Wilkie Collins - Logo - Klicken, um Navigationsmenü einzublenden
 

Namenlos



Zweites Capitel.

Zwischen neun und zehn Uhr an demselben Abende hörte Louise, welche ängstlich wartete, das langersehnte Klopfen an der Hausthür. [Es hätte längst erwähnt werden sollen, daß die Londoner Häuser nicht Klingeln, sondern Klopfer an den äußeren Straßenthüren haben, wie es im Mittelalter auch in deutschen Städten üblich war. W.] Sie lief sofort hinunter und ließ ihre Herrin herein.

Magdalenens Angesicht war mit Röthe übergossen. Sie zeigte nach ihrer Rückkehr noch mehr Aufregung, als da, wo sie das Haus verließ.

—— Behalte Platz am Tische, sprach sie zu Louisen im Tone der Ungeduld, leg aber Deine Arbeit weg. Du sollst aufmerksam auf Das achten, was ich Dir eben sagen will.

Louise gehorchte Magdalene setzte sich ihr am Tische gegenüber und rückte die Lichter so, daß sie das Gesicht ihres Mädchens unmittelbar und deutlich vor Augen hatte.

—— Hast Du eine ehrbare ältere Frau bemerkt, begann sie plötzlich, welche in den letzten vierzehn Tagen ein oder zwei Mal hier war, um mich zu besuchen?

—— Ja, gnädige Frau; ich glaube, ich habe sie das zweite Mal, als sie kam, selber hereingelassen. Eine ältliche Person, Namens Attwood?

—— Richtig, das ist die Person, die ich meine. Mrs. Attwood ist Mr. Loscombe’s Haushälterin, nicht die Haushälterin in seiner Privatwohnung, sondern die auf seiner Expedition in Lincoln’s Inn. Ich versprach ihr, einen Abend in dieser Woche sie auf eine Tasse Thee zu besuchen, und das habe ich heute Abend gethan. Es ist sonderbar von mir, nicht wahr, daß ich zu einer Frau in der Stellung Von Mrs. Attwood ans diesem vertrauten Fuße stehe?

Louise gab wenigstens in Worten keine Antwort. Ihr Gesicht that es statt ihrer, —— sie konnte sich kaum enthalten, es sonderbar zu finden.

—— Ich hatte einen guten Grund, um mit Mrs. Attwood Freund zu sein, fuhr Magdalene fort. Sie ist eine Wittwe mit einer zahlreichen Familie von Töchtern. Ihre Töchter stehen alle in Diensten. Eine davon ist Unterhausmagd in Diensten des Admiral Bartram zu St. Crux in der Marsch. Ich bekam das von Mrs. Attwoods Herrn heraus, und sobald ich zu der Entdeckung gelangt war, beschloß ich insgeheim Mrs. Attwoods Bekanntschaft zu machen. Noch sonderbarer, nicht wahr?

Louise begann sich ein wenig unheimlich zu fühlen. Die Art und Weise ihrer Herrschaft war im Widerspruch mit ihren Worten, sie deutete offenbar auf eine Ueberraschung hin, welche noch kommen sollte.

—— Was für einen Reiz Mrs. Attwood in meiner Gesellschaft findet, fuhr Magdalene fort, kann ich nicht sagen. Ich kann Ihnen nur soviel mittheilen, sie hat bessere Zeiten gesehen, sie ist eine gebildete Person und mag vielleicht aus diesem Grunde meine Gesellschaft gern haben. Auf jeden Fall hat sie meinen Annäherungen bereitwillig entgegenkommen wollen. Was für Reiz ich an der Gesellschaft dieser guten Frau finde, ist bald gesagt. Ich bin äußerst neugierig —— räthselhaft neugierig, wirst Du denken —— auf den gegenwärtigen Gang der häuslichen Verhältnisse zu St. Crux in der Marsch. Mrs. Attwoods Tochter ist ein gutes Mädchen und schreibt stets an ihre Mutter. Ihre Mutter ist stolz auf diese Briefe und stolz auf das Mädchen und gar zu gern bereit, über ihre Tochter und die Stelle ihrer Tochter zu plaudern. Das ist der Reiz, den Mrs. Attwoods Gesellschaft für mich hat. Hast Du mich bis jetzt verstanden?

