Mann und Weib
Sechstes Kapitel - Der Freier
Lady Lundie wies bedeutungsvoll aus die Thür hin und flüsterte Sir Patrick in? Ohr:
»Haben Sie bemerkt? Miß Silvester hat eben Jemand fortgehen lassen.«
Sir Patrick sah absichtlich nach der verkehrten Seite hin und erklärte in der höflichsten Weise von der Welt, nichts bemerkt zu haben.
Lady Lundie trat in den Garten-Pavillon. Argwöhnischer Haß gegen die Gouvernante war in unzweideutigen Zügen auf ihrem Gesicht zu lesen. Argwöhnisches Mißtrauen gegen das vorgebliche Unwohlsein der Gouvernante sprach vernehmlich aus jedem Tone ihrer Stimme.
»Darf ich fragen, Miß Silvester, ob es Ihnen besser geht?«
»Nein, es geht mir nicht besser, Lady Lundie!«
»Wie sagen Sie?«
»Ich sage, es geht mir nicht besser.«
»Und doch scheinen Sie im Stande, sich zu bewegen, ich bin nicht so glücklich; wenn ich unwohl bin, muß ich liegen.«
»Ich will Ihrem Beispiele folgen, Lady Lundie. Wenn Sie die Güte haben wollen, mich zu entschuldigen, werde ich auf mein Zimmer gehen und mich zu Bett legen.«
Sie war unfähig weiter zu reden. Die Zusammenkunft mit Geoffrey hatte sie völlig erschöpft, sie hatte nicht die Kraft nicht, der kleinlichen Bosheit dieser Frau zu widerstehen, nachdem sie die brutale Gleichgültigkeit jenes Mannes über sich hatte ergehen lassen müssen. Sie fühlte, daß ihre Thränen, die sie mit Gewalt zurückhielt, im nächsten Augenblick hervorbrechen würden. Sie wartete daher Lady Lundies Antwort nicht ab, sondern verließ ohne Weiteres den Garten-Pavillon.
Lady Lundie machte ihre glänzenden schwarzen Augen weit auf. Sie wandte sich an Sir Patrick, der auf seinen elfenbeinernen Stock gestützt, ein Bild ehrwürdiger Unschuld dastand und auf den Rasen hinausblickte.
»Darf ich Sie fragen, Sir Patrick, ob Sie, nach Dem, was ich Ihnen bereits über Miß Silvester’s Benehmen erzählt habe, in ihrem jetzigen Betragen etwas Auffallendes finden?«
Der alte Herr drückte auf die Feder an der Krücke seines Stockes und antwortete in der galanten Weise einer früheren Zeit:
»Ich finde in keinem Verfahren eines Mitgliedes Ihres bezaubernden Geschlechtes etwas Auffallendes.« Dabei verneigte er sich und nahm eine Prise. Mit einer gleich zierlichen Bewegung der Hand schüttelte er die verschütteten Körner vom Zeigefinger und Daumen ab, blickte wieder nach dem Rasen und schien vertiefter als je in das Spiel der jungen Leute.
Lady Lundie aber ließ sich nicht irre machen und war fest entschlossen, ihrem Schwager eine ernste Meinungsäußerung zu entlocken. Aber ehe sie noch wieder reden konnte; erschienen Arnold und Blanche zusammen am Fuße der Treppe des Garten-Pavillons.
»Und wann soll der Ball anfangen?« fragte Sir Patrick, indem er dem jungen Paare entgegenhumpelte und eine Miene machte, als ob er das lebhafteste Interesse an der Antwort dieser Frage finde.
»Das wollte ich gerade Mama fragen,« antwortete Blanche »Ist sie drinnen bei Anne und geht es Anne besser?«
In diesem Augenblick trat Lady Lundie hervor und übernahm die Antwort selbst auf diese Frage. »Miß Silvester hat sich auf ihr immer zurückgezogen.«
»Haben Sie wohl bemerkt, Sir Patrick, daß diese halb gebildeten Leute fast immer, so oft sie unwohl sind, auch grob werden?«
Blanches freundliches Gesicht erröthete »Wenn Du Anne für eine halb gebildete Person hältst, so stehst Du mit dieser Meinung ganz allein; mein Onkel stimmt darin mit Dir gewiß nicht überein.«
Sir Patricks lebhaftes Interesse an der ersten Quadrille hatte etwas wahrhaft Beunruhigendes. »Sage mir, liebes Kind, wann fängt der Ball an?«
»Je eher, je besser« schaltete Lady Lundie ein, »ehe Blanche Zeit hat, noch weiter mit mir über Miß Silvester zu streiten!«
Blanche sah ihren Onkel an.
»Fangt doch an, fangt doch an, und verliert keine Zeit,« erwiderte eifrig Sir Patrick, indem er mit seinem Stock auf das Haus wies.
»Gewiß, lieber Onkel, Alles was Du wünschest!«
Mit dieser an ihre Stiefmutter gerichtete Malice zog sich Blanche zurück.
Arnold, der bis jetzt schweigend am Fuß der Treppe gewartet hatte, sah zu Sir Patrick bittend auf. Der Zug, der ihn zu seinem ererbten Gut bringen sollte, ging in weniger als einer Stunde ab und er hatte sich Blanche’s Vormund noch nicht in der Eigenschaft eines Bewerbers um Blanche’s Hand vorgestellt. Sir Patrick’s Gleichgültigkeit gegen alle an ihn erhobenen Ansprüche an sein Familien-Interesse schien unerschütterlich. Da stand er auf seinen Stock gestützt, ein schottisches Lied vor sich hinsummend und neben ihm stand Lady Lundie entschlossen, ihn nicht zu verlassen, bis sie ihn dahin gebracht haben würde, die Gouvernante mit ihren Augen zu sehen. und nach ihrer Auffassung zu beurtheilen.
Sie ließ sich durch Sir Patricks Summen und Arnold’s ängstliches Warten nicht irre machen und nahm einen neuen Anlauf. Ihre Feinde behaupteten, es sei kein Wunder, daß der arme Sir Thomas wenige Monate nach seiner Verheirathung gestorben sei, und du lieber Gott, bisweilen haben unsere Feinde doch Recht.
Ich muß Ihnen noch einmal wiederholen, Sir Patrick, daß ich ernste Ursache habe, zu zweifeln, ob Miß Silvester eine passende Gesellschaft für Blanche ist. Die Gouvernante ist offenbar zurückhaltend, sie weint oft, wenn sie allein ist, sie geht in ihrem Zimmer auf und ab, wenn sie schlafen sollte, sie besorgt ihre Briefe selbst auf die Post und —— ist seit einiger Zeit außerordentlich ungezogen gegen mich. Es ist da etwas nicht ganz in Ordnung. Ich muß nothwendiger Weise Schritte in dieser Angelegenheit thun und es scheint mir schicklich, daß ich diese Schritte mit Ihrer Genehmigung, als Haupt der Familie, thue.«
»Ich lege meine Autorität mit Vergnügen in Ihre Hände, Lady Lundie.«
»Sir Patrick, ich bitte Sie, nicht zu vergessen, daß ich ernst rede und eine ernsthafte Antwort erwarte.«
»Beste Lady, fordern Sie was Sie wollen und es steht Ihnen zu Gebote. Aber seit ich meine Advocatur aufgegeben, habe ich keine ernsthafte Antwort mehr gegeben. In meinem Alter,« fügte Sir Patrick hinzu, indem er seiner Antwort schlau eine allgemeinere Wendung zu geben wußte, »giebt es nichts Ernsthafteres als Unverdaulichkeit. Ich sage mit jenem Philosophen: »Das Leben ist für die Denkenden eine Komödie und für die Fühlenden eine Tragödie.«
Er ergriff die Hand seiner Schwägerin und küßte sie: »Liebste Lady Lundie, warum sich mit Gefühlen abgeben!«
Lady Lundie, die sich niemals in ihrem Leben mit Gefühlen befaßt hatte, schien bei dieser Gelegenheit eigensinnig entschlossen etwas zu fühlen. Sie war beleidigt und zeigte es deutlich.
»Sir Patrick,« sagte sie, »wenn mich nicht Alles täuscht, so werden Sie sich ehestens in der Nothwendigkeit befinden, zuzugeben, daß Miß Silvester’s Benehmen über allen Scherz hinausgeht.«
Mit diesen Worten verließ sie den Garten-Pavillon und beförderte auf diese Weise Arnold’s Interesse, indem sie endlich Blanche’s Vormund allein ließ.
Das war eine vortreffliche Gelegenheit. Die Gäste hatten sich sämtlich nach dem Hause zurückgezogen; es war keine Unterbrechung zu befürchten. Arnold trat ein.
Sir Patrick setzte sich, von Lady Lundie’s Abschiedsworten völlig unberührt, ruhig im Garten-Pavillon nieder, ohne seinen jungen Freund zu bemerken und dachte bei sich: »Hat es jemals zwei Frauen gegeben, die nicht versucht hätten, einen Mann in ihren Streit hineinzugehen? Aber laß sie es nur versuchen, mich hineinzuziehen! Es soll ihnen nicht gelingen.«
Arnold trat einen Schritt vor und machte sich bescheiden bemerklich: »Ich hoffe, ich störe nicht?«
»Durchaus nicht! —— Du lieber Gott, wie ernsthaft der Junge aussieht! Wollen Sie mich auch als Haupt der Familie sprechen?«
In der That war das Arnold’s sehr entschiedene Absicht, aber er begriff, daß wenn er das in diesem Augenblicke zugestanden hätte, Sir Patrick aus einem ihm nicht verständlichen Grund es abgelehnt haben würde, ihn anzuhören.
»Er antwortete vorsichtig: »Ich habe Sie um eine vertrauliche Unterredung vor meiner Abreise gebeten und Sie waren so gut mir dieselbe zuzusagen.«
»O, ganz gewiß, ich erinnere mich, wir waren damals Beide höchst ernsthaft mit Croquetspielen beschäftigt und es war schwer zu sagen, wer von uns Beiden sich am Ungeschicktesten dabei benahm. Nun hier bin ich und stehe Ihnen mit meiner ganzen Erfahrung zu Diensten. Ich habe Sie nur vor einer Sache zu Warnen, reden Sie nicht zu mir als dem Haupte der Familie; ich habe diese Würde in Lady Lundie’s Hände niedergelegt.«
Er sprach halb im Scherz, halb im Ernst. Der Scherz gab sich in dem humoristischen Zug um seine Lippen kund.
Arnold wußte nicht recht, wie er das Gespräch auf Blanche bringen sollte, ohne Sir Patrick an seine Verantwortlichkeit als Haupt der Familie zu erinnern und ohne sich zur Zielscheibe von Sir Patrick’s Witz zu machen. In diesem Dilemma beging er gleich zu Anfang einen Fehler: er zauderte!
»Lassen Sie sich Zeit,« sagte Sir Patrick, »sammeln Sie Ihre Gedanken; ich kann warten, ich kann warten.«
Arnold sammelte seine Gedanken und beging einen zweiten Fehler. Er beschloß sehr vorsichtig zu Werke zu gehen. Unter den obwaltenden Umständen und einem Manne wie Sir Patrick gegenüber, war das vielleicht der unüberlegteste Entschluß, den er hatte fassen können; es war die Geschichte von der Maus, die es versucht, die Katze zu überlisten.
»Sie haben die große Güte gehabt, mir Ihre Erfahrungen zu Gebote zu stellen,« fing er an, »ich bitte um Ihren Rath ——«
»Den ich Ihnen auch geben kann, wenn Sie sitzen; nehmen Sie Platz.«
Seine scharfen Augen folgten Arnold mit einem Ausdruck malitiösen Entzückens.
»Meinen Rath, sagt der Patron da,« dachte Sir Patrick, »und meint —— meine Nichte.«
Arnold setzte sich, von Sir Patrick beobachtet, mit der wohlbegründeten Besorgniß nieder, daß er von hier nicht wieder aufstehen werde, ohne von Sir Patrick’s scharfer Zunge empfindlich gelitten zu haben.
»Ich bin noch ein junger Mensch« fuhr er, sich unruhig auf seinen Stuhl hin und her bewegend, fort, »und ich fange ein neues Leben an.«
»Ist an Ihrem Stuhl etwas nicht in Ordnung? Fangen Sie doch Ihr neues Leben behaglich an, —— nehmen Sie sich einen anderen Stuhl.«
»Der Stuhl ist ganz in Ordnung, Sir Patrick; würden Sie ——«
»Ob ich Ihnen rathen würde, in diesem Fall Ihren Stuhl zu behalten? Gewiß!«
»Nein, ich meine, ob Sie mir rathen würden ——«
»Lieber Freund, ich warte ja nur darauf Ihnen zu rathen. Aber ganz gewiß ist an Ihrem Stuhl etwas nicht in Ordnung; nehmen Sie sich doch einen andern.«
»Bitte, Sir Patrick, lassen Sie den Stuhl. Sie bringen mich aus der Fassung! —— Was ich von Ihnen zu wissen wünsche —— es ist vielleicht eine sonderbare Frage ——«
»Das kann ich nicht sagen, bevor ich sie gehört habe,« entgegnete Sir Patrick; »aber nehmen wir an es sei eine sonderbare Frage, oder noch stärker, wenn Ihnen das vielleicht die Sache erleichtert, nehmen wir an, es sei die sonderbarste Frage, die je, so lange die Welt steht, ein Mensch an den andern gerichtet hat!«
»Die Frage ist die!« platzte Arnold heraus, »ich möchte mich verheirathen!«
»Das ist keine Frage,« antwortete Sir Patrick, »das ist eine Erklärung! Sie sagen, Sie möchten sich verheirathen, ich antworte: Nun gut, und damit ist die Sache zu Ende.«
Arnold fing es an zu schwindeln »Würden Sie mir rathen, mich zu verheirathen?« bat er in kläglichem Tone; »das wollte ich sagen!«
»So, das ist der Zweck Ihrer Unterredung mit mir, ob ich Ihnen rathen würde zu heirathen? Wie? ——«
Die Katze, die dieses Mal die Maus gepackt hatte, ließ das unglückliche kleine Geschöpf einen Augenblick wieder los, um ihr Zeit zu gönnen, Athem zu schöpfen. —— Sir Patrick’s Benehmen verlor plötzlich jede Spur von Ungeduld, die er bisher vielleicht leise geäußert hatte und wurde so vollkommen behaglich und zutraulich, wie nur möglich. Er drückte aus die Feder seiner Krücke und nahm mit außerordentlichem Eifer und Genuß eine Prise. —— »Also, ob ich Ihnen rathen würde zu heirathen,« wiederholte Sir Patrick. »Bei der Beantwortung dieser Frage können wir zwei Wege einschlagen, Mr. Brinckworth. Wir können die Sache kurz oder wir können sie sehr weitläufig behandeln. Ich würde für die kürzere Behandlung stimmen. Was sagen Sie dazu?«
»Ich stimme Ihnen völlig bei, Sir Patrick!«
»Seht gut! Darf ich mit einer Frage in Betreff Ihres früheren Lebens beginnen?«
»Gewiß!«
»Sehr gut! Haben Sie während Ihres Dienstes auf der Handelsmarine einige Erfahrungen über Ankäufe am Lande gesammelt?«
Arnold sah ihn betroffen an. Der Zusammenhang dieser Frage mit dem Gegenstand, um den es sich für ihn handelte war für ihn völlig unerfindlich. Er antwortete mit unverhohlenem Erstaunen: »Allerdings, sehr viele Erfahrungen.«
»Ich komme zur Sache,« fuhr Sir Patrick fort,«wundern Sie sich nicht, ich komme schon zur Sache! Wofür hielten Sie den Puderzucker, den Sie bei den Gewürzkrämern am Lande kauften?«
»Wofür ich ihn hielt?« wiederholte Arnold »Nun ich hielt ihn eben für Puderzucker!«
»Dann heirathen Sie in Gottes Namen,« erwiderte Sir Patrick, »Sie sind einer der wenigen Männer, die dieses Experiment mit einiger Aussicht auf Erfolg versuchen können.«
Die Plötzlichkeit dieser Antwort versetzte Arnold völlig den Athem. Die Kürze seines ehrwürdigen Freundes hatte etwas Elektrisirendes; er starrte ihn noch verwunderter an, als vorhin.
»Verstehen Sie mich nicht?« fragte Sir Patrick.
»Ich verstehe nicht, was der Puderzucker mit meiner Heirath zu thun hat?«
»Das sehen Sie nicht?«
»Durchaus nicht!«
»Dann will ich es Ihnen sagen,« fuhr Sir Patrick fort, indem er die Beine übereinander schlug und sich auf seinem Sitz behaglich zurecht rückte.
»Sie gehen also in einen Gewürzkrämer-Laden und kaufen Puderzucker. Sie nehmen denselben, weil Sie ihn für Puderzucker halten, in der That aber ist es gar kein Zucker; es ist ein gefälschtes Gemisch, das aussieht wie Zucker. Sie verschließen Ihre Augen gegen diese unangenehme Wahrheit und schlucken Ihr verfälschtes Gemisch mit verschiedenen Speisen hinunter und vertragen sich so mit Ihrem vermeintlichen Zucker aufs Beste. Verstehen Sie mich jetzt?«
»Ja,« erwiderte Arnold, dem die Sache völlig dunkel war, »jetzt verstehe ich Sie!«
»Sehr gut,« fuhr Sir Patrick fort, »nun gehen Sie in einen Heirathsladen und nehmen sich eine Frau; Sie nehmen sie, in der Meinung, daß sie schönes blondes Haar, einen ausgezeichneten Teint, eine angenehme Körperfülle hat und daß sie gerade groß genug ist, diese Fülle zu tragen. Sie führen sie in Ihr Haus und Sie machen die Entdeckung, daß es dieselbe Geschichte wie beim Zucker ist! Ihre Frau ist ein verfälschter Artikel, ihr blondes Haar ist gefärbt, ihr vortrefflicher Teint ist geschminkt, ihre Körperfülle ist ausgestopft und drei Zoll ihrer Größe kommen auf die Hacken an den Schuhen. Sie machen die Augen zu und verschlucken Ihre verfälschte Frau, wie Sie Ihren verfälschten Zucker verschluckt haben. —— Ich wiederhole Ihnen, Sie sind einer der wenigen Männer, die ein Heirathsexperiment mit Aussicht aus Erfolg unternehmen können.« Mit diesen Worten schlug er seine Beine wieder auseinander und sah Arnold scharf an.
Endlich hatte dieser die Lection begriffen. Er gab den hoffnungslosen Versuch auf, Sir Patrick zu überlisten und ging, es mochte jetzt daraus entstehen, was da wollte, direct mit seiner Werbung um Sir Patrick’s Nichte vor.
»Das mag ganz wahr sein bei einigen jungen Damen, fing er an, ich kenne aber eine nahe Verwandte von Ihnen, auf die nichts von dem, was Sie von den Frauen im Allgemeinen gesagt haben, paßt.«
Das hieß auf die Sache direct losgehen. —— Sir Patrick nahm diese Offenheit Arnold’s beifällig auf und zeigte es, indem er auch seinerseits ohne Umschweife auf die Sache einging.
»Ist dieses weibliche Phänomen etwa meine Nichte?« fragte Sir Patrick. »Woher wissen Sie, wenn ich fragen darf, daß meine Nichte kein verfälschter Artikel ist, wie alle anderen Frauen?«
Arnold’s Entrüstung löste das letzte Band, das seine Zunge noch gefesselt gehalten hatte, er platzte mit den drei viel bedeutenden Worten heraus: »Ich liebe sie!«
Sir Patrick lehnte sich wieder behaglich in seinen Sessel zurück und streckte seine Beine bequem von sich, indem er sagte: »Das ist die überzeugendste Antwort, die ich je in meinem Leben gehört habe.«
»Ich rede in völligem Ernst,« erwiderte Arnold, der jetzt nichts als sein Ziel im Auge hatte. »Stellen Sie mich auf die Probe.«
»O! die Probe ist sehr leicht gemacht« Er sah Arnold an, ohne einen sarkastischen Zug um Augen und Lippen unterdrücken zu können. »Meine Nichte hat einen sehr schönen Teint und Sie halten diesen Teint für echt?«
»So gewiß, wie ich an die Schönheit des blauen Himmels da glaube.«
»So,« erwiderte Sir Patrick, »dann sind Sie wohl noch nie von einem Regen überrascht worden. Meine Nichte hat wunderbar schönes Haar, sind Sie überzeugt, daß das Alles ihr eigenes ist?«
»So schönes Haar kann auf gar keinem anderen weiblichen Kopf gewachsen sein.«
»Mein lieber Arnold, Sie scheinen eine viel zu geringe Vorstellung von dem Umfange und den Hülfsquellen des Handels mit künstlichen Haaren zu haben. Sehen Sie sich die Schaufenster der Friseure an, wenn Sie nächstens nach London kommen. Aber weiter, was halten Sie denn von der Gestalt meiner Nichte?«
»Nun, gegen diese wollen Sie doch kein Bedenken erheben. Jeder Mensch, der Augen im Kopf hat, kann sehen, daß es die lieblichste Gestalt von der Welt ist.«
Sir Patrick lachte in sich hinein und schlug die Beine wieder übereinander.
»Ganz gewiß ist sie das! Aber »die lieblichste Gestalt« ist ja auch die gewöhnlichste Sache von der Welt. Schlecht gerechnet sind hier heute vierzig Damen anwesend. Jede von diesen Damen hat eine schöne Gestalt. Der Preis dieser Gestalten ist verschieden und wenn eine besonders reizend ist, so können Sie darauf schwören, daß sie aus Paris kommt. Warum sehen Sie mich so verwundert an? Als ich Sie fragte, was Sie von der Gestalt meiner Nichte halten, meinte ich, wie viel Sie auf Rechnung der Natur und wie viel auf Rechnung des Fabrikanten setzen! Wohl gemerkt, ich weiß es nicht! Wissen Sie es?«
»Ich verbürge mich für jeden Zoll.«
»Daß er aus einem Laden’kommt?«
»Nein, daß er echter Natur ist.«
Sir Patrick sprang auf; endlich hatte er seiner satyrischen Laune Genüge gethan. »Wenn ich jemals einen Sohn bekomme,« dachte er bei sich, »so schicke ich ihn« zur See.« Er ergriff Arnold’s Arm, zum Zeichen, daß er entschlossen sei, der Ungewißheit des armen jungen Mannes ein Ende zu machen, mit den Worten: »Wenn ich überhaupt im Stande bin ernsthaft zu sein, so ist jetzt der Moment dazu gekommen. Ich bin von der Aufrichtigkeit Ihrer Neigung überzeugt. Alles, was ich von Ihnen weiß, spricht zu Ihren Gunsten und weder gegen Ihre Familie noch gegen Ihre Stellung ist das Mindeste einzuwenden; wenn Sie Blanche’s Jawort haben, so haben Sie das meinige anch.« ——
Arnold versuchte es, seiner Dankbarkeit Ausdruck zu geben. Sir Patrick aber wehrte ihm und fuhr fort: »Und merken Sie wohl, das nächste Mal, wenn Sie etwas, von mir wollen, reden Sie ohne Umschweife und versuchen Sie nicht wieder mich zu mystificiren und ich will Ihnen versprechen, es gegen Sie auch zu unterlassen. Das wäre abgemacht. —— Nun aber noch ein Wort von Ihrer Reise nach Ihrem Gute. Eigenthum gewährt nicht nur Rechte, sondern legt uns auch Pflichten auf, lieber Arnold. Wenn wir die letzteren nicht erfüllen, kommt bald die Zeit, wo die ersteren uns bestritten werden. Ich interessire mich jetzt noch lebhafter als früher für Sie und ich muß darauf halten, daß Sie Ihre Pflichten erfüllen Es ist also abgemacht, daß Sie noch heute Windygates verlassen, um auf Ihrem Gut nach dem Rechten zu sehen. —— Wissen Sie schon, wie Sie gehen?«
»Ja, Sir Patrick,« Lady Lundie hat die Güte gehabt, ihr Gig für mich zu beordern, das mich rechtzeitig für den nächsten Zug nach der Station bringen soll.«
»Wann werden Sie bereit sein?«
Arnold sah nach seiner Uhr.
»In einer viertel Stunde!«
»Gut, versäumen Sie die Zeit nicht, aber nicht so eilig, Sie haben noch Zeit genug, mit Blanche zu sprechen, wenn ich mit Ihnen fertig bin. Sie scheinen mir eben kein sehr dringendes Verlangen zu haben, sich nach Ihrem Gute umzusehen!«
»Ich habe ein sehr dringendes Verlangen Blanche nicht zu verlassen, daß ist das Wahre an der Sache!«
»Ach was Blanche! Blanche ist nicht Geschäft. Wie ich höre, haben Sie eines der schönsten Häuser Ihrer Gegend in Schottland; wie lange wollen Sie dort bleiben?«
»Ich habe mich, wie ich Ihnen bereits bemerkte, so eingerichtet, daß ich übermorgen wieder in Windygates sein werde.«
»Da sieh’ mir Einer den Menschen! hat einen Palast, der zu seinem Empfange völlig bereit steht und will sich nur einen einzigen Tag darin aufhalten.«
»Ich will mich gar nicht darin aufhalten, ich werde bei meinem Verwalter wohnen. Ich muß nur morgen dort sein, um einem Diner, das ich meinen Pächtern gebe, beizuwohnen. Wenn das vorbei ist, so liegt nichts in der Welt vor, was mich abhalten könnte, wieder zu kommen. Das hat mir mein Verwalter selbst in seinem letzten Briefe geschrieben.«
»Ja, wenn Ihr Verwalter Ihnen das geschrieben hat, ist kein Wort mehr darüber zu sagen.«
»Ach, machen Sie keine Einwendungen dagegen, daß ich wiederkomme, Sir Patrick, bitte, machen Sie keine! Ich verspreche Ihnen, daß ich in meinem neuen Hause wohnen will, wenn erst Blanche dasselbe mit mir bewohnen wird. Wenn Sie nichts dagegen haben, theile ich Blanche auf der Stelle mit, daß Alles, was mir gehört, auch ihr gehören soll.«
»Gemach, gemach! Sie reden ja, als wären Sie schon mit ihr verheirathet.«
»Ist es denn nicht so gut, als wäre ich es bereits? Was ist jetzt noch im Wege?«
Während er diese Frage that, fiel der von dem hereinströmenden Sonnenlicht sich scharf abhebende Schatten einer von der Seite des Garten-Pavillons herkommenden Person auf die Schwelle desselben. Im nächsten Augenblick folgte dem Schatten der Körper in der Gestalt eines Reitknechts in voller Livré. —— Der Mann war offenbar ganz fremd hier; er fuhr zurück und zog den Hut, als er die beiden Herren im Garten-Pavillon gewahr wurde.
»Was wünschen Sie?« fragte Sir Patrick.
»Ich bitte um Verzeihung, ich bin von meinem Herrn hierher geschickt.«
»Wer ist Ihr Herr?«
»Herr Delamayn!«
»Meinen Sie Herrn Geoffrey Delamayn?« fragte Arnold.«
»Nein, Herrn Julius Delamayn! Ich komme vom Hause meines Herrn mit einer Botschaft für Herrn Geoffrey Delamayn hergeritten.«
»Können Sie ihn nicht finden?«
»Man hat mir gesagt, ich würde ihn hier treffen, aber ich bin hier fremd und weiß nicht wohin ich gehen soll.« Er hielt inne und zog eine Karte aus der Tasche. —— »Mein Herr sagte, es sei sehr wichtig, daß ich diese Karte sofort abgebe! Haben Sie wohl die Güte, meine Herren, mir zu sagen, wo Herr Geoffrey Delamayn sich aufhält?
Arnold wandte sich an Sir Patrick, »ich habe ihn nicht gesehen, haben Sie ihn gesehen?«
»Gerochen habe ich ihn!« antwortete Sir Patrick. »So lange ich in dem Garten-Pavil1on bin, herrscht hier ein sehr abscheulicher Tabaksgeruch der mich auf sehr unangenehme Weise an Ihren Freund erinnert.«
Arnold ging lächelnd zur Thür hinaus. »Wenn Sie mit Ihrer Nase auf der rechten Spur find, Sir Patrick, so wollen wir ihn schon finden!«
Er blickte umher und rief laut: »Geoffrey!«
Eine Stimme aus dem Rosengarten antwortete: »Halloh!«
»Du wirst verlangt, komm her!«
Geoffrey schlenderte, die Hände in den Taschen, die Pfeife im Munde verdrossen heran. »Wer verlangt nach mir?«
»Ein Reitknecht Deines Bruders!«
Die Antwort schien den trägen und verdrossenen Athleten zu elektrisiren. Mit raschen Schritten ging er auf den Garten-Pavillon zu und redete den Reitknecht an, noch ehe dieser ein Wort hatte sagen können; mit dem Ausdruck des Entsetzens und der Verzweiflung rief er aus: »Um’s Himmelswillen, hat Ratcatcher einen Rückfall gehabt?«
Sir Patrick und Arnold sahen einander starr vor Staunen an.
»Das beste Pferd im Stalle meines Bruders!« rief Geoffrey erklärend und zugleich an ihre Theilnahme appellirend »Ich habe den Kutscher schriftlich instruirt und Medicin auf drei Tage bereiten lassen. Ich habe ihm zur Ader gelassen« fuhr Geoffrey mit zitternder Stimme fort, »ich habe ihm selbst gestern zur Ader gelassen.«
»Bitte um Verzeihung« fiel hier der Reitknecht ein.«
»Warum bittest Du mich um Verzeihung? Wo ist Dein Pferd, ich will nach Hause reiten und dem Kutscher die Knochen im Leibe zerschlagen. Wo ist Dein Pferd?«
»Verzeihen Sie, es handelt sich nicht um Ratcatcher, der ist ganz wohl.«
»Der ist ganz wohl? Was willst Du denn?«
»Ich habe eine Botschaft in Betreff Ihres Herrn Vater.«
Geoffrey zog sein Schnupftuch heraus und wischte sich offenbar sehr erleichtert den Schweiß von der Stirn: »Ich habe geglaubt, es handle sich um Ratcatcher,« sagte er aufathmend und blickte Arnold dabei lächelnd an. Er steckte die Pfeife wieder in den Mund und fachte die verglimmende Tabaksasche wieder an. "»Nun,« fuhr er, da die Pfeife wieder im Gange war, mit beruhigter Stimme fort, »was ist mit meinem Vater?«
»Ein Telegramm von London. Schlimme Nachrichten von seiner Lordschaft.« Mit diesen Worten überreichte der Reitknecht die Karte seines Herrn.
Geoffrey las auf derselben die folgenden Worte von der Hand seines Bruders: »Ich habe nur einen Augenblick Zeit, eine Zeile auf meine Karte zu kritzeln, unser Vater ist gefährlich krank! Er hat verlangt, sein Testament zu machen, Du mußt mit dem nächsten Zug mit mir nach London gehen, triff’ mich an der Station!« —— Ohne ein Wort an einen der drei Anwesenden, die ihn Alle schweigend beobachteten, zu richten, sah Geoffrey nach der Uhr. Anne hatte ihm gesagt, er solle eine halbe Stunde warten und möge annehmen, daß sie fortgegangen sei, wenn er in dieser Zeit nichts von ihr gehört haben werde. Diese Zeit war vorüber und er hatte nichts von ihr gehört, ihre Flucht aus dem Hause war also glücklich bewerkstelligt. Anne Silvester mußte in diesem Augenblick auf dem Wege nach dem Gebirgs-Gasthof sein.
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