Mann und Weib



Sechzigstes Kapitel - Das Manuscript

»Mein Bekenntniß, das, wenn ich sterbe, in meinen Sarg gelegt und mit mir begraben werden soll.«

1.

»Folgendes ist die Geschichte dessen, was ich als verheirathete Frau begangen habe. Es ist die Wahrheit, die ich nur vor meinem Schöpfer bekenne, und von der außer mir kein Sterblicher etwas weiß.«

»Am jüngsten Tage werden wir alle in unseren Leibern, wie wir gelebt haben, auferstehen. Wenn ich vor den Richterstuhl berufen werde, werde ich diese Blätter in der Hand halten und sagen:

»O gerechter, barmherziger Richter, Du weißt, was ich gelitten habe, auf Dich vertraue ich.«

2.

»Ich bin die Aelteste einer großen Anzahl von Geschwistern, von frommen Eltern geboren. Wir gehören zu der Gemeinde der ältesten Methodisten. Meine Schwestern verheiratheten sich alle vor mir. Einige Jahre lang war ich allein zu Hause. In der letzten Zeit wurde meine Mutter kränklich und ich führte den Hausstand für sie. Unser geistlicher Hirt, der gute Mr. Bapchild, pflegte Sonntags zwischen den beiden Tagesgottesdiensten bei uns zu Mittag zu essen. Er lobte meine Haushaltung und besonders mein Kochen. Das erregte die Eifersucht meiner Mutter, die es nicht gerne sah, daß ich ihr gewissermaßen vorgezogen wurde. Dadurch fing ich an, mich zu Hause unglücklich zu fühlen. In dem Grade, wie sich der Gesundheitszustand meiner Mutter verschlimmerte, wurde auch ihre Laune schlechter. Mein Vater war viel vom Hause weg auf Geschäftsreisen; ich hatte für Alles aufzukommen. Um diese Zeit fing ich an zu denken, es würde gut für mich sein, wenn ich mich, wie es meine Schwestern vor mir gethan hatten, verheirathen und den guten Mr. Bapchild in meinem eigenen Hause zu Tische haben könnte. In dieser Stimmung machte ich die Bekanntschaft eines jungen Mannes, der den Gottesdienst in unserer Kapelle regelmäßig besuchte. Er hieß Jael Dethridge. Er hatte eine schöne Stimme und pflegte, wenn er Hymnen sang, aus demselben Buch mit mir zu singen. Von Gewerbe war er ein Tapezierer. Wir unterhielten uns, wenn wir Sonntags mit einander aus der Kirche gingen, oft über ernste Gegenstände. Er war reichlich zehn Jahre jünger als ich, und da er nur ein Arbeiter war, so stand er gesellschaftlich unter mir. Meine Mutter kam dem Verhältniß, das sich zwischen uns entsponnen hatte, auf die Spur. Sie sprach davon mit meinem Vater, sobald er von einer Reise zurückgekehrt war, dann auch mit meinen verheiratheten Schwestern und mit meinen Brüdern. Sie vereinigten sich Alle dahin, daß meinem Verhältnisse zu Jael Dethridge, ehe es noch intimer würde, Einhalt gethan werden müsse. Das war eine schwere Zeit für mich. Mr. Bapchild sprach sein lebhaftes Bedauern über diese Wendung der Dinge aus. Er brachte meinen Fall in einer Predigt vor, ohne mich zu nennen, ich wußte aber sehr wohl, wer gemeint sei. Vielleicht hätte ich nachgegeben, wenn sie nicht Erkundigungen bei den Feinden meines jungen Freundes über ihn eingezogen und hinter seinem Rücken gegen mich schlecht von ihm gesprochen hätten. Das war, nachdem wir aus demselben Hymnenbuch gesungen hatten, zusammen spazieren gegangen waren und unsere Gedanken über religiöse Gegenstände mit einander ausgetauscht hatten, zu viel für mich. Ich war alt genug, um für mich selbst zu urtheilen und ich heirathete Jael Dethridge.«

3.

