Antonina oder der Untergang Roms
Kapitel II.
Die Stadt und die Götter.
Wir kehren wieder zu dem gothischen Lager in der Vorstadt, östlich vom Pincischen Thore, und zu Hermanrich und den Kriegern unter seinem Befehl zurück, welche sich noch in jenem Theile des großen Kreises der Blockcade befinden.
Die Bewegungen des jungen Häuptlinge von einem Posten zum andern ließen in ihrer Verschiedenartigkeit und Schnelligkeit die Unruhe, welche seinen Geist bewegte, erkennen. Er blickte häufig, von den ihn umgebenden Kriegern nach dem abgelegenen Theile der Vorstadt und wendete von Zeit zu Zeit seine Blicke dem westlichen Horizonte zu, als ob er mit Aengstlichkeit das Nahen einer bestimmten Stunde der bevorstehenden Nacht erwarte. Endlich müde geworden, Beschäftigungen fortzusetzen, welche seine Ungeduld offenbar mehr reizten als beschäftigten, wendete er sich plötzlich von seinen Leuten ab, schritt auf die Stadt zu und ging langsam auf dem freien Raume zwischen der Vorstadt und den Mauern von Rom hin und her.
Von Zeit zu Zeit fuhr er fort, das ihn umgebende Schauspiel zu betrachten. Man kann sich kaum auf der Erde oder am Himmel etwas Traurigeres denken, als die Aussicht, welche ihm jetzt zu Theil wurde. Der trübe, sonnenlose Tag näherte sich seinem Ende und der Himmel versprach eine stürmische Nacht. Dichte, schwarze Schichten von formlosen Wolken hingen über dem ganzen Firmament, mit Ausnahme des Westens, wo ein Streifen blassen, gelben Lichtes lag, der auf allen Seiten von den festen, unabgestuften, unregelmäßigen Rändern der düsteren Dunstmassen rund umher eingeschlossen war.
In der ganzen Atmosphäre herrschte tiefe Stille, selbst der Wind säuselte nicht mehr in den Bäumen. Die Bewegung und Thätigkeit in der Existenz der Natur und dem Leben des Menschen schien völlig gefesselt, unterdrückt, erstickt zu sein. Die Luft war mit einer drückenden Hitze geschwängert und alle belebten und leblosen Dinge auf Erden fühlten die Last, welche die höheren Elemente auf sie warfen. Das Volk, welches nach Athem keuchend in der von Hungersnot gepeinigten Stadt lag, war diesem schwächenden Drucke eben so sehr unterworfen, wie die Grashalme, welche verschmachtend auf dem dürren Rasen vor den Mauern welkten.
Als die Stunden allmälig vergingen und die Nacht langsam heranschlich, überzog eine monotone Dunkelheit, die Hermanrich von der einsamen Stelle, an welcher er sich befand, sichtbaren Gegenstände einen nach dem andern. Bald verschwamm die Stadt zu einem ungeheuren, undurchdringlichen Schatten, während die Vorstädte und das niedere Land um sie her in der dichten Finsterniß verschwand, welche sich wahrnehmbar über der Erde sammelte; und jetzt war der einzige deutlich sichtbare Gegenstand die Gestalt einer müden Schildwache, welche auf der drohenden Zinne unmittelbar über der gespaltenen Mauer postiert war und auf ihre Waffe gestützt einen harten Abstich gegen den drinnen, einsamen Lichtstreifen bildete, welcher noch in der kalten Wolkenwüste des Westhimmels schimmerte.
Als die Nacht noch weiter vorrückte, verbleichte und verschwand aber auch dieser eine Lichtstreifen und mit ihm die Schildwache samt der Mauer, auf welcher sie postiert war. Die Herrschaft der Finsterniß wurde jetzt allgemein. Dicht und schnell überzog sie die ganze Stadt mit erschreckender Plötzlichkeit, als habe das furchtbare Schicksal, welches sich jetzt in Rom erfüllte, die äußeren Eigenthümlichkeiten der Nacht zur Harmonie mit seiner eigenen Wehe verkündenden Natur gezwungen.
Als der junge Gothe noch auf seinem beobachten Posten verharrte, wurde das lange, leise, bebende Rollen fernen Donners großartig hörbar. Es schien aus fast unberechenbarer Ferne zu kommen; vom-seiner Wiege im eisigen Norden zu erklingen; an den einsamen Polen um seine mit Eis umgürteten Gemächer zu ziehen. Es machte die traurige, geheimnißvolle Stille der Atmosphäre eher noch tiefer, als daß es sie unterbrochen hätte. Auch die Blitze besaßen eine sommerliche Weichheit in ihrem geräuschlosen, häufigen Aufleuchten. Es war nicht das zackige Blitzen des Winters, sondern eine flackernde, warme Helle, die, in ihrer leichten, schnellen Wiederkehr fast bezaubernd und mit der Gluth des Himmels, nicht aber mit dem grellen Schein der Hölle gefärbt war.
Es herrschte weder Wind noch Regen und die Luft war so still, als schlafe sie in der Kindheit einer neuen Schöpfung über dem Chaos.
