussicht vor ihm, wo die Mauern sich von ihrer gewöhnlichen Richtung plötzlich nach Außen bogen und den Janiculum-Hügel, welcher mit seiner unregelmäßigen Gebäudemasse auf dem entgegengesetzten Ufer des Flusses aufstieg, umschlossen.

Bei dem plötzlichen Uebergange von der Thätigkeit zur Ruhe erschlafften die überreizten Kräfte, welche bisher die Glieder Antoninens mit einer unnatürlichen Ausdauer begabt hatten. Sie sank hilflos und stumm nieder; ihr Kopf neigte sich dem harten Boden zu, wie einem willkommenen Kissen, fand aber keine Stütze, da der der eiserne Griff, mit welchem der Heide ihre Hand faste, eben so unnachgiebig wie bisher blieb. So gebrechlich er euch war, schien er doch in diesem Augenblicke nichts davon zu wissen, daß seine Gefangene jetzt an seiner Seite niederhing. Jeder mit ihr in Verbindung stehende Gedanke, jede Erinnerung an seine Stellung zu ihr im Hause ihres Vaters war seinem Gedächtnisse entschwunden. Ueber sein körperliches Wahrnehmungsvermögen schien eine noch dunklere Blindheit herabgesunken zur sein, seine Augen rollten langsam, von einer Seite der vor ihm ausgebreiteten Aussicht zur andern, erblickten aber nichts, seine keuchenden Athemzüge rangen sich voll und schnell empor, seine eingesunkene Brust hob sich, als sei eine tiefe, furchtbare Qual in ihr eingekerkert —— offenbar war eine neue Krisis seines Wahnsinns nahe.

Iu diesem Augenblicke erschien eine von den Räuberhorden —— eine Schaar von den verzweifelten Verbrechern der Hungersnoth und Pest, die noch in der Stadt nach Beute suchten, in der Straße. Ihre zitternden Hände griffen nach ihren Waffen und ihre abgezehrten Gesichter erhellten sich, als sie den Heiden und das Mädchen erblickten. Als sie ihnen aber näher kamen, sahen sie in den Gestalten der Beiden auf den ersten Blick genug, um ihre Hoffnung, ihnen Beute oder Nahrung abzunehmen, zu verzichten. Auf einen Augenblick blieben sie bei ihren bei ihren beabsichtigten Opfern stehen, als überlegten sie, ob sie dieselben, um des bloßen Mordes willen, ermorden sollten, doch der Anblick von zwei verstohlen, ein tiefer in der Straße gelegenes Haus verlassenden Weibern, die einen mit zerrissenen Gewändern bedeckten Korb trugen erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie wendeten sich augenblicklich ab, um den Trägerinnen des Korbes zu folgen und von Neuem blieben Ulpius und Antonina allein am Ufer des Flusses zurück.

Der Anblick der Mörder war, wie jedes andere Schauspiel oder Ereigniß in der Stadt, nicht im Stande gewesen, die Geistesfähigkeiten des Ulpius anzuregen. Er hatte sie weder angeblickt, noch war er vor ihnen geflohen, als sie ihn umringten, aber jetzt, wo sie fort waren, wendete er langsam den Kopf der Richtung zu, in welcher sie sich entfernt hatten. Sein Auge schweifte über die nassen Steine der Straße, über zwei in geringer Entfernung von einander auf ihnen ausgestreckte Körper, über die Gestalt einer Sklavin, die verlassen an der Mauer eines von den Häusern lag und ihre letzten Kräfte aufbot, um von dem trüben Regenwasser zu trinken, welches in der Rinne neben ihr hinablief, immer noch blieben aber seine Augen ohne Verständniß desjenigen, auf was sie trafen. Der nächste Gegenstand, welcher zufällig seine kindische Beachtung erregte, war ein verlassener Tempel. Auf dieses einsame Gebäude heftete er augenblicklich seinen Geist, —— es war dazu bestimmt eine neue und warnende Scene in dem düsteren Trauerspiele seines dem Ende nahen Lebens zu eröffnen.

Auf seinem Wege durch die Stadt war er achtlos an vielen Tempeln vorüber-gekommen, deren Lage weit auffallender, deren Bauart weit imposanter war als dieser. Das Gebäude besaß weder besondere Ausdehnung noch außerordentliche Schönheit. Seine schmalen Säulenhallen und sein dunkler Thorweg waren geeigneter, das Auge abzustoßen, wie es einzuladen; aber es besaß eine Anziehungskraft, die mächtiger war, wie alle Herrlichkeiten der Baukunst und alle Großartigkeit der Lage, um in ihm die umherschweifenden Geisteskräfte zu fixieren, deren strengere und höhere Zwecke jetzt auf ewig verschwunden waren, es war dem Serapis geweiht, —— dem Essen, welcher der Gegenstand seiner ersten Anbetung und der Begeisterung seines letzten Versuches für die Wiederherstellung seines Glaubens gewesen war. Das Bild des Gottes mit dem von einer Schlange umschlungenen dreiköpfigen Ungeheuer, gehorsam unter seiner Hand, war über der Vorhalle ausgehauen. Welche Fluth von Empfindungen auf den verödeten Geist des Heiden in dem Augenblicke einströmten, wo er das lange geliebte, wohlbekannte Bild des egyptischen Gottes erblickte, verrieth auf einige Zeit äußerlich nicht das mindeste Zeichen. Seine moralische Gefühllosigkeit schien nur noch tiefer zu werden, als sich sein Blick jetzt mit starrer Aufmerksamkeit auf die Vorhalle des Tempels heftete. So blieb er unbeweglich stehen, als ob ihn das, was er sah, versteinert und an den Boden geheftet habe, als die Wolken, welche sich mit dem vorrückenden Morgen in immer tieferer Schwärze zusammengezogen hatten, um noch, von Elektricität erfüllt, das Gewitter von der vorigen Nacht fortzusetzen, plötzlich über seinem Haupte einen lauten Donnerschlag entluden.

Bei diesem warnenden Tone schrak er, als ob derselbe das übernatürliche Zeichen gewesen wäre, welches er erwartet hatte, um sich erwecken zu lassen —— als ob es in einem kurzen Augenblicke die Erinnerung an alles das, was er in der vergangenen Gewitternacht so entschlossen versucht, erweckt hatte, zu augenblicklich Munterkeit auf. Sein Gesicht erhellte sich, seine Gestalt richtete sich auf, er ließ Antoninens Hand fallen, erhob seinen Arm in rasendem Triumph zu dem zornigen Himmel, schwankte dann vorwärts und sank am Fuße der Tempeltreppe auf die Kniee nieder.

Welche Erinnerungen an seinen Weg durch die Mauer an dem Monte Pincio und die demselben gefolgten Mühen und Gefahren sich auch, als ihm der Donner ins Ohr schallte, in seinem Gedächtniß belebt haben mochten, so waren sie doch jetzt eben so sehnell verschwunden, wie sie sich erhoben, und hatten seinem Erinnerungsvermögen Freiheit gelassen, sich den Seenen zuzuwenden, welche das Serapisbild zurückzurufen am geeignetsten war. Erinnerungen an seine jugendlichen Freuden im Tempel von Alexandrien, an seinen Jünglingsenthusiasmus, an die Triumphe seiner ersten Mannesjahre blitzten, zwar zusammenhanglos und schwankend, aber strahlend, herrlich berauschend, vor seinem halbzerstörten Geiste auf. Thränen, die ersten, welche er seit seiner glücklichen Jugend vergossen hatte, folgten einander schnell auf seinen welken Wangen. Er drückte entzückt seine heiße Stirn. Er klopfte mit seiner vertrockneten Hand auf die kalten nassen Stufen vor ihm. Er flüsterte athemlose Ausrufungen, er hauchte ein seltsames, liebkosendes Murmeln aus. Er warf sich in seinem jubelnden Entzücken an den Mauern des Tempels nieder, wie ein Hund, der seinen verlorenen Herrn wiedergefunden hat und sich liebkosenden dessen Füße schmiegt. So verbrecherisch er auch war, bot doch diese Freude in seiner Erniedrigung, dieser Stolz in seiner elenden Isolation von der Menschheit, einen mitleiderregenden Anblick.

Nach einiger Zeit veränderte sich seine Stimmung. Er stand auf, seine zitternden Glieder spannten sich in Jugendkraft, als er die Tempel-stufen erstieg und in den Eingang des Gebäudes gelangte. Er wendete sich auf einen Augenblick um und schaute hinaus auf die Straße, ehe er das Heiligthum seiner krankhaften Phantasie erreiehte. Für ihn erglänzte jetzt der wolkenumzogene Himmel über ihm mit den Strahlen des sonnigen Orients. Die sich vor ihm ausbreitenden leichenerfüllten Straßen von Rom waren von hohen Bäumen verschönert und von glücklichen Gestalten bevölkern und auf den dunkeln Fließen unter ihm, wo noch die Leichname lagen, für die er kein Auge besaß, sah er bereits die Priester des Serapis mit seinem verehrten Lehrer, seinem geliebten Macrinus an der Spitze, ihm entgegen ziehen und ihn in den Hallen des egyptischen Gottes bewillkommnen. Visionen, wie diese, zogen herrlich an den Augen des Heiden vorüber, während er so triumphierend auf den Stufen des Tempels stand, und erleuchteten mit Mittagshelligkeit die düsteren Gewölbe desselben, als er sich nach kurzem Verweilen von der Straße abwendete und durch die Thür des Heiligihums verschwand.

Der Regen strömte stärker als vorher herab, der einmal erweckte Donner erschallte jetzt in tiefen häufigen Schlägen, als sich Antonina vom Boden erhob und in der Erwartung, daß die gefürchtete Gestalt des Ulpius ihren Augen begegnen müsse, umsah. Aus der Straße war kein lebendes Wesen zu erblicken, die verstoßene Sklavin lehnte noch an der Mauer des Hauses, wo sie zuerst erblickt worden war, als der Heide in die Nähe des Tempels gelangte, jetzt aber war sie todt. Die Räuberbanden waren verschwunden. Nach allen Richtungen hin, so weit das Auge reichte, herrschte eine ununterbrochene Stille.

In dem Augenblicke, wo Ulpius Antoninens Hand losgelassen hatte, war sie hilflos und resignirt, aber nicht so weit erschöpft, daß sie alle Kraft der Empfindung oder alle Fähigkeit zum Denken verloren hatte, auf den Boden gesunken. Während sie auf dem kalten Pflaster der Straße lag, verfolgte ihr Geist immer noch die Visionen eines baldigen Todes und eines nach demselben kommenden ruhigen Lebens im Tode, in einer andern Welt; als aber die langsamen Augenblicke vergingen und keine rauhe Stimme in ihr Ohr schallte, keine mitleidlose Hand sie vom Boden aufriß, keine Unheil verkündenden Schritte in ihrer Nähe hörbar wurden, trat allmälig eine Verwandlung in ihren Gedanken ein. Der Instinkt der Selbsterhaltung lebte langsam in ihr wieder auf, und als sie sieh aufrichtete, um auf das düstere Schauspiel um sie her zu blicken, regte sie die Aussicht auf ungestörte Flucht und gegenwärtige Sicherheit, welche ihr durch die Einsamkeit der Straße geboten wurde, gleich einer ermuthigenden Stimme, gleich einem unerwarteten Versprechen der Hilfe an.

Ihr Wahrnehmungsvermögen für äußere Einflüsse stellte sich wieder ein; sie fühlte den Regen, welcher ihre Gewänder durchnäßte, es schauderte ihr bei, dem Donner, welcher über ihrem Haupte rollte; sie bemerkte mit Entsetzen die vor ihr auf den Steinen liegenden Leichen. Sie wurde von einem unwiderstehlichen Verlangen belebt, von dieser Stelle zu fliehen, dem trostlosen Schauspiele, welches sie erblickte, zu entrinnen, selbst wenn sie durch die Anstrengung erschöpft, in der nächsten Straße zusammensinken müßte. Langsam erhob sie sich —— ihre Glieder zitterten vor Schwäche, aber sie gelangte auf ihre Füße. Sie schwankte, dem Flusse den Rücken zukehrend, vorwärts, schritt verwirrt zwischen langen Reihen verlassener Häuser dahin und kam vor einem öffentlichen Garten an, in welchem ein kleines Sommerhaus lag, dessen verödete Vorhalle ihr einen Versteck und ein Obdach gewährte. Hier suchte sie daher Zuflucht, kauerte in den dunkelsten Winkel des Gebäudes und verbarg ihr Gesicht in den Händen, wie um die traurigen, wiewohl veränderten Scenen, welche sie umgaben, auszuschließen.

Qualvolle Gedanken und Erinnerungen wirbelten jetzt schwindelnd in ihrem Kopfe herum. Alles, was sie gelitten hatte, seit sie von Ulpius ans dem Bauernhause in der Vorstadt fortgeschleppt worden war —— die nächtliche Wanderung über die Ebene —— der furchtbare Weg durch die Mauer —— belebten sich jetzt in ihrem Gedächtnisse im Gemisch mit jetzt zum ersten Male erweckten formlosen Ideen von der Pest und Hungersnoth, welche die Stadt verödeten, und plötzlich erweckter Besorgniß, daß Goiswintha ihr immer noch mit dem Messer in der Hand durch die einsamen Straßen folgen könne, während sich, über alle diese wechselnden Quellen der Pein und des Entsetzens die Todesscene des jungen Häuptlings wie ein kaltes Gewicht auf ihr schweres Herz legte. Der feuchte Rasen seines Grabes schien noch an ihre Brnst zu drücken, sein letzter Kuß bebte noch aus ihren Lippen, sie wußte, obgleich sie nicht auf dieselben hinabzuschauen wagte, daß noch die Flecken seines Blutes ihre Gewänder färbten.

Mochte sie sich aber bemühen aufzustehen und ihre Flucht fortzusetzen, oder wieder in der Vorhalle niedersinken und sich auf einen bittern Augenblick darein ergeben, durch Goiswinthens Messer umzukommen, wenn Goiswintha in der Nähe wäre, oder wieder in die Hände des Ulpius zu fallen, wenn Ulpius ihr bis zu ihrem Zufluchtsort nachspüren sollte, so wurde sie bei alledem doch nie von dem niederschmetternden Gefühl verlassen, daß sie ihres geliebten Beschützers auf ewig beraubt —— daß der Freund ihrer kurzen Tage des Glückes für sie auf ewig verloren —— daß Hermanrich, der sie vor dem Tode bewahrt hatte, in seiner Jugend und Kraft an ihrer Seite ermordet worden war. Seit dem Morde im Bauernhause, befand sie sich jetzt zum ersten Male allein, und jetzt erst fühlte sie das volle Gewicht ihres Unglücks, und wußte wie trostlos das Leichentuch war, welches sich über jede Bestrebung ihres künftigen Lebens ausbreitete.

So dauernd und fast ewig auch die Wucht ihrer Verödung jetzt geworden zu sein schien, sollte sie doch durch Gefühle einer zarteren Wehmuth und eines resignirteren Schmerzes ersetzt werden. Die angeborene, unschuldige Charakterstärke, welche sie unter der Strenge ihrer Jugenderziehung geduldig und unter den Prüfungen, die von der Verbannung aus dem Hause ihres Vaters an auf sie einstürmten, hoffnungsvoll gemacht, die sie nicht eher verlassen hatte, als bis sich die furchtbaren Scenen der verflossenen Mord- und Todesnacht in triumphierendem Grausen vor ihren Augen erhoben, und die selbst da nur betäubt, aber nicht zerstört worden war, sollte jetzt wieder ihren heilenden Einfluß auf ihr Herz gewinnen. Während sie in ihrem einsamen Zufluchtsorte kauerte, belebte sich plötzlich die Hoffnung, die Sehnsucht nach der Wiederkehr zu ihrem Vater und seiner Liebe, welche sie auf dem Grabe des jungen Häuptlings bewegt und ihr die letzten Anstrengungen, um sich zu befreien, eingegeben hatte, als sie von Ulpius durch den Gang in der durchbrochenen Mauer geschleppt worden war, von Neuem.

Sie erhob sich und blickte auf die verödete Stadt und den Sturmhimmel hinaus, jetzt aber mit milden, furchtlosen Augen. Ihre Erinnerungen an die Vergangenheit sänftigten sich in ihrem jugendlichen Kummer, ihre Gedanken für die Zukunft wurden geduldig, ernst und heiter. Das Bild ihres ersten und jetzt einzigen Beschützers ihrer alten, trauten Heimath, ihrer Garteneinsamkeit auf dem Monte Pincio breiteten sich schimmernd, wie Ruheplätze für ihr müdes Herz, vor ihrer Phantasie aus. Sie stieg die Stufen des Sommerhauses hinab, ohne Besorgniß vor ihren Freunden zu hegen, ohne an ihrer Entschlossenheit zu zweifeln, denn sie kannte den Leuchtthurm, welcher sie jetzt in ihrem Laufe leiten sollte. Ihre Augen erfüllten sich mit Thränen, als sie in den Garten hinaustrat, aber ihr Schritt schwankte nicht, ihre Züge verloren nie den Ausdruck von stillem, mit milder Hoffnung vereinigtem Schmerze. So gelangte sie wieder auf die gefahrvollen Straßen und begann vor sich hin-flüsternd:

»Mein Vater! mein Vater»als ob in diesen einfachen Worten die Hand, welche sie führen und die Vorsehung, welche sie bewahren solle, enthalten sei, ihren einsamen Gang nach dem Monte Pincio.

Es war ein rührendes, schönes, ja erhabenes Schauspiel, wenn man dieses junge Mädchen betrachtete, das erst seit wenigen Stunden auf gefahrvollen Pfaden und durch verbrecherische Hände aus Scenen befreit worden war, die mit Verrath begonnen hatten, um im Tode zu enden, und jetzt entschlossen und allein durch die Straßen einer großen, von Allem, was es in menschlicher Pein Qualvolles und im menschlichen Verbrechen Abstoßendes giebt, überzogenen Stadt dahinschritt. Es war ein herrlicher Beweis von der kräftigen Herrschaft über die Welt und ihre Gefahren, womit die einfachste Zuneigung das schwächste Wesen bewaffnen kann, wenn man bemerkte, wie sie so über alle Schrecken der Verödung und des Todes, welche ihren Pfad umstellten, erhaben, ihren Weg verfolgte, und unbewußter Weise in dem leise geflüsterten Vaternamen, welcher immer noch von Zeit zu Zeit von ihren Lippen fiel, den reinen Zweck entdeckte, welcher sie aufrecht erhielt —— den festen Heldemuth, welcher die Gefahren ihres Pfades hinwegräumte. Die Stürme des Himmels entluden sich über ihrem Haupte, die Verbrechen und Leiden Rom’s verdunkelten ihren Pilgerweg, aber sie schritt festen Fußes durch alles bin, wie ein himmlischer Geist, der in der strahlenden Unverletzlichkeit seiner göttlichen Sendung und seiner heiligen Gedanken über das irdische Gebiet hinwallt —— wie ein Lichtstrahl, der in der Kraft seiner eignen Schönheit die Stürme und Finsterniß einer fremden Sphäre durcheilt.

Von Neuem betrat sie den Campus Martius, von Neuem kam sie an den öffentlichen Brunnen vorüber, die noch immer unnatürlicher Weise zu Betten für die Sterbenden und Gräbern für die Todten dienten. Von Neuem durchschritt sie die Straßen, wo die stärkeren Mitglieder der hungernden Einwohnerschaft in grimmigem Schweigen und ungeselliger Absonderung hin und her schwankten. Kein Wort wurde an sie gerichtet, kaum ein Blick auf sie gelenkt, als sie so ihren einsamen Pfad verfolgte. Sie war einsam unter den Einsamem verlassen unter den Verlassenen.

Der Räuber sah, wenn er an ihr vorüberkam, daß sie für seine beutesüchtige Hand eben so werthlos war, wie die Aermsten von den sterbenden Bürgern um ihn her. Der schwach seinen Palasthallen zuschwankende Patrizier wich ihr aus, wie einer neuen Bewerberin um das Almosen, welches er jetzt nicht mehr geben konnte, und beschleunigte seinen Schritt, sobald sie sich ihm näherte. Unbeschützt, aber doch unbelästigt aus ihrer Einsamkeit und von ihren bitteren Erinnerungen hinweg der Freistätte, der Liebe ihres Vaters zueilend, wie sie als Kind vor ihren ersten Besorgnissen des Schmerzes, der Zuflucht in ihres Vaters Armen zugeeilt sein würde, gelangte sie endlich an den Fuß des Monte Pincio —— stieg die Straßen hinauf, welche sie in ruhigen alten Tagen so oft betreten hatte.

Die Thore und Nebengebäude von Vetranio’s Palaste boten, als sie daran vorüber kam, einen auffallenden ominösen Anblick. Hinter den hohen Stahlgittern, welche das Gebäude beschützten schwankten und strauchelten die vom Hunger erschöpften Sklaven des Senators unter vollen Weingesäßen, die sie sich nach den innern Gemächern zu tragen bemühten. Von den Balkonen hingen bunte Teppiche herab, die Statuen der Marmorfronte waren mit Epheuguirlanden bekränzt. Mitten in der belagerten Stadt und in sündigem Hohn der Hungersnoth und Pest, von welcher Hütten wie Palaste verheert wurden, gingen in diesem Hause die Zurüstungen für ein glänzendes Fest vor sich.

Ohne den auffallenden Anblick, welcher ihr in Vetranio’s Palaste geboten wurde, zu beachten, mit unverwandt nach einer einzigen Gegend gerichteten Augen, mit in jedem Augenblicke schneller und schneller eilenden Schritten näherte sich Antonina dem Vaterhause, aus welchem sie in Furcht verbannt worden war und nach welchem sie in Schmerz zurückkehrte. Noch ein Augenblick der Anstrengung, der alle anderen Gefühle verdrängenden Erwartung, und sie gelangte an die Gartenthür!

Sie strich das vom Regen über ihre Stirn gespülte schwere Haar zurück, sie warf einen schnellen Blick um sich, sie sah das Fenster ihres Schlafgemachs, wo noch der alte einfache Vorhang an seinem gewohnten Platze schwebte, sie erblickte die wohlbekannten Bäume, die sorgfältig gepflegten Blumenbeete, welche jetzt welk unter dem Gewitterhimmel dastanden. Ihr Herz pochte zum Zerspringen, der Athem schien ihr plötzlich in der Brust zu stocken, als sie den Gartenweg betrat und die Stufen des Hauses erstieg.

Die Thür war nur angelehnt; mit einer letzten Anstrengung stieß sie dieselbe auf und stand wieder, ungestützt und unbewillkommnet, aber doch von Hoffnung auf Trost, Verzeihung und Liebe erfüllt —— in ihrem ersten und letzten Heiligthume —— in den Mauern ihres Vaterhauses!



Kapiteltrenner

Kapitel II.
Vater und Kind.

So verödet es auch dem äußern Anblicke an dem Morgen, von welchem wir jetzt schreiben, zu sein scheint, ist Numerian’s Haus doch nicht unbewohnt. In einem von den Schlafgemächern liegt der Herr des Hauses auf seinem Bette, ohne daß Jemand an seiner Seite wacht. Als wir ihn zuletzt auf unserer Schaubühne erblickten, war er unter die hungernde Gemeinde in der St. Johannes Laterankirche gemischt, und suchte unter der Verwirrung der öffentlichen Nahrungsaustheilung während der ersten Stufen des Unglücks des belagerten Rom noch immer nach seinem Kinde. Seit jener Zeit hat er sich viel gemüht und gelitten und jetzt sind endlich die Tage der lange hinausgeschobenen Erschöpfung, die Stunden hilfloser Einsamkeit, vor denen er in so steter Furcht geschwebt hat, endlich erschienen.

Von der ersten Zeit der Belagerung an, blieb er, —— während Alles, was ihn in der Stadt umgab, düster, immer finsterere und finsterere Veränderungen durchschritt, während die Hungersnoth in Pest und Tod überging, während mit jedem folgenden Tage die menschlichen Hoffnungen und Vorsätze sich allmälig verminderten und schwächer wurden, stets von demselben Zwecke beseelt —— war er der Einzige unter seinen Mitbürgern, auf welchen sein äußerliches Ereigniß gut oder schlimm, Hoffnung oder Furcht erregend einwirken konnte.

In allen Straßen Roms, zu jeder Stunde, unter allen Klassen des Volks sah man ihn fortwährend die gleiche hoffnungslose Aufgabe verfolgen. Als der Pöbel wüthend in die öffentlichen Getreidemagazine brach, um sich der letzten Kornvorräthe zu bemächtigen, die für die Reichen aufgespeichert worden waren, stand er an den Thüren und beobachtete die Herauskommenden. Als ganze Häuserreihen von Allem außer den Todten verlassen wurden, erblickte man ihn innerhalb derselben, wie er von Fenster zu Fenster ging und jedes Zimmer nach seinem verlorenen Schatze durchsuchte. Als sich einige wenige Bewohner der Stadt in den ersten Tagen der Pest zu dem fruchtlosen Versuche vereinigten, die auf den Straßen umherliegenden Leichen über die hohen Mauern zu werfen, mischte er sich unter sie, um die starren Gesichter der Todten anzublicken. An einsamen Orten, wo Eltern, die noch nicht jedes liebevolle Gefühl verloren hatten, ein sterbendes Kind von der wüsten Straße unter den Schutz eines Daches trugen, wo die noch ihren Pflichten getreue Gattin in stummer Verzweiflung den letzten Athemzug ihres Gatten bewachte, sah man ihn an ihnen vorübergleiten und sie einen kurzen Augenblick mit aufmerksamen, kummervollen Augen betrachten. Nirgends, wohin er auch gehen, was er auch sehen mochte, verlangte er Theilnahme oder bewarb er sich um Hilfe. Er ging seines Weges als Pilger auf einem einsamen Pfade, als unbeachteter Bewerber um ein Gut, um dessen Mitgenuß sich kein Anderer kümmern konnte.

Als sich die Hungersnoth in der Stadt fühlbar zu machen begann, schien er ihre Annäherung nicht zu bemerken, er machte keinen Versuch sich im Voraus mit Lebensmitteln auf ein paar Tage zu versorgen. Wenn er den ersten öffentlichen Vertheilungen von Nahrungsmitteln beiwohnte, so geschah es nur, um unter der ihn umgebenden Menge das Suchen nach seinem Kinde fortzusetzen. Er hätte mit den ersten schwachen Opfern des Hungers umkommen müssen, wenn ihn nicht auf seinen einsamen Wanderungen einige von den Mitgliedern der Gemeinde getroffen hätten, die in früheren Zeiten seine Frömmigkeit und Beredtsamkeit gesammelt hatte.

Von diesen Personen, deren Bitten, sein hoffnungsloses Suchen einzustellen, er stets mit der gleichen festen, geduldigen Weigerung beantwortet, wurde er sorgfältig auf seinen Wegen beobachtet und seine Bedürfnisse aufmerksam befriedigt. Von jeder Portion von Nahrungsmitteln, die sie zusammenzubringen vermochten, wurde ohne Ausnahme stets ein Antheil nach seiner Wohnung gebracht. Sie erinnerten sich ihres Lehrers in der Stunde seiner Niedergeschlagenheit, wie sie ihn früher in den Tagen seiner Kraft verehrt hatten; sie bemühten sich eben so eifrig, sein Leben zu erhalten, wie sie sich bestrebt hatten, von seinen Belehrungen Vortheil zu ziehen. Einst hatten sie ihm als Schüler gehorcht, jetzt waren sie ihm als Kinder dienstbar.

Aber diese, wie alle anderen Werke der Menschenliebe, brachte die Hungersnoth langsam aber sicher zum Aufhören. Die von der Gemeinde aufgespeicherten Nahrungsvorräthe wurden Unheil verkündend mit jedem Tage geringer. Als die Pest ihre düsteren Spuren zu zeigen begann, wurde die Anzahl Derjenigen welche ihren bekümmerten Lehrer in seiner Wohnung aufsuchten, oder ihn durch die verödeten Straßen folgten, immer geringer.

Jetzt nahmen, wie die Nahrung, welche ihn so erhalten, und die Wachsamkeit, welche ihn so beobachtet hatte, geringer wurde, auch die schwer geprüften Kräfte des unglücklichen Vaters schneller und immer schneller ab. Jeden Morgen waren beim Aufstehen seine Schritte schwächer sein Herz wurde ihm schwerer in der Brust, seine Wanderungen durch die Stadt wurden weniger und immer weniger entschlossen und kürzten sich immer mehr ab. Endlich verließen ihn die Kräfte gänzlich, die letzten noch existierenden Mitglieder seiner Gemeinde fanden ihn, als sie sich seiner Wohnung mit den letzten Ueberbleibseln von Nahrung, welche sie besaßen, näherten, an seinem Gartenthore erschöpft ausgestreckt, liegen. Sie trugen ihn auf sein Bett, legten ihre Liebesgaben neben ihn hin, ließen einen aus ihrer Zahl bei ihm, um ihn vor Räubern und Mördern zu schützen, und verließen verzweiflungsvoll das Haus.

Einige Tage lang blieb der Hüter getreulich auf seinem Posten, bis die Leiden des Hungers seine Wachsamkeit überwältigten, In der Furcht daß er in seiner, äußersten Noth versucht werden könne, das Wenige, was noch von den geringen Mundvorräthen des Greises vorhanden war, zu berauben, floh er aus dem Hause, um, auf den Straßen Nahrungsmittel, wie Ekel erregend sie auch sein mochten, zu suchen und von jetzt an war Numerian schutzlos in seiner einsamen, Wohnung geblieben.

Als wir ihn das erste Mal auf der Bühne dieses Buches erblickten, war er ein Mann von strengen Vorsätzen, von unermüdlicher Energie, ein muthiger Reformator, der allen Hindernissen, welche sich seinem Wege entgegenstellten, Trotz bot, ein triumphierender Lehrer, der Jeden, welcher seine Worte anhörte nach Belieben leitete, ein Vater, der stolz, die künftige Stellung betrachtete, welche er für sein Kind bestimmt hatte. Ganz anders erschien er jetzt. Für seinen Ehrgeiz, verloren, gebrochenen Geistes, hilflosen Körpers, von seiner Tochter durch seine eigne That getrennt, lag er in todtähnlicher Lethargie auf seinem unbewachten Bett. Der kalt durch sein geöffnetes Fenster wehende Wind erregte in seinem erstarrten Körper keine Empfindungen —— der Becher mit Wasser und die geringen Ueberbleibsel von grober Nahrung standen seiner Hand nahe, aber er besaß nicht die Aufmerksamkeit, sie zu unterscheiden. Seine offenen Augen blickten fest nach Oben, und doch lag er da, wie in tiefem Schlaf versunken, oder wie bereits dem Grabe geweiht, außer wenn von Zeit zu Zeit seine Lippen sich langsam in einem sich lang peinlich heraufwiegenden Athemzuge bewegten oder die Fieberhitze seine hohle Wange mit jeden Augenblick wechselnden Farben überzog.

Während er so dem äußern Anscheine nach, zwischen Leben und Tod zu schweben schien, bewahrten seine Geistesfähigkeiten im Innern immer noch eine schwache Lebenskraft. Durch keine äußere Einwirkung angeregt und von dem zügelnden Verstande nicht beherrscht, erschufen sie jetzt eine seltsame, räthselhafte Vision, die ihm handgreiflich wie ein wirkliches Ereigniß vorkam.

Es schien ihm, als liege er nicht in seinem eigenen Gemache, sondern in einer räthselhaften Welt, die mit einer für seine schmerzenden Augen unaussprechlich beruhigenden und milden Zwielichtatmosphäre erfüllt war. Durch dieses sanfte Licht hin konnte er in langen Zwischenräumen schattenhafte Vorstellungen der Scenen verfolgen, welchen er bei dem Suchen nach seinem verlorenen Kinde beigewohnt hatte. Die düstere Gefühle erweckenden Straßen, die den unbegrabenen Leichen überlassenen, einsamen Häuser, welche er durchforscht hatte, erschienen und verschwanden vor ihm in feierlicher Reihenfolge, und von Zeit zu Zeit hörte er, wenn eine Erscheinung verschwand, und ehe die andere vor ihm aufstieg, in weiter Ferne einen Ton wie von sanften Frauenstimmen, die in ernsten, feierlichen Klängen flüsterten, »Die Nachsuchung ist in Buße, in Geduld, in Gebet geschehen und nicht vergeblich gewesen. Die Verlorene wird zurückkehren —— die Geliebte wird Dir wieder gegeben werden.«

So währte die Vision, wie sie begonnen hatte, eine lange Zeit. Bald gingen die Scenen, durch welche er gewandert war, langsam an seinen Augen vorüber, bald murmelten die sanften Stimmen mitleidig in sein Ohr. Endlich verschwanden die Ersteren und die Letzteren verstummten, dann erfolgte ein langer, traumloser Zwischenraum und dann wurde das graue, ruhige Licht langsam an einer Stelle heller und aus dieser sah er die Gestalt seines verlorenen Kindes auf sich zuschreiten.

Sie kam an seine Seite, sie beugte sich liebend über ihn, er sah ihre Augen mit ihrem alten, geduldigen, kindergleichen Ausdrucke kummervoll auf ihn herabblicken. Sein Herz lebte zu einer Empfindung unaussprechlicher Zerknirschung, zu Gefühlen sehnsüchtiger Liebe und schmerzlicher Hoffnung auf, die Rebe war ihm wieder gegeben, er flüsterte bebend:

»Kind! Kind! ich habe in bitterem Weh das Unrecht bereut, welches ich Dir gethan, ich habe Dich in meiner Einsamkeit auf Erden den langen Tag und die dunkle Nacht hindurch gesucht, und jetzt hat Dich der barmherzige Gott gesendet, um mir zu verzeihen! ich habe Dich geliebt, ich habe um Dich geweint.«

Seine Stimme erstarb, denn jetzt belebten sich seine äußeren Gefühle von Neuem. Er fühlte wie warme Thränen auf seine Wange niederträufelten, er fühlte, wie zarte Arme ihn umschlangen, er hörte den liebevoll wiederholten Ruf:

»Vater sprich zu mir, wie Du es gewohnt warst, —— liebe mich, Vater, und vergieb mir, wie Du mich geliebt und mir verziehen hast, als ich ein kleines Kind war!«

Der Klang der wohlbekannten Stimme, die stets liebevoll und ehrerbietig zu ihm gesprochen, die ihn das letzte Mal in Tönen verzweifelnder Bitte angeredet, die er kaum je wieder auf Erden zu vernehmen gehofft hatte, durchdrang sein ganzes Wesen wie erweckende Musik in der Todtenstille der Nacht. Seine Augen verloren ihren starren, geistesleeren Ausdruck, er richtete sich plötzlich auf dem Lager empor, er sah, daß das als Vision Begonnene in Wirklichkeit ausgegangen war, daß sein Traum sich als unmittelbarer Vorläufer seiner Erfüllung erwiesen hatte, daß ihm seine Tochter wirklich wiedergegeben war, und sein Kopf senkte sich und er zitterte und weinte in der überwältigenden Fülle der Dankbarkeit und des Entzückens an ihrer Brust.

Während einiger Augenblicke bemühte sich Antonina, die mit dem entschlossenen Heldenmuthe der Liebe die sich ihr aufdrängenden Empfindungen des Schreckens und der Furcht beschwichtigte, ihren dem Erlöschen nahen Vater zu trösten und ihm beizustehen. Das Entsetzen drückte sie fast zu Boden, als sie bedachte, daß er jetzt wo sie nach Schmerz und Gefahr ihn endlich wieder erlangt hatte, in ihren Armen das Leben aushauchen könne. Aber selbst jetzt noch verließ sie ihre Entschlossenheit nicht gänzlich. Die letzte Hoffnung ihres kurzen, bitteren Lebens war jetzt die, ihren Vater der Welt zurückzugeben und sie hielt sich mit der Ausdauer der Verzweiflung daran fest.

Sie beruhigte ihre Stimme, während sie ihn anredete, sie beschwor ihn sich zu erinnern, daß seine Tochter zurückgekehrt sei, um über ihn zu wachen, um seine gehorsame Schülerin zu sein, wie in früherer Zeit. Vergebliches Mühen! Selbst während die Worte über ihre Lippen gingen, erschlafften seine Arme, womit er sie an sich gedrückt hatte, wurde sein Kopf schwerer auf ihrer Brust. In der Verzweiflung des Augenblickes riß sie sich von ihm los und blickte um sich, die Hälfe zu suchen, welche zu leisten Keiner in ihrer Nähe war. Der Becher mit Wasser, die letzten Ueberbleibsel von Speise lenkten ihren Blick auf sich. Mit schnellen Instinkte ergriff sie dieselben. In diesen geringfügigen Resten lag Hoffnung, Erfolg, Rettung. Sie drückte ihm die Nahrung in den Mund, sie benetzte mit dem Wässer seine vertrockneten Lippen, seine fieberheiße Stirn. Während eines Augenblickes entsetzlicher Ungewißheit sah sie ihn noch bewußtlos, dann stellten sich die Lebensfunktionen wieder ein; seine Augen öffneten sich und hefteten sich gierig auf die elende Nahrung vor ihm. Er verschlang sie heißhungrig, er leerte den Wasserbecher bis auf den letzten Tropfen, er sank, wieder auf das Lager zurück. Aber jetzt bewegte sich das erstarrte Blut von Neuem in seinen Adern. Sein Herz schlug weniger und weniger schwach, —— er war gerettet. Sie sah es, als sie sich über ihn beugte —— gerettet von dem verlorenen Kinde in der Stunde der Heimkehr! Es war eine Empfindung von entzücktem Triumph und Dankbarkeit, die keine schmerzlichen Erinnerungen in ihrem glänzenden, plötzlichen Entstehen zu verbittern vermochten! Sie kniete, fast ihren eigenen Gefühlen erliegend, neben dem Bette nieder. Auf dem Grabe des jungen Kriegers hatte sie ihr Herz in Qual und Kummer zum Hinnnel erhoben und jetzt schüttete sie an der Seite ihres Vaters ihre ganze Seele in bebenden Stoßgebeten der Dankbarkeit und Hoffnung vor dem Schöpfer aus!

So blieben Vater und Tochter lange. —— Jener langsam wieder zum Besitz des Lebens und der Kräfte gelangend, die noch in seinem geschwächten Körper vorhanden waren, diese noch von ihrem allumfassenden Dankbarkeitsgefühle erfüllt. Und nun ließ auch, wie der Morgen dem Mittag zueilte, der Sturm allmälig nach, langsam und feierlich rollten die mächtigen Gewitterwolken auseinander und der heitere blaue Himmel zeigte sich durch ihre phantastischen Risse. Die kleiner werdenden Regentropfen fielen leicht und silbern auf die Erde nieder, und Wind und Sonnenschein zogen stoßweise über die pestvergiftete Atmosphäre von Rom. Noch schimmerten die Sonnenstrahlen, von den fliegenden Wolkenschatten gemildert, weich in die Fenster von Numerian’s Gemach. Sie spielten wärmend und neubelebend wie Auferstehungs- und Hoffnungsboten des Himmels, dem sie angehörten auf seinen abgezehrten Zügen. Das Leben schien sich unter ihrem erfrischendem milden Einflusse von Neuem anzuregen. Nochmals richtete er sich auf und wendete sich seinem Kinde zu und jetzt klopfte sein Herz in gesunder Freude und seine Arme umschlossen es, nicht in der Hilflosigkeit der Schwäche, sondern in der Bewillkommnung der Liebe.

Seine Worte fielen, als er sie anredete, anfänglich fast unartikuliert von seinen Lippen —— sie vermengten sich in verworrene Ausdrücke der Zärtlichkeit, der Reue, des Dankes gegen Gott. Der ganze Enthusiasmus seines Charakters, die ganze schlummernde Liebe für sein Kind, welche jahrelang durch seine religiöse Strenge unterdrückt, oder durch seinen Ehrgeiz von ihrem Gegenstande abgelenkt gewesen war, gelangte endlich zum Ausbruch.

Antonina lag zitternd und stumm in seinen Armen und versuchte umsonst seine Liebkosungen und seine bewillkommnenden Worte zu erwidern. Erst jetzt erkannte sie, wie tief die Liebe ihres Vaters zu ihr war; sie fühlte wie fremd seiner wahren Natur die Strenge gewesen sei, welche er in ihrem früheren Verkehr angenommen hatte und das schnelle Einströmen neuer Gefühle und alter Erinnerungen, welche das entzückende Erstaunen der Entdeckung zur Folge hatte, sah sie sich der Sprache beraubt. Sie vermochte nur begierig und athemlos seinen Worten zu tauschen. So stammelnd und verworren dieselben auch klangen, waren es doch Worte der Liebkosung, wie sie noch nie von ihm gehört, es waren Worte, wie sie seine Mutter je an ihrem Kinderbette gesprochen hatte und sie sanken göttlich tröstend, wie Boten der Verzeihung von Engellippen in ihr Herz.

Allmälig wurde Numerian's Stimme ruhiger. Er erhob seine Tochter in seinen Armen und heftete seine aufmerksamen, mitleidigen Augen liebevoll auf ihr Gesicht.

»Zurückgekehrt! zurückgekehrt!« murmelte er, »Um nie wieder zu scheiden! Zurückgekehrt, schön und geduldig, gütiger und liebevoller als je. Liebe mich und verzeihe mir, Antonina! Ich habe Dich in bitterer Einsamkeit und Verzweiflung gesucht. Betrachte mich nicht wie ich war, sondern wie ich bin. Es gab Tage, wo Du ein Kind warst, wo ich keinen Gedanken hatte, als wie ich Dich lieben und erfreuen könne, und jetzt sind diese Tage wieder gekommen! Wir werden Freunde und frohe Genossen finden, wir werden das Glück überall hintragen, wo man uns sieht. Du sollst keine strengen Aufgabenbücher mehr lesen, Du sollst Dich nie wieder von mir trennen, Du sollst süße Musik auf der Laute spielen, Du sollst Dich mit Blumen, die ich Dir pflücken werde, bekränzen, Gottes Segen geht von Kindern, wie Du, aus —— er ist mir zu Theil geworden —— er hat mich von den Todten erweckt. Meine Antonina soll mich lehren wie man ihn verehrt, wie ich es ihr einst gelehrt habe. Sie soll des Morgens und Abends für mich beten und wenn sie nicht daran denkt, wenn sie schläft, so werde ich leise an ihr Bett kommen und über ihr wachen, damit sie, wenn sie die Augen aufschlägt mich erblickt. Es sind die Augen meines mir wiedergegebenen Kindes. Es gibt auf Erden nichts, was mir Frieden und Glück verkünden könnte, wie sie!«

Er hielt einen Augenblick inne und blickte auf ihr ihm zugewendetes Gesicht. Seine Züge trübten sich dabei ein wenig und er nahm ihr noch vom Regen feuchtes und verwirrtes langes Haar in seine Hände und drückte es an seine Lippen, an sein Gesicht, an seine Brust. Dann, als er sah, daß sie zu sprechen versuchte, als er die Thränen erblickte, welche jetzt ihre Augen erfüllten, zog er sie dichter an sich und fuhr hastig in leiseren Tönen fort.