»Alle meine Verwandten zogen sich von mir zurück. Kein einziger von ihnen war bei meiner Hochzeit zugegen, und sie erklärten, insbesondere mein Bruder Ruben, dem sie alle folgten, daß sie von nun an nichts mehr mit mir zu thun haben wollten. Mr. Bapchild war sehr ergriffen, er vergoß Thränen und sagte, er wolle für mich beten.«

»Ich wurde in London von einem fremden Prediger getraut und wir ließen uns in der Hauptstadt mit guten Aussichten nieder. Ich hatte ein kleines eigenes Vermögen, meinen Antheil an einer Summe, die meine Tante Hester, nach der ich genannt bin, uns Mädchen hinterlassen hatte. Es betrug dreihundert Pfund. Beinahe hundert Pfund davon gab ich für Mobilien aus, die ich kaufte, um ein kleines Haus, das wir gemiethet hatten, damit auszustatten. Das Uebrige gab ich meinem Manne, um es in einer Bank zu deponiren, bis er es zu seiner eigenen geschäftlichen Etablirung brauchen werde.«

»Ungefähr drei Monate lang kamen wir, bis auf einen Punkt gut mit einander aus. Mein Mann that nie den geringsten Schritt dazu, sich geschäftlich selbständig zu machen. Ein paar Mal wurde er verdrießlich, wenn ich sagte, es sei doch schade, das in der Bank deponirte Geld, das wir später nöthig haben würden, jetzt auszugeben, anstatt ein Geschäft anzufangen und mehr zu verdienen. Der gute Mr. Bapchild, um diese Zeit gerade in London war, blieb den Sonntag über dort und kam zwischen den Gottesdiensten zum Mittagessen zu uns. Er hatte sich bemüht, meine Verwandten mit mir auszusöhnen, es war ihm aber nicht gelungen.«

»Auf meine Bitte sprach er mit meinem Manne über die Notwendigkeit, sich anzustrengen. Das nahm mein Mann übel; zum ersten Mal sah ich ihn ernsthaft aufgebracht. Der gute Mr. Bapchild sagte nichts weiter. Der Vorfall schien ihn zu beunruhigen und er verließ uns zeitig.«

»Bald darauf ging mein Mann aus. Ich hielt den Thee für ihn bereit, er kam aber nicht zurück; dann hielt ich das Abendessen für ihn bereit, aber auch dazu erschien er nicht. Es war nach Winternacht, als er in einem Zustand wieder nach Hause kam, der mich sehr erschreckte. Sein Blick und seine Sprache waren wie fremd, er schien mich nicht zu kennen, redete irre und fiel wie ein lebloser Klumpen auf unser Bett. Ich lief davon und holte den Arzt.«

»Der Doctor zog ihn an’s Licht, betrachtete ihn, roch seinen Athem, warf ihn wieder auf? Bett, drehte sich um und sah mich groß an. »Nun, wie steht es, Herr Doctor?« fragte ich. »Sie wollen mich doch nicht glauben machen, daß Sie das nicht wissen?« antwortete er. »Ich weiß es in der That nicht«, erwiderte ich. »Was für eine sonderbare Person sind Sie denn«, entgegnete er, »daß Sie nicht wissen, wenn einer betrunken ist!« Mit diesen Worten ging er fort und ließ mich, am ganzen Leibe zitternd, am Bette stehen. So kam ich zum ersten Mal dahinter, daß ich die Frau eines Trunkenboldes sei.«

4.

»Ich habe bisher noch nichts von der Familie meines Mannes gesagt.«

»Vor unserer Hochzeit hatte er mir erzählt, daß er eine Waise sei, einen Onkel und eine Tante in Canada und einen einzigen Bruder in Schottland habe. Noch vor unserer Hochzeit gab er mir einen Brief seines Bruders, in welchem derselbe mir sein Bedauern darüber ausdrückte, daß er nicht im Stande sei, nach England zu kommen und meiner Hochzeit beizuwohnen, mir gratulirte und so weiter. Der gute Mr. Bapchild, dem ich in meiner Betrübnis; vertraulich das Vorgefallene mittheilte, antwortete mir, ich möge noch eine Weile warten und sehen, ob mein Mann sich wieder betrinke.«

»Ich brauchte nicht lange zu warten. Schon am nächsten und am nächstfolgenden Tage war er wieder betrunken. Als ich das Mr. Bapchild mittheilte, schrieb er mir, ich möge ihm den Brief des Bruders meines Mannes schicken. Er erinnerte mich an die schon vor meiner Heirath über meinen Mann circulirenden Gerüchte, an die ich damals nicht hatte glauben wollen, und erklärte, es möge doch wohl gut sein, jetzt noch nähere Erkundigungen einzuziehen.«

