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Antonina oder der Untergang Roms



Kapitel V.
Das Bauernhaus.

Je weiter die Nacht vorrückte, desto stärker wurde der Sturm. Im Freien war seine Heftigkeit am deutlichsten erkennbar. Hier drangen keine lebenden Stimmen mit dem Grollen der Elemente, keine Fackelflammen kämpften mit der tiefen Finsterniß oder ahmten die grellen Blitze nach. Der Donner spielte ununterbrochen seine Sturmsymphonie und die Windsbraut begleitete ihn zu wilder Harmonie anschwellend, wenn sie durch die Bäume brauste, als ob sie in deren rauschenden Zweigen die Saiten einer mächtigen Harfe anschlüge.

In dem kleinen Zimmer des Bauernhauses saßen Hermanrich und Antonina beisammen und lauschten in sprachloser Aufmerksamkeit dem zunehmenden Aufruhr des Sturmes.

Das Zimmer und die darin Befindlichen wurden nur halb durch die Flamme eines glimmenden Holzfeuers erleuchtet. Die kleine irdene Lampe hing an ihrem gewöhnlichen Platze von der Decke herab, aber ihr Oel war erschöpft und ihr Licht erloschen. Eine Schüssel mit Obst lag zerbrochen neben dem Tische, von welchem sie unbeachtet auf den Boden herabgestürzt war. Sonst waren in dem Zimmer keine weiteren Verzierungen oder Hausrathgegenstände zu sehen. Hermanrichs niedergeschlagenen Augen und trüben Züge verriethen die düstere Zerstreuung, in welche er versunken war. Mit der einen Hand die seine umfassend und die andere mit ihrem Kopfe auf seine Schulter gelegt, lauschte Antonina aufmerksam dem abwechselnden Steigen und Fallen des Windes. Ihre Schönheit war während ihres Aufenthaltes in dem Bauernhause frischer und frauenhafter geworden. Heiterkeit und Hoffnung schienen endlich den vollen Antheil an ihrem Wesen erlangt zu haben, welchen ihnen bei ihrer Geburt die Natur angewiesen hatte.

Selbst in diesem Augenblicke des Sturmes und der Finsterniß lag in ihrem Ausdruck mehr Verwunderung und Ehrfurcht, als Aufregung und Schrecken, während sie mit erröthender Wange und leuchtendem Auge auf die Fortschritte des Sturmes lauschte.

So von ihren Gedanken erfüllt, saßen Hermanrich und Antonina in ihrem kleinem Gemache schweigend beisammen, bis die Träumereien Beider plötzlich durch das Zerbrechen des hölzernen Riegels unterbrochen wurden, welcher die Thür des Zimmers verschloß und deren Drängen in den wiederholten Windstößen das vermoderte Holz nicht mehr zu ertragen vermochte. Es lag etwas unaussprechlich Trauriges in der Fluth von Regen, Wind und Finsterniß, welche sich augenblicklich durch die offene Thür zu ergießen schien, als dieselbe heftig in ihren morschen Angeln zurückflog.

Antonina erbleichte und zitterte unwillkürlich, als Hermanrich hastig aufstand und die Thür wieder schloß, indem er die Klinke aus der Schlinge losmachte, welche sie hielt, wenn sie nicht benutzt wurde. Er sah sich hierbei im Zimmer um, ob er nicht einen Ersatz für den zerbrochenen Riegel finden könne, aber sein Auge begegnete keinem zu diesem Zwecke geeigneten Gegenstande und er murmelte unmuthig, auf seinen Sitz zurückkehrend:

»So lange wir hier sind, um sie zu beobachten, reicht die Klinke aus, sie ist neu und fest.«

Er schien wieder in seinen früheren Trübsinn versinken zu wollen, als die Stimme Antoninens seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm und ihn für den Augenblick aus seinen Gedanken erweckte.

»Steht es in der Macht des Sturmes, Dich, einen Krieger aus einem Heldengeschlecht, so betrübt und traurig zu machen?« fragte sie mit Tönen sanften Vorwurfs, »selbst ich kann, wenn ich auf diese Wände blicke, die mein Glück so beredt verkünden. und neben Dir sitze, dessen Gegenwart dieses Glück bildet, dem brausenden Sturme lauschen, ohne mein Herz bedrückt zu fühlen. Was liegt in dem Sturme für Dich oder mich, daß er uns mit Trübsinn belasten sollte, kommt nicht der Donner der Winternacht von demselben Himmel, wie der Sonnenschein des Sommertages? Du bist so jung, so großmüthig, so tapfer, Du hast mich geliebt und bemitleidet und mir beigestanden —— warum sollte also die nächtliche Sprache des Himmels solche Trauer und solches Schweigen über Dich werfen?«

»Ich bin nicht aus Trübsinn schweigsam,« antwortete Hermanrich mit erzwungenem Lächeln, »sondern aus Ermüdung vom vielen Arbeiten im Lager.« Er erstickte bei diesen Worten einen Seufzer. Sein Kopf kehrte in seine alte gesenkte Lage zurück. Der Kampf zwischen seiner angenommenen Sorglosigkeit und seiner wahren Unruhe war offenbar ein ungleicher. Das Mädchen blickte ihn fest mit dem wachsamen Auge der Liebe an und ihr Gesicht trübte sich mit dem seinen. Sie schmiegte sich enger an seine Seite und sprach mit ängstlichen, bittenden Tönen weiter:

»Ist es vielleicht der Kampf zwischen unsern beiden Nationen, der uns bereits getrennt hat und uns wieder trennen kann, welcher Dich so bedrückt?«. sagte sie; »aber denke, wie ich, an den Frieden, welcher kommen muß, und nicht an den Krieg, der jetzt vorhanden ist. Denke an die Freuden unserer früheren Tage und das Glück unserer gegenwärtigen Augenblicke, wo wir so vereint und liebend, so für einander lebend und hoffend, und Du wirst dann, gleich mir, nicht mehr an der sich für uns Beide vorbereitenden Zukunft zweifeln.

