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Gesetz und Frau



Sechstes Kapitel.

Die Zeugenaussage für die Vertheidigung.

Am vierten Tage war das Interesse für den Proceß noch gewachsen — Es sollte jetzt die Zeugenaussage für die Vertheidigung gehört werden.

Die erste unter ihnen legte des Gefangenen Mutter ab. Als sie ihren Schleier lüftete, um Vereidigt zu werden, warf sie einen Blick auf ihren Sohn. Er brach in Thränen aus. In diesem Moment pflanzte sich die für die Mutter gefühlte Sympathie auch auf ihren unglücklichen Sohn fort.

Von dem Dekan der Fakultät befragt, gab die ältere Mrs. Macallan ihre Antworten mit außerordentlicher Würde und Selbstbeherrschung. Nach einigen Fragen über Unterhaltungen, die zwischen ihr und ihrer verstorbenen Schwiegertochter stattgehabt, erklärte sie, daß Letztere sehr viel auf ihre äußere Erscheinung gegeben. Sie war ihrem Gatten wahrhaft zugethan, und die größte Sorge ihres Lebens bestand darin, sich ihm so anziehend wie möglich darzustellen. Die Unvollkommenheiten ihres Aeußeren und hauptsächlich ihres Teints verursachten ihr den lehhaftesten Kummer. Zeugin hatte sie wieder hofentlich sagen gehört, daß sie kein Mittel scheuen würde, ihre Hautfarbe zu verbessern. »Die Männer,« meinte sie, »werden nur durch äußerliche Schönheit gewonnen. Mein Gatte würde mich mehr lieben, wenn ich einen besseren ; Teint hätte.«

Befragt, ob die Extracte aus dem Tagebuche ihres Sohnes als verläßliches Zeugniß gelten könnten, d.h. Ob sie Eigenthümlichkeiten seines Characters und die wahren Gefühle gegen seine Frau zur Anschauung brächten, verneinte Mrs. Macallan dies in der bestimmtesten Weise.

»Die Extracte ans meines Sohnes Tagebuch sind ein Pasquill auf seinen Character,« sagte sie. »Ein um so größeres Pasquill, als das Tagebuch von ihm selbst geschrieben wurde. Soweit ich meinen Sohn kenne, muß er jene Zeilen unter dem unbeherrschbaren Einfluß der Verzweiflung hingeworfen haben. Kein Mann mit ruhigem Verstande und gerechtem Sinn beurtheilt einen Mitmenschen nach schnellen, leidenschaftlichen Worten, die ihm in unzurechnungsfähigen Stimmungen entfahren sein mögen. Soll also mein Sohn verurtheilt werden, weil er diese Worte zufällig niedergeschrieben, anstatt sie zu sprechen? Die Feder ist in diesem Falle sein tödtlichster Feind gewesen. Ich gebe zu, daß er nicht glücklich in seiner Ehe war, aber ich muß hinzufügen, daß er sich stets aufmerksam gegen seine Frau benahm. — Ich besaß das Vertrauen Beider und hatte Gelegenheit, in die geheimsten Falten ihres Herzens zu blicken. Trotz alle Dem, was die Frau an ihre Freundinnen geschrieben, erkläre ich, daß mein Sohn ihr niemals Ursache zu gerechter Klage über Vernachlässigung und Grausamkeit gegeben.«

Diese, fest und überzeugend gesprochenen Worte machten einen tiefen Eindruck auf die Anwesenden.

Der Lord Anwalt, überzeugt, daß dieser Eindruck sich nicht werde abschwächen lassen, beschränkte sich daher im Kreuzverhör nur auf zwei Fragen:

»Wenn Ihre Schwiegertochter über ihren schlechten Teint sprach,« sagte er, »spielte sie dabei jemals auf den Gebrauch von Arsenik an?«

»Nein!«

»Empfahlen Sie ihr Arsenik, oder erwähnten Sie nur desselben zu dem gedachten Zweck?«

»Niemals!«

Der Lord-Anwalt setzte sich wieder. Mrs. Macallan, die ältere, zog sich zurück.