»Das Ergebniß dieser Erkundigungen war Folgendes: Der Bruder war gerade um diese Zeit auf sein eigenes Verlangen unter die specielle Obhut eines Arztes gestellt, um sich des Trinkens zu entwöhnen. Die Neigung zu starken Getränken, hatte der Arzt geschrieben, scheine in der Familie erblich zu sein. Sie wären bisweilen monatelang mäßig und tränken nichts als Thee. Dann aber käme es auf einmal über sie und sie müßten sich, wie rechte, elende Trunkenbolde tagelang betrinken.«

»An einen solchen Mann war ich also gerathen und hatte um seinetwillen meine ganze Familie erzürnt und mir entfremdet. Das war gewiß eine traurige Aussicht für eine erst seit wenigen Monaten verheirathete Frau.«

»Nach Verlauf eines Jahres war das in der Bank deponirte Geld verbraucht und mein Mann außer Arbeit. So oft er nüchtern war, fand er leicht Beschäftigung da er ein ausgezeichneter Arbeiter war, so bald er aber dann seine Trunkanfälle bekam, verlor er regelmäßig wieder seine Beschäftigung. Es schmerzte mich, unser nettes kleines Haus verlassen und meine hübschen Möbel aufgeben zu müssen und ich schlug ihm vor, ich wolle mich tageweise als Köchin verdingen und so für unser Auskommen sorgen, bis er wieder Arbeit gefunden haben würde. Er war eben nüchtern und reuig und nahm meinen Vorschlag an. Noch mehr, er gelobte völlige Enthaltsamkeit und versprach ein neues Leben anzufangen. Die Dinge schienen sich mir wieder freundlich zu gestalten. Wir hatten für Niemand als für uns Beide zu sorgen, denn ich hatte kein Kind und keine Aussicht, eins zu bekommen. Ungleich den meisten Frauen betrachtete ich das nicht wie ein Unglück, sondern wie eine Gnade. In meiner Lage würde es, wie ich mich bald genug überzeugen mußte, mein hartes Loos nur noch härter gemacht haben, wenn ich Mutter geworden wäre.«

»Die Art der Beschäftigung, die ich suchte, war nicht sofort zu finden. Der gute Mr. Bapchild stellte mir ein Zeugniß aus und unser Hauswirth, ein braver Mann, der leider zur katholischen Kirche gehörte, sprach für mich mit dem Oeconomen eines Clubs, aber es brauchte doch Zeit, die Leute zu überzeugen, daß ich wirklich die perfecte Köchin sei, für die ich mich ausgab.«

»Es vergingen fast vierzehn Tage, bis ich eine Stelle, wie ich sie suchte, fand. Guter Dinge ging ich nach Hause, meinem Manne von meinem Engagement zu berichten, als ich einen Auctionator mit seinen Leuten im Hause fand, der im Begriff war, die Möbel, die ich für mein Geld angeschafft hatte, fortbringen zu lassen, um sie zu verauctioniren Ich fragte sie, wie sie sich unterstehen könnten, ohne meine Erlaubniß meine Sachen anzurühren. Sie antworteten mir ganz höflich, sie handelten nach einer Weisung meines Mannes und fuhren fort, die Sachen vor meinen Augen wegzutragen und auf den vor der Thür stehenden Wagen zu laden.«

»Ich lief die Treppe hinauf und fand meinen Mann oben auf dem Vorplatz. Er war wieder betrunken. Ich brauche nicht zu sagen, was zwischen uns vorging, ich will nur bemerken, daß es das erste Mal war, wo er seine Faust gegen mich erhob und mich schlug.«

5.

»Ich hatte meinen eigenen Kopf und war entschlossen, diesen Zustand nicht länger zu dulden. Ich lief nach dem nahe bei uns gelegenen Polizeigericht.«

»Mit meinem Gelde war nicht nur das Mobiliar gekauft, sondern auch der Haushalt bestritten worden; mit meinem Gelde waren die Steuern bezahlt, die die Königin und das Parlament verlangen. Ich lief jetzt zum Richter und wollte doch einmal sehen, was die Königin und das Parlament für die von mir bezahlten Steuern für mich thun würden.