Ja, Louise hatte es verstanden. Magdalene fuhr fort.

—— Dank Mrs. Attwood und deren Tochter, sprach sie, kenne ich bereits einige merkwürdige Einzelheiten über den Haushalt zu St. Crux. Die Zungen der Dienstleute und die Briefe der Dienstleute sind —— wie ich Dir nicht erst zu sagen brauche —— öfterer mit ihren Herren und Herrinnen beschäftigt, als ihre Herrschaften glauben. Die einzige Herrin zu St. Crux ist die Haushälterin. Aber es ist auch ein Herr da, — Admiral Bartram. Er scheint ein wunderlicher alter Herr zu sein, dessen Schrullen und Launen seine Dienstboten ebenso ergötzen, als seine Freunde. Eine von seinen seltsamen Launen —— und die einzige, welche wir nothwendiger Weise uns merken müssen —— ist, daß er, so lange er zur See war, Männer genug um sich hatte, um jetzt, wo er am Ende ist, sich nun nur noch von Frauen bedienen zu lassen.

Der einzige Mann im Hause ist ein alter Matrose, der sein Leben lang immer bei seinem Herrn gewesen ist —— er ist eine Art von Versorgter zu St. Crux und hat wenig oder gar Nichts mit der Arbeit im Hause zu schaffen. Die anderen Dienstboten im Hause sind alle Frauenzimmer, und statt sich bei Tische von einem Lakaien bedienen zu lassen, hat der Admiral ein Stubenmädchen. Das jetzige Stubenmädchen auf St. Crux wird bald heirathen, und sobald sein Herr sich allein behelfen kann, geht es ab. Diese Entdeckungen machte ich bereits vor einigen Tagen. Als ich aber heute Abend Mrs. Attwood besuchte, hatte sie unterdessen bereits einen neuen Brief von ihrer Tochter erhalten, und jener Brief hat mir dazu verholfen, noch mehr herauszubekommen. Die Haushälterin weiß sich nicht zu rathen und zu helfen, um ein neues Mädchen zu finden. Ihr Herr besteht auf Jugend und hübschem Aussehen —— alles Andere überläßt er seiner Haushälterin, dies aber will er haben. Alle Anfragen in der Nachbarschaft sind erfolglos gewesen, um diejenige Art von Stubenmädchen aufzutreiben, welche der Admiral braucht. Wenn in den nächsten vierzehn Tagen oder drei Wochen Nichts ausgerichtet werden kann, will die Haushälterin eine Anzeige in der TIMES machen und selbst nach London kommen um die Bewerberinnen in Augenschein zu nehmen und ihre Zeugnisse aufs Strengste zu prüfen.

Louise sah ihre Herrin aufmerksamer denn zuvor an. Der Ausdruck von Verlegenheit wich aus ihrem Gesichte, und ein Schatten von Mißvergnügen zeigte sich anstatt dessen auf demselben.

—— Behalte im Sinne, was ich gesagt habe, fuhr Magdalene fort, und warte noch einen Augenblick, während ich Dich Einiges frage. Denke ja nicht, daß Du mich schon jetzt verständest, ich versichere Dich, Du verstehst noch noch nicht. —— Hast Du immer in Dienst gestanden als Kammerjungfer?

—— Nein, gnädige Frau.

—— Hast Du auch einmal als Stubenmädchen gedient?

—— Ja, gnädige Frau.

—— Was waren Deine Obliegenheiten außer der Bedienung bei Tische.

—— Ich hatte Besuche hereinzuführen.