Die Zeit der Ruhe kehrt vielleicht mit dem Frühling zurück. Der heitere Himmel wird dann auf ein ruhiges Land und ein glückliches Volk herableuchten und wird es dann in jenen Tagen des Sonnenscheins und Friedens unter dem ganzen frohen Volke freudigere Herzen geben, als die unseren?«

Sie schwieg einen Augenblick. Ein plötzlicher Gedanke oder eine in ihr aufsteigende Erinnerung ließ sie erröthen und zaudern, ehe sie weiter sprach. Endlich wollte sie fortfahren, als ein lauterer Donnerschlag als alle ihm vorhergegangenen, drohend über dem Hause dahinrollte und die ersten Töne ihrer Stimme erstickte. Der Wind ächzte laut, der Regen plätscherte gegen die Thüre, die Klinke klapperte lange und scharf in ihrer Befestigung. Hermanrich stand wieder auf, trat an das Feuer und legte ein frisches Scheit auf die verglimmenden Kohlen. Seine Niedergeschlagenheit schien sich jetzt Antoninen mitgetheilt zu haben und als er sich von Neuem neben ihr hinsetzte, redete sie ihn nicht wieder an.

Im Geiste des Gothen erhoben sich traurigere und schmerzlichere Gedanken als alle die ihn noch beschäftigt hatten. Seine Unruhe in dem Vorstadtquartiere war im Vergleich mit der Düsterheit, welche ihn jetzt bedrückte, die Ruhe selbst. Alle Pflichten seiner Nation, seiner Familie und seines Berufes, denen er ausgewichen war, alle unterdrückten Erinnerungen an die kriegerischen Beschäftigungen, die er gering geschätzt, und die kriegerische Feindseligkeit, welcher er entsagt hatte, belebten sich jetzt rächend in seinem Gedächtnisse von Neuem. So lebhaft aber auch diese Erinnerungen waren, schwächten sie doch keines von den Gefühlen leidenschaftlicher Hingebung gegen Antoninen, durch welche ihr Einfluß in seinem Innern bisher unterdrückt worden war. Sie existierten neben ihnen —— die alten Erinnerungen neben den neuen Empfindungen —— der strenge Tadel, der Natur des Kriegers mit den besorgten Ahnungen des Herzens des Liebenden. Und jetzt begann seine räthselhafte Begegnung mit Ulpius, Goiswinthens unerwartete Genesung und das dumpfe Aufsteigen und der wüthende Ausbruch des nächtlichen Sturmes auf seinen abergläubischen Geist den Eindruck einer Reihe ungewöhnlicher, bedeutsamer Vorfälle zu machen, die dazu bestimmt waren, die Unglück weissagende Rückkehr des Einflusses seiner Verwandten auf seine Handlungen und Antoninens Schicksal zu bezeichnen.

Mit bis in’s Einzelnste gehender Ausführlichkeit belebte sein Gedächtniß von Neuem jeden Umstand, der seine verschiedenen Zusammenkünfte mit dem römischen Mädchen begleitet hatte, von der ersten Nacht, wo sie sich in sein Zelt verirrt, bis zu dem letzten glücklichen Abend, den er mit ihr in dem verlassenen Bauernhause zugebracht hatte. Hierauf verfolgte er den Lauf seiner Existenz weiter rückwärts und stellte sich sein Zusammentreffen mit Goiswinthen in den italienischen Alpen, seine Anwesenheit bei dem Tode ihres letzten Kindes und sein feierliches Versprechen vor, sie mit seinen eignen Händen an den Römern zu rächen, nachdem sie ihm das Blutbad von Aquileja erzählt hatte. Durch diese einander entgegengesetzten Bilder der Vergangenheit erweckt, bevölkerte seine Phantasie die Zukunft mit Vorstellungen von neuen Gefahren, Bekümmernissen und Verstoßungen Antoninens, mit Visionen von dem ungeduldigen Heere, welches endlich, zu wilder Thätigleit angespornt, das römische Volk gänzlich niedermetzelte und ihn auf ewig wieder in seine rächenden Reihen zurückzukehren zwang. Er konnte weder zu einem Entschlusse des Widerstandes, noch zur Ergebung in die Flucht gelangen, Ungewißheit, Verzweiflung und Besorgniß übten eine ungehinderte Herrschaft auf seine leicht erregbaren, aber trägen Geisteskräfte. Die Nacht selbst war, als er in sie hinausblickte, nicht finsteren; der wilde Donner, welchen er hörte, nicht grausiger, der Name Goiswinthens, wenn er an sie dachte, nicht Unheil verkündender, als die finsteren Visionen, welche jetzt seine Phantasie durchzogen und seinen müden Geist bedrückten.

In der Lage Hermanrichs und Antoninens, wie sie so als die einzigen Glieder ihrer Nationen, welche in Liebe und Frieden verbunden waren, in dem einsamen Bauernhause dasaßen, lag etwas unbeschreiblich Einsames, Rührendes und Beredetes. Beide Hände des Mädchens waren auf Hermanrichs Schulter gefaltet und ihr Kopf ruhte auf ihnen, von der Thür des Zimmers gewendet, und ließ so ihr volles, schwarzes Haar in aller seiner Ueppigkeit erblicken. Der Kopf des Gothen war immer noch auf seine Brust: gesunken, als ob er in tiefen Schlaf gehüllt sei, und seine Hände ruhten nachlässig neben einander auf der Scheide seines auf seinen Knieen liegenden Schwertes. Das Feuer flackerte nur in Zwischenräumen in die Höhe, da der frische Klotz, welchen er darauf gelegt hatte, noch nicht vollkommen angebrannt war. Zuweilen spielte das Licht auf dem glänzenden Harnisch Hermanrichs, den dieser abgenommen und neben sich auf den Boden gelegt hatte, zuweilen auf seinem Schwerte und den darauf ruhenden Händen, aber es war nicht kräftig oder dauernd genug, um das Zimmer zu erhellen, dessen Wände und Ecken es in fast völliger Finsterniß ließ.