»Ist Ihr Mobiliar Ihnen verschrieben?« fragte mich der Richter, als ich ihm erzählt hatte, was vorgefallen war.«

»Ich verstand ihn nicht. Er wandte sich an Jemanden, der neben ihm auf der Richterbank saß und sagte: »Das ist ein böser Fall. Die armen Leute in diesen Ständen wissen nicht einmal, was eine Eheverschreibung ist. Und wenn sie es wüßten, so könnten doch die wenigsten die Kosten für einen Advocaten bezahlen.«

»Darauf wandte er sich wieder zu mir und sagte: »Ihr Fall ist ein sehr gewöhnlicher. Bei dem gegenwärtigen Zustand der Gesetze kann ich nichts für Sie thun.«

Das konnte ich nicht glauben. Was ging es mich an, ob mein Fall gewöhnlich war oder nicht, ich legte ihm denselben noch einmal vor. »Ich habe die Möbel mit meinem eigenen Gelde gekauft, Herr Richter«, sagte ich, »sie gehören mir, ich habe sie redlich erworben, wie ich durch eine quittirte Rechnung beweisen kann. Und jetzt nehmen mir die Leute die Möbel mit Gewalt weg, um sie gegen meinen Willen zu verkaufen. Sagen Sie nicht, daß das gesetzlich ist, wir leben ja in einem christlichen Lande. Das kann nicht sein!«

»Mein liebes Kind«, antwortete er mir, »Sie sind eine verheirathete Frau und dass Gesetz gestattet keiner verheiratheten Frau, irgend etwas ihr eigen zu nennen, wenn sie nicht vor der Heirath unter Zuziehung eines Advocaten ein desfallsiges Abkommen mit ihrem Manne getroffen hat. Sie haben kein solches Abkommen getreffen und daher hat Ihr Mann das Recht, wenn er will, Ihre Mobilien zu verkaufen. Es thut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht helfen.«

Ich wollte mich noch immer nicht zufrieden geben. »Bitte, sagen Sie mir doch, Herr Richter«, sagte ich wieder, klügere Leute, als ich bin, haben mir erzählt, daß wir Alle unsere Steuern bezahlen, um die Königin und das Parlament zu erhalten, und daß die Königin und das Parlament uns zum Dank dafür Gesetze geben. Ich habe meine Steuern bezahlt. Warum giebt es denn, wenn ich fragen darf, kein Gesetz, mich zu schützen?«

»Darauf kann ich Ihnen nicht antworten«, erwiderte er, »ich muß das Gesetz nehmen, wie ich es finde, und das müssen Sie auch. Sie haben ja da eine angeschwollene Backe! Hat Ihr Mann Sie geschlagen? Wenn das der Fall ist, lassen Sie ihn hercitiren, dafür kann ich ihn bestrafen.«

»Womit können Sie ihn bestrafen, Herr Richter?« fragte ich.

»Ich kann ihn zu einer Geldstrafe verurtheilen oder ihn in? Gefängniß schicken.«

»Die Geldstrafe«, bemerkte ich, »kann er dem von Gelde bezahlen, das er für meine Mobilien bekommt. Und wenn er in’s Gefängniß geschickt wird, was soll dann so lange aus mir werden, nachdem er mein Geld ausgegeben und mir meine Sachen weggenommen hat? Und wenn er wieder herauskommt, was soll dann aus mir werden mit einem Mann, den ich in Strafe gebracht habe, und der das weiß und wieder zu mir nach Hause kommt? Es ist schlimm genug so, Herr Richter«, sagte ich. »Ich habe schon Schlimmeres erleiden müssen, als was Sie da in meinem Gesicht sehen. Guten Morgen.«

6.

»Als ich wieder nach Hause kam, waren meine Möbel fort und auch mein Mann war fortgegangen. In dem leeren Hause war kein Mensch außer dem Hauswirth. Er sprach sehr freundlich mit mir. Nachdem er mich verlassen hatte, verschloß ich meinen Koffer, fuhr nach Dunkelwerden in einer Droschke fort und suchte mir ein Logis, wo ich übernachten könnte. Wenn es je ein verlassenes, unglückliches Wesen gegeben hatte, so war ich es in dieser Nacht. Es gab nur eine Aussicht für mich, mein Brod zu verdienen, ich mußte die mir in einem Club angebotene Stelle als Unterköchin eines Koches annehmen. Und meine einzige Hoffnung war, daß ich meinen Mann nie wieder zu sehen bekommen würde.«