»Still, still! kein Schmerz, keine Thräne mehr; sage mir nicht, wohin Du gewandert bist —— sprich nicht von dem, was Du gelitten hast, denn würde nicht jedes Wort für mich ein Vorwurf sein? und Du bist gekommen, um mir zu verzeihen und nicht um mit Vorwürfe zu machen! Zwinge mir nicht von Deinen Lippen die Erinnerung daran auf, daß ich es war, der Dich verstieß, laß uns nur daran denken, daß wir einander wieder gegeben sind, laß uns daran denken, daß Gott meine Reue angenommen und mir meine Sünde verziehen hat, indem er meinem Kinde zurückzukehren gestatten. Oder wenn wir von den vergangenen Tagen der Trennung sprechen müssen so erzähle mir von den Tagen, die Dich ruhig und sicher gefunden haben, erfreue mich Durch die Erzählung, daß nicht bloß Gefahr und Schmerz in dem bitteren Schicksale vorhanden war, welches mein sündiger Zorn meinem eignen Kinde bereitet hatte! Sage mir, daß Du in der Stunde Deiner Flucht sowohl Beschützer wie Feinde gefunden hast —— daß nicht Alle hart gegen Dich gewesen sind, wie ich —— daß diejenigen, welche Dir um Obdach und Schutz gebeten, Dein Gesicht, als eine Bitte um Wohlthätigkeit und Güte, von Freunden, die sie lichten, betrachtet haben! Erzähle mir nur von Deinen Beschützern, Antonina, denn darin wird Trost liegen und Du bist gekommen, um mich zu trösten.«

Während er auf ihre Antwort wartete, fühlte er, wie sie an seiner Brust erbebte, sah er, wie ein Schauder über ihre Gestalt hinzuckte. Die Verzweiflung in ihrer Stimme drang kalt in sein Herz, wiewohl sie nur die einfachen Worte entgegnete:

»Es gab Einen!« —— und dann weiter zu sprechen unfähig verstummte.

»Ist er nicht in der Nähe?« fuhr er hastig fort. »Warum ist er nicht da? Wir wollen ihn ohne Zögern suchen. Ich muß mich in meiner Dankbarkeit vor ihm demüthigen. Ich muß ihm zeigen, daß ich es werth war, daß mir meine Antonina zurückgegeben wurde.«

»Er ist todt!« schluchzte sie, in die sie umfassend die Arme niedersinkend, als die Erinnerung an die letzte Nacht sich wieder in allen ihren Schrecken ihrem Gedächtniß aufdrängte. »Man hat ihn an meiner Seite ermordet. O Vater, Vater! er hat mich geliebt! er würde Dich beschützt und geehrt haben.«

»Möge ihn der allbarmherzige Gott unter die seligen Engel aufnehmen und ihn unter den heiligen Märtyrern ehren!« rief der Vater, indem er seine thränenvollen Augen flehend emporrichtete. »Möge sein Geist, wenn er noch die Dinge auf Erden wahrnehmen kann, wissen, daß sein Name neben dem meines Kindes in meinem Herzen eingeschrieben sein wird, daß ich an ihn wie an einen geliebten Gefährten denken und um ihn trauern werde, wie um einen mir entrissenen Sohn!.«

Er schwieg und blickte auf Antonina nieder, die noch ihre Züge vor ihm verbarg. Beide fühlten, daß das, was sie gesprochen, ein neues Band gegenseitiger Liebe uns sie gewunden hatte, aber Beide schwiegen.

Während dieser Pause schweiften die Gedanken Numerian’s von den Gegenständen ab, welche ihn bisher in Anspruch genommen hatten. Die wenigen, krummervollen Worte, welche seine Tochter gesprochen hatte, waren hinreichend gewesen, um die Fülle der Freude aus seinem Herzen zu verbannen, und ihn von der beglückten Betrachtung der Gegenwart den düsteren Erinnerungen an die Vergangenheit zuzulenken. Mit seiner Dankbarkeit und Hoffnung vermischten sich jetzt unbestimmte Zweifel und Befürchtungen und unwillkürlich kehrten seine. Gedanken zu dem zurück, was er gern auf ewig vergessen haben würde —— zu dem Morgen, wo er Antoninen aus dem Hause vertrieben hatte.

Grundlose Besorgnisse der Rückkehr des verrätherischen Heiden und des Wüstlings, welchem er sich verkauft hatte, sobald sie hören würden, daß ihr Opfer zurückgekehrt sei, die verzweifelnde Ueberzeugung von seiner Hilflosigkeit und Gebrechlichkeit stiegen erschreckend in seinem Geiste auf. Seine Augen schweiften unstät im Zimmer umher, seine Hände schlossen sich zitternd um die Gestalt seiner Tochter, dann ließ er sie plötzlich los, sprang wie von einem panischen Schrecken geschlagen auf und rief:

»Die Thüren müssen geschlossen werden —— Ulpius kann in der Nähe sein —— der Senator kann zurückkehren. —— Er versuchte das Zimmer zu verlassen, aber seine Kräfte reichten zu dieser Anstrengung nicht aus, er lehnte sich, um sich zu stützen an die Wand, wiederholte athemlos: »Schließe die Thüren! —— Ulpius! Ulpius!« und winkte Antoninen hinabzusteigen.

Sie gehorchte ihm zitternd. In der Erinnerung an ihren Weg durch die Mauer und die furchtbare Reise durch die Straßen von Rom, theilte sie die Besorgnisse ihres Vaters und stieg daher eiligst hinab.

Die Thür war halb offen, wie sie dieselbe beim Eintreten in das Haus gelassen. Ehe sie dieselbe hastig schloß und verriegelte, warf sie noch einen Blick auf die Straße. Die abgezehrten Gestalten der Sklaven bewegten sich noch mit den fest1ichen Vorbereitungen für Vetranio’s Palast beschäftigt hin und her und hier und da lagen einige gespensterhafte Wesen auf dem Boden und betrachteten sie mit schwächlichem Erstaunen. In allen andern Theilen der Straße besaß noch die Todesstille des Hungers ihre Herrschaft.

Antonina eilte wieder zu ihrem Vater, um ihm zu versichern, daß sie seinen Geboten gehorcht habe und daß sie jetzt vor allem Eindringen von außen sicher seien. Während ihrer kurzen Abwesenheit war aber vor dem Geiste des alten Mannes eine neuere und ominösere Aussicht auf Unglück getreten. Als sie in das Zimmer trat sah sie daß er auf sein Bett zurückgekehrt war und die kleine hölzerne Schale, welche seinen letzten Vorrath an Nahrung enthalten hatte, jetzt aber leer war, vor sich hielt. Er richtete, als er sie eintreten hörte, kein Wort an sie, seine Züge waren starr von Schrecken und Verzweiflung, und während er auf die leere Schale hinabblickte, murmelte er vor sich hin:

»Es war die letzte Nahrung, die sich noch hier befand und ich war es, der sie verbraucht bat! Die Thiere des Waldes tragen ihren Jungen Nahrung zu, und ich habe nur einem Kinde den letzten Bissen geraubt!«

Augenblicklich drängte sich die über der ersten Freude des Wiedersehens vergessene Trostlosigkeit ihrer Lage wieder mit entsetzender Lebhaftigkeit vor Antoninens Geist. Sie versuchte ihrem Vater Trost und Hoffnung zuzusprechen, aber die furchtbare Wirklichkeit der Hungersnoth in der Stadt trat jetzt handgreiflich vor sie hin und hielt die eiteln Worte des Trostes auf ihren Lippen zurück. Mitten in dem noch volkreichen Rom, angesichts der sie umgebenden Felder, wo die gütige Sonne stündlich die Vegetation der fruchtbaren Erde ihrer Reife mehr und mehr zuführte, wo Aecker und Magazine ihre reichlichen Vorrathe erkennen ließen, blickten Vater und Tochter jetzt einander an, eben so unfähig ihre erschöpften Mundvorräthe zu ersehen, als ob sie schiffbrüchig auf einem Floß in einem unbekannten Meere umhergeworfen würden, oder auf eine wüste Insel verbannt wären, deren Produkte von verpesteten Winden verwelkt waren und um deren dürre Küsten zerstörende Gewässer von der Art flossen, wie sie über den »Städten der Ebene« hingerollt sind.

Die Stille, welche lange im Zimmer geherrscht hatte, die bitteren Reflexionen, welche noch immer den verzweifelnden Vater und die geduldige Tochter sprachlos erhielten, wurden endlich durch eine hohle, traurige Stimme von der Straße unterbrochen»welche folgende Worte ausrief:

»Ich, Publius Dalmatius, Bote des römischen Senats verkünde, daß der Präfekt um die Straßen, von den Todten zu reinigen, dreitausend Sesterzien für jede zehn Leichen geben wird, welche über die Mauern geworfen werden. Dies ist die Verfügung des Senats.«

Die Stimme schwieg, aber es antwortete ihr kein Laut des Beifalls, kein Summen der Aufregung des Volkes. Nach einiger Zeit vernahm man sie nochmals aber schwächer, da der Bote weiter gegangen war und das Dekret in einer andern Straße ausrief und dann sank das Schweigen wieder entsetzlicher und allgemeiner als vorher über Alles herab.

Jedes Wort der Ankündigung hatte, sowohl als sie aus der Ferne wiederholt, wie als sie vor seinem Fenster gesprochen wurden, Numerian’s Ohren erreicht. Sein bereits in Verzweiflung versinkender Geist wurde mit einem eben so unwiderstehlichen Zauber auf das, was er von der Wehe verkündenden Stimme des Herolds gehört hatte, geheftet, wie der, welcher das Auge des bereits schwindelnden Reisenden auf dem Gipfel einer Klippe dem Schauspiele der klaffenden Schluchten unter ihm zulenkt. Als die Töne der Proklamation endlich ganz und gar verklungen waren, ließ der unglückliche Vater die leere Schale, welche er bis jetzt mechanisch vor sich gehalten hatte, fallen, blickte schreckerfüllt auf seine Tochter und stöhnte vor sich hin:

»Die Leichen sollen über die Mauern geworfen, die Todten den Winden des Himmels anheimgegeben werden! —— In der Stadt ist für uns keine Hilfe mehr! O Gott! Gott! —— sie kann sterben! —— ihre Leiche kann hinausgeworfen werden wie die Uebrigen und ich den Anblick davon erleben!«

Er erhob sich plötzlich von dem Ruhebette; seine Vernunft schien auf einen Augenblick erschüttert zu sein, als er auf das Fenster zuschwankte und rief:

»Speise!, Speise! —— Ich will mein Haus und Alles was es enthält, für einen Bissen Speise dahingeben. Ich habe nichts, um mein Kind zu ernähren, —— es wird, morgen noch vor mir verhungert sein, wenn ich keine Speise erhalte. Ich bin ein Bürger von Rom —— ich fordere von dem Senate Hilfe. ——»Speise! Speise!«

So fuhr er fort in immer leiser werdenden Tönen aus dem Fenster zurufen, aber keine Stimme antwortete ihm theilnehmend oder verhöhnend. Von dem ganzen Volke, das sich jetzt in zunehmender Zahl auf der Straße vor Vetranio’s Palast, versammelt hatte, wendete sich kein Einziger, um ihn auch nur anzublicken. Seit, vielen Tagen schon hatte man fruchtlose Forderungen, wie die seine, unbekümmert zu jeder Stunde und in jeder Straße von Rom, bald in deliriösem Geschrei die Luft durchschallend, bald in dem legten, stammelnden Murmeln der Erschöpfung und Verzweiflung gehört.

So hätte Numerian lange um Hilfe und Mitleid bei einem Volke flehen können, welches aufgehört hatte, die eine zu gewähren und das andere zu fühlen, jetzt aber näherte sich ihm seine Tochter, zog ihn sanft seinem Bett zu und sagte in milden, aber feierlichen Tönen:

»Erinnere Dich, Vater, daß Gott die Raben ausgesendet hat, um Elias mit Speise zu versehen, und das Oelkrüglein der Wittwe von ihm gefüllt worden ist. Er wird uns nicht verlassen, denn er hat uns einander wiedergegeben und mich nicht hierher gesendet, um in der Huugersnoth umzukommen, sondern um über Dich zu wachen!«

»Gott hat die Stadt und Alle, die sie enthält, verlassen,« antwortete er verzweiflungsvoll; »der Engel der Vernichtung hat unsere Straßen betreten und der Tod folgt ihm wie sein Schatten! An diesem Tage, wo sich uns Beiden Hoffnung und Glück aufzuthun schien, ist unsere kleine Haushaltung dem Verderben geweiht worden. Junge wie Alte, Müde und Wachsame liegen auf den Straßen umher, —— der Hunger hat sie alle bezwungen —— der Hunger wird uns bezwingen —— es gibt keine Hilfe, keine Rettung mehr! Ich, der ich geduldig für die Wohlfahrt meiner Tochter gestorben sein würde, muß jetzt in Verzweiflung sterben und sie freundlos in der weiten öden, gefahrvollen Welt in der traurigen Stadt der Pein, des Schreckens, des Todes zurücklassen —— die der Feind von außen bedroht und die im Innern von Hunger und Pest verwüstet wird! O Antonina! Du bist nur auf kurze Zeit zu mir zurückgekehrt, der Tag unserer zweiten Trennung naht heran.«

Auf einige Augenblicke senkte sich sein Haupt und Schluchzen erstickte seine Stimme, dann erhob er sich mühsam von Neuem. Achtlos gegen Antoninens Bitten versuchte er wieder das Zimmer zu durchschreiten, aber nur um nochmals seine schwachen Kräfte unzulänglich zu finden, um ihn aufrecht zu erhalten. Als er keuchend auf einen Stuhl zurücksank, nahmen seine Augen einen wilden, Unnatürlichen Ausdruck an —— Verzweiflung des Geistes und Körperschwäche hatten sich vereint, um seine Kräfte aus den Fugen zu treiben. Als sich ihm seine Tochter erschrocken näherte, um ihn zu beschwichtigen und ihm Beistand zu leisten, winkte er ihr unmuthig zurück und begann mit dumpfer, heiserer, eintöniger Stimme zu sprechen, indem er die Hand fest auf seine Stirne preßte und seine Augen unablässig von einem Gegenstande, von einem Theile des Zimmers zum andern schweifen ließ.

»Höre Kind, höre!« begann er hastig. »Ich sage Dir, daß im Hause und in ganz Rom keine Nahrungsmittel vorhanden sind! Wir sind belagert —— der Feind hat uns die Getreidemagazine in den Vorstädten und die Kornfelder auf den Ebenen genommen —— in der Stadt herrscht eine große Hungersnoth —— diejenigen, welche noch essen, genießen seltsame Speisen, bei deren Nennung es dem Menschen übel wird. Ich würde selbst solche zu erlangen suchen, aber ich habe nicht Kraft genug, um hinaus aus die Straßen zu gehen, und sie andern mit der Spitze der Schwertes abzuringen! Ich bin alt und schwach und mein Herz ist gebrochen ich werde zuerst sterben und meine gute, liebe Tochter, die ich so lange gesucht und die ich als mein einziges Kind geliebt habe, vaterlos zurücklassen!«

Er schwieg einen Augenblick, nicht um auf die Worte der Ermuthigung und Hoffnung zu hören, welche Antonina mechanisch an ihn richtete, sondern um seine zerstreuten Gedanken zu ordnen, um seine ihn verlassenden Kräfte zu sammeln. Seine Worte wurden schneller und seine Züge ließen eine plötzlich erwachte Energie und Eindringlichkeit des Ausdruckes wahrnehmen, als ob ihm ein neuer Plan vor den Geist getreten sei und nach einer Pause fuhr er folgendermaßen fort:

»Wenn aber auch mein Kind verwaist, wenn ich auch in der Stunde sterben werde, wo ich mich am meisten sehnte für sie zu leben, so darf ich sie doch nicht hilflos zurücklassen, ich werde sie unter meine Gemeinde senden, die mich verlassen hat, die aber, wenn sie hört, daß ich todt bin, Reue fühlen und Antoninen — um meinetwillen aufnehmen wird. Höre mich an —— höre, höre! Du mußt ihnen sagen, daß sie sich an Alles erinnern, was ich ihnen einst von meinem Bruder enthüllt habe, von dem ich in meinen Knabenjahren geschieden bin, von meinem Bruder, den ich seitdem nie wieder gesehen habe. Er kann noch am Leben sein —— vielleicht ist er zu finden, —— man muß nach ihm suchen, denn er würde für die Vaterlose ein Vater und für die Unbehütete ein Schützer sein. Vielleicht ist er jetzt in Rom —— vielleicht ist er reich und mächtig vielleicht hat er Nahrung, die er entbehren kann und ein Haus, welches gegen alle Feinde und Fremde gut ist. Achte auf meine Worte, Kind! In den letzten Tagen habe ich viel an ihn gedacht, ich habe ihn im Träumen gesehen, wie ich ihn zum letzten Male in meines Vaters Hause sah. Er war glücklicher und wurde mehr geliebt als ich, und ich verließ meine Eltern in Neid und Haß und trennte mich von ihm. Du hast davon nichts gehört, aber Du mußt es jetzt hören, damit Du, wenn ich todt sein werde, weißt, daß Du einen Beschützer hast, den Du aufsuchen kannst. Ich nahm meines Bruders Lebewohl im Zorne auf und floh mein Vaterhaus —— jene Tage waren mir einst wohl erinnerlich, aber jetzt wird mein Gedächtniß für Alles stumpf —— lange Jahre des Drängens und Treibens gingen vorüber und ich habe ihn nie gesehen und Menschen von vielen Nationen sind meine Genossen gewesen, aber er war nicht unter ihnen. Dann wurde mir viel Kummer zu Theil und ich bereute und lernte Gott fürchten, und ging nach dem Hause meines Vaters zurück. Seitdem sind Jahre vergangen, wie viele weiß ich nicht. Ich hätte sie zählen können, als ich mit ihm, —— mit meinem früheren Freunde bei der St. Peterskirche sprach, wie wir, ehe die Stadt belagert wurde, auf den Sonnenuntergang hinausblickten und von den früheren Tagen unserer Genossenschaft redeten. Jetzt aber verläßt mich das Gedächtniß, der Hunger und Tod, von dem wir mit Trennung bedroht werden. verdunkelt meine Gedanken, aber höre mich, höre mich geduldig, —— um Deinetwillen muß ich fortfahren.

»Mein Vaterhaus war verschwunden, als ich ankam, um es wieder zu sehen, andere Häuser standen an dem Orte, wo meines Vaters Haus gewesen war, Niemand konnte mir etwas von meinen Eltern und meinem Bruder sagen; dann kehrte ich. zurück und meine früheren Genossen wurden meinen Augen verhaßt. Ich verließ sie und sie verfolgten mich mit Haß und Spott. —— Höre, höre! ich ging heimlich und bei Nacht mit Dir fort, um ihnen zu entrinnen und meine Besserung vollkommen zu machen, wo sie nicht in der Nähe sein würden, um mich daran zu hindern, und wir reisten viele Tage lang weiter, bis wir nach Rom kamen und ich nahm dort meine Wohnung; aber ich fürchtete, daß meine Genossen, die ich verabscheute, mich wieder entdecken und verfolgen könnten und in der neuen Stadt meines Wohnens nannte ich mich mit einem andern Namen, als demjenigen, welchen ich trug, und so wußte ich, daß jede Spur von mir verloren gehen und ich vor Menschen, an die ich jetzt nur wie an Feinde dachte, sicher sein würde. Gehe hin! geh schnell! —— bringe Deine Schreibtafel und schreibe die Namen, welche ich Dir nennen werde, nieder, denn dadurch wirst Du Deinen Beschützer entdecken, wenn ich gestorben bin! Sage ihm nicht, Du seist das Kind Numerian’s, er kennt den Namen nicht. Sage, Du seist die Tochter Cleander’s, seines Bruders, der in der Sehnsucht starb, ihm wieder gegeben zu werden. Schreibe schreibe sorgfältig, Cleander —— das war der Name, den mir mein Vater gab, —— das war der Name, den ich trug, bis ich meinen bösen Genossen entfloh und ihn aus Furcht vor ihrer Verfolgung veränderte! Cleander! schreib und erinnere Dich: Cleander! Ich habe in Träumen gesehen, daß mein Bruder entdeckt werden wird. Ich werde ihn nicht entdecken, aber Du wirst ihn finden! Deine Schreibtafel! Deine Schreibtafel, schreibe seinen Namen und, den meinen, —— er heißt: ——«

Er hielt plötzlich inne. Seine, zwischen Erstarrung und Belebung schwankenden, von den Prüfungen, welche sie überstanden hatten, erschütterten aber nicht überwältigten Geisteskräfte, sammelten sich plötzlich, nahmen wieder etwas von ihrem gewohnten Gleichgewichte an und erwachten zu einem Gefühle ihrer eignen Abschweifung. Seine unbestimmten Enthüllungen aus seinem früheren Leben —— die der Leser als seine im ersten Bande erzählten Mittheilungen, gegen den flüchtigen Landmann, über denselben Gegenstand, ähnlich erkennen wird, traten jetzt in aller ihrer Zusammenhanglosigkeit und Nutzlosigkeit vor ihm. Sein Gesicht nahm einen niedergeschlagenen Ausdruck an, er seufzte bitterlich vor sich hin:

»Die Vernunft beginnt mich zu verlassen! -— meine Urtheilskraft, die mein Kind führen —— meine Standhaftigkeit, die es aufrecht erhalten sollte, verläßt mich! —— wie soll sie meinen Bruder finden, der mir seit meinen Knabenjahren verloren ist! Gegen die Hungersnoth, wovon wir bedroht werden, kann ich Dir nur eitle Worte bieten! schon sinken ihre Kräfte, ihr Gesicht auf das ich zu blicken liebte, erbleicht vor meinen Augen! Gott sei uns gnädig! —— Gott sei uns gnädig!«

Er kehrte schwach auf sein Lager zurück, der Kopf sank ihm auf die Brust; von Zeit zu Zeit ging ein leises Stöhnen über seine Lippen, aber er sprach nichts weiter:

So tief auch die Erschöpfung war, in welcher er sich jetzt befand, war es doch für Antoninen weniger peinlich sie zu erblicken, als die zusammenhangslosen Enthüllungen zu hören, welche vor kaum einem Augenblicke seinen Lippen entfallen waren, und die, wie sie in ihrem Erstaunen und Schrecken gefürchtet hatte, die entsetzlichen Zeichen des Umsturzes der Vernunft ihres Vaters sein konnten. Als sie sich wieder neben ihm niederließ, fühlte sie mit Beben, daß ihre eigene Ermüdung nahe daran war, sie zu überwältigen, aber sie fuhr fort mit ihrer wachsenden Verzweiflung zu ringen, bemühte sich fortwährend, nur aus Fähigkeit zum Leiden und Aussichten der Erlösung zu sinnen.

Die Minuten zogen jetzt traurig durch das trübe Schweigen hin, die schwachen Lüftchen erhoben sich und verschwanden in langen Zwischenräumen, wie man es an den durch das offene Fenster herein dringenden Lufthauche erkennen konnte. Die Sonnenstrahlen erglänzten und trübten sich abwechselnd, wie die Wolken in lustiger Reihenfolge über das Antlitz des Himmels zogen. Die Zeit schritt streng in ihrem bestimmten Gange vorwärts und die Natur bewegte sich ruhig; durch die ihr zugewiesenen Grenzen der Veränderung; aber immer noch beschäftigten ihren Geist keine Hoffnungen, keine rettenden Pläne, nichts als dunkle Erinnerungen und schmerzliche Erwartungen.

Schon senkte sich ihr müdes Haupt dem Boden zu, —— schon schienen Bewußtsein und Stärke und der Schmerz selbst, in einem traumlosem todtähnlichen Schlafe unterzugehen, als sich plötzlich ein letzter Gedanke, dessen Verbindung und Grund sie nicht zu ersehen vermochte, in ihr erhob, und sie belebte, erweckte, begeisterte. Sie sprang auf.

»Der Garten, Vater, der Garten»rief sie athemlos, —— erinnere Dich an die Nahrung, die unten in unserm Garten wächst! Tröste Dich, wir haben noch Mundvorräthe! Gott hat uns nicht verlassen!«

Er erhob bei ihren Worten den Kopf; seine Züge nahmen einen noch traurigeren und hoffnungsloseren Ausdruck an; er blickte mit ominösem Schweigen auf sie und legte seine zitternden Finger auf ihren Arm, um sie zurückzuhaltem als sie hastig das Zimmer zu verlassen versuchte.

»Verbiete mir nicht, mich zu entfernen!« bat sie ängstlich, »mir ist jeder Winkel des Gartens bekannt, denn in glücklicheren Tagen war er mein Besitzthum —— unsere letzten Hoffnungen beruhen auf dem Garten und ich muß ihn ohne Säumen durchsuchen.«

»Habe Geduld mit mir,« fügte sie mit leisem wehmüthigen Tönen hinzu; »habe Geduld mit mir, theurer Vater, bei dem, was ich jetzt thun möchte. Ich habe, seit wir von einander geschieden sind, einen bitteren Schmerz erlitten, welcher sich dunkel und schwer an alle meine Gedanken hängt. Für mich gibt es keinen Trost mehr, als das Vorrecht für Dein Wohlergehen zu sorgen. —— Meine einzige Hoffnung auf Glück liegt in der Beschäftigung, um Dich zu unterstützen.«

Die Hand des Greises legte sich, während sie ihn anredete, schwerer auf ihren Arm, als sie aber schwieg, sank sie von demselben nieder und er neigte mit sprachloser Fügung in ihren Willen das Haupt. Einen Augenblick verweilte sie noch und sah ihn eben so stumm an, wie er selbst war, im nächsten verließ sie mit hastigem ungewissen Schritten das Zimmer.

Als sie in den Garten gelangte, schlug sie, ohne es selbst zu wissen, den Pfad ein, welcher nach der Bank führte, wo sie einst gern insgeheim auf ihrer Laute gespielt, nach den fernen Bergen hinaus-geblickt hatte, die in der warmen Atmosphäre ruhten, welche die Sommerabende über ihre blaue Kette ergossen. Wie beredt sprach die kleine Stelle, von den stillen Ereignissen, die jetzt aus ewig verschwunden waren, von den Hoffnungen, den glücklichen Beschäftigungen welche sich mit dem Tage, der sie verzeichnet, erheben und gleich diesem Tage vergehen, um nie wieder als dieselben zurückzukehren! —— die das Gedächtniß allein aufzubewahren vermag, wie sie waren, und die das Herz nur in veränderter Form wieder aufnehmen kann, wo sie der Gegenwart des Gefährten, des Verfalles des entschwundenen Augenblickes beraubt sind, der den Zauber der Vergangenheit bildete und die Unvollkommenheit des Gegenwärtigen ausmacht.

Zart und dicht gedrängt waren die Erinnerungen, die die Gegenstände im Garten heraufbeschworen, als die trübe Herrin desselben wieder auf ihr kleines Gebiet blickte. Sie sah die Bank, wo sie sich nie wieder mit den gleichen Gefühlen zum Singen niedersetzen konnte, wie sie einst ihre Musik begeistert hatten —— sie sah die welken Blumen, die sie nie wieder mit demselben kindergleichen Genusse an der Arbeit zu pflegen vermochte, welche dieselbe in früheren Stunden erheitert hatte! So jung sie auch noch war, konnten doch die Empfindungen der vergangenen Jugendtage nie wieder belebt werden, wie sie einst existierten! Sie waren wie Gewässer aufgequollen und Gewässern gleich hinweg geströmt, um nie wieder zu ihrer Quelle zurückzukehren. Gedanken an diese vergangenen Jahre —— an den jungen Krieger, der kalt unter der Erde lag, —— an den entmuthigten Vater, der hoffnungslos im oberen Zimmer trauerte, legten sich dicht an ihr Herz, als sie sich von ihren Blumenbeeten abwendete —— nicht wie in frühem Tagen, um ihr Glück zur Musit ihrer Laute ausströmen zu lassen, sondern um mühsam nach Mitteln zur Erhaltung des Lebens zu suchen.

Als sie sich über die Stellen des Gartens niederbeugte, wo sie wußte, daß Früchte und Gemüse von ihrer eignen Hand gepflanzt worden waren, wurde sie von ihren Thränen fast blind gemacht —— sie strich dieselben hastig aus den Augen und blickte sich begierig um.

Ach! Andere hatten das Feld abgeerntet, von welchem sie Ueberfluß gehofft hatte.

In den ersten Tagen der Hungersnoth war Namerian’s Gemeinde in den Garten gekommen und hatte für ihn gesammelt, was derselbe enthielt. Seine köstlichsten Produkte waren eben so gut erschöpft, wie seine gewöhnlichsten. Auf der kahlen Erde lagen welke Blätter, und nackte Zweige schwankten über ihnen in der Luft. Sie wanderte von Pfad zu Pfad und suchte unter den Dornen und Disteln umher, welche bereits dem verlassenen Garten das Aussehen einer Ruine gaben; sie erforschte seine verborgensten Winkel mit der peinlichen Ausdauer der Verzweiflung, aber überall, wohin sie sich wenden mochte, breitete sich die gleiche Unfruchtbarkeit um sie aus. Auf der einst fruchtbaren Fläche, welche sie mit so freudigem Glauben an ihre Hilfsquellen betreten hatte, waren nur noch einige halb verdorbene Wurzeln zu finden, die vergessen unter verschlungenem Unkraut und verwelkten Blumen lagen.

Sie sah, als sie die Wurzeln einsammelte, daß sie kaum für eine spärliche Mahlzeit hinreichend waren und kehrte langsam nach dem Hause zurück. Kein Wort entfloh ihr, keine Thräne floß über ihre Wangen, als sie die Stufen wieder hinaufstieg —— Hoffnung, Furcht, Denkkraft, ja das Bewußtsein selbst, waren in ihr von dem ersten Augenblicke an betäubt, wo sie entdeckt hatte, daß im Garten, wie im Hause, die letzten Aussichten auf Hilfe von der unerbittlichen Hungersnoth geraubt worden waren.

Sie trat in das Zimmer und ging mit den verdorbenen Wurzeln in den Händen mechanisch auf ihren Vater zu. Während ihrer Abwesenheit waren seine Geistes und Körperkräfte der Ermattung gewichen, —— er lag in einem tiefen, schweren Schlafe. Ihr Geist fühlte eine schwache Erleichterung, als sie sah, daß die schlimme Notwendigkeit, das Fehlschlagen der Hoffnungen, die sie selbst erweckt hatte, zu gestehen, ihr noch auf einige Zeit erspart blieb. Sie kniete neben Numerian nieder und glättete sanft das Haar auf seiner Stirn, —— dann zog sie die Gardine über das Fenster, denn sie fürchtete selbst, daß das hereinwehende Lüftchen ihn aufwecken könne. Eine seltsame, geheimnißvolle Freude über die Idee, ihren Vater jeden Augenblick der Zeit und jedes Theilchen der Kraft zu weihen, die ihr noch geblieben sein mochte, eine bereitwillige Ergebung in den Tod, in das Sterben für ihn, breitete sich über ihr Herz aus und trat an die Stelle aller andern Wünsche und Gedanken.

Sie bewegte sich jetzt mit einer vorsichtigen Stille, welche nichts unterbrechen konnte, durch das Zimmer, sie bereitete ihre Wurzeln mit einer geduldigen Aufmerksamkeit, die nichts abzulenken vermochte, zur Speise. Durch das tiefe Elend ihrer Lage, ihrem frischem Schmerze und ihrer gegenwärtigen Besorgniß entrissen, konnte sie noch instinktmäßig die einfachen Geschäfte der Gattin und Tochter verrichten, wie sie es unter einem friedlichen Volke und in einer behaglichen Familie gethan haben würde. So überleben sich die erstgeborenen Neigungen des Herzens, die Erschöpfung aller der stürmischen Gefühle, aller aufstrebenden Gedanken späterer Jahre, die den Geist zu beschäftigen, aber nie gänzlich auszufüllen im Stande sind.

So spricht ihre freundliche, vertraute Stimme, wenn der Lärm der streitenden Leidenschaften verklungen ist, wieder ruhig und stützend, wie in alter Zeit, wo der Geist sich in den Grenzen seiner angeborenen Einfachheit sicher bewegte und das Herz noch in der reinen Stille seiner ersten Ruhe lag.

Das letzte, kärgliche Maß von Nahrung war bald bereitet, es war, als sie es kostete, bitter und unschmackhaft, —— das Leben konnte selbst bei den Kräftigsten, kaum durch so geringe Nahrung bewahrt werden, aber sie setzte dieselbe so sorgfältig bei Seite, als ob es die feinste Leckerei des reichlichsten Mahles gewesen wäre.

Während ihrer einsamen Beschäftigung hatte sich nichts verändert —— ihr Vater schlief noch, auf der Straße herrschte noch das frühere düstere Schweigen. Sie stellte sich an das Fenster und zog theilweise den Vorhang bei Seite, um die warmen Lüfte von außen auf ihrer kalten Stirn spielen zu lassen. Dieselbe unnennbare Resignation, dieselbe unnatürliche Ruhe, welche seit ihrem Eintreten in das Zimmer über ihre Kräfte herabgesunken war, überzog dieselben auch jetzt noch. Die sie umgebenden Gegenstände vermochten ihre Aufmerksamkeit nicht anzuregen, alle Erinnerungen und Ahnungen waren in ihrem Geiste zum Stillstande gekommen. Auf ihren Zügen herrschte Marmorstarrheit; mitunter schweiften ihre Augen mechanisch von der Speise neben ihr, auf ihren schlummernden Vater, als ihre einzige Idee in seinem Dienste zu wachen, bis die schwachen Pulse des Lebens den letzten Schlag gethan haben würden, abwechselnd auflebte und schwächer wurde —— sonst aber waren an ihr keine Zeichen körperlichen Lebens oder geistiger Thätigkeit mehr zu erblicken. Es gab Momente, wo sie, wenn man sie in dem halbverdunkelten Zimmer mit ihren blassen, ruhigen Zügen, mit ihrer, in kalte weiße Gewänder gehüllten, bewegungslosen Gestalt neben dem Bette, auf welchem ihr Vater ruhte, erblickt hatte, ausgesehen haben würde, wie eine von den frommen Büßerinnen der Urkirche, die zum Wachen im Hause der Trauer bestimmt, durch das Erscheinen des Todes ein ihrer heiligen Vigilie überrascht worden wäre.

Die Zeit verfloß —— die monotonen Stunden des Tages schritten wieder der Nacht zu und Pest und Hungersnoth verkündeten ihr Verstreichen aus den vom Unglück geschlageiieti Straßen und Plätzen Roms. Für Vater und Kind war der Sand im Stundenglase dem Verrinnen nahe und keines von Beiden bemerkte dessen Verminderung. Der Schläfer ruhte immer noch und die Wächterin an seiner Seite wachte fortwährend —— aber jetzt lenkte sich ihr matter Blick unwillkürlich durch den Ton von Stimmen angezogen, die endlich von Zeit zu Zeit von der Straße aufstiegen, hinab auf das Licht der Fackeln und Lampen, die in dem großen Palaste des Senators sichtbar wurden, als sich die Sonne allmälig zum Horizonte senkte und die feurigen Wolken des Abends in den Dünsten der vorschreitenden Nacht erloschen. Sie blickte fest auf das Schauspiel unter und vor ihr hinab, aber selbst jetzt noch bewegten sich weder ihre Glieder, noch wurde der bewegungslos feierliche Friede ihrer Züge gestört.

Das weiche, kurze Zwielicht senkte sich auf die Erde und ließ den kalten Mond erblicken, der einsam am sternenlosen Himmel schwebte, —— dann stieg, auf das blasse Zeichen seines Erscheinens leise die Finsterniß auf, und umschloß langsam die Stadt des Todes.



Kapiteltrenner

Kapitel III.
Das Banket des Hungers.

Von allen Prophezeihungen trifft wohl keine seltener ein, als die, welche wir uns am leichtesten erlauben, wenn wir die Einwirkung äußerer Ereignisse auf den Charakter der Menschen vorher sagen wollen. Keine Form unserer Vermuthungen trügt häufiger, als solche Bemühungen, im Voraus den Einfluß der Umstände auf das Benehmen nicht nur Anderer, sondern sogar unserer selbst abzuschätzen. Das Ereigniß tritt ein und Menschen, die wir aus dem Gesichtspunkte betrachten, welcher uns unsere frühere Beobachtung derselben gewährt, handeln unter dem Einflusse desselben, wie lebende Widersprüche ihres eignen Charakters. Der Freund unsers täglichen, geselligen Verkehrs im Leben und der Lieblingsheld unserer historischen Studien, setzen uns glei sehr in Erstaunen, übertreffen oder täuschen unsere Erwartungen gleich stark. Wir erkennen es als eben so vergeblich, für die willkürlichen Widersprüche in dem Charakter der Menschen einen Grund vorauszusehen, wie demselben eine Grenze anzuweisen.

Wiewohl aber, das Aufstellen von Vermuthungen über das künftige Benehmen Anderer unter bevorstehenden Ereignissen nur zu oft an den Tag legt, wie trügerisch unsere weisesten Erwartungen sind, so ist doch die Betrachtung der Art dieses Benehmens nachdem es stattgefunden hat, ein nützlicher Gegenstand unserer Wißbegier und kann vielleicht sogar zu einer fruchtbaren Quelle von Belehrungen gemacht werden. Gleichartige Ereignisse, die einander in verschiedenen Perioden folgen, werden durch die stets wechselnden Wirkungen, welche sie auf den menschlichen Charakter ausüben, von Einförmigkeit befreit und erlangen durch dieselben neue Wichtigkeit. So finden wir in Bezug auf das große Ereigniß, auf welches sich unsere Erzählung gründet, in der Belagerung von Rom, als einen bloßen historischen Vorfall betrachtet, nur wenig, wodurch es sich bedeutend von irgend einer frühem Belagerung der Stadt unterschiede —— dasselbe Streben nach Ruhm und Rache, Reichthum und Gewalt, welches Alarich vor die Mauern der Stadt führte, hatte vor ihm auch andere Eroberer hergezogen. Beobachten wir aber die Wirkung des gothischen Einfalles in Italien auf die Bewohner seiner Hauptstadt, so finden wir reichlichen Stoff zu neuen Betrachtungen und unbegrenztem Erstaunen.

Wir erblicken als überraschendes Beispiel der Widersprüche im menschlichen Charakter, das Schauspiel eines ganzen, bereits von dem höchsten Gipfel des Nationalruhmes, zu den niedrigsten Tiefen der Nationalentartung, herabgesunkenen Volkes, welches an seiner Thür von einem übermächtigen fremden Einfalle bedroht wird und doch trotz allem was die weit verbreitete Niedrigkeit seines früheren Charakters uns hätte erwarten lassen sollen, seinen Feinden, um der Ehre des römischen Namens willen, den es seit Jahrhunderten entehrt hatte, mit unbeugsamer Hartnäckigkeit Widerstand leistet. Wir sehen Männer, die bisher selbst das Wort Patriotismus verlacht haben, jetzt entschlossen für ihr Vaterland dem Hungertode entgegen gehen; die vor keiner Schurkerei zurückbebten, um Reichthum zu erlangen, jetzt anstehen, ihren übel erworbenen Gewinn zum Erkaufen des wichtigsten aller Genüsse —— ihrer eignen Sicherheit und des Friedens anzuwenden. Man könnte aus allen Klassen, von den niedrigsten bis zu den höchsten, Beispiele der unahnbaren Wirkung ziehen, welche das Ereigniß der Belagerung Roms auf die Bewohner der Stadt übte, wenn wir dieselben aber hier mittheilen wollten, würde der Fortgang unserer gegenwärtigen Erzählung eine zu lange Unterbrechung erleiden müssen. Wenn wir über einen solchen Gegenstand auf Einzelheiten eingehen sollen, so darf es nur in einem Falle geschehen, welcher mit den wirklichen Erfordernissen unserer Geschichte im klaren Zusammenhange steht und ein solcher Fall ist gegenwärtig in dem Benehmen des Senators Vetranio unter dem Einflusse der äußersten Leiden, von welchen die Blockade Roms durch die Gothen begleitet wurde, zu finden.

Wer, könnte man fragen, —— wenn man den früheren Charakter dieses Mannes, seine Frivolität, sein üppiges Verlangen nach ununterbrochenen Genuß und Behag1ichkeit, seinen Schrecken vor der leisesten Annäherung des Schmerzes oder Unglücks kennt, —— könnte sich ihn als fähig vorstellen, geringschätzig alle Aussichten auf gegenwärtige Sicherheit und künftiges Wohlseim die ihm seine unbegrenzte Macht und sein ungeheurer Reichthum selbst in einer von Hungersnoth verheerten Stadt hätte verschaffen können, von sich zurückzuweisen und plötzlich mit dem Entschlusse das Leben in dem Augenblicke als werthlos aufzugeben, wo es nichts mehr den ruhigen Fortgang früherer Jahre besaß, den höchsten Gipfelpunkt der verbrecherischen Verzweiflung zu besteigen! Und doch war er jetzt zu diesem Entschlusse gelangt und hatte, was noch außerordentlicher erscheint, andere patricische Standesgenossen gefunden, die sich ihm bei der Ausführung desselben anschlossen.

Der Leser wird sich seiner phantastischen Ankündigung von der bevorstehenden Orgie gegen den Präfekten Pompejanus, während des ersten Theiles der Belagerung entsinnen, diese Ankündigung sollte jetzt ausgeführt werden.

Vetranio hatte seine Gäste zum Banket des Hungers geladen. Eine auserwählte Anzahl von den Senatoren der großen Stadt wollten ihren Muth dadurch an den Tag legen, daß sie als die Genußmenschen starben, als welche sie gelebt hatten, daß sie verächtlich alle Aussichten auf das Verhungern, wie der gemeine Haufen, an einer täglich geringer werdenden Quantität widerlicher Nahrung von sich warfen, daß sie in Weinfluthen ertränkt und von dem Feuer des reichsten Palastes von Rom beschienen, triumphierend ein beengtes, genußloses Leben verließen.

Man hatte die Absicht gehabt, über diesen rasenden Entschuß das tiefste Geheimniß zu bewahren, die ungeheure Katastrophe gleich einem Wunder des Himmels auf die noch übrigen Bewohner der Stadt hereinbrechen zu lassen, aber die mit der Organisation des Selbstmörderbankets beauftragten Sklaven, waren mit Wein zu ihrer Aufgabe geneigt gemacht worden und hatten in der Sorglosigkeit des Rausches, das innerhalb der Palastmauern Gehörte mitgetheilt. Die Neuigkeit ging von Mund zu Mund. Die Aussicht, den brennenden Palast und den trunkenen Selbstmord seiner verzweifelten Gäste zu erblicken, war hinreichend, um selbst die erstarrte Neugier des verhungernden Pöbels zu beleben.