Die Erscheinung des nächsten Zeugen beachte wieder ein ganz neues Interesse in die Richter und das Auditorium. Der nächste Zeuge war keine Andere als Mrs. Beanly selbst. Der Bericht schildert sie als eine Dame von außerordentlich anziehender Persönlichkeit, bescheiden und weiblich in ihrem Wesen und, allem Anschein nach, tief niedergedrückt durch die öffentliche Stellung, die ihr jetzt angewiesen war.

Der erste Theil ihrer Aussage war eigentlich nur eine Wiederholung dessen, was die Mutter des Gefangenen bereits mitgetheilt, nur mit dem Unterschiede, daß sie von der Verstorbenen thatsächlich nach einem Mittel gegen schlechten Teint gefragt sein wollte. Mrs. Macallan hatte die Weiße und Glätte ihrer Haut gelobt und sich dabei erkundigt, ob sie künstliche Mittel zu deren Erhaltung anwende. Zeugin habe verneinend auf diese Frage geantwortet, auch geäußert, daß ihr überhaupt kein Mittel zur Verbesserung des Teint bekannt sei, worauf eine Erkältuug zwischen den beiden Damen ein getreten wäre.

Nach ihren Beziehungen zu dem Gefangenen befragt, leugnete Mrs. Beanly mit Indignation, daß weder sie noch Mr. Macallan der Verstorbenen jemals die leiseste Veranlassung zur Eifersucht gegeben. Es sei der Zeugin unmöglich gewesen, Schottland zu verlassen, ohne ihrem nahen Verwandten einen kurzen Besuch abgestattet zu haben. Die Unterlassung dieser Höflichkeit würde ihr von sämmtlichen Freunden und Bekannten verdacht worden sein. Sie leugnete nicht, daß Mr. Macallan, als sie Beide noch ledig gewesen, ihr den Hof gemacht habe. Von dem Augenblicke an aber, wo er und sie sich anderweitig verheirathet hätten, wären sie einander stets als Bruder und Schwester begegnet. Mr. Macallan sei ein Gentleman, der sehr gut wisse, welche Pflichten er gegen Mrs. Beanly und seine eigene Frau zu erfüllen habe. Sie würde niemals sein Haus betreten haben, wenn sie hiervon nicht fest überzeugt gewesen. Was die Aussage des Unter-Gärtners anbeträfe, so müsse sie dieselbe für wenig mehr als bloße Erfindung bezeichnen. Der größte Theil der von ihm den Richtern hinterbrachten Unterhaltung sei rein aus der Luft gegriffen und hätte niemals stattgefunden. Das wenige Wahre daran sei scherzend hingeworfen worden. Auch sie müsse bekräftigen, daß Mr. Macallans Benehmen gegen seine Frau stets unveränderlich gut und aufmerksam gewesen sei. Während ihrer Krankheit pflegte er sie, wie er konnte, und äußerte sein aufrichtiges Beileid für ihren Zustand. Als Mrs. Macallan, an ihrem Todestage dem eigenen Gatten und der Zeugin befohlen habe, das Zimmer zu verlassen, hatte Mr. Macallan gleich darauf zu ihr geäußert: »Wir müssen ihre Eifersucht zu ertragen suchen, um so mehr, als wir sie nicht verdienen.« Mit dieser himmlischen Geduld begegnete er stets den leidenschaftlichsten Ausbrüchen ihres heftigen Temperaments von Anfang bis zu Ende.

Das Haupt-Interesse beim Kreuzverhör der Mrs. Beanly gipfelte in einer Frage, die ihr ganz am Schluß vorgelegt wurde.