Ich trat meine Stelle an, kam darin fort und verdiente meinen ersten Vierteljahrlohn. Aber es taugt nichts für eine Frau, so dazustehen, wie ich dastand; ich war einsam und ohne Freunde, und man hatte mir meine Sachen, die mein Stolz gewesen waren, weggenommen und verkauft, und ich hatte nichts, worauf ich in der Zukunft hoffen konnte. Ich ging regelmäßig zur Kirche; aber ich glaube, mein Herz fing um diese Zeit an, hart zu werden und mein Gemüth fing an, unter der Last seines geheimen Kummers zu erliegen. Mir stand wieder eine Veränderung meiner Lage bevor.«

»Zwei oder drei Tage, nachdem ich, wie eben erwähnt, meinen Vierteljahrslohn erhalten hatte, fand mein Mann mich wieder auf. Das für die Möbel gelöste Geld hatte er bereits Alles wieder ausgegeben. Er machte mir eine Scene im Club und ich konnte ihn nur dadurch beruhigen, daß ich ihm alles Geld gab, was ich irgend entbehren konnte. Der Auftritt wurde dem Comité des Clubs gemeldet. »Die Herren erklärten mir, sie würden, wenn sich ein solcher Vorfall wiederholen sollte, genöthigt sein, mich zu entlassen.«

»Nach Verlauf von vierzehn Tagen wiederholte sich der Auftritt. Es wäre unnütz, hier länger dabei zu verweilen. Die Herren erklärten mir alle, es thue ihnen sehr leid um mich, aber ich verlor meine Stelle. Mein Mann kehrte mit mir in meine Wohnung zurück. Am nächsten Morgen betraf ich ihn dabei, wie er meine Börse mit den wenigen darin befindlichen Schillingen aus meinem Koffer nahm, den er erbrochen hatte. Darüber geriethen wir in Streit und er schlug mich wieder, diesmal so, daß ich zu Boden fiel.«

»Ich ging zum zweiten Mal nach dem Polizeigericht und erzählte meine Geschichte dieses Mal einem andern Richter. Mein einziges Gesuch ging dahin, daß man mich von meinem Mann befreie »Ich möchte Niemandem zur Last fallen«, sagte ich, »und nichts Unrechtes thun. Ich will mich nicht einmal darüber beklagen, daß ich sehr arg mißhandelt worden bin. Alles, um was ich bitte, ist, daß man mir die Möglichkeit gewährt, mein Brod redlich zu verdienen. Kann ich auf den Schutz des Gesetzes»dabei rechnen?«

»Die Antwort lautete im Wesentlichen dahin, daß das Gesetz mich vielleicht schützen würde, wenn ich Geld genug hätte, um bei einem höheren Gerichtshof eine Trennung nachzusuchen. Nachdem das Gesetz also meinem Manne gestattet hatte, mich ohne Weiteres meines einzigen Eigenthums, nämlich meiner Möbel, zu herauben, kehrte es sich jetzt, wo ich mich in meinem Elende um Hülfe an dasselbe wandte, gegen mich und hielt mir seine Hand entgegen, um Geld von mir zu bekommen.«

»Ich besaß gerade noch drei Shilling sechs Pence, mit der Aussicht, daß wenn ich mehr verdienen sollte, mein Mann wieder mit Erlaubniß des Gesetzes kommen und es mir wegnehmen würde. Es gab nur eine Hoffnung für mich, nämlich Zeit zu gewinnen, ihm wieder zu entkommen.«

»Einen Monat schaffte ich ihn mir dadurch vom Halse, daß ich ihn verklagte, mich zu Boden geschlagen zu haben. Der Richter, der ein junger Mann und neu in seinem Beruf war, schickte ihn in’s Gefängniß, anstatt ihn in eine Geldstrafe zu verurtheilen. Dadurch gewann ich Zeit, mir Zeugnisse, eines vom Club und eines von dem guten Mr. Bapchild, zu verschaffen. Mit Hilfe dieser Zeugnisse erlangte ich eine Stelle in einem Privathause, dieses Mal auf dem Lande.«

»Hier glaubte ich mich jetzt in den Hafen der Ruhe eingelaufen. Ich war bei braven, freundlichen Leuten, die an meiner traurigen Lage Antheil nahmen und mich sehr nachsichtig behandelten. In all’ meinem Unglück habe ich, wie ich bekennen muß, doch immer Eines gefunden, was tröstlich ist. Nach all’ meinen Erfahrungen sind die Menschen im Ganzen sehr bereit, Mitleid mit dem Elend Anderer zu empfinden, und sehen meistens sehr gut ein, was die Gesetze des Landes, zu deren Aufrechterhaltung sie beitragen, Herbes Grausames und Ungerechtes enthalten. Aber man fordere sie nur einmal auf, nicht mehr ruhig dazusitzen und darüber zu raisonniren sondern sich dagegen zu erheben, —— und was wird man erleben? daß sie so hülflos wie eine Heerde Schafe sind.