Der Donner rollte immer noch, aber Regen und Wind hatten sich theilweise gelegt. Die Stunden der Nacht waren schneller vorwärts gegangen, als unsere Erzählung von den dieselben ausfüllenden Ereignissen.

Es war jetzt Mitternacht.

Aus dem Zimmer drang kein Ton zu Antoninens Ohren, als das scharfe Klappern der Thürklinke, welche von dem Winde in ihrer Befestigung erschüttert wurde. Sie ließ ihre klirrenden Töne so regelmäßig vernehmen, als würde sie von den fortschreitenden Augenblicken bewegt, und hielts mit ihnen Schritt. Allmälig bemerkte das Mädchen, daß sie auf diesen scharfen, mißtönigen Klang mit aller Aufmerksamkeit horchte, welche sie zu andern Zeiten dem Rieseln eines fernen Wassers oder den beschwichtigenden Harmonieen einer Laute geschenkt haben würde; plötzlich aber, gerade als es sich ihren Sinnen am ruhigsten zu fügen schien, hörte es auf und im nächsten Augenblicke wehte ihr ein Windstoß, gleich demjenigen, welcher durch die offene Thür gekommen war, als der morsche Riegel derselben brach, das Haar über ihr Gesicht weg und bewegte die Falten ihres leichten, lockeren Kleides. Sie erhob den Kopf und flüsterte Hermanrich bebend zu:

»Die Thür ist wieder offen —— der Riegel ist gewichen!«

Der Gothe schrak aus seinen Träumen auf und blickte hastig in die Höhe. In diesem Augenblicke begann das Klappern der Klinke eben so plötzlich wieder, als es aufgehört hatte, und die Luft des Zimmers nahm ihre frühere Stille wieder an.

»Beruhige Dich, Geliebte,« sagte Hermanrich sanft; »Deine Phantasie hat Dich getäuscht —— die Thür ist wohl verwahrt.«

Er strich ihr bei diesen Worten liebkosend das Haar aus dem Gesichte. Unfähig, das geringste von seinen Lippen fallende Wort zu bezweifeln, und keinen verdächtigen und ungewöhnlichen Ton im Zimmer vernehmend, machte sie keinen Versuch, ihren Verdacht zu rechtfertigen. Als sie wieder die Hand auf seine Schulter legte, beängstigte eine unbestimmte Befürchtung ihr Herz und entlockte ihr einen unwillkürlichen Seufzer, aber sie verlieh ihrer Besorgniß keinen Ausdruck in Worten. Nachdem der Gothe noch einen Augenblick gelauscht hatte, um sich zu überzeugen, daß die Klinke wirklich gehörig verwahrt sei, nahm er unmerklich wieder die Betrachtungen auf, aus welchen er gestört worden war, von Neuem senkte sich sein Kopf, von Neuem kehrten seine Hände mechanisch in ihre frühere, gleichgültige Lage neben einander auf der Scheide seines Schwertes zurück.

Die schwache, flackernde Flamme stieg und sank immer noch, die Klinke klapperte scharf in ihrer Dille, der Donner ließ immer noch sein mürrisches Rollen vernehmen, aber der Wind legte sich jetzt zu schwächeren Stößen und der Regen begann leiser und immer leiser an die Fensterläden zu schlagen. Für die in dem Bauernhause Wachenden hatte sich, was das Auge betras, nichts, und was das Ohr anlangte, nur wenig verändert. Verderbliche Sicherheit!

Die letzten wenigen Minuten hatten ihr künftiges Geschick verderblich bestimmt, —— sie waren in ihrem geliebten Zufluchtsorte jetzt nicht mehr allein.

Sie hörten keinen leisen Schritt um ihre Wohnung schleichen, sie sahen kein blitzendes Auge durch eine Ritze der Fensterläden in das Innere des Zimmers spähen, sie bemerkten keine dunkle, durch die leise und schnell geöffnete Thür in den finstersten Winkel des Zimmers gleitende Gestalt. Während sie jetzt neben einander saßen und ihre jungen, traurigen Herzen stumm mit einander verkehrten, stand jedoch die drohende Gestalt Goiswinthens, in ihre Verwandte Finsterniß gehüllt, unter ihrem schützenden Dache und in ihrem geliebten Dache, still und stumm fast dicht neben ihnen.

Wiewohl die Gluth ihres Fiebers wieder in ihren Adern gewüthet, wiewohl erschreckende Visionen der Mordthaten von Aquileja blitzähnlich vor ihren Augen gezuckt hatten, war sie doch durch die Vorstädte und auf der Landstraße und den schmalen Pfad zur Thür des Bauernhauses hinab, ohne sich nur ein einziges Mal zu verirren oder zu zaudern, geeilt. Achtlos gegen die Finsterniß und den Sturm war sie um das Haus geschlichen, hatte die Klinke erhoben, auf einen lauten Donnerschlag gewartet, ehe sie durch die Thür trat und sich gespenstergleich in den dunkelsten Winkel des Zimmers geschlichen, wobei sie eine Geduld und Entschlossenheit entwickelte, die sich durch nichts stören ließ. Und jetzt, wo sie am Ziele ihrer schlimmsten Wünsche stand, selbst jetzt, wo sie auf die beiden Wesen hinabblickte, die ihre Absichten vereitelt und sie betrogen hatten, verließ sie ihre wilde Fassung nicht, ihre Lippen bebten über ihren verbissenen Zähnen, ihr Busen pochte über ihren durchnäßten Gewändern, aber sie ließ sich weder Seufzer noch Flüche, noch selbst ein Lächeln des Triumphes oder eine Bewegung des Zornes entschlüpfen.

