Die Neue Magdalena - Nachschrift

III. Mister Horace Holmcroft an Miss Grace Roseberry

„Teure Miss Roseberry!

Entschuldigen Sie freundlichst mein langes Schweigen; ich habe von einer Post zur anderen gewartet, in der Hoffnung, Ihnen endlich gute Nachrichten geben zu können; allein es wäre nutzlos, nun noch länger zu warten. Meine schlimmsten Ahnungen sind eingetroffen; ich muss heute die peinliche Pflicht gegen Sie erfüllen, Ihnen Dinge zu schreiben, die Sie überraschen und auf das Unangenehmste berühren werden.

Ich will Ihnen die Ereignisse in der Reihenfolge schildern, wie sie nacheinander eintraten. Auf diese Weise nur kann ich hoffen, Sie allmählich auf das vorzubereiten, was Sie nun hören sollen.

Ungefähr drei Wochen, nachdem ich Ihnen zum letzten Male geschrieben hatte, ereilte Julian Gray die Strafe für seine voreilige Unbesonnenheit. Damit soll nicht gesagt sein, dass er von der Gewalttätigkeit der Leute zu leiden hatte, in deren Mitte er freiwillig seinen Wirkungskreis verlegt. Im Gegenteile, er hat, so unglaublich es auch scheinen mag, in günstiger Weise auf diese rohen Naturen gewirkt. Wie es mir vorkommt, flößte ihnen zuerst der Mut Achtung ein, mit dem er sich allein unter sie wagte, und schließlich sahen sie selbst ein, dass er nur auf ihr Wohl bedacht war. Dagegen ist er der zweiten Gefahr, von der ich in meinem letzten Brief sprach, zum Opfer gefallen - nämlich jener, die ihm durch die dort herrschenden Krankheiten drohte.

Schon als er seine Wirksamkeit in der Gegend kaum begonnen hatte, war dort überall Fieber ausgebrochen, und als wir hörten, dass auch Julian davon ergriffen worden sei, war es bereits zu spät, um ihn aus seiner Behausung und Umgebung fortzubringen. Ich zog sogleich, als die Nachricht uns zukam, persönliche Erkundigungen über seinen Zustand ein und erhielt von dem ihn behandelnden Arzt die Auskunft, dass er nicht für sein Leben einstehen könne.

Unter diesen aufregenden und beunruhigenden Verhältnissen bestand die arme Lady Janet - wie gewöhnlich unvernünftig und der Eingebung des Augenblicks folgende - darauf, Mablethorpe-House zu verlassen und in die Nähe ihres Neffen zu ziehen.

Es war unmöglich, sie davon zu überzeugen, dass es eine Torheit sei, in ihrem Alter die Bequemlichkeiten des eigenen Hauses ohneweiters aufzugeben, und so blieb mir nichts übrig, wollte ich meine Pflicht erfüllen, als sie zu begleiten. Wir fanden Unterkunft, wie es eben möglich war, in einem Gasthause, welches, am Flusse liegend, besonders von Schiffskapitänen und Handlungsreisenden besucht wird. Ich übernahm es, die beste ärztliche Hilfe zu verschaffen, da Lady Janet in ihrem unsinnigen Vorurteile gegen Ärzte überhaupt diesen wichtigsten Teil aller Anordnungen ganz mir überließ.

Ich will Sie nicht damit ermüden, Ihnen das Nähere über Julians Krankheit ausführlich zu erzählen.

Das Fieber nahm seinen gewöhnlichen Verlauf, wobei stets in gewissen Zwischenräumen Delirium und Erschöpfung abwechselten.

Spätere Ereignisse, die ich Ihnen leider erzählen muss, zwingen mich, wenngleich so kurz als möglich, bei dem peinlichen Gegenstande des Deliriums zu verweilen. Im Allgemeinen, sagt man mir, zeige sich in den Phantasien fieberkranker Personen eine gewisse Mannigfaltigkeit der sie erfüllenden Gegenstände; Julian jedoch blieb fort und fort bei einem und demselben. Er sprach unaufhörlich von Mercy Merrick, und seine stete flehende Bitte an die ihn wartenden Ärzte war, nach ihr zu schicken, damit sie ihn pflege. Tag und Nacht hatte er nur diesen einen Gedanken im Kopfe, diesen einen Namen auf den Lippen.