»Es ist ein, nur mit Helena unterzeichneter und an den Gefangenen adressirter Brief vorgelesen worden,« sagte der Lord-Anwalt, ihr denselben hinhaltend. »Ist das Ihre Handschrift?«

Bevor Zeugin antworten konnte, protestirte der Dekan der Fakultät gegen diese Frage. Die Richter schlossen sich dem Protest an und er klärten die Frage für unzulässig Mrs. Beanly zog sich darauf zurück. Als man des Briefes Erwähnung gethan, und ihr denselben vor die Augen gehalten, hatte sie eine deutlich bemerkbare Aufregung verrathen, welche auf verschiedene Weise beurtheilt wurde. In der Hauptsache aber hatte ihr Zeugniß den günstigen Eindruck für den Gefangenen noch verstärkt, zu welchem die Aussagen der Mutter bereits den Grund gelegt.

Die nächsten Zeugen, beides Damen und Schulfreundinnen der verstorbenen Mrs. Macallan, nöthigten dem Gerichtshofe wiederum ein neues Interesse ab. Sie fügten gewissermaßen der Kette der Aussagen die fehlende Schake hinzu.

Die erste der beiden Damen erklärte, daß sie gegen Mrs. Macallan des Arseniks als Remedium gegen schlechten Teint erwähnt habe. Sie hätte es selber niemals angewendet, aber in verschiedenen Büchern gelesen, daß der Genuß von Arsenik unter dem steyrischen Landvolk häufig vorkomme, um sich ein blühendes und gesundes Ansehen zu verschaffen.

Die zweite Zeugin, welche bei vorstehender Unterhaltung zugegen gewesen, bestätigte nicht allein die Aussage ihrer Vorgängerin, sondern fügte auch noch hinzu, daß sie eines der betreffenden Bücher, auf Wunsch der verstorbenen Mrs. Macallan angeschafft und per Post nach Gleninch geschickt habe.

In den beiden Aussagen war noch ein uns genauer Punkt, den das Kreuzverhör sofort aufdeckte. Beide Damen wurden nacheinander gefragt, ob Mrs. Macallan, direct oder indirect, die Absicht gegen sie geäußert habe, das Arsenik wirklich gegen ihren schlechten Teint nehmen zu wollen. In beiden Fällen war die Antwort auf diese außerordentlich wichtige Frage: Nein! Mrs. Macallan hatte von dem Mittel gehört und das Buch erhalten. Ueber ihre Absichten, ob sie das Mittel gebrauchen wolle, war ihr kein Wort entfallen. Sie hatte beide Damen gebeten, nicht darüber sprechen zu wollen, und damit hatte die Sache ihr Ende erreicht.

Es gehörte keines Juristen Auge dazu, um den fatalen Defect zu bemerken, welcher nun in der Zeugenaussage der Vertheidigung erweckt worden war. Jedes mit gesundem Menschenverstande ausgerüstete Mitglied der Versammlung konnte sehen, daß die Chance einer ehrenvollen Freisprechung des Gefangenen jetzt darin bestände, darzuthun, auf welche Weise er das Gift seiner verstorbenen Gattin eingehändigt, oder wenigstens zu beweisen, daß er es überhaupt auf ihren ausdrücklichen Wunsch angeschafft. In beiden Fällen würde dann die Erklärung der Unschuld des Gefangenen die Unterstützung der Zeugnisse in Anspruch nehmen, welche, so indirect sie auch sein möchten, dennoch die Zustimmung jedes ehrenhaften, intelligenten Mannes auf ihrer Seite haben mußten. — Sollte dieser Fall eintreten? — Hatte die Vertheidigung ihre Hilfequellen noch nicht erschöpft?

Das dichtgedrängte Auditorium wartete in athemloser Spannung auf die Erscheinung des nächsten Zeugen. Es ging ein Flüstern herum, daß nun ein alter Freund des Gefangenen seine Aussage machen würde.

Nach einer kurzen Pause entstand eine lebhafte Bewegung im Saal, und einen Moment darauf nannte der Gerichtsdiener den außergewöhnlichen Namen des nächsten Zeugen:

»Miserrimus Dexter.«


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