Sie warf keinen Blick auf Antonina. Ihre Augen schweiften keinen Moment von Hermanrich’s Gestalt hinweg. Dem vorübergehendsten, schwächsten Feuerscheine, welcher auf demselben spielte, folgte ihr begieriger Blick eben so schnell, wie jener selbst. Bald heftete sich ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf seine über der Scheide seines Schwertes liegenden Hände und dann erhob sich langsam und dunkel ein neuer verderben schwangerer Entschluß in ihrem Innern. Die sich auf ihrem Gesichte abzeichnendem verschiedenartigen Bewegungen lösten sich in einen boshaften Ausdruck auf, und ohne die Augen von dem Gothen zu verwenden, zog sie langsam aus den Busenfalten ihres Gewandes, ein langes, scharfes Messer.

Das Feuer zitterte abwechselnd hell auf und versank wieder in Dunkelheit wie anfänglich. Hermanrich und Antonina verharrten von ihren Gedanken und sich selbst erfüllt, in ihrer früheren Lage und Goiswintha blieb unbeweglich mit dem Messer in der Hand wachsam, fest, stumm wie bisher stehen.

Aber unter der Hülle ihrer äußerlichen Ruhe wüthete ein Kampf, in dem sich ihr Geist verdunkelte und ihr Herz zuckte. Zweimal brachte sie das Messer in seinen früheren Versteck zurück und zweimal zog sie es wieder hervor. Ihre Wangen wurden bleicher und bleicher, sie preßte ihre geballte Hand convulsivisch auf ihren Busen und lehnte sich matt an die Wand hinter ihr.

An diesem Kampfe geheimer Bewegungen hatte kein Gedanke an Antoninen Theil, ihr Grimm hatte zu viel Schmerzliches an sich, um Zorn gegen einen Fremden und Feind sein zu können.

Nach wenigen Augenblicken war ihre Kraft zurückgekehrt, ihre Festigkeit gestählt Die letzten Spuren des Kummers und der Verzweiflung, die sich bisher in ihren Augen gezeigt hatten, verschwanden plötzlich aus denselben. Grimm, Rache, Grausamkeit glühten in ihnen, als sie leise bis dicht zu dem Gothen heranschlich und als der nächste Schimmer des Feuers auf ihn spielte, das Messer scharf über die Rückseite seiner beiden Hände zog. Der Schnitt war richtig geführt, kräftig und schnell er theilte die Sehnen von der ersten bis zur letzten der Gothe war auf lebenslang verkrüppelt.

In diesem Augenblicke hatte das Feuer das Herz des darauf gelegten Klotzes ergriffen, er prasselte munter, er loderte hell auf. Das ganze Zimmer war glänzend erleuchtet.

Das warme heitere Licht zeigte dem Gothen die Gestalt derjenigen, welche ihn verstümmelt hatte, ehe noch der erste Schrei der Pein auf seinen Lippen erstorben, ehe noch das erste Zacken ununterdrückbaren Entsetzens in seinem Körper vorüber war. Das Geschrei seiner unglücklichen Gefährtin als die ganze Scene der Rache, Verrätherei und Verstümmelung in einem furchtbaren Augenblicke vor ihr vorüber blitzte, schien nicht einmal seine Ohren zu erreichen. Einmal blickte er auf seine hilflosen Hände nieder, als das Schwert schwer aus denselben auf den Boden rollte, dann haftete sein Blick unbeweglich auf Goiswinthen, die in geringer Entfernung von ihm, mit ihrem blutigen Messer, eben so stumm wie er selbst dastand.

In seinen Zügen war, als er jetzt auf sie blickte, keine Muth, kein Trotz, nicht einmal die vorübergehende Verzerrung physischer Leiden zu erblicken, als er sie so anschaute; starres Entsetzen —— thränenlose, stumme, hilflose Verzweiflung schien den Ausdruck seines Gesichts in eine ewige unjugendliche, hoffnungslose Form gepreßt zu haben, als ob er von Kindheit auf eingekerkert gewesen wäre und eine Stimme ihm jetzt von den Gittern seiner Kerkermauern aus die Freuden der Freiheit vorhalte. Selbst als Antonina, aus ihrer ersten Schmerzensqual erwachend, ihre convulsischen Küsse auf seine kalte Wange drückte und ihn anflehte, sie anzuschauen, wendete er weder den Kopf von Goiswinthens Gestalt ab, noch lenkte er selbst seine Augen von ihr hinweg.

Endlich wurden die tiefen festen Töne der Stimme des Weibes in dem öden Schweigen hörbar.

»Ein Verräther in Wort und Gedanken magst Du noch sein —— aber ein Verräther in Thaten zu sein, hast Du für immer aufgehört!« begann sie mit ihrem Messer aus seine Hände deutend. »Die Hände, welche ein römisches Leben beschützt haben, sollen nie ein römisches Schwert halten, nie wieder durch ihre Berührung eine gothische Waffe beflecken! Ich erinnerte mich, als ich Dich in, der Finsterniß beobachtete, wie die Frauen meines Stammes einst ihre feigen Krieger bestraften, wenn sie von einer Niederlage zu ihnen flohen —— so habe ich Dich bestraft! Der Arm, der nicht der Sache der Schwester und ihrer Kinder —— des Königs und des Volkes gedient hat, soll keiner andern dienen. Ich bin jetzt, wo ich mich an Dir gerächt habe, schon halb für die Morde von Aquileja gerächt. Geh, fliehe mit der Römerin, die Du Dir ausgewählt hast, nach der Stadt ihres Volkes. Dein Leben als Krieger ist zu Ende.«

Er gab ihr keine Antwort, —— es gibt Empfindungen —— die letzten eines Lebens —— die von der Natur die stärksten Schranken hinwegreißen, welche die Gewohnheit aufgerichtet hat, um sie zu unterdrücken, die die verborgene Existenz des ersten rohen Socialgefühls der ursprünglichen Tage einer großen Nation in der Brust ihrer fernsten Nachkömmlinge verrathen, wie weit sie auch durch ihre Kenntnisse, ihr Glück und ihre Veränderungen moralisch von ihren Vorfahren getrennt zu sein scheinen mögen. Dies waren die Empfindungen, welche jetzt in dem Herzen des Gothen erwachten.