Natürlich erkundigte sich seine ärztliche Umgebung nach der Abwesenden. Ich war genötigt, im Vertrauen ihnen die Verhältnisse klar auseinander zu setzen.

Der prächtige Mensch, der Arzt, welchen ich zur Führung der Oberaufsicht über die Behandlung herbeigerufen hatte, benahm sich bewunderungswürdig. Obgleich aus einer niederen Klasse allmählich emporgestiegen, hat er doch, so sonderbar es klingt, das feine Taktgefühl eines Gentleman. Er verstand unsere qualvolle Lage vollkommen und erkannte auch, wie wichtig es sei, das Erscheinen einer Person, wie Mercy Merrick, am Krankenbette um jeden Preis zu verhindern. Eine besänftigende Arznei, für diese Worte konnte sein Ansehen Bürge sein, sei alles, was in diesem Falle nottue. Der Doktor der Gegend andererseits, ein junger Mann und offenbar ein wütender Radikaler, erwies sich als eigensinnig und, in Anbetracht seiner Stellung, sogar dreist.

„Was kümmert mich der Charakter der Dame und Ihre Meinung darüber”, sagte er zu mir. „Meine Sache ist es nur, nach bestem Gewissen Ihnen die Mittel zu zeigen, durch welche der Kranke möglicherweise am Leben erhalten werden kann. Unsere Kunst vermag hier nichts mehr. Schicken Sie nach Mercy Merrick, gleichviel wer oder was sie sei. Es ist ganz wohl möglich - besonders wenn sie Gemüt und die Eigenschaften einer guten Wärterin besitzt - dass er, zu Ihrer aller Erstaunen, sie erkennt. Nur auf diese Art ist seine Genesung wahrscheinlich. Wenn Sie jedoch seine flehenden Bitten noch weiter unberücksichtigt lassen, wenn das Delirium noch vierundzwanzig Stunden anhält, so ist er tot.”

Lady Janet war unglücklicherweise anwesend, als diese ziemlich unverschämte Ansicht an dem Krankenbett ausgesprochen wurde.

Muss ich Ihnen sagen, was darauf folgte? Aufgefordert, nun zu wählen zwischen den Verhaltungsbefehlen eines Arztes mit einem jährlichen Einkommen von fünftausend Pfund und der sicheren Aussicht auf die nächste medizinische Baronie einerseits und den unaufgefordert abgegebenen Ratschlägen eines unbekannten medizinischen Empirikers von East End Londons, der sich im Jahre kaum auf fünfhundert Pfund steht, andererseits, muss ich Ihnen sagen, wofür sich die Lady entschied? Sie kennen Sie; und Sie werden darum nur zu gut begreifen, dass sie nichts Eiligeres zu tun hatte, als einen dritten Besuch im Besserungshause abzustatten.

Zwei Stunden später - ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass ich nicht übertreibe - saß Mercy Merrick an Julians Krankenlager.

Die Entschuldigung dafür war natürlich, dass sie es als ihre Pflicht ansehe, durch keine selbstsüchtigen Bedenken der Rettung des Kranken im Wege zu stehen, wenn ärztliche Autorität sich dahin ausspreche, dass sie dieselbe herbeiführen könne. Es wird Sie nicht überraschen, zu hören, dass ich mich daraufhin von dem Schauplatz zurückzog. Der erste Arzt folgte meinem Beispiel, nachdem er das besänftigende Arzneimittel verschrieben hatte und durch die Weigerung des Empirikers, dasselbe anzuwenden, gröblich beleidigt worden war. Ich kehrte im Wagen des Arztes mit ihm zurück; er sprach mit viel Empfindung und Anstand. Wenn er auch keine bestimmte Ansicht äußerte, konnte ich doch sehen, dass er die Hoffnung auf Julians Wiederherstellung gänzlich aufgab. „Wir stehen in Gottes Hand, Mister Holmcroft”, waren seine letzten Worte, als ich vor dem Hause meiner Mutter ausstieg.