Unter den Gegenständen, die auf Augenblicke den Augen Hermanrich’s durch die Blitze sichtbar wurden, ließ sich keiner leichter und deutlicher erkennen, als die breite, ununterbrochene Oberfläche der gespaltenen Mauer. Die großen lockern Steine, welche hier und da an ihrem Fuße verstreut waren und die überhangende Decke ihrer breiten Zinne erschienen deutlich, wenn auch nur vor übergehend, in den kurzen Augenblicken ihrer Erleuchtung. Die Blitze hatten eine Zeitlang um die Festungswerke und den sich unmittelbar jenseits derselben erstreckenden nackten Boden gespielt, als die platte Fläche, welche man so auf Augenblicke sah, plötzlich durch eine Flucht von Vögeln unterbrochen wurde, welche an einer der unteren Abtheilungen der Mauer erschien und unruhig an einem Punkte vor derselben hin- und her flatterten.
Wie einen Augenblick nach dem andern die Blitze schimmerten, wurden auch die schwarzen Formen der Vögel dem geübten Auge des Gothen sichtbar, sie wirbelten wie Feuerfunken oder Schneeflocken verwirrt und anhaltend um die Stelle, von welcher sie offenbar durch eine unbekannte Unterbrechung verscheucht worden waren. Nach einiger Zeit verschwanden sie endlich ebenso plötzlich wie sie sich gezeigt hatten, mit schrillen Tönen der Furcht, die selbst über das anhaltende Rollen des Donners hervor klangen und unmittelbar darauf in einem dunkeln Zwischenraume erblickte Hermanrich an dem Theile der Mauer, wo die Vögel zuerst gestört worden waren, einen kleinen rothen Schimmer, gleich seinem in der Oberfläche des Gehäu’s angebrachten Feuerfunken. Dann verschwand auch dieser, eine längere Dunkelheit als gewöhnlich herrschte in der Atmosphäre und als der Gothe begierig durch die zunächst folgenden Blitze hinblickte, zeigten sie ihm momentan die undeutliche Gestalt eines Menschen, welcher aus den Steinen am Fuße der Mauer aufrecht dastand.
Hermanrich schrak erstaunt zusammen. Von Neuem hatte das Blitzen aufgehört. In der fruchtlosen Hoffnung, die ihn umgebende Dunkelheit zu durchdringen, strengte er seine Augen auf’s Aeußerste an, um mehr von jener Erscheinung zu erblicken. Die Dunkelheit schien endlos gu sein. Wieder leuchteten die Blitze glänzend auf, er schaute gierig nach der Mauer hin —— die Gestalt befand sich immer noch daselbst.
Sein Herz pochte schnell, als er unentschlossen auf dem Punkte verharrte, welchen er eingenommen hatte, seit das erste Rollen des Donners sein Ohr traf. Waren das Licht und der Mensch —— das eine nur auf einen Augenblick gesehen, der andere immer noch wahrnehmbar —— bloße Gespenster seines irrenden Auges, welches durch die schnelle Wiederholung der atmosphärischen Phänomene geblendet worden war, oder erblickte er unbezweifelt eine menschliche Gestalt und hatte er wirklich ein Licht beobachtet?
In der belagerten Stadt brütete vielleicht eine seltsame Verrätherei, ein gefährliches Geheimniß, was zu beobachten und zu enthüllen seine Pflicht gebot. Er zog sein Schwert und schritt, auf die Gefahr hin, von der Schildwache auf der Mauer durch die Blitze wahrgenommen und durch die tausend Donner gehört zu werden, entschlossen bis an den Fuß der Festungswerke des feindlichen Rom’s vor.
Er hörte kleinen Laut, bemerkte kein Licht, gewahrte keine Gestalt, als er nach mehreren erfolglosen Versuchen die Stelle, wo sie lagen, zu erreichen, endlich an den losen Steinen stehen blieb, welche, wie er wußte, am Fuße der Mauer zusammengehäuft waren.
Im nächsten Augenblicke befand er sich so dicht an derselben, daß er mit der Schwertspitze über Theile ihrer rauhen Oberfläche hinziehen konnte. Er hatte kaum auf diese Art einen mehr als zehn Schritte breiten Raum untersucht, als seine Waffe auf eine scharfe, gezähnte Kante stieß und ihm augenblicklich ein plötzliches Vorgefühl verkündete, daß er die Stelle gefunden, wo er das momentane Licht erblickt, und auf demselben Steine stand, wo sich früher die Gestalt des Mannes befunden hatte.
Nach kurzem Zaudern wollte er eben auf den losen Steinen höher steigen und die so eben in der Mauer entdeckte Unregelmäßigkeit näher untersuchen, als ein ungewöhnlich lange anhaltender, heller Blitz ihn kaum einen Schritt vor sich die bereits von der Ebene aus erblickte Gestalt zeigte.
Es lag etwas unaussprechlich Furchtbares in der unsichtbaren Nähe, in welcher er sich die nächsten dunkeln Augenblicke hindurch bei dieser schweigenden, räthselhaften Gestalt befand, die so unwillkommen durch den Blitz erleuchtet worden war.