Sein Christenthum, seine Liebe, das Bewußtsein hoher Bestrebungen und seine Erfahrung neuer Ideen versanken und verließen ihn, als ob er sie nie gekannt habe. Er dachte an seine gelähmten Hände und in seinem Innern regte sich kein anderer Geist, als der alte gothische, früherer Jahrhunderte, der seiner Nation ihre ersten nordischen Gesänge und nordischen Thaten eingab, der des Ruhmes, des Muthes, der Herrschaft und der Oberherrlichkeit der Kraft.

Umsonst sehnte sich Antonina in der Verzweiflung, welche sich ihrer bemächtigt hatte, nach einem Worte von seinen Lippen oder einem Blicke aus seinen Augen, umsonst stillten ihre zitternden Finger, nachdem sie ihr Kleid zerrissen, um Bandagen daraus zu machen, das Blut seiner verwundeten Hände, umsonst rief ihm ihre Stimme zu, daß er fliehen und von seinen Kameraden im Lager Hilfe herbeirufen möge —— sein Geist war in weiter Ferne bei den Legenden von den Schlachtfeldern seiner Vorfahren und erinnerte sich, wie sie sich selbst am Tage des Sieges tödteten, wenn sie in der Schlacht gelähmt worden waren, wie sie es verschmähten zu andern Zwecken als denen des Kampfes zu leben, wie sie Verräther verstümmeltem wie Goiswintha ihn verstümmelt hatte!

Dies waren die Gegenstände, welche seine inneren Fähigkeiten gefesselt hielten, während seine äußern Sinne noch von dem furchtbaren Zauber umstrickt waren, welcher für ihn in der Gegenwart seiner Lähmerin neben ihm bestand. Sogar das Bewußtsein des Lebens schien aufgehört zu haben, obgleich er athmete und sich bewegte.

»Du dachtest mich in meiner Krankheit zu betrügen, Du hofftest von meinem Tode Vortheil zu ziehen,« fuhr Goiswintha fort, indem sie verächtlich den Blick ihres Opfers erwiderte. »Du vertrautest auf die Nacht und die Dunkelheit und den Sturm —— Du warst sicher in Deiner Kühnheit, in Deiner Kraft, in dem Geheimnisse dieses Verstecks, den Du für Deinen Verrath gewählt hast, aber Deine List und Deine Erwartungen sind fehlgeschlagen! In Aquileja habe ich gelernt, eben so listig und wachsam zu sein, wie Du! Ich habe entdeckt, daß Du die Krieger und das Lager verließest, ich bin bis zu Deinem Verstecke gedrungen, ich bin eben so leise in dasselbe getreten, wie ich einst das Haus verließ, wo meine Kinder getödtet worden waren.

»In meiner gerechten Rache habe ich Dich eben so verrätherisch behandelt, wie Du mich behandelt haben würdest. Erinnere Dich Deines ermordeten Schwagers, erinnere Dich des Kindes, das ich verwundet in Deine Arme gelegt und todt aus ihnen empfangen habe, erinnere Dich Deiner gebrochenen Eide und vergessenen Versprechungen, und gewähre Deinem Volke, Deinen Pflichten und mir die Vergütung, die einzige und letzte Vergütung, welche ich noch in Deiner Macht gelassen habe —— die Vergütung durch den Tod.«

Von Neuem schwieg sie, aber wieder wurde ihr keine Antwort zu Theil. Der Gothe bewegte sich weder noch sprach er und Antonina, die, ohne es selbst zu wissen, auf dem jetzt für ihn auf ewig unbrauchbaren Schwerte kniete, fuhr fort das Blut an seinen Händen mit einem mechanischen Eifer zu stillen, welcher die Betrachtung jedes andern Gegenstandes von ihren Augen auszuschließen schien. Die Thränen strömten unablässig über ihre Wangen herab, aber sie wendete sich nie zu Goiswinthen, ließ nie in ihrer Beschäftigung nach.

Unterdessen loderte das Feuer immer noch prasselnd auf dem warmen, hellen Heerde, aber der Sturm ließ schnell nach, als verschmähe er das Amt, die menschlichen Schrecken der Seene im Bauernhause zu erhöhen. Der Donner rollte weniger häufig und weniger laut, der Wind sank zu Zwischenräumen geräuschloser Stille herab und von Zeit zu Zeit ergoß sich der Mondschein durch die zerrissenen Ränder der sich schnell zerstreuenden Wolken. Der Hauch des stillen Morgens zog bereits über das Firmament der stürmischen Nacht.