—— Gut, was sonst noch?

—— Ich hatte nach dem Eß- und Trinkgeschirr zusehen und hatte das ganze Tischzeug unter mir. Ich hatte auf jede Klinge! zu hören, außer in den Schlafzimmern. Es waren manchmal noch andere kleine Dienste und Aemtchen zu besorgen...

—— Aber Deine regelmäßigen Besorgungen waren nur die, welche Du eben hergezählt hast?

—— Ja, gnädige Frau.

—— Wie lange ist’s her, daß Du als Stubenmädchen dientest?

—— Ein, zwei Jahr oder drüber, gnädige Frau.

—— Ich vermuthe, daß Du in der Zeit nicht verlernt hast, bei Tische zu bedienen, das Eßgeschirr zu reinigen und was das Uebrige ist?

Bei dieser Frage schweifte Louisens Aufmerksamkeit, welche während der Fragen Magdalenens immer mehr und mehr abgenommen hatte, ganz ab. Ihre aufs Neue sich regenden Besorgnisse gewannen die Oberhand über ihre bescheidene Zurückhaltung und sogar ihre Demuth. Anstatt ihrer Herrin zu antworten, that sie plötzlich und verwirrt selber eine Frage.

—— Ich bitte Sie um Verzeihung, gnädige Frau, sagte sie. Aber denken Sie etwa mich für die Stelle eines Stubenmädchens zu St. Crux vorzuschlagen?

—— Dich? versetzte Magdalene Gewiß und wahrhaftig nicht! Hast Du vergessen, was ich Dir in diesem Zimmer ehe ich ausging, gesagt habe? Ich meine, Du heirathest und ziehst mit Mann und Kind nach Australien. Du hast nicht gewartet, wie ich Dir gesagt habe, bis ich mich erst ausgesprochen hatte. Du hast vorschnell Deine Schlüsse daraus gezogen, und zwar falsche gezogen. —— Ich fragte Dich eben Etwas, Du hast aber noch nicht darauf geantwortet: ich fragte Dich, ob Du Deinen Stubenmädchen dienst noch im Kopfe und in der Uebung hättest?

—— Ach nein, gnädige Frau!

Bis dahin hatte Louise ein wenig unsicher geantwortet. Jetzt gab sie zuversichtlich und rasch ihren Bescheid.

—— Könntest Du einem andern Dienstmädchen diesen Dienst beibringen? frug Magdalene.

—— Ja wohl, gnädige Frau, —— sehr leicht, wenn dies Mädchen nur aufgeweckt ist und Merks hat.

—— Könntest Du mir den Dienst beibringen?

Louise fuhr zusammen und wechselte die Farbe.

—— Ihnen, gnädige Frau? rief sie aus, halb ungläubig, halb beunruhigt.

—— Ja, sprach Magdalene. Könntest Du mich für die Stelle eines Stubenmädchens auf St. Crux geschickt machen?

So deutlich diese Worte waren, schien doch die Verwirrung, welche sie in Louisens Geist hervorbrachten, sie schlechterdings unfähig zu machen, den Vorschlag ihrer Herrin zu verstehen.

—— Ihnen, gnädige Frau! wiederholte sie, wie geistesabwesend.

—— Ich werde Dich vielleicht dies mein außerordentliches Vorhaben zu verstehen lehren, sprach Magdalene, wenn ich Dir offen mittheile, welches das Ziel desselben ist. —— Erinnerst Du Dich an das, was ich Dir von Mr. Vanstone’s Testament gesagt habe, als Du aus Schottland hierher kamst, um bei mir zu sein?

—— Ja, gnädige Frau. Sie sagten mir, daß Sie ganz und gar aus dem Testamente gestrichen worden seien. Ich bin gewiß, das andere Mädchen würde niemals eine von den Zeugen geworden sein, wenn es gewußt hätte...