Am angesetzten Abend schleppte das Volk seine matten Glieder aus allen Theilen der Stadt dem Monte Pincio zu. Viele starben unterwegs, Viele gaben den Entschluß, sich bis ans Ziel des Weges zu begeben, auf und suchten mürrisch in den leeren Häusern am Wege ein Obdach, Viele fanden Gelegenheit zum Raube und Verbrechen, welche sie von ihrem Bestimmungsorte ablockten, —— aber Viele verharrten in ihrem Vorsatze und die Lebenden schleppten die Sterbenden mit, die Verzweifelten trieben die Feigen in boshaftem Scherze vor sich hin, bis sie vor die Palastthore gelangten. Ihre, von der Straße aufsteigenden, Stimmen hatten die dem Erlöschen nahen Geisteskräfte Antoninens aufgeschreckt, wenn auch nicht belebt, und dort auf den breiten Pflastersteinen lagen diese Bürger einer fallenden Stadt, eine Gemeinde der Pest und Sünde —— eine verhungernde, grausige Schaar.

Der durch die zunehmende Finsterniß glänzender hervortretende Mond erleuchtete jetzt die Straßen vollkommen und enthüllte auf engem Raume ein wechselndes, eindrucksvolles Schauspiel.

Die eine Seite der Straße, in welcher Vetranio’s Palast stand, war an beiden Enden, so weit das Auge bei Nacht reichen konnte, mit den Hainen und Nebengebäuden, die zur Wohnung des Senators gehörten, besetzt. Die Gärten des Palastes gingen am höheren, von dem Pincischen Thore entfernteren Theile der Straße auf einem breiten Bogen über dieselbe und dehnten sich nach rückwärts bis zu den Bäumen des kleinen Gartens am Hause Numerian’s hin. Mit diesem Hause in einer Linie, aber durch einen schmalen Zwischenraum getrennt, stand eine lange Reihe von Gebäuden, die stockwerkweise an verschiedene Bewohner vermiethet waren und sieh zu einer ungeheuren Höhe erhoben, denn im alten Rom, wie im modernen London, konnten die Baumeister in Folge der hohen Bodenpreise einer übervölkerten Stadt einem Hause nur dadurch Geräumigkeit verschaffen, daß sie seine Höhe unbehaglich vergrößerten. Jenseits dieser Miethshäuser sah man die Bäume, welche einen andern Patrizierpalast umgaben und über dieselben hinaus machte die Straße einen plötzlichen Bogen und es war in gerader Linie außer den nebeligen, unbestimmten Gegenständen der Fernsicht nichts mehr zu erblicken.

Das ganze Aussehen der Straße vor Vetranio’s Palast würde, wenn die zurückstoßenden Gruppen, die sich jetzt darin gebildet hatten, weggefallen wären, zu der Stunde, von welcher wir jetzt schreiben, ausnehmend schön gewesen sein. Die herrliche symmetrische Fronte des Palastes selbst, mit ihrer graziösen Reihe von langen Säulenhallen und kolossalen Statuen, im Contraste mit dem malerisch unregelmäßigen Aeußern der gegenüberliegenden Wohnung Numerian’s und der hohen Häuser, in deren Nähe die weichen undeutlichen Laubmassen, welche an den oberen Enden der Straße mit einander parallel dahin liefen und durch den schwebenden Garten über dem Wege, auf welchem eine Gruppe hoher Pinien ihre gigantischen Häupter gegen den durchsichtigen Himmel abzeichneten, begrenzt und verbunden waren, das glänzende Licht, welches aus den bunt behangenen Fenstern Vetranio’s auf die Straße herabströmte und im unmittelbaren Gegensatz der ruhige Mondschein, von welchem die Fernsicht erhellt wurde —— alles dies zusammengenommen bildete ein Gewölbe, in welchem sich Natur und Kunst in den köstlichsten Proportionen mischten, —— ein Gemälde, dessen unaussprechliche Poesie und Schönheit in jeder anderen Nacht das Auge hätte bezaubern und den leichtsinnigsten Geist erheben können. Jetzt aber, wo es von hohläugigen, hungerbetagten und von Krankheit entstellten Volksgruppen überdeckt, wo es in dumpfen Zwischenräumen durch Schreie der Bitte, der Herausforderung und Verzweiflung belebt wurde, schienen seine glänzendsten Schönheiten der Natur und Kunst nur mit bitterem Spott das menschliche Elend, welches ihr Glanz erblicken ließ, zu beleuchten.

Mehr als hundert Menschen, —— meist aus den untersten Volksklassen, waren vor der dem Untergang geweihten Wohnung des Senators zusammengedrängt. Einige von ihnen gingen langsam in der Straße auf und ab und ihre Gestalten glitten schattenhaft und feierlich durch das sie umgebende Licht, aber bei weitem die größte Zahl lag aus dem Steinpflaster vor Numerians Palaste und den Thorwegen der hohen Häuser in seiner Nähe. Von dem grellen Lichte aus den Palastfenstern beleuchtet, nahmen diese in den verzerrten Stellungen des Leidens und der Verzweiflung zusammengedrängten Gruppen ein furchtbares, gespensterhaftes Aussehen an. Ihre eingeschrumpften Gesichter, ihre zerrissene Kleidung, ihre hier am Boden liegenden, dort halb erhobenen hagern Gestalten waren in ein gleichmäßiges rothes Licht getaucht. Hoch über ihnen an den Fenstern der hohen jetzt in jedem Stockwerke von Todten erfüllten Häuser zeigten sieh einige Gestalten —— die erkauften Hüter der Sterbenden in den Gemächern —— die sich vorwärts beugten, um auf den Palast gegenüber zu schauen, und deren abgemagerte Gesichter vom hellen Mondlichte mit einem bleichen Glanze übergossen wurden. Zuweilen hörte man ihre Stimmen spöttisch der Volksmasse unter ihnen zurufen, die festen, stählernen Thore des Palastes aufzubrechen und den vollen Weinbecher von den Lippen seines Herrn zu reißen. Zuweilen antworteten die auf der Straße Befindlichen mit Verwünschungen, die im wilden Gemisch mit den Wehklagen von Frauen und Kindern, dem Stöhnen der von der Pest ergriffenen und der Bitten der Verhungerten um Almosen und Hilfe an die hinter den Palastgittern hin und her gehenden Sklaven, emporstiegen.

In den Pausen, wo der Tumult der schwachen Stimmen theilweise schwieg, hörte man ein dumpfes, regelmäßiges, klopfendes Geräusch, welches diejenigen hervorbrachten, welche auf ihrem Wege nach dem Palaste trockene Knochen gefunden hatten und sie an geschützten Stellen auf dem Pflaster zerpochten, um dieselben zur Nahrung zu verwenden. Der Wind, welcher den Tag über erfrischend gewesen war, hatte mit Sonnenuntergang umgeschlagen und fegte jetzt in heißen, schwachen Stößen pestbeladen von Osten her langsam über die Straße hin.

Theile der zerlumpten Kleidung, von auf dem Boden liegen den Gestalten, die ihm am meisten ausgesetzt waren, schwebten langsam hin, und her, wie vom Tode auf der dem Ergeben nahen Citadelle des Lebens aufgepflanzte Paniere. Er zog heiß und mephitisch, wie von dem Hauche der wüthenden und schlechten Worte, welche er in die Bankethalle der leichtsinnigen Gäste des Senators trug, vergiftet, durch die offenen Fenster des Palastes. Ueber solche Scenen, wie die sich jetzt unter ihm ausbreitenden, getrieben, nahm er von ihnen eine Unheil verkündende Bedeutsamkeit an —— er schien, wie eine aus den glühenden Tiefen des Erdmittelpunktes hervorgetriebene Atmosphäre zu wehen, und düstere Verkündigungen einer ungeheuren Convulsion in dem ganzen Gebäude der Natur über die Menschen erfüllte, traurige Straße zu hauchen.

So sah es vor dem Palaste aus und dies waren die Zuschauer, welche sich in düsterer Erwartung des Unterganges der Wohnung des Senators versammelt hatten. Mittlerweile nahte im Innern des Gebäudes der Anfang der Todesorgie.

Die Sklaven, die während der Noth in der belagerten Stadt mit vollkommener Straflosigkeit in ihrem gewohnten unbedingten Gehorsam gegen ihren Herrn erschlafft waren, hatten sich ausbedungen, daß es ihnen, sobald ihre vorbereitenden Arbeiten beendigt sein würden, freistehen solle, ihre eigene Sicherheit zu Rathe zu ziehen und den dem Verderben geweihten Palast zu verlassen.

Schon konnte man einige von den Schwächsten und Furchtsamsten von ihnen durch die Hinterthüren in den Garten hinaus eilen sehen, wie Ingenieure, die eine Pulverleitung angezündet hatten und entflohen, ehe die Explosion ausbrach. Diejenigen von den Dienstleuten welche noch im Palaste geblieben waren, beschäftigten sich noch größentheils mit Trinken aus den Weingefäßen, die man ihnen vorgesetzt hatte, um ihre Kräfte bis zum letzten Augenblicke zu bewahren.

Der Hohn des Festes war selbst bis auf ihre Gewänder ausgedehnt worden. Grüne, von kirschrothen Gürteln zusammengehaltene Livreen bekleideten ihre abgezehrten Körper. Sie tranken im tiefsten Schweigen. Unter ihren Reihen war nicht der mindeste Schein von Lustigkeit oder Berauschung zu erblicken. Verwirrt, zusammengehäuft, wie um sich gegenseitig Schutz zu gewähren, warfen sie von Zeit zu Zeit scharfe Blicke des Argwohns und der Besorgniß auf sechs bis acht von den höheren Dienern des Palastes, die am äußern Ende der von ihren Kameraden eingenommenen Halle auf und ab gingen, und von Zeit zu Zeit bis an die Vorderthüren des Gebäudes schritten, wo sie verstohlene Zeichen mit einigen Mitgliedern der Menge auf der Straße austauschten. Es waren unbestimmte Gerüchte von einer geheimen Verschwörung im Umlaufe, die einige von den ersten Sklaven, und eine Anzahl von Bösewichtern unter dem Volke, eingegangen sein sollten, um alle Bewohner des Palastes zu ermorden, sich der Schätze desselben zu bemächtigen, den Gothen die Stadtthore zu öffnen und in der Verwirrung beim Plündern von Rom mit ihrer Beute zu entfliehen.

Bis jetzt war noch nichts Bestimmtes entdeckt, aber die wenigen Diener, die sich von den Uebrigen abgesondert hielten, wurden von allen ihren Kameraden beargwöhnt, und jetzt von diesen beim Weine mit ängstlichen Augen beobachtet. So verschieden auch die Scene unter den noch im Palaste gebliebenen Sklaven von dem Anblicke des auf der Straße befindlichen Volkes war, verkündete doch das Eine, wie das Andere, in seiner Art mit gleicher Düsterkeit ein bevorstehendes Unglück.

Die große Bankethalle des Palastes war jetzt zwar zum Feste gerüstet, hatte aber ein verändertes Unheil verkündendes Aussehen angenommen.

Die massiven Tische liefen noch immer von üppigen Ruhebetten umgeben, wie in früheren Zeiten durch die ganze Länge des Zimmers, auf ihrer glänzenden Oberfläche war aber keine Spur von Speise zu erblicken. Kostbare Vasen, Flaschen und Trinkbecher bedeckten mit Wein gefüllt allein die festliche Tafel. Von der Decke hingen tief zehn große Lampen herab, die der Anzahl der versammelten Gäste, der einzigen, herbeizuschaffenden Vertreter der Hunderte von Festgenossen, welche in den jetzt auf ewig vergangenen glänzenden Nächten auf Vetranio’s Kosten geschmaust hatten, entsprachen. An dem unteren Ende des Zimmers, der Hauptthür gegenüber, hing ein dicker schwarzer Vorhang, der zum Verbergen eines dahinter befindlichen geheimnißvollen Gegenstandes bestimmt zu sein schien. Vor dem Vorhange brannte eine kleine, gelbe Glaslampe auf einer hohen vergoldeten Stange und rund umher war an den Wänden und über einen Theil des Tisches eine bunte, wirre Masse von kostbaren. Gegenständen aufgehäuft; die Alle von mehr oder weniger brennbarer Natur und mit wohlriechenden Oelen besprengt waren. Hunderte von Ellen prächtig bunter Stoffe, Rollen über Rollen von Manuskripten glänzende Kleidungen von jeder Farbe, Spielereien, Werkzeuge, unzählige Hausrathgegenstände von seltenen schön eingelegten Hölzern, waren nachlässig durch einander an den Wänden des Zimmers hingeworfen worden und erhoben sich bis nahe an die Decke.

Auf allen Theilen der Tische, welche nicht von den Weingefäßen eingenommen waren, lagen goldene, Juwelen besetzte Zierrathen, die das Auge durch ihren Strahlenglanz blendeten, während in außerordentlichem Contrast mit der so grenzenlos entwickelten Pracht in einer der oberen Ecken der Halle ein alter hölzerner, mit einem groben Tuche bedeckter Tisch erschien, auf welchem ein paar Schüsseln von gemeinem Töpfergeschirr gestellt waren, die ein Gemisch von gekochter Kleie und eingesalzenem Pferdefleisch enthielten. Der widerliche Geruch, welcher sich aus diesem seltsamen Gemisch hätte erheben können, war von den verschiedenen im Zimmer verbreiteten Wohlgerüchen verdrängt, die im Verein mit dem durch die Fenster von der Straße hereinkommenden heißen Winde, eine so drückende und schwächende Atmosphäre erzeugten, daß sie trotz ihrer künstlichen Lockungen für den Geruchssinn der Luft eines Kerkers oder den Ausdünstungen eines Sumpfes glich.

Die auffallende Veränderung in dem gegenwärtigen Aussehen der Bankethalle war nur ein schwaches Abbild der Verschlimmerung in dem Aeußern des Festgebers und seiner Gäste. Vetranio lag in einen Scharlachmantel gehüllt, an der Spitze der Tafel. Eine gestickte Serviette mit purpurnen Quasten und Franzen, die durch goldene Ringe mit einander verbunden waren, hing über seine Brust und seine Arme waren von silbernen und elfenbeinernen Armbändern umschlossen. Die Gewänder waren jedoch Alles, was man noch von dem früheren Menschen erblickte. Sein Kopf war wie altersschwach vorwärts gebeugt, seine abgezehrten Arme schienen kaum das Gewicht der an ihnen schimmernden Zierrathen tragen zu können. Seine Augen hatten einen wilden unstäten Ausdruck angenommen und eine Todtenblässe überzog die einst runden jovialen Wangen, welche in früheren Zeiten so viele Frauen mit eigennützigem Entzücken geküßt hatten. Sowohl dem Gesicht, wie dem Benehmen nach, war der elegante Genußmensch seit der Bekanntschaft, die wir am Hofe von Ravenna mit ihm gemacht haben, gänzlich zum Schlimmeren verändert. Von den übrigen acht Patriziern, die auf den Ruhebetten theilweise ausgelassen und leichtsinnig, theilweise düster und abgestumpft, um ihren veränderten Wirth lagen, hatten Alle ohne Ausnahme, gleich ihm, in der Prüfung der Belagerung, der Hungersnoth und Pest gelitten. Dies waren die Mitglieder der Versammlung, welche durch neun der von der Decke herabhängenden brennenden Lampen vertreten wurden. Die zehnte und letzte Lampe verkündete die Anwesenheit noch eines Gastes, der von den übrigen etwas entfernt lag.

Dieser sehnte war bucklig, sein knochiges, mageres Gesicht stand in einem abstoßenden Mißverhältnisse mit seinem winzigen Körper, der in ein weites, grellfarbiges Gewand gehüllt, doppelt verächtlich aussah. Der niedrigsten Hefe des Pöbels entsprungen, hatte er sich allmälig durch seine Geschicklichkeit in groben Possenreissereien und seine Bereitwilligkeit, den schlimmsten Lastern Aller zu fröhnen, die sich seiner zu bedienen Lust hatten, in die Gunst Höherstehender gedrängt. Da er während der Belagerung den größten Theil seiner Gönner verloren hatte, und sich von allen Seiten dem Hungertode Preis gegeben sah, war er jetzt als letztes Hilfsmittel um die Erlaubniß eingekommen, an dem Banket des Hungers Theil zu nehmen, es durch eine letzte Schaustellung seiner Lustigmacherei zu erheitern und mit seinen Herrn zu sterben, wie er mit ihnen gelebt hatte, als der Sklave der Schmarotzer und der Nachahmer ihrer niedrigsten Laster und schlimmsten Verbrechen.

Zu Anfange der Orgie hörte man außer dem Klappern der Weinbecher, dem leisen unterbrochenen Flüstern der Zecher und den von der Straße durch das Fenster heraufdringenden undeutlichen Stimmen des Volkes nur wenig. Die Gäste wurden jetzt durch das Verzweifelte ihres Bundes, da die Ausführung desselben wirklich begonnen hatte, unwillkürlich in Beklemmung versetzt. Als endlich ein Verstummen aller Töne eingetreten war —— als sich eine vorübergehende Ruhe über den äußern Lärm gebreitet hatte, —— als die Weinbecher geleert und auf einen Augenblick niedergesetzt worden waren, ehe sie wieder gefüllt wurden, —— stand Vetranio schwach auf, verkündete mit einem spöttischen Lächeln, daß er im Begriff sei, eine Leichenrede über seine Freunde und sich selbst zu halten, und deutete auf die Wand unmittelbar hinter sich, als einen zur Erweckung des Erstaunens oder der Heiterkeit seiner mürrischen Gäste geeigneten Gegenstand.

An dem obern Theile der Wand waren verschiedene kleine Statuen von Bronce und Marmor befestigt, die alle den Eigenthümer des Palastes darstellten und mit goldenen Platten behängt waren. Unter ihnen erblickte man das Verzeichniß der Einkünfte seiner Güter in verschiedenartigen Farben auf weißes Pergament geschrieben und unter diesem war in schwachen unregelmäßigen Zügen kein geringerer Gegenstand als seine eigene Grabschrift auf den Marmor eingegraben. Sie kann folgendermaßen übersetzt werden:

Steh Wanderer!
Wenn Du ehrerbietig die Freuden des Geschmack« ge-
nossen hast,
so verweile bei den Ruinen dessen was einst ein Palast
War.
Und lies mit Achtung auf diesem Steine
die Grabschrift
des Senators Vertranio.

Er war der Erste, der eine gute Nachtigallensauce erfand,
Sein kühner und schaffender Geist vervollkommnete
die Kochkunst
und würde sie noch mehr vervollkommnet haben.
Aber zum Unglück für die Interessen der Wissenschaft
lebte er in den Tagen, wo die gothischen Barbaren
die kaiserliche Hauptstadt
belagern.

Der Hunger
ließ ihm keine Stoffe mehr zu Experimenten des
Geschmackes
und die Pest beraubte ihn der Köche, die er hätte auf-
klären können.
Auf allen Seiten von der Gewalt widriger Umstände
gehemmt,
fand er sein Leben von keinem weiteren Nutzen
für
die kulinarischen Interessen Roms;

Er rief seine erwählten Freunde zum Beistande herbei,
trank gewissenhaft jeden Tropfen Wein, der noch in
seinem Keller war,
entzündete den Scheiterhaufen für sich und seine Gäste
in der Bankethalle seines eigenen Palastes
und starb, wie er gelebt hatte,
als ein patriotischer
Cato
der Gastronomie seines Vaterlandes!

»Seht« rief Vetranio, indem er triumphierend auf die Grabschrift deutete, —— »seht in jeder Zeile jener beredten Worte zugleich das Siegel meiner entschlossenen Anhänglichkeit an das uns hier vereinigende Bündniß und die Begründung meines gerechten Anspruches auf die Ehrerbietung der Nachwelt, für die nützlichste der Künste, die ich zum Wohle meines Geschlechts geübt habe! Lest, Freunde —— Brüder —— Mitmärtyrer des Ruhms -— und freut Euch, während Ihr lest, mit mir über die Stunde unsers Scheidens von dem entweihten Schauplatze, der es nicht mehr verdient, daß man auf ihm die Spiele des Lebens feiert! Hört mich jedoch, ehe das Fest seinen Fortgang nimmt, an, —— ich halte meine letzte Rede, als Richter unserer Leichenspiele, als Wirth bei dem Banket des Hungers!«

»Wer möchte gemein unter dem langsamen Drucke des Hungers erliegen, oder den Untergang von dem blitzenden Stahl des Schwertes der barbarischen Eroberer finden, wenn sich seiner Wahl ein Tod, wie der unsrige, bietet? Wenn der Wein schimmernd fließt, um das Gefühl in Vergessenheit zu begraben und ein Palast mit seinen Schätzen zugleich die Schaubühne des Gelags und den glänzenden Scheiterhaufen darbietet? Die großen Philosophen von Indien, die begeisterten Gymnosophisten —— starben, wie wir sterben werden! Calanus vor Alexander, Zamarus vor Augustus zündeten das Feuer an, welches sie verzehren sollte. Wir wollen ihr ruhmvolles Beispiel befolgen! An unsern Körpern werden keine Würmer zehren, bei unsern Begräbnissen werden keine gemietheten Klageweiber ein mißtöniges Geheul erheben, von dem ewigen Feuer gereinigt, werden wir Feinden und Freunden triumphierend entschwinden —— als Wunder für die Erde, als herrliche Vision für die Götter selbst!«

»Ist jetzt ein Lebenstag mehr oder weniger für uns von Wichtigkeit? Nein, unsere Bestrebungen können sich nur dem leichtesten und herrlichsten Tode zuwenden.«

»Unter unserer Zahl befindet sich jetzt kein Einziger, der sich noch weiter mit den Sorgen der Existenz befassen möchte! —— «

»Hier, zu meiner Rechten, liegt mein schätzbarer Genosse bei tausend früheren Festen, Furius Balburius Placidus, der, wenn wir auf dem Lucriner See fuhren, sich über unerträgliche Leiden zu beklagen pflegte, wenn sich eine Fliege anf seinen vergoldeten Sonnenschirm niederließ, der sich nach einem Lande Kimmerischer Finsterniß sehnte, wenn ein Sonnenstrahl die seidenen Schirmdächer seiner Gartenterrasse durchdrang und der sich jetzt mit dem geringsten seiner Sklaven, um einen Bissen Pferdefleisch balgt und die prächtigsten von seinen Villen für einen Korb mit erbärmlichen Broden dahingehen würde!«

»O, Furius Balburius Placidus, was kann Dir das Leben noch weiter nützen?«

»Dort, zu meiner Linken, erkenne ich das veränderte, wiewohl noch ausdrucksvolle Gesicht des entschlossenen Thascius —— desjenigen, der einen Sklaven mit hundert Peitschenhieben züchtigt, wenn ihm nicht augenblicklich, nachdem er es befohlen, sein warmes Wasser gebracht wurde, —— er, der durch seine erhabene Verachtung gegen jedes Mitglied des Menschengeschlechts, mit Ausnahme seiner selbst, einst zu den größten Philosophen gehörte —— selbst er wandert jetzt unbedient in seinem Palaste umher und fällt dem Plebejer, der ihm ein Maß erbärmlicher Kleie verkauft, schmeichelnd zu Füßen!«

»O, bewundernswürdiger Freund, o, richtig berechnender Thascius, sage, ob es in Rom noch etwas gibt, wodurch Du Deine Reise nach den elisäischen Feldern noch verschieben möchtest.«

»Weiterhin am Tische sehe ich, während meiner Rede mit heftigem Trinken beschäftigt, Deine einst volle, runde Gestalt, o, Marcus Moecius Moemmius! Du, der Du einst gewohnt warst, Dich über die Länge Deines Namens zu freuen, weil er Deine Freunde in den Stand setzte, um so mehr zu trinken, wenn sie einen Becher auf jeden Buchstaben desselben leeren wollten. Sage mir, welche Bankethalle Dir außer dieser jetzt noch offen steht? und was sollte Dich, der Du so trostlos in der Stadt Deiner Triumphe zurückgeblieben bist, abgeneigt machen unser festliches Beisammensein als Dein letztes Gelage auf Erden zu betrachten!«

»Auch Du, spaßhafter Buckliger, Fürst der Schmarotzer, unskrupulöser Reburrus, wo kann Dir Deine Lustigmacherei jetzt noch einen Trunk erquickenden Weins verschaffen, außer bei diesem Banket? Deine Herren haben Dich dem Düngerhaufen, auf dem Du geboren bist, wieder überlassen! Du wirst nicht mehr für sie schmeicheln, wenn sie borgen, oder grob sein, wenn sie bezahlen.«

»Du wirst keine Anklagen der Giftmischerei oder Zauberei mehr schmieden, um ihre lästigen Gläubiger ins Gefängniß zu bringen. O, dienstfertiger Sykophant, Deine Beschäftigung ist zu Ende.«

»Trinke, so lange Du kannst und überlaß dann Deinen Cadaver dem Kothe in welchen er gehört.«

»Und Ihr, meine fünf übrigen Freunde, die ich da es mich nicht nach weiterer Zögerung gelüstet, zusammen anreden will —— denkt an die Tage, wo der Verdacht einer ansteckenden Krankheit, bei irgend einem Eurer Gefährten hinreichend war, um Euch selbst von dem Liebsten derselben loszureißen, wo die Sklaven, die aus ihren Palasien zu Euch kamen, lange Waschungen bestehen mußten, ehe sie sich Euch nähern durften und bedenkt bei der Erinnerung daran, daß die meisten von uns, vielleicht wir Alle, die wir heute hier zusammen kommen, schon von der Pest angesteckt sind und dann sagt, welchen Vortheil es gewährt, sich nach der Verlängerung eines Lebens zu sehnen, welches Euch nicht mehr gehört?«

»Nein, meine Freunde, meine Brüder im Banket, Ihr fühlt, daß es Thorheit wäre, fortzuleben, wenn das Leben werthlos geworden ist, Ihr könnt nicht vor dem erhabenen Entschlusse. durch welchen wir mit einander verbunden sind, zurückbeben —— ich thue Euch schon durch den Zweifel Unrecht!«

»Erlaubt mir jeßt vielmehr Eure Beachtung auf einen würdigern Gegenstand zu lenken, —— auf die Nennung der festlichen Ceremonien, welche den Gang des Bankets bezeichnen werden. Sobald diese Aufgabe erfüllt ist, schließe ich mich Euch wieder zu der letzten Huldigung vor der Gottheit unseres geselligen Lebens, dem Gotte des Weines an!«

»Es ist Euch, die Ihr in den Tischgebräuchen des Alterthums gelehrt seid, nicht unbekannt, daß es bei Einigen von den Alten gewöhnlich war, daß ein Meister der Philosophie, als Lehrer, wie als Gast, bei ihren Festen den Vorsitz führte. Ich habe dafür Sorge getragen. diesen Gebrauch wieder zu beleben, und wie diese unsere Versammlung in ihrer heroischen Absicht nicht ihres Gleichen hat, so war es auch mein Bestreben zu ihr eine, sowohl als Lehrer, wie als Gast unvergleichliche Person einzuladen. Durch eine originelle Idee angefeuert, von meinen Sklaven unbemerkt, und nur von meinem Sängerknaben dem treuen Glyco, unterstützt, ist es mir gelungen, hinter jenen schwarzen Vorhang einen Genossen unseres Gelags zu bringen, wie Ihr noch keinen gehabt habt —— dessen Erscheinen im rechten Augenblicke Euch unwiderstehliches Erstaunen einflößen muß, und dessen Reden —— nicht bloß menschlicher Weisheit —— von den mitternächtlichen Geheimnissen der Gruft eingegeben sein werden. Neben mir auf diesem Pergamente liegt das Formular der Fragen, welche Reburrus, sobald der Vorhang zurückgezogen sein und, an das Orakel der Mysterien anderer Sphären richten soll!«

»Vor Euch seht Ihr in diesen Gefäßen Alles, was noch von dem Inhalte meiner einst wohlversehenen Keller enthalten ist und was ich dem Gaumen meiner Gäste bieten kann! Wir sitzen bei dem Banket des Hungers und an der bachanalischen Tafel findet kein gröberer Genuß, als der des begeisternden Weines Zulaß. Sollte aber Einer von uns in seinen letzten Augenblicken schwach genug sein, seine Lippen mit Nahrung zu beflecken, wie sie nur des Gewürmes der Erde würdig ist, so möge er den erbärmlichen kleinen Tisch, das Sinnbild der erbärmlichen kargen Speise, welche ihn bedeckt, dort in der Dunkelheit hinter mir aufsuchen. Dort wird er —— im Ganzen kaum für das ärmlichste Mahl eines Menschen hinreichend —— die letzten Bissen der erbärmlichsten Nahrung finden, wie sie noch im Palaste vorhanden sind. Was mich betrifft, so steht mein Entschluß fest, —— nur der köstliche Weinbecher soll sich meinen Lippen nähern! Ueber mir sind die zehn Lampen, die der Anzahl meiner hier versammelten Freunde entsprechen. Eines nach dem andern, wie uns der Wein überwältigt, werden diese brennenden Bilder des Lebens von den Gästen verlöscht werden, welche der Flüssigkeit noch nicht erlegen sind und der Letzte von ihnen wird seine Fackel an der letzten Lampe anzünden und das Banket zu Ende bringen und seinen glänzenden Schluß feiern, indem er den Scheiterhaufen meiner Schätze, welcher dort an meinen Palastmauern aufgehäuft ist, in Brand steckt.«

»Wenn mich meine —— Kräfte eher verlassen sollten, als Euch die Eueren, so schwört —— mir, daß derjenige, welcher von Euch noch im Stande sein wird, den Becher an seine Lippen zu erheben, nachdem er den Händen der Uebrigen entfallen ist, den Scheiterhaufen anzünden will! Schwört es bei Eueren verlorenen Geliebten, Eltern verlorenen Freunden, Eueren verlorenen Schätzen und bei Eueren eigenen, den Freuden des Weines und der Reinigung des Feuers geweihten Leben.«

Als Vetranio mit blitzenden Augen und geröthetem Gesicht auf sein Lager zurücksank, erhoben sich seine Genossen, von dem bereits getrunkenem Weine angefeuert den Becher in der Hand und wendeten sich ihm zu. Ihre mißtönig gemischten Stimmen sprachen zusammen den Eid aus und dann wendeten sich, als sie ihre früheren Lagen wieder annahmen, ihre Augen in glühender Erwartung dem schwarzen Vorhange zu.

Sie hatten den düsteren sarkastischen Ausdruck im Auge Vetranio’s, als derselbe von seinem versteckten Gaste sprach, bemerkt, sie wußten, daß der Bucklige Reburrus unter seinen übrigen belustigenden Fähigkeiten noch die Bauchrednerei verstand, und sie vermutheten die Gegenwart der häßlichen und grotesken Bildsäule eines heidnischen Gottes oder Dämons in der verborgenen Nische, welchen die Gauckelei des Parasiten mit der Kraft der Rede begaben sollte. Sie erwarteten gotteslästerliche Kommentare über Leben, Tod und Unsterblichkeit. Vetranio bemerkte das allgemeine Verlangen nach dem Zurückziehen des Vorhanges, er winkte den Gästen mit der Hand Schweigen zu und rief gebieterisch:

»Die Stunde ist noch nicht gekommen, es muß mehr getrunken werden, es müssen mehr Libationen verschüttet worden sein, ehe das Geheimniß des Vorhangs offenbart wird.«

»He, Glyco,« fuhr er zu dem Sängerknaben gewendet, der schweigend in das Zimmer getreten« war, fort; »jetzt ist der Augenblick gekommen. Stimme Deine Leier und singe meine letzte Ode, die ich an Dich gerichtet habe. Die Reize der Dichtkunst mögen den Vorsitz über das Fest des Todes führen.«

Der Knabe trat zitternd vor. Sein einst von der Röthe der Gesundheit strahlendes Gesicht war farbloß und eingefallen, seine Augen hefteten sich mit einem Blicke starren Entsetzens auf den starren Vorhang, seine Züge zeigten deutlich die Gegenwart einer geheimen furchtbaren Erinnerung an, die alle seine übrigen Fähigkeiten und Wahrnehmungskräfte erstickt hatte. Er wendete fortwährend und fast wie schuldbewußt sein Gesicht von dem seines Herrn ab und stand —— ein schwaches gefallenes Wesen, ein trauriges Schauspiel schlecht an gewandter Gelehrigkeit und entwürdigter Jugend, —— an Vetranio’s Lager.

Den Pflichten seines Berufes getreu, ließ er jedoch seine magern zitternden Finger über die Leier streifen und spielte mechanisch die Einleitung der Ode. Während der aufmerksamen Stille, die jetzt eingetreten war, drang jedoch das wirre Geräusch von dem Volke auf der Straße deutlicher in den Banketsaal und in diesem Augenblicke erhob sich über Alle —— rauh, rasend, entsetzlich —— die Stimme eines Mannes.

»Sprecht mir nicht von aus dem Palaste kommenden Wohlgerüchen!« schrie sie —— »faule Dünste strömen daraus herab! —— Seht, sie senken sich erstickend über mich. Sie baden Himmel und Erde und die Menschen, die sich um uns bewegen, in grausigem, grünen Lichte!«

Hierauf unterbrachen ihn andere schrille, wilde Männer- und Weiberstimmen: ——

»Ruhe, Darus, Du erweckst die Todten um Dich her! verbirg Dich in der Finsterniß, Du bist von der Pest getroffen, Deine Haut ist verschrumpft, Dein Zahnfleisch ist zahnlos. Wenn der Palast angezündet wird, so sollst Du in die Flammen geworfen werden. Damit Dein verfaulter Leichnam gereinigt wird.«

»Singe!« rief Vetranio wüthend, als er den Schauder bemerkte, welcher den Körper des Knaben durchlief und ihn sprachlos erhielt —— »schlage die Leier an, wie Timotheus vor Alexander! ersticke das Bellen der Köter, die auf der Straße auf unsern Abfall warten, durch wohlklingende Töne!«

Der entsetzte Knabe begann schwach und mit häufigen Unterbrechungen sein Lied, zu dessen heidnischer Philosophie das wilde anhaltende Gelärme der stöhnenden Stimmen vor dem Hause eine schaurige Begleitung lieferte. Er lautete ungefähr so:

An Glyco.

Was, Glyco, soll Dein Blumenkranz
Wie bald verbleicht sein bunter Glanz
Zu Staub und todtem Wust.
Doch schneller noch verweht im Wind
Das erdgebor’ne Himmelskind,
Die Freud’ in unsrer Brust!

Die Wolke, die am Himmel zieht,
Die warm im Sonnenschein erglüht,
Und plötzlich dann vergeht;
Sie ist des Menschenlebens Bild,
Das heut das Wohlsein fröhlich schwillt
Und morgen schon verweht!

Wie Blinde tappen wir umher,
Beherrscht vom blinden ungefähr,
Das spöttisch uns verlacht.
Doch zu verlassen diese Welt,
Wenn sie uns einst nicht mehr gefällt,
Das steht in unsrer Macht!

Ist der wohl klug, der träge sinnt
Bis seines Lebens Sand verrinnt,
Wenn’s seine Lust verliert?
Nein, wenn der äußre Glanz verschwand,
So werft das Spielzeug aus der Hand,
So leicht wie Ihr’s geführt!

»Auf Glycos Gesundheit! einen vollen Becher auf den Sänger, der vom Himmel auf die Erde herabgekommen ist!« riefen die Gäste, sobald die Ode zu Ende war, indem sie ihre Weinbecher ergriffen und dieselben bis auf den letzten Tropfen leerten.

Ihr trunkener Beifallsruf drang jedoch nicht bis in das Ohr, für welches derselbe bestimmt war. Die Stimme des Knaben hatte beim Singen des letzten Verses der Qde plötzlich einen schrillen, fast schaurigen Ton angenommen, war dann plötzlich wieder bei den letzten wenigen Roten fast unhörbar geworden und jetzt, als die Zuhörer sich ihm mit beifälligen Blicken zuwendeten, sahen sie ihn kalt, starr und tonlos vor sich stehen. Im nächsten Augenblicke verzerrten sich seine Züge, sein ganzer Körper sank, wie von einem inneren Krampf zerrissen, zusammen —— er fiel schwer auf den Boden nieder. Die Gäste näherten sich ihm mit schwankendem Gange und hoben ihn in ihren Armen auf. Seine Seele hatte die Fesseln des Lasters zersprengt, in welche sie von andern geschlagen worden war, die Stimme des Todes hatte dem Sklaven der großen Despotin, Sünde, zugeflüstert: »sei frei!«

»Wir haben den Schwan seine eigne Leichenhymne singen hören,« sagte der Patrizier Placidus, indem er mit trunkenem Mitleid von der Leiche des Knaben zu dem Gesichte Vetranio’s aufblickte, welches jetzt einen unwillkürlichen Ausdruck von Schmerz und Reue wahrnehmen ließ.

»Unser Wunder der Schönheit und Götterknabe der Melodie ist vor uns nach den elisäischen Feldern gegangen!« murmelte der bucklige Reburrus in rauhen sarkastischen Tönen.

Während der kurzen Stille, die jetzt eintrat, wurden die Stimmen von der Straße, an welche sich nun das Geräusch nahender Schritte auf dem Pflaster schloß, wieder deutlich hörbar.

»Etwas Neues! etwas Neues!« riefen die frischen Hilfstruppen, der schon vor dem Palaste versammelten Schaar. »Haltet Euch zusammen, wenn Ihr auf Euer Leben noch Werth legt! Es sind einzelne Bürger von fremden Männern in einsame Straßen gelockt worden und nie wieder zum Vorschein gekommen. In einem Fleischerladen hat man Krüge von frischgesalzenem Fleisch gefunden, die von keinem Thiere in der Stadt kommen konnten, da keines mehr lebt. Bleibt bei einander! bleibt bei einander!«

»Die Leiche meines armen Knaben soll von keinem Kannibalen unter dem Pöbel entweiht werden»rief Vetranio, der sich jetzt aus seiner kurzen Lethargie des Schmerzes aufraffte. »Komm, Thascius! Marcus! die Ihr noch stehen könnt, wir wollen ihn auf den Scheiterhaufen tragen. Er ist zuerst gestorben, seine Gebeine sollen zuerst zu Asche werden!«

Der Körper wurde nach dem unteren Ende des Zimmers getragen und quer über den Tisch, an den schwarzen Vorhang und zwischen die Haufen von gewebten Stoffen und Hausrath gelegt, die dort an den Wänden aufgethürmt waren. Als die Gäste wieder aus ihre Plätze zurück schwankten, rief Vetranio, der an der Seite des Leichnams zurückgeblieben war, indem er ein kleines Weingefäß in seine zitternden Hände nahm, in Tönen wilden Triumphes:

»Die Stunde ist gekommen, das Banket des Hungers ist zu Ende, das Banket des Todes hat begonnen! Aus die Gesundheit des Gastes hinter dem Vorhange! Schenkt ein! Trinkt! seht!«

Er that einen tiefen Zug aus der Vase und zog die schwarze Draperie über sich bei Seite. Den berauschten Gästen entfloh ein Schrei des Schreckens und Erstaunens, als sie, in dem jetzt vor ihre Augen tretenden Raume, die weißgekleidete Leiche eines alten Weibes auf einem hohen schwarzen Throne, mit ihnen zugekehrtem Gesicht und künstlich unterstützten, wie strafend über den Bankettisch ausgestreckten Armen, erblickten.

Die gelbe Glaslampe, welche hoch über dem Körper brannte, warf ein grelles flackerndes Licht auf denselben. Die Augen standen! offen, die Kinnlade war herabgefallen das lange graue Haar hing schwer zu beiden Seiten der weißen hohlen Wangen herunter.

»Seht!« rief Vetranio auf die Leiche deutend, »seht meinen geheimen Gast! Wer eignet sich besser zum Vorsitze beim Banket des Todes, als die Todten? Ich habe Glyeo zur Hilfe gezwungen, von der freundlichen Nacht umhüllt, mich der ersten Leiche bemächtigt, die auf der Straße vor mir lag, und dort, von Allen ungeahnt, das passend sie Idol unserer Verehrung und den Philosophen bei unserm Feste hingesetzt! —— Noch eine Gesundheit auf die Königin des Todesgelages, auf die Lehrerin der Geheimnisse unsichtbarer Welten, die davon erlöst, unbegraben zu verwesen, mit den Senatoren von Rom in den geweihten Flammen untergehen wird! Auf die Gesundheit der Todten ehe sie die mystischen Enthüllungen beginnt! Schenkt ein —— trinkt!«

Durch das Beispiel ihres Wirthes angefeuert, von ihrem vorübergehenden Grausen zurückgekommen und durch die tolle Lustigkeit des Gelages bereits entflammt, sprangen die Gäste von ihren Ruhebetten auf und entsprachen Vetranio’s Aufforderung mit bachantischem Geschrei.

Die Seene näherte sich in diesem Augenblicke dem Uebernatürlichen. Die wilde Unordnung der schätzebeladenen Tische, der aus umgestürzten Gefäßen auf den Boden strömende Wein, die hell und ruhig die Verwirrung unter ihnen beleuchtenden Lampen, die feurigen Gebärden, die erhitzten Gesichter der Zechen wie dieselben in rasendem Triumphe die juwelenbesetzten Pokale über ihren Köpfen schwangen und dabei der entsetzliche grausige Anblick am unteren Ende des Saales, —— der schwarze Vorhang, das einsam auf seiner hohen Stange brennende Licht, die auf dem festlichen Tische liegende Knabenleiche, neben der der Herr des Hauses stand und gleich einem bösen Geiste spöttisch aufwärts nach dem weißgekleideten Körper des Weibes deutete, der sich in seiner Unnatürlichen Lage über Alle erhob, mit seinen ausgestreckten dürren Armen, mit seinen sich zu bewegen scheinenden Zügen, über die das schwache flackernde Licht der Lampe spielte —— Alles dies zusammen-genommen, bildete eine Combination von Gegenständen, welche aussahen, als ob sie kaum der Erde angehörten und deren Wirkung man eher malen, als beschreiben kann. Es war die Verkörperung der Vision eines Zauberers, —— eine Apokalypse der über die letzten Ueberreste der Sterblichkeit in den Hallen des Todes triumphierenden Sünde.

»An Deine Aufgabe, Reburrus!« rief Vetranio, als der Lärm sich gelegt hatte; »gehe unverzüglich an Deine Fragen! sieh den Lehrer, mit dem Du zu sprechen hast! lies das Pergament in Deiner Hand sorgfältig durch —— frage! frage laut —— Du sprichst zu einer apathischen Leiche.«

Der Buckelige hatte schon vor dem Sichtbarwerden des Leichnams eine Zeitlang an dem einen Ende des Banketsaales, dem schwarz verhangenen Raume gegenüber, gesessen und die Liste von Fragen und Antworten durchgesehen, die den Dialog bildeten, welchen er mit Hilfe seiner Bauchrednerkunst, mit der geschändeten Todten halten sollte. Als der Vorhang zurückgezogen wurde, hatte er aufgeblickt und das Schauspiel, welches sich hinter demselben aufthat, mit einem Lachen brutalen Spottes begrüßt, worauf er sofort zu der Durchsicht des ihm anvertrauten blasphemistischen Formulars zurückgekehrt war. In dem Augenblicke, wo Vetranio seinen Befehl an ihn richtete, stand er auf, schwankte der Leiche zu, eröffnete, als er in ihre Nähe gekommen war, das Gespräch und begann in lauten höhnischen Tönen:

»Sprich, erbärmliches Ueberbleibsel gebrechlicher Sterblichkeit.«

Er hielt, nachdem er das letzte dieser Worte gesprochen, inne, und blickte, da er eine Stellung eingenommen, von wo das Licht der Lampe die steinernen Züge des Leichnams deutlich erkennen ließ, trotzig zu demselben auf. Plötzlich aber kam eine furchtbare Veränderung über ihn, das Manuscript entsank seiner Hand, sein mißgestalteter Körper zitterte und schwankte und ein kreischender Schrei des Wiedererkennens, der eher dem Heulen eines wilden Thieres, als einer Menschenstimme glich, entfloh seinen Lippen.