7.

»Mehr als sechs Monate verflossen und ich konnte mir wieder etwas Geld ersparen, als eines Abends, als wir eben zu Bett gehen wollten, laut an der Hausthür geklingelt wurde. Der Diener öffnete die Thüre und ich hörte die Stimme meines Mannes auf dem Vorplatz.«

»Mit Hilfe eines ihm bekannten Polizeibeamten hatte er meine Spur aufgefunden und war gekommen, seine Rechte geltend zu machen. Ich bot ihm all’ das bischen Geld, was ich mir erspart hatte, wenn ser mich nur in Ruhe lassen wolle. Mein guter Herr sprach mit ihm, aber Alles vergebens, er war verstockt und wild.«

»Wenn ich nicht von ihm, sondern er von mir weggelaufen wäre, so hätte, so viel ich verstanden habe, vielleicht etwas zu meinem Schutz geschehen können; aber er wollte, so lange ich noch einen Pfennig verdienen konnte, nicht von seiner Frau lassen. Da ich mit ihm verheirathet war, so hatte ich kein Recht, ihn zu verlassen; ich war verpflichtet, meinem Mann zu folgen, es gab keine Rettung für mich. Ich sagte meiner Herrschaft Lebewohl und habe ihre Güte gegen mich bis auf den heutigen Tag nie vergessen. Mein Mann nahm mich mit sich zurück nach London. So lange mein Geld verhielt, trank er fortwährend; als das Geld ausgegeben war, fing er wieder an, mich zu schlagen.«

»Was konnte ich dagegen thun? Nichts, als versuchen, ihm wieder zu entkommen. Ich hätte ihn in’s Gefängniß setzen lassen können, aber was hätte ich davon gehabt? Nach wenigen Wochen würde er wieder frei gewesen sei und nüchtern und reuig Besserung versprochen haben, um dann, wenn ihn die Leidenschaft wieder ergriffen hätte, in dieselbe wüthende Wildheit auszubrechen, die ihn nun schon so oft besessen hatte. Mein Herz wurde bei dieser Hoffnungslosigkeit meiner Lage immer härter und finstere Gedanken beschlichen mich, besonders des Nachts. Um diese Zeit war es, wo ich mir zu sagen anfing: Es giebt keine andere Befreiung aus diesem Elend als durch den Tod, seinen Tod oder deinen Tod.«

»Ein paar Mal ging ich Abends auf die Brücken hinunter und sah in den Fluß hinab. Nein. Ich war nicht dazu gemacht, mein Elend auf diese Weise zu beendigen. Dazu muß das Blut fieberhaft aufgeregt, muß der Kopf glühend heiß sein, —— wenigstens denke ich es mir so, —— dazu muß man sich wie von einem bösen Geiste getrieben fühlen, sich selbst aus der Welt zu schaffen.«

»Das war aber nie die Wirkung, die mein Kummer auf mich übte. Ich wurde immer kalt dabei, aber nicht heiß. Das war gewiß sehr schlinnn für mich, aber wie man einmal ist, so ist man. Kann der Neger seine Haut, oder der Leopard sein Fell verändern?«

»Noch einmal gelang es mir, meinem Mann zu entkommen und es kommt hier nicht darauf an, wie und wo, eine gute Stelle zu finden. Meine Geschichte nimmt immer und immer wieder denselben Verlauf. Ich will daher so rasch wie möglich damit zu Ende zu kommen suchen. Nur Eines war dieses Mal anders.«

»Meine Stelle war nicht in einem Privathause, und ich hatte Erlaubniß, in meinen freien Stunden jungen Frauen das Kochen zu lehren. Dank diesem Umstand und der längeren Zeit, die dieses Mal verging, ehe mein Mann mich wieder auffand, fühlte ich mich so behaglich, wie es in meiner Lage nur möglich war. Abends, wenn meine Arbeit gethan war, ging ich zum Schlafen in eine eigene Wohnung, die ich mir gemiethet hatte. Es war nur ein Schlafzimmer, das ich mir selbst meublirte, theils aus Oeconomie, da die Miethe für unmeublirte Wohnungen nicht halb so hoch ist, wie für meublirte, theils aus Reinlichkeit. In all’ meinem Elend habe ich immer darauf gehalten, mich mit saubern, netten und soliden Möbeln zu umgeben.