—— Laß das jetzt sein. Ich habe Nichts gegen das andere Mädchen —— ich habe gegen Niemand Etwas, außer gegen Mrs. Lecount —— Laß mich fortfahren mit dem, was ich sagen wollte. Es ist durchaus noch nicht ausgemacht, —— daß Mrs. Lecount mir das Unglück zufügen kann, das sie in der That in der Absicht hatte mir zuzufügen. Es ist eine Aussicht, daß mein Rechtsanwalt, Mr. Loscombe, in den Stand gesetzt wird, mir das von Rechtswegen Zukommende trotz des Testamentes zu sichern. Die Aussicht beruht darauf, daß ich einen Brief entdecke, welcher, wie Mr. Loscombe glaubt und wie ich selber glaube, in Admiral Bartrams Händen ist und geheim gehalten wird. Ich habe nicht die geringste Hoffnung, zu dem Briefe zu gelangen wenn ich den Versuch unter meinem eigenen Namen und in eigener Person mache. Mrs. Lecount hat des Admirals Herz gegen mich verhärtet, und Mr. Vanstone hat ihm aufgegeben, das Geheimniß vor mir zu bewahren. Wenn ich an ihn schriebe, würde er meinen Brief nicht beantworten. Wenn ich in sein Haus käme, würde die Thür vor mir zugeschlagen werden. Ich muß mir als Fremde Eingang verschaffen auf St. Crux, —— muß in einer Stellung sein, wo ich, ohne Verdacht zu erwecken, mich im Hause umsehen kann, —— muß dort sein und viel Zeit vor mir haben. Alle Umstände sind zu meinem Gunsten, wenn ich als Dienerin in das Haus Einlaß finde, und als Dienerin gedenke ich in der That dahin zu gehen.

—— Aber Sie sind eine Dame, gnädige Frau, warf Louise ein in der größten Verwirrung. Die Dienstmädchen auf St. Crux würden Sie entdecken.

—— Ich fürchte mich vor ihrer Entdeckung durchaus nicht, sprach Magdalene. Ich weiß, wie man es machen muß, um anderer Leute Rollen zu spielen, weiß Das weit besser, als Du denkst. Ueberlaß mir nur, die Möglichkeit der Entdeckung ins Auge zu fassen: das ist mein Wagniß. Jetzt wollen wir von Nichts als von dem, was Dich angeht sprechen. Entscheide Dich noch nicht, ob Du mir den Beistand leisten willst, wie ich ihn brauche, oder nicht. Warte und höre erst, worin der Beistand besteht. Du bist schnell und geschickt mit der Nabel. Kannst Du mir die Art von Kleid machen, wie es sich für ein Dienstmädchen schickt, und kannst Du eines meiner besten seidenen Kleider ändern, daß es für Dich selber paßt, Alles in Zeit von einer Woche?

—— Ich glaube, ich könnte es in acht Tagen fertig bekommen, gnädige Frau. Aber warum soll ich es tragen...?

—— Warte noch ein Wenig, und Du wirst gleich sehen. Ich werde der Wirthin morgen kündigen. In der Zeit, wo Du die Kleider« machst, kann ich die Obliegenheiten eines Stubenmädchens lernen. Wenn das Hausmädchen das Essen herausgebracht hat und Du und ich allein im Zimmer sind, will ich Dich bedienen anstatt Du mich. —— Es ist mein voller Ernst, unterbrich mich nicht! —— Was ich außerdem lernen kann, ohne Dich abzuhalten, will ich bei jeder Gelegenheit sorgfältig üben. Wenn die acht Tage um und die Kleider fertig sind, wollen wir diesen Ort verlassen und eine andere Wohnung nehmen, Du als die Herrin, ich als die Dienerin.

— Man wird mich entdecken, gnädige Frau, fiel Louise ein und zitterte bei der geöffneten Aussicht. Ich bin ja keine Dame.