»Besitzt das Leben noch seinen alten Zauber für Dich?« fuhr Goiswintha in Tönen mitleidlosen Vorwurfs fort: »hast Du mit dem Muthe Deines Volkes den Zweck vergessen, für welchen Deine Vorfahren lebten? Liegt nicht das Schwert zu Deinen Füßen? Ist nicht das Messer in meiner Hand? Bieten Dir nicht die Wellen des dort der See zuströmenden Tiber das Grab der Vergessenheit, welches Alle suchen können? Stirb also! sei in Deiner letzten Stunde ein Gothe, selbst für die Römer bist Du jetzt werthlos. Schon haben Deine Kameraden Deine Desertion entdeckt —— willst Du warten bist Du als Rebell gehängt wirst? Willst Du leben, um die Gnade Deiner Feinde anzuflehen, oder entehrt und hilflos zu entrinnen versuchen. Du gehörst zu dem Blute meiner Familie, aber nochmals sage ich Dir, stirb!«

Seine bleichen Lippen bebten, er sah sich zum ersten Male nach Antoninen um, aber seine Stimme kämpfte auch jetzt vergebens gegen die Verzweiflung. Er schwieg.

Goiswintha wendete sich geringschätzig von ihm ab, näherte sich dem Feuer und setzte sich vor demselben nieder, indem sie ihr hageres Gesicht über die schimmern den Flammen beugte. Einige Minuten lang blieb sie in ihre schlimmen Gedanken versunken, aber es entfloh ihr kein artikulierter Laut und als sie endlich das Schweigen wieder plötzlich unterbrach, geschah es nicht, um den Gothen anzureden, oder ihre Augen wie früher aus ihn zu heften.

Immer noch über das Feuer gebeugt, dem Anscheine nach für die Gegenwart der beiden Wesen, deren Glück sie jetzt auf ewig vernichtet hatte, so achtlos, als ob sie nie existirt hätten, begann siein feierlichen, gemessenen, singenden Tönen eine Legende aus dem dunkelsten, frühesten Zeitalter der gothischen Geschichte zu recitiren, wobei sie mit dem Messer, welches sie noch in der Hand hielt, den Takt dazu schlug. Die Bosheit ihres Ausdruckes verrieth, während sie ihre Beschäftigung fortsetzte, den herzlosen Zweck, welchen sie dabei hatte, fast eben so beredet, als die Worte des Liedes, welches sie jetzt sprach:

»Die Schwingen des Sturmgotts den Himmel umzieh’n,
»Die Wellen vor dem Sturme flieh’n
Und Odins Säle erzittern vom Schwall
Der brausenden Wogen am Felsenwall,
Allein auf den klippigen Küstenhöh’n
Siehst Du bei Jung Agnar Sionen steh’n.
Von Thränen benetzt ist des Mädchens Gesicht,
Wie leise die Stimme des Helden spricht.

»Schlimmer noch, als wenn gefallen
Ich im wilden Kampfe wär’,
Schwach, gelähmt, kann ich vor Allem
Nie mehr ziehen mit dem Heer.
Mit der Schlacht die heut’ gewonnen,
Agnars Leben ist verronnen.

»Will der Leib vor Schwache beben,
Wenn Du sollst zum Kampfe zieh’n,
Wenn der Arm nicht mehr Dein Leben
Schützen kann im blut’gen Müh’n,
Wenn die Hand nicht mehr beim Ringen
Kann das schneid’ge Schlachtschwert schwingen,
Dann ist’s schmachvoll, fort zu leben,
Dann mußt Du den Tod Dir geben.
Dies ist Odins mäch'ger Wille,
Den ich heute noch erfülle.«

Bei dieser Stelle hielt sie inne, und wendete sich plötzlich zu Hermanrich, um die Wirkung, welche das Lied auf ihn machte, zu beobachten. Die ganze entsetzliche Anwendbarkeit desselben auf ihn zuckte durch sein Herz. Der Kopf sank ihm auf die Brust und ein leises Stöhnen rang sich von seinen Lippen. Aber selbst dieser Beweis des Leidens, welches sie ihm auferlegte, vermochte die eiserne Bösartigkeit Goiswitithens nicht zu erschüttern.

»Erinnerst Du Dich des Todes Agnars?« rief sie. »Als Du ein Kind warst, sang ich Dich damit in den Schlaf und Du schworst, wenn Du es hörtest, daß Du, einst Mann geworden, wenn Du s eine Wunden erleiden solltest, seinen Tod sterben würdest. Er wurde beim Siege gelähmt, aber doch tödtete er sich am Tage seines Triumphes, —— Du bist in Deiner Verrätherei gelähmt worden und hast die Ehre Deiner Knabenzeit vergessen und willst in der Finsterniß Deiner Schmach leben. Hast Du die Erinnerung an das alte Lied verloren? Du hast es von mir am Morgen Deiner Jahre gehört, Du sollst es jetzt bis zu Ende hören, es ist das Trauerlied Deines nahen Todes.«

Sie fuhr fort:

»Klag’ nicht, denn dort, wohin ich geh’,
Fühlt Keiner mehr der Erde Weh!
Der Helden Schwerter lustig klirren,
Die Pfeile durch die Lüfte schwirren,
Die Wunde ungepflegt sich schließt,
Eh’ noch die Schlacht vorüber ist,
Jungfrau’n mit ewig grünen Kränzen
Den Helden goldnen Meth kredenzen.

»Doch denke nicht, daß unbewegt
Mein Schicksal mich von hinnen trägt.
In Dir verlier ich allzumal
Der ird’schen Freuden süße Zahl.

»Sieh’, die schwarzen Wolken zieh’n
Ueber’s Mondesantlitz hin;
Odins Helden warten hehr’
An dem erdumzieh’nden Meer,
Der Wellen Ruf ertönet hohl
Noch ein —— das letzte —— Lebewohl!