Im nächsten Augenblicke, als die Gaste aufsprangen, um ihn zu befragen oder zu verspotten, wendete er sich ihnen langsam entgegen.«So verzweifelt und berauscht sie auch waren, schreckte sie doch sein Blick in das tiefste Schweigen. Sein Gesicht war eben so bleich, wie das der Leiche über ihm —— große Schweißtropfen rannen auf demselben herab, wie Regen —— seine trockenen, glühenden Augen schweiften wild über die entsetzten Gesichter vor ihm, er streckte seine geballten Fäuste gegen sie aus und murmelte mit einem tiefen, stöhnenden Flüstern:

»Wer hat das gethan? —— meine Mutter! meine Mutter!«

Als diese wenigen Worte, von furchtbarer Bedeutung, wenn auch einfacher Form, in die Ohren derjenigen, welche er anredete, fielen, blickten die noch nicht ganz in Gefühllosigkeit Versunkenen einander für den Augenblick fast ernüchtert und sprachlos an. Jetzt hörte man nicht einmal mehr das Klappern der Weinbecher auf dem Bankettische, —— man vernahm nichts, als die noch immer bald anschwellenden, bald leiser werdenden Töne der Stimmen des Schreckens, des Spottes und der Pein von der Straße her und die heiseren convulsivischen Laute des Buckeligen, der noch von Zeit zu Zeit ausrief: »Meine Mutter! meine Mutter!«

Endlich redete Vetranio, der sich zuerst wieder erholte, den entsetzten und entarteten Elenden vor sich in Tönen an, die unwillkürlich bebten und gezwungen herauskamen:

»Wie, Reburrus!« rief er, »bist Du schon bis zum Wahnsinn betrunken, daß Du die erste Leiche, die ich zufällig auf der Straße gefunden und hierher gebracht habe, Deine Mutter nennst? War es, um von Deiner Mutter zusprechen, die wir, mag sie nun todt oder lebend sein, weder kennen, noch um die wir uns kümmern, daß Du hier zugelassen bist? Sohn der Dunkelheit und Erbe der Lumpen, was gehen uns Deine plebejischen Eltern an?« fuhr er fort, indem er seinen Becher wieder füllte und sich zu erheucheltem Zorn aufreizte. »Geh ohne Säumen an Dein Gespräch, wenn Du nicht aus dem Fenster geworfen werden willst, damit Du Dich unter den Pöbel, zu dem Du gehörst, mischen kannst.«

Der Buckelige beantwortete die Drohungen des Senators weder mit einem Worte, noch mit einem Blicke. Für ihn war die Stimme der Lebenden durch die Gegenwart der Todten erstickt. Die Vergeltung, welche ihm zu Theil geworden war, hatte sein moralisches Leben getroffen, wie ein Blitz sein physisches niedergeschmettert haben würde. Seine Seele rang in Folterqualen, als er an das furchtbare Schicksal dachte, welches die todte Mutter zum Gerichte über den entarteten Sohn herbeigeführt —— welches die Hand des Senators gelenkt hatte, ahnungslos die Leiche der mißhandelten Mutter zum Gegenstande der verbrecherischen Lustigmacherei des ruchlosen Sohnes gerade am Ende seiner sündigen Laufbahn zu machen. Sein früheres Leben stieg vor ihm zum ersten Male, wie ein häßliches Gespenst, wie ein Alp des Schreckens, der Schmach und des Verbrechens vor ihm auf. Er schwankte, sich an der Wand hintastend, als ob mitternächtliche Finsterniß seine Augen geschlagen hatte, das Zimmer entlang und kauerte an dem offenen Fenster nieder. Unter ihm erhoben sich die Unheil verkündenden Stimmen von der Straße, um ihn breitete sich der dem Verderben geweihte Prunk seiner Herren aus. Vor ihm stand die strafende Erscheinung der Leiche.«

Er würde nur kurze Zeit an seinem Zufluchtsorte unbelästigt geblieben sein, wenn die Aufmerksamkeit Vetranio’s und seiner Gäste nicht durch ein neues Ereigniß von ihm abgelenkt worden wäre. Sie hatten heftig getrunken, um jede Erinnerung an die so eben gesehene Katastrophe zu ertränken, und drei von den Zechern waren bereits den schlimmsten Folgen eines Excesses, welchen ihre geschwächten Körper nicht mehr ertragen konnten, erlegen. Einer nach dem Andern fiel in kurzen Zwischenräumen bewußtlos auf sein Ruhebett zurück und in dem Maße, wie sie kampfuntüchtig wurden, verlöschte man die drei ihnen zunächst brennenden Lampen. Für ihre übrigen Gefährten, mit Ausnahme Vetranio’s und der beiden zu seiner Rechten und Linken lehnenden Patrizier schien die gleiche, schnelle Beendung der Orgie in Aussicht zu stehen. Jene drei bewahrten noch den Schein der Fassung, auf ihren Gesichtern war jedoch bereits eine ominöse Verwandlung eingetreten. Der Ausdruck wilder Lustigkeit und Leichtsinnigkeit war von ihren Zügen verschwunden —— sie beobachteten einander schweigend mit wachsamen argwöhnischen Augen und Jeder berührte, wenn er seinen Weinpokal füllte, bedeutsam die Fackel, mit welcher der letzte Trinker den Scheiterhaufen anzünden sollte. Mit dem Abnehmen der Zahl ihrer Rivalen und dem Verlöschen einer Lampe nach der andern, erlangte auch der Wettstreit um die höchste selbstmörderische Würde ein mächtiges Interesse, über welchem alle übrigen Zwecke und Absichten in Vergessenheit geriethen. Die Leiche am Fußende des Bankettisches und der in seiner Verzweiflung am Fenster kauernde Elende blieben jetzt gleich unbeachtet. In dem verwirrten und verthierten Geiste der Gäste herrschte nur noch ein Gefühl, —— die bange Erwartung, welche dem Ausgange eines tödtlichen Kampfes vorangeht.«

Bald aber wurde von dem Buckeligen die Aufmerksamkeit erweckt, welche ihm sonst vielleicht nie wieder zu Theil geworden sein würde, als er, von dem Geiste der Reue in seinem Innern bewegt, mit stöhnender Stimme eine seltsame Beichte der Entartung und Sünde ablegte, die an Keinen gerichtet, von seinem Bewußtsein oder Willen unabhängig, aus den Tiefen seiner zu Boden gedrückten Seele hervordrang. Er richtete sich halb auf und heftete seine eingesunkenen Augen auf die Leiche, während von seinen Lippen die Worte fielen:

»Es war das letzte Mal, daß ich sie lebend erblickte, als sie sich mir einsam und schwach und arm auf der Straße näherte und mich anflehte, in den Tagen ihres Greisenalters und ihrer Einsamkeit zu ihr zurückzukehren und mich zu erinnern, wie sie mich in meiner Kindheit gerade meiner Mißgestalt wegen geliebt, wie sie mich auf den Straßen von Rom bewacht hatte, damit mich Keiner unterdrücken oder verspotten möge! Die Thränen liefen über ihre Wangen herab, sie kniete auf dem harten Pflaster vor mir nieder und ich, der ich sie wegen ihrer Armuth verlassen hatte, um mich in Palästen zum Sklaven der verfluchten Reichen zu machen, warf ihr Geld zu, wie einer Bettlerin, die mich langweilte, und ging weiter! Sie starb trostlos —— ihr Körper lag unbegraben da, und ich wußte es nicht! Der Sohn, der die Mutter verlassen hatte, sah sie nicht eher wieder, als bis sie sich dort vor ihm erhob —— rächend, entsetzlich, leblos! ein Anblick des Todes, welcher ihn nie wieder verlassen wird! Wehe, wehe dem in seiner Mißgestalt Verfluchten, dem durch die Leiche seiner Mutter Verfluchten!«

Er schwieg und fiel sprachlos wieder zu Boden. Der tyrannische Thascius betrachtete ihn mit von trunkenem Zorne verfinstertem Gesicht, ergriff eine leere Vase, und schwang sie in seiner geschwächten Hand, um sie auf die am Boden liegende Gestalt des Buckeligen zu schleudern, als sich wieder ein einzelner Schrei —— der eines Weibes, über den zunehmenden Stimmenaufruhr auf der Straße erhob und kreischend und durchdringend den Banketsaal durchschallte. Der Patrizier verschob, als er hinhörte, die Ausführung seiner Absicht und lauschte mechanisch mit der halb verdummten, halb schlauen Aufmerksamkeit des Rausches.

»Hilfe! Hilfe!« kreischte die Stimme unter den Palastfenstern. »Er folgt mir immer noch, er hat mein todtes Kind in meinen Armen angefallen! Als ich mich auf den Boden darüber warf, sah ich ihn die Gelegenheit abwarten, um es bei den Gliedern unter mir vorzuziehen! —— Hunger und Wahnsinn waren in seinen Augen —— ich trieb ihn zurück —— ich floh —— er folgt mir immer noch! —— rettet uns! rettet uns!«

In diesem Augenblicke wurde ihre Stimme plötzlich durch wildes Geschrei und heranstürmende Schritte erstickt, woraus ein furchtbarer Lärm von schweren Schlägen folgte, die an mehreren Punkten gegen die Stahlgitter vor dem Palastthoren gerichtet waren. Zwischen den Schlägen, die in regelmäßigen Zwischenräumen langsam und gleichzeitig geführt wurden, konnte man die wüthenden Bösewichter, die ihre letzten Kräfte dazu aufs Aeußerste anstrengten, einander athemlos zuschreien hören: —— »Schlagt stärker! schlagt länger! die Hinterthore werden vor uns von unseren Kameraden bewacht, die an unserer Stelle zur Plünderung des Palastes eingelassen worden sind. Wer an der Beute Theil haben will, möge kräftig zuschlagen! Die Steine sind zu Euern Füßen, die Eingangsthüren geben nach.«

Mittlerweile wurde ein wirrer Lärm von schwer auffallenden Füßen und streitenden Stimmen aus den unteren Gemächern des Palastes vernehmlich. Thüren wurden mit Heftigkeit geschlossen und geöffnet —— Geschrei und Verwünschungen hallten in den hohen steinernen Gängen wieder, die von den Sklavengemächern nach der Haupttreppe führten; der Verrath zeigte sich in dem Gebäude eben so offen, wie sich von Außen in dem Sturme auf die Thore noch die Gewaltthätigkeit wahrnehmen ließ. Die ersten Sklaven waren nicht ohne Grund von ihren Genossen beargwöhnt worden, die Banden der Plünderung und des Mordes hatten sich in dem Hause der Ausschweifung und des Todes organisiert, ihre auserwählten Anhänger von der Straße waren insgeheim durch die Gartenthüren eingelassen worden und hatte sie zum Schutz vor dem Eindringen Anderer verbarrikadiert und Wachen daran gestellt —— den dem Tode geweihten Senatoren nahte ein anderes Ende, als das, welches sie sündiger Weise für sich selbst bereitet, von den Sklaven, die sie bedrückt und den Plebejern, die sie verachtet hatten.

Beim ersten Lärme des Sturmes von Außen und der ersten Wahrnehmung der Verrätherei im Innern sprangen Vetranio, Thascius und Marcus von ihren Ruhebetten auf, während die übrigen Gäste, zum Denken, wie zum Handeln gleich unfähig, in stumpfer Bewußtlosigkeit daliegend, ihr Schicksal erwarteten. Diese drei waren die Einzigen, welche die sie bedrohende Gefahr begriffen und forderten, vom Weine zum Wahnsinn getrieben, in ihrer rasenden Verzweiflung, den ihnen drohenden Tod heraus.

»Horcht, er kommt! der Pöbel, der sich gegen unsere Herrschaft aufgelehnt hat!« rief Vetranio verächtlich. »Er will das Leben nehmen, welches wir verschmähen, und die Schätze, die wir aufgegeben haben. Die Stunde ist gekommen! ich werde hingehen und den Scheiterhaufen anzünden, der unsere Mörder der gemeinschaftlichen Vernichtung mit uns weiht!«

»Halt!« rief Thascius, indem er ihm die Fackel aus der Hand riß; »zuerst muß der Eingang geschützt werden, wenn nicht die Sklaven hier sein sollen, ehe die Flammen entzündet sind! Laßt uns alles Bewegliche, Ruhebetten, Tische, Leichen vor die Thür werfen!«

Mit diesen Worten stürzte er auf die schwarz verhangene Nische zu, um durch das Ergreifen der Weiberleiche seinen Genossen das Beispiel zu geben, er hatte jedoch kaum die Hälfte des Zimmers durchmessen, als der Buckelige, der ihm unbemerkt gefolgt war, von hinten auf ihn einsprang, mit einem kreischenden Schrei seine Finger in die Kehle des Patriziers schlug und ihn zerfleischt und besinnungslos auf den Boden schleuderte.

»Wer wagt es den Körper, der mein ist, anzurühren!« kreischte der mißgestaltete Elende, indem er sich von seinem Opfer erhob und mit seinen blutbefleckten Händen Vetranio und Marcus bedrohte, die verblüfft und für den Augenblick unschlüssig, ob sie zuerst ihren Kameraden rächen oder die Thür verbarrikadieren sollten. »Der Sohn wird die Mutter retten! Ich gehe um sie zu begraben! Buße! Buße!«

Er sprang bei diesen Worten auf den Tisch, zerriß mit unwiderstehlicher Kraft die Stricke, womit die Leiche an den Tisch befestigt war, nahm sie in seine Arme und befand sich im folgenden Augenblicke an der Thür. Mit wildem, unartikulirtem Geschrei, halb der Pein und halb des Trotzes riß er sie auf und wollte eben hinabsteigen, als ihm am oberen Ende der Treppe die Mörderbande begegnete, welche mit blanken Schwertern und lodernden Fackeln zu ihrem Raub und Mordwerke heraneilte. Er stand vor ihnen —— seine verzerrten Glieder waren so fest gegen den Boden gestemmt, als rüste er sich mit einem Satze bis an den Fuß der Treppe hinabzuspringen —— die Leiche war hoch erhoben, ihre gespenstischen Züge waren ihnen zugewendet und ihre nackten Arme noch ausgestreckt, wie sie es über den Bankettisch gewesen waren, ihr graues Haar flatterte rückwärts und vermischte sich mit dem seinen —— in dem ungewissen Licht der Fackeln, welches roth und flackernd auf ihm und seiner furchtbaren Last spielte, sah es aus, als ob die Todte und der Lebende in eine monströse Gestalt zusammengefügt wären.

Die Mörder standen einen Augenblick zusammengedrängt bewegungslos auf der Treppe; das Rache- und Wuthgeschrei erstarb auf ihren Lippen und sie starrten mechanisch mit stieren Blicken auf das grausige Bollwerk, welches sich ihrem Eindringen auf die Opfer, die sie so leicht überraschen zu können, erwartet hatten, entgegenstellte —— im nächsten Augenblick bemächtigte sich ihrer ein abergläubischer Schrecken, als der Buckelige sich plötzlich auf sie zu bewegte, um hinabzusteigen, schien die Leiche, wie es ihren von Entsetzen geblendeten Augen vorkam, auf dem Punkte zu stehen, sich einen Weg Durch ihre Reihen zu brechen. Mit ihrem Eindringen in den Palast unbekannt, und mit neubelebter, sklavischer Furcht glaubend, daß sie das gespenstische Erzeugniß der magischen Beschwörungen der Senatoren über ihnen sei, wendeten sie sieh wie von einem Entschlusse getrieben und flohen die Treppe hinab. Der Lärm ihrer Schreie wurde schwächer und schwächer, als sie durch die geheimen Pforten auf der Rückseite des Gebäudes dem Garten zueilten dann wurde das schwere regelmäßige Auftreten des Buckeligen, als er ihnen durch die einsamen Gänge mit seiner Todeslast nachschritt, in entsetzlicher Deutlichkeit hörbar, dann verklang und erstarb auch dieser Ton und man hörte in dem Banketsaale nur noch das scharfe Klirren der immer noch von der Straße aus gegen die Stahlgitter geführten Streiche.

Jetzt wiederholten sich aber auch diese immer seltener, das feste Metall widerstand siegreich den äußersten Anstrengungen des erschöpften Pöbels, welcher es bestürmte, die Streiche wurden schnell schwächer und die Zahl derjenigen, welche sie führten, geringer; bald verminderten sie sich bis auf drei einander nach langen Pausen folgende, bald auf einen von tiefen verzweifelten Verwünschungen begleiteten und dann senkte sich eine Grabesstille auf den Palast und die Straße, wo vor wenigen Augenblicke noch solcher Lärm und Verwirrung das nächtliche Echo aufgeschreckt hatte.

Im Banketsaale ging diese schnelle Reihenfolge von Ereignissen, —— die auf einige Minuten zusammengedrängten Wunder —— an Vetranio und Marcus vorüber, wie Visionen, welche ihre Augen erblickten, die aber von ihrem Geiste weder aufgenommen noch begriffen wurden. Starr in ihrer hartnäckigen Gleichgültigkeit verharrend, von dem Schauspiele der ihnen drohenden, aber unschädlichen, entsetzlichen aber schnell vorübergehenden Gefahren, die sie umgaben, betäubt, bewegte von den Senatoren keiner eine Muskel, sprach Keiner ein Wort und diese Stille dauerte von der Periode an, wo Thascius dem Angriffe des Buckeligen unterlegen war, bis zu dem, wo der letzte Streich gegen die Palastgitter und die letzte Stimme aus der Straße verstummt waren. Dann lenkte sich der wilde Strom trunkenen Jubels, welcher während dieses kurzen Zwischenraumes unterbrochen gewesen war, wieder doppelt heftig in sein altes Bett. Sobald die warnenden, entsetzlichen Scenen, die sie erblickt hatten, vorüber waren, für dieselben bewußtlos, wendete sich Einer dem Andern mit einem Blicke triumphierender Leichtfertigkeit zu:

»Horcht!« rief Vetranio, »der Pöbel draußen ist bis zum letzten Augenblicke schwach und feig und gibt seine erbärmlichen Anstrengungen, meine Palastthore zu erbrechen, auf. Seht, unser Bankettisch ist immer noch vor dem Eindringen der empörten Sklaven geheiligt und mein Gast von den Todten hat sie vor sich hingetrieben, wie ein Hund die Heerde Schafe! Sprich Marcus, habe ich nicht wohl daran gethan, die Leiche an den Fuß unseres Bankettisches zu bringen? Welche Wunder hat sie nicht gethan, als sie der rasende Reburrus wie ein Panier der Heerschaaren des Todes vor uns her gegen die feigen Sklaven trug, deren passendstes Erbtheil die Unterdrückung und deren einziges Gefühl die Furcht ist! Seht, es steht uns frei das Banket, wie wir es beabsichtigt hatten, fortzusetzen und zu beenden! Die Götter selbst sind eingeschritten, um uns in Sicherheit über die übrigen Sterblichen, die wir verachten, zu erheben! Noch eine Gesundheit auf unsern geschiedenen Gast, der unter den Auspicien des allmächtigen Zeus das Werkzeug unserer Erlösung war.«

Von allen Zechern entsprach Marcus allein Vetranio’s Aufforderung. Diese beiden, —— die letzten noch kampffähigen Streiter des Gelages, gingen, nachdem sie ihre Pokale auf die vorgeschlagene Gesundheit geleert hatten, langsam zu beiden Seiten des Zimmers hinab, blickten verächtlich auf ihre bewußtlosen Genossen nieder und verlöschten alle Lampen, bis auf die beiden über ihren Ruhebetten brennenden. Hierauf kehrten sie wieder nach dem oberen Ende des Tisches zurück und nahmen ihre Plätze wieder ein, um sie nicht eher zu verlassen, als bis der Todeskampf entschieden und der Augenblick zum Anzünden des Scheiterhaufens gekommen sein würde.

Die Fackel lag zwischen ihnen, und neben ihnen standen die letzten Gefäße mit Wein. Die tiefe wieder im Palast herrschende Stille wurde durch kein Wort von ihren Lippen unterbrochen. Mit düster forschend auf einander gehefteten Augen leerten sie langsam und regelmäßig ihre Becher. Die Orgie, welche bisher ein Schauspiel brutaler Entartung und wilder Lust geboten hatte, nahm jetzt, wo sie sich bloß auf zwei Männer beschränkte, an denen die eben erlebten Schreckensscenen gleich eindruckslos vorübergegangen waren und die mit einander wetteiferten, wem der höchste Grad der Entartung zu Theil werden sollte, —— ein Aussehen kaum menschlichen Frevels an, sie wurde zu einem Kampfe um eine satanische Ueberlegenheit in der Sünde.

Eine Zeitlang war auf den Gesichtern der Nebenbuhler um den Selbstmord nur geringe Veränderung zu erblicken. Sie waren aber jetzt bis zu dem äußersten Punkte des Excesses gelangt, wo der Wein entweder als sein eigenes Gegengift wirkt, oder die Pulse des Lebens todtähnlich erstickt. Für beide nahte die Krisis des Kampfes und der Erste, über welchen sie hereinbrach, war Marcus. Vetranio bemerkte wie eine dunkle purpurne Röthe sein bisher blasses, fast farbloses Gesicht überzog. Seine Augen dehnten sich plötzlich weit auf, er rang nach Athem. Die Weinvase, aus der er mit einer letzten Anstrengung seinen Becher zu stillen versuchte, rollte aus seiner Hand auf den Boden. Er richtete sich halb auf und blickte seinen Genossen leichenstarr an, im nächsten Momente aber sank er ohne Wort oder Seufzer rückwärts auf sein Lager nieder.

Der Kampf der Nacht war entschieden. Der Wirth des Bankets und Herr des Palastes blieb allein aufgespart, um das Eine zu beenden und den Andern anzuzünden.

Ein boshaft triumphierendes Lächeln zog über Vetranio’s Lippen, als er jetzt aufstand und die letzte außer seiner eignen noch brennenden Lampe verlöschte. Sobald dies geschehen war, ergriff er die Fackel. Seine Augen schweiften, als er dieselbe erhob, träumerisch über seine prunkend aufgestellten Schätze und die Gestalten seiner todten oder bewußtlosen patrizischen Zechgenossen, die durch seine That im Feuer untergehen sollten. Das Bewußtsein seiner feierlichem nächtlichen Einsamkeit in seinem, dem Verderben geweihten Palaste begann wechselnde, lebhafte Eindrücke auf seinen Geist hervorzubringen, der jetzt unter der physischen Reaktion, die eben das Ausschweifende des nächtlichen Excesses in ihm hervorbrachte, wieder einen Theil seines gewohnten Scharfsinns erlangt hatte. Sein Gedächtniß begann in wirrer Reihenfolge die Scenen heraufzurufen, mit welchen das Gebäude, das er eben zu vernichten im Begriff stand, zu weit oder nahe zurückliegenden Perioden verbunden gewesen war. In dem einen Augenblicke stellte sich der Pomp früherer Gelage, die joviale Versammlung von seitdem entfernten oder gestorbenen Gästen vor ihn hin, in dem andern schien er wieder seine geheime Entfernung aus seinem Palaste in der Nacht von seinem letzten Feste, seine verstohlene Rückkehr mit der aus der Straße heraufgeschleppten Leiche, seine Mühe beim Aufrichten derselben hinter dem schwarzen Vorhange und dem Schreiben des Dialogs, der von dem Buckeligen hatte gesprochen werden sollen, durchzuspielen. Bald wendeten sich seine Gedanken den geringfügigsten Umständen der Verwirrung und dem Schrecken unter den Mitgliedern seiner Haushaltung zu, als sich die erste Noth der Stadt fühlbar zu machen begann; bald kehrten sie ohne deutlichen Zusammenhang oder Grund plötzlich zu dem Morgen zurück, wo er die einsamsten Pfade seines Gartens durcheilt hatte, um mit dem Verräther Ulpius an Numerian’s Gartenthür zusammenzutreffen. Von Neuem wurde das Bild Antoninens, das sich, seit das Original seinen Augen entschwunden war, so oft vor seine Einbildungskraft gestellt hatte, deutlich und wie handgreiflich vor ihm sichtbar. Er dachte an sie, wie sie zu seinen Knieen dem Klange seiner Laute lauschte —— wie sie verwirrt und entsetzt in seinen Armen erwachte —— wie sie verzweifelnd vor dem Grimme ihres Vaters floh wie sie jetzt nur zu gewiß todt in ihrer Schönheit und Unschuld unter den tausend Opfern der Hungersnoth und Pest dalag.

Diese und andere Gedanken, welche einander mit Sturmeseile in seinem Geiste folgten, brachten in der Todesabsicht, die sie aufhielten, keine Veränderung hervor. Sein Zögern beim Anzünden der Fackel war der bewußtlose Verzug des in seinem Entschlusse festen Selbstmörders, ehe er den Giftbecher an seine Lippen hebt, —— wo das Leben als etwas Vergangenes vor ihm aufsteigt, und er einen furchtbaren Augenblick lang auf der dunkeln Schwelle zwischen der Gegenwart und Zukunft steht —— nicht mehr der Pilger der Zeit, —— noch nicht der Erbe der Ewigkeit.

So stand der einsame Herr des großen Palastes in der dämmernd erleuchteten Halle, umgeben von den Opfern, die er vor sich dem Tode zu gejagt hatte, und so sprachen die geheimnißvollen Stimmen seiner letzten irdischen Gedanken in seinem Innern. Allmälig wurden sie leiser, endlich hörten sie ganz auf und Stille und Oede legten sich wie dunkle Schleier über seinen Geist. Er schrak wie aus einem Traume erweckt auf, er fühlte wieder die Fackel in seiner Hand und von Neuem wurde in seinen Augen der Ausdruck wilder Verzweiflung sichtbar, als er dieselbe, ohne zu beben, an der Lampe über sich anzündete.

Der Thau sank rein auf die befleckte Erde nieder, der leichte Morgenwind sang seine leise Dämmerhymmne im Laube an die Macht, welche ihn hervorgerufen; die Nacht war verblichen und der Morgen bereits aus ihr geboren, als Vetranio mit der brennenden Fackel in der Hand auf die angehäuften Brennstoffe zuschritt.

Schon hatte er den größten Theil des langen Zimmers durchmessen, als plötzlich ein schwaches Geräusch von Schritten die eine nach dem Palastgarten führende und mit dem unteren Ende der Bankethalle durch eine kleine Thür mit eingelegtem Elfenbein in Verbindung stehende Treppe heraufstiegen, seine Aufmerksamkeit erregte. Er zauderte in seinem Todesbeginnen und lauschte auf den langsam und regelmäßig näher kommenden Ton, der so schwach er auch war, doch in dem öden Schweigen, welches ihn umgab, geheimnißvoll eindringlich an sein Ohr schlug. Mit hoch über den Kopf, gehaltener Fackel heftete er seine Augen in gespannter Erwartung auf die Thür, sie öffnete sich und vor ihm stand die Gestalt eines jungen weißgekleideten Mädchens. Auf einen Moment blickte er es mit verwirrten Augen an, im nächsten sank die Fackel aus seiner Hand und glimmte unbeachtet auf dem Marmorboden fort —— es war Antonina.

Ihr Gesicht war von einer seltsamen durchsichtigen Blässe überzogen —— ihre einst weichen runden Wangen hatten ihre mädchenhafte Schönheit der Form verloren, ihr unaussprechlich wehmüthiger, hoffnungsloser, milder Ausdruck warf eine einfache geistige Feierlichkeit über ihre ganze Erscheinung. Sie war für den ausschweifenden Senator eine ganz Andere, furchtbar Andere geworden, als das Wesen seiner früheren Bewunderung, aber in ihren verzweifelten Augen war noch genug von dem alten Blicke der Sanftmuth und Geduld vorhanden, der alle Qual und Furcht überlebt hatte, um sie selbst so, wie sie jetzt war, mit ihrem früheren Wesen in Verbindung zu erhalten. Sie stand als ein schwaches hilfloses Geschöpf in dem Gemache der Ausschweifung und des Selbstmordes, zwischen dem Scheiterhaufen und dem verzweifelten Manne, der ihn anzuzünden gelobt hatte, aber gewaltig war der Einfluß ihrer Gegenwart in einem solchen Augenblicke und in einer solchen Gestalt, als rettender, tadelnder, mit der Allmacht des Himmels zur Umschmelzung der Pläne des Menschen bewaffneter Geist.

Eingeschüchtert und mit Erstaunen, als erblicke er eine Erscheinung des Grabes, schaute Vetranio auf das junge Mädchen, welches er mit der am wenigsten selbstsüchtigen Leidenschaft, die er je gehegt, geliebt hatte, die mit dem aufrichtigsten Kummer, den er je gefühlt, schon längst als verloren und todt beklagt worden war, die er jetzt in dem Augenblicke, wo er sich dem Tode weihen wollte, verändert, trostlos, flehend —— mit Empfindungen die ihn in sprachloser Verwunderung und selbst Furcht erhielten, vor sich stehen sah.

Während er noch stumm auf sie blickte, hörte er sie in leisen wehmüthigen, stehenden Tönen zu sich sprechen, die nach den Stimmen des Schreckens und der Verzweiflung, die sich die Nacht über um ihn erhoben hatten, auf sein Ohr fielen, wie Töne, die noch nie an dasselbe gerichtet worden waren.

»Numerian, mein Vater, erliegt dem Hunger,« begann sie; »wenn ihm keine Hilfe gewährt wird, so stirbt er vielleicht noch vor Sonnenaufgang. Du bist reich und mächtig. Ich komme zu Dir, da ich außer seinem Leben jetzt nichts mehr habe, wofür ich leben möchte, um Nahrung für ihn zu erbitten!«

Sie hielt, für den Augenblick unfähig weiter zu sprechen, inne und heftete ihre Augen sehnsüchtig auf des Senators Gesicht. Dann, als sie sah, daß er sich umsonst bemühte ihr zu antworten, senkte sich ihr Kopf auf ihre Brust nieder und ihre Stimme sank noch leiser, indem sie fortfuhr.

»Ich habe die lange Nacht hindurch, die jetzt vergangen ist, unter Kummer und Schmerz nach Geduld gerungen; meine Augen waren schwer und mein Geist war schwach; ich würde gern in meiner Einsamkeit und Schwäche meinen Geist an Gott, der ihn geschenkt, zurückgegeben haben, wäre es nicht meine Pflicht gewesen, jetzt für mein und meines Vaters Leben zu ringen, da ich ihm, nachdem ich alles Andere verloren, zurückgegeben bin! Ich konnte weder denken noch mich bewegen, noch weinen als ich auf Deinen Palast herauf schaute und die Stunden der Finsterniß durchwachte und durchharrte, aber als der Morgen graute, wurde Last auf meinem Herzen leichter. Ich gedachte, daß der Palast, den ich vor mir sah, der Deine war, und wenn auch die Thore geschlossen waren, wußte ich doch, daß ich ihn durch Deinen Garten, der an meines Vaters Land stößt, erreichen konnte. Ich hatte in Rom Keinen, bei dem ich um Mitleid zu bitten wußte, als Dich und ich habe mich daher schnell aufgemacht, ehe mich meine Schwäche überwältigte. Ich gedachte, daß ich von Deinen Händen viel Elend erlitten, aber hoffte, daß Du mich um das, was ich geduldet, bedauern würdest, wenn Du mich wieder sähest. Ich bin müde und matt durch den Garten gekommen. Es dauerte lange, ehe ich mich hierher fand, willst Du mich eben so hilflos, wie ich gekommen bin, wieder zurücksenden? Du hast mir zuerst gelehrt, meinem Vater ungehorsam zu sein, indem Du mir die Laute gabst, wirst Du Dich jetzt weigern mir zu helfen und ihn zu unterstützen? Er ist Alles, was mir in der Welt geblieben ist! Habe Erbarmen mit ihm! habe Erbarmen mit mir

Von Neuem blickte sie in Vetranio’s Gesicht auf, seine bebenden Lippen bewegten sich, aber noch immer drang aus ihnen kein Laut. Auf seinen Zügen herrschte noch immer der Ausdruck der Verwirrung und der Verschüchterung, als er langsam nach dem oberen Ende des Bankettisches deutete. Für sie war diese einfache Handlung beredter, als es alle Reden gewesen sein würden. Sie lenkte ihre schwachen Schritte augenblicklich der von ihm angedeuteten Richtung zu.

Er sah sie im Lichte der einzigen noch brennenden Lampe stark in der beschirmenden Begeisterung ihrer guten Absicht zwischen den Körpern seiner Selbstmordgenossen hindurchgehen, ohne auf ihrem Pfade zu verweilen. Als sie an das obere Ende des Zimmers gelangt war, nahm sie eine Flasche Wein von dem Tische und von dem hölzernen Gestell dahinter die Schüssel mit Nahrung, welche die Gäste des Todesbankets verschmäht hatten. Hierauf kehrte sie augenblicklich wieder zu der Stelle zurück, wo Vetranio noch immer stand. Hier hielt sie einen Augenblick an, als wolle sie noch einmal sprechen, ihre Stimme wurde aber von ihren Empfindungen erstickt. Aus den Quellen, die die Verzweiflung und das Leiden vertrocknet hatte, flossen die lange eingekerkerten Thränen, auf das Gebot der Dankbarkeit und Hoffnung, noch einmal wieder hervor. Sie blickte eben so stumm wie der Senator zu ihm auf, und der Ausdruck, welchen sie in diesen« Augenblicke zeigte, war dazu bestimmt, —— in seinem Gedächtnisse zu bleiben, so lange er dieses selbst noch hatte. Darauf entfernte sie sich mit schwankenden, hastigen Schritten auf dem Wege, den sie beim Kommen eingeschlagen hatte, und er blieb von Neuem in dem großen Palaste, den sein schlimmer Einfluß über den Willen Anderer zu einem Gebeinhause gemacht hatte, allein.

Er machte keinen Versuch, ihr zu folgen oder sie zurückzuhalten, als sie ihn verließ. Die Fackel glimmte noch neben ihm aus dem Boden, aber er beugte sich nicht hinab, um sie aufzuheben; er sank von dem, was er erblickt hatte, betäubt auf ein leeres Ruhebett nieder. Das, was weder Bitten noch Drohungen, noch grimmiger, gewaltsamer Widerstand bei ihm zu bewirken vermocht haben würden, hatte das Erscheinen Antoninens hervorgebracht Es hatte ihn gezwungen, in dem Augenblicke der Ausführung seines Todesplanes innezuhalten. Er erinnerte sich, wie sie von dem ersten Tage an, wo er sie gesehen, einen geheimnißvollen Einfluß auf seinen ganzen Lebensgang geübt, wie sein Streben, sie zu besitzen, seine Beschäftigungen geändert und seine Unterhaltungen unterbrochen hatte, wie alle seine Energie und sein ganzer Reichthum nicht im Stande gewesen waren, sie zu entdecken, als sie aus ihres Vaters Hause floh, wie die ersten Gefühle der Reue, die er je gekannt hatte, durch sein Bewußtsein des Antheils, den er an der Herbeiführung ihres unglücklichen Schicksals gehabt, verursacht worden waren. Als er sich Alles dies ins Gedächtniß zurückrief, als er bedachte, daß sie, wenn sie sich ihm zeitiger genähert haben würde, von dem trunkenen Lärm seiner Genossen erschreckt, zurückgetrieben worden sein würde, und wäre sie später gekommen, seinen Palast in Flammen gefunden hätte. Als er zu gleicher Zeit an ihre plötzliche Gegenwart in dem Banketsaale dachte, während er sie für todt gehalten hatte, und wo ihr Erscheinen in dem Augenblicke des Anzündens des Palastes den unwiderstehlichsten Einfluß auf seine Handlungen geübt hatte, durchbebte ihn das unbestimmte Gefühl abergläubischer Furcht, welches instinktmäßig im Geiste aller Menschen existiert, aber bis her in dem seinen noch nie erweckt worden war. Seine Augen hefteten sich auf die Thür, durch die sie sich entfernt hatte, als erwarte er ihre Rückkehr. Ihr Schicksal schien bedeutsam mit dem seinen verflochten zu sein, —— sein Leben schien sich auf ihr Gebot zu bewegen, sein Tod auf dasselbe zu warten. In den Empfindungen, welche jetzt seine Körperkräfte unthätig erhielten, lag keine Reue, keine moralische Reinigung, —— er war für den Augenblick von einer geistigen Lähmung geschlagen.

Die rastlosen Augenblicke zogen weiter und weiter und immer noch verschob er die Vollendung des Verderbens, welches die Orgie der Nacht begonnen hatte. Allmälig wurde es heller und das Licht des Tages beschien in warmer Schönheit die kalten, in der stummen Halle ausgestreckt daliegenden Körper und trübte den schwachen Schein der verglimmenden Lampe, kein schwanzer Rauch, keine rothe, verzehrende Feuergluth stieg auf, um den hellen Schein des Morgens zu verdunkeln, kein Flammengebraus unterbrach die murmelnde Ruhe der Natur, oder schreckte die auf dem Straßenpflaster liegenden, erschöpften Auswürflinge aus ihrem schweren Schlafe auf. Der herrliche Palast stand in seinen festen Grundlagen noch unerschüttert da, die Zierrathen seiner Säulenhallen und seine Statuen schimmerten, wie vor Alters, in den Strahlen der aufgehenden Sonne, und immer noch hing die Hand des Herrn, welcher geschworen hatte, ihn zu vernichten, wie sich selbst, müßig ohne die Fackel, die bereits zu unschädlicher Asche zu seinen Füßen ausgeglimmt war, herab.



Kapiteltrenner

Kapitel IV.
Die letzten Versuche der Belagerten.

Wir kehren auf die Straße, vor dem Palaste zurück. Die unheilvollen Wirkungen der Belagerung waren schwer auf die herabgesunken, welche die Nacht über dort gelegen hatten. Von der lärmendem wüthenden Menge des vorigen Abends war jetzt nicht einmal mehr ein Ton zu vernehmen. Einige, die von Erschöpfung und Bewußtlosigkeit in ihrem Hungerparoxismus ergriffen worden waren, lagen mit halb in den Mund gepreßten Händen da, als hätten sie in ihrem heißhungrigen Wahnsinne versucht, von ihrem eigenen Fleische zu zehren, Andere erhoben von Zeit zu Zeit matt ihre schweren Augen und beachteten auf dem gegenwärtigen äußersten Punkte ihrer Leiden nicht mehr das Gebäude, dessen Vernichtung zu erblicken sie sich versammelt hatten, sondern erwarteten eine phantastische Verwirklichung der Träume von reichgedeckten Tischen und schneller Hilfe; die das Delirium des Hungers und der Krankheit wie im Spotte vor ihnen heraufbeschworen hatte.

In Kurzem und ehe sich noch die Sonne hoch über den Horizont erhoben hatte, wurde die Aufmerksamkeit der Wenigen unter dem Volke, die noch einige Wahrnehmungsfähigkeit für äußere Ereignisse bewehrten, auf das Erscheinen eines unregelmäßigen Zuges gelenkt, welcher zum Theil aus Bürgern, zum Theil aus Senatsbeamten bestand und von zwei Männern angeführt wurden, die langsam von dem nach dem Innern der Stadt führenden Ende der Straße herankamen. Der Zug hielt vor Vetranio’s Palaste an, und jetzt vernahmen diejenigen Mitglieder der Menge, welche noch nicht gänzlich von der Hoffnung verlassen waren, die erfreuliche Nachricht, daß der Zug, welchen sie erblickten, ein Friedenszug und die beiden Anführer desselben der Spanier Basilius, ein Provinzialstatthalter und Johannes, der oberste kaiserliche Notar, zu Gesandten ernannt seien, um einen Vertrag mit den Gothen abzuschließen.

Als diese Nachricht erschal1te, standen Männer, die bisher der geringsten Bewegung unfähig erschienen waren, mühsam, aber entschlossen auf und drängten sich um die beiden Gesandten, wie um zwei, sie von der Knechtschaft und dem Tode zu befreien, vom Himmel herabgestiegene Engel. Mittlerweile hatten sich einige von den Senatsbeamten, da sie die vorderen Thore des Palastes verschlossen fanden, nach den Garteneingängen aus der Rückseite des Gebäudes, verfügt, um Einlaß bei dem Besitzer zu erlangen« Die Abwesenheit Vetranio’s und seiner Freunde von den Regierungsberathungen war ihrem Widerwillen über den hartnäckigen, nutzlosen Widerstand, den man noch den Gothen leistete, zugeschrieben worden. Seht, wo man sich zur Unterwerfung entschlossen hatte, war es sowohl für räthlich, wie für leicht gehalten worden, sie peremtorisch zu ihren Pflichten zurückzurufen. Außer diesem Grunde, um das Innere des Palastes aufzusuchen, hatten die Diener des Senats dort noch einen andern Auftrag zu verrichten. Der weit herumgekommene Entschluß Vetranio’s und seiner Genossen, sich in dem Delirium einer letzten Orgie durch Feuer umzubringen, der so lange man die dringenden Gefahren der Stadt hatte berücksichtigen müssem unbeachtet geblieben war, wurde jetzt zu einer Quelle von Besorgniß und Aengstlichkeit für die geschäftsführenden Mitglieder des römischen Senats, seit ihr Geist von einem Theile der Veranwortlichkeit, welche auf ihnen gelastet hatte, durch ihren Entschluß, sich um den Frieden zu bewerben, befreit worden war.

Die jetzt nach dem Palaste gesendeten Personen erhielten demnach den Auftrag, seine Zerstörung zu verhindern, wenn dies wirklich beabsichtigt worden war, so wie die darin Befindlichen auf ihre Plätze im Senatshause zurückzurufen. In wiefern sie, zu der Zeit ihres Eindringens in, den Banketsaal ihre doppelte Sendung auszuführen vermochten, kann sich der Leser leicht berechnen. Sie fanden Vetranio noch immer auf dem Platze, welchen er eingenommen hatte, seit er von Antoninen verlassen worden war. Durch ihr Kommen aus der Betäubung aufgeschreckt, welche bisher auf ihm gelastet hatte, kehrte sein verzweifelter Vorsatz wieder zurück und er machte einen Versuch, die noch schwach brennende Lampe von ihrem Orte herabzureißen, und allem Eindringen zum Trotz den Scheiterhaufen anzuzünden. Seine bereits aufs Aeußerste angespannten Kräfte verließen ihn jedoch, er fiel, ohnmächtige Drohungen des Trotzes und der Rache ausstoßend, bewußtlos in die Arme der Senatsbeamten, welche ihn zurückhielten. Einer von ihnen wurde, während seine Collegen in dem Palaste zurückblieben, augenblicklich wieder fortgeschickt, um sich mit den Anführern des Zuges auf der Straße in Vernehmen zu setzen. Nachdem er seinen Bericht abgestattet hatte, trennten sich die beiden Gesandten von dem sie begleitenden Zuge und begaben sich langsam und nur von wenigen erwählten Dienern gefolgt —— eine traurige, entwürdigte Gesandtschaft von dem Volke, welches der östlichen und westlichen Welt einst seine Herrschaft, seine Gebräuche und selbst seine Sprache aufgezwungen hatte —— hinaus, um mit den Barbaren, die von ihren Vätern geknechtet worden waren, einen schmachvollen Frieden zu erhandeln.