Jeder Puls in dem Körper des Gothen schien zu stocken, als er mit bereit gehaltener Waffe dastand, in die undurchdringliche Dunkelheit hinaussah und auf den folgenden Blitz wartete. Er kam und zeigte, ihm die Augen des Mannes, welche fest auf sein Gesicht herab stierten —— ein zweites Leuchten und er sah, wie Jener einen dürren Finger zum Zeichen des Schweigens an die Lippen legte —— ein dritter und er gewahrte den Arm der Gestalt, der nach der Ebene hinter ihm deutete und dann, in der jetzt erfolgenden Finsternis, schlug ein heißer Athem an sein Ohr und eine Stimme flüsterte ihm nährend einer Pause im Rollen des Donners zu:
»Folge mir!«
Im nächsten Augenblicke fühlte Hermanrich eine momentane Berührung von dem Körper des Mannes als dieser mit geräuschlosen Schritte über die Steine hinweg an ihm vorbeikam. Es war keine Zeit zur Ueberlegung oder zu Zweifeln vorhanden. Er folgte dem Fremden dicht auf dem Fuße und bemerkte seine dunkle Gestalt vor sich, wenn das Blitzen auf einen Augenblick Licht in die Scene brachte, bis sie an eine Baumgruppe gelangten, die nicht weit von der durch die Gothen unter seinem Befehle besetzt gehaltenen Häusern der Vorstadt war.
Hier blieb der Fremde vor dem Stamme eines Baumes stehen, welcher sich zwischen der Stadtmauer und ihm befand und zog unter seinem zerlumpten Mantel eine sorgfältig mit einem Tuche bedeckte Laterne hervor, welche er jetzt enthüllte und das Licht hoch über seinem Kopfe haltend, den Gothen mit ängstlichem Forschen betrachtete.
Hermanrich wollte ihn zuerst anreden, aber das Aeußere des Mannes war, obgleich man es im schwachen Lichte seiner Laterne nur undeutlich erblickte, doch so zurückstoßend und abschreckend daß die halbgebildeten Worte aus seinen Lippen erstarben. Das Gesicht des Fremden war von gespenstischer Blässe, seine hohlen Wangen waren von tiefen Runzeln durchfurcht und seine Augen glommen mit einem Ausdrucke von wildem Argwohn. Einer von seinen Armen war mit alten von geronnenem Blute steifen Bandagen bedeckt und hing gelähmt an seiner Seite herab. Die das Licht haltende Hand zitterte so, daß die Laterne, in welcher sich dasselbe befand, beständig hin und her schwankte. Seine Glieder waren mager und fast bis zur Verkrüppelung verschrumpft und man sah, daß es ihm Mühe machte, aufrecht zu stehen. Jedes Glied seines Körpers schien von einem allmäligen Tode verzehrt zu werden, während seinem glühenden, gebieterischen Auge alle Energie des Mannesalters und alle Kühnheit der Jugend ausgeprägt zu sein schien.
Es war Ulpius! Die Mauer war durchbrochen! —— der Durchgang erzwungen.
Nach anhaltender Betrachtung des Gesichts und der Kleidung Hermanrich’s redete ihn der Mann mit gebieterischem Ausdruck, der im seltsamen Kontraste gegen seine hohle, schwankende Stimme stand, an.
»Du bist ein Gothe?«
»Ja,« entgegnete der junge Häuptling »Und Du?«
»Ein Freund der Gothen!« lautete die schnelle Antwort.
Es erfolgte eine momentane Pause, nach welcher der Fremde das Gespräch wieder begann.
»Was hat Dich allein an den Fuß der Mauer geführt?« fragte er, indem ein Ausdruck unwillkürlicher Besorgniß aus seinen Augen schoß.
»Ich sah die Gestalt eines Mannes im Leuchten der Blitze,« antwortete Hermanrich; »ich näherte mich ihr, um mich zu überzeugen, daß meine Augen mich nicht betrogen, um zu entdecken ——«
»Es gibt in Deinem Volke nur einen Einzigen, der entdecken soll, woher ich gekommen bin und was ich wünsche!« unterbrach ihn der Fremde hastig; »und der Mann ist Alarich, Dein König.«
Ueberraschung, Entrüstung und Verachtung zeigten sich in den Zügen des Gothen, als er diese Erklärung von dem hilflosen Auswürflinge vor sich vernahm. Der Mann bemerkte es, winkte ihm zu schweigen und sprach weiter.
»Höre«- rief er, »ich habe dem Anführer Eurer Streitkräfte eine Entdeckung zu machen, die einem Jeden in Eurem Lager das Herz pochen lassen wird, wenn Ihr das Geheimniß erfahrt, nachdem es Euer König von meinen Lippen gehört hat! Weigerst Du Dich noch immer, mich nach seinem Zelte zu führen?«
Hermanrich lachte verächtlich.