»Mit Lächeln stellt er sich zum Sprung,
Vom Felsen flog er mit Vogelschwung,
Laut brüllend das Meer seine Beute verschlang,
Allein stand das Mädchen am Klippenhang
Und die Geier sie, schrie’n um den Helden gut,
Der sie nun nicht mehr zum Leichenmahle lud.«

Als Goiswintha langsam und mit gemessenem Nachdruck die letzten Zeilen des Gedichtes sprach, trat sie wieder zu Hermanrich. Aber die Augen des Gothen suchten sie nicht mehr auf, sie hatte die Gefühle, welche sie zu erregen hoffte, zur Ruhe gebracht. Von der letzten Abtheilung ihrer Ballade hatte nur der Theil, welcher von Liebe sprach, die Aufmerksamkeit des gelähmten Kriegers erregt und die abgestumpften Gefühle seines Herzens erlangten, während er ihnen zuhörte, ihren früheren Adel wieder. Ein tiefernstes Gemisch von Liebe, Schmerz und Mitleid zeigte sich in dem Blicke, welchen er jetzt auf das verzweifelnde Gesicht des Mädchens lenkte. Jahre voll guter Gedanken, ein ganzes Leben liebevoller Fürsorge, eine Ewigkeit jugendlicher Hingebung sprachen aus diesen entzückten, momentanen, beredten Blicken und prägten seinen Zügen einen unaussprechlich schönen und ruhigen Charakter, —— einen Adel ein, der über dem Menschlichen stand und sich dem Engelhaften und Göttlichen näherte. Goiswintha folgte instinktmäßig der Richtung seiner Augen und blickte, gleich ihm, auf das Gesicht des Mädchens. Ein Ausdruck grimmigen Hasses trat an die, Stelle des Hohnes, welcher bis jetzt ihr leidenschaftliches Gesicht verzerrt hatte. Mechanisch zuckte ihre Hand wieder das Messer und die Töne ihrer zornerfüllten Stimme unterbrachen wieder das heilige Schweigen der Liebe und des Schmerzes. »Möchtest Du noch für das Mädchen dort leben?« rief sie finster; »mir ahnte es, Du Feigling, als ich Dich zuerst erblickte, —— ich war darauf gerüstet, als ich Dich verwundete! Ich machte mich sicher, daß, wenn mein Zorn wieder diese neue Beherrscherin Deiner Gedanken und Lenkerin Deiner Handlungen bedrohen sollte, Du die Macht verloren haben würdest, ihn nochmals von ihr abzulenken! Denkst Du, daß meine Rache an ihr aufgegeben ist, weil meine Geringschätzung sie verschoben hat! Schon lange habe ich Dir zugeschworen, daß sie sterben müsse, und ich werde an meinem Entschlusse festhalten! Dich habe ich bestraft, sie werde ich tödten! Kannst Du sie diese Nacht vor dem Streiche beschützen, wie Du sie in Deinem Zelte beschützt hast, Du bist vor mir schwächer als ein Kind.«

Sie hielt plötzlich inne, da in diesem Augenblicke das Geräusch herbeieilender Schritte und streitender Stimmen vor dem Hause laut wurde. Als sie es vernahm, vertrieb eine gespenstische Blasse die Zornröthe von ihrem Gesicht. Mit der Schnelligkeit der Furcht riß sie Hermanrich’s Schwert unter Antoninen hervor und schob es durch die Haspem welche zur Aufnahme des Thürriegels bestimmt waren. Im nächsten Augenblicke erschallten die Schritte auf dem Gartenwege und dann wurde an die Thür geschlagen.

Das gute Schwert hielt fest, aber die schwache Schranke, welche es aufrecht erhalten sollte, gab bei dem zweiten Stoße nach, und fiel zersplitternd in das Zimmer. Augenblicklich verdunkelte sich der Raum der Thür durch menschliche Gestalten und der Schein des Feuers beleuchtete die zurückstoßenden Gesichter zweier Hunnen, welche in voller Rüstung und mit entblößten Schwertern die Eindringenden anführten.

»Gieb Dich auf Alarich’s Befehl gefangen!« rief Einer von den Barbaren, »wenn Du nicht als Deserteur auf der Stelle umgebracht sein willst!«

Der Gothe war aufgesprungen, als die Thür eingebrochen wurde, die Ankunft seiner Verfolger schien ihm seine verlorene Energie wieder zu geben, ihn plötzlich von einem schweren Joche zu erlösen. Auf seinen festen Zügen schimmerten Triumph und Trotz, als er die Aufforderung des Hunnen hörte. Auf einen Augenblick beugte er sich zu Antoninen, die ohnmächtig an ihm hing, nieder. Sein Mund zuckte und sein Auge schimmerte, als er ihre kalte Wange küßte. In diesem Augenblicke stellte sich seinem Geiste die ganze Hoffnungslosigkeit seiner Lage, die ganze Werthlosigkeit seines verdorbenen Lebens, die ganze Schmach, welche ihn bei der Rückkehr nach dem Lager erwartete, vor. In diesem Augenblicke bestürmten ihn die schlimmsten Schrecken des Scheidens und Todes; die heftigsten Foltern der Liebe und Verzweiflung vermochten ihn jedoch nicht zu überwinden. In diesem Augenblicke zahlte er der Neigung den letzten Tribut und spannte zum letzten Male seinen Geist zu männlicher Unerschrockenheit und spartanischer Entschlossenheit an.

Im nächsten riß er sich aus den Armen des Mädchens, der alte Heldengeist seiner kriegerischen Nation erfüllten jeden Nerv seines Körpers, sein Auge erhellte sich wieder mit seinem verlorenen Heldenglanze, seine Glieder wurden fest, sein Gesicht war ruhig; er winkte die Hunnen mit gebieterischer Miene und verächtlichem Lächeln heran und, während er ihnen seine schutzlose Brust bot, war in seiner Stimme nicht das geringste Beben hörbar, als er mit herausforderndem Tone rief:

»Stoßt zu! ich ergehe mich nicht!«

Die Hunnen stürmten mit wildem Geschrei heran und begraben ihre Schwerter in seinem Körper. Sein warmes, junges Blut sprudelte auf den Fußboden des Hauses nieder, welches der Liebesaltar des dasselbe ausströmenden Herzens gewesen war. Ohne Seufzer, ohne Zucken auf seinem Gesicht sank er todt zu den Füßen seiner Feinde nieder, aller Muth seines Charakters, alle Milde seines Herzens. Alle Schönheit seiner Gestalt war in einem kurzen Augenblicke zu einer gefühllosen, bewegungslosen Masse aufgelöst.