Nach der Entfernung der Gesandten begaben sich alle noch der Anstrengung fähigen Zuschauer nach dem Forum, um dort ihre Rückkehr abzuwarten und trafen daselbst Mitglieder der niedrigen Volksklasse aus andern Theilen der Stadt. Man wußte, daß die erste Nachricht von dem Resultate der Gesandtschaft auf diesem Platze gegeben werden würde, und in ihrer eifrigen Begier, sie zu hören, in dem peinlichen Verlangen ihrer letzten Erlösungshoffnung schien selbst der Tod auf eine Zeitlang in seinem verderblichen Gange durch die Reihen der Belagerten gehemmt worden zu sein. In Schweigen und Besorgniß zählten sie die trägen Augenblicke des Verzugs und sahen mit bangem Blicke die Schatten kürzer und kürzer werden, als sich die Sonne allmälig am Himmel bis zum Mittagspunkt erhob.

Endlich nach einer Abwesenheit, welche von endloser Dauer zu sein schien, kamen die Gesandten wieder in die Stadt. Als sie bei ihrer Rückkehr durch das Volk schritten, sprach weder der Eine noch der Andere, aber ihre Blicke des Entsetzens und der Verzweiflung waren für Jeden, der sie sah, beredt genug —— ihre Sendung war mißlungen.

Eine Zeitlang schien kein Mitglied der Regierung Entschlossenheit genug zu besitzen, um aufzutreten und das Volk über die erfolglose Gesandtschaft anzureden. Nach einem langen Zwischenraume trat jedoch der Präfekt Pompejanus selbst, theilweise von den selbstsüchtigen Bitten seiner Freunde getrieben, theilweise auch von der kindischen Prunkliebe, die bei allen seinen jetzigen Aengsten und Besorgnissen noch nicht verschwunden war, bewegt, auf einen von den unteren Balkonen des Senatshauses, um die unter ihm stehende Volksmasse anzureden.

Die erste Magistratsperson von Rom war nicht mehr die pomphafte, stattliche Person, deren Eindringen bei Vetranio zu Anfange der Belagerung, im zweiten Bande beschrieben worden ist —— das wenige überflüssige Fleisch, welches sein Gesicht noch zeigte, hing um dasselbe her, wie ein schlecht angepaßtes Gewand, sein Ton war weinerlich geworden, er hatte die rednerischen Gebärden, mit welchen er seine früheren Ansprachen reichlich auszuschmücken gewohnt gewesen, alle aufgegeben, und von dem ursprünglichen Menschen war jetzt nichts mehr vorhanden, als der Bombast seiner Sprache und die unverschämte Selbstgefälligkeit seines Eigenlobs, die jetzt im verächtlichen Kontrast mit seiner niedergeschlagenen Haltung und seiner entmuthigenden Erzählung von Entwürdigung und Niederlage hervortrat.

»Ihr Männer von Rom, möge Jeder von Euch in seiner Person die heroischen Tugenden eines Regulus oder Cato üben,« begann der Präfekt »Es steht nicht in unserer Macht, einen Vertrag mit den Barbaren zu schließen. Die Geißel des Reiches, Alarich selbst befehligt das Heer der Eroberer. Vergeblich waren die würdevollen Vorstellungen des ernsten Basilius, fruchtlos war die überredende Rhetorik des schlauen Johannes, bei dem blutdürstigen, ruhmredigen Gothen! Als die Gesandten vor ihn gelassen wurden, verbreiteten sie sich, um ihn zu einer Kapitulation zu schrecken, mit klugem und lobenswerthem Patriotismus, über die Erfahrenheit der Römer im Gebrauch der Waffen, ihre Kriegsbereitschaft und ihre ungeheure Anzahl innerhalb der Stadtmauern. Ich erröthe die Antwort des Barbaren zu wiederholen. Er lachte unmäßiger und antwortete: Je dicker das Gras steht, desto leichter läßt es sich mähen! Ohne sich schrecken zu lassen, sprachen die Gesandten mit veränderter Taktik gutmüthig von ihrer Bereitwilligkeit, einen Frieden zu erkaufen. Bei diesem Vorschlage überstieg seine Unverschämheit alle Grenzen barbarischer Anmaßung: »Ich werde die Belagerung nicht eher aufgeben,« rief er, »als bis mir alles Gold und Silber in der Stadt, alle Waaren darin und alle Sklaven aus den nördlichen Ländern ausgeliefert sind.« »Was, o König, willst Du uns denn lassen?« fragten unsere entsetzten Gesandten. »Euer Leben»antwortete der unerbittliche Gothe. Als sie dies hörten, gerieth selbst der entschlossene Basilius und der weise Johannes in Verzweiflung. Sie verlangten Zeit, um sich mit dem Senat in Vernehmen zu setzen und verließen das feindliche Lager ohne Verzug. Dies war das Ende der Gesandtschaft, dies die anmaßende Verruchtheit des barbarischen Feindes.«

Hier hielt der Präfekt aus Schwäche und Mangel an Athem inne. Seine Rede war jedoch noch nicht zu Ende. Er hatte das Volk durch seine Erzählung desjenigen, was den Gesandten zugestoßen war, muthlos gemacht, er ging jetzt daran, es durch die Mittheilung eines ihm selbst begegneten Umstandes zu trösten, und fuhr nach einiger Zeit fort.

»Aber selbst jetzt noch, ihr Bürger von Rom, brauchen wir nicht zu verzweifeln! Es bleibt uns noch eine Aussicht auf Befreiung und diese Aussicht ist von mir entdeckt worden. Ich hatte das Glück, während der Abwesenheit unserer Gesandten einige Männer, aus Toskana zu treffen, die wenige Tage vor dem Anfange der Belagerung nach Rom gekommen waren und die von einem Plane zur Befreiung der Stadt sprachen, den sie nur dem Präfekten mittheilen wollten. Da ich stets für das öffentliche Wohl besorgt bin und zum Vortheile meines Amtes von Seiten Fremder Trotz biete, gewährte ich diesen Leuten eine geheime Unterredung Sie erzählten mir ein erstaunliches, wunderbares Ereigniß. Die Stadt Neveia, die, wie Ihr alle wißt, auf der direkten Straße der Barbaren lag, als diese nach Rom marschierten, wurde vor ihren Räuberbanden durch einen furchtbaren Gewittersturm beschützt. Dieser Sturm entstand nicht, wie Ihr vielleicht denken werdet, aus einem zufälligen Kampfe der Elemente, sondern wurde durch die ausdrückliche Einmischung der Schutzgottheiten der Stadt auf die Köpfe der Feinde geschleudert, nachdem die Einwohner in ihrer Gefahr wieder zu ihrer alten Religion zurückgekehrt waren und Jene angerufen hatten. So sagten die Männer von Toskana und solche fromme Hilfsmittel, wie die von dem Volke von Neveia angewendeten, empfahlen sie dem Volke von Rom! Ich meinestheils gestehe Euch, daß ich an ihren Plan glaube. Das Alterthum unserer früheren Religion ist meinen Augen immer noch ehrwürdig; die Gebete der Priester unseres neuen Glaubens haben zu unserm Besten noch keine Wunder bewirkt, ahmen wir daher das Beispiel der Bewohner von Neveia nach und schleudern wir durch die Macht unserer Gebete die Donner Jupiters auf das barbarische Lager! Laßt uns unsere Erlösung von der mächtigen Einwirkung der Götter erwarten, welche unsere Väter verehrt haben und die das Verlassen ihrer Tempel durch unser jetziges Unglück rächen. Ich gehe, um ohne Verzug dem Bischofe Innocentius und dem Senate die öffentliche Ausübung feierlicher Opferceremonien auf dem Capitole vorzuschlagen! Ich verlasse Euch in der freudigen Ueberzeugung, daß die durch unsere zurückgekehrte Treue für ihre Altäre beschwichtigten Götter den übernatürlichen Schutz, welchen sie den Einwohnern einer Provinzialstadt gewährt haben, dem römischen Volke nicht versagen werdend!«

Dem merkwürdigen Vorschlage des Präfekten, die Stadt durch den öffentlichen Glaubensabfall der Belagerten von der Belagerung zu befreien, folgte kein Ton der Billigung oder der Mißbilligung. Als er verschwand, wendete sieh die Zuhörerschaft wortlos ab. Eine allgemeine Verzweiflung überwältigte sich ihnen selbst die letzten Kräfte der Uneinigkeit und des Verbrechens, sie fügten sich mit der düsteren Gleichgültigkeit von Wesen, in denen alle menschlichen Empfindungen, alle menschlichen Leidenschaften, die guten sowohl, wie die bösen, erloschen waren, in ihr Schicksal. Der Präfekt entfernte sich um dem Bischofe einer christlichen Kirche die Rückkehr zum Heidenthume vorzuschlagen, aber weder die Regierung noch das Volk machte einen nutzbringenden Versuch, um Hilfe zu erlangen.

Und so neigte sich auch dieser Tags trauriger und unglücklicher und noch mehr mit Gefahr, Elend und Pein beladen, als alle diesem vorhergegangenen, seinem Ende zu.

Der folgende Tag dämmerte herauf, aber auf dem Capitol waren keine Vorbereitungen zu den Ceremonien der alten Religion zu erblicken. Der Senat und der Bischof nahmen Anstand, sich der Verantwortlichkeit auszusetzen, eine öffentliche Wiederherstellung des Heidenthums zu autorisieren, während die Bürger, die alle himmlische, wie irdische Hoffnung auf Hilfe verloren hatten, gegen Alles, was um sie her vorging, so achtlos wie die Todten blieben. In Rom befand sich ein Mann, dem es vielleicht gelungen sein würde, ihre matten Kräfte zum Glaubensabfalle aufzuregen, aber wo war er und womit beschäftigte er sich?

Jetzt, wo die Gelegenheit, für welche er eine lange Existenz des Leidens, der Entwürdigung und des Verbrechens hindurch entschlossen, wenn auch vergebens, gearbeitet hatte, sich lockender und günstiger, als selbst er in seinen wildesten Träumen von Erfolg je zu hoffen gewagt, von selbst darbot —— wo war jetzt Ulpius? verborgen vor allen menschlichen Augen gleich einem giftigen Kriechthiere in seinem Verstecke in dem verlassenen Tempel, bald um seine Idole in wüthendem Wahnsinn rasend, bald in blödsinniger Anbetung vor ihnen ausgestreckt —— für die Interessen seiner Religion in der Krisis ihres Schicksals schwächer als das schwächste Kind, welches verhungernd durch die Straße kroch, —— das Opfer seiner eigenen bösartigen Machinationen gerade in dem Augenblicke, wo sie ihn zum Triumphe hätten führen können —— der Gegenstand der schlimmsten irdischen Wiedervergeltung der, durch welche die Gottlosen vermittelst ihrer eignen Sünden in ihren Plänen verhindert, verurtheilt und bestraft werden.

Es vergingen noch drei Tage. Der Senat, dessen Mitgliederzahl in der Pest schnell abnahm, verwendete die Zeit auf unnütze Berathungen oder schwieg finster. Jeden Morgen blickten die müden Wächter in der vergeblichen Hoffnung, die lange versprochenen Legionen von Ravenna auf Rom zu marschieren zu sehen, von den Mauern hinab und jeden Morgen faßten die Verheerung und der Tod unter den unglücklichen Belagerten festen Fuß. Endlich am vierten Tage gab der Senat alle Hoffnung auf fernern Widerstand auf und beschloß sich zu unterwerfen, was auch die Folgen davon sein mochten. Es wurde bestimmt, daß eine zweite Gesandtschaft aus dem ganzen geschäftsführenden Senate bestehend und von einem bedeutenden Gefolge begleitet, zu Alarich gehen solle, daß man noch einen Versuch machen wolle, ihn zu bewegen, statt seiner die Besiegten in das Verderben stürzenden Forderungen weniger härtete zu stellen, und wenn dies mißlang, die Thore zu öffnen und in Verzweiflung die Stadt und das Volk seiner Gnade anheim zu geben.

Sobald sich der Zug, dieser letzten römischen Gesandtschaft auf dem Forum bildete, vermehrte sich ihre Zahl fast augenblicklich trotz allen Widerstandes, durch diejenigen unter dem Volke, welche noch im Stande waren, ihren schwachen, kranken Körper zu bewegen und die, auf dem Gipfel der Verzweiflung angelangt, beschlossen hatten, auf jede Gefahr hin das Oeffnen der Thore zu benutzen und aus der Stadt der Pestilenz in welche sie eingemauert waren, zu fliehen, mochten sie nun unter den Schwertern der Gothen umkommen oder beistandslos im freien Felde verschmachten. Alle Fähigkeit, die Ordnung aufrecht zu erhalten, war längst schon verschwunden, die wenigen um die Senatoren versammelten Soldaten machten einen. vergeblichen Versuch das Volk zurück zutreiben und stellten dann jeden weiteren Widerstand gegen dessen Willen ein.

Schwach und schweigend bewegte sich jetzt der niedergeschlagene Zug auf den breiten Straßen hin, die so oft unter dem Schmettern kriegerischer Musik und dem Beifallsgeschrei der Menge von den Triumphzügen des siegreichen Rom betreten worden waren, und auf jeder Straße schlossen sich ihm unterwegs abgezehrte Gestalten aus dem Volke wie Gespenster an. Unter diesen befanden sich, als die Gesandtschaft dem Pincischen Thore nahte, zwei, aus deren Schicksale in der gefallenen Stadt unsere Aufmerksamkeit besonders gerichtet gewesen ist, die herbeieilten, um mit ihren Leidensgefärhrten hinauszuziehen. Zur Erklärung ihrer Anwesenheit auf dem Schauplatze —— wenn eine solche Erklärung nöthig ist —— müssen wir auf einen Augenblick von dem Fortgange der Ereignisse während der legten Belagerungstage zu dem Morgen abschweifen, wo Antonina sich aus Vetranio’s Palaste entfernte, um mit ihrem Vorrathe an Nahrung und Wein nach dem Hause ihres Vaters zurückzukehren.

Der Leser kennt bereits aus ihrer eigenen kurzen und einfachen Darstellung die Geschichte der letzten Stunden ihrer traurigen Nachtwache an der Seite ihres erliegenden Vaters und die Beweggründe, welche sie bestimmten, den Palast des Senators aufzusuchen und verzweiflungsvoll denjenigen um Beistand zu bitten, dessen sie sich nur als des ausschweifenden Vernichters ihrer Ruhe unter dem Dache ihres Vaters erinnerte. Es ist daher jetzt am geeignetsten, ihr auf ihrem Rückwege durch den Palastgarten zu folgen. Außer ihr betrat kein lebendes Geschöpf die berasten Pfade, auf welchen sie mit schwankenden Schritten hineilte, die Pfade, welche sie sich undeutlich erinnerte zuerst durchwandert zu haben, als sie sich in vergangenen Tagen herauswagte, um den fernen Klängen der Laute Vetranio’s zu folgen. Trotz ihrer unbestimmten, schwer auf ihr lastenden Gefühle der Einsamkeit und des Kummers blieb diese Erinnerung ihrem Geiste schmerzlich gegenwärtig und vermischte sich auf unerklärliche Weise mit den dunkeln traurigen Besorgnissen, die ihr Herz beim Vorwärtseilen erfüllten, bis sie wieder die Wohnung ihres Vaters betrat und jetzt, als sie sich von Neuem seinem Lager näherte, verschwand jedes andere Gefühl über der niederdrückenden Besorgniß, daß sie, aller ihrer Ausdauer und ihres Erfolges auf ihrem Wege kindlicher Liebe ungeachtet, doch zu« spät zurückgekehrt sein könne.«

Der Greis lebte noch, —— seine matten Augen öffneten sich froh gegen sie, als sie ihn aufweckte um die Schätze von dem Bankettische des Senators zu genießen. Die elende Nahrung, welche die selbstmörderischen Gäste verschmäht hatten und das einzige Gefäß mit Wein, welches sie leichtsinnig auf einen Zug geleert haben würden, wurden von dem Vater sowohl wie von dem Kinde als rettendes und stärkendes Unterhaltungsmittel für viele Tage betrachtet. Nachdem sie von ihrem geringen Vorrathe so viel verzehrt hatten, als sie wagten, wurden die Ueberbleibsel sorgfältig aufbewahrt. Es war das letzte Zeichen und Versprechen des Lebens, welches sie erwarten konnten, der geringe, aber kostbare Vorrath, in welchem sie allein das Unterpfand ihrer ferneren Bewunderung vor den Qualen des Hungers und der Trennung des Todes auf einige Tage erblickten.

Und jetzt, wo sie ihren geringen Vorrath von Speise und Wein gleich einem Leuchtthurme der Rettung vor sich sahen, breitete sich über ihren Geist eine tiefe, traumartige Heiterkeit —— der Schlaf der unterdrückten und ermatteten Kräfte. Unter ihrem geheimnißvollen, beruhigenden Einflusse verblichen alle Eindrücke der Trauer und des Elends in der Stadt, der sie umgebenden grausigen Beweise der anhaltenden Belagerung vor ihrem Wahrnehmungsvermögen, wie nebelhaft zurück weichende Gegenstände, die dem Auge in weiter Ferne entschwinden. Allmälig begannen, als sich der Tag der ersten erfolglosen Gesandtschaft neigte, ihre Gedanken sanft zu der Welt vergangener Ereignisse zurückzuströmen, welche im Laufe der Zeit in Vergessenheit versunken waren. In Antoninens Gedächtnisse lebten die ersten Erinnerungen an ihre früheste Kindheit wieder auf und vermischten sich dann seltsam mit den Tränenvollen Andenken an die letzten Worte und Blicke des jungen Kriegers, der an ihrer Seite das Leben ausgehaucht hatte und mit ruhigen feierlichen Gedanken, daß der geliebte Geist aus der Sphäre der Schatten erlöst, jetzt in der Nähe des stillen Gartengrabes schweben möge, wo sie ihre bittersten Thränen der Einsamkeit und des Kummers vergessen hatte, oder daß er sich in unsichtbarer, seliger Gegenwart um sie bewegen könne, während sie zu den Füßen ihres Vaters saß und ihre irdische Trennung beklagte.

In den so erweckten Empfindungen lag weder Bitterkeit noch Pein —— sie beruhigten und reinigten das Herz, durch welches sie hinzogen. Sie konnte jetzt dem Greise zum ersten Male ihre Tage der Abwesenheit von ihm, die kurzen Freuden und langen Schmerzen ihrer Stunden der Verbannung erzählen, ohne in ihrer traurigen Geschichte innehalten zu müssen. Zuweilen lauschte ihr Vater ihren Worten mit trüber sprachloser Aufmerksamkeit oder forderte sie, wenn sie schwieg, zum Trost und zur Hoffnung auf, wie sie ihn unter seiner Gemeinde hatte sprechen hören, als er noch stark in seinem Entschlüsse war, Alles für die Reformation der Kirche aufzuopfern. Zuweilen gab er sich dem Einflusse seiner Gedanken hin, wie sich dieselben zu vergangenen Zeiten wendeten, und enthüllte ihr wieder die wechselnden Ereignisse seines frühem Lebens, nicht wie das erste Mal mit schwankender Stimme und unstäten Augen, sondern mit einer Ruhe des Tones und einem Zusammenhange der Darstellung die ihr das Zweifeln an der seltsamen überraschenden Erzählung, welche sie hörte, verbot. Nochmals sprach er von dem Bilde seines verlorenen Bruders, welches noch so vor seinem Geiste stand, wie da, wo er sich in seiner Jugend von ihm getrennt hatte, von dem Lande, welches er in späteren Jahren verlassen, von dem Namen, den er aus Cleander in Numerian verwandelt, um seine frühem Gefährten irre zu leiten, wenn sie ihn noch verfolgen sollten, und von der glühenden Sehnsucht, wieder den Genossen seiner ersten Heimath zu erblicken, was jetzt, wo ihm seine Tochter wieder gegeben, wo keine andere irdische Bestrebung als diese, mehr unbefriedigt war, am Schlusse seines Lebens der letzte Wunsch seines Herzens blieb.

Dies war der Verkehr, in welchem Vater und Tochter die Stunden ihrer kurzen Gnadenfrist des gegen die Stadt ihrer Wohnung ergangenen Urtheils des Hungers zubrachten, so lebten sie so zu sagen in einem stillen Zwischenraume der Existenz, in einer ruhigen Pause zwischen der Mühe, die in der schweren Arbeit des Lebens vorüber ist, und derjenigen, welche noch kommen soll.

Aber das»Ziel dieser kurzen Tage der Ruhe nach langen Leiden und Kummer nahten schnell. Der kleine Speisevorrath nahm eben so eilig ab, wie diejenigen, welche vorher in banger Furcht zusammengebracht worden waren, und am Morgen der zweiten Gesandtschaft zu Alarich war sowohl das Gefäß mit Wein, als die Schüssel mit Nahrung, geleert; der kurze Traum der Sicherheit war vergangen und verschwunden, die entsetzliche Wirklichkeit des Kampfes um das Leben war, wieder in ihre Rechte getreten!

Wo oder von wem konnten sie jetzt Hilfe verlangen? Die Belagerung dauerte immer noch fort, die so eben genossenen Speisereste waren die letzte Nahrung, die sieh auf dem Tische des Senators befunden, hatte, wenn sie den Palast wieder aufgesucht hätten, so würden sie sich dem Mißlingen, vielleicht gar der Beleidigung als Resultat einer zweiten Bitte um Hilfe, wo alle Macht, dieselbe zu gewähren, jetzt nur zu sicher verschwunden war, ausgesetzt haben. Dies waren die Gedanken Antoninens, als sie die leere Schüssel wieder an ihren früheren Ort, stellte, aber sie drückte dieselbe in Worten nicht aus. Sie sah mit Grausen, daß derselbe Ausdruck der Verzweiflung, ja fast der Raserei, welcher die Züge ihres Vaters am Tage ihrer Heimkehr zu ihm entstellt hatte, wieder auf denselben herrschte. Abermals schwankte er dem Fenster zu und murrte in seiner bitteren Muthlosigkeit gegen die trügerische Sicherheit und Hoffnung, die ihn während der wenigen letzten Tage für die Interessen seines Kindes müßig erhalten hatten. Als er jetzt aber auf die belagerte Stadt hinausblickte, sah er das Volk unten auf der Straße, so schnell es die ausgemergelten Glieder tragen wollten, einhereilen, um sich der Gesandtschaft anzuschließen. Er hörte wie Einer den, Andern aufmunterte, die letzte Gelegenheit zu benutzen, um durch die geöffneten Thore dem Schrecken der Hungersnoth und Pest zu entgehen und wurde von der rücksichtslosen Verzweiflung angesteckt, welche seine Leidensgefährten von einem Ende Roms bis zum andern ergriffen hatte.

Er wendete sich augenblicklich zu seiner Tochter, erfaßte ihre Hand und zog sie aus dem Zimmer, indem er ihr befahl, mit ihm zu kommen und sich der Flucht der Bürger anzuschließen, ehe es zu spät sei. Durch seine Worte und Handlungen erschreckt, bemühte sie sich, wahrend sie gehorchte, vergebens, ihm die Furcht vor den Gothen einzuflößen, welche ihr von ihrer eigenen bitteren Erfahrung eingegeben wurde, seit ihr einziger Beschützer unter ihnen erkaltet in seinem Grabe lag. Bei Numerian wie bei dem übrigen Volke wurden alle Besorgnisse, alle Zweifel, jede Anwendung der Vernunft von der einen Idee überwältigt, dem Verderben bringenden Gebiete von Rom zu entfliehen.

So mischten sie sich unter die Menge, die sich, von Furcht getrieben, der Gesandtschaft angeschlossen hatte, und folgten ihren Reihen so gut sie konnten. Die Sonne schien hell von dem heitern blauen Himmel herab, der Wind trug die schmetterndem drohenden Töne der Trompeten aus dem gothischen Lager in die Stadt, als das Pincische Thor den Gesandten und ihrem Gefolge geöffnet wurde. Die Menge versuchte sich in Masse hinter ihnen hinaus zu drängen, jetzt aber bewegte sie sich in einem engeren Raume und fand bei einer bedeutenden Verstärkung der Stadtbesatzung Widerstand. Nach einem kurzen Ringen war sie überwältigt und die Thore wurden geschlossen. Einigen von den Kräftigsten und den Gesandten Nächsten gelang es, diesen zu folgen, der größte Theil blieb jedoch auf der inneren Seite des Thores zurück und drängte sich in seiner Ungeduld und Verzweiflung dicht an dasselbe wie Gefangene, die ihre Befreiung erwarten oder aus ihrem Gefängnisse brechen wollen.

Zu den Letzteren gehörten die Schwächsten der Schwachen —— Numerian und Antonina, die durch die sie umgebende Menge eingeengt, sowohl von der Flucht aus der Stadt, wie von der Rückkehr nach Hause abgesperrt waren.



Kapiteltrenner

Band 3

Zweites Buch.

O promesse! o manace! o ténébreux mystére!

ou sont les traits, que tu lances,
Grand-Diu, dans ton juste Courroux?
N’es-tu plus le Dieu jaloux?
N’es—tu plus le Dieu des vengeances?
Racine.

Kapitel I.
Das Grab und das Lager.

Während sich die zweite und letzte Gesandtschaft des Senats nach dem Zelte des Gothenkönigs begibt, während die Straßen Roms außer den Todten von Allen verlassen sind und die lebende Einwohnerschaft sich in sprachloser Erwartung hinter den Schranken des Pincischen Thores zusammengedrängt hat, haben wir Gelegenheit unsern Blick einem Orte zuzuwenden, von welchem er lange entfernt gewesen ist, einen Besuch in dem Bauernhause der Vorstadt zu machen und nochmals das Grab Hermanrich’s zu betrachten.

Die Stille des hellen warmen Tages ist um den abgelegenen Pfad, der zu dem kleinen Gebäude führt, am reinsten. Hier steigt der Duft wilder Blumen er quickend von dem wallendem Grase auf, das einschläfernde monotone Summen des Insektenlebens durchzieht die laue, ruhige Luft, die hier und da von den dicht belaubten Bäumen aufgefangenen Sonnenstrahlen fallen in unregelmäßigen hellen Flecken auf den schattigen Boden, und außer den Vögeln, die mitunter singend durch die Luft ziehen, zeigt sieh auf dem stillen Plätzchen kein lebendes Wesen, bis wir das Gitterpförtchen, welches in den Garten führt, erreichen und auf das, was im Innern desselben vorgeht, blicken. Hier zeigt sich die Gestalt eines einsamen Weibes, welches auf dem kleinen kreisförmigen Fußpfade, den seine eignen, ausdauernden Schritte bereits deutlich ausgetreten haben, langsam um den berasten Hügel wandert, welcher das Grab des Häuptlings bezeichnet.

Eine Zeitlang beschreibt sie ihren engen Kreis mit einer mechanischen Regelmäßigkeit, als, ob sich jenseits dieses schmalen Raumes eine Schranke erhebe, die sie für immer verhindere, den Fuß auf die Erde darüber hinauszusetzen. Endlich bleibt sie auf der dem Pförtchen nächsten Stelle stehen, macht einige Schritte auf dasselbe zu, geht dann wieder zurück und beginnt ihren einförmigen Gang von Neuem, worauf sie, ihre Runde wieder unterbrechend, sich endlich von den Umgebungen des Grabes losreißt, durch die Thür geht, und dem Pfade nach der Landstraße folgend, sich langsam nach den östlichen Grenzen des gothischen Lagers begibt. Der starre, gespenstische unweibliche Ausdruck ihrer Züge bezeichnet sie als dasselbe Weib, welches wir jüngst als die Meuchlerin in dem Bauernhause erblickt haben; außer dem aber ist sie kaum wieder zu erkennen. Ihr sonst kräftiger, aufrechter Körper ist gebeugt und hager, ihr Haar flattert in verwirrten weißen Locken um ihr runzelvolles Gesicht. Alle rauhe Majestät ihrer Gestalt ist verschwunden, nichts bewiese, daß es noch Goiswintha ist, die den Schauplatz ihres Verbrechens heimsucht, wenn nicht der ingrimmige Ausdruck auf ihrem Gesichte zeigte, daß das böse Herz im Innern in seinem Durst nach Vernichtung und Rache noch nicht nachgelassen hat.

Seit der Zeit, wo wir sie zum letzten mal erblickten, als sie in der Gefangenschaft der Hunnen von der Leiche ihres Verwandten fortgeführt wurde, war das Bauernhaus beständig das Ziel ihrer Wanderungen aus dem Lager, die erwählte Zufluchtsstätte gewesen, wo sie einsam über ihren rachsüchtigen Wünschen brütete.

Alarich hatte es für zu kleinlich gehalten, ein Weib, welches er für wahnsinnig hielt, die weder für das Heer, noch für ihn persönlich von Bedeutung war, wegen einer Abwesenheit von den Zelten der Gothen zu bestrafen, und sie unmuthig entlassen, als sie vor ihn geführt wurde. Die Soldaten, die zurückgekehrt waren, um die Leiche ihres Häuptlings im Garten des Bauernhauses zu begraben, fanden Mittel, sie insgeheim von der Liebesthat zu benachrichtigen, welche sie auf ihre eigne Gefahr ausgeführt hatten, über dies hinaus aber blieb Keiner von ihren früheren Gefährten weiter mit ihr im Verkehr.

Alle ihre Handlungen unterstützten den schnell gefaßten Glauben Jener, daß ihr Geist in Verwirrung gerathen sei und Andere vermieden sie, wie sie Jene vermied. Man stellte ihr täglich ihre Nahrung an einen gewissen Ort im Lager, wie einem Thiere, welches zu wild ist, um von der Hand des Menschen gepflegt zu werden, und zu gewissen Perioden kehrte sie heimlich von ihren Wanderungen zurück, um es zu holen. Ihr Obdach für die Nacht war nicht das Obdach ihres Volkes vor den Mauern, ihre Gedanken waren nicht Jener Gedanken. Verwittwet, kinderlos, freundlos, die Meuchlerin ihres letzten Verwandten, bewegte sie sich abgesondert in ihrer eignen geheimen Welt der inneren Oede, Einsamkeit und des Verbrechens.

Mit der düsteren einsiedlerischen Existenz, welche sie jetzt führte, hatte aber weder Wahnsinn noch Reue über ihren Antheil an dem Tode Hermanrich’s etwas zu schaffen. Von dem Augenblicke an, wo der junge Krieger seine Achtlosigkeit für die Feindschaft seiner Nation und das seiner Familie widerfahrene Unrecht mit dem Tode gebüßt hatte, dachte sie an ihn nur noch als ein weiteres Opfer, dessen Schmach und Verderben sie an den Römern mit römischen Blut vergelten müsse, und reifte, ihre Rachepläne mit einer finsteren Entschlossenheit, welche Zeit, Einsamkeit und körperliche Schwäche nicht zu stören vermochten.

Sie konnte stundenlang in stiller Nacht oder am hellen Mittag um das Grab des Kriegers schreiten und ihre rachsüchtigen Gedanken nähren, bis eine grimmige Freude über ihren voraussichtlichen Triumph ihre Schritte beschleunigte und ihre spähenden Augen erglänzen ließ. Dann trat sie in das Haus, zog das Messer aus seinem Versteck in ihren Gewändern und strich es langsam auf dem Heerde hin und her, wo sie den Häuptling mit eigener Hand verstümmelt hatte und vor welchem er ohne Beben den Schwertern der Hunnen entgegengetreten war. Zuweilen stand sie, wenn Finsterniß auf die Erde herabgesunken war, wie eine drohende, Unheil verkündende Erscheinung auf dem Grabe selbst und sang stöhnend in den stöhnenden Wind Bruchstücke von alten nordischen Legenden, deren Inhalt stets von Pein und Verbrechen, von Foltern in Kerkerhöhlen und Tod durch das vernichtende Schwert sprach, und vermischte mit ihnen die dunkle Geschichte von dem Gemetzel zu Aquileja, und ihre zornigen Racheschwüre gegen die Bewohner von Rom. Der Fourageur hörte, wenn er auf seinem späten Heimwege nach dem Lager an dem Bauernhause vorüber kam, die rauhen mißtönigen Klänge ihres Gesanges und beschleunigte seinen Schritt. Der dreiste Bauer des platten Landes, der sich unter dem Schleier der Nacht näherte, um aus der Ferne auf das gothische Lager zu blicken, sah, wenn er in die Gegend des Gartens kam, ihre schattenhafte drohende Gestalt und floh erschreckt die unheimliche Stätte. Weder Fremder noch Freund störte ihre schaurige Einsamkeit. Die Gegenwart des Verbrechens und der Grausamkeit verletzte ungestört das Heiligthum welches einst der Zärtlichkeit und Liebe geweiht, einst der Aufenthalt der Schönheit und Jugend gewesen war.

Jetzt ist aber der Garten einsam, der Geist des Bösen ist von dem Grabe geschieden, die Schritte Goiswinthens haben dieselben Pfade nach der Vorstadt betreten, auf welchen der junge Goethe einst so sehnsüchtig dem Asyl seiner Liebe zugeeilt war, und schon erheben sich vor ihren Augen, finster, nahe und verhaßt, die Mauern von Rom. An diesen nutzlosen Bollwerken der gefallenen Stadt wandert sie jetzt hin, wie sie früher schon oft gewandert ist und wartet auf das Oeffnen der lange geschlossenen Thore. Folgen wir ihrem Gange.

Ihre Aufmerksamkeit war jetzt bloß auf die starken Mauern geheftet, während sie langsam an den gothischen Zelten hin nach der Lagerabtheilung am Pincischen Thore schritt. Dort angelangt wurde sie durch eine rund umher herrschende, ungewohnte Bewegung und Verwirrung aus ihrer Apathie geweckt. Sie blickte auf das Zelt Alarich’s und sah vor demselben die abgezehrten, gebeugten Gestalten derjenigen, die sich der Gesandtschaft angeschlossen hatten, und die ihren Urtheilsspruch von dem Anführer der nordischen Heerschaaren erwarteten.

In wenigen Augenblicken erfuhr sie aus den Worten der um diesen Theil des Lagers versammelten Gothen, daß es das Pincische Thor war, welches den bittenden Römern den Ausgang verstattet hatte und daher aller Wahrscheinlichkeit nach auch wieder geöffnet werden würde, um sie in die Stadt zurückzulassen. Mit diesem Gedanken begann sie die Zahl der besiegten Feinde, welche Um das Zelt des Königs versammelt waren, zu berechnen und fügte dann im Geiste diejenigen zu derselben, welche bei der Zusammenkunft im Innern zugegen sein mochten, wobei sie sich mechanisch näher nach dem wüsten Raume vor den Stadtmauern zurückzogen.

Allmälig wendete sie sich der Stadt näher zu. Sie verwirklichte sich einen kühnen Vorsatz, einen Entschluß, den sie während der Tage und Nächte ihrer einsamen Wanderungen längst schon mit sich herumgetragen hatte.

»Die Reihen der Gesandtschaft,« murmelte sie mit tiefem nachdenklichem Tone, »sind dicht gedrängt. Wo ihrer Viele sind, da herrscht Verwirrung und Hast, sie gehen zusammen und kennen ihre eigne Zahl nicht, sie bemerken nicht, ob unter ihnen einer mehr oder weniger ist.«

Sie blieb stehen. Seltsame, düstere Veränderungen der Farbe und des Ausdrucks gingen über ihr gespenstisches Gesicht. Sie zog den blutigen Helmschmuck ihres Gatten, welcher sie seit dem Todestage desselben nie verlassen hatte, aus ihrem Busen, ihr Gesicht erbleichte als sie denselben ansah, mit einem entsetzlichen Ausdrucke der Wuth und Verzweiflung, plötzlich blickte sie wild und trotzig zu der Stadt hinauf, als ob die hohen Mauern vor ihr tödtliche Feinde wären, gegen die sie sich im letzten Kampfe gestellt habe.

»Die Gatten- und Kinderlose wird Dein Blut trinken!« rief sie, indem sie ihre magere Hand gegen Rom ausstreckte, »wenn auch die Heere ihres Volkes ihre Rache für Säcke mit Silber und Gold an Dein Volk verkaufen! Ich habe in meiner Einsamkeit darüber nachgedacht und ein meinen Träumen davon geträumt, ich habe geschworen, daß ich nach Rom gehen, und wenn auch unter Tausenden allein, meine gemordeten Verwandten rächen würde. Seht, jetzt will ich meinen Eid erfüllen! Du blutbefleckte Stadt der Feiglinge und Verräther, der Feinde Schutzloser und Mörder der Schwachen. Du, die Du die Mörder meines Gatten und die Meuchler meiner Kinder nach Aquileja gesendet hast, ich warte nicht länger vor Deinen Mauern. Heute werde ich mich, Alles wagend, unter Deine zurückkehrenden Bürger mischen und mit den Römern in die Thore von Rom dringen! Den Tag über will ich schlau und wachsam in Deinen einsamen Orten liegen, um mich bei Nacht als geheime Dienerin des Todes hervorzuschleichen. Ich will Deinen Jungen und Schwachen an unbewachten Orten auflauern, ich will allein in der Finsterniß der Nacht Deinen Unbeschützten das Leben rauben, ich will Deine Kinder umbringen, wie ihre Väter zu Aquileja die Kinder der Gotben umgebracht haben! Dein Pöbel wird mich entdecken und gegen mich aufstehen, er wird mich in Stücke reißen und meinen zerfleischten Körper auf dem Pflaster der Straße mit Füßen treten, aber es wird geschehen, nachdem ich das Blut, das zu vergießen ich geschworen, unter meinem Messer fliehen gesehen habe. Meine Rache wird vollständig und Qualen und Tod mir Gäste, die ich bewillkommne, und Befreier sein, die ich erwarte.«

Von Neuem hielt sie inne —— der wilde Triumph des Fanatismus auf dem brennenden Scheiterhaufen loderte in ihrem Gesichte auf —— plötzlich fielen ihre Augen wieder auf den befleckten Helmschmuck und ihr Ausdruck wurde verzweifelt und ihre Stimme leise und stöhnend, als sie fortfuhr:

»Ich bin meines Lebens müde, wenn die Rache geübt ist, werde ich aus diesem irdischen Gefängnisse befreit werden —— in der Welt der Schatten werde ich meinen Gatten sehen und meine Kleinen werden sich wieder um meine Knie sammeln. Die Lebenden haben an mir keinen Theil, ich sehne mich nach den Geistern, die in den Hallen der Todten wandeln.«

Einige Minuten lang richtete sie noch ihren Blick thränenlos und stumm auf den Helmschmuck. Bald aber lebte der Einfluß des schlimmen Geistes in aller seiner Stärke wieder auf, sie erhob plötzlich den Kopf, blieb auf einen Augenblick in tiefe Gedanken versunken und begann dann schnell nach der Richtung, aus welcher sie gekommen war, zurückzugeben.

Zuweilen flüsterte sie leise:«Ich muß es thun, ehe mir die Zeit vorübergeht, mein Gesicht muß versteckt und meine Kleider müssen gewechselt werden. Dort in den Häusern muß ich suchen und schnell suchen.«

Zuweilen wiederholte sie ihre Rachedrohungen, ihre Ausrufe des Triumphs über ihren rasenden Vorsatz. Bei der Wiederholung desselben erinnerte sie sich an Antoninen und jetzt verdunkelte ein blutdürstiger Aberglaube ihre Gedanken und verlieh ihren Worten einen unbestimmten träumerischen Charakter.

Wenn sie jetzt sprach, so murmelte sie vor sich hin, daß das Opfer, welches ihr zweimal entgangen war, noch am Leben sein, daß die übernatürlichen Einflüsse, welche die alten Gothen am Tage der Vergeltung oft geleitet hatten, auch sie leiten noch den Streich ihrer Waffe, —— den letzten Streich, ehe sie entdeckt und getödtet werden würde —— mitten in das Herz des Mädchens lenken könnten.

Dergleichen Gedanken erhoben sich wirr und dunkel in schneller Folge in ihrem Innern, mochte sie ihnen aber in Wort und Gebärde Ausdruck geben, oder sie mit Schweigen unterdrücken, so schwankte oder zauderte sie doch nie in ihrem schnellen Gange. Ihre Kräfte waren für Alles gestählt und ihr starker Wille gestattete ihnen keinen Augenblick der Erschlaffung.

Sie gelangte in eine abgelegene Straße der verödeten Vorstadt, blickte sich um, ob sie unbeobachtet sei und trat in eines von den Häusern, die beim Nahen der Belagerer von ihren Bewohnern verlassen worden waren. Sie schritt schnell durch die äußern Hallen, bis sie endlich in eines von den Schlafgemächern gelangte und hier fand sie unter andern beider Flucht zurückgelassenen Besitzthümer den den Vorrath von Kleidern und Wäsche, welche der Eigenthümerin des Zimmers gehört hatte.

Aus diesem wählte sie ein römisches Gewand, einen Obermantel und Sandalen, Alles von der gemeinsten Farbe und Qualität, die sie finden konnte, wickelte diese Dinge auf ihren geringsten Umfang zusammen und verbarg sie unter ihren eigenen Gewändern. Hierauf kehrte sie, Allen, die sie unterwegs antraf, ausweichend, nach dem Zelte des Königs zurück, bog aber, als sie in die Nähe desselben gelangte, vorsichtig nach der Richtung von Rom ab und begab sich in ein auf halbem Wege zwischen der Stadt und dem Lager stehendes verfallenes Gebäude. In diesem Versteck legte sie ihre Verkleidung an und zog den Mantel dicht um ihren Kopf und ihr Gesicht und von diesem Punkte aus beobachtete sie ruhig, wachsam, entschlossen, die Hand an dem Messer unter ihrem Gewande und mit die Namen ihres ermordeten Gatten und ihrer hingeschlachteten Kinder murmelnden Lippen, die Straße nach dem Pincischen Thore.

Dort wollen wir sie auf kurze Zeit verlassen und in das Zelt Alarich’s treten, während noch der Senat vor dem Herrn des Reichs um Gnade und Frieden bittet.

In dem Augenblicke, von welchem wir schreiben, hatte die Gesandtschaft bereits ihre Vermittlungsfähigkeiten erschöpft. Wie es schien, ohne den Anführer der Gothen von seinem ersten mitleidslosen Entschlusse, das Lösegeld von Rom auf die Höhe jedes werthvollen Besitzthums, welches die Stadt enthielt, festzusetzen, abbringen zu können.