Kaum habe ich jetzt den Mut, fortzufahren. Käme es nur auf meine Wünsche an, so müsste ich wohl hier die Feder fallen lassen.

Lassen Sie mich wenigstens rasch zu Ende kommen. Nach Ablauf von zwei oder drei Tagen erhielt ich die erste Mitteilung über den Kranken und seine Pflegerin. Lady Janet schrieb mir, dass er sie erkannt habe. Nach diesem war ich auf das Weitere schon vorbereitet. Der nächste Bericht meldete, dass er sich allmählich kräftiger fühle und außer Gefahr sei. Hierauf kehrte Lady Janet nach Mablethorpe-House zurück. Ich sprach vor einer Woche dort vor - und erfuhr, dass er nach der Küste gebracht worden sei. Gestern nun ging ich wieder hin - und erhielt aus der Lady eigenem Munde die neueste Mitteilung. Meine Feder vermag sie kaum niederzuschreiben: Mercy Merrick hat darein gewilligt, ihn zu heiraten.

Eine Beschimpfung der ganzen Gesellschaft - als diese betrachten meine Mutter und Schwestern das Unerhörte; und so werden auch Sie die Sache ansehen. Meine Mutter hat mit eigener Hand Julians Namen von der Liste ihrer Gäste gestrichen; und die Diener haben den Auftrag, wenn er sich einfallen lassen sollte, vorzusprechen, ihn mit „Nicht zu Hause” abzuweisen.

Ich bin leider nur zu richtig beraten, wenn ich Ihnen von dieser schmählichen Heirat als von einer abgemachten Sache schreibe. Lady Janet ging so weit, mir die Briefe zu zeigen - einen von Julian; einen anderen von der Person selbst. Stellen Sie sich vor, Mercy Merrick in Korrespondenz mit Lady Janet Roy! - die sie noch dazu mit: „Meine teure Lady Janet!” anredet und der sie sich mit „Ihre Sie liebende” unterschreibt!

Ich hatte nicht die Geduld, einen der beiden Briefe durchzulesen. Die Art und Weise, wie Julian schreibt, ist die eines Sozialisten; nach meiner Meinung sollte sein Bischof davon in Kenntnis gesetzt werden. Was sie betrifft, so spielt sie ihre Rolle mit der Feder ebenso gut, wie sie dies mit der Zunge getan. „Ich kann mir nicht verhehlen, dass ich unrecht tue, indem ich nachgebe … Traurige Ahnungen erfüllen mich, wenn ich an die Zukunft denke... mir ist, als müsste der erste verächtliche Blick, der auf meinen Gatten fällt, mein Glück zerstören, wenn er auch ihn nicht irre macht... So lange ich von ihm getrennt war, konnte ich meine Schwäche bemeistern; konnte ich mein hartes Schicksal tragen. Aber wie soll ich ihm widerstehen, nachdem ich nun wochenlang an seinem Krankenlager gewacht; nachdem ich, ihm langsam zur Genesung verhelfend, sein erstes Lächeln gesehen, seine ersten Dankesworte gehört habe?”

In diesem Tone lautete ihr ganzer vier engbeschriebene Seiten füllender Brief voll widerlicher Demut und auf Effekt berechneter Sentimentalität. Es wäre wahrlich genug, um einem alle Frauen verabscheuungswürdig zu machen. Gott sei Dank, ich habe den Gegensatz zur Hand, um mich zu erinnern, was man den wenigen Besseren ihres Geschlechtes schuldig ist. Ich fühlte, wie meine Mutter und Schwestern mir jetzt noch einmal so wert sind. Darf ich bei diesem tröstlichen Gedanken auch noch hinzufügen, dass ich mit kaum geringerer Dankbarkeit das Vorrecht zu schätzen weiß, welches mir die Korrespondenz mit Ihnen gewährt?

Nun leben Sie wohl. Ich fühle mich in meinen tiefsten Überzeugungen zu hart getroffen, und bin zu traurig und entmutigt, um mehr schreiben zu können. Meine besten Wünsche begleiten Sie, teure Miss Roseberry, bis wir uns wiedersehen.

Ihr aufrichtigster

Horace Holmcroft.”


Vorheriges Kapitel
 Inhaltsverzeichnis für diese Geschichte