Antonina erblickte den Mord, wurde aber mit dem Ausblicke des ihm folgenden Todes verschont, sie fiel bewußtlos neben ihrem jungen Krieger nieder, ihre Kleidung wurde mit seinem Blute bespritzt, ihre Gestalt war bewegungslos wie die seine.

»Laßt ihn hier verfaulen! Der Stolz auf seine Ueberlegenheit wird ihm jetzt nichts mehr helfen, nicht einmal zu einem Grabe!« rief der Hunne höhnisch seinem Genossen zu, als er sein dampfendes Schwert an den Gewändern der Leiche abtrocknete.

»Und dieses Weib?« fragte einer von seinen Kameraden, »soll es freigelassen oder festgenommen werden?«

Er deutete bei diesen Worten auf Goiswinthen.

Während der kurzen Mordscene schienen alle ihre Geistes- und Körperkräfte in Erstarrung gerathen zu sein, sie hatte kein Glied bewegt, kein Wort gesprochen.

Der Hunne erkannte sie als das Weib, welches ihn im Lager ausgefragt und bestochen hatte.

»Sie ist mit dem Verräther verwandt und ohne Urlaub von den Zelten abwesend,« antwortete er. »Führt sie gefangen zu Alarich; sie wird uns bezeugen, daß wir gehandelt haben, wie er es uns gebot. Was das Mädchen betrifft,« fuhr er fort, indem er auf das Blut blickte, womit Antoninens Kleid befleckt war und ihre Gestalt nachlässig mit seinem Fuße bewegte, »so wird das wohl auch todt sein, denn es bewegt sich weder, noch spricht es und kann, wie sein Beschützer, unbegraben liegen bleiben, wo es ist. Für uns ist es Zeit aufzubrechen, der König liebt den Verzug nicht.«

Als sie Goiswinthen rauh aus dem Hause führten, zuckte sie zusammen und versuchte, als sie an dem Leichnam des Gothen vorüberkam, auf einen Augenblick stehen zu bleiben. Der Tod, der eben so gut Feindschaft verlöschen, wie Liebe trennen kann, erhob sich furchtbar vor ihr, als sie den legten Blick auf ihren ermordeten Bruder warf. Aus ihren Augen floß keine Thräne, aus ihrer Brust drang kein Seufzer, aber ihr Herz durchzuckte ein letzter vorübergehender Kummer und Mitleidschmerz, als sie, während sie fortgezogen wurde, rief:

»Aquileja! Aquilejal Habe ich Dich darum überlebt!«

Die Soldaten entfernten sich. Einige Minuten lang herrschte ununterbrochenes Schweigen in dem Gemache, wo das bewußtlose Mädchen noch neben Allem was ihr von dem Gegenstande ihrer ersten Jugendliebe geblieben war, lag. Bald aber näherten sich der Thüre des Bauernhauses neue Schritte und zwei Gothen, die zu der den Hunnen gegebenen Escorte gehört hatten, traten zu der Leiche des jungen Häuptlings Sie hoben sie schnell und stumm auf ihre Schultern und trugen sie in den Garten. Dort scharrten sie mit ihren Schwertern eine seichte Grube in den frischen, blumengezierten Rasen, bedeckten die Leiche, nachdem sie dieselbe dort niedergelegt, hastig mit Erde und entfernten sich schnell, ohne nach dem Hause zurückzukehren.

Diese Männer hatten bei der unter Hermanrich’s Befehlen stehenden Abtheilung gedient. Der junge Häuptling hatte durch eine Menge von Beweisen der Großmuth und ihnen gewährten Aufmunterungen ihre rauhe Zuneigung erlangt. Sie betrauerten sein Schicksal, wagten es aber nicht, den Urtheilsspruch zu hemmen, noch sich der That, durch welche derselbe ausgeführt wurde, zu widersetzen. Auf ihre eigne Gefahr hatten sie insgeheim die sich entfernenden Reihen ihrer Kameraden verlassen, um das letzte Recht der Menschenliebe zu benutzen, und dem letzten Gebote derselben zu gehorchen, —— und sie dachten nicht an das einsame Mädchen, welches sie jetzt hilflos zurückließen, und eilten davon, um wieder ihre angewiesenen Plätze einzunehmen, ehe es zu spät war.

Der Rasen schmiegte sich liebkosend um die Gestalt des jungen Kriegers; seine zertretenen Blumen preßten sich mild an dessen kalte Wangen, der Duft des neuen Morgens wehte seinen reinen Wohlgeruch sanft um dessen einfaches Grab! Um ihn her blühten die zarten Pflanzen, welche Antoninens Hand gezogen hatte, um sein Auge zu erfreuen. Neben ihm stand das Haus, welches dem ersten und letzten Kusse, den er auf ihre Lippen gedrückt hatte, geheiligt war, und um ihn her erhoben sich auf allen Seiten Felder und Wälder, welche, nebst seinem Bilde, alle ihre theuersten Gedanken umfaßt hatten. Er lag in seinem Tode inmitten des Zauberkreises der schönsten Freuden seines Lebens! Es war für die irdischen Ueberbleibsel jenes heitern, edlen Geistes ein passenderer Begräbnißort, als die Grube auf dem blutigen Schlachtfelde oder die öden Gräber eines nordischen Landes!


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