»Nun, ich brauche nicht zu sagen, wie es auch dieses Mal wieder kam. Er fand mich wieder auf, dieses Mal in Folge einer zufälligen Begegnung mit mir auf der Straße. Er war zerlumpt und halb verhungert. Aber das schadete ihm ja nichts, er brauchte nur die Hand in meine Tasche zu stecken und herauszunehmen, was er brauchte. Es giebt in England kaum eine Grenze für das, was einem schlechten Ehemanne zu thun erlaubt ist, so lange er nicht von seiner Frau lassen will.«

In diesem Falle war er klug genug, einzusehen, daß es sein eigener Schaden sein würde, wenn er mich zwänge, meine Stelle zu verlassen. Eine Zeitlang ging es so fort. Unter der Angabe, daß ich jetzt mehr zu thun habe als früher, erbat ich mir, offen gestanden, nur um meinen Mann nicht mehr sehen zu müssen, die Erlaubniß, in dem Hause, wo ich meine Stelle hatte, zu schlafen, und erhielt dieselbe; aber das sollte nicht lange dauern. Nach einer Weile bekam er wieder seine gewöhnlichen Trunkanfälle, kam in’s Haus und machte mir einen Auftritt. Wie noch jedes Mal, so ging es auch jetzt; anständige Leute konnten sich so etwas nicht gefallen lassen. Wie jedes Mal erklärte auch jetzt meine Herrschaft, es thue ihr leid, mich entlassen zu müssen, und ich verlor auch dieses Mal wieder meine Stelle.«

»Andere Frauen würden dabei verrückt geworden sein. Ich glaube, um ein Haar wäre auch ich verrückt geworden.«

Als ich ihn in der nächsten Nacht anblickte, wie er betrunken, schlafend dalag, mußte ich an Jael und Sissera denken, wie es im Buch der Richter im vierten Capitel Vers einundzwanzig heißt: »Da nahm Jael, das Weib Heber’s, einen Nagel von der Hütte und einen Hammer in ihre Hand und ging leise zu ihm hinein, und schlug ihm den Nagel durch seinen Schlaf, daß er zur Erde sank. Er aber entschlummerte, ward ohnmächtig und starb.« Jael that das, um ihr Volk von Sissera zu befreien.«

»Ich glaube, wenn ich in jener Nacht einen Nagel und einen Hammer zur Hand gehabt hätte, ich hätte es gemacht wie Jael, nur mit dem Unterschiede, daß ich es zu meiner eigenen Befreiung gethan hätte. Mit dem Anbruch des Morgens verließen mich für diesesmal solche Gedanken. Ich ging, mir bei einem Advocaten Raths zu erholen. Die meisten Menschen würden es an meiner Stelle wohl schon satt gehabt haben, es mit dem Recht zu versuchen, aber ich gehörte zu den Menschen, die den Becher bis auf die Hefe leeren.«

»Was ich dem Advokaten sagte, war in der Kürze Folgendes: »Ich möchte Ihren Rath im Betreff eines Verrückten haben. Verrückt sind, wie ich es verstehe, Menschen die die Herrschaft über sich verloren haben. Das führt sie bisweilen dazu, Andere zu täuschen bisweilen aber auch, Handlungen zu begehen, durch die sie Andere oder sich beschädigen. Mein Mann hat alle Herrschaft über seine Leidenschaft für geistige Getränke verloren. Er muß vor geistigen Getränken gehütet werden, wie andere Verrückte davor gehütet werden müssen, sich selbst oder Andern nach dem Leben zu trachten. Es ist bei ihm so gut wie Wahnsinn, über den er nichts vermag, wie es bei diesen ein Wahnsinn ist, über den sie nichts vermögen. Es giebt im ganzen Lande viele Irrenanstalten, die dem Publikum unter gewissen Bedingungen zu Gebote stehen. Wird das Gesetz, wenn ich diese Bedingungen erfülle, mich von dem Elend befreien, an einen Verrücktem dessen Verrücktheit in Trunksucht besteht, verheirathet zu sein?« »Nein«, erwiderte der Advocat »Das englische Gesetz betrachtet einen unheilbaren Trunkenbold nicht als ein zur Einschließung geeignetes Individuum; das englische Gesetz überläßt es den Männern und Frauen solcher Trunkenbolde mit ihrem Elend so gut fertig zu werden, wie sie können«. Ich bezahlte den Herrn für seinen Rath und ging meine Wege. Das war meine letzte Hoffnung gewesen, und auch die war mir jetzt vereitelt.«

8.