»Sieh mich an,« fuhr der Mann fort, indem er sich vorwärts beugte und seine Augen mit wilder Eindringlichkeit auf das Gesicht seines Zuhörers heftete; »ich bin allein, alt, verwundet, schwach —— Deinem Volke ein Fremder, ein halb verhungerter, hilfloser Mann! Glaubst Du, daß ich mich ohne Grund in Euer Lager wagen —— mich der Gefahr aussetzen würde, von Deinen Kameraden als Römer umgebracht zu werden, dem Grimme Deines stolzen Herrschers Trotz bieten würde?«
Er hielt inne und fuhr dann mit immer noch auf den Gothen gehefteten Augen mit leiseren und bewegteren Tönen fort:
»Wenn Du mir Deine Hilfe verweigerst, so werde ich das Lager durchwandern bis ich Deinen König finde. Kerkerst Du mich auch ein, so wird Deine Gewaltthätigkeit meine Lippen doch nicht öffnen. Erschlägst Du mich, so wirst Du nichts durch meinen Tod gewinnen. Stehst Du mir aber bei, so wirst Du bis zum letzten Augenblicke Deines Lebens über die That triumphiren! Ich habe Worte von furchtbarer Wichtigkeit für Alarich’s Ohr —— ein Geheimniß für dessen Erlangung ich diesen Preis gezahlt habe.«
Er deutete auf seinen verwundeten Arm. Die Feierlichkeit seiner Stimme, die rauhe Energie seiner Worte, die finstere Entschlossenheit seines Gesichts, die sie umgebende Dunkelheit der Nacht, der rollende Donner, welcher sich ihrem Gespräche anzuschließen schien, die Räthselhaftigkeit ihrer Begegnung unter den Stadtmauer —— alle diese Dinge begannen ihre mächtigen, verschiedenartigen Einflüsse aus den Geist des Gothen zu üben und veränderten allmälig die Gefühle, welche ihm anfangs die Mittheilungen des Mannes eingeflößt hatten.
Er war unschlüssig und blickte zweifelhaft nach den Linien des Lagers.
Es entstand eine lange Stille, welche wieder von dem Fremden unterbrochen wurde.
»Bewache mich, kette mich an, verspotte mich, wenn Du willst!« rief er mit erhobener Stimme und blitzenden Augen, »aber führe mich zu Alarich’s Zelt! Ich schwöre Dir bei dem über unsern Häuptern rollenden Donner, daß die Worte, welche ich mit ihm sprechen will, in seinen Augen kostbarer sein werden, als das herrlichste Juwel, welches er aus den Schatzkammern von Rom rauben könnte.«
Wiewohl der Mann einen unverkennbaren Eindruck auf ihn gemacht hatte, zauderte Hermanrich doch immer noch.
»Zögerst Du noch?« rief der Mann mit verächtlicher Ungeduld. »Laß mich vorüber, ich will allein in das Herz Eures Lagers dringen! Ich habe meinen Plan allein begonnen, ich werde seine Erfüllung ohne Hilfe bewerkstelligen. Laß mich durch!«
Und er schritt an Hermanrich in der Richtung nach der Vorstadt vorüber, während auf seinen verwelkten Zügen derselbe Ausdruck stolzer Energie lag, welche sie im Beginne seines ungewöhnlichen Gesprächs mit dem jungen Häuptling so auffallend markiert hatte!
Die kühne Hingebung an, seinen Zweck, das rücksichtslose Streben nach einem gefahrvollen, ungewissen Erfolge, welches sich in den Worten und Handlungen eines so schwachen, hilflosen Mannes, wie der Fremde war, kundgab, erweckte in dem Gothen das Gefühl unwiderstehlicher Bewunderung, welches die Verbindung von moralischem mit physischem Muth unfehlbar erzeugt. Außer dem hierin liegendem Reize, dem Manne beizustehen, erfüllte sich Hermanrich’s Geist mit einer brennenden Neugier, sein Geheimniß zu entdecken, und machte ihn weiter geneigt, seinen entschlossenen Gefährten vor Alarich zu führen, da er nur durch dieses Verfahren nach der festen Erklärung des Mannes, daß er sich Keinem als dem Könige mittheilen würde, endlich den Gegenstand seines räthselhaften Vorsatzes zu erforschen hoffte. Von diesen Motiven beseelt, rief er also dem Fremden zu, daß er anhalten möge und theilte ihm in kurzen Worten seine Bereitwilligkeit mit, ihn sofort vor den gothischen König zu führen.
Der Mann gab ihm durch ein Zeichen zu erkennen, daß er sein Anerbieten annehme. Offenbar waren seine physischen. Kräfte nahe daran, ihn zu verlassen, dessen ungeachtet schwankte er mühsam mit ihm dem Hauptquartiere des Lagers zu, wobei er fast unablässig vor sich hin murmelte und gestikulierte. Unterwegs redete er seinen Führer nur ein einziges Mal an, indem er den jungen Gothen mit dem heftigsten Argwohn und Verdacht fragte, ob er vor dieser Nacht schon die Stadtmauer untersucht habe.
Hermanrich antwortete verneinend und von da an schritten sie im tiefsten Schweigen weiter.
Ihr Weg führte durch die westliche Lagerlinie und wurde nur unvollkommen hier und dadurch die Flamme einer Fackel oder die Gluth eines fernen Wachtfeuers erleuchtet. Das, Donnern war weniger häufig, dabei aber stärker geworden. Von Westen erhoben sich einige schwache Windstöße und schon fielen einzelne Regentropfen auf die durstige Erde nieder. Die nicht geradezu an den verschiedenen Beobachtungsposten zur Wache aufgestellten Krieger hatten sich in den Schutz ihrer Zelte zurückgezogen, von den tausend Müssiggängern und Troßknechten der großen Armee« war keiner an seinem gewohnten Orte zu sehen, selbst die wenigen Stimmen, welche man vernahm, erklangen leise und wie aus der Ferne.
Das nächtliche Schauspiel hier in den Reihen der Eroberer von Italien war eben so düster und wenig anziehend wie das auf der einsamen Ebene vor den Mauern von Rom.