In dem großen Zelte war jetzt eine kurze Stille eingetreten. An dem einen Ende desselben standen in eine unregelmäßige Gruppe zusammengedrängt, die erschöpften niedergeschlagenen Mitglieder des Senats mit denjenigen von ihren Begleitern, welchen man verstattet hatte, ihnen vor Alarich zu folgen. An dem andern erblickte man die stattlichen Gestalten des Gothenkönigs und der Krieger, die ihn als Kriegsrath umgaben. Der freie Raum in der Mitte des Zeltes war mit umherverstreuten Waffen bedeckt, die die Vertreter der beiden Nationen von einander trennten und so zufällig, aber doch handgreiflich die grimmige Feindseligkeit versinnbildlichten, welche die Völker des Nordens in früheren Jahren von denen des Südens getrennt hatte und sie noch auf lange Jahre hinaus trennen sollte.

Der Gothenkönig stand etwas vor seinen Kriegern, auf sein großes, schweres Schwert gelehnt da. Sein festes Auge wanderte von einem der niedergeschlagenen Senatoren zum andern und erforschte mit kaltem, grausamem Scharfblick jedes Zeichen- der Entwürdigung welches das Leiden auf ihre äußere Erscheinung geprägt hatte. Ihre beschmutzten Gewänder, ihre bleichen Wangen, ihre zitternden Glieder erfuhren alle der Reihe nach die kaltblütige sarkastische Betrachtung des Eroberers.

So erniedrigt und gedemüthigt sie auch waren, befanden sich unter den Gesandten doch auch Einige, die die ihnen auf diese Weise stumm und vorsätzlich zugefügte Kränkung gerade wegen ihrer Hilflosigkeit um so bitterer fühlten. Sie bewegten sich unbehaglich auf ihren Stellen und flüsterten in leisen bitteren Tönen mit einander. Endlich erhob Einer von ihnen seine niedergeschlagenen Augen und unterbrach die Stille. Der alte Römergeist, welchen lange Jahre der freiwilligen Beschäftigung mit Kleinlichem und der Weichlichkeit noch nicht gänzlich entwürdigt hatte, röthete sein blasses abgezehrtes Gesicht, indem er folgendermaßen sprach:

»Wir haben gebeten, wir haben angeboten, wir haben versprochen —— mehr können Menschen nicht thun! Von unserm Kaiser verlassen und von Pest und Hunger zu Boden gedrückt, bleibt uns jetzt nichts mehr übrig, als unter den Mauern von Rom in nutzlosem Widerstand unterzugehen. Es stand in Alarich’s Macht, durch Mäßigung gegen die Unglücklichen einer berühmten Nation ewigen Ruhm zu erringen, aber er hat es vorgezogen, die Plünderung einer herrlichen Stadt und die Unterjochung eines leidenden Volkes zu versuchen. Wenn aber auch Zerstörung seine Rache sättigt und Plünderung seine Schätze vernichtet, so möge er sich doch erinnern, daß der Tag der Vergeltung kommen wird. Es gibt noch Soldaten im Reiche und Helden, die sie zuversichtlich in die Schlacht führen werden, Wenn auch die Leichen ihrer Landsleute geschlachtet in den Straßen des geplünderten Rom um sie her liegen.«

Ein momentaner Ausdruck des Zornes und der Entrüstung zeigte sich auf Alarich’s Zügen, als er diese kühnen Worte vernahm, wurde aber fast augenblicklich wieder durch ein spöttisches Lächeln ersetzt.

»Wie! Ihr habt noch Soldaten, vor denen der Barbar für seine Eroberungen zittern muß —— wo sind sie? Sind sie auf dem Marsche oder im Hinterhalte oder verstecken sie sich hinter festen Mauern oder haben sie sich auf dem Wege nach dem gothischen Lager verirrt? — Ha, hier ist einer von ihnen!« rief er auf einen geschwächten, waffenlosen Krieger des Senats zutretend, der unter seinem zornigen Blicke erbebte; »kämpfe, Mann!« fuhr er lauter fort, »kämpfe für das kaiserliche Rom, so lange es noch Zeit ist! Du hast Dein Schwert verloren, nimm das meine und sei wieder ein Held!«

Mit rauhem Gelächter, welches von den Kriegern hinter ihm wiederholt wurde, warf er seine schwere Waffe nach dem elenden Gegenstande seiner Sarkasmen. Der Griff schlug schwer an die Brust des Mannes, er schwankte und fiel hilflos zu Boden. Das Gelächter der Gothen verdoppelte sich, jetzt aber stimmte ihr Anführer demselben nicht bei. Sein Auge leuchtete in triumphierendem Spott, als er, auf den niedergestreckten Römer blickend, rief:

»So fällt der Süden unter dem Schwerte des Nordens! So soll sich das Reich vor dem Scepter des Gothen beugen! Sagt, wenn Ihr auf diesen Römer vor uns blickt, ob unsere Beleidigungen nicht gerächt sind? Sie sterben nicht im Kampfe unter unsern Schwertern, sie leben, um unser Mitleid anzuflehen wie Kinder, die sich vor der Ruthe fürchten.«

Er schwieg. Sein massives, edles Gesicht nahm allmälig einen nachdenklichen Ausdruck an. Die Gesandten thaten ein paar Schritte vorwärts —— vielleicht um eine letzte Bitte zu stellen, vielleicht auch um sich in Verzweiflung zu entfernen, aber er winkte ihnen gebieterisch zu schweigen und stehen zu bleiben. Der Durst des Habgierigen nach gegenwärtiger Beute und das hohe Streben des Eroberers nach künftigem Ruhme traten jetzt in seinem Innern in heftigen Conflikt Er schritt aus die Oeffnung des Zeltes zu, schob den Fellvorhang bei Seite und blickte stumm auf Rom hinaus. Die blendende Majestät der Tempel und Paläste der herrlichen Stadt, die sich in den Strahlen der unbewölkten Sonne leuchtend vor ihm erhoben, hielt sein Auge lange gefesselt. Allmälig erfüllten Träume künftiger Herrschaft unter jenen einzig dastehenden Gebäuden, die jetzt bloß sein Wort erwarteten, um verheert und vernichtet zu werden, seine Seele, und retteten die Stadt vor seinem Zorne. Er wendete sich wieder den Gesandten zu und sprach mit erhabener Stimme und einem Blicke wie ein Wesen aus einer höheren Sphäre:

»Wenn der gothische Eroberer in Italien regiert, so sollen die Paläste der frühem Herrscher als Wohnungen für ihn vorhanden sein. Ich werde ein niedrigeres Lösegeld bestimmen, ich werde Rom verschonen.«

Unter den Kriegern hinter ihm erhob sich Gemurr. Ihr Anführer versagte ihnen zum ersten Male die Plünderung und Zerstörung, welche sie begierig erwartet hatten. Als ihre murmelnden Vorstellungen sein Ohr erreichten, heftete Alarich augenblicklich streng seine Augen auf sie, wiederholte in ruhigen, gebietenden Tönen: »Ich werde ein niedrigeres Lösegeld bestimmen, ich werde Rom verschonen!« und blickte forschend in die Gesichter seiner wilden Untergebenen. Ihren Lippen entfiel kein Wort, welches eine andere Ansicht verrathen hätte, in ihren Reihen zeigte sich keine Geberde des Unmuthes, sie bewahrten ein tiefes Schweigen, als der König wieder auf die Gesandten zutrat und fortfuhr:

»Ich setze das Lösegeld der Stadt auf fünftausend Pfund Gold, auf dreißigtausend Pfund Silber ——« hier hielt er plötzlich inne, als denke er weiter über das, was er verlangen solle,nach.

Die Herzen des Senats, die auf einen Augenblick durch Alarich’s unerwartete Verkündigung, daß er seine Forderungen mäßigen wolle, erleichtert worden waren, sanken wieder, als sie an den von ihm verlangten Tribut dachten und sich ihres erschöpften Schatzes erinnerten. Aber es war jetzt keine Zeit mehr, Einwendungen oder Zögerungen zu machen und sie antworteten, obgleich sie nicht wußten, woher sie die Mitte! zur Erfüllung ihres Versprechens nehmen sollten, einstimmig:

»Das Lösegeld soll gezahlt werden.«

Der König blickte sie wie erstaunt an, daß Leute, die er aller Freiheit der Wahl beraubt hatte, es noch wagten, eine solche zu behaupten, indem sie aussprachen, daß sie Bedingungen annähmen, welche sie nicht abzulehnen wagten. Der spöttische Geist belebte sich wieder von Neuem in ihm, als er so auf die hilflose, gedemüthigte Gesandtschaft blickte, und er lachte nochmals, als er, halb zu der stummen Schaar von Kriegern hinter ihm gewendet, fortfuhr:

»Das Gold und Silber sind bloß die ersten Theile des Tributs, meine Leute sollen mit mehr als dem Reichthum des Feindes belohnt werden. Ihr Römer habt unsere rauhen Bärenfelle und schweren Rüstungen verlacht, Ihr sollt uns in Eure Festgewänder kleiden. Ich füge zu dem Gold und Silber Eures Lösegeldes viertausend seidene Gewänder und dreitausend Stücke Purpurtuch. Meine Barbaren sollen nicht mehr Barbaren sein, ich werde Patrizier, Epikuräer, Römer aus ihnen machen!«

Die Mitglieder der unglücklichen Gesandtschaft blickten, als er inne hielt, mit stummer Bitte an die Gnade des triumphierenden Eroberers auf, aber sie sollten nicht so leichten Kaufes von dem Begehren seiner Habgier und Verachtung loskommen.

»Halt!« rief er, »ich will mehr haben —— noch mehr haben! —— Ihr seid ein Volk von Schwelgern —— wir wollen es Euch in Euern Gastmählern gleichthun, wenn wir Euch Eurer Festkleider entledigt haben. Zu dem Gold, dem Silber, der Seide und dem Tuche will ich noch mehr fügen, dreitausend Pfund Pfeffer, Eure kostbare Waare, die mit Eurem üppigen Reichthume in fernen Ländern gekauft ist! — seht zu, daß Ihr dieses Gewicht mit den übrigen Theilen des Lösegeldes bis auf das letzte Korn hierher bringt. Das Fleisch unserer Thiere soll uns gewürzt werden. wie Euch das Fleisch der Euern!« [Pfeffer war eine Lieblingswürze der kostbarsten römischen Speisen. - Gibbon.]

Er wendete sich mit den letzten Worten kurz von den Senatoren ab. Einige neigten mit stummer Resignation die Häupter, Andere Belebte, —— mit der Gedankenlosigkeit von durch das, was sie in der jetzt beendeten Zusammenkunft gesehen und gehört hatten, der Besinnung beraubten Menschen, —— unglücklicher Weise die Erinnerung an die gebrochenen Verträge früherer Jahre von Neuem, und sie fragten mechanisch, in den Ausdrücken der alten Friedensformulare, welche Bürgschaft der Belagerer für die Bezahlung seiner Forderungen verlange.

»Bürgschaft!« rief Alarich heftig, indem er sofort wieder in seine strengere Stimmung versank; »seht dort die künftige Bürgschaft der Gothen für die Treue Roms!« und er warf den Zeltvorhang bei Seite und deutete stolz auf die langen Zeltreihen seines Lagers, die sich um Alles, was von den Mauern der gefallenen Stadt sichtbar war, erstreckten.

Die Gesandten erinnerten sich der Niedermetzelung der Geißeln zu Aquileja und die Umgehungen der Tributzahlungen, welche in früheren Jahren versprochen worden waren, und blickten schweigend Durch die Oeffnung des Zeltes.

»Erinnert Euch an die Bedingungen!« fuhr Alarich mit warnendem Tone fort, »und gedenkt an meine Bürgschaft für die schnelle Zahlung des Lösegeldes! So sollt Ihr noch eine Zeitlang in Sicherheit leben und wieder schmausen und spielen und lustig sein, so lange Euch noch Euer Reich gehört. Geht —— ich habe gesprochen —— es ist genug.«

Er wendete sich ohne ein weiteres Wort von den Senatoren ab und der Vorhang des Zeltes fiel hinter ihnen zu, als sie hinausgingen.

Die Verhandlung war vorüber, das Endurtheil gesprochen und die Zeit gekommen, um hinzugehen und ihm zu gehorchen.

Die Nachricht, daß endlich die Bedingungen des Friedens bestimmt seien, erfüllten die vor dem Zelte wartenden Römer mit einem Entzücken, welches weder durch Erinnerungen an die Vergangenheit, noch durch Ahnungen für die Zukunft vermindert wurde. Durch die sie im Lager umgebenden Gothen, an der Ausführung ihrer verzweifelten Absicht, nach dem platten Lande zu entfliehen, verhindert, von den Thoren, durch welche sie sich vorwitzig gedrängt hatten, von der Rückkehr nach Rom abgeschlossen, in ihrer Hilflosigkeit dem brutalen Hohne des Feindes ausgesetzt, während sie in langer peinlicher Ungewißheit auf den Schluß der gefahrvollen Verhandlung zwischen Alarich und dem Senate warteten, hatten sie den äußersten Gipfel des Leidens erstiegen und sich ohne Ausnahme der Verzweiflung ergeben und die Nachricht von dem abgeschlossenen Vertrage erklang in ihren Ohren also wie ein Versprechen der Erlösung. Unter die keine Ueberlegung verstattende Ekstase ihrer Freude über die Aussicht auf das Ende der Blockade mischte sich keine von den Besorgnissen, die die ungeheure Höhe des geforderten Tributs im Geiste ihrer Vorgesetzten erweckt hatte. Sie erhoben sich mit einem Geschrei der Ungeduld und des Entzückens um nach der Stadt zurückzukehren, aus der sie in Schrecken geflohen waren. Sie schmiegten sich gleich Hunden an die Gesandten und selbst an die wilden Gothen. Bei ihrer Entfernung von Rom hatten sie mechanisch einige Regelmäßigkeit in ihrem Zuge bewahrt, jetzt aber eilten sie ohne Auszeichnung des Platzes oder Disciplin des Marsches dahin und Senatoren, Soldaten und Plebejer waren in einen wirren Haufen zusammengedrängt.

Kein Einziger von ihnen bemerkte in seiner neugeborenen Sicherheit das verfallene Gebäude an der Straße, kein Einziger von ihnen beachtete die dicht umhüllte Gestalt, welche sich aus demselben hervorstahl um sich ihnen anzuschließen und sich bald mit leisem Schritte und bedecktem Gesicht in ihre dichtesten Reihen mischte. Die Aufmerksamkeit der Gesandten wurde noch gänzlich von ihren Ahnungen der Unmöglichkeit, das Lösegeld zusammenzubringen, in Anspruch genommen, die Augen ihrer Begleiter waren nur auf das Pincische Thor geheftet; ihre Ohren standen keinem Tone, als ihren eigenen Ausrufungen des Entzückens offen. Es hätte sich jetzt nicht nur ein verkleideter Fremder, sondern viele ungefragt und unbemerkt ihrem lärmenden Zuge anschließen können.

So traten sie hastig wieder in die Stadt, wo sich Tausende von geschwächten Augen anstrengten, um auf sie zu blicken, und Tausende von aufmerksamen Ohren sogen ihre frohe Nachricht aus dem gothischen Lager ein. Dann hörte man auf allen Seiten die Töne hysterischen Weinens und blödsinnigen Lachens, die leisen Seufzer der Schwachen, die als Opfer ihrer plötzlichen Freude starben und das wirre Durcheinander sprechen der Kräftigen, die alle Noth überlebt hatten und endlich ihre Erlösung vor Augen sahen. Immer noch stumm und ernst zogen die Gesandten jetzt langsam auf ihrem Rückwege nach dem Forum durch die Menge, welche sich zu beiden Seiten vor ihnen öffnete. Feinde, Freunde und Fremde —— Alle, die die schonungslose Hungersnoth bisher in ihren Interessen und Sympathien getrennt hatte, waren jetzt durch die Erwartung baldiger Hilfe gleich einer einzigen Familie verbunden.

Unter der Menge befand sich aber ein Wesen, welches in seinen unenthüllten Empfindungen allein unter den jubelnden Tausenden, die es umgaben, stand. Die Frauen und Kinder, die mit ihren eigenen Gefühlen beschäftigt auch bloß an Goiswinthen vorbeigingen, sahen nicht die begierige wilde Aufmerksamkeit in ihren Augen, welche sie verfolgten, bis sie aus dem Gesichtskreise verschwanden. Innerhalb der Thore wartete die Fremde und Feindin unbemerkt auf das dem Verräther günstige Dunkel der Nacht. Wo sie zuerst gestanden hatte, als sie von der dichten Menge eingeschlossen worden war, da blieb sie auch stehen, als die übrigen langsam weiter gingen und der Raum um sie her frei wurde. Aber unter dieser äußerlichen Ruhe und Stille lauerten die wildesten Leidenschaften, die je gegen die schwachen Schranken des menschlichen Willens gewüthet haben, selbst die starre Fassung Goiswinthens war erschüttert, als sie sich innerhalb der Mauern von Rom erblickte.

Es war kein argwöhnischer Blick auf sie geworfen worden, kein Mitglied der Menge hatte sich ihr genähert, um sie zurückzuweisen, als sie mit den verdachtlosen Bürgern um sie her durch das Thor schritt. Durch die sorglose Sicherheit ihrer Feinde eben so wirksam vor der Entdeckung geschützt, wie durch die List ihrer Verkleidung, stand sie auf den Straßen von Rom, wie sie sich es gelobt hatte, fern von den Heeren ihres Volkes, allein als Bluträcherin da.

Es war kein Traum, keine flüchtig kriegerische Vision. Das Messer befand sich in ihrer Hand, die Straßen dehnten sich vor ihr aus, die lebenden Wesen, welche dieselben erfüllten waren Römer; der Tag neigte sich bereits dem Abend zu, das Nahen ihrer Rache war eben so gewiß, wie das Nahen der Finsterniß, welche dieselbe zur freien Ausübung bringen sollte. Ein wilder Jubel trieb ihr das Blut schneller durch die Adern, während sie an die furchtbaren Pläne des geheimen Mordes und der Rache dachte, die jetzt sie, ein einzelnes Weib der schutzlosen Bevölkerung einer ganzen Stadt in Todfeindschaft gegenüberstellte.

Als ihre Augen langsam über die Menge hinschweiften, als sie an die Zeit dachte, die noch vergehen konnte, ehe sie Entdeckung und Tod —— das Märtyrerthum in der Sache des Blutes, welches sie erwartete und herausforderte, ereilen würde, zitterten ihre Hände unter ihrem Gewande und sie wiederholte flüsternd:

»Gatte, Kinder —— Bruder —— fünf Morde müssen gerächt werden! Gedenke an Aquileja! gedenke an Aquileja!«

Plötzlich hefteten sich, wie sie so von einer Gruppe des nach Hause ziehenden Volkes zur andern blickte, ihre Augen auf einen Gegenstand, sie trat schnell vorwärts, hielt sich dann wieder mit Gewalt zurück und mischte sich unter eine noch dichte Gruppe, indem sie fest fortwährend auf eine Stelle hinstarrte. Sie sah das ihren Händen zweimal —— im Lager und in dem Bauernhause —— entrissene Opfer, auf den Straßen von Rom zum dritten Male in ihrer Gewalt. Die zuletzt erwartete Möglichkeit der Rache war diejenige, welche sich zuerst eingestellt hatte. Ein unbestimmtes drückendes Gefühl von abergläubischer Ehrfurcht vermischte sich mit dem Triumphe ihres Herzens, eine übernatürliche Hand schien sie mit verderblicher Eile über jedes sterbliche Hinderniß hinweg auf den Gipfelpunkt ihrer Rache zu führen.

Sie versteckte sich hinter das Volk, sie beobachtete das Mädchen von dem entferntesten Punkte aus, aber längeres Verbergen war jetzt vergeblich —— ihre Augen hatten einander getroffen. Das Gewand war, als sie plötzlich vorwärts schritt, zurückgefallen und in diesem Augenblicke hatte sie Antonina gesehen.

Numerian der langsam mit seiner Tochter durch die Menge schritt, fühlte, wie ihre Hand die seine fester Umfaßte, und sah ihre Züge plötzlich erstarren. Aber die Veränderung dauerte nur einen Augenblick. Ehe er sprechen konnte, erfaßte sie ihn am Arme und zog ihn mit convulsivischer Energie vorwärts, dann hörte er sie in fast unartikulirtem leisen, athemlosen ihrer gewöhnlichen Stimme unähnlichen Tönen rufen:

»Sie ist dort! dort hinter uns! —— um mich zu tödten, wie sie ihn getödtet hat! —— Nach Hause! nach Hause!«

Schon durch lange Schwäche, natürliche Gebrechlichkeit und das rauhe Drängen der Menge erschöpft, durch Antonina’s Blicke und Bewegungen und die erschreckende Mittheilung von einer unbekannten Gefahr, die ihm in ihrem abgebrochenen Entsetzensrufe kund geworden war, in Verwirrung gesetzt, war Numerians erster Antrieb der, das ihn umgebende Volk um Schutz und Hilfe zu bitten. Selbst wenn er ihnen aber den Gegenstand seines Schreckens unter der bunten Menge aus allen Nationen hätte zeigen können, würde seine Aufforderung unbeantwortet geblieben sein. Von allen Folgen der furchtbaren Entbehrungen, die die Belagerten erlitten hatten, war keine gewöhnlicher als die Art von Verstandesverwirrung, welche so lebhafte Visionen von Gefahren, Feinden und Tod erzeugt, daß diejenigen, welche sie erblicken, gegen die Schöpfung ihres eignen Deliriums um Hilfe flehen. Die Meisten von denjenigen, an, welche Numerian seine Bitte richtete, gingen also vorüber, ohne Notiz davon zu nehmen. Einige sagten ihm nachlässig, er möge sich erinnern, daß jetzt keine Feinde mehr da seien, —— daß die Tage des Friedens herannahten —— und daß eine gute Mahlzeit, die er bald zu genießen erwarten könne, die einzige Hilfe für einen Hungernden wäre.

Zu jener Zeit des Schreckens und der Leiden, die sich jetzt ihrem Ende zuneigte, sah Keiner etwas Ungewöhnliches in der Verwirrung des Vaters und dem Entsetzen des Kindes, sie setzten also ihre schwache Flucht unbeschützt fort und Goiswinthens Schritte folgten ihnen. Sie hatten bereits den Monte Pincio zu ersteigen begonnen,als Antonina plötzlich stehen blieb und zurück blickte. Die Straße unter ihr war noch von vielen Menschen angefüllt, aber ihre Augen drangen, von der Gefahr geschärft, unter dieselben ein und unterschieden schnell das weite Gewand und die hohe Gestalt, welche immer noch in gleicher Entfernung von ihnen war und stehen blieb, wie sie stehen geblieben waren. Auf einen Augenblick schaute das Mädchen mit dem wilden, hilflosen Stieren des Schreckens in das Gesicht ihres Vaters, im nächsten warnte sie aber der geheimnißvolle Instinkt der Selbsterhaltung, welcher mit dem Instinkt der Furcht zugleich existiert —— der das schwächste Thier mit List begabt, um seine Flucht so sicher als möglich zu machen, und an die Stelle der Vernunftreflexion und des Entschlusses tritt, wenn alle diese aus dem Geiste verbannt sind —— vor dem verderblichen Irrthum, der Verfolgerin zu gestatten, ihr bis nach ihrem Hause nachzuspüren.

»Nicht dort! nicht dort!« ächzte sie schwach, als Numerian sie den Abhang hinauf führen wollte. »Sie wird uns sehen, wenn wir in die Thür treten —— durch die Straßen, o Vater, wenn Du retten mich! Auf den Straßen können wir von ihr abkommen —— Die Wachen, das Volk sind dort, —— zurück! —— zurück!«

Numerian bebte, als er den Schrecken in ihren Blicken und Gebärden bemerkte, aber es war vergeblich, sie zu fragen oder ihr Widerstand zu leisten. Nur Gewalt konnte sie zurückhalten —— weder Befehle noch Bitten konnten ihr mehr entlocken als den athemlosen Ausruf:

»Weiter, Vater! weiter, wenn Du mich retten willst!«

Sie war jeder Empfindung außer der Furcht, jeder Anstrengung außer der der Flucht unfähig.

Sich drehend und wendend und stets mit dem gleichen schnellen Schritte vorwärts eilend, gingen sie mechanisch durch die Winkelstraßen, die an das Flußufer führten, immer noch aber folgte die Bluträcherin dem Opfer, beständig wie der Schatten dem Körper, wachsam und unermüdlich wie ein Bluthund auf einer warmen Führt!

Und jetzt hörte selbst der Klang der väterlichen Stimme auf in den Ohren der Tochter vernehmbar zu sein, sie fühlte nicht mehr den Druck seiner Hand, bemerkte selbst seine Gegenwart an ihrer Seite nicht mehr. Endlich blieb sie schwach zusammensinkend, verwirrt wieder stehen und blickte zurück.

Die Straße, welche sie erreicht hatten, war sehr still und öde, nur an ihrem fernsten Ende sah man zwei Sklaven gehen. So lange sie im Gesichtskreise waren, zeigte sich auf der andern Seite kein lebendes Geschöpf, sobald sie sich aber entfernt hatten, schlich ein Schatten über das Pflaster einer Säulenhalle in der Ferne und im nächsten Augenblicke erschien Goiswintha auf der Straße.

Die Sonne brannte grell auf ihre dunkle Gestalt, als sie stehen blieb und einen Augenblick umher spähte. Sie that einen Schritt vorwärts und Antonina sah weiter nichts. Von Neuem wendete sie sich, um ihre hoffnungslose Flucht fortzusetzen und von Neuem bereitete sich ihr Vater, der als die geheimnißvolle Ursache ihres Schreckens nur ein einziges Weib bemerkte, welches ihnen zwar folgte, aber keinen Versuch machte, sie anzuhalten oder auch nur anzureden, an allen übrigen Möglichkeiten, ihre Rettung zu bewirken, verzweifelnd, sie bis ans Ende zu begleiten. Immer vollständiger fesselte der Schrecken jetzt ihre Geisteskräfte, während sie bewußtlos ihren schnellen Weg durch die nach dem Tiber führenden Straßen fortsetzte. Nicht Numerian, —— nicht Rom —— nicht das Tageslicht einer großen Stadt standen vor ihren Augen —— es war der Sturm, die Ermordung, die Nacht in dem Bauernhause, welche sie jetzt wieder durchlebte.

Die schnelle Flucht und die unablässige Verfolgung wurden fortgesetzt, als ob keine je ihr Ende erreichen solle, aber der Schluß des Schauspieles war dessen ungeachtet nahe.

Während des eiligen Durchschreitens der Straßen hatte sich Numerian’s Geist allmälig von seinem ersten Erstaunen und Schrecken erholt und endlich bemerkte er die Nothwendigkeit augenblicklichen entschiedenen Handelns, so lange es noch Zeit war, Antoninen vor dem Sinken unter dem Uebermaße ihrer eignen Furcht zu retten. Wiewohl eine furchtbare unbestimmte Ahnung des Unheils und Todes sein Herz erfüllte, wurde doch sein Entschluß sofort auf jede Gefahr hin, das dunkle Geheimniß naher Gefahr zu durchdringen, welches die Worte und Handlungen seiner Tochter andeuteten, nicht wankend, denn er wurde von dem einzigen Beweggrunde erweckt, der kräftig genug war, um alle Energie seiner früheren Jahre, die noch nicht Durch Leiden und Gebrechlichkeit vernichtet war, neu zu beleben die Erhaltung seines Kindes. In seinen trüben Augen blitzte noch etwas von der früheren Festigkeit und Kraft des unerschrockenen Reformators der Kirche auf, als er jetzt stehen blieb, Antoninen in seine Arme schloß und sie in ihrer Flucht aufhielt.

Sie rang, um zu entrinnen, aber es war schwach und nur auf einen Augenblick. Kraft und Bewußtsein begannen sie zu verlassen. Sie machte keinen Versuch, zurückzublicken, sie fühlte in ihrem Herzen, daß Goiswintha noch hinter ihr sei und wagte die entsetzliche Ueberzeugung nicht mit ihren Augen zu bestätigen. Ihre Lippen bewegten sich, aber sie drückten eine andere, vergebliche Bitte aus.

»Hermanrich, o Hermanrich!« war Alles, was sie jetzt murmelten. Sie waren an die lange Straße gekommen, die am Ufer des Tiber hinlief. Das Volk hatte sich entweder in seine Behausungen zurückgezogen oder sich nach dem Forum begeben, um sich nach der Zeit zu erkundigen, wo das Lösegeld bezahlt werden würde. Außer Goiswinthen war Niemand zu erblicken, als sich Numerian umsah und Jene kam, nachdem sie die leere Straße sorgfältig durchforscht, mit schnelleren Schritten auf sie zu.

Auf einen Augenblick sah sie der Vater fest an, und in diesem Augenblicke war sein Entschluß gefaßt. Eine Treppe zu seinen Füßen führte nach der schmalen Thür eines kleinen Tempels, der das ihm zunächstliegende Gebäude war. Da er nicht wußte, ob nicht Goiswintha bei ihrer unablässigen Verfolgung insgeheim von Genossen unterstützt wurde beschloß er Antoninen wenigstens auf einige Zeit in diese Zufluchtsstätte zu bringen, während er, vor derselben stehend, das Weib nöthigen würde, seine Absicht auszusprechen, wenn es ihm selbst bis dorthin folgte. Im nächsten Moment hatte er mit dem erschöpften Mädchen an seiner Seite die Stufen zu ersteigen begonnen. Oben angelangt führte er es vor sich in die Thüre und blieb an der Schwelle stehen, um sich wieder umzuschauen.

Goiswintha war nirgends zu erblicken.

Numerian ließ sich durch das plötzliche Verschwinden des Weibes nicht zu dem Glauben bewegen, daß sie sich aus der Straße entfernt habe, sondern beharrte auf seinem Entschlusse seine Tochter nach einem Ruheorte zuführen, wo sie sich augenblicklich sicher fühlen und daher am leichtesten wieder ihre Fassung erlangen könne, und zog Antoninen mit sich in den Tempel. Dort verweilte er einen Augenblick, ehe er sich entfernte, um von der Vorhalle aus die Straße zu beobachten.

Das Licht in dem Gebäude war trübe —— es fiel nur durch eine kleine Oeffnung im Dache und durch die schmale Thür ein, wo es durch die äußere Säulenhalle verdunkelt wurde. In dem dämmernden Innern lag ein formloser Haufen von dunkeln, schwer aussehenden Gegenständen aus dem Boden und erhob sich hoch bis fast an die Decke. Von unregelmäßiger Form in seltsamer Unordnung über einander geworfen, zum größten Theile von dunkler Farbe, hier und da aber doch in metallischem Glanze schimmernd, besaß diese Masse von Gegenständen ein geheimnißvolles, unbegrenztes, überraschendes Aussehen. Es war unmöglich, auf den ersten Blick zu entdecken, welcher Art die Gegenstände waren, —— oder zu errathen, zu welchem Zwecke sie auf dem Fußboden eines verlassenen Tempels zusammengehäuft sein konnten. Von dem Augenblicke an, wo sie zuerst Numerians Aufmerksamkeit erregt hatten, wurde er unwillkürlich davon angezogen und ein schwaches, unerklärliches, unbestimmtes, scheinbar grund- und zweckloses Beben des Verdachts schlug emsig an sein Herz.

Er hatte einen Schritt vorwärts gethan, um den verborgenen Raum hinter der zusammengehäuften Masse zu untersuchen, als seinem weiteren Vordringen durch den Anblick eines Mannes, der hinter demselben hervorkam, Einhalt gethan wurde. Der Fremde war in das wallende purpurgesäumte Gewand und die weiße Stirnbinde der heidnischen Priester gekleidet. Ehe der Vater oder die Tochter sprechen, ja selbst ehe sie sich bewegen konnten, um sich zu entfernen, trat er zu ihnen heran, legte Beiden eine Hand auf die Schulter und blickte sie, ohne ein Wort zu reden an.

In dem Augenblicke, wo er sich näherte, erhob Numerian seine Hand, um ihn zurückzustoßen und heftete dabei, als eben ein Lichtstrahl von der Thüre her über das Gesicht des Fremden hinzog, seine Augen auf dasselbe. Sein Arm blieb starr ausgestreckt, sank dann an seiner Seite nieder und der Ausdruck des Schreckens auf dem Gesicht des Kindes spiegelte sich so zu sagen auf dem Gesicht des Vaters ab. Keines von Beiden bewegte sich unter der Hand des Tempelbewohners, als er sie schwer auf Beide legte und Beide standen stumm wie er selbst vor ihm da.



Kapiteltrenner

Kapitel II.
Der Tempel und die Kirche.

Es war Ulpius. Der Heide hatte sich in der Haltung und im Gesicht eben so sehr verändert, wie in seiner Kleidung. Er stand fester und straffer da. Eine bräunliche Farbe hatte sein Gesicht überzogen, seine sonst so eingesunkenen und glanzlosen Augen waren jetzt weit offen und von dem grellen Scheine des Wahnsinns erhellt. Es schien als ob seine Körperkräfte sich neu gestählt hätten, während sich seine Geistesfähigkeiten dem Untergange zuneigten.

Kein Menschenauge hatte je erblickt, durch welche geheimen widerlichen Mittel er die Hungersnoth überlebt, mit welcher Unnatürlichen Kost er die Forderungen des unerbittlichen Hungers befriedigt hatte, aber dort in seinem düsteren Asyle hatte der Wahnsinnige und Auswürfling gelebt und sich bewegt und plötzlich und seltsam gestärkt, nachdem die Bewohner der Stadt alle ihre vereinten Hilfsquellen erschöpft, vergeblich alle ihre vereinten Reichthümer verschwendet hatten und zu Tausenden um ihn her dahin gewelkt und gestorben waren.

Es vergingen mehrere Minuten und immer noch standen ihm Vater und Tochter stumm gegenüber, blickten ihn immer noch mit stieren, unbewegten Augen an. Seine Gegenwart übte auf sie einen lähmenden Zauber. Die bei Antoninen, als sie ihre übel gewählte Zufluchtsstätte betraten, gelähmte Bewegungskraft war jetzt auch bei Numerian unterdrückt, aber bei ihm hatte kein Gedanke an die Feindin auf der Straße in diesem Augenblicke an dem unwiderstehlichen Einflusse Theil, welcher ihn vor dem Feinde im Tempel bewegungslos erhielt. Es war ein Gefühl tieferen Entsetzens, denn jetzt, wo er die häßlichen Züge des Heiden erblickte, wo er das Priestergewand und die Binde, die längst schon durch die feierlichsten Gesetze verboten waren, sah, nahm er nicht nur den Verräther wahr, der so erfolgreich gegen das Glück seines Hauses complottirt hatte, sondern auch den Wahnsinnigen —— den Moralisch-Aussätzigen, der ganzen menschlichen Familie, —— den lebenden Körper und die todte Seele, —— den des göttlichen Lichtes des Lebens, welches der sterbliche Mensch mit den Engeln Gottes theilt, beraubten.

Er hielt Antoninen noch immer fest, aber es geschah vollkommen mechanisch. Allem äußern Anscheine nach war er eben so hilflos, wie sein hilfloses Kind, als Ulpius langsam seine Hand von Beider Schulter nahm, sie trennte, ihre Hände mit seinen kalten knochigen Fingern umschloß und zu sprechen begann.

Seine Stimme war tief und feierlich, aber seine Worte schienen in ihrem harten wechsellosen Tone keine menschliche Empfindung auszudrücken. Seine Augen versanken, statt sich, während er redete zu erhellen, wieder in dumpfe, geistesleere Bewußtlosigkeit. Bei ihm schien die Verbindung zwischen der Rede und der sie begleitenden und erläuternden Thätigkeit des Blickes, welche man bei allen Menschen bemerkt, verloren zu sein. Es war furchtbar, das todtenähnliche Gesicht zu erblicken und in demselben Moment die lebende Stimme zuhören.

»Sieh da, die Frommen kommen in den Tempel!« murmelte der Heide, »die guten Diener der mächtigen Religion versammeln sich auf den Ruf des Priesters. Aus den fernen Provinzen, wo die Feinde der Götter die geheiligten Haine entweihen, versammelt sich das zerstreute Volk des Nachts, um zum Tempel des Serapis zu reisen. Anbetende Tausende knieen in den hohen Vorhallen, während im Innern in der geheimen Halle, wo das Licht dämmerig ist, wo die Luft um die athmenden Götter auf ihren goldenen Fußschemeln bebt, liest der Hohepriester Ulpius die Geschicke der Zukunft, die vor seinem Auge aufgerollt sind, gleich einem Buche.«

Als er schwieg und ohne die Hände seiner Gefangenen loszulassen, dieselben fest anblickte, erglänzten seine Augen von Neuem, drückten aber keine Wiedererkennung des Vaters oder der Tochter aus. Das Delirium seiner Einbildungskraft hatte ihn nach dem Tempel in Alexandrien geführt, die Tage waren aufs Neue erschienen, wo sein Ruhm den Gipfelpunkt erreicht hatte, wo die Christen vor ihm als ihrem grimmigsten Feinde bebten und die Heiden ihn als ihre letzte Hoffnung umgaben.

Die Opfer seines frühem, vergessenen Verraths waren für ihn nur zwei von der Menge der Andächtigen, die durch den Ruf seiner Beredtsamkeit, durch die triumphierende Notorietät seiner Macht, die Anhänger des alten Glaubens zu beschützen, angelockt wurden.

Aber nicht immer gab sich sein Wahnsinn auf diese Weise kund. Es gab Augenblicke, wo er sich bis zu Entsetzen erregender Raserei erhob. Dann bildete er sich ein, daß er wieder die stürmenden Christen von den Mauerzinnen des belagerten Tempels herabschleudere —— in jener längst vergangenen Zeit, wo das Heiligthum des Serapis von dem Bischof von Alexandrien der Zerstörung geweiht worden war. Sein Wuthgeschrei. seine rasenden Verwünschungen des Trotzes waren weithin durch die feierliche Stille des pestgeschlagenen Rom zu hören. Diejenigen, welche während der schrecklichsten Tage der gothischen Blockade verhungert auf dem Steinpflaster vor dem kleinen Tempel niedersanken, wenn sie daran vorüber zu gehen versuchten, boten einige grausige Wirklichkeit des Todes, die die Träume des Wahnsinnigen von Schlacht und Kampf verkörperten. Die das Leben verhauchenden Opfer des Hungers auf der Straße hörten über ihnen seine Stimme, die sie als Christen mit rasenden Flüchen überschüttete, über sie als von seiner Hand gefallene, besiegte Feinde triumphierte und seine eingebildeten Anhänger ermahnte, die eben Erschlagenen auf die Todten unterhalb zu schleudern, bis die Leichen der Tempelbelagerer als Schranken gegen ihre lebenden Kameraden um die Mauern aufgehäuft sein würden. Zuweilen verherrlichte er in seinem Delirium die blutigen Ceremonien des heidnischen Aberglaubens, dann entblößte er seine Arme und schrie laut nach dem Opfer, er beging dunkle, namenlose Abscheulichkeiten, denn auch jetzt lagen die Todten und Sterbenden vor ihm, um die Schatten seiner schlimmen Gedanken zu verkörpern und Pest und Hunger lieferten ihm wie Geschöpfe seines Willens das Opfer für den Altar in die Hände.

Zu anderen Zeiten, wenn der Anfall der Tobsucht vorüber war, und er keuchend in der finstersten Ecke des Tempels lag, nahm sein Wahnsinn eine andere trauernde Form an. Seine Stimme wurde leise und klagend, die Trümmer seines umherschweifenden Gedächtnisses schwammen weit, weit zurück auf dem dunkeln Gewässer der Vergangenheit und seine Zunge sprach Fragmente von Worten und Phrasen aus, die er an den Knieen seines Vaters gemurmelt —— kindische Abschiedswünsche, die er in seiner Mutter Ohr gehaucht —— unschuldige besorgte Fragen, die er an Macrinus den Hohenpriester gerichtet hatte, als er zu Alexandrien in den Dienst der Götter getreten war. Seine jugendlichen Träumereien —— die sanfte Redeweise und die Poesie der Gedanken seiner ersten Jugendtage wurden jetzt durch die unerforschlichen, unwillkürlichen Einflüsse seiner Krankheit in seinen gebrochenen Worten neu belebt, in seinem trostlosen Greisenalter des Wahnsinns und Verbrechens erneuert, in unbewußtem Spotte von seinen Lippen ausgehaucht, während noch der Schaum an ihnen hing und die letzten Blitze der Raserei noch seine Augen erhellten.

Diese unnatürliche Ruhe der Sprache und Lebhaftigkeit der Erinnerung, dieser verrätherische Schein nachdenklicher wehmüthiger Fassung dauerte oft ununterbrochen lange Perioden hindurch fort, aber früher oder später stellte sich die plötzliche Veränderung ein, die trügerische Kette der Gedanken zerriß in einem Augenblicke, das Wort blieb unbeendet, die müden Glieder schnellten krampfhaft zu erneuter Thätigkeit auf, und wie der Traum der Gewaltthätigkeit zurückkehrte, und der Traum des Friedens verschwand, schwelgte der Wahnsinnige von Neuem in seiner Wuth und wanderte, wie ihn seine Visionen führten, in seinem Tempelheiligthume umher und wenn die Nacht am dunkelsten und der Tod in Rom am geschäftigsten war unter den Sterbenden in verödeten Häusern und den Leblosen auf den stummen Straßen herum.

Aber es gab andere spätere Ereignisse seiner Existenz, die sich nie in seinem Innern belebten. Das alte vertraute Bild des Serapis, welches ihn, als er wieder nach Rom kam, in den Tempel gezogen hatte, zehrte in sich und in den mit ihm verknüpften Erinnerungen alles was noch von seinen gelähmten Geisteskräften in Thätigkeit geblieben war, auf. Seine Verrätherei in Numerians Hause, sein Durchbrechen der geborstenen Mauer, seine zermalmende Zurückweisung im Zelte Alarich’s beschäftigte seine umherschweifenden Gedanken auf keinen Augenblick. Die Wolken, welche seinen Geist umschleierten, öffneten sich, um ihm kurze Blicke auf die Mühen und Triumphe seiner frühem Laufbahn zu gewähren, aber sie umhüllten alle späteren Tage seines traurigen Lebens mit undurchdringlicher Finsterniß. Dies war das Wesen, dessen Willen durch ein räthselhaftes Schicksal Vater und Kind jetzt verfallen waren —— dies die einsame hoffnungslose Abscheu erregende Existenz des schlauen, mitleidslosen Verräthers ihrer früheren Tage!

Seit er zu sprechen aufgehört hatte, war der kalte leichenähnliche Druck seiner Hand allmälig stärker geworden und er hatte angefangen, langsam und forschend von einer Seite zur andern zu blicken. Wenn diese Veränderung die nahe Rückkehr seines Tobparoxismus bezeichnet hätte, so würde Numerians und Antoninens Leben im nächsten Augenblicke verloren gewesen sein, aber er verkündete weiter nichts als die Erneuerung der hohen unbestimmten Ideen von Berühmtheit und Erfolg, von priesterlicher Ehre und Einfluß, von dem Glanze und der Herrlichkeit der Götter, welche ihm seine letzten Worte eingegeben hatte. Er machte eine plötzliche Bewegung und zog die Opfer seiner gefährlichen Laune um einige Schritte tiefer in das Innere des Tempels, und führte sie dann dicht zu der hohen Zusammenhäufung von Gegenständen, welche Numerians Augen beim Eintritt in das Gebäude zuerst auf sich gelenkt hatten.

»Kniet nieder und betet an!« rief der Wahnsinnige heftig, indem er seine Hände wieder auf ihre Schultern legte und sie auf den Boden niederdrückte. »Ihr steht vor den Göttern, Ihr befindet Euch vor ihrem Hohenpriester!«

Der Kopf des Mädchens sank vorwärts und sie verbarg ihr Gesicht in den Händen, aber ihr Vater blickte zitternd an der Zusammenhäufung hinaus. Seine Augen hatten sich unmerklich an das Dämmerlicht des Tempels gewöhnt und er sah jetzt die Gegenstände, welche die sich vor ihm erhebende Masse bildeten, deutlicher. Hunderte von Götterbildern aus Gold, Silber und Holz, —— viele aus dem letzteren Material von mehr als Lebensgröße, Thronhimmel, Gewänder, Möbel, Werkzeuge, Alle von altheidnischer Form waren unordentlich durch einander, volle fünfzehn Fuß hoch zusammengehäuft. In dem Aussehen der Masse lag etwas zugleich Abschreckendes und Groteskes. Die monströsen Gestalten der Götzen mit ihren roh geschnitzten Draperien und symbolischen Waffen lagen in der wildesten Verschiedenartigkeit der Stellung da und zeigten die auffallendsten Ungewöhnlichkeiten der Umrisse, besonders in den höheren Theilen der Masse, wo sie offenbar durch die Hand, welche den Haufen zusammengebracht hatte, vom Boden aus hinaufgeworfen worden waren. Die mit den Bildern und dem Hausrath vermengten Draperien waren bald schlangenartig um sie gewickelt, bald hingen sie auf den Boden nieder und bewegten sich langsam und feierlich in den Winden, welche durch die Tempelthür hiereindrangen. Die unregelmäßig in der Masse verstreuten kleineren goldenen und silbernen Gegenstände schimmerten aus derselben hervor wie glühende Augen, während der Haufen selbst an einem solchen Orte im dämmernden Lichte erblickt, wie ein großes, mißgestaltetes Ungeheuer«— die düstere Verkörperung des blutigsten Aberglaubens des Heidenthums, das Erzeugniß feuchter Lüfte und geil wuchernden Ruins, des Schattens und der Finsterniß verfluchter pesthauchender Einsamkeit —— aussah!

Selbst in ihrer Lage besaß die Zusammenhäufung so gut wie in den Gegenständen, aus welchen sie zusammengesetzt war, ein Unheil verkündendes Aussehen, ihre nach dein Gipfel zu breiter werdende Masse hing gegen die Thür hin furchtbar über, es schien als könne eine einzige Hand sie aus ihrem ungewissen Gleichgewichte bringen und sie augenblicklich in einer zusammenhängenden Masse zu Boden stürzen.

Es waren viele mühselige Stunden vorübergegangen und lange geheime Arbeit daraus verwendet worden, um diese schwankende, gespenstische Masse aufzurichten, aber sie war das Werk einer einzigen Hand. Allnächtlich war der Heide in die verlassenen Tempel der umliegenden Straßen gedrungen und hatte sie ihres Inhalts beraubt, um sein Lieblingsheiligthum zu bereichern. Die Entfernung der Statuen von ihren bestimmten Orten, die bei einem Geringern Heiligthumsschändung gewesen sein würde, war in seinen Augen das hohe Privilegium des Hohenpriesters allein. Er hatte schwere Lasten getragen und starke Befestigungsmittel auseinandergerissen und stundenlang durch dieselben finsteren Straßen gekeucht, ohne bei seiner Ausgabe zu verziehen. Er hatte Schätze und Statuen über einander gehäuft, er hatte die Basis dieser kostbaren, geheiligten Masse verstärkt und ihren Gipfel erhöht. Er hatte mit einer Geduld und Ausdauer, die kein Mißlingen, keine Ermüdung zu überwältigen vermochte, diesen neuen babylonischen Thurm, den er sich bis zum Olympus des Tempeldaches zu führen sehnte, ausgebessert und neugebaut, wenn derselbe zerfallen und zusammengestürzt war. Es war der liebste Zweck seiner heidnischen Träume, sich mit unzähligen Gottheiten zu umgeben, so wie unzählige Andächtige zu versammeln, das Heiligthum seiner Wohnung zu einem mächtigen Pantheon, so wie zu einem Punkte der Vereinigung für die verstreuten Gemeinden der heidnischen Welt zu machen. Dies war der grenzenlose Ehrgeiz, in welchem sich sein Wahnsinn zum wüthendsten Fanatismus anschwellte, und als er jetzt neben seinen knieenden Gefangenen aufrecht dastand, blickten seine flammenden Augen mit ehrerbietiger Scheu auf seine Idole, er erhob seine Arme in feierlichem verzückten Triumphe und ergoß an dem barbarischen Altare, welchen seine ununterstützten Kräfte errichtet hatten, in leisen Tönen seine wilden durcheinander gemengten, fragmentarischen Gebete aus.

Welche Wirkung seine verwirrten wilden Ausrufungen auch auf Numerian machen mochten, so blieben sie doch von Antonina unbemerkt, ja selbst ungehört, denn jetzt, wo die Stimme des Wahnsinnigen sich zu einem Flüstern herabsenkte und während sie alle Gegenstände um sich her, vor ihren Augen verbarg, erwachten ihre Sinne zu Tönen im Tempel, die sie noch nie wahrgenommen hatte.

Der schnelle Strom des Tiber bespülte die Grundmauern auf der einen Seite des Gebäudes, in welchem das einschläfernde Rieseln des Wassers mit merkwürdiger Deutlichkeit zu hören war. Außerdem schlug aber noch ein anderer lauterer Ton an das Ohr. An dem Dache des Tempels hingen noch Reihen von kleinen vergoldeten Glöckchen, die ursprünglich theilweise zur Zierde, theilweise aber auch dazu dort angebracht worden waren, um durch das Geräusch, welches sie, wenn sie vom Winde bewegt wurden, machten, die Vögel am Niederlassen auf dem geweihten Gebäude abzuhalten. Die Klänge dieser Glöckchen waren silbern und hoch; bald, wenn der Wind stark war, klangen sie munter und anhaltend zusammen, bald, wenn er sank, waren ihre Töne schwach, einzeln und unregelmäßig und in ihrer reinen metallischen Weichheit fast klagend. Wie sich aber auch ihr Ton unter dem launischen Einflusse des Windes verändern mochte, so schien er doch stets innerhalb des Tempels wunderbar mit dem leisen ewigen Rauschen des Flusses gemischt zu sein, welches selbst die geringsten Pausen in dem angenehmen Läuten der Glöckchen ausfüllte und selbst während derselben seine sanfte monotone Harmonie hörbar werden ließ.

In dieser ungewohnten Combination von Klängen, lag, wenn man sie in dem gewölbten Innern des kleinen Gebäudes vernahm, etwas seltsam Einfaches, Bezauberndes und Geistiges. Je länger man sie anhörte, desto vollkommener verlor der Geist die Erinnerung an ihren eigentlichen Ursprung und bildete sich allmälig immer wildere und wildere Phantasien aus ihnen, bis die Glöckchen mit ihrem leisen Geläute seligen Stimmen eines himmlischen Stromes zu gleichen, leicht auf seinen klaren Wellen dahin getragen zu werden und über die ihnen zumurmelnden Gewässer zu jubeln schienen.

Trotz der Gefahr ihrer Lage und des Schreckens, welcher sie noch sprachlos an den Boden heftete, war auf Antoninen der Eindruck der seltsamen gemischten Musik des Flusses und der Glöckchen, da sie dieselben zum ersten Male hörte, mächtig genug, um alle ihre übrigen Empfindungen in momentaner Verwunderung und Zweifel aufzulösen. Sie zog ihre Hände vom Gesicht und blickte mechanisch nach der Thür als ob sie sich einbilde, daß die Klänge von der Straße kämen.

Eben als sie dorthin blickte, überzog die untergehende Sonne zwischen zweien von den äußeren Säulen, die den Tempel umgaben, hereinfallend, die glatten Fließen vor dem Eingange mit einem hellen Glanze. In dem warmen milden Lichte flog müde ein Schwarm von Insekten umher und ihr schwaches, eintöniges Summen ließ das über allen äußeren Dingen ruhende vollkommene Schweigen eher noch tiefer erscheinen, als daß es dasselbe unterbrochen hätte. Bald aber sollte eine Veränderung in der Ruhe des stillen Ortes eintreten, es war während Antonina noch hinschaute, kaum eine Minute vergangen, als sie über das sonnige Pflaster einen dunkeln Schatten herangleiten sah, denselben Schatten, den sie erblickt hatte, als sie auf ihrer Flucht stehen geblieben war, um sich in der leeren Straße umzusehen. Zuerst wurde er langsam länger und immer länger, dann blieb er stehen, dann entfernte er sich und verschwand eben so allmälig, wie er herangekommen war, und dann war es dem Mädchen als höre sie einen schwachen Ton von Schritten, die sich in dem seitlichen Säulengange, nach dem den Fluß überschauenden Theile des Gebäudes, zurückzogen.

Ein leiser Schreckensschrei rang sich von ihren Lippen, als sie gegen ihren Vater hin zurücksank, aber er blieb unbeachtet. Die Stimme des Heiden hatte in der Zwischenzeit ihren hohlen lauten Ton wieder angenommen, er hatte Numerian vom Boden erhoben, sein starker, kalter Griff, der bis in das Herz des Greises zu dringen schien und ihn wie mit einem bösen Zauber hilf- und bewegungslos festhielt, war an seinem Arme ——

»Hört es! »Hört es!« rief der Wahnsinnige, indem er seine freie Hand ausstreckte, als rede er eine große Menschenmenge an. »Ich befördere diesen Mann zu einem Diener des Hohenpriesters! Er ist aus einem fernen Lande nach dem Heiligthume gekommen, er ist vor dem Altare der Götter gelehrig und gehorsam, das Los seines künftigen Lebens ist geworfen, seine Wohnung soll bis zum Tage seines Todes im Tempel sein. Er soll vor mir in weißen Gewändern dienen und das dampfende Rauchfaß schwingen und das Opfer zu meinen Füßen tödten.«

Er hielt inne. Ein düsterer, entsetzlicher Ausdruck trat in seine Augen, als das Wort Opfer über seine Lippen ging. Er murmelte zweifelnd vor sich hin:

»Das Opfer! ist die Stunde des Opfers schon gekommen?« und sah sich nach der Eingangsthüre um.

Die Sonne schien noch hell auf das äußere Steinpflaster, die Insekten kreisten noch langsam in dem milden Lichte, kein Schatten war jetzt sichtbar, man hörte keine fernen Schritte, man vernahm nichts als die frohe Musik des rieselnden Wassers und der läutenden Silberglöckchen. Einige Augenblicke lang schaute der Heide ängstlich nach der Straße hinaus, ohne ein Wort zu sprechen oder einen Muskel zu bewegen. Die Tobwuth war nahe daran, sich seiner wieder zu bemächtigen als der Gedanke an das Opfer durch seinen verdunkelten Geist zuckte, aber das Eintreten derselben verzögerte sich abermals. Er wendete langsam den Kopf nach dem Innern des Tempels.

»Noch scheint die Sonne hell in den äußeren Höfen,« murmelte er leise; »noch ist die Stunde des Opfers nicht erschienen! komm!« fuhr er lauter fort, indem er Numerians Arm schüttelte; »es ist Zeit, daß der Diener des Tempels die Opferstätte erblickt und vor Sonnenuntergang das Opfermesser schärft! Steh auf Sklave und folge mir!«

Bis jetzt hatte Numerian weder gesprochen noch einen Fluchtversuch gemacht. Die bisherigen Ereignisse waren, wiewohl es eine Zeitlang gedauert hat, sie zu beschreiben, in einer so kurzen Periode vorübergegangen, daß er sich noch nicht von dem ersten betäubenden Schrecken der Begegnung mit dem Heiden hatte erholen können. Jetzt aber fühlte er trotz seiner Verschüchterung, daß der Augenblick des Ringens um Freiheit gekommen war.

»Laß mich los! Wir wollen gehen! —— zwischen uns kann keine Gemeinschaft mehr existieren!« rief er mit dem rücksichtslosen Muthe der Verzweiflung, indem er Antoninens Hand ergriff und sich von dem Wahnsinnigen loszumachen rang. Die Anstrengung war aber vergeblich —— Ulpius hielt ihn nur um so fester und lachte triumphierend.

»Was!« rief er, »der Diener des Tempels ist vor dem Hohenpriester in Schrecken! und fürchtet sich an der Opferstätte zu wandeln? Fürchte nichts, Sklav!

Der Mächtige, der über Leben und Tod und Zeit und Zukunft herrscht, ist freundlich gegen den Diener seiner Wahl! Vorwärts! vorwärts! nach dem Orte der Finsterniß und des Todes, wo ich allein allmächtig bin und alle anderen Geschöpfe, die zittern und gehorchen! An Deine Aufgabe Schüler! Mit Sonnenuntergang muß das Opfer gekrönt sein!«

Er blickte auf Numerian, als er sich anschickte ihn vorwärts zu ziehen und ihre Augen begegneten einander. In seiner stolz gebietenden Gebärde und dem wilden Triumph seines Blickes sah der Vater nur in noch phantastischerer Form denselben Ausdruck und dieselbe Stellung wiederholt, welche er am Morgen, wo er sein Kind verloren, an dem Heiden erblickt hatte. Alle Umstände jener Unglücksstunde, das leere Schlafgemach, die verbannte Tochter, —— der Triumph des Verräthers —— die Qual des Verrathenen stürmten auf seinen Geist herein und erhoben sich vor seinen Augen mit den lebhaften Farben eines Gemäldes; er rang nicht weiter, seine geistigen und körperlichen Widerstandskräfte waren gleich zermalmt. Er machte einen Versuch Antoninen von sich zu stoßen, als wollte er, des verborgenen Feindes außerhalb vergessend, sie zur Flucht durch die offene Thür anspornen, so lange noch die Aufmerksamkeit des Wahnsinnigen nicht auf sie gelenkt war. Außer dieser letzten Anstrengung des starken Instinktes der Vaterliebe schien aber jeder andere Gedanke in ihm erstorben zu sein.

Umsonst hatte er sich bemüht, das Kind von dem Schicksale zu befreien. welches dem Vater bevorstehen mochte —— für sie war die Furcht vor dem dunkeln Schatten auf dem Pflaster stärker als alle übrigen Besorgnisse. Sie schmiegte sich jetzt noch dichter an ihren Vater und hielt seine Hand noch fester. Als der Heide also in das Innere des Tempels schritt, war es nicht bloß Numerian, der ihm nach der Opferstätte folgte, sondern auch Antonina.

Sie begaben sich hinter die aufgehäuften Götterbilder. Auf der Rückseite der Masse zeigte sich eine hohe Zwischenwand von vergoldetem und eingelegtem Holze, die bis zur Decke hinaufreichte und den äußern Raum des Tempels von dem inneren trennte. Eine niedrige Oeffnung, die durch geschnitzte Thüren gleich denen auf der Vorderseite des Gebäudes geschützt wurde, war in der Abtheilungswand angebracht, durch diese trat jetzt Ulpins mit seinem Gefangenen in den Raum jenseits derselben.

Dieses Gemach war bedeutend kleiner als die erste Halle des Tempels, welche sie so eben verlassen hatten. Die Decke wie der Boden gingen schief hinab und hier war das Rieseln der Tiberwellen ihnen deutlicher hörbar als in der äußeren Abtheilung des Gebäudes. In dem Augenblicke, wo sie hineintraten, war der Ort sehr finster, der Haufen von Götterbildern fing sogar das wenige Licht auf, welches durch den schmalen Eingang hätte fallen können, aber die dichte Finsterniß wurde bald zerstreut. Ulpins zog Numerian hinter sich nach der linken Seite der Abtheilung, er warf eine Art von hölzernen Laden zurück und augenblicklich strömte ein blendender Lichtstrahl durch eine kleine in diesem Theile des Tempels angebrachte kreisförmige Oeffnung.

Jetzt wurde am untern Ende des Gemachs eine weit aufklaffende Höhlung in der Mauer sichtbar, die hoch genug war, um einen Menschen aufrecht einzulassen, die aber fast perpendikular zu einer unteren Räumlichkeit hinabführte, welche man nicht zu sehen vermochte, da kein Licht von diesem steilen, künstlichen Abgrund heraufkam, in dessen Dunkelheit sich das Auge verlor, nachdem es auf einige Fuß von der Oeffnung eingedrungen war.

Am Fuße des so sichtbar gewordenen Raumes sah man den Anfang einer Treppe, welche offenbar tief in die Höhlung hinabführte. Auf den steil abfallenden Wänden, die sie von allen Seiten umgrenzten, waren in den glänzenden Farben der alten Fresken Darstellungen der Gottheiten der Mythologie gemalt. Sie befanden sich alle in Stellungen, als ob sie in die Höhlung hinabstiegen und Allen folgten Nymphengestalten mit Blumenguirlanden in den Händen, schöne Vögel und andere ähnliche Bestandtheile der Opferceremonien des Heidenthums. Der abstoßende Contrast zwischen den glänzenden und graziösen Gestalten der Fresken und dem gefährlichen, düsteren Aussehen der Höhle, welche sie zierten, erhöhte die entsetzliche Bedeutsamkeit des Charakters des ganzen Gebäudes auf das Merkwürdigste. Seine frühere sündige Anwendung schien unverlöschlich auf jedem Theile davon eingeschrieben zu sein, wie vergangene Verbrechen und Qualen unverwischbar auf dem menschlichen Antlitz verzeichnet bleiben, der Geist sog davon Schrecken erregende Ideen von tödtlichem Verrath, von geheimen Abscheulichkeiten, von furchtbaren Verfeinerungen der Tortur, die kein uneingeweihtes Auge je erblickt hatte und denen Widerstand zu leisten, keine menschliche Entschlossenheit je kräftig genug gewesen war.

Aber die so empfangenen Eindrücke wurden nicht bloß durch das, was man in der Höhle und um dieselbe erblickte, sondern auch durch das, was die Ohren dort vernahmen, hervorgebracht. Der Wind drang in einiger Entfernung und durch eine Oeffnung, welche nicht zu sehen war, herein und wurde, wie es schien auf seinem Wege aufgefangen, denn er pfiff in schrillen langgezogenen Tönen nach dem Eingange des Schlundes herauf, zuweilen brachte er aber auch einen andern und noch näheren Ton hervor, der dem Klirren von einer Menge kleiner, heftig gegen einander schlagender, metallischer Substanzen glich. Das Geräusch des Windes, sowie das Rauschen des Tiber schienen aus einer größeren Entfernung zu kommen, als mit dem geringen Umfange des hinteren Tempeltheiles und der Nähe des Flusses an seinen niedrigen Grundmauern verträglich war. Offenbar erreichte die Höhlung erst dann ihren Ausgang, nachdem sie rückwärts unter dem Gebäude in seltsam verwickelten Gängen oder Kellerlabyrinthen hingegangen war, die in alten Zeiten als Kerker für Lebende- oder Gräber für Tode erbaut sein mochten.

»Die Opferstätte —— aha! die Opferstätte! rief der Heide triumphierend, als er Numerian an den Eingang der Höhle zog und feierlich in das Dunkel hinab deutete.

Der Vater blickte in den finsteren Schlund hinab, ohne sich jetzt weiter zu Antoninen umzuwenden, ohne sich zu bewegen, um den Freiheitskampf zu erneuern. Die irdischen Neigungen und Hoffnungen beginnen in seinem Herzen zu verbleichen —— er betete. Die feierlichen Worte der christlichen Gottesanrufung fielen in leisen murmelnden Tönen am Orte des Götzendienstes und Blutvergießens von seinen Lippen und mischten sich mit den unzusammenhängenden Ausrufungen des Wahnsinnigen, der ihn gefangen hielt und jetzt seine glimmenden Augen auf die Höhlung heftete und in dem düsteren fesselndem Zauber, welchen sie selbst auf ihn übte, beinahe die Gefangenen, die er noch an ihrer Mündung festhielt, vergaß.

Der einzige Lichtstrahl, den die kreisförmige Oeffnung in der Mauer hereinließ, fiel wild und phantastisch auf die sehr verschiedenen Gestalten der Drei, als dieselben so vereint vor dem unter ihnen aufgähnenden Abgrunde standen. Rund um sie her lag Alles im Schatten. An dem Orte des Unheils herrschte kein Licht, als der eine helle Strahl, welcher auf die gespenstische Gestalt des Ulpius, der noch in die Dunkelheit hinab deutete, auf die starren Züge Numerian’s der in der Bitterkeit der Todeserwartung betete, und über die zarte jugendliche Gestalt Antoninens hereinströmte die sich zitternd an ihren Vater schmiegte. Es war ein feierliches Schauspiel, an welchem die Erde keinen Theil zu haben schien.

Unterdessen zeigte sich der Schatten, welchen das Mädchen auf dem Pflaster vor der Tempelthür bemerkt hatte, dort wieder von Neuem, aber nicht um sich zurückzuziehen, wie das erste Mal, denn im Augenblicke darauf trat Goiswintha leise in das äußere Gemach des Gebäudes, welches die ersten Eingetretenen verlassen hatten. Sie schlich um die Aufhäufung von Götzens bildern, blickte in den inneren Raum des Tempels und sah die drei Gestalten dort in dem Lichtstrahle düster und bewegungslos vor der Mündung des Abgrundes stehen. Ihr erster Blick heftete sich auf den Heiden, dem sie instinkmäßig mißtraute und ihn fürchtete und dessen Zweck bei der Gefangenhaltung des Vaters und der Tochter sie nicht zu errathen vermochte. Der zweite fiel auf Antoninen.

Die Stellung des Mädchens war eine geschützte. Noch immer ihres Vaters Hand haltend, war sie theilweise durch seinen Körper gedeckt und stand, ohne es zu bemerken, unter dem Arme des Heiden, den derselbe erhoben hatte, um Numerians Schulter zu erfassen. Goiswintha bemerkte dies, erinnerte sich daran, daß Antonina ihr schon zweimal entgangen war, sie zauderte einen Augenblick und begann darauf mit vorsichtigem Schritte und gerunzelter Stirn wieder nach der Eingangsthür des Tempels sich zurückzuziehen.

»Noch nicht —— die Zeit ist noch nicht gekommen!« murmelte sie, als sie sich wieder in ihren frühem Versteck begab, »sie stehen, wo das Licht auf ihnen ruht —— das Mädchen ist bewacht und geschützt —— die beiden Männer sind noch neben ihr. Der Augenblick der That ist noch nicht gekommen —— der Streich des Messers muß sicher und fest sein! Fest, denn diesmal muß sie von meiner Hand sterben! —— sicher, denn ich habe außer der Rache an ihr noch andere zu üben! Ich, die ich seit der Nacht, wo ich von Aquileja entrann, geduldig und schlau gewesen bin, will geduldig und schlau bleiben. Wenn sie über die Schwelle tritt, so tödte ich sie im Herausgehen, wenn sie im Tempel bleibt ——«

Bei dem letzten Worte hielt Goiswintha inne und blickte nach oben. —— Die untergehende Sonne warf ihren feurigen Glanz auf ihr hageres Gesicht und ihr Auge strahlte wild in dem vollen Lichte.

»Die Dunkelheit ist nahe!« fuhr sie fort, »in den finsteren Hallen des Tempels wird die Nacht dicht und schwarz sein, ich werde sie sehen, während sie mich nicht erblicken soll! —— Die Dunkelheit naht, die Rache ist sicher! Sie preßte die Lippen auf einander, hüllte sieh enger in ihr Gewand und fuhr fort zu wachen und zu warten, wie sie bisher entschlossen gewacht und gewartet hatte.

Der Römer und die Gothin, die Gegensätze im Geschlecht, in der Nation und dem Schicksal —— der Wahnsinnige, der im Tempel von dem blutigen Aberglauben des Heidenthums träumte, und die Mörderin, die außerhalb über den Aussichten auf Blutvergießen brüte, waren jetzt zu einer von Beiden umgekehrten, geheimnißvollen Gleichheit der Erwartung verbunden —— die Stunde, wo die Sonne vom Himmel verschwand, war für Beide die Stunde des Opfers.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Im Gange der Ereignisse ist jetzt eine momentane Pause eingetreten. Später zu erzählende Vorfälle machen es nöthig, den Zwischenraum zu benutzen, um den Leser mit der eigentlichen Natur und dem Zwecke der Höhlung in der Tempelwand, deren äußeres Aussehen wir bereits beschrieben haben, bekannt zu machen.

Die bezeichnende Eigenthümlichkeit im Gebäude der heidnischen Religion läßt sich am Passendsten mit der bezeichnenden Eigenthümlichkeit mit dem Bau der heidnischen Tempel bezeichnen. Beide waren dazu bestimmt, das Auge nur durch den äußern Effekt anzuziehen, welcher bei beiden die falsche, trügerische Abspiegelung des inneren Wesens war. Im Tempel ließ man dem Volke, wenn es unter dem langen Säulengange anbetete, oder von der Straße aus die hohen Vorhallen erblickte, sich die entsprechende Majestät und Symmetrie des Innern des Gebäudes denken, und gestattet es ihm nicht, zu entdecken, wie sehr es die glänzenden Erwartungen täuschte, welche das Aeußere einzuflößen so sehr geeignet war, wie wenig die dunkeln engen Hallen der Idole die geheimen Gewölbe und düsteren Raume im Stillen die Versprechungen der hohen Treppen, des breiten Pflaster, der massiven, im Sonnenglanze leuchtenden Säulen des Aeußeren erfüllte. So wurde auch in der Religion der Andächtige durch den Glanz von Prozessionen, die Pracht der Augurien, die Poesie des Glaubens angelockt, welcher seine heimathlichen Wälder mit scherzenden Dryaden und die Quellen, aus denen er trank, mit ihren schützenden Najaden bevölkern, der dem Berge und See, der Sonne, dem Monde und den Sternen, allen Dingen um und über ihm ihre phantastische Allegorie oder ihre anmuthige Legende von Schönheit und Liebe verlieh. Ueber dies hinaus ließ man aber seine erste Bekanntschaft mit seiner Religion nicht gehen, hiermit endete seine Einweihung. Man ließ ihn in Unwissenheit über die dunkeln, gefahrvollen Tiefen, welche unter der glatten anziehenden Oberfläche lauerten; man ließ ihn glauben, daß das, was gezeigt wurde, nur das Vorspiel der künftigen Entdeckung der Schönheit, die in den Gebräuchen des Heidenthums verborgen lag, sei; man ließ ihm nicht die erbärmlichen Betrügereien, die abscheulichen Orgien, die widerlichen Beschwörungen, die blutigen, insgeheim ausgeführten Menschenopfer erblicken, die das wahre Wesen der schönen äußern Gestalt bildeten. Der erste Anblick des Tempels täuschte sein Auge nicht weniger, als sein erster Eindruck von der Religion seinen Geist verblendete.

Mit den verborgenen, schuldbefleckter Mysterien des Heidenthums stand die Höhlung, vor welcher sich jetzt Ulpius mit seinen Gefangenen befand, in genauer Verbindung.

Die Menschenopfer, welche bei den Römern gebracht wurden, waren von zwei Arten, öffentliche und geheime. Die ersteren kamen in den frühen Jahren der Republik jährlich vor, wurden später verboten, von Augustus, der seine Kriegsgefangenen am Altare des Julius Cäsar opferte, wieder belebt und dann —— wiewohl unter nachfolgenden Regierungen zu besonderen Zwecken zuweilen erneuert, in der letzten Periode des Kaiserreichs als Theile der Ceremonien des Heidenthums gänzlich aufgegeben.

Die geheimen Opfer, welche mit den Mysterien der Mythologie in Verbindung standen und vor der beaufsichtigenden Regierung verborgen gehalten wurden, blieben weit länger im Gebrauche und dauerten wahrscheinlich bis zum allgemeinen Erlöschen des Heidenthums in Italien und den Provinzen. Es waren eine, Menge von den verschiedenartigsten Behältnissen zur Darbringung menschlicher Opfer in den verschiedenen Theilen des Reiches vorhanden, in den menschenerfüllten Stadien so gut wie in seinen einsamen Wäldern —— und eines von den merkwürdigsten und am längsten bewahrten war die große Höhlung in der Mauer des Tempels, welche Ulpius zu seinem Versteck in Rom gewählt hatte.

Das kellerartige Gewölbe war nicht bloß als versteckter Ort für die Handlung des Opfers und die Leiche des Geopferten erbaut worden. Die Art seiner Konstruktion war durch einen blutigen Kunstgriff verwickelter gemacht worden, indem man in der Höhlung selbst das Werkzeug der Opferung anbrachte, indem man es so zu sagen nicht bloß zum Behälter, sondern auch zum Verschlingen seiner menschlichen Beute machte. Am Fuße der hinableitenden Treppe —— von welcher, wie wir bereits erwähnt haben, nur der obere Theil von dem Eingange im Tempelgemach aus sichtbar war, hatte man die eherne Gestalt eines Drachen angebracht.

Der Körper des Ungeheuers, der der Treppe gegenüber fast im rechten Winkel aus der Mauer hervorragte, wurde nach allen Richtungen hin durch stählerne Federn bewegt, welche mit einer der unteren Stufen und mit einem im Rachen der Gestalt angebrachten Schwerte, welches die Zunge des Drachen darstellte, in Verbindung standen. Die Wände rückten um die Stufen, wenn man sich dem Drachen näherte, so zusammen, daß sie kaum einen menschlichen Körper hindurch ließen. Beim leisesten Drucke auf die Stufe, mit welcher die Feder zusammenhing, schoß der Körper des Ungeheuers vorwärts und das Schwert drang aus seinem Rachen augenblicklich in einer solchen Höhe über den Stufen hervor, daß es die hinabsteigende Person an einer tödtlichen Stelle durchbohren mußte. Die hierauf durch ihre eigene Schwere vom Schwerte herabfallende Leiche stürzte durch eine, röhrenartige Oeffnung unter dem Drachen, die in den Stufen oberhalb entgegengesetzter Richtung hinlief, hinab und gelangte an ein von den Wellen des Tiber, der unter den gewölbten Grundlagen des Tempels hinströmte, bespültes Eisengitter. Zu diesem Gitter gelangte man durch einen geheimen, von der Vorderseite des Gebäudes hinabführenden unterirdischen Gang, in welchem der Opferpriester sich der Leiche bemächtigen, Gewichte daran beseitigen, das Gitter öffnen und sie in den Fluß stürzen konnte, wo sie nie wieder von menschlichen Augen erblickt wurde.

In den Tagen, wo dieses Zerstörungswerkzeug zu dem Zwecke diente, wofür der furchtbare Scharfsinn ihrer Erfinder sie erbaut hatte, waren ihre hauptsächlichsten Opfer junge Mädchen. Mit Blumen bekränzt und in weiße Gewänder gekleidet, wurden sie dadurch verlockt, daß man sie mit reichen Opfergaben versah und ihnen sagte, daß der einzige Zweck, weshalb man sie die Stufen hinab sende der sei, die die Wände zierenden Bilder, welche wir einige Seiten weiter oben beschrieben haben, zu verwirklichen, indem sie ihre Gaben am Altare des Gottes unten, darbrächten.

Zur Zeit, von welcher wir schreiben, war der Drache schon seit vielen Jahren —— seit dem ersten Verbote des Heidenthums nicht mehr mit seiner gewohnten Beute genährt worden. Die seinen Körper bildenden Schuppen verrosteten allmählig und wurden von der Feuchtigkeit locker gemacht und brachten, wenn sie von dem Winde bewegt wurden, der von unten zu ihnen herauf drang, das klirrende Geräusch hervor, welches, wie wir bereits erwähnt haben, von Zeit zu Zeit am Munde der Höhlung hörbar wurde. Da aber die Federn, welche die tödtliche Wirkung der ganzen Maschine verursachten innerhalb derselben und bedeckt angebracht waren, so hatten sie der langsamen Einwirkung der Zeit und Vernachlässigung widerstanden und waren immer noch eben so vollkommen wie sonst geeignet, den tödtlichen Zweck, für welchen sie bestimmt waren, zu erfüllen.

Das endliche Schicksal des ehernen Drachen war das Schicksal der Religion, deren blutigsten Aberglauben er verkörperte, er fiel vor den unwiderstehlichen Fortschritten des Christenthums.

Kurz nach der Zeit unserer Erzählung wurde, da das Innere des Gebäudes, in welchem er sich befand, durch einen später zu erzählenden Vorfall gelitten hatte, das Aeußere abgetragen, um in seinen Säulen Materialien für eine Kirche zu liefern. Die Höhlung in der Mauer wurde von einem Mönche untersucht, der beider Zerstörung anderer heidnischer Tempel zugegen gewesen war und sich erboten hatte, ihren Inhalt zu entdecken. Mit einer Fackel in der einen Hand und einer eisernen Stange in der andern, stieg er die Treppe hinab und sondirte unterwegs die Wände und Stufen vor sich her. Zum ersten und letzten Male drang das Schwert unschädlich aus dem Rachen des Ungeheuers, als der Mönch mit seiner Eisenstange die verderbliche Stufe berührte, ehe er auf dieselbe trat. An demselben Tage noch wurde die Maschine zerschlagen und in den Tiber geschleudert, wohin ihre Opfer in früherer, Zeit geworfen worden waren.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Es sind einige Minuten vergangen, seit wir den Vater und die Tochter neben dem Heiden vor dem Eingange der Höhlung verlassen haben und bis jetzt scheint noch keine Veränderung in der Lage der Drei eingetreten zu sein. Schon aber wird, während Ulpius in die Höhlung zu seinen Füßen hinabblickt, seine Stimme lauter und seine Worte werden vernehmlicher. Grausige Erinnerungen, die mit dem Orte in Verbindung stehen, beginnen sein träges Gedächtnis aufzuregen, die Finsterniß des Vergessens von seinen Gedanken zu heben.

»Sie gehen hier hinab, tief hinab!« rief er, in die Tiefen der Höhlung deutend, »und steigen nie wieder zum Lichte über der Erde auf. Unten wacht der große Vernichter und erblickt ihr Nahen in der Finstersniß! Horch, das Zischen seines Athems gleicht dem Klirren von Waffen in einem tödtlichen Kampfe!«

In diesem Augenblicke bewegte der Wind die lockeren Schuppen des Drachen. Auf einen Moment blieb Ulpius stumm und lauschte dem von ihnen hervorgebrachten Geräusche. Zum ersten Male zeigte sich auf seinem Gesicht ein Ausdruck des Schreckens. Sein Gedächtniß belebte von Neuem dunkel die Umstände seiner Entdeckung der tödtlichen Maschinerie in dem Gewölbe, als er seinen einsamen Aufenthalt im Tempel genommen, als er mit der verworrenen Erinnerung an die mysteriösen Gebrauche und Beschwörungen, die geheimen Opfer, die er in Alexandrien mit angesehen und ausgeführt hatte, erfüllt, den unterirdischen Gang, welcher zu dem eisernen Gitter unterhalb des Drachen führte, gefunden und verfolgt hatte.

Als sich der Wind wieder legte und damit das Klirren des Metalls aufhörte, begann er diesen Erinnerungen in Worten Ausdruck zu verleihen und sie in langsamen feierlichen Tönen vor sich hin zu erzählen.

»Ich habe den Vernichter gesehen. Der Unsichtbare hat sich mir offenbart,« murmelte er. »Ich stand an den eisernen Gittern, die ruhelosen Wellen rangen und kämpften unter meinen Füßen, als ich hinauf in den Ort der, Finsterniß blickte. Eine Stimme rief mir zu: —— Nimm Licht und siehe mich von oben! Nimm Licht! nimm Licht! Sonne, Mond und Sterne gaben dort kein Licht! aber in der Stadt brannten Lampen in den Häusern der Todten, als ich bei nächtlicher Weile an ihnen vorüberging, und die Lampe gab Licht, als Sonne, Mond und Sterne keines gaben!

Von den obersten Stufen blickte ich hinab und sah den Gewaltigen in seinem goldenen Glanze und näherte mich nicht, sondern schaute und lauschte in Furcht. Dann ertönte wieder die Stimme! —— ich vernahm wieder die Worte: Opfere mir insgeheim, wie Deine Brüder opfern! Gib mir die Lebenden, wo die Lebenden sind, und die Todten, wo die Todten! Die Luft kam kalt herauf und die Stimme schwieg, und die Lampe glich Sonne, Mond und Sternen, sie gab kein Licht in der Stätte der Finsterniß.«

Während er noch sprach, klirrten wieder die metallenen Schuppen in der Höhlung, denn der Wind war mit dem vorrückenden Abend stärker geworden.

»Horch! Das Zeichen zum Opfer« rief der Heide plötzlich, gegen Numerian gewendet, »Horch, Sklave, die Lebenden und die Todten sind in unserm Bereich. Der Athem des Unsichtbaren trifft sie auf der Straße und im Hause —— sie schwanken auf den Wegen und fallen auf den Tempelstufen nieder. Wenn die Stunde kommt, so wollen wir hinausgehen und sie suchen. Unter meiner Hand gehen sie in das Gewölbe hinab, gleichviel, ob todt oder lebend, sie fallen hindurch auf das eiserne Gitter, wo das Wasser springt und sich freut, sie zu empfangen. Es ist mein Amt, sie oben zu opfern, und das Deine, sie unten zu erwarten, das Gitter aufzuheben und sie dem Flusse zum Verschlingen zu geben. Die Todten fallen zuerst, die Lebenden, die von dem Vernichter getödtet werden, folgen ihnen!«

Hier hielt er plötzlich inne. Sein Auge siel jetzt zum ersten Mal wieder auf Antoninen, deren Dasein er bisher völlig vergessen zu haben schien. Ein widerliches Lächeln der Schlauheit und Zufriedenheit veränderte augenblicklich den ganzen Charakter seines Gesichts, als er sie ansah und sich dann bedeutsam nach der Höhlung umschaute.

»Hier ist Eine!« flüsterte er Numerian zu, indem er sie am Arme ergriff —— »halte sie fest —— die Stunde ist nahe!«

Numerian hatte während seiner Reden achtlos dagestanden, als er aber Antoninen berührte, war schon die Gebärde genug, um den Vater von Neuem zu, wenn auch hoffnungslosem, Widerstande aufzustacheln. Er schüttelte Ulpius Hand von dem Arme des Mädchens und zog sich mit ihr athe1nlos, wachsam zweifelnd, nach der Seitenwand hinter ihm zurück.

Der Heide lachte mit stolzer Zufriedenheit.

»Mein Sklave gehorcht mir und ergreift die Gefangene —— er erinnert sich, daß die Stunde nahe ist, und läßt sie nicht los. Komm fuhr er fort; »komm hinaus in die Vorhalle! —— Es ist Zeit, daß wir auf noch mehrere Opfer warten, bis die Sonne untergeht. Der Vernichter ist mächtig und muß Gehorsam finden.«

Er ging zu der Thür, welche in den ersten Raum des Tempels führte, und wartete dann auf Numerian, der jetzt zum ersten Male, von Ulpius getrennt, an der Stelle, welche er zuletzt eingenommen hatte, verharrte und sich ängstlich umsah. Es war keine Aussicht des Entrinnens zu erblicken —— die Mündung der Höhle auf der einen Seite und die Thür in der Scheidewand auf der andern, waren die einzigen Ausgänge des Gemaches. Er hatte keine Hoffnung weiter, als die, dem Heiden in die große Halle des Tempels zu folgen, sich sorgfältig von ihm entfernt zu halten und eine Gelegenheit zur Flucht durch die Hauptthür abzuwarten. »Die, als er sie das letzte Mal erblickt hatte, so verödete Straße konnte jetzt mehr Beweise davon, daß sie bewohnt war, gewähren. Es konnten Bürger oder Soldaten. vorbeigehen und in den Tempel gerufen werden —— es konnte Hilfe in der Nähe sein.

Als er mit Antoninen hinaus ging, zogen dergleichen Gedanken schnell durch den Geist des Vaters, ohne in diesem Augenblicke von der Erinnerung an die Fremde, die ihnen vom Pincischen Thore her gefolgt war, oder die Apathie des hungernden Volkes, wenn es zur Hilfe eines Andern aufgefordert wurde, begleitet zu werden. Da der Wahnsinnige sah, daß man ihm folgte, wie er es befohlen hatte, ging er vor ihnen auf die zusammengehäuften Götzenbilder zu; jetzt aber trat eine seltsame, plötzliche Veränderung in seiner Haltung ein. Er war bisher mit dem Schritte eines jungen, kräftigen, entschlossenen Mannes gegangen, jetzt aber schleppte er einen Fuß hinter dem andern so langsam und peinlich her, als ob er eine tödtliche Wunde erhalten hätte. Er schwankte mit größerer Gebrechlichkeit, als sie seinem Alter eigenthümlich war, der Kopf sank ihm auf die Brust und er stöhnte und murmelte unartikuliert in leisem, langgezogenem Winseln.

Er war bis neben die Zusammenhäufung auf halbem Wege nach der Thüre des Tempels gelangt, als Numerian, der mit spähenden Augen die plötzliche Veränderung seines Benehmens beobachtet hatte, die Verstellung vergaß, welche noch von der größten Wichtigkeit sein konnte, sich seinem ersten Antriebe hingab, hastig mit Antoninen vorwärts eilte und den Versuch machte, an dem Heiden vorüber-zueilen und zu entfliehen. In demselben Augenblicke blieb aber Ulpius stehen, taumelte, streckte convulsivisch seine Hände aus, ergriff Numerian am Arme und schwankte mit ihm gegen die Seitenwand des Tempels. Die Finger des gequälten Elenden schlossen sich, als ob sie sich nie wieder öffnen sollten —— schlossen sich wie mit dem letzten starren Griffe eines Ertrinkenden.

Seit vielen Tagen und Nächten hatte er sich unablässig unter der unbarmherzigen Tyrannei seines Wahnsinns abgemüht, seinen Götteraltar höher und höher aufgebaut und an der Opferstätte seine heidnischen Gebete gesprochen, und jetzt, in dem Augenblicke, wo er in seinem grausamen Zwecke am triumphierendsten war, wo sein eingebildeter Sklave und sein eingebildetes Opfer ihm am hilflosesten zu Befehl waren —— jetzt, wo sich seine aufs Aeußerste gespannten Fähigkeiten bis zum höchsten Gipfelpunkte erhoben hatten, bemächtigte sich seiner der lange ausgebliebene Paroxismus, der der Vorläufer seiner Ruhe, seiner einzigen Ruhe war, die ihm sein furchtbares Schicksal gestattete —— einer Veränderung —— der bereits beschriebenen wehmüthigen Veränderung —— in der Form seines Wahnsinns. In den seltenen Zeiträumen, wo er schlief, war sein Schlummer weder Bewußtlosigkeit noch Ruhe, es war eine Anhäufung von häßlichen Träumen —— seine Zunge sprach, seine Glieder bewegten sich, wenn er schlummerte, so gut, wie wenn er wachte. Nur wenn seine Visionen von dem Stolze der Macht, den wüthenden Kämpfen und kühnen Entschlüssen seiner reiferen Jahre, seinen dämmernden, stillen, wachen Träumen von seinen Jugendtagen wichen, ruhten seine müden Geisteskräfte und sein Körper mit ihnen in der bewegungslosen Ermattung völliger Abspannung. Dann, wenn seine Lippen noch Worte murmelten, glichen sie dem Murmeln eines glücklichen Kinderschlafes, denn die unschuldigen Reden seiner Kindheit, welche sie dann neu belebten, schienen auf eine Zeit lang die schuldlose Ruhe seiner Kindheit mit zu bringen.

»Geh! geh! —— fliehe, so lange Du noch kannst!« —— flüsterte Numerian indem er Antoninens Hand los ließ und nach der Thür deutete; aber zum zweiten Male weigerte sich das Mädchen, einen Schritt vorwärts zu thun. Kein Schrecken, keine Gefahr im Tempel vermochte auch nur auf einen Augenblick die Erinnerung an die Nacht im Bauernhause in der Vorstadt zu verbannen. Sie wendete fortwährend den Kopf dem offenen Eingange zu, heftete ihre Augen in der unablässigen Wachsamkeit des Entsetzens auf denselben und flüsterte verstört:

»Goiswintha! Goiswintha!«

Die Finger des Heiden hielten ihn noch starr und todtenähnlich umfaßt, er lehnte an der Wand, als ob das Leben und die Bewegung ihm für immer entflohen seien. Der Paroxismus war vorüber; sein erst vor einem Augenblicke noch verzerrtes Gesicht befand sich jetzt in Ruhe, aber es war eine Ruhe, die man nur mit Scheu anblicken konnte. Thränen flossen langsam aus seinen halbgeschlossenen Augen über seine runzeligen Wangen hinab, Thränen, die nicht der Ausdruck geistiger Pein waren —— denn auf seinen Lippen spielte ein bedeutungsleeres, unveränderliches Lächeln —— sondern der bloße mechanische Ausbruch der physischen Schwäche, welche die so eben vergangene Krisis zurückgelassen hatte. Auf seinen Zügen war nicht die leiseste Spur des Denkens oder der Wahrnehmung zu erblicken, sein Gesicht war das eines Blödsinnigen.

Numerian, der ihn auf einen Augenblick betrachtet hatte, schauderte zusammen und wendete, vor dem sich ihm bietenden Schauspiele zurückbebend, die Augen ab. Es stand ihm jedoch eine noch schwerere Prüfung seiner Festigkeit bevor, die er nicht vermeiden konnte.

In Kurzem wurde die Stimme des Heiden von Neuem hörbar; jetzt aber waren ihre Töne schwach, kläglich, fast kindisch, und die Worte, welche sie aussprachen, ruhige Worte voll Liebe und Sanftmuth, die von solchen Lippen und an einem solchen Orte furchtbar zu hören waren.

Der Tempel und Alles, was sieh darin befand, verschwand aus seinen Augen wie aus seinem Gedächtnisse. Von den furchtbaren übernatürlichen Einwirkungen seiner Krankheit beherrscht, schritt der Wahnsinnige in einem Augenblicke durch das dunkle Thal der Pilgerschaft seines Lebens nach dem lange verlassenen Gebiet seiner Jugendheimath zurück. Während er körperlich als Auswürfling der Vernunft und Menschheit an dem Schauplatze seiner letzten Verbrechen stand, lag er im Geiste in den Armen seiner Mutter, wie er dort gelegen hatte, ehe er nach dem Tempel von Alexandrien gegangen war, und sein Herz sprach mit dem ihren, und seine Augen blickten auf sie, wie sie geblickt hatten, ehe der verderbliche Ehrgeiz seines Vaters Mutter und Kind anf ewig getrennt hatte.

»Mutter! —— komm zurück, Mutter!« flüsterte er! »ich habe nicht geschlafen, ich sah Dich, als Du herein tratest und an meinem Bette saßest und über mir weintest, als Du mir den Kuß gabst. Kommt zurück und bleibe bei mir sitzen; ich gehe fort, weit fort, und werde Deine Stimme vielleicht nie wieder hören! —— Wie glücklich würden wir sein, Mutter, wenn ich immer bei Dir bleiben könnte, aber mein Vater will, daß ich nach dem Tempel in einem andern Lande gehe und dort lebe, um Priester zu werden und seinem Willen muß ich gehorchen. Ich komme vielleicht nie wieder zurück, aber wir werden einander nicht vergessen. Ich werde Deiner Worte gedenken, die Du sprachest, wenn wir glücklich zusammen zu reden pflegten«, und Du wirst Dich meiner erinnern.«

Ulpius hatte kaum die ersten Worte gesprochen, als Antonina plötzlich fühlte, wie der ganze Körper ihres Vaters an ihrer Seite erbebte. Sie lenkte ihr Auge von der Thüre ab, auf welche es bisher geheftet gewesen war, und blickte ihn an. Die Hand des Heiden war von seinem Arme herabgesunken, es stand ihm frei, sich zu entfernen, zu fliehen, wie er sich vor wenigen Minuten noch gesehnt hatte, und doch bewegte er sich nicht. Seine Tochter berührte ihn, redete ihn an, aber er wendete sich weder um, noch antwortete er. Es war nicht bloß das Erstaunen über den plötzlichen Uebergang von der Raserei des Verbrechens zu dem Murmeln der Liebe in der Rede des Heiden —— es war nicht bloß die Ueberraschung, von ihm in seinem Wahnsinn Enthüllungen über sein früheres Leben zu hören, die in den Tagen seiner verrätherischen Dienstbarkeit im Hause auf dem Monte Pincio nie über seine Lippen gekommen waren, die Numerians Inneres so mit heiliger Scheu erfüllte und seinen Gliedern die Bewegung raubte, es lag in Allem, was er hörte, mehr als dies. Diese Worte schienen für immer sein Schicksal bestimmt zu haben. Seine voll auf das Gesicht des Wahnsinnigen gerichteten Augen waren vom Entsetzen weit ausgerissen, seine tiefen, stöhnenden, convulsivischen Athemzüge mischten sich während des darauf folgenden Augenblickes der Stille mit dem Lauten der Glöckchen über ihm und dem Rieseln des Wassers unter ihm der beschwichtigenden Musik des Tempels, die am heitern Schlusse des Tages ihre frohe Abendhymne spielte.

»Wir werden uns daran erinnern, Mutter —— wir werden uns daran erinnern und in unserer Erinnerung glücklich sein!« fuhr Ulpius leise fort. »Mein Bruder, der mich liebt, wird Dich lieben, wenn ich fort bin, Du wirst in meinem kleinen Garten wandeln und an mich denken, wenn Du die Blumen anblickst, die wir in den Abendstunden zusammen gepflanzt und begossen haben, wenn der Himmel herrlich anzuschauen und die Erde um uns her in stiller Ruhe war! Höre, Mutter, und küsse mich! Wenn ich nach dem fernen Lande komme, so werde ich dort einen Garten machen, wie meinen Garten hier, und dieselben Pflanzen pflanzen, die wir hier gepflanzt haben, und des Abends werde ich hinausgehen und ihnen zu der Stunde Wasser geben, wo Du daheim hinausgehst, um meine Blumen zu begießen, und so wird es, wenn wir einander auch nicht wieder sehen, doch eben so gut sein, als ob wir zusammen im Garten arbeiten, wie wir es jetzt thun.«

Das Mädchen heftete immer noch ihren aufmerksamen Blick auf ihren Vater. Seine Augen zeigten noch den gleichen starren Ausdruck des Entsetzens, aber er wischte jetzt mit eigenen Händen mechanisch und wie seiner unbewußt, den Schaum ab, welchen der Paroxismus an den Lippen des Wahnsinnigen zurückgelassen hatte, und unter den Seufzern, die ihm entstehen, konnte sie Worte hören wie: »Gott und Herr! —— Barmherzigkeit! Gott und Herr! Du, der mir ihn so zurückgegeben hast —— so —— schlimmer als todt! —— Gnade! Gnade!«

Das Licht auf dem Steinpflaster der Vorhalle des Tempels wurde sichtlich schwächer —— die Sonne war untergegangen.

Zum dritten Male sprach der Wahnsinnige, aber seine Töne verloren ihre Weichheit, sie wurden klagend, unaussprechlich wehmüthig, seine Träume aus der Vergangenheit veränderten sich bereits:

»Lebe wohl, Bruder, lebe wohl auf Jahre, auf Jahre« rief er; »Du hast mir nicht die Liebe gegeben, die ich Dir gab, nicht an mir lag die Schuld, daß mich unser Vater am meisten liebte und mich ausgewählt hat, um nach dem Tempel gesendet und ein Priester am Altar der Götter zu werden. Nicht an mir lag die Schuld, daß ich nicht an Deinen Lieblingsspielen theilnahm und mich nicht den Gefährten anschloß, die Du aussuchtest —— es war unsers Vaters Wille, daß ich nicht leben sollte, wie Du lebtes und ich gehorchte ihm! Du hast im Zorne mit mir gesprochen und Dich in Geringschätzung von mir abgewendet, aber lebe wohl, Cleander, lebe nochmals wohl in Verzeihung und Liebe!«

Er würde vielleicht noch mehr gesprochen haben, aber seine Stimme wurde von einem langen Schmerzensschrei erstickt, der aus Numerians Lippen drang und mißtönig im Tempel widerhallte, als er mit dem Gesicht nach dem Boden zu den Füßen des Heiden niedersank.

Das dunkle, entsetzliche Geschick hatte sich erfüllt! Der Enthusiast für das Rechte und der Fanatiker für das Unrecht, Derjenige der sich gemüht hatte, die Kirche zu reformieren, und Der, welcher sich gemüht hatte, den Tempel wieder herzustellen, der Herr, der den Diener in seinem Hause aufgenommen und ihm vertraut, und der Diener, der in jenem Hause das Vertrauen des Herrn verrathen hatte, die beiden Charakter, die bisher in dem hohen Widerspruche des Guten und Bösen von einander getrennt gewesen waren, schlugen jetzt in entsetzlicher Berührung zusammen als Brüder, die ihr Leben aus einer Quelle gesogen, die als Kinder unter dem gleichen Dache gelebt hatten! Nicht in der Stunde, wo der gute Christ dem heimathlos in Rom umherwandernden verlassenen Heiden beigestanden hatte, enthüllte sich das Geheimniß, kein zufälliges Wort, welches dasselbe verrathen hätte, wurde ausgesprochen, als der Betrüger den Wohlhäter, den er zu täuschen complottirte, die erlogene Geschichte seines Lebens erzählte oder als am ersten Morgen der Belagerung die Macinationen des Dieners über das Vertrauen des Herrn den Sieg davon trugen —— es war aufgespart geblieben, um in den Worten des Deliriums, in den Greisenjahren des Wahnsinns enthüllt zu werden, wo Derjenige, welchem er es entdeckte, dessen, was er sprach, völlig unbewußt, und seine Augen für das wahre Wesen alles dessen, was er sah, blind geworden waren, wo die irdischen Stimmen, die ihn einst vielleicht zur Reue, zum Erkennen und zur Liebe hätten zurückrufen können, für diese Laute geworden waren, die, keine Bedeutung besaßen, wo durch ein furchtbares, entsetzliches Schicksal die ganze zermalmende Last der Enthüllung auf den Bruder fiel, der für den wahren Glauben gearbeitet hatte, eher von demjenigen getheilt zu werden, der für den falschen gewirkt!

Aber die in der Zeit gesprochenen Urtheile gehen von dem Tribunal jener Ewigkeit aus, auf welche die Geheimnisse des Lebens gerichtet sind und in welcher sie offenbar werden sollen —— sie warten weder auf menschliche Gelegenheiten, noch halten sie sich an die menschliche Gerechtigkeit, sondern sprechen zur Seele in der Sprache der Unsterblichkeit, die in der jetzigen Welt vernommen und in der künftigen ausgelegt wird.

Auf einen Augenblick selbst für die Erinnerung todt, daß Goiswintha noch außerhalb des Tempels auf eine günstige Gelegenheit warten könne, Verzweifelnd ihren Vater rufend und sich vergebens bemühend, ihn vom Boden aufzuheben, entsann sich Antonina in der sie zu Boden beugenden Prüfung des Augenblickes der Enthüllungen aus Numerians früheren Leben nicht, die ihr in den Tagen, wo die Hungersnoth in Rom auf ihrem höchsten Gipfel stand, gemacht worden waren. Der Name Cleander, welchen damals ihr Vater als denjenigen genannt, welchen er abgelegt hatte, als er sich von den Genossen seiner sündigen Wahl getrennt, ging unbeachtet an ihrem Ohr vorüber, als ihn der Heide in seiner Bewußtlosigleit aussprach. Sie erblickte in dem ganzen Auftritte nur eine neue Drohung der Gefahr, eine nene Vision des Schreckens, die Unheil verkündender war, als alle, welche sie bisher wahrgenommen hatte.

So dicht auch die Finsterniß war, mit welcher die beschwichtigenden, unwillkürlichen Erinnerungen an die Vergangenheit die Wahrnehmungskraft des Heiden umhüllt hatten, so schien sie doch der durchdringende Schmerzensschrei des Vaters wie ein plötzlicher Lichtstrahl durchdrungen zu haben. Die halbgeschlossenen Augen des Wahnsinnigen öffnen sich plötzlich und heften sich Anfangs träumerisch auf den Altar der Götzen. Er bewegte seine Hände vor sich hin und her, als theile er die Falten eines schweren Schleiers, welcher seine Sehkraft verdunkeln, aber seine umherschweifenden Gedanken nahmen bis jetzt noch nicht ihre alte Richtung auf die Grausamkeit und das Verbrechen an. Als er wiederum sprach, wurden ihm seine Worte zwar noch von den Träumen aus seinem frühem Leben eingeflößt, jetzt aber von seinem früheren Leben im Tempel von Alexandrien. Seine Ausdrücke waren abgerissener, unzusammenhängender als früher, dessen ungeachtet aber fuhren sie fort, dieselben Beweise der geheimnißvollen instinktmäßigen Lebhaftigkeit der Erinnerung zu entwickeln, welche das Resultat der plötzlicher Veränderung der Natur seines Wahnsinns war.

Seine Reden schweiften immer noch, als ob die Worte absichtslos und seiner unbewußt herauskamen über den Ereignissen seiner jugendlichen Einweihung in den Dienst der Götter hin und verwirrten zwar ihre Reihenfolge, bewahrten aber doch ihr Wesen, wie sie bereits im ersten Buche in der Geschichte seiner Lehrzeit im Tempel erzählt worden sind.

Bald blickte er in seiner Einbildung wieder von dem Gipfel des Serapistempels auf die schimmernde Fläche des Nil und das weit ausgedehnte Land um denselben. Bald schritt er stolz neben seinem Oheim Macrinus, dem Hohenpriester, durch die Straßen von Alexandrien; bald wanderte er bei Nacht in Neugier und Schauern durch die dunkeln Kellergewölbe und unterirdischen Gänge des Heiligthums, bald lauschte er erfreut auf die freundlichen Begrüßungen das ermuthigende Lob des Macrinus bei ihrer ersten Zusammenkunft. Aber bei diesem Punkte und während er auf diesem Anlasse verweilte, verdunkelte sich seine Erinnerung von Neuem, sie bemühte sich vergebens die Umstände wieder zurückzurufen welche das höchste Zeugniß der Theilnahme des Hohenpriesters an seinem Schüler und des Wunsches, ihn völlig mit seinem neuen Beschützer und seinen neuen Pflichten eins zu machen, begleiteten, als er diese Gefühle dadurch kundgegeben hatte, daß er dem zitternden Knaben die Auszeichnung eines seiner eigenen Namen verlieh.

Und hier müssen wir uns des Hauptgliedes in der räthselhaften Kette von Ereignissen erinnern, welche sich verbunden hatte, um die Brüder als Brüder getrennt zu halten, nachdem sie einander als Männer begegnet waren —— daß Beide aus weit verschiedenen Gründen im späteren Leben die Namen abgelegt, welche sie im Vaterhause getragen hatten, daß während der Eine sich durch seine eigene That und zu seinen besonderen Zwecken aus Cleander, dem Genossen der Leichtsinnigen und Verbrecherischen, in Numerian den Prediger des Evangeliums und Reformator der Kirche verwandelt, der Andere durch das ausdrückliche aufmunternde Gebot seines Lehrers Macrinus, des Hohenpriesters, aus dem Knaben Emilius der Schüler Ulpius geworden war.

Während sich der Heide noch fruchtlos bemühte sich die Ereignisse, welche sich auf seine Namensveränderung nach der Ankunft in Alexandrien bezogen, in’s Gedächtniß zurückzurufen und gegen die Wucht der Vergessenheit, welche auf seinen Gedanken lastete, ankämpfend, zum ersten Male bemühte, sich von der Wand zu entfernen, an der er bisher gelehnt hatte, während sich Antonina noch vergebens bestrebte, ihren Vater zur Erinnerung an die furchtbaren Erfordernisse des Augenblicks zurückzurufen und er ausgestreckt zu den Füßen des Heiden dalag —— wurde der Eingang des Tempels von Neuem durch die Gestalt Goiswinthens verdunkelt. Sie stand, eine dunkle unbestimmte Gestalt, in dem schwächer werdenden Lichte auf der Schwelle und blickte spähend in das von tiefen Schatten umhüllte Innere des Gebäudes. Als sie die veränderten Stellungen des Vaters und der Tochter bemerkte, stieß sie einen unterdrückten Ruf des Triumphes aus. Ehe aber noch der Laut ihren Lippen entflohen war, hörte sie ein Geräusch auf der Straße hinter ihr, oder glaubte sie ein solches zu vernehmen. Selbst jetzt wurde sie nicht von ihrer Wachsamkeit und Schlauheit, ihrem tödtlichen berechnenden Entschlusse, mit unerschütterlicher Geduld die gelegene Zeit zu erwarten, um überlegt und ungestraft den Streich führen zu können, verlassen Sie wendete sich augenblicklich zurück, trat auf die oberste Stufe der Tempeltreppe, blieb dort auf einige Augenblicke stehen und schaute wachsam auf dem freien Raume vor ihm umher.

Aber in jenen wenigen Augenblicken hatte sich die Scene im Gebäude abermals verändert.

Während der Wahnsinnige noch zwischen dem Rückfall in die Tobwuth und dem Verharren unter dem Einflusse der ruhigeren Stimmung, in welcher er vorzeitig gestört worden war, schwankte, erblickte er Goiswintha, als ihre Annäherung plötzlich den Eingang des Tempels verdunkelt. So schnell vorübergehend auch ihre Gegenwart war, so gab sie doch für ihn die Anwesenheit einer Gestalt ab, die er noch nicht erblickt hatte, die in einer fremdartigen Stellung zwischen dem Schatten im Innern und dem schwachen Lichte von Außen stand. Es war eine neue Gestalt, die sich seinen Augen bot, während sie sich anstrengten, ihre gewohnte Beobachtungsfähigkeit wieder zu erlangen, und die Macht dieses neuen Anblickes auf ihn war von augenblicklicher allgewaltiger Wirkung.

Er schrak verwirrt auf, wie Einer, der plötzlich aus einem tiefen Schlafe erwacht; auf einen Augenblick lief ein heftiger Schauder durch seinen ganzen Körper, dann spannte sich derselbe wieder in seiner früheren unnatürlichen Kraft an, der Dämon wüthete in seinem Innern mit erneuter Gewalt, als er sein Gewand, das von den zu seinen Füßen liegenden Numerian festgehalten wurde, aus dessen schwacher Hand losriß und auf die über einander gehäuften Idole zuschreitend, seine Hände in feierlicher Entschuldigung ausstreckte.

»Der Hohepriester hat vor dem Altar der Götter geschlafen,« rief er laut; »aber sie haben mit ihrem Geliebten Geduld gehabt; ihr Donner hat ihn nicht für sein Verbrechen getroffen. Jetzt kehrt der Diener zu seinem Dienste zurück —— die Mysterien des Serapis beginnen.«

Numerian lag noch gebrochenen Geistes ausgestreckt da. Er faltete langsam seine Hände, und seine Stimme wurde jetzt vernehmlich, als er in leisen erstickten Tönen nach oben flehte, als ob seine letzte Hoffnung auf Bewahrung seiner eigenen Vernunft in unablässigem Gebete liege.

»Gott, Du bist der Gott der Gnade, sei gnädig gegen ihn!« murmelte er. »Du, der Du die Reue annimmst, gewähre ihm Reue. Wenn ich Dir zu irgend einer Zeit ohne Tadel gedient habe, so rechne ihm den Dienst an, schütte die Gefäße Deines Zornes über mich aus! ——

»Horch, die Trompete bläst zum Opfer!« unterbrach ihn die kreischende Stimme des Heiden, als dieser sich vom Altar abwendete und seine Hände in rasender Inspiration ausstreckte. »Das Rauschen der Musik und die Stimme des Jubels steigen von den höchsten Berggipfeln auf. Der Weihrauch dampft und die Tänzer kreisen unter den Säulen des Tempels und rund um dieselben her! Der Opferstier ist fleckenlos, seine Hörner sind vergoldet, Kranz und Binde schmücken sein Haupt, der Priester steht bis auf den Gürtel nackt vor ihm —— er schüttet die Libation aus dem Becher, das Blut strömt über den Altar! Auf, aus, reißt mit dampfenden Händen das Herz heraus, so lange es noch warm ist. Die Zukunft liegt in den zuckenden Eingeweiden vor Euch, blickt sie an und lest! lest!’«

Während jener Worte war Goiswintha in den Tempel getreten, die Straße war noch einsam, es war keine Hilfe nahe!

Sie schritt nicht sogleich auf Antoninen zu, sondern verbarg sich in die Nähe der Thür hinter einem Vorsprunge des Haufens der Götterbilder und wartete, bis Ulpius sich von Antoninen, vor der er in diesem Augenblicke stand, abwenden würde. Sie war aber nicht unbemerkt eingetreten, Antonina hatte sie wieder erblickt und jetzt kam die Bitterkeit des Todes, wenn Junge unbeschützt in ihrer Jugend sterben, über das Mädchen und sie rief an Numerians Seite knieend mit leiser klagender Stimme:

»Ich muß sterben, Vater, ich muß sterben wie Hermanrich gestorben ist. Siehe auf zu mir und sprich zu mir, ehe ich sterbe.« Ihr Vater betete immer noch, er hörte nichts, denn sein Herz blutete noch zur Sühne am Altar seiner Jugend Heimath, und seine Seele sprach noch mit ihrem Schöpfer. Die Stimme, welche auf die ihre folgte, war die Stimme des Ulpius.

»O schön sind die Gärten um die heiligen Altäre und schön die Bäume, die die glänzenden Heiligthümer beschatten!« rief er entzückt in seinen neuen Visionen. »Sieh, der Morgen steigt herauf, die Geister des Lichts werden mit einem Opfer bewillkommnet. Die Sonne geht hinter dem Berge unter und die Strahlen des Abends zittern unter dem Messer des anbetenden Priesters. Der Mond und die Sterne scheinen hoch oben am Firmamente und die Genien der Nacht werden in den stillen Stunden mit Blut begrüßt.«

Als er innehielt, hörte man wieder die Klage Antoninens, in immer leiser werdenden Tönen:

»Ich muß sterben! Vater, ich muß sterben!« und mit ihr murmelten die stehenden Klänge Numerians.

»Gott der Gnade, erlöse die Hilflose und verzeihe den Bekümmerten! Herr des Gerichts, verfahre mild mit Deinen Dienern, die gesündigt haben! und mit Beiden in widersprechender Verbindung verbreitete die seltsame Musik des Tempels noch immer ihre beschwichtigenden Klänge —— das Rieseln des laufenden Wassers und das leise Lauten der Glöckchen.

»Betet an!«— Kaiser, Armen, Völker! verherrlicht und betet mich an!« schrie der Wahnsinnige in Donnertönen des Triumphes und Befehls, als sein Auge zum ersten Male die zu seinen Füßen ausgestreckte Gestalt Numerians erblickte. »Betet den Halbgott an, der mit den Göttern durch den Menschen unbekannte Sphären zieht. Ich habe das Stöhnen der Unbegrabenen gehört, die an den Ufern des Sees der Todten umherwandeln —— betet an! Ich habe auf den Fluß geblickt, dessen schwarzer Strom in seinem Laufe durch die Höhlen ewiger Nacht braust und brüllt! —— betet an! - Ich habe die Furien von Schlangen auf den runzeligen Hälsen peitschen sehen, und bin ihnen gefolgt, da sie ihre Fackeln über die leidenden Geister schwangen. Ich habe unbewegt in dem Orkanaufruhr der Hölle gestanden —— betet an! betet an! betet an!«

Er wendete sich wieder nach dem Altare der Idole um und forderte seine Götter auf, seine Gottwerdung zu verkünden, und in dem Augenblicke, wo er sich bewegte, sprang Goiswintha vorwärts.

Antonina kniete mit von der Thüre abgewendetem Gesicht da, als sie die Meuchlerin an ihrem langen Haar ergriff und das Messer in ihren Hals stieß. Die stöhnenden Töne des Mädchens, welches sein nahes Schicksal beklagte, schlossen mit einem schwachen Aechzen, es streckte seine Arme aus und fiel vorwärts über den Körper seines Vaters.

Im wilden Triumph des Augenblickes erhob Goiswintha den Arm, um den Stoß zu wiederholen, aber in diesem Moment sah sich der Wahnsinnige um.

»Das Opfer! das Opfer!« schrie er und sprang mit einem Satze wie ein wildes Thier nach ihrer Kehle. Sie stieß, ohne ihn zu treffen, mit den Messer nach ihm, während er seine langen Nägel in ihr Fleisch einschlug und sie rückwärts auf den Boden schleuderte. Dann stieß er ein rasendes Triumphgeschrei aus, stellte seinen Fuß auf ihre Brust und spie die unter ihm Liegende an.

Die Berührung der Leiche des Mädchens, als sie auf ihn niederfiel, der kurze aber furchtbare Tumult des Angriffes, welcher fast über hinwegging —— das schrille betäubende Geschrei des Wahnsinns erweckte Numerian aus seinem Traume verzweifelnder Erinnerung, riß ihn aus seinem stehenden Gebete —— er blickte auf.«

Das Schauspiel, welches seinen Augen begegnete, war eines von denjenigen, welche jede Fähigkeit, außer der des mechanischen Handelns erstickt, vor welcher der Gedanke aus dem Geiste des Menschen verschwindet, das Wort auf seinen Lippen erstirbt, der Ausdruck auf seinem Gesicht gelähmt wird. Der Anblick der entsetzlichen Katastrophe schien Grabeskälte auf Numerians Gestalt zu hauchen, seine Augen waren verglast und geistesleer, seine Lippen geöffnet und starr, selbst die Erinnerung an die Entdeckung seines Bruders schien in seinem Innern verschwunden zu sein, als er sich über seine Tochter herabbeugte und ein abgerissenes Stück ihres Kleides um ihren Hals band. Die seelenlose, gedankenlose, gespenstische Stille des Todes schien sich auf seine Züge geprägt zu haben, als er, ohne sich jetzt seiner Schwäche oder seines Alters zu erinnern, mit ihr in seinen Armen sich erhob, einen Augenblick bewegungslos vor der Thür stand und sich langsam nach Ulpius umsah. Dann ging er mit schweren regelmäßigen Schritten vorwärts. Der Fuß des Heiden stand immer noch auf Goiswinthens Brust, als der Vater an ihm vorüberkam, sein Blick war immer noch auf sie geheftet. Aber sein Triumphgeschrei hatte sich gestillt, er lachte und murmelte unzusammenhängend vor sich hin.

Der Mond erhob sich sanft, hell und ruhig über der stillen Straße, als Numerian mit seiner Tochter in den Armen die Tempeltreppe hinabstieg und nach einer kurzen Pause der Verwirrung und des Zweifels instinktmäßig seinen langsamen Weg auf der verlassenen Straße hin nach Hause einschlug. Bald darauf erblickte er im Mondlichte am Ende der langen Straße eine kleine Gruppe von Menschen, die in einem ruhigen regelmäßigen Zuge auf ihn zuschritten. Als sie näher kamen, sah er, daß Einer von ihnen ein offenes Buch hielt, daß ein Anderer an seiner Seite ein Crucifix trug und daß Andere ihm mit gefalteten Händen und niedergeschlagenen Augen folgten und dann nach einiger Zeit trug ihm der Abendwind die langsam und ehrerbietig gesprochenen Worte zu:

»Wisse denn, daß Gott weniger von Dir verlangt, als Deine Missethat verdient?«

»Kannst Du durch Suchen Gott finden? Kannst Du den Allmächtigen erforschen?«

Jetzt wurde der Wind schwächer und die Worte undeutlich, aber der Zug bewegte sich immer noch vorwärts. Als er näher und näher kam, hörte man wieder deutlich die Stimme des Lesers:

»Wenn Gottlosigkeit in Deiner Hand ist, so wirf sie von Dir, und laß sie nicht! in Deinen Hütten wohnen.«

»Denn dann wirst Du Dein Gesicht ohne Flecken erheben, ja, Du wirst beständig sein und keine Furcht haben.«

»Denn dann wirft Du Deine Noth vergessen und ihrer gedenken wie Flüsse, die verrinnen.«

»Und Dein Alter soll heller sein als der Mittag, Du sollst leuchten, Du sollst sein wie der Morgen.«

Der Leser hielt inne und schloß das Buch, denn jetzt war Numerian auf sie gestoßen und sie sahen ihn stumm im hellen Mondscheine vor sich stehen, wie er seine Tochter in seinen Armen trug und ihr Kopf über seine Schulter herabhing.

Unter denjenigen, welche sich um ihn versammelt hatten, befanden sich Einige, deren Züge er zu einer andern Zeit als die der noch lebenden Mitglieder seiner früheren Gemeinde erkannt haben würde. Die Prozession, welcher er begegnet war, bestand aus den wenigen aufrichtigen Christen in Rom, die sich nach der Veröffentlichung der Nachricht, daß Alarich die Friedensbedingungen bewilligt habe, versammelt hatten, um eine Wallfahrt durch die Stadt anzustellen, und den hoffnungslosen Versuch zu machen, durch Vorlesen aus der Bibel und Ermahnungen das leichtsinnige Volk zu einem Gefühl der Zerknirschung über seine Sünden in frommer, Dankbarkeit für seine nahe Erlösung von den Schrecken der Belagerung zu erwecken.

Jetzt aber, als Numerian vor ihnen stand, ließ er weder durch ein Wort, noch durch einen Blick merken, daß er einen von den ihn Umgebenden kenne. Auf alle an ihn gerichteten Fragen antwortete er durch hastige Bewegungen, welche Niemand begreifen konnte. Alle Versprechungen der Hilfe und des Schutzes, womit ihn seine frühem Anhänger im ersten Ausbruche ihres Kummers und Mitleids überhäuften, erwiderte er nur mit dem gleichen dumpfen gedankenlosen Blicke. Erst als sie ihn von seiner Last befreiten und sich sanft anschickten, das bewußtlose Mädchen nach ihrem Vaterhause zurückzutragen, begann er zu sprechen, und bat sie in schwachen, stehenden Tönen, ihm unterwegs ihre Hand halten zu lassen, damit er der Erste sei, der ihren Puls fühlen könnte —— wenn er sich noch bewegte.

Sie kehrten aus dem Wege, aus welchem sie gekommen waren, zurück, —— es war ein bekümmerter langsamer Zug! Unterwegs öffnete der Leser das heilige Buch von Neuem und dann erhoben sich durch die beschwichtigende himmlische Ruhe »der ersten Nachtstunde die Worte:

»Selig ist der Mensch, den Gott strafet; darum weigere Dich der Züchtigung des Allmächtigen nicht;

»Denn er verletzet und verbindet, er verwundet und seine Hand heilet.«



Kapiteltrenner

Kapitel III.
Die Vergeltung.

Wie im Leben eines Jeden die guten und bösen Leidenschaften, so zu sagen, zu beiden Seiten seines Weges aufgestellt sind, und er ihre Resultate in den Handlungen seiner Mitmenschen betrachten, seine Aufmerksamkeit, während sie noch von dem Schauspiele des Edeln und Tugendhaften angezogen wird, plötzlich durch den entgegengesetzten Anblick des Gemeinen und Verbrecherischen angeregt sieht, so wird auch im Verlaufe dieser Erzählung, welche das Spiegelbild des Lebens sein will, der Leser, der so weit mit uns gegangen ist und jetzt vielleicht geneigt wäre, dem kleinen Zuge andächtiger Christen weiter zu folgen, neben dem bekümmerten Vater hinzuwandern und mit ihm die Hand seines unglücklichen Kindes zu halten, doch den Bedingungen der Geschichte gemäß aufgefordert, aus einige Zeit zu der Betrachtung ihrer dunkleren Stellen der Sünde und des Schreckens zurückzukehren —— er muß wieder den Tempel betreten, aber er wird es zum letzten Male thun.

Die Scene vor dem Altare der Götter schritt schnell ihrem unheilschwangern Gipfelpunkte zu.

Die Raserei des Heiden hatte sich durch ihre eigne Wuth erschöpft, sein Wahnsinn nahm eine ruhigere und gefährlicher Gestalt an, sein Auge wurde schlau und argwöhnisch, in allen seinen Handlungen gab sich eine versteckte Ueberlegtheit und Wachsamkeit kund. Er nahm jetzt langsam seinen Fuß von Goiswinthens Brust und erhob zu gleicher Zeit seine Hände, um sie zurückzuschmettern, wenn sie einen Versuch zum Entfliehen machen sollte. Da er sah, daß sie noch von ihrem Falle bewußtlos dalag, verließ er sie, begab sich nach einer von den Ecken des Tempels, nahm aus ihr einen dort liegenden Strick, kehrte zurück und band ihr die Arme auf den Rücken. Der Strick schnitt tief durch die Haut des Handgelenkes, der Schmerz gab ihr das Bewußtsein wieder, sie litt in ihrem eignen Körper die Pein an derselben Stelle wo sie sie dem jungen Häuptling im Bauernhause jenseits der Vorstadt zugefügt hatte.

In der folgenden Minute fühlte sie, wie sie auf den Boden hin tiefer in das Innere des Gebäudes geschleift wurde. Der Wahnsinnige zog sie zu dem äußern Thore der Scheidewand, befestigte das Ende des Strickes an dasselbe und ließ sie hier allein. Dieser Theil des Tempels war in völlige Finsterniß eingehüllt, ihr Angreifer richtete kein Wort an sie, sie konnte nicht einmal die Umrisse seiner Gestalt erkennen, aber sie hörte ihn immer noch in heiseren, einförmigen Tönen, die bald nahe, bald wieder fern erklangen, vor sich hin lachen.

Sie gab sich verloren —— sie glaubte vorzeitig den Qualen und dem Tode geweiht zu sein, die sie erwartet hatte, bis jetzt aber verminderte sich ihre männliche Entschlossenheit und Energie noch nicht. Gerade die scharfe Pein, welche ihr die Banden an ihren Handgelenken verursachten, erregte eine heftige Körperanstrengung, um ihr Widerstand zu leisten und stählte dadurch ihre eisernen Nerven. Sie schrie weder um Hilfe, noch bat sie den Heiden um Mitleid. Der finstere Fatalismus, welchen sie von ihren wilden Voreltern ererbt hatte, hielt sie in einem selbstmörderischen Stolze aufrecht. Bald wurde das Gelächter, welches Ulpius hören ließ, während er sich langsam im Dunkeln des Tempels hin und her bewegte, von dem Klange ihrer tiefen, ächzenden, aber doch festen Stimme übertönt, als sie ihre letzten Worte sprach, —— Worte, gleich den wilden, stolzen Todesliedern der alten Gothen, wenn sie verlassen auf dem blutigen Schlachtfelde starben oder gebunden, der Viper und Natter zur Beute, in tiefe Kerker geworfen wurden. So sprach sie:

»Ich habe geschworen, mich zu rächen! Als ich fortging von Aquileja mit dem Kinde, das todt und mit dem, das verwundet war, als ich die hohe Mauer bei nächtlicher Zeit erkletterte und das Brausen der Wellen am Strande hörte, wo ich die Todten begrub, als ich in Finsterniß über die nackte Haide und durch den einsamen Wald wanderte, als ich die pfadlosen Seiten des Berges erkletterte und meine Zuflucht in der Höhle am Ufer des dunkeln Sees lag.

»Ich habe geschworen, mich zu rächen! Als die Krieger sich mir auf ihrem Marsche näherten und das Schmettern der Trompeten und das Klirren der Rüstungen in meine Ohren erschallte, als ich meinen Bruder Hermanrich, einen mächtigen Häuptling an der Seite des Königs in dem erobernden Heere begrüßte, als ich mein letztes Kind wie die übrigen todt sah, und wußte, daß es fern von dem Lande seines Volkes und den andern, die die Römer vor ihm erschlagen hatten, begraben werden würde.

»Ich habe geschworen, mich zu rächen! Als das Heer vor Rom lag, und ich mit Hermanrich am nebeligen Abend dastand, und auf die hohen Mauern der Stadt schaute, als die Tochter des Römers eine Gefangene in unserm Zelte war und ich sie betrachtete, wie sie auf meinen Knieen lag, als um ihretwillen mein Bruder ein Verräther wurde und meine Hand vom Streiche zurückhielt, als ich ungesehen in das einsame Bauernhaus ging, um mit meinem Messer sein Urtheil zu erfüllen, als ich ihn zu meinen Füßen den Tod eines Abtrünnigen sterben sah, und wußte, daß es eine Römerin war, die ihn von seinem Volke fortgelockt und gegen die Gerechtigkeit der Rache verblendet hatte.

»Ich habe geschworen mich zu rächen, als ich um das Grab des Häuptlings ging, der der Letzte meines Stammes war, als ich allein von dem Heere meines Volkes in der Stadt der Mörder meiner Kinder stand, als ich den Schritten der Tochter des Römers, die mir zweimal entronnen war, nachspürte, wie sie durch die Straße floh, als ich geduldig unter den Säulen des Tempels wachte und wartete, bis die Sonne untergegangen und das Opfer unbeschirmt und der Augenblick des Todesstreiches gekommen war.

»Ich habe geschworen, mich zu rächen! und mein Eid ist erfüllt —— das noch blutige Messer trieft von ihrem Blute —— die Hauptrache ist geübt! —— Die Uebrigen, die erschlagen werden sollten, bleiben für Andere und nicht für mich! Denn nun gehe ich zu meinem Gatten und meinen Kindern, jetzt naht die Stunde, wo ich in der Donnerwelt der Schatten mit ihren Geistern wohnen und in dem Thale der ewigen Ruhe bei ihnen meine Stätte aufschlagen werde. Die Nornen haben es gewollt —— es ist genug!«

Ihre Stimme bebte und wurde schwach, als sie die letzten Worte sprach —— der Schmerz, der in ihre Handgelenke einschneidenden Stricke überwältigte endlich ihre Besinnung und besiegte trotz allen Widerstandes ihre hartnäckige Standhaftigkeit.

Eine Zeitlang sprach sie noch in Zwischenräumen,, aber ihre Reden waren abgebrochen und unzusammenhängend. In dem einen Augenblicke rühmte sie sich noch, ihrer Rache, in einem andern jubelte sie in der eingebildeten Betrachtung des noch vor ihr liegenden Körpers des Mädchens und ihre Hände zuckten in ihren Banden und strengten sich an, sich wieder des Messers zu bemächtigen und von Neuem zuzustoßen. Bald aber hörten ihre Lippen gänzlich auf, noch weiter einen Ton von sich zu geben, außer den lauten starken Athemzügen, welche bewiesen, daß sie noch Bewußtsein und Leben besaß.

Unterdessen war der Wahnsinnige in das innere Gemach des Tempels getreten, und hatte den Laden über die Oeffnung in der Mauer gezogen, durch welche beim Eintreten Numerians und Antoninen’s das Licht gefallen war. Selbst der schwarze Schlund, welcher die Mündung der Drachenhöhle bildete, war jetzt mit allen übrigen Gegenständen in der dichten Finsterniß verschwunden. Keine Dunkelheit, wie groß sie auch sein mochte, war aber im Stande, die Sinne des Heiden im Tempel zu verwirren, von dem er in seinen ruhelosen Wanderungen bei Nacht wie bei Tage jeden Winkel besuchte. Wie durch einen geheimnißvollen Gesichtssinn geführt, verfolgte er, ohne sich zu irren, seinen Weg bis zum Eingange der Höhle, kniete dort nieder, legte seine Hände auf die erste von den Stufen, über welche man hinabstieg, lauschte athemlos und aufmerksam auf die aus dem Abgrund aufsteigenden Töne —— lauschte unbeweglich wie eine der Erde nicht angehörende Gestalt —— gleich einem Zauberer, der auf eine Stimme von den Orakeln der Hölle wartet —— gleich seinem Geiste der Nacht, der hinabblickt in die Eingeweide der Erde und die Geheimnisse der unterirdischen Schöpfung, die Riesenpulse der Bewegung und Wärme bewacht, die die belebenden Triebfedern der Welt sind.

Der Wind pfiff stoßweise wild und klagend herauf der Fluß sprudelte gegen das eiserne Gitter unter ihm an, die lockern Schuppen des Drachen klirrten, als sie die Nachtluft erreicht und diese Klänge glichen für ihn noch der Sprache seiner Götter, die ihn mit furchtbarem Entzücken erfüllte und ihn in der entsetzlichen Entwürdigung seines Wesens gleichsam eine neue Seele einflößten. Er lauschte und lauschte noch immer. Bruchstücke von wilden Phantasien, das vergebliche Sehnen des enterbten Geistes, sein göttliches Geburtsrecht unbeschränkten Denkens wieder zu erlangen, durchzuckten ihn jetzt und hielten ihn still und sprachlos an der Stelle, wo er kniete, fest.

Endlich hörte er aber durch die düstere Stille des Gemaches, wie sich die Stimme Goiswinthen’s von Neuem erhob und in heisem wilden Tönen laut nach Licht und Hilfe rief. Die Qual des Schmerzes und der Ungewißheit, das furchtbare Gefühl der Finsterniß und Stille, des einsamen Gefesseltseins und langsamer Pein hatte endlich das bewirkt, was keine offene Gefahr, keine gewöhnliche Drohung des gewaltsamen Todes hätte hervorbringen können, sie wich der Furcht und Verzweiflung —— sie sank unter einer lähmenden, abergläubischen Furcht zu Boden. Das Elend, welches sie Andern zugefügt, schnellte vergeltend auf sie selbst zurück, als sie im Bewußtsein der ersten Empfindung hilflosen Schreckens, die sie je gefühlt hatte, zusammenschauderte.

Ulpius erhob sich augenblicklich von der Höhle und schritt durch die Finsterniß gerade auf die Thür der Scheidewand zu, aber er ging an seiner Gefangenen vorüber, ohne einen Augenblick bei ihr zu verweilen, begab sich