—— Aber ich bin eine, sprach Magdalene mit Bitterkeit. Soll ich Dir sagen, was eine Dame ist? —— Eine Dame ist ein Weib, das eine seidenes Kleid an und das Gefühl ihrer eigenen Wichtigkeit in sich hat. Ich will Dir das Kleid anziehen und das Gefühl in Deine Brust flößen. Du sprichst ein reines Englisch, Du bist von Natur ruhig und zurückhaltend: kurz, wenn Du nur Deine Furchtsamkeit bemeistern kannst, so habe ich nicht die geringste Angst für Dich. Es wird in der neuen Wohnung Zeit genug für Dich sein, um Deine Rolle zu üben, und für mich, die meinige zu üben. Es wird Zeit genug sein, um noch ein paar Anzüge zu machen, ein zweites Kleid für mich und ein Hochzeitskleid, das ich Dir zu schenken gedenke, für Dich selbst. Ich werde die Zeitung jeden Tag zugeschickt erhalten. Sobald die Anzeige erscheint, werde ich sie beantworten unter einem Namen, der mir gerade zur Hand ist: in Deinem Namen, wenn Du mir ihn gern überlassen willst —— und wenn die Haushälterin mich nach meinem Zeugniß fragt, so werde ich mich auf Dich beziehen. Sie wird Dich in der Rolle als Herrin sehen und mich in der der Dienerin, es kann ihr kein Verdacht beikommen, wenn Du nicht selbst ihn beibringst. Wenn Du nur den Muth hast, meinen Weisungen zu folgen und zu sagen, was ich Dir vorsagen werde, so wird die Unterredung in zehn Minuten zu Ende sein.

—— Sie erschrecken mich, gnädige Frau, sagte Louise noch immer zitternd. Sie rauben mir vor Ueberraschung den Athem. Muth! Wo soll ich Muth herbekommen?

—— Wo ich ihn für Dich in Bereitschaft halte, sagte Magdalene, in dem Ueberfahrtsgeld für Australien. Schau auf die neue Aussicht, die Dir einen Gatten gibt und Dich zu Deinem Kinde zurückführt —— und Du wirst daraus Deinen Muth schöpfen.

Louisens düsteres Gesicht klärte sich auf, Louisens schwaches Herz schlug lebendig. Ein Funken von ihrer Herrin Geist flackerte auf in ihrem Auge, wie sie der goldigen Zukunft gedachte.

—— Wenn Du meinen Vorschlag annimmst, fuhr Magdalene fort, so kannst Du sofort in der Kirche ein für alle Mal aufgeboten werden. Ich verspreche Dir das Geld an dem Tage, wo die Anzeige in der Zeitung erscheint. Das Wagniß, daß die Haushälterin mich verwirft, ist ganz meine Sache, nicht Deine. Mein gutes Aussehen ist traurig genug verschwunden, ich weiß es wohl. Aber ich denke, ich kann noch immer meinen Platz behaupten gegenüber den anderen Dienstmädchen; ich denke, ich kann noch immer aussehen, wie das Stubenmädchen, das Admiral Bartram braucht. Du hast bei der Sache gar Nichts zu fürchten; ich würde es gesagt haben, wenn dies der Fall gewesen wäre. Die einzige Gefahr ist, daß ich selbst auf St. Crux entdeckt werde, —— und das geht allein nur mich an. Während ich in des Admirals Hause sein werde, wirst Du heirathen, und das Schiff wird Dich Deinem neuen Leben zuführen.

Louisens Gesicht, das bald voll Hoffnung strahlte, bald sich vor Furcht verdüsterte, zeigte deutliche Spuren des Kampfes, den ihr die Entscheidung kostete. Sie suchte Zeit zu gewinnen, sie versuchte verlegen einige Worte des Dankes zu stammeln: aber ihre Herrin hieß sie schweigen.

—— Du bist mir keinen Dank schuldig, sagte Magdalene. Ich sage Dir nochmals, wir leisten einander nur gegenseitig Beistand. Ich habe sehr wenig Geld; aber es reicht für Deinen Zweck hin, und ich gebe es gern und von freien Stücken. Ich habe ein elendes Leben geführt, ich habe bewirkt, daß sich Andere meinetwegen unglücklich fühlten. Ich kann auch Dich nicht anders glücklich machen, als dadurch, daß ich Dich zu einem Betruge verleite. Ja, ja, es ist nicht Deine Schuld Schlechtere Frauen, als Du bist, werden mir, wenn Du ablehnst, Beistand leisten. Entscheide Dich, wie Du willst; —— aber scheue Dich nicht, das Geld zu nehmen. Wenn es mir glückt, werde ich es nicht brauchen. Wenn es mir mißglückt...

Sie hielt inne, stand plötzlich von ihrem Stuhle aus und verbarg ihr Angesicht vor Louisen, indem sie zum Kamine ging.

—— Wenn es mir mißglückt —— begann sie wieder, indem sie gleichgültig ihren Fuß an dem Gitter wärmte, so kann alles Geld in der Welt mir Nichts helfen. Laß den Grund bei Seite, laß mich aus dem Spiele, denke nur an Dich selbst. Ich werde das Geständniß, das Du mir abgelegt hast, mir nicht zu Nutze machen gegen Deinen Willen. Thue, was Du selbst fürs Beste hältst. Aber denke an das Eine: mein Geist ist entschlossen, Nichts, was Du sagen oder thun kannst, wird mich umstimmen.

Ihr plötzliches Weggehen vom Tische, der veränderte Ton ihrer Stimme, indem sie die letzten Worte sprach, schienen Louisen aufs Neue zaudern zu machen. Sie schlug ihre Hände auf dem Schooße zusammen und rang und wandt sie heftig.

—— Dies ist sehr plötzlich über mich gekommen, gnädige Frau, sprach das Mädchen Ich bin sehr versucht, Ja zu sagen. Und doch fürchte ich beinahe...

—— Beschlafe es, unterbrach sie Magdalene, indem sie ihr Gesicht unverwandt gegen das Feuer zu hielt, und sage mir, wenn Du morgen früh in mein Zimmer kommst, zu was Du Dich entschlossen hast. Ich brauche heute Abend keine Hilfe, ich kleide mich selbst aus. Du bist nicht so stark als ich; Du bist müde, möchte ich sagen. Bleibe nicht meinetwegen auf. Gute Nacht, Louise, träume süß!

Ihre Stimme sank tiefer und tiefer, als sie diese freundlichen Worte sprach. Sie seufzte tief und legte, indem sie ihren Arm auf das Kaminsims stützte, ihr Haupt auf denselben mit einer rücksichtslosen Mattigkeit, die kläglich mit anzusehen war. Louise hatte nicht das Zimmer verlassen, wie sie vermuthete, Louise kam leise an sie heran und küßte ihr die Hand. Magdalene zuckte zusammen; aber sie machte dies Mal keinen Versuch, ihre Hand wegzuziehen. Das Gefühl ihrer schrecklichen Vereinsamung überkam sie, als sie die Berührung von den Lippen ihrer Dienerin fühlte! Ihr stolzes Herz brach; ihre Augen füllten sich mit brennenden Thränen.

—— Mache mir das Herz nicht schwer! sprach sie mit schwacher Stimme. Die Zeit der Freundlichkeit ist nun vorbei. Es überwältigt mich jetzt nur. Gute Nacht!

Der Morgen kam, und die bejahende Antwort, welche Magdalene vorausgesetzt hatte, kam mit ihm. An dem selben Tage empfing die Wirthin die Kündigung der Wohnung für nächste Woche, und Louisens Nadel flog rasch durch das Zeug, das der Anzug des Stubenmädchens werden sollte.


Vorheriges Kapitel
Inhaltsverzeichnis für diese Geschichte