Der Fremde bemerkte bald, daß sie einen Theil des Lagers erreicht hatten, welcher dichter bevölkert sorgfältiger erleuchtet, stärker befestigt war, wie die bereits passierten, und das Rauschen des Tiber drang jetzt in sein argwöhnische, aufmerksames Ohr. Sie gingen noch einige Schritte weit vorwärts und blieben dann plötzlich vor einem Zelte stehen, welches von vielen andern dicht umgeben und an allen seinen Zugängen von Gruppen reich bewaffneter Krieger besetzt war. Hier blieb Hermanrich stehen, um mit einer Schildwache zu sprechen, die nach kurzem Verzug die äußere Decke des Zelteinganges aufhob und einen Augenblick darauf stand der römische Abenteurer neben seinem Führer vor dem gothischen Könige.
Das Innere von Alarich’s Zelt war mit Häuten ausgeschlagen und von einer kleinen an die das Dach desselben stützende Mittelstange befestigten Lampe erleuchtet. Der einzige Hausrath bestand aus einigen nachlässig auf den Boden geworfenen Holzbündeln und einem großen roh geschnitzten hölzernen Kasten, auf welchem ein zu einer Art von ungeschicktem Weinbecher ausgehöhlter polierter Menschenschädel stand. Das geräumige Zelt besaß ein wahrhaft gothisches graues Ansehen, eine majestätische nordische Einfachheit, die sich nicht nur in seinem dichten Schatten, seinen ruhigen Lichtern und seiner Freiheit von Prunk und Schimmer sondern selbst in dem Aeußern und der Beschäftigung seines auffallenden Bewohners zeigten.
Alarich saß allein auf dem schon beschriebenen hölzernen Kasten und betrachtete mit gerunzelter Stirn und zerstreutem Blicke einige altrunische Zeichen die auf der verzierten Oberfläche eines volle fünf Fuß hohen aus Erz und Silber bestehenden Schildes, der an der Seite des Zeltes lehnte, eingegraben waren. Das auf die polierte Oberfläche der Schutzwaffe, welche durch die dunkeln Häute hinter derselben doppelt glänzend wurde, fallende Lampenlicht wurde auf die Gestalt des Häuptlings zurückgeworfen. Es schimmerte auf seinem breiten Harnisch, es enthüllte seine festen durch einen Ausdruck verächtlichen Triumphs leicht gekräuselten Lippen, es zeigte die großartige Muskelbildung seines Armes, welcher in eng anschließendes Leder gekleidet auf seinem Knie ruhte, es erleuchtete theilweise sein kurzes, helles Haar, und blitzte stetig in seinen auf den einen Punkt gehefteten, gedankenvollen, männlichen Augen, die unter dem theilweisen Schatten seiner gerunzelten Brauen nur eben sichtbar waren, während es den unteren Theil seines Körpers und seine rechte Hand, die auf dem Kopfe eines zu seinen Füßen liegenden großen zottigen Hundes ruhte, fast völlig von den dicken Fellen beschatten ließ, die verwirrt an den Seiten des hölzernen Kastens aufgehäuft waren. Er war so vollkommen in die Betrachtung der Runenzeichen auf seinem ungeheuren Schilde versunken, daß er das Eintreten Hermanrich’s und des Fremden nicht eher bemerkte, als bis ihn das Knurren des wachsamen Hundes plötzlich in seiner Beschäftigung störte. Er blickte rasch auf, sein scharfes, durchdringendes Auge ruhte momentan auf dem jungen Häuptling und verweilte dann fest und forschend auf der schwachen verkrüppelten Gestalt seines Gefährten.
An die militärische Kürze und Schnelligkeit gewöhnt, welche sein Befehlshaber bei allen von seinen Untergebenen an ihn gerichteten Mittheilungen forderte, erzählte Hermanrich kurz, ohne auf eine Frage zu warten oder eine Vorrede oder Entschuldigung seiner Darstellung zu versuchen, das Gespräch, welches zwischen dem Fremden und ihm auf der Ebene bei dem Pincischen Thore stattgefunden hatte und schwieg dann ehrerbietig, um das Lob oder den Tadel des Königs entgegenzunehmen, wie es eben der Zufall des Augenblickes entscheiden mochte.
Nachdem Alarich seine Augen wieder streng und forschend auf die Gestalt des Römers geheftet hatte, redete er den jungen Krieger in gothischer Sprache an:
»Laß den Mann bei mir —— kehre auf Deinen Posten zurück und erwarte dort die Befehle, die ich Dir heute Nacht zu senden für nothwendig erachten werde.«
Hermanrich entfernte sich augenblicklich, worauf der gothische Anführer, zum ersten Male zu dem Fremden gewendet, in lateinischer Sprache diesem kurz und bedeutsam mittheilte, daß sie jetzt allein seien.
Die vertrockneten Lippen des Mannes bewegten sich, öffneten sich, bebten, seine wilden, hohlen Augen funkelten, er schien jedoch unfähig zu sein, ein Wort zu sprechen, seine Züge verzogen sich in furchtbaren Krämpfen, um seine Lippen sammelte sich Schaum, er schwankte vorwärts und würde zu Boden gefallen sein, wenn ihn nicht der König augenblicklich mit starkem Arme erfaßt und auf den hölzernen Kasten gesetzt hätte, welchen, er bis jetzt selbst eingenommen hatte.
»Kann ein verhungernder Römer aus der belagerten Stadt entronnen sein?« murmelte Alarich, indem er den Schädelbecher nahm und einen Theil des darin enthaltenen Weines in den Mund des Fremden schüttete.
Die Flüssigkeit hatte augenblicklich die Wirkung, den Zügen des Mannes wieder Fassung und seinem Geiste Bewußtsein zu verleihen; er erhob sich von dem Sitze, wischte den kalten Schweiß, welcher seine Stirn überzog, ab und stand aufrecht vor dem Könige da, der einsame, machtlose Greis vor, dem thatkräftigen Herrn von Tausenden in der Mitte, seiner Krieger, ohne daß sein festes Auge gebebt, oder über seine stolze Lippe eine Bitte um Schutz gekommen wäre.
»Ich ein Römer,« begann er, »komme von Rom, gegen das der Eroberer mit der Waffe des Hungers Krieg führt, um die Stadt, ihre Bewohner ihre Paläste und Schätze in die Hände Alarich’s des Gothen zu liefern.«
Der König schrak auf, sah den Redner einen Augenblick an und wendete sich dann mit Unmuth und Verachtung von ihm ab.
»Ich lüge nicht!« fuhr der Enthusiast mit einer ruhigen Würde fort, welche selbst auf den abgehärteten Charakter des gothischen Heiden einen gewissen Eindruck übte.
»Betrachte mich wieder! konnte ich, so verhungert, zusammengeschrumpft, verwelkt, von irgend einem Orte als Rom kommen? —— Seit ich die Stadt verlassen habe, ist, kaum eine Stunde vergangen und auf dem Wege, über welchen ich aus ihr gekommen bin, können sie die Streitkräfte der Gothen noch diese Nacht betreten.«
»Die Güte der Ernte beruht auf der Menge des Korns, nichts auf der Zunge des Ackermannes —— zeige mir Deine offenen Thore und ich werde glauben, daß Du die Wahrheit gesprochen hast,« erwiderte der König mit rauhem Lachen.
»Ich verrathe die Stadt!« fuhr Jener finster fort, »aber nur unter einer Bedingung, wenn Du sie mir bewilligst —— so ——«
»Ich will Dir Dein Leben bewilligen,« unterbrach ihn Alarich hochfahrend.
»Mein Leben!«, rief der Römer, und seine zusammengeschrumpfte Gestalt schien sich auszudehnen und seine zitternde Stimme in der Bitterkeit seiner Verachtung fest und bestimmt zu werden als er sprach: »Mein, Leben! ich verlange es nicht von Deiner Macht. Die Trümmer, meines Körpers besitzen kaum Kraft genug, um mir es einen einzigen Tag zu bewahren. Ich habe keine Heimath, keine Geliebten, keine Freunde, keine Güter! —— Ich lebe in Rom allein, in der Mitte der Menge, als Heide in eine Stadt von Abtrünnigen. Was ist das Leben für mich? Ich liebe es nur um des Dienstes der Götter willen, zu deren Rachewerkzeugen gegen das Volk, welches, sie verleugnete, ich Dich und Deine Heerschaaren machen möchte. Wenn Du mich tödtest, so ist es mir ein Zeichen von ihnen, daß ich für ihre Sache werthlos bin, und ich werde zufrieden sterben.«
Er schwieg. Das Benehmen des Königs verlor allmälig die Sorglosigkeit, welche es bisher charakterisiert hatte, und nahm eine Aufmerksamkeit und einen Ernst an, wie sie seinem hohen Stande und seiner wichtigen Verantwortlichkeit eher geziemten. Er begann den Fremden nicht als einen gewöhnlichen Renegaten, einen gemeinen Spion, einen geringfügigen Betrüger zu betrachten, der geringschätzig aus seinem Zelte getrieben werden kann, sondern als einen Mann, der wichtig genug war, um Gehör zu verdienen, und ehrgeizig genug, um Mißtrauen zu erregen. Er ließ sich daher wieder auf den Kasten, von welchem er sich während des Gesprächs erhoben hatte, nieder und forderte ruhig seinen neuen Verbündeten auf, die Bedingung zu erklären, von deren Zugeständniß sein versprochener Verrath Rom’s abhinge.
Die schmerzgefurchten, muthlosen Züge des Heiden belebten sich mit triumphierender Gluth, als er die plötzliche Milde und Mäßigung der Frage des Königs hörte. Er erhob stolz den Kopf und that einige Schritte vorwärts, indem er laut und kurz abgebrochen fortfuhr:
»Sichere mir den Umsturz der christlichen Kirche, die Ausrottung der christlichen Priester und die allgemeine Wiederbelebung der Verehrung der Götter zu, und noch diese Nacht soll Dich zum Herrn der Hauptstadt des Reiches machen, welches zu stürzen Du Dich bemühst.«
Die Kühnheit, die Umfänglichkeit, die wahnsinnige Gottlosigleit eines solchen Vorschlages aus solcher Quelle setzte Alarich in solches Erstaunen, daß er für den Augenblick nicht zu sprechen vermochte. Ulpius brach, als er seine vorübergehende Unfähigkeit, ihm zu antworten, bemerkte, das jetzt eingetretene Schweigen und fuhr fort:
»Ist meine? Bedingung eine schwere? Ein Eroberer ist allmächtigt er kann die Religion eines Volkes umstürzen, wie die Regierung desselben. Was kümmert es Dich, welche Gottheiten das Volk anbetet, so lange die Herrschaft, der Ruhm und die Schätze desselben Dir gehören? Ist es ein hoher Preis für eine leichte Eroberung, eine Veränderung zu bewirken, die weder Deine Macht, Deinen Ruhm noch Deinen Reichthum bedroht? Wundert es Dich, daß ich eine solche Revolution von Dir verlange? Ich bin für die Götter geboren, in ihrem Dienste habe ich Rang und Ruf und Berühmtheit erlangt, für ihre Sache habe ich Herabwürdigung und Schmerz erlitten, für ihre Wiederherstellung will ich Pläne schmieden, kämpfen, sterben! Versichere mir also eidlich, daß Du mit der neuen Regierung die alte Religion einführen willst, und ich werde durch meinen geheimen Zugang Gothen genug in die Stadt bringen, um mit Sicherheit die Wachen an den Thoren zu, tödten und Rom Deiner ganzen Armee zu öffnen. Verachte nicht die Hilfe eines schutzlosem unbekannten Mannes. Die Bürger werden sich Deiner Blockade nie ergeben, Du zagst vor den Gefahren eines Sturmes! Es heißt, daß die Legionen von Ravenna nach Rom unterwegs sind —— so einzeln ich auch dastehe, sage ich Dir doch hier inmitten Deines Lagers, daß die schnellste Gewißheit des Erfolges für Dich auf meiner Entdeckung und, mir beruht.«
Der König sprang plötzlich von seinem Sitze auf.
»Welcher Narr oder Wahnsinnige!«« rief er, seine Augen mit zorniger Verachtung und Entrüstung auf das Gesicht des Fremden heftend, »schwatzt mir da von den Legionen von Ravenna und den Gefahren eines Sturmes! Denkst Du, Renegat, daß Deine Stadt mir hätte widerstehen können, wenn ich sie am ersten Tage, wo ich mein Lager vor ihr aufschlug, stürmen gewollt hätte? Weißt Du, daß Eure verweichlichten Soldaten die Rüstungen Eurer Vorfahren deshalb abgelegt haben, weil ihre schwächlichen Körper zu schwach sind, um die Last derselben zu tragen, und daß die Hälfte meines Heeres hier die ganze Anzahl der Besatzung von Rom um das Dreifache aufwiegt! jetzt, während. Du, hier stehst, brauche ich bloß einen Befehl zu geben und die Stadt wird mit Feuer und Schwert vernichtet, ohne daß mich dabei einer von der Verrätherbande unterstützt, welche im Schutze ihrer schlecht vertheidigten Mauern liegt!«
Bei diesen Worten Alarich’s schien eine unsichtbare Macht den Elenden, welchen er anredete, an Körper und Geist zu erdrücken. Das Entsetzen über die Antwort welche er jetzt hörte, schien ihn blödsinnig zu machen, wie sein Blitzstrahl Denjenigen, welchen er trifft, blind macht. Er betrachtete den König, mit verblüfftem, stierem Blicke, bewegte zitternd seine Hand vor seinem Gesichte hin und her, wie um eine eingebildete Dunkelheit von seinen Augen hinwegzuwischen und dann sank sein Arm hilflos an seiner Seite nieder, der Kopf fiel ihm auf die Brust und er stöhnte mit leisem, bedeutungsvollem Tone:
»Die Wiederherstellung der Götter —— das ist die Bedingung der Einnahme —— die Wiederherstellung der Götter!«
»Ich bin nicht hierher gekommen, um das Werkzeug einer rasenden, vergessenen Priesterschaft zu werden,« rief Alarich geringschätzig. »Wo ich Deine verfluchten Götzen treffe, werde ich sie zu Rüstungen für meine Krieger und Hufeisen für meine Pferde zusammenschmelzen. Ich werde Eure Tempel in Magazine verwandeln und Deine hölzernen Bildsäulen zu Klötzen für die Wachtfeuer meines Heeres zerhacken lassen.«
»Tödte mich, aber schweige« stöhnte der Heide, an die Wand des Zeltes zurück schwankend und unter den erbarmungslosen Worten des Gothen zusammenzuckend, wie ein Sklave unter der Peitsche.
»Ich überlasse das Vergießen solchen Blutes, wie das Deine, Deinen römischen Genossen,« antwortete der König; »sie allein sind der That würdig.«
Den Lippen des Fremden entrang sich keine Silbe und nach einer stummen Pause fuhr Alarich in Tönen, die ihrer frühem zornigen Aufregung entkleidet und mit einem feierlichen Ernst erfüllt waren, welcher jedem seiner Worte unwiderstehliche Würde und Kraft verlieh, fort:
»Sieh die dort eingegrabenen Zeichen,« sagte er, auf den Schild deutend; »sie verkünden den Fluch, welchen Odin gegen die große Unterdrückerin Rom ausgesprochen hat. Einst bildeten diese Worte einen Theil der Religion unserer Väter. Die Religion ist längst schon geschwunden, aber die Worte sind geblieben; sie besiegeln den ewigen Haß des Nordländers gegen den Bewohner des Südens, sie enthalten den Geist des großen Schicksals, welches mich vor die Mauern von Rom geführt hat. Bürger eines stürzenden Reiches, das Maß Eurer Verbrechen ist voll! Die Stimme eines neuen Volkes fordert durch mich die Freiheit der Erde, die für die Menschen und nicht bloß für die Römer geschaffen ist! Die Herrschaft, welche Deine Väter durch Kraft erlangten, sollen ihre Nachkommen nicht durch Betrug behaupten. Zweihundert Jahre lang haben unhaltbare, hohle Waffenstillstände zwischen Deinem Volke und dem meinen mit langen, blutigen Kriegen abgewechselt.In der Erinnerung daran, in der Erinnerung an das, den Gothen in ihren thracischen Niederlassungen wiederfahrene Unrecht, an die Ermordung der gothischen Jünglinge in den Städten Asiens, an die Niedermetzelung der gothischen Geißeln in Aquileja komme ich, von den übernatürlichen Rathschlüssen des Himmels erwählt, um die Freiheit meines Volkes zu sichern und seinen Zorn zu beschwichtigen, indem ich die Macht des tyrannischen Rom zu seinen Füßen demüthige. Nicht um des Kampfes und Blutvergießens willen bin ich hier vor jenen Mauern gelagert, sondern um durch Hungersnoth und Leiden den Stolz Deines Volkes und den Muth Deiner Herrscher zur Erde zu drücken, um Euch Euren versteckten Reichthum zu entreißen und Euch der Ehre, womit Ihr prahlt, zu entkleiden, um durch Bedrückung die Bedrücker der Welt zu stürzen, Euch den Ruhm des Widerstands zu versagen und Euch die Schande der Unterwerfung aufzuerlegen. Dazu enthalte ich mich jetzt des Sturmes auf Eure Stadt und umgehe sie mit einer undurchdringlichen Blockade.«
Während sich die Erklärung seiner großen Sendung so von den Lippen des gothischen Königs drängte, schien sich der Geist seines hohen Ehrgeizes über seine äußere Form zu verbreiten. Seine edle Gestalt, seine schönen Verhältnisse, seine gebietenden Züge bekleideten sich mit einer einfachen, ursprünglichen Größe. In seinem jetzigen Kontrast mit der zusammengesunkenen Figur des entmuthigten Fremden sah er fast erhaben aus.
Ein lang anhaltender Schauder zuckte durch den Körper des Heiden, aber dieser sprach weder, noch weinte er. Die nutzlose Vertheidigung des Serapistempels, die vereitelte Revolution in Alexandrien und die mißlungene Intrigue mit Vetranio stiegen jetzt in seiner Erinnerung auf, um das Entsetzen seiner gegenwärtigen schlimmsten Niederlage zu erhöhen. Jeder Umstand seines verzweifelten Durchbruches der Mauerspalte stellte sich mit furchtbarer Lebendigkeit vor seinen Geist. Er erinnerte sich an alle Empfindungen seiner ersten nächtlichen Arbeit in der Finsterniß, an alles Elend der Qualen seiner zweiten Nacht unter dem gestürzten Mauerwerk, an alle Schmerzen, Gefahren und Muthlosigkeiten, die seine späteren Arbeiten begleitet hatten, und denen zum Trotz er bei allen Hemmnissen eines hungergeschwächten Körpers und hilflosen Armes in seinen Bemühungen verharrt hatte, bis er im trügerischen Triumph das letzte Hinderniß des mühsamen Durchbruches überwunden. Diese verbannten Erinnerungen kehrten eine nach der andern in sein Gedächtniß zurück, während er Alarich’s tadelnden Worten lauschte, rissen alte Wunden von Neuem auf, belebten frühere Gebrechen, zerfleischten ihn von Neuem. Außer dem Schauder, welcher immer noch seinen Körper durchschüttelte, verrieth aber kein äußeres Zeichen die ihn bestürmenden inneren Qualen. Es war für menschliche Worte zu stark, für menschliches Mitgefühl zu entsetzlich. Er erlitt es in dumpfem Schweigen. So monströs auch sein Plan sein mochte, war doch die moralische Strafe seiner versuchten Ausführung schwer genug, um des beabsichtigten Verbrechens werth zu sein.
Nachdem Alarich den Mann noch einige Minuten lang mit einem Blicke mitleidloser Geringschätzung beobachtet hatte, rief er einen von den dienstthuenden Kriegern herbei; trug ihm auf, den Wachen den Durchlaß des Fremden durch das Lager zu gebieten, und wendete sich dann zum letzten Male zu ihm:
»Kehre durch das Loch, aus dem Du wie eine Schlange gekrochen bist, nach Rom zurück und nähre Deine verhungernden Mitbürger mit den Worten, die Du im Zelte des Barbaren gehört hast!«
Der Herbeigerufene näherte sich, führte ihn vom Könige hinweg, gab den Wachen die nöthigen Weisungen und überließ ihn sich selbst. Einmal erhob er die Augen verzweifelnd zum Himmel, welcher über seinem Haupte drohte, aber es entfloh ihm kein Wort, keine Thräne, kein Seufzer. Er schritt langsam durch die dichte Finsterniß, wendete der Stadt den Rücken und betrat, gleich gültig, wohin er gerathen möchte, die Straßen der öden, entvölkerten Vorstädte.
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