»Der Gedanke, der mich schon einmal beschlichen hatte, überkam mich jetzt wieder, um mich von nun an nie wieder ganz zu verlassen. Es gab keine Befreiung als durch den Tod, seinen oder meinen Tod. Dieser Gedanke verfolgte mich Nacht und Tag, in der Kirche, überall. Ich las die Geschichte von Jael und Sissera so oft, daß die Bibel sich, wenn ich sie anfaßte, von selbst an der Stelle öffnete. Die Gesetze meines eigenen Landes, die mir als einer rechtschaffenen Frau hätten beistehen müssen, ließen mich hilflos. Auch hatte ich keine Freunde, denen ich mein Herz hätte erschließen können. Ich war ganz auf mich selbst angewiesen, und ich war an diesen Menschen gekettet. Bedenkt, daß ich ein menschliches Wesen bin und sagt, ob meine Lage nicht eine schwere Prüfung für mich war.«

»Ich schrieb wieder an den guten Mr. Bapchild, ohne mich auf Einzelheiten einzulassen, nur daß ich von Versuchungen heimgesucht sei, und bat ihn, zu mir zu kommen und mir zu helfen. Er war durch Krankheit an’s Bett gefesselt und konnte mir nur schriftlich guten Rath geben. Damit Einem aber guter Rath etwas nütze, muß man noch einen Rest von Hoffnung auf ein Glück haben, auf das man als Lohn seiner Anstrengung hoffen darf. Selbst die Religion muß eine Belohnung in Aussicht stellen und zu uns armen Menschen sagen: »Seid tugendhaft und Ihr werdet in den Himmel kommen.« Für mich aber gab es keine Hoffnung auf Glück mehr. Ich empfand eine Art von stumpfer Dankbarkeit gegen den guten Mr. Bapchild, aber das war auch Alles.«

»Es hatte eine Zeit gegeben, wo ein Wort meines guten Pastors mich wieder auf den rechten Weg würde zurückgeführt haben. Ich fing an, einen Schauder vor mir selbst zu empfinden. Es stand fest bei mir, daß wenn ich bis zu der nächsten Mißhandlung, die mir von meinem Manne widerfahren würde, nicht andern Sinnes geworden sein würde, ich aller Wahrscheinlichkeit nach mich mit eigener Hand von ihm befreien würde. Die Furcht vor einem solchen Ausgang brachte mich dazu, mich zum ersten Mal vor meinen Verwandten zu demüthigen. Ich schrieb ihnen, bat sie um Verzeihung, bekannte, daß sie in ihrer Ansicht über meinen Mann Recht gehabt hätten und bat sie, sich soweit wieder mit mir auszusöhnen, daß sie mir gestatteten, sie von Zeit zu Zeit zu besuchen. Ich dachte, es könnte mein Herz milder stimmen, wenn ich die alten Plätze wiedersehen, die alte Sprache wieder sprechen, die alten wohlbekannten Gesichter wiedersehen könnte. Ich schäme mich fast, es zu gestehen, aber ich hätte gern Alles darum gegeben, einmal wieder in die Küche meiner Mutter gehen und noch einmal das Sonntags-Mittagessen für die Familie kochen zu dürfen. Aber das sollte nicht sein. Kurz ehe mein Brief ankam, war meine Mutter gestorben und ihren Tod hatten sie mir allein Schuld gegeben. Sie war zwar jahrelang kränklich gewesen, und die Aerzte hatten ihren Zustand von Anfang an für hoffnungslos erklärt, aber doch gaben sie es mir allein Schuld. Eine meine Schwestern erklärte mir das schriftlich in so wenigen Worten, wie es nur irgend gesagt werden konnte. Mein Vater antwortete gar nicht auf meinen